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ãTom‡s NevinsonÒ, der letzte Roman von Javier Mar’as
Wie man eine Terroristin tštet
In seinem letzten Werk verknŸp" Javier Mar’as die Spannung eines Thrillers mit essayistischer Reßexion auf meisterha"e Weise
Am 11. September dieses Jahres ist in Madrid der gro§e Javier Mar’as ge Die Handlung selbst ist so einfach wie ef fektvoll: Nevinson soll seinem ehemali storben. Seinen 16. und letzten Roman, der 2021 in Spanien erschienen ist, hal ten manche Kritiker fŸr seinen besten. Viel leicht weil es Mar’as hier gelungen ist, sei ne Neigung zum Reßektieren, Moralisieren und zu metaliterarischen Umwegen mit einer atemberaubend spannenden Hand lung zu verbinden. ãAlte SchuleÒ, der Ausdruck Þndet sich gleich im ersten Satz des Romans, und er charakterisiert das Îuvre dieses Autors nicht schlecht. Wenn aber Mar’as ãalte SchuleÒ war, dann als Modernist, etwa als unbedingter Verehrer Prousts. ãIch wur de nach alter Schule erzogenÒ, so der ers te Satz zur GŠnze, ãund hŠtte nie gedacht, dass man mir eines Tages au!ragen wŸr de, eine Frau umzubringen.Ò
Mit Klarnamen, wenn man es so nen nen will, hei§t das Ich dieses Eingangssat zes Tom‡s Nevinson. Als langjŠhriger Ge heimagent ihrer MajestŠt hat der Mann mit dem spanischen Vor- und dem englischen Nachnamen sein Handwerk zur Perfektion entwickelt. Nach eher šden Undercover-Jah ren in der englischen Provinz ist der Mitt vierziger nun ins heimische Madrid zurŸck gekehrt. In der britischen Botscha! hat man ihm einen unau"Šlligen Posten zugewie sen. Nevinsons Doppelexistenz scheint an ein Ende gekommen zu sein.
Auch die Beziehung zu Berta, seiner, wenn man will, echten Ehefrau, der er sei ne Berufsgeheimnisse stets vorenthalten musste, blŸht wieder auf.
Mar’as-Leser werden sich erinnern: ãBerta IslaÒ hie§ der VorgŠnger-Roman, so wie Nevinsons Frau. Mit dem vorliegenden bildet er, wie Mar’as schreibt, ein ãPaarÒ. Der frŸhere Roman erzŠhlte von Bertas Le ben mit einem Mann, der sich entzog und verstellte, wann immer der Dienst es von ihm verlangte.
Der neue Roman nimmt die Perspektive des Ehemannes ein. ErzŠhlt wird von einem Ex-Agenten, der sich wieder im bŸrgerli chen Leben eingerichtet hat und der dann, nicht widerstrebend, doch wieder ins Feld zieht, um eine Frau umzubringen oder viel leicht auch drei. So sieht Ð in gera!ter Form Ð die Ausgangs lage von ãTom‡s NevinsonÒ aus. Bei Ja vier Mar’as selbst indes wird nichts gera"t. Die Umgangsformen, deren sich der IchErzŠhler eingangs rŸhmt, erfordern, dass man sich Zeit lŠsst. Nicht nur Zeit beim Tšten, sondern auch beim ErzŠhlen. Zeit fŸr vergleichende Betrachtungen des Engli schen und des Spanischen; Zeit fŸr literari sche Referenzen von Shakespeare bis Yeats, Eliot und Baudelaire; Zeit fŸr eine genŸss liche Streckung des Plots bis zum Þnalen Paukenschlag. gen Chef einen Gefallen erweisen, womit der wiederum seinen spanischen Kolle gen einen Gefallen tut. Er soll eine irgend wo im spanischen Nordwesten lebende hi spano-irische SchlŠferin liquidieren, die an È den AnschlŠgen der baskischen ETA in den 1980er-Jahren beteiligt war und die gute Wahrscheinlich Kontakte zur irischen IRA unterhŠlt. Drei keit ist nicht die Frauen kommen infrage, so wird es ihm beim Zusammentre"en in Madrid Ð dessen oberste Maxime Schilderung die ersten gut hundert Seiten von Mar’asÕ in Anspruch nimmt Ð sein alter FŸhrungs - ErzŠhlkunst. o#zier erlŠutern. Nevinson soll inkognito in die Provinz stadt im Nordwesten ziehen, die Frauen Er bedient sich nach GutdŸnken Ÿberwachen und kennenlernen, den Ver - bei der RealitŠt, dacht erhŠrten und sodann diskret und prŠ zise zuschlagen. Welche der drei Frauen ist die gesuchte, und warum? Wird Nevinson um diese in Literatur zu seine gute Erziehung so weit hintanstellen verwandeln kšnnen, dass er den Au!rag wirklich aus fŸhrt? Was, wenn die tatsŠchlich Gesuchte inzwischen ihr eigenes ãTodesprojektÒ ent wickelt, und zwar gegen ihren JŠger? Weil Mar’as wei§, dass er seine Leser von Beginn an am Haken hat, kann er sich nun erst recht dem Spiel mit Verweisen hin geben. Der kulturelle Kanon bietet reiches Material, was moralische Dilemmata be tri"t. Was kšnnte, lŠsst Mar’as seine Figur grŸbeln, die Ermordung einer oder mehre rer Personen rechtfertigen, die mšglicher weise ja alle unschuldig sind und die nur durch ihre au"Šllige Unau"Šlligkeit ins Vi sier der Dienste geraten sind? Das professionelle Tšten von Menschen ist schwierig, das hat Nevinson selbst erlebt, technisch, moralisch, aber noch mehr, was den richtigen Zeitpunkt angeht. Der Kai ros des gelingenden Anschlags kann im Nu vorŸber sein. Mar’as bringt Fritz Langs AntinaziÞlm ãMan HuntÒ aus dem Jahr 1941 ins Spiel. An dessen Anfang hat ein britischer Hob byjŠger nahe dem Berchtesgadener Berghof unversehens Adolf Hitler im Fadenkreuz und wŸrde gerne die seltene Chance nut zen. Dann aber schwebt ein Blatt auf sein Zielfernrohr herab, und im nŠchsten Au genblick stŸrzt sich schon ein Wachsoldat auf ihn. Die Chance ist vertan. Mit solchen Analogien rŸckt Mar’as die geheimdienstli che Aktion seines Helden in die NŠhe des Tyrannenmordes. Die furchtbaren AnschlŠge der baski schen Befreiungsorganisation in Madrid und Barcelona, mit Dutzenden von Toten Javier Mar’as: und Hunderten Verletzten, liegen zur Er - Tom‡s Nevinson. zŠhlzeit des Romans ein Jahrzehnt zurŸck. Roman. Aus dem Die ausfŸhrenden TŠterinnen und TŠter sit - Spanischen von zen in Ha!, die Drahtzieher aber sind viel - Susanne Lange. fach auf freiem Fu§ und pßegen ihre inter - S. Fischer, 736 S., nationalen Netzwerke, vor allem die zur # 33,50 politisch befreundeten IRA. Der staatliche Anti-Terror-Kampf ist infolge illegaler Ak tionen diskreditiert. Deshalb der Gedanke, die Jagd nach verdŠchtigen Subjekten qua Amtshilfe an die Briten auszulagern, die dann wiederum den Ex-MI6-Mann Nevin son aktivieren.
Mar’asÕ Roman ru! Traumata der spa nischen Gesellscha! wach. Der ETA-Terror ist Ÿberall gegenwŠrtig im Spanien des Jah res 1997. Nevinsons Job hat eine erhebliche politische Tragweite, man merkt es an der wachsenden NervositŠt seiner Vorgesetzten. Nevinson soll reale Gefahren von Spanien abwenden, aber weder seine Chefs noch er selbst wissen, ob er dazu noch das Zeug hat.
Derweil fŸhren die verdŠchtigen Drei ihr gewohntes und deshalb vielleicht be sonders perÞdes SchlŠferinnen-Leben im Ÿber-provinziell geschilderten StŠdtchen Ru‡n. In ihrer Verstellungskunst Ð wenn sie sich denn Ÿberhaupt verstellen Ð glei chen sie dem Spion, der sie aus der Reser ve locken will.
Als Englischlehrer Miguel Centur’on hat sich Tom‡s Nevinson fŸr den Aufenthalt eine Fake-IdentitŠt aufgebaut, in die er rasch eintaucht. Daraus, dass er ein SchnŸ$er ist, angeblich, um fŸr einen Roman zu re cherchieren, macht Nevinson alias Centu ri—n (mal ist er ein ãIchÒ, im nŠchsten Satz schon wieder ein ãErÒ) kein Geheimnis. MŸsste dann nicht die Inhaberin des gutge henden Restaurants am Fluss, die sich all mŠhlich als HauptverdŠchtige herausschŠlt und sich ohne Zšgern auf eine sexuelle Be ziehung mit Nevinson einlŠsst, mŸsste die se InŽs nicht, wenn sie denn die gesuchte irisch-baskische Terroristin namens Mad die Orœe OÕDea wŠre, augenblicklich Ver dacht schšpfen und ihrerseits Nevinson aus dem Verkehr ziehen wollen? Oder ist es Teil eines noch grš§eren Plots, wenn sie ihn bei der Vorbereitung seiner Tat einfach ge wŠhren lŠsst?
Wahrscheinlichkeit ist nicht die oberste Maxime von Mar’asÕ ErzŠhlkunst. Er be dient sich nach GutdŸnken bei der Rea litŠt, um das dieser Entnommene in eine Literatur zu verwandeln, die den eigenen Gesetzen stets den Vorrang gibt vor den Forderungen der Wirklichkeit. Das war in manchen von Mar’asÕ frŸheren BŸchern ein Problem, in seinem letzten Roman geht die Rechnung auf: Wie noch nie zu vor scha"t es der Autor hier, essayistische UmstŠndlichkeit und plotgetriebene Span nung zusammenzubringen.
Wenn Mar’as vorsŠtzlich langatmige, mitunter auch leicht altherrenmŠ§ige, ein wenig zu bildungssatte, dann aber auch schlaue und bewegliche Prosa ãold schoolÒ war, dann ist ãTom‡s NevinsonÒ ein letzter Triumph der alten Schule.
CHRISTOPH BARTMANN