Future Skills und Lernorte
Ein Heft über Fähigkeiten und Kompetenzen, die in der Zukunft wichtig sind – und darüber, was bereits heute in Schule und Hochschule umgesetzt wird.
«Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Hand lungsfähigkeit erlangen» Gespräch mit Dorit Assaf, Monika Waldis und Roger Spindler 8
VR-Brillen machen Unsichtbares beobachtbar 18
Warum sollen Kinder Philosophieren lernen? 47
HEFT das PH-Magazin Nr. 8 2022
Schweizer Kreativität
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DAS HEFT Future Skills und Lernorte
Wie machen wir uns bereit für die Zukunft? Diese Frage stellt sich in vielen Lebensbereichen – und insbesondere auch im Bildungsbereich. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollen Lehrpersonen den Schüler*innen vermitteln? Welche Skills werden Kinder und Jugendliche, die heute die Schulen besuchen, später im (Berufs-)Alltag brauchen? Und wo können in der Lehrpersonenbildung Schwer punkte gesetzt werden, damit die Lehrer*innen ihre Klassen noch besser auf die künftigen Erfordernisse vorbereiten können?
Das vorliegende HEFT widmet sich Themen rund um Future Skills. Im Expert*innengespräch beleuchten Dorit Assaf, Monika Waldis und Roger Spindler die Future Skills aus verschiedenen Perspektiven. Sie rücken dabei das 4-K-Modell ins Zentrum, das auf die Fähigkeiten Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken fokussiert. Sie gehen aber auch auf Aspekte der Digitalisierung –und digitalfreie Zonen – ein.
Die weiteren Beiträge in der aktuellen Ausgabe zeigen die Vielfalt der Future Skills. Klar, dass dabei digitale Hilfsmittel eine Rolle spielen. Im Schulunterricht etwa können Virtual-Reality-Brillen – eingebettet in analoge Unterrichtseinheiten –helfen, für das menschliche Auge Unsichtbares beobachtbar zu machen. In der Hochschullehre bieten virtuelle 3-D-Räume Austauschmöglichkeiten. Und in sogenannten Makerspaces treffen herkömm liche Werkzeuge wie Sägen, Bohrmaschinen oder Nähmaschinen auf digitale Geräte und Fertigungs technologien wie 3D-Drucker oder Lasercutter und ermöglichen so den Schüler*innen durch selbstständiges, überfachliches Arbeiten einen Kompetenzaufbau bei den Future Skills.
Beim Projekt «CoKoS – Computerunterstützte Kompetenzdiagnostik im selbstregulierten Lernen» hilft ein digitales Diagnose-Tool den Schüler*innen, das selbstregulierte Lernen zu verbessern, und unterstützt gleichzeitig die Lehrpersonen dabei, die Voraussetzungen ihrer Schüler*innen besser zu kennen. Zum selbstregulierten Lernen gehört, das eigene Lernen zu steuern, selbstständig zu lernen und sich selbstständig zu organisieren. Wichtige Aspekte dabei sind etwa Strategien zum Priorisieren
von Aufgaben, zum Einrichten des eigenen Arbeits platzes oder zum Umgang mit Ablenkungen. Neben diesem Fokus auf Digitalität ermöglicht das vorliegende HEFT auch weitere spannende Einblicke: So entwickelt die PH FHNW etwa ein Lehrmittel für Philosophieren mit Kindern und testet dieses in Schulklassen. Weitere Schlaglichter werden auf «Sprachen inklusiv» und «SpielPolitik!» oder Partizipation bei der nachhaltigen Gestaltung des Schulareals gelegt.
Apropos Nachhaltigkeit: Dora Freiermuth, die den Bildessay für die aktuelle Ausgabe gestaltet hat, schenkt alltäglichen Materialien in ihren Werken ein zweites Leben.
Ich wünsche Ihnen eine anregende und inspirie rende Lektüre dieses vielfältigen HEFTs.
Guido McCombie
Direktor der Pädagogischen Hochschule FHNW
PH-Magazin Nr. 8 2022 DAS HEFT 3
EDITORIAL
Titelbild: Boje, Dora Freiermuth, Zweites Leben
FOKUS
STANDPUNKT
«Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen»
Welche Fähigkeiten brauchen wir in der Zukunft? Wie können Schulen die Schüler*innen auf das (Berufs-)Leben vorbereiten?
Welche Rolle spielt die Digitali sierung und welche Kompetenzen sind diesbezüglich gefragt? Dorit Assaf, Monika Waldis und Roger Spindler erörtern diese Fragen im Expert*innen-Gespräch.
Seite 8
VR-Brillen machen Unsichtbares beobachtbar
Viele Themen, die im naturwissenschaftli chen Unterricht behandelt werden, betreffen nicht direkt beobachtbare Aspekte der Welt. Unterrichtseinheiten mit Virtual Reality können hier helfen, wie ein Beispiel anhand des Wasserkreislaufs zeigt.
Seite 18
4 DAS HEFT PH-Magazin Nr. 8 2022 Future Skills und Lernorte 3 Editorial von Guido McCombie 6 Nachgefragt «Welche Fähigkeiten brauchen wir in der Zukunft?»
8 «Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen» Gespräch mit Dorit Assaf, Monika Waldis und Roger Spindler von Marc Fischer
16 Beseitigt Künstliche Intelligenz die Notwendigkeit, Program mieren in Schulen zu unterrichten? von Alexander Repenning DOSSIER 18 VR-Brillen machen Unsichtbares beobachtbar von Marc Fischer 21 Virtuelle Brücken in die Natur von Michael Hunziker 23 Auch Lernen will gelernt sein von Marc Fischer 25 3D-Drucker im Werkraum von Marc Fischer 28 Bildessay: Zweites Leben von Dora Freiermuth INHALT
3D-Drucker im Werkraum
Making ermöglicht Schüler*innen den Kontakt zu neuen Technologien und den Erwerb von überfachlichen Kompetenzen. An der PH FHNW läuft seit diesem Jahr das Beratungsangebot «making@school».
Seite 25
Nachdenken über philosophische Fragen verändert die Perspektive
Die Kinder lernen beim Philosophieren auch zuzuhören, zu begründen und ihre Meinung zu überdenken. Aktuell entwickelt die PH FHNW ein Philosophie-Lehrmittel für Kinder. Es wird derzeit in verschiedenen Klassen getestet.
Seite 43
AUS DER PH
34 Unterstützung für Lehrper sonen und Familien von Marc Fischer
37 Kollaborative 3D-Um gebungen – innovative Lernräume für die Hoch schullehre von Ricarda T.D. Reimer und Kathrin Kochs
41 Politik spielen im Bundes haus von Solange Morel und Sabine Goldhahn
43 Nachdenken über philoso phische Fragen verändert die Perspektive von Michael Hunziker
47 Warum sollen Kinder Philosophieren lernen? von Christoph Buchs
48 Zukunftspläne für mehr sprachiges Lernen von Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Sandra Däppen, Simone Kannengieser
50 Wie wird das Schulhaus areal zu einem Lernort für BNE? von Pascal Pauli
51 «Lernen findet nicht nur im Klassenzimmer statt» - Roman Renz über seine Bachelorarbeit von Virginia Nolan
53 «Wir müssen unsere Wahr nehmung stets hinterfragen» – Berfim Pala über ihre Masterarbeit von Virginia Nolan
54 Spiel- und Lesetipps
56 Kolumne von Dominik Muheim
PH-Magazin Nr. 8 2022 DAS HEFT 5
INHALT
«Welche Fähigkeiten brauchen wir in der Zukunft?»
1«Auch wenn es inzwischen etwas abgedroschen tönt: In Zukunft ist es wichtig, dass wir in der Lage sind, uns ständig weiterzubilden. Wir müssen aus der Schule die Voraussetzungen mitbringen, dass wir uns Wissen und Kompetenzen selbst aneignen können, denn Weiter bildung findet sehr oft ausserhalb geregelter Weiterbildungsveran staltungen statt. Auch wenn das Lernen lernen wichtig ist, darf die solide (Wissens-)Basis nicht vergessen werden. Auch Häuser stehen besser nicht auf Sand.»
BJÖRN LUPP, Leiter Hauptab teilung Mittelschulen, Kanton Basel-Landschaft
2«Soziale Merkmale des menschlichen Wesens werden an Bedeutung gewinnen in der zunehmend globalisierten und technisch ausgestalteten (Arbeits-) Welt. Fähigkeiten wie zum Beispiel Empathie, Selbstbewusstsein, Respekt und Kommunikation werden noch wichtiger. Ebenso Neugierde, Flexibilität und Eigen verantwortung, alles Vorausset zungen für lebenslanges Lernen (vgl. OECD Lernkompass 2030 Future Skills). Nicht zuletzt dürfte auch Resilienz hinsichtlich der zunehmenden Veränderungen und instabilen, krisenhaften Situationen noch bedeutsamer werden.»
BARBARA BÖSIGER, Schulso zialarbeiterin und Ansprech person Sektion Solothurn des SSAV (Schulsozialarbeitsver bands)
3«Ich wünsche mir, dass wir die Fähigkeit entwi ckeln, mit der Natur zu leben. Und diese Respektieren. Ich will auch fähig sein, mich voll und ganz für etwas einzusetzen, ausserdem will ich im Netz Reales von Fakes unterscheiden können.»
6 DAS HEFT PH-Magazin Nr. 8 2022
NACHGEFRAGT
SERAINA ARNOLD, Schülerin
Nachgefragt bei Persönlichkeiten aus dem Bildungsraum Nordwestschweiz
4«Aus heutiger Sicht müssen die Lernenden in der Zukunft eigenständig, vernetzt und kritisch denken können. Die Fähigkeiten die transdisziplinäre Herangehens weise zu beherrschen und «out of the box» denken zu können, werden unabdingbar. Nicht zuletzt sind neben alltags praktischen Fertigkeiten auch ausgeprägte Selbst- und Sozial kompetenz gefragt, um beispiels weise in sehr heterogenen Teams in gewinnbringender Kollaboration sachlich Lösungen erarbeiten zu können. Ausser schulische Lernorte ermöglichen es, diese Fähigkeiten zu erwerben und schaffen «Bodenhaftung» in unserer zunehmend digitali sierten Lebenswelt.»
PATRICK ISLER-WIRTH, Leiter Volksschulen, Kanton Aargau
5«Auch in Zukunft wird die Sprache sehr wichtig sein, denn ohne Sprache bleibt die Welt klein. Mehr denn je sind effiziente Lesestrategien gefragt, um die anspruchsvollen Fachtexte zu entschlüsseln, die Fülle an Informationen zu verar beiten und aus dieser Fülle das Relevante herauszufiltern. Die Lernenden werden zunehmend digital und selbstorganisiert arbeiten. Dabei ist eine gute Selbstorganisation von zentraler Bedeutung. Beweglich sein und innerlich stabil bleiben ist eine Herausforderung – nicht nur für die Berufslernenden. Wenn es ihnen und uns gelingt, auch über die Lehrzeit hinaus, neugierig und offen zu bleiben für Neues und gegenüber Veränderungen, dann sind wir fit für die Zukunft.»
KARIN ZINDEL, Direktorin Berufsfachschule Basel
6«Die Probleme von morgen werden komplexer sein als je zuvor, weshalb dem strukturierten Problemlösen eine zentrale Bedeutung zukommen wird. Die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen und im Datendschungel die relevanten Informationen zu finden, ist zentral. Kenntnisse über künstliche Intelligenz helfen dabei. Kreativität und Vorstellungskraft sind Stärken des Menschen, die wir den Maschinen (noch) voraus haben. Sie sollten deshalb in Schule und Beruf regelmässig trainiert werden.»
ROBERTO MORANDI, ask!
– Beratungsdienste für Ausbil dung und Beruf, Mitglied der Geschäftsleitung, Beratungs leistung/Kernangebote
PH-Magazin Nr. 8 2022 DAS HEFT 7 NACHGEFRAGT
«Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen»
Ein Gespräch mit Expert*innen über Fähigkeiten, die wir in Zukunft brauchen werden, über die Rolle der Schulen bei der Vermittlung dieser Future Skills – und über mögliche Grenzen
Von Marc Fischer (Text) und Christian Irgl (Fotos)
Welche Fähigkeiten brauchen wir in der Zu kunft? Wie können Schulen die Schüler*in nen auf das (Berufs-)Leben vorbereiten?
Welche Rolle spielt die Digitalisierung und welche Kompetenzen sind diesbezüglich gefragt? Sind die oft postulierten Future Skills eigentlich «Jetzt Skills»?
Über diese und andere Fragen diskutierten Expert*innen mit unterschiedlichen Backgrounds und Fachgebieten. Dorit Assaf hat im November 2021 die Leitung der neu geschaffenen Professur Didaktik der Informatik und Medienbildung am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW übernommen. Monika Waldis ist Leiterin des Zentrums Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW und Direktionsvorsitzende des Zentrums für Demokratie Aarau. Und Roger Spindler ist Leiter der Höheren Berufsbildung und Weiterbildung an der Schule für Gestaltung Bern und Biel, sowie Referent für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main mit dem Fokus auf Bildung und digitale Medien. Das Gespräch fand in einem hybriden Setting statt – Dorit Assaf und Roger Spindler befanden sich im gleichen Raum, Monika Waldis war per Video zugeschaltet.
Future Skills sind heute in aller Munde. Doch was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint?
Dorit Assaf: Ich kenne den Begriff Future Skills unter vielen verschiedenen Bezeichnungen: 21st Century Skills, Top Ten Skills oder Schlüsselkompetenzen, um nur ein paar zu nennen. Aber eigentlich ist die Bezeichnung gar nicht so wichtig. Es geht generell darum, welche Kompetenzen wir in Zukunft vermehrt brauchen wer den. Die verschiedenen Modelle führen jeweils etwas unterschiedliche Fähigkeiten auf. Die einen stellen das lebenslange Lernen in den Fokus, andere Kooperati onsfähigkeit, Kreativität, Entrepreneurship, ethisches Denken oder Problemlösefähigkeiten. Ich finde, dass das 4-K-Modell eine gute Zusammenfassung der Future Skills ist: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Die Idee dahinter ist, dass man diejenigen Kompetenzen identifiziert, die momentan schwer automatisierbar sind. In unserem Studiengang spielt unter anderem «Computational Thinking» eine grosse Rolle, das ist die Problemlösekompetenz in der Informatik.
Roger Spindler: Ich finde es immer spannend, wenn wir Definitionen von Future Skills hören oder lesen. Je nach Absender variieren diese immer leicht. Sind die vier K wirklich Future Skills? Aus meiner Sicht sind das nicht Future Skills, sondern «Jetzt Skills». Wir brauchen sie jetzt und wir wollen sie jetzt. Beim Zukunftsinstitut haben wir die Megatrend-Map erarbeitet und dabei überlegt, ob der Begriff Future Skills überhaupt richtig ist.
Dorit Assaf: Wir hinken sicherlich stets etwas hinterher. Ich denke auch nicht, dass für das gesamte 21. Jahr hundert die gleichen Fähigkeiten gebraucht werden.
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FOKUS
Wir beziehen verschiedene Überlegungen mit ein und suchen Antworten auf die Frage, in welche Richtung es gehen soll. Und natürlich: Wenn wir uns heute etwas überlegen und die Bedürfnisse in der schulischen Bildung umsetzen, dann sind wir automatisch einige Jahre im Rückstand. Aktuell ist es so, dass die digitalen Kompetenzen stark im Zentrum stehen und im Unterricht implementiert werden. Allerdings hätte das schon viel früher geschehen müssen. Man hinkt oftmals hinterher, andererseits möchte man auch nicht gleich jedem Trend nachrennen.
Monika Waldis: Es besteht doch auch eine bildungs theoretische Diskussion zur Frage, welche Problem stellungen sich künftig auf gesellschaftlicher und individueller Ebene zeigen könnten. Im Moment stehen wir im Krisenmodus. Der Pandemie sind der Ukraine krieg und eine Verknappung der Ressourcen (Strom, Energie) gefolgt. Der heisse Sommer hat erneut den Klimawandel ins Bewusstsein gebracht. Im Moment ist Problemlösefähigkeit gefragt – aber nicht nur. Es geht auch um Diskursfähigkeit und Urteilskompetenz und
die Frage, wie Gemeinschaften oder Gesellschaften zu mehrheitsfähigen Entscheiden und Lösungen gelangen können. Auf individueller Seite sind Wissen, Können und Wollen gefordert. Es geht um Motive, Einstellungen und allenfalls auch um den Willen, unsere Werte neu zu verhandeln.
Roger Spindler: Wir müssen aufpassen, dass die Begriffe nicht reine Schlagworte bleiben. Gerade wenn es um Problemlösefähigkeit im Zusammenhang mit Krisen geht. Wenn eine Krise vor der Tür oder gar bereits im Zimmer steht, heisst es sehr schnell: «Jetzt muss man kreative Lösungen entwickeln.» Für mich, der aus dem Bereich der Gestaltung kommt, ist es heikel, wenn Kreativität erst dann ins Spiel kommt, wenn alle anderen Instrumente versagen. Das ist eigentlich eine Bankrotterklärung und dann geht man auch nicht ehrlich mit diesen Begriffen um. Für mich ist es elementar, dass alle K-Themen stets ehrlich, passend und stimmig eingesetzt werden. Das ist allerdings eine enorme Herausforderung, vor allem auch in der Lehrpersonenbildung.
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FOKUS
Monika Waldis, Leiterin des Zentrums Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW und Direktionsvorsitzende des Zentrums für Demokratie Aarau: «Die Rolle der Lehrperson ist es unter anderem, Neugierde weiterzugeben und als Modell dafür zu dienen, dass man auf einem Weg ist, auf dem es Fragen und Unwägbarkeiten gibt.»
Alles für den Unterricht für die Zyklen 1 bis 3
E-Learning
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• Lehrfilme für alle Zyklen
• «Vom Gras ins Glas» für die Zyklen 1 und 2
• «Suisse Quiz» für den Zyklus 2
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Wir kommen gerade aus der Corona-Krise. Welche Lehren können wir daraus ziehen im Hinblick auf die Future Skills?
Monika Waldis: Die Corona-Krise hat aus meiner Sicht gezeigt, dass wir mit den bestehenden Problemlösefä higkeiten und Routinen und auch mit den Möglichkeiten, ein Problem überhaupt zu erfassen, zuerst überfordert waren. Es standen viele Entscheidungen an, die wir nicht routinemässig abarbeiten konnten. Unser Handeln war von Unsicherheit geprägt: Händewaschen, Masken, Distanzregeln – wirkt das wirklich? Aber wir haben gemeinsam gelernt in der schwierigen Situation. Fast alle können nun mit Videotelefonie-Tools umgehen. Allerdings können wir jetzt nicht zurück in den Zustand vor der Krise, neue Herausforderungen stehen an.
Roger Spindler: In diesem Zusammenhang haben wir am Zukunftsinstitut den Begriff der Tiefenkrise geprägt. Wir hatten zwar in den letzten zwei, drei Jahrzehnten
immer wieder Krisen. Die Finanzkrise etwa, die aber schnell wieder abgefedert wurde. Greta Thunberg hat auf die Umweltkrise aufmerksam gemacht, doch man ist dann doch schnell wieder ins Flugzeug gestiegen. Doch jetzt sind wir in einer Phase, in der die Krisen durch alle Ebenen der Gesellschaft gehen und die Menschen in Mark und Bein treffen – und wir haben noch keine Antworten darauf. Das fordert einen heraus. Gerade auch im schulischen Kontext.
Wenden wir uns doch diesem schulischen Kontext zu. Wenn wir die erwähnten vier K im Blick behalten, was braucht es dann in den Schulen heute?
Dorit Assaf: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken sind nicht unbedingt Begriffe, die man als erstes im Zusammenhang mit Schule nennt. Es geht bei den vier K in erster Linie nicht mehr ausschliess lich um die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen und das Aneignen von
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Dorit Assaf, Leiterin der neu geschaffenen Professur Didaktik der Informatik und Medienbildung am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW: «Bei den vier K liegt der Fokus auf der Förderung der persönlichen Aktionsfähigkeit der Schüler*innen, das schliesst die traditionellen Fertigkeiten mit ein, jedoch neben vielen neuen.»
FOKUS
möglichst viel Wissen. Der Fokus liegt auf der Förderung der persönlichen Aktionsfähigkeit der Schüler*innen, das schliesst die traditionellen Fertigkeiten mit ein, jedoch neben vielen neuen. Der Lehrplan 21 mit seiner Kompetenzorientierung geht bereits ansatzweise in diese Richtung, hat jedoch oftmals einen schwierigen Stand in der Akzeptanz der Bevölkerung. Die Future Skills führen auch zu Widersprüchen im Schulkontext. Kooperationsfähigkeit etwa steht im Widerspruch zur Einzelbeurteilung der Schüler*innen.
Monika Waldis: Die vier K sind hochrelevant und man müsste sie in Bildungssettings fördern können. Das fordert uns als Bildungsverantwortliche und in meinem Fall, mich als Fachdidaktikerin Geschichte und Politische Bildung und Bildungswissenschaftlerin heraus. Es geht darum, Bildungssettings zu finden, die Schüler*innen einen Zugewinn erlauben. Sie sollen Wissen erwerben, das ihnen die Orientierung in der Welt ermöglicht. Darüber hinaus aber auch ihre Kommunikations- und Koopera tionsfähigkeiten erweitern, sodass sie sich austauschen und eine eigene Meinung vertreten können, dass sie Argumente erkennen, akzeptieren und gemeinsam zu einer Problemlösung gelangen können. Diese Settings führen weg vom klassischen Bild der Solo-Lerner*innen, welches die Schüler*innen allein an einem Pult sitzend und sich mit einem Arbeitsblatt oder einer vorbereiteten Übung beschäftigend zeigt. Die Schulen in der Schweiz sind schon lange auf diesem Weg. Sie müssen gestützt werden in ihrem Tun.
Roger Spindler: Egal, wie die Fähigkeiten heissen und ob es 4, 5, 17 oder 21 sind: Das Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen, sodass sie sich dann in der Arbeitswelt von Heute und Morgen bewegen können. Das ist aus meiner Sicht nach wie vor eine der wichtigsten Aufgaben, die wir an Schulen haben. Die Arbeitswelt, für die wir Schüler*innen heute befähigen, sieht anders aus als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Sie ist auch eine andere, als die Eltern der Schüler*innen sie von ihrem Berufseinstieg her kennen. Und was hat sich in der Schule selbst geändert?
Roger Spindler: Die wichtigste und grossflächigste Änderung sind die Tools, die in den Schulen Einzug gehalten haben – und teilweise auch schnell wieder verschwunden sind. Einst gab es das Sprachlabor, dann den Hellraumprojektor, dann das Smartboard. Die Tools sollten und sollen das Lernen einfacher machen. Was aus meiner Sicht die Schule aber erst richtig verändert hat, war der Moment, als alle Schüler*innen ein Smartphone in der Hosentasche hatten. Wenn es vibriert, ist die Aufmerksamkeit definitiv nicht mehr bei der Lehrperson oder der Gruppenarbeit, sondern beim Handy und der
Frage: «Was habe ich jetzt verpasst?» Hinzu kommt: Das Smartphone ermöglicht, dass die Schüler*innen unmittelbar überprüfen können, ob das, was ich als Lehrperson eben gesagt habe, auch wirklich stimmt. Und damit hat sich die Schule für mich wirklich verändert.
Monika Waldis: Eine Frage ist natürlich zunächst einmal, ob das Handy im Schulzimmer überhaupt zugelassen ist. Ich kenne sehr viele Schulen, in denen Handys nicht erlaubt sind. Für mich ist zudem klar, dass Wikipedia-Artikel noch kein Wissen darstellen. Die Schule ist dafür zuständig, in eine Tradition der Wissensvermittlung einzuführen, die zugleich auch thematisiert, wie dieses Wissen entstanden ist oder gerade entsteht. Es geht also auch um die Einführung in epistemologische Prinzipien, in Fragen, wann wir einen bestimmten Grad an Gewissheit haben können, dass Informationen richtig sind und Wissen für unser Weltverstehen und als Handlungsgrundlage geeignet ist. Diese Fragen muss man diskutieren und dann kommt man zu Erkenntnissen, die weit über das Internet-Kurzfutter hinausgehen. Es geht dann darum, welche Fragestellungen relevant sind, wie man zu vertrauenswürdigen Infor mationen kommt, wie man Informationen prüfen oder kombinieren kann, welche Perspektiven unterbelichtet sind, wie man eine Auslegeordnung für ein komplexes Problem machen kann. Das sind Strategien, die enorm an Bedeutung gewinnen – und die überhaupt nicht konkurrenziert sind durch Smartphones.
Roger Spindler: Das heisst aber auch, dass man in der Schule mit diesen Geräten und Inhalten arbeiten muss. Smartphones, Tablets oder PCs müssen Teil des Unterrichts sein.
Monika Waldis: Ich würde es etwas abschwächen. In gewissen Teilen sind diese Devices sicher ein wichtiger Teil des Unterrichts. Verbunden mit einer Distanz, die Lehrpersonen immer wieder vermitteln sollten, indem sie die Einordnung von Wissen anleiten, Fragen stellen und Argumente oder Problemlösungen von Schüler*innen selbst darauf hin prüfen lassen, ob sie schlüssig und überzeugend sind. Andererseits glaube ich, dass man beim Lernen durchaus auch digitalfreie Zonen schaf fen darf und soll. Wir sind nicht nur digitale Wesen. Auch wenn es Zukunftsszenarien gibt, in denen eine Körper-Maschinen-Verschmelzung angedacht wird und es hier auch geschäftliche Interessen gibt, diese voranzubringen.
Dorit Assaf: Die eben erwähnten digitalen Kompetenzen sind im Modul Medien und Informatik ja Teil des Lehr plans 21. In der Lehrer*innenbildung geht es zudem auch um mediendidaktische Fragen, also darum mit Medien zu lehren und zu lernen. In unseren Modulen ist eine
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FOKUS
grosse Themenvielfalt enthalten: Medienbildungsthemen wie Medien und Gesellschaft, Quellenkritik, Medien nutzung, Urheberrecht, Datenschutz, Netiquette, sowie Informatik-Fachwissen und Computational Thinking. Das sind alles Kompetenzen, die man dann auch in der Berufswelt braucht.
Roger Spindler: Ich finde das Stichwort «digitalfreie Zonen» interessant. Da bin ich hundertprozentig einverstanden und würde mir wünschen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dass man ein digitales Hilfsmittel genau gleich bewusst einsetzt wie ein Buch, ein Bild oder ein Blatt Papier. Lehrpersonen und mit der Zeit auch Schüler*innen sollten abschätzen können, welches Werkzeug – egal ob analog oder digital – wann richtig eingesetzt ist. Das wäre dann auch wieder Handlungsfähigkeit.
Dorit Assaf: Wichtig ist, die digitalen Tools nicht zu verbannen, sondern gezielt einzusetzen, wo sie Sinn
machen. Oftmals denkt man, dass bei kompetenzorien tiertem Unterricht das Wissen keine Rolle mehr spiele, da man jetzt lernt eine Suchmaschine zu bedienen. Das stimmt nicht. Wissen ist und bleibt ein wichtiger Punkt. In der Ausbildung zur Lehrperson gibt es deshalb fachwissenschaftliche und fachdidaktische Themen. Es ist wichtig, dass die Lehrpersonen ein fundiertes Fachwissen mitbringen.
Monika Waldis: Da kann ich nur nachdoppeln. Fachwissen und fachdidaktisches Wissen sind wichtig. Ein solides Fachwissen ist der Kern der Lehrer*innenbildung. Danach kann man den eigenen Interessen nachgehen und die eigenen Kompetenzen in alle Richtungen erweitern. Lehrer*innenbildung hört nicht bei der Grundausbildung auf. Es ist ein berufsbegleitender Prozess.
Welchen Wissenstand in puncto digitaler Tools bringen die Kinder in den Schulen schon mit? Was können sie bereits? Und was müssen sie in der Schule lernen?
PH-Magazin Nr. 8 2022 DAS HEFT 13
Roger Spindler, Leiter der Höheren Berufsbildung und Weiterbildung an der Schule für Gestaltung Bern und Biel, sowie Referent für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main: «Ich würde mir wünschen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dass man ein digitales Hilfsmittel genau gleich bewusst einsetzt wie ein Buch, ein Bild oder ein Blatt Papier.»
FOKUS
«Fachwissen und fachdidaktisches Wissen sind wichtig. Ein solides Fachwissen ist der Kern der Lehrer*innenbildung.»
Monika Waldis
Dorit Assaf: Oftmals wird ein unbekümmerter, souveräner Umgang mit digitalen Tools mit einem kompetenten Umgang verwechselt. Da muss man sicher gut aufpassen. Es ist sehr wichtig, dass den Schüler*innen digitale Kompetenzen und Medienkompetenz vermittelt werden. Medienpädagogische Themen wie Cybermobbing, Ur heberrecht, Datenschutz etc. sind auch als Prävention wichtig.
Roger Spindler: Wenn ich 16-Jährige sehe, die bei uns in die Schule kommen, dann ist zwar ein souveräner Umgang mit Apps wie Instagram oder TikTok vorhan den, aber sinnvoll ein Textverarbeitungsprogramm zu bedienen, klappt nicht wirklich. Dafür beobachte ich eine extrem hohe Kompetenz, wenn es darum geht, welche persönlichen Daten im Netz sichtbar sind und wie man sich schützen kann. Hier ist vielfach ein hohes Bewusstsein vorhanden – vielleicht auch abhängig vom Elternhaus.
Dorit Assaf: Es geht in erster Linie um einen bewussten Umgang. Datenschutz heisst nicht, alle Daten wegzu sperren, sondern sich darüber bewusst zu sein, was mit ihnen passiert und mit wem man sie teilt. Sich also auch bewusst zu entscheiden, diese oder jene Daten freizugeben.
Monika Waldis: Ich sehe in der digitalen Bildung das Problem, dass sie teilweise noch etwas bruchstückhaft
ist. Da gibt es einen Block Computational Thinking und der Umgang mit den eigenen Daten und Gefahren im Netz wird thematisiert. Ich frage mich aber, inwiefern die Schüler*innen das Erlernte auch im Alltag anwenden können beziehungsweise wollen, oder ob dann einfach TikTok übernimmt. Zu gesellschaftlichen Implikationen, also der Frage, wie Medien unsere Kommunikation verändern und sich dieser Wandel auf Öffentlichkeit und Gesellschaft auswirkt, sehe ich noch Entwicklungs bedarf. Diesbezüglich wünschte ich mir eine verstärkte interdisziplinäre Herangehensweise, etwa zwischen Fachdidaktiken und Medienbildung, die möglicherweise auch bei den Lernprodukten und -outcomes komple xere Resultate zur Folge hätte; – ein Filmfestival zum Schuljahresende beispielsweise zu einer selbstgewählten Fragestellung, ein eigener Erklärfilm, etc.
Dorit Assaf: Auch mir ist es ein Anliegen, dass man interdisziplinär arbeitet, und ich versuche das in meinen Kursen auch zu vermitteln und umzusetzen. Gerade das Thema Making, das ja einer meiner Schwerpunkte ist, bietet hierzu grosse Chancen.
Was versteht man unter Making?
Dorit Assaf: Ich verwende Making als didaktischen Ansatz für den Informatikunterricht. Er ist projektorientiert und die Schüler*innen durchlaufen einen kompletten Problemlösungsprozess. Dieser geht von der Problem
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FOKUS
definition über die Ideenfindung zur Implementierung in Prototypen, dann werden die Prototypen getestet und überarbeitet und schliesslich auch präsentiert. Die Aufgabenstellungen sind dabei möglichst ergebnisoffen. Das heisst es gibt keine standardisierten Musterlösungen, sondern die Schüler*innen sollen befähigt werden, mittels technischer Tools ihre eigenen Ideen zum Leben zu erwecken. Ich arbeite oft mit programmierbaren Mikrocontrollern sowie Sensoren und Aktoren. Dieser Making-Unterricht ist sehr interdisziplinär.
… und er schult gleichzeitig das Denken und hilft so dann auch bei anderen Problemen?
Dorit Assaf: Genau. Und so haben wir wieder die Brücke geschlagen zu den vier K. Oft wird bei Making-Pro jekten auch in Gruppen gearbeitet, was wiederum die kooperativen Kompetenzen fördert.
Monika Waldis: Das bringt mich zu einem weiteren Ge danken: Interdisziplinarität heisst ja auch, dass vielleicht zwei oder mehr Personen als Ansprechpartner*innen für die Schüler*innen zur Verfügung stehen könnten und so Vorbilder sein könnten für die Jugendlichen, was kooperative Problemlösungsprozesse anbelangt. Wir sollten also vielleicht mehr mit kooperativen Lehrpersonenteams arbeiten.
Roger Spindler: Gerade beim angesprochenen Making, welches das Zusammenkommen unterschiedlicher Dis ziplinen beinhaltet, bieten sich Chancen. Der kreative Prozess soll nicht einfach linear ablaufen. Sondern man soll auch immer wieder einen Schritt zurücktreten, um zu überprüfen, ob die eigene Fragestellung noch zutreffend ist. Denn man muss die richtigen Fragen stellen, um Probleme lösen zu können. Wenn wir dieses Denken bei Schüler*innen initiieren können, ist schon sehr viel erreicht. Wenn sie dann noch den eigenen Lernprozess reflektieren, ist ein weiteres Ziel erreicht. Es geht ja nicht nur darum, eine coole Präsentation zu erstellen, sondern darum zu erkennen, wie man gearbeitet hat und wo man allenfalls Schritte unternommen hat, die nicht zielführend waren.
Was bedeutet das für die Rolle der Lehrpersonen?
Monika Waldis: Ich würde stark dafür plädieren, dass sich Lehrpersonen nicht mehr als One-Man-Show oder One-Woman-Show verstehen. Sie sollten sich stärker als Teamplayer*innen verstehen, im Team agieren und sich als Problemlöser*innen sehen, die auch interdisziplinär nach Lösungen suchen. Das ist ein Schritt, den man auch an den Pädagogischen Hochschulen noch stärker fördern sollte. Im Studienalltag wird das Zusammenarbeiten leider teilweise als lästig empfunden und es gibt auch
Kooperationsfallen, etwa wenn sich in einer Gruppe alle darauf verlassen, dass jemand anderes etwas vorbereitet oder wenn jemand gleich eine rasche Lösung präsentiert, um eine Entscheidungsfindungsphase zu umgehen und Zeit zu sparen. An der PH müssten wir vielleicht noch stärker darüber nachdenken, wie wir Skills für Kooperation und Problemlösefähigkeit noch besser anregen könnten. Im Moment ist es noch so, dass die Arbeiten der Studierenden meist individuell bewertet werden.
Roger Spindler: Ich möchte noch einen anderen Punkt ergänzen. Ich wünsche mir keine klinisch sauberen Schulzimmer, in denen man das Gefühl hat, es passiere gar nichts. Während der Corona-Pandemie haben wir uns sehr Mühe gegeben, Lernplattformen und Lehrum gebungen attraktiv zu gestalten – und als wir in die Schulen zurückkehrten, haben wir in meinen Augen die Schulzimmer vergessen. Lehrpersonen müssen ihre Lehrräume sorgfältig und inspirierend gestalten – egal ob diese digital oder analog sind.
Monika Waldis: Das unterstütze ich sehr. Es braucht Lernräume und Lernanlässe. Und wenn diese gut gewählt sind und eine kognitive und emotionale Auseinander setzung mit dem Lernstoff anregen, dann sind wir auf einem guten Weg. Aber wir müssen diesen Punkt erreichen, an dem eine Auseinandersetzung stattfindet. Es darf nicht nur ein Abarbeiten sein. Das gilt sowohl für Schulen als auch für Hochschulen.
Und diese Lernräume können überall sein – im Schul zimmer, draussen oder im virtuellen Raum.
Roger Spindler: Ja genau. Und wir müssen auch die Neugierde behalten als Lehrpersonen und beispielsweise die Entwicklungen wie das Metaverse im Auge behalten. Wir müssen beobachten, was passiert, und nicht die Augen verschliessen, nur weil beispielsweise Facebook dahintersteht. Gleichzeitig verlangt das nach einer gesunden Diskussion darüber.
Monika Waldis: Genau, die Rolle der Lehrperson ist es unter anderem, Neugierde weiterzugeben und als Modell dafür zu dienen, dass man auf einem Weg ist, auf dem es Fragen und Unwägbarkeiten gibt.
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Beseitigt Künstliche Intelligenz die Notwendigkeit, Programmieren in Schulen zu unterrichten?
Mit «Explicative Programming» erwerben Schüler*innen informatische Fähigkeiten und verstehen gleichzeitig etwas von der Welt ausserhalb der Informatik.
Von Alexander Repenning
Um 2010 herum, als Douglas Rushkoff die Gesellschaft mit dem Buch «Program or be Programmed» provozierte, begann sich die ganze Welt zu fragen, ob und wie Pro grammieren als neue Kompetenz in Schulen konzipiert werden sollte. In der Schweiz fand Programmieren durch «Medien und Informatik»-Kompetenzen Eingang in den Lehrplan 21.
Inzwischen hat die Künstliche Intelligenz (KI) begonnen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Neue Ansätze wie Deep Learning, kombiniert mit enorm grossen Datensätzen und angetrieben von leistungsfähigerer Hardware, begannen sich auszuzahlen. Sie übertrafen den Menschen nicht nur in mechanischen Fähigkeiten wie mathematischen Berechnungen, sondern beispielsweise auch im Schach spiel. 1996 gewann IBMs «Deep Blue» im Schach gegen Grossmeister Gary Kasparov. Man nahm damals jedoch an, dass ähnliche Leistungen für Spiele mit grösseren Entscheidungsspielräumen niemals erreicht werden könnten. Doch 2016 besiegte Googles «AlphaGo» den weltbesten Go-Spieler. Die Erfolge von KI wurden nicht nur weiter vorangetrieben, sondern sogar beschleunigt. Mit der Veröffentlichung von GitHub «CoPilot» begann Microsoft, einen neuen Massstab für KI zu setzen. Mit «CoPilot» konnten Benutzer vollständige Programme mit nur wenigen Kommentaren erstellen, die vorschlugen, was der Code tun sollte.
«Explicative Programming» hat die Interdiszipli narität im Blick Sollten wir angesichts der erstaunlichen Entwicklung der KI überhaupt in Betracht ziehen, in Schulen zu pro grammieren? Sind die ursprünglichen Begründungen für die Einführung der Informatik im Allgemeinen und der Programmierung im Besonderen noch halt bar? Es gibt zwei Denkrichtungen. Eine davon ist eine berufsorientierte Denkweise, in der es dringend erforderlich ist, eine Pipeline für die Informatikaus bildung zu füttern. In der zweiten Denkrichtung, dem
«Explicative Programming» (auf Deutsch: Erklärendes Programmieren), geht es darum, die Welt durch das Schreiben von Programmen zu verstehen. Die Essenz des Explikativen Programmierens ist «Computational Thinking» (Denken mit dem Computer). Wichtig ist, dass sich diese erklärende Programmierung nicht auf das Verständnis der Welt der Informationstechnologie konzentriert, sondern auf die Welt im Allgemeinen.
Kann es sein, dass man durch Programmieren Mathe matik, Musik, Kunst, Geometrie und sogar Sprachen besser verstehen könnte? Interessanterweise war Seymour Papert, der durch die Programmiersprache Logo als Vater der pädagogischen Programmierung gilt, kein Befürworter davon, Programmieren um des Program mierens willen zu lehren. Er unterschied ausdrücklich «Lernen zu Programmieren» von «Programmieren, um zu Lernen»
Damit KI Sinn macht, muss die Gesellschaft das Rush koff-Ultimatum ablehnen. Es geht nicht um «program mieren oder programmiert werden», sondern darum, einen Weg der Konvergenz zu finden, der menschliche Fähigkeiten mit den Möglichkeiten der Computer ver bindet. Der Schlüssel dazu liegt darin, dass die Summe menschlicher Fähigkeiten und Computerleistungen mehr ist als die KI allein. Gary Kasparov etwa fand neue Strategien, um Schach zu spielen, indem er wiederholt gegen «Deep Blue» antrat. Menschen, die KI als com putergestützte Denkwerkzeuge einsetzen, können die Dinge relativieren und den gesunden Menschenverstand anwenden. Die Konvergenz mag ein langsamer und sich ständig ändernder Prozess sein, aber sie könnte sich als der vielversprechendste Weg erweisen, um effektive Mittel zu finden, um menschliche Fähigkeiten und Computerleistungen miteinander gewinnbringend zu verbinden.
Programmieren in unterschiedlichen Kontexten einsetzen
Die Herausforderung für den Unterricht wird darin bestehen, interdisziplinäre Grenzen zu überschreiten, um Konvergenz zu finden. Während Bildungseinrichtungen theoretisch Interdisziplinarität annehmen wollen, tun sie sich schwer damit, innovative Lehrpraktiken zu entwickeln, die der Interdisziplinarität dienen. Schulen waren bis ins 21. Jahrhundert hinein fest unterteilt in
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«Bei 'Explicative Programming' geht es darum, die Welt durch das Schreiben von Programmen zu verstehen.»
Disziplinen wie Sprache, Mathematik und Naturwis senschaften. Selbst auf der Primarschulebene, wo die Lehrpersonen weniger spezialisiert sind, begünstigten Kursstrukturen und pädagogische Modelle keine Inter disziplinarität. Im Gegenteil, jüngere Disziplinen wie die Informatik wurden oft als Konkurrenz zu etablierten Disziplinen betrachtet. Die Ansicht, dass Interdiszip linarität eine fortgeschrittene Bildungspraxis ist, die zunächst ein ausreichendes individuelles disziplinäres Verständnis erfordert, bevor Verbindungen zwischen den Disziplinen hergestellt werden können, ist tief in der Lern- und Lehrpraxis verwurzelt.
Papert sah das ganz anders, als er das Machtprinzip («power priciple») vorschlug. Genau wie bei Sprachen, argumentierte er, sollten wir zuerst versuchen, etwas zu verwenden (wie etwa kleine Kinder, die versuchen, mit Worten mitzuteilen, was sie gerne essen), bevor wir es verstehen. In ähnlicher Weise schlug er vor, das Programmieren zu nutzen, um Mathematik zu verstehen.
Beseitigt KI also die Notwendigkeit, Programmieren in Schulen zu unterrichten? Wenn wir das Programmieren um seiner selbst willen lehren oder es «nur» als Instrument nutzen, um sich der Welt der Informationstechnologie zu nähern, dann vielleicht. Wir verstehen nicht, wie selbstfahrende Autos funktionieren, nur weil wir einige Programmiergrundlagen gelernt haben. Mit «Explicative Programming» wird Programmieren jedoch zu einem konvergierenden Prozess, der menschliche Fähigkeiten und Computerleistungen mit dem gemeinsamen Ziel verbindet, komplexe Systeme meist ausserhalb, aber auch innerhalb des Bereichs der Technologie zu erklären.
Schüler*innen erstellen deshalb Simulationen, um die Mechanismen einer Ausbreitung des Covid-19-Virus in der Biologie zu erklären. Sie programmieren Arcade-Spiele wie Pac-Man, um fesselnde Artefakte zu bauen, aber auch um schwierige mathematische Konzepte wie Wahr scheinlichkeit zu erklären. Sie entwickeln ausführbare musikalische Darstellungen und bauen Rhythmusmaschinen, um wichtige Prinzipien wie Interpretation, Hierarchie und Zufall zu erklären, welche Musik und Berechnung gemeinsam haben. Sie codieren Meisterwerke der modernen Kunst wie Gemälde von Mondrian neu, um künstlerischen Ausdruck, Computational Thinking und Farbtheorie zu erklären.
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ALEXANDER REPENNING ist Leiter der Professur Informatische Bildung am Institut Primarstufe der PH FHNW.
STANDPUNKT
VR-Brillen machen Unsichtbares beobachtbar
Der Wasserkreislauf gehört zu unserem Alltag. Wolken ziehen auf und es regnet, Seen gefrieren im Winter und im Sommer verdunstet das Wasser schneller. Doch wie funktioniert der Wasserkreislauf genau? Und wie kann Primarschüler*innen anschaulich vermittelt werden, dass keine Tröpfchen in den Himmel aufsteigen, sondern einzelne Moleküle? Oder dass Wolken keine Gefässe sind, die sich füllen, sondern dass sie sich aus winzigen Tröpfchen bilden?
Von Marc Fischer
Viele Themen, die im naturwissenschaftlichen Unterricht behandelt werden, betreffen nicht direkt beobachtbare Aspekte der Welt. Beispielsweise weil die Strukturen und Prozesse für das blosse Auge zu klein sind (Atome, Moleküle) oder weil die schiere Grösse nicht erfassbar ist (Erdkugel, Sonnensystem). «Das aktive Erleben und Handeln ist jedoch eine entscheidende Quelle des Lernens, insbesondere für Kinder. Darum besteht ein Bedarf für innovative Lehrmethoden, die den Zugang zu nicht
beobachtbaren Prozessen und Strukturen erleichtern», sagt Natalie Schelleis, Doktorandin an der PH FHNW.
Schelleis ist Teil eines Teams von Forschenden der PH FHNW, der PH Bern und der FernUni Schweiz. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Digitale Transformation» des Schweizerischen Nationalfonds untersucht das Team unter der Leitung von Trix Cacchione (PH FHNW), Sebastian Tempelmann (PH Bern) und Corinna Martarelli (FernUni Schweiz) den Nutzen von Virtual Reality (VR) im naturwissenschaftlichen Unterricht. Die Forscher*innen haben eine virtuelle Unterrichtseinheit zum Wasserkreislauf für 5.- und 6.Klässler*innen entwickelt und sind dabei, diese zu evaluieren. Entscheidend für die Wahl des Unterrichts gegenstands war, dass er nicht direkt beobachtbare Aspekte der Umwelt beinhaltet, im Lehrplan 21 verankert ist, als Virtual-Reality-Umgebung umsetzbar und von gesellschaftlicher Relevanz ist.
Mit ausserirdischer Figur auf Entdeckungsreise
«Unsere Ideen für die Lernumgebung haben wir gemein sam mit der Softwarefirma Ateo aus Zürich umgesetzt»,
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DOSSIER
so Natalie Schelleis. Dabei haben die Forschenden viel dazu gelernt – etwa, wie viel Programmieraufwand Gestaltungswünsche bedeuten. «Generell ist der Aufwand für das Erstellen von VR-Inhalten noch sehr gross», blickt Schelleis zurück. Doch nun steht die Lernumgebung und die Schüler*innen können in der virtuellen Welt gemeinsam mit dem ausserirdischen Wesen Onos den Wasserkreislauf erforschen. Moleküle können etwa eingefärbt werden und es wird dann sichtbar, wie sie verdunsten, aufsteigen und am Himmel Wolken bilden. Auch die Verbindungen zwischen den Molekülen und die unterschiedlichen Anordnungen in den drei Aggre gatszuständen werden beobachtbar und können dank Vibrationen an den Controllern auch haptisch erfahren
werden. Die Unterrichtseinheit ist so konzipiert, dass sie verschiedene Elemente verbindet. Neben den virtuellen Teilen gehören auch reale Teile mit Experimenten im Schulzimmer dazu.
Ziel ist es, neben der Entwicklung eines effektiven Lehrmittels über den Wasserkreislauf, die generellen Chancen und Herausforderungen von VR bezüglich Lern erfolg und praktischer Implementierung im Schulalltag zu untersuchen und zu dokumentieren. Deshalb wird auch mit unterschiedlichen Settings gearbeitet, um herauszufinden, welchen Einfluss Immersion – also das Eintauchen in eine alternative Realität – und Interaktion auf das Lernen der Kinder haben.
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Die Tests mit VR-Brillen und der virtuellen Lernumgebung sind bei den Schüler*innen gut angekommen. Foto: zVg.
Gestartet ist das Forschungsteam mit der Hypothese, dass Interaktion und Immersion mittels VR das Lernen über Prozesse und Strukturen erleichtert, die sonst nicht direkt erfahrbar sind.
«Um die Hypothesen bezüglich Interaktion und Immersion zu testen, wurden vier verschiedene Versionen der Ler numgebung erstellt: Mit VR-Brille und aktiver Rolle (hier können die Nutzer*innen selbst handeln), mit VR-Brille und passiver Rolle (hier beobachten Nutzer*innen die Handlungen der fiktiven Figur), mit Laptop und aktiver Rolle, mit Laptop und passiver Rolle», erklärt Natalie Schelleis das Forschungsdesign. Die Schüler*innen nah men an der kompletten Unterrichtseinheit (elf Lektionen à 45 Minuten) teil. «In jeder Lektion arbeiteten sie für rund zehn Minuten mit einem virtuellen Medium», so Schelleis.
Erste Ergebnisse zeigen grösseren Lernzuwachs Um Lerneffekte messbar zu machen, wurden die Schüler*innen direkt vor der Unterrichtseinheit, direkt danach, sowie nach einer achtwöchigen Pause zu ihrem Wissen über den Wasserkreislauf befragt. Im Mittel
haben die Schüler*innen mit VR- Brille mehr gelernt als mit der gleichen Lernumgebung auf dem Laptop, wie Schelleis ausführt. «Wir möchten nun weiter untersuchen, ob verschiedene affektive und kognitive Variablen diesen Effekt erklären können. Dadurch erhoffen wir uns, Hypothesen zu den Wirkmechanismen von VR zu generieren.» Das sei essenziell, um die Vor- und Nachteile von VR präzisieren zu können. So sei es beispielsweise denkbar, dass sich manche motivationalen Effekte mit der Zeit abnutzen könnten, wenn VR-Brillen alltäglicher werden.
Die Evaluation der Tests im Unterricht ist noch im Gang und viele Fragen sind noch offen. Dennoch zieht Natalie Schelleis das Zwischenfazit, dass die VR-Brillen und die virtuelle Lernumgebung bei den Kindern sehr gut angekommen und auch die Lerneffekte vielversprechend sind: «Neben vielen naturwissenschaftlichen Anwen dungen gibt es auch andere Ansätze etwa zu Geschichte, Sprachen lernen oder auch sozialen Kompetenzen durch den Perspektivwechsel in VR», blickt sie schon etwas weiter in die Zukunft. «Generell spannend ist die kreative Auseinandersetzung, die VR anstösst.»
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Die VR-Brillen können Schüler*innen den Zugang zu nicht beobachtbaren Prozessen und Strukturen erleichtern. Foto: zVg.
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Virtuelle Brücken in die Natur
Zwei Studierende der PH FHNW haben digitale Postenläufe, sogenannte Actionbounds, zu ausserschulischen Lernorten kreiert.
Von Michael Hunziker
Digitale Medien sind im Alltag von Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie sind eine Selbst verständlichkeit, genauso wie das Lernen an Orten ausserhalb der Schule. Dennoch beste hen teilweise Vorbehalte, mit Smartphones und Tablets zu arbeiten und an den ausserschulischen Lernorten fehlen oft passgenaue didaktische Materialien, mit denen Lehrpersonen und ihre Klassen auf «Expeditionen» im Zoo oder im Museum arbeiten können. Zwei Masterarbeiten von Studierenden der Pädagogischen Hochschule FHNW verbinden nun die beiden Domänen: Ausserschulische Lernorte und digitales Lernen. Miriam Trinkler und Norbert Wissing haben sich beide intensiv mit der App Actionbound auseinandergesetzt und zusammen mit Partnerinstitutionen multimediale Lerneinheiten für das Fach Biologie entwickelt. Miriam Trinkler hat einen Actionbound für den Zoo Basel erarbeitet, Norbert Wissing einen für eine Wanderausstellung des Naturhistorischen Museums Basel.
Digitale Schnitzeljagden
Aber zuerst, was ist überhaupt ein Actionbound, und weshalb eignet er sich für die Schule und ausserschu lische Lernorte? «Die App wurde ursprünglich für urbane Schnitzeljagden konzipiert», erzählt Ruedi Küng, Fachdidaktik-Dozent Biologie an der PH. Als er einem seiner Studierenden von seiner Expedition nach Spitzbergen erzählte, sei dieser auf die Idee gekommen, mit einem Actionbound die Arktis ins Klassenzimmer zu holen. Und so setzte der Student quasi einen der ersten Bounds für die Schule um. «Solche digitalen
Schnitzeljagden eröffnen einen kreativen Zugang für Schüler*innen. Und letztlich ist es auch für Studierende und Lehrpersonen interessant, mit ihrer Arbeit an einem Actionbound einen Mehrwert für Kolleg*innen und die verschiedenen Institutionen zu generieren», so Küng.
Um einen Actionbound zu erstellen, brauche es keine Programmierkenntnisse, jedoch fachdidaktisches und pädagogisches Know-how. Deshalb wird Küng immer
wieder von Institutionen angefragt, ob die PH stufenge rechte Handreichungen zu Ausstelllungen entwickeln könne. «Aktuell sind solche Bounds sehr gefragt.»
Aufgaben im Austausch mit dem Zoo konzipiert So hat Miriam Trinkler für den Zoo Basel ein Thema aus dem Lehrplan für den letzten Zyklus der Sekundarstufe 1 aufbereitet: Evolutionäre Anpassungen bei Säugetieren. «Mein Ziel ist es, die Schüler*innen zum genauen Beobach ten und zum Schlussfolgern anzuregen», erzählt Trinkler. Sie hat in einer Recherche zehn Tiere definiert, bei denen sich markante Merkmale erkennen lassen. Das zeigt sich etwa am Beispiel von Okapi und Giraffe. Die Tiere leben nicht in derselben Vegetationszone. Wie lassen sich nun
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Der Actionbound im Zoo Basel ist auf Schüler*innen der Sekundarstufe I ausgerichtet und behandelt evolutionäre Anpassungen bei Säugetieren. Foto: zVg.
Rückschlüsse auf ihre evolutionäre Verwandtschaft und Entwicklung ziehen? Die Stirnzapfen (Ossikone) haben sie gemein, in der Körpergrösse unterscheiden sie sich – so lernen die Jugendlichen in der Anschauung das Konzept der Divergenz. Die Jugendlichen haben die Aufgabenstellungen auf ihrem Handy. Mal sind sie aufgefordert, einen Audiobeitrag zu gestalten, ein anderes Mal sind Beschreibungen oder ein kurzes Video gefragt. Trinkler hat im gemeinsamen Austausch mit dem Zoo die Aufgaben konzipiert. Die Tiere wurden durch einen Fotografen abgelichtet – «denn es ist ja nicht sicher, dass sie sich beim Besuch zeigen.» Zudem hat Trinkler eine Handreichung geschrieben und ist derzeit auch daran, Unterlagen für die Nachbereitung zusammenzustellen.
Nach der Evaluation mit sieben Klassen ist sie vom Konzept überzeugt. «Die Handhabung ist intuitiv. Die Lehrpersonen können niederschwellig den Zoo besuchen und haben didaktische Materialien zur Hand. Und das Format passt auch. Die Kinder mögen es, Punkte zu sammeln», sagt sie schmunzelnd. «Das ist Gamification».
Gute Mischung der Aufgaben wichtig
«Erde am Limit» heisst die Ausstellung, für die Norbert Wissing einen Actionbound entwickelt hat. Sie lief bis vor Kurzem im Naturhistorischen Museum in Basel und wird ab dem 23. September im Kulturama, Museum des Menschen, in Zürich zu sehen sein. Auch Wissings Ziel war, die Ausstellung didaktisch an den Lehrplan zu binden. Zudem legte er einen Fokus darauf, dass die Schüler*innen die Exponate der Ausstellung kennen lernen. In einer früheren Arbeit hatte er sich bereits mit der Ausstellung auseinandergesetzt und mit einem Kommilitonen mögliche didaktische Settings für den Actionbound entworfen. Zu jedem der acht Räume, die die Ausstellung umfassen, gibt es nun je eine Aufgabe im Actionbound. Thematisch bewegen sie sich im Bereich der Biologie, zeigen aber auch die wechselseitige Ver bindung zu anderen Disziplinen auf – das Anthropozän, das Zeitalter, in dem der Einfluss des Menschen sich geografisch und biologisch in die Geschichte der Erde einkerbt, bedingt eine interdisziplinäre Sicht und wohl auch eine multimediale Thematisierung und Bearbeitung.
Bei letzterem setzt der Actionbound von Norbert Wissing an. Die Schüler*innen filmen beispielweise ad hoc Clips zu verschiedenen Exponaten, kommentieren anhand von Luftaufnahmen die Veränderungen von Landschaft und Lebensraum während der letzten 100 Jahren. «Der Actionbound löst nicht alle didaktischen Probleme», erklärt Wissing. Für schüchterne Schüler*innen könnten ausschliesslich output-orientierte Aufgaben ein Hemmnis darstellen, daher komme es auf eine gute Mischung der Aufgabenstellungen an. «Die Vorteile überwiegen klar», sagt Wissing. Seine Auswertungen haben ergeben, dass
der Actionbound den Schüler*innen Aufgabenformate bereitstellt, denen sie sonst im Museum nicht, im Un terricht seltener begegnen. Und wie ihm Lehrpersonen zurückmeldeten, scheint das Prinzip «Bring Your Own Device» ein weiterer Motivationsfaktor zu sein. «Der Actionbound wird mich als Lehrperson sicherlich weiter begleiten. Man kann die Schüler*innen auch selbst solche Bounds erstellen lassen, dann ist der Zugang zu einem Thema noch individueller und intrinsischer.»
«Wir dürfen Digitalisierung und die Gamification nicht überhöhen», sagt Ruedi Küng, «aber sie ist eine Selbstverständlichkeit geworden, der wir gerecht werden müssen.» Zudem zeigten Ergebnisse der Ge dächntis- und Motivationsforschung, wie wichtig soziale Eingebundenheit beim Lernen sei. «Miteinander Wissen produzieren, sich selbst testen – das lässt sich in der App alles schlau verpacken.» Aber, und hier spricht der Biologe aus Küng heraus, «das Fach muss auch praktisch erlebt werden. Digitale Medien ersetzen die Arbeit in der Natur nicht. Ein Actionbound oder Augmented Reality kann sie ergänzen und Brücken zum Handeln schlagen.»
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Miriam Trinkler hat im Austausch mit dem Zoo Basel einen Actionbound konzipiert. Foto: Marc Fischer
Auch Lernen will gelernt sein
Selbstreguliertes Lernen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Schule und Beruf. Ein OnlineDiagnosetool hilft Schüler*innen ihre Fähigkeiten in diesem Bereich einzuschätzen und gezielt zu trainieren.
Von Marc Fischer
Lerne ich zuerst für den wichtigen Mathetest nächste Woche oder mache ich als Erstes die Englisch-Hausaufgaben? Löse ich zuerst zeitaufwändige schwierige Aufgaben oder einfachere, die mir schnell von der Hand gehen? Wie ist mein Arbeitsplatz idealerweise eingerichtet, damit er mein Lernen unterstützt? Und wie schaffe ich es, dass ich mich nicht von der neusten Staffel meiner Lieblingsserie vom Lernen abgehalten werde? Antworten und Strategien zu Fragen wie diesen fallen unter den Oberbegriff «Selbstreguliertes Lernen». «Kurz gesagt ist selbstreguliertes Lernen die Fähigkeit, das eigene Lernen durch den Einsatz von Strategien zielgerichtet zu planen, zu überwachen und zu regulieren», sagt Yves Karlen, Leiter der Professur für pädagogisch-psychologische Lehr- und Lernforschung am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW. Für den Lernerfolg in der Schule, aber auch später im Beruf oder im Studium sei es wichtig, dass die Schüler*innen einerseits über ein breites Strategierepertoire verfügen und andererseits verschiedene Strategien clever miteinander kombinieren, um die gewünschten (Lern-)Ziele zu erreichen, so Karlen weiter.
Die Schüler*innen haben jedoch teilweise Mühe bei der Selbstregulation des Lernens. Ebenso wie andere Fähigkeiten und Kompetenzen muss das selbstregu lierte Lernen deshalb gelernt und geübt werden. «Für eine effektive Weiterentwicklung und Förderung in der Schule ist es wichtig, dass den Lehrpersonen die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen beim selbstregulierten Lernen bekannt sind.» Um diese Voraussetzungen der Schüler*innen einfacher zu bestimmen, ist ein Team unter der Leitung von Yves Karlen und PH FHNW-Dozentin Kerstin Bäuerlein im Rahmen des Projekts «CoKoS – Computerunterstützte Kompetenzdiagnostik im selbstregulierten Lernen» daran, das Online-Diagnosetool «CleveR» (www. cleverselbstreguliertlernen.ch) zu entwickeln. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass seit der Einführung des Lehrplans 21 die Diagnose und die Förderung von Kompetenzen im Bereich selbstreguliertes Lernen verbindlich ist.
Schüler*innen schätzen sich selbst ein Entstanden ist so ein Online-Diagnosetool, bei dem Schüler*innen ein eigenes Login erhalten und dann verschiedene Aufgaben zu ihrem eigenen Lernen lösen können. Diese sind in acht Themen wie Zeitplanung, Mo tivation, Gestaltung des Arbeitsplatzes oder Nachdenken beim Lernen gruppiert. Die Aufgaben sind so gestaltet, dass die Schüler*innen sich zunächst selbst einschätzen und dann Aufgaben lösen, indem sie beispielsweise Antwortmöglichkeiten ordnen. «Anschliessend erhalten sie direkt eine Einschätzung des Online-Diagnosetools. Es
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«Ziel des Projektes ist es, im engen Austausch mit der Praxis ein Online-Diagnosetool mit Feedbackfunktion zu entwickeln, zu erproben und zu validieren.»
Yves Karlen
vergleicht die Selbsteinschätzung mit den Antworten und gibt den Schüler*innen ein Feedback, ob sie ihre Fähigkeiten über- oder unterschätzen», erklärt Yves Karlen. Zudem gibt das Online-Tool auch Tipps, wie die Schüler*innen ihre Fähigkeiten und Strategien weiter verbessern können.
Enger Austausch mit den Schulen «Das Ziel des Projektes war und ist es, im engen Austausch mit der Praxis ein Online-Diagnosetool mit Feedbackfunktion zu entwickeln, zu erproben und zu validieren», fasst Yves Karlen zusammen. «Neben der inhaltlichen und wissenschaftlichen Überprüfung werden insbesondere die Praktikabilität des Tools sowie der Nutzen für die Schüler*innen und die Lehrpersonen untersucht und Massnahmen für eine Weiterentwicklung des Tools abgeleitet.»
Gestartet ist das von der Robert Bosch Stiftung unterstützte Projekt Mitte 2020. An der Erprobung und Weiterentwicklung des Online-Diagnosetools nehmen mehrere Schulen des Bildungsraums Nord westschweiz und aus weiteren Kantonen sowie aus Deutschland teil. Die Lehrpersonen und Schüler*innen
haben bereits zwei Befragungen ausgefüllt. Die dritte und letzte Befragung erfolgt anfangs 2023. Zurzeit werden weitere Materialen für die Schüler*innen und Lehrpersonen entwickelt. Zudem überarbeitet das Team auf der Grundlage der erhaltenen Rückmeldungen das Online-Diagnosetool. 2023 erscheint eine überarbeitete und optimierte Version.
Eine der Schulen, die am Entwicklungsprozess beteiligt ist, ist die Sekundarschule Müllheim (TG), eine Schule die bereits Lernlandschaften eingerichtet hat und in der die Lehrpersonen regelmässig Coaching- und Reflexionsge spräche mit den Schüler*innen durchführen. In dieses Setting passe das Online-Diagnosetool, so Schulleiter Walter Strasser. Den Entwicklungsprozess hat er bislang positiv erlebt: «Die Projektverantwortlichen hören zu und nehmen das Feedback der Schulen ernst.» In Müllheim habe sich etwa gezeigt, dass es nicht praktikabel sei, dass die Schüler*innen alle acht Themenblöcke gleichzeitig ausfüllen. Mittlerweile ermöglicht das Tool die Themen einzeln zu bearbeiten. «So ist das Tool nützlich und eine Bereicherung der regelmässigen Coaching-Gespräche», so Walter Strasser. «Diese können nun noch zielgerichteter stattfinden.
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Wann ist ein Arbeitsplatz ideal eingerichtet, um zu lernen? Auch diese Frage gehört zum selbstregulierten Lernen. Foto: Pixabay
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3D-Drucker im Werkraum
Making ermöglicht Schüler*innen den Kontakt zu neuen Technologien und den Erwerb von überfachlichen Kompetenzen. An der PH FHNW läuft seit diesem Jahr das Beratungsangebot «making@ school».
Von Marc Fischer
Im Holzwerkraum der Schule Bellach-Lommis wil-Selzach (BeLoSe) stehen neuerdings auch ein 3D-Drucker, ein Schneidplotter und Lötstationen. Zudem hat die Schule mehrere Mikrocontroller angeschafft. Kurz: In den letzten Wochen ist ein soge nannter Makerspace entstanden, den seit dem neuen Schuljahr hauptsächlich zwei fünfte und eine sechste Klasse wöchentlich nutzen. «Nach den ersten Lektionen im Makerspace sind die Schüler*innen begeistert. Natürlich übt die Technik eine gewisse Faszination aus. Aber auch das erforderliche Mindset überzeugt die Kinder. So hat eine Schülerin betont, dass sie es toll finde, dass man Fehler machen darf», sagt Andreas Bänninger, Pädagogischer ICT-Support (PICTS) und Lehrer an den Schulen des Schulkreises.
«Erstmals mit dem Konzept Making und Makerspaces in Kontakt gekommen bin ich im Rahmen des CAS PICTS, den ich an der PH FHNW absolviert habe», so Bänninger. «Das Konzept hat mich fasziniert und ich
habe mich dann auch in meiner Zertifikatsarbeit damit befasst.» Es blieb nicht beim theoretischen Rahmen. Bänninger schlug der Schulleitung vor an der Schule BeLoSe einen Makerspace einzurichten – und stiess dabei auf offene Ohren.
Doch was versteht man genau unter Making und was passiert in einem Makerspace? Lorenz Möschler ist an der Beratungsstelle Digitale Medien im Unterricht – imedias der PH FHNW verantwortlich für das Beratungsangebot «making@school», das seit diesem Jahr läuft. «Im Making-Unterricht geht es um den Kompetenzaufbau in einer anregenden und aktivierten ‘Werkstatt’. Dabei ist die Erarbeitung der Future Skills – Kreativität, Kollaboration, Kooperation und kritisches Denken – ebenso zentral wie Problemlösen oder das Erleben von Selbstwirksamkeit», erklärt Möschler. «Making ermöglicht eine starke Interdisziplinarität und das Ausbrechen aus der Fächerstruktur.» Der Fokus liege zwar auf Medien/Informatik und Technischem Gestalten, so Möschler weiter. «Doch Making hat auch hohe sprachliche Komponenten und ermöglicht die Auseinandersetzung mit Themen aus dem Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE).
Ein Makerspace ist also ein offener Lernraum, aus gestattet mit herkömmlichen Werkzeugen wie Sägen, Bohrmaschinen oder Nähmaschinen ergänzt mit digitalen
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«Making
macht Spass, regt zum Erfinden und Tüfteln
an,
fördert Kreativität und motiviert Schüler*innen, sich mit selbstgewählten Themen intensiv auseinanderzusetzen.»
Lorenz Möschler
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Schülerinnen arbeiten im neuen Makerspace der Schule Bellach-Lommiswil-Selzach. Foto: Karen Conde Cruz
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Geräten und Fertigungstechnologien wie 3D-Drucker oder Lasercutter. Lorenz Möschler ist überzeugt: «Ma king macht Spass, regt zum Erfinden und Tüfteln an, fördert Kreativität und motiviert Schüler*innen, sich mit selbstgewählten Themen intensiv auseinanderzusetzen.»
Kontakt mit neuen Technologien ist wertvoll Diese Überzeugung teilt auch Andreas Bänninger. «Durch das kollaborative Arbeiten im Makerspace werden überfachliche Kompetenzen stark gefördert», sagt er. Es gehe für die Schüler*innen im Makerspace auch darum, Wissen zu teilen und die Inputs von anderen wertzuschätzen. «Dazu kommt, dass es sicherlich sinnvoll ist, wenn die Schüler*innen mit neuen Technologien in Kontakt kommen. Das bringt ihnen Vorteile, wenn sie sich für Lehrstellen in diesen Berufsfeldern bewerben.» Und wie sieht es mit den Lehrpersonen aus? Welche Kompetenzen, gerade im technischen Bereich, müssen sie mitbringen? «Aus meiner Sicht ist es am wichtigsten, dass die Lehrpersonen Offenheit mitbringen und Uner wartetes aushalten können», sagt Lorenz Möschler. Und eine gewisse technische Affinität sei tatsächlich von Vorteil. Im Schulkreis Bellach-Lommiswil-Selzach werden Unsicherheiten von Lehrpersonen so aufgefangen, dass Andreas Bänninger als Pädagogischer ICT Support jeweils als Unterstützung der Lehrpersonen am Maker spaceUnterricht teilnimmt. Zudem wird den Lehrpersonen empfohlen, das Weiterbildungsangebot der PH FHNW zu nutzen, damit allfällige Ängste ab- und Kompetenzen aufgebaut werden können. Als grösseren Knackpunkt als allfällige Bedenken von Lehrpersonen erachtet Bänninger das Budget der Schulen. Nicht überall seien grössere Investitionen möglich, um einen Makerspace direkt an der Schule einzurichten. «Allerdings ist es auch möglich, Making im Unterricht in einem kleineren Rahmen zu integrieren», ist Bänninger überzeugt.
MAKERSPACE-ANGEBOTE AN DER PH FHNW
Die Beratungsstelle Digitale Medien im Unterricht – imedias der PH FHNW unterstützt Schulleitungen, Lehrpersonen oder PICTS bei der Umsetzung von Makerspaces an ihrer Schule mit dem Beratungsangebot «making@ school». Zudem gibt es am Campus Brugg-Win disch der FHNW ein Makerstudio, das von Externen gebucht werden kann. www.makerstudio.fhnw.ch www.imedias.ch/themen/makerspace.cfm
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Zweites Leben
Dora Freiermuth lebt und arbeitet in Laufenburg. Bilder und Objekte bilden dabei den Schwerpunkt ihres Schaffens. Kreativität gilt als eine der Fähigkeiten, die in Zukunft an Wichtigkeit gewinnen werden. Dora Freiermuth nutzt ihre Kreativität, um Objekten aus dem Alltag, – seien sie gebraucht oder neu, aus Haushalt oder Natur – ein zweites Leben einzuhauchen. Auf lustvolle, spielerische Art reizt sie die Materialien aus. Sie ist eine passionierte Sammlerin und bedient sich der Dinge, «an denen mann und frau gerne achtlos vorbeigeht», wie sie sagt. Immer wieder kommen neue Kunststoffe hinzu, die sie inspirieren und als Katalysator wirken. Einfachheit und zugleich Komplexität machen den Reiz ihrer Arbeiten aus.
Für «das HEFT» zeigt sie verschiedene solcher Objekte: Bojen, die Halt geben, Schwämme aus Klebeband, die Wissen aufsaugen oder Schiffe, die den Weg in die Zukunft und in neue Welten unter ihre Kiele nehmen. www.dorafreiermuth.ch
«Boje»: Federkiel, Eierschalen, Kokosnussschale
«Läufer»: Bananenschale getrocknet, Epoxidharz
«AllTag»: Bananenschalen getrocknet, als Text, Epoxidharz
«Welten»: Haushaltspapier, Kaffee, Kleister
«Venedig»: Fruchthülsen, Eierschalen, Kleister «Werdegang»: Eierschalen, Kleister, Federn «Schwamm»: Klebeband
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Läufer
Venedig
AllTag
Werdegang
Welten
Schwamm
Unterstützung für Lehrpersonen und Familien
Das Projekt FOSSA beschäftigt sich mit der Selbstregulation bei Kindern mit herausforderndem Verhalten im Kindergarten- und Primarstufenalter. Die Familien der Kinder werden mit einem Familienprogramm unterstützt und die Lehrpersonen erhalten eine Weiterbildung sowie ein Coaching mit dem Ziel, die Kinder im Unterricht besser unterstützen und fördern zu können.
Von Marc Fischer
Aggressives Verhalten, ständiges Dazwischen reden im Unterricht, Hyperaktivität, Konflikte mit Klassenkamerad*innen, Sachbeschädi gungen: All diese Verhaltensweisen werden unter Verhaltensschwierigkeiten zusammengefasst – und stören den Unterricht. Verhaltensschwierigkeiten haben vielfältige Ursachen und können einerseits aufgrund von Merkmalen des Kindes und dessen familiärer Situation entstehen. Andererseits können auch ungünstige Unter richtsmerkmale wie etwa die Klassenzusammensetzung, die Klassendynamik oder die Klassenführung ursächlich sein. Auch ein Zusammenhang mit einer klinischen Diagnose (zum Beispiel ADHS) ist möglich.
Die Folgen solcher Verhaltensschwierigkeiten können langfristig sein. «Studien zeigen, dass Kinder mit Verhaltensschwierigkeiten aus belasteten Familien im Schweizer Bildungssystem benachteiligt sind. Sie erbrin gen schlechtere Leistungen und weisen ungünstigere Bildungsverläufe auf», sagt Markus Neuenschwander,
Leiter des Zentrums Lernen und Sozialisation am In stitut Forschung und Entwicklung der PH FHNW. Die betroffenen Kinder seien häufiger von Schulausschluss betroffen, hätten geringere Chancen auf eine Lehrstelle, ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko und ein erhöhtes psychosoziales Risiko (Suchtmittelkonsum, Delinquenz). «Insbesondere Kinder aus belasteten Familien zeigen häufiger Verhaltensschwierigkeiten im Unterricht», so Neuenschwander.
Kind, Schule und Familie werden miteinbezogen Gemeinsam mit seinem Team hat er den FOSSA-Ansatz entwickelt und erprobt. FOSSA steht dabei für Förderung der Selbstregulation in Schule und Familie. Der Ansatz kombiniere «nachweislich wirksame Methoden, um Kinder besser darin zu unterstützen, ihr Verhalten zu regulie ren», erklärt Markus Neuenschwander. «Er ist wertvoll, weil er das Kind, die Klasse und die Eltern einbezieht.» Innovativ ist dabei die Kombination einer Weiterbildung für Lehrpersonen mit einem Familienprogramm. Kinder werden so nicht nur im Regelschulunterricht gefördert, sondern auch in der Familie. Konkret erhielten die Lehr personen im Rahmen der Studie in einer Weiterbildung gruppenweise konkrete Strategien zur Förderung des sozialemotionalen Lernens der Kinder und zur Reduk tion von Verhaltensauffälligkeiten. Zudem wurden sie individuell bei der Umsetzung dieser Massnahmen in den eigenen Unterricht in einem Coaching begleitet. Die Eltern ihrerseits wurden je acht Mal von Familiencoaches in der Förderung ihrer Kinder beraten und angeleitet. Zudem wurden konkrete Übungen mit den Kindern zu
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AUS DER PH
Hause zur Förderung des sozialemotionalen Lernens durchgeführt.
Mit der Kombination der zwei Teilbereiche Schule und Familie ist die Hoffnung verbunden, ungünstigen Ent wicklungsverläufen von Kindern in belasteten Familien vorzubeugen und einschneidende disziplinarische Interventionen zu verhindern. «Die damit eingesparten Kosten rechtfertigen den Aufwand dieser präventiven Interventionen deutlich», ist Markus Neuenschwander überzeugt.
Bekannte Methoden, aber bewusstere Nutzung Simone Haller und Karin Waldmeier unterrichteten gemeinsam eine erste Klasse in Hägendorf (SO), als sie von der FOSSA-Studie lasen. «Da die Beschreibung der Verhaltensschwierigkeiten gleich auf mehrere Kinder in unserer Klasse passte, haben wir uns gemeldet», so Simone
Haller. In der Folge wählte das Projektteam basierend auf einem Fragebogen die Kinder aus, trat mit deren Eltern in Kontakt und organisierte die Familienbegleitung. Die beiden Lehrerinnen ihrerseits nahmen an mehreren Schulungen teil und wurden von Coaches begleitet. «Wir wussten dank der wissenschaftlichen Begleitung, dass alles Hand und Fuss hat und die vorgestellten Methoden aus Sicht der Wissenschaft funktionieren sollten, wenn man sie regelmässig anwendet», so Karin Waldmeier. Zudem hätten die praxisnahen Schulungen die teilweise bereits bekannten Methoden wie Wenn-Dann-Pläne, Methoden der positiven Beziehungsgestaltung oder Inputs für positives Feedback aufgefrischt, zusammengefasst und so bei der Umsetzung geholfen, ergänzt Simone Haller. «Wertvoll war auch, dass auch das bewusste Reflektieren des eigenen Handelns Teil der Studie war», so Haller weiter. «Dies kann in einem vollgepackten Schulalltag gerne einmal untergehen.»
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Der FOSSA-Ansatz hat die Förderung der Selbstregulation in Schule und Familie im Blick. Symbolbild: Barbara Keller
Im Laufe der Zeit – die Studie erstreckte sich auch über das ganze zweite Schuljahr der Hägendorfer Klasse – hätten sich positive Effekte bei den Schüler*innen bemerkbar gemacht, so die beiden Lehrerinnen. Und: Der Umgang zwischen Schüler*innen und Lehrerinnen sei bewusster geworden. Die zweite Schiene, die Familienbegleitung, sei weitgehend unabhängig durchgeführt worden. «Es kam aber teilweise ausserhalb des Projekts zu einem Austausch mit den Eltern», so Karin Waldmeier. «Aus meiner Sicht gäbe es hier noch zusätzliches Potenzial, Synergien zu nutzen, wenn dieser Austausch regelmässig stattfände.»
«Schule wird nicht losgelöst angeschaut»
Im Rückblick sind sich Simone Haller und Karin Wald meier einig, dass sich die Teilnahme an der Studie gelohnt hat. «Mich hat vor allem überzeugt, dass die Schule nicht losgelöst vom Umfeld angeschaut wurde, sondern auch die Familie miteinbezogen wurde», so Waldmeier. Die angewandten Methoden werden die beiden auch künftig anwenden. «Unser Rucksack wurde weiter gefüllt», so Simone Haller. «Wir haben auch Rituale eingeführt, die wir auch bei künftigen Klassen beibehalten werden.»
WAS PASSIERT NUN NACH ABSCHLUSS DER STUDIE?
Die FOSSA-Weiterbildung wird auch in Zukunft von der PH FHNW den Schulen (schulinterne Weiterbildung) und Lehrpersonen (kursorische Weiterbildung) angeboten. Bereits gibt es eine erhebliche Nachfrage nach der Weiterbildung im Bildungsraum Nordwestschweiz. Die Weiterbildung soll aber zukünftig in der ganzen Deutschschweiz angeboten werden. Auch das Familienprogramm wird weiterhin angeboten und kann zur Unterstüt zung von Familien gebucht werden (www. fhnw.ch/ph/fossa-weiterbildung). Zudem sollen die Ergebnisse publiziert werden, sodass sie sowohl in der Wissenschaft als auch im Schulfeld genutzt werden kann.
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Markus Neuenschwander stellte im August den FOSSA-Ansatz an einer Tagung am Campus Brugg-Windisch vor. Foto: Marc Fischer
Kollaborative
3D-Umgebungen –innovative Lernräume für die Hochschullehre
Mit der Digitalisierung erweitern sich Lebens-, Arbeits- und auch Lehr-/Lernräume. Damit eröffnen sich zahlreiche medienpädagogische Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen für eine innovative sowie flexible Lehre. «Digitales Lehren und Lernen» ist jedoch weit mehr als die Integration von Technologien in die Lehre, sie erfordert immer auch die Fähigkeit der kritischen sowie reflexiven Auseinandersetzung mit «Digitalität».
Von Ricarda T.D. Reimer und Kathrin Kochs
Virtuelle Welten, 3D-Technologien, Metaversen sind mit zunehmender Prominenz in den Medien vertretene Begriffe. Welche sinnvollen Veränderungen bieten diese Innovationen für die Bildung? Die Vielfalt an kollaborativen 3D-Umgebun gen, die sich in der Darstellungsform, den Funktionen, der Art der Anwendung (etwa mit oder ohne Einbindung von weiterer Hardware, speziellen Brillen oder Controllern) unterscheiden, ist eindrücklich. Im Zentrum dieses Beitrags stehen kollaborative 3D-Umgebungen, für deren Anwendung lediglich ein Computer mit Internetzugang erforderlich ist. In diesen 3D-Umgebungen kommunizieren und bewegen sich die User selbstständig in Form von virtuellen Repräsentanten, sogenannten Avataren, in unterschiedlichsten Räumlichkeiten, Freiflächen oder ganzen Landschaften.
Die erstellten Avatare, ob real (dem User ähnlich) oder fiktiv, sind in ihrer «Beweglichkeit» oder auch vom «Look & Feel» sehr vielfältig gestaltbar. Avatare interagieren untereinander sowie mit den in der Umgebung einge bundenen Tools und Artefakten, wie etwa virtuellen Flipcharts und verschiedenen Internetanwendungen. Unter anderem wird auch ein gemeinsames Recherchieren
oder das Halten von Vorträgen mit Präsentationen möglich. Zudem können mehrere Avatare gleichzeitig die Umgebungen nutzen und mit Raumwechseln situativ auf didaktische Bedarfe eingehen. Somit sind von kleinen Meetings bis hin zu Konferenzen Settings realisierbar, in denen in den Räumen unterschiedliche Methoden und Tools parallel eingesetzt werden.
Voice-Control verstärkt das Gefühl «echter Anwesenheit»
Interessant sind ferner die Optionen, Räume ent sprechend didaktischer Überlegungen gestalterisch umzusetzen - zum Beispiel in der historischen Zeit des Lerngegenstandes. Zudem können vorbereitete Inhalte oder gemeinsam entwickelte Ergebnisse (wie Notizen an Pinnwänden) bis zum nächsten Treffen oder einer individuellen Weiterarbeit im Raum verfügbar gemacht werden.
Eindrücklich für die User ist überdies die so genann te Voice-Control. Sie beeinflusst die Lautstärke und Richtungswahrnehmung: Stimmen von Avataren, die nahe beieinanderstehen, werden lauter wahrgenommen, mit zunehmender Entfernung werden sie leiser oder
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sind nicht mehr hörbar. Dies verstärkt das Gefühl der «echten Anwesenheit» und ermöglicht den spontanen Kontaktaufbau zu Personen im selben Raum.
Mit den hier verkürzt dargestellten Interaktionselemen ten entsteht ein immersives, unmittelbares Erleben, das die Teilnehmenden in die Umgebung eintauchen und eine gemeinsame «Präsenz» erleben lässt. Dieses gemeinsame Erleben des Daseins aller Anwesenden in ein und demselben Raum lässt somit einen gemeinsamen «dritten Raum» entstehen.
Neue Optionen für die Lehre und das Lernen Die Integration von Virtual-Reality (VR)-, Augmented-Re ality (AR)- oder Mixed-Reality (MR)-Technologien ist mit einem erheblichen technischen und pädagogischen Mehraufwand verbunden. Herausforderungen und Barrieren liegen zum Beispiel in den Mehrkosten für Geräte, Ausleihoptionen, im Gewicht der Geräte/Brillen, oder in der «Motion-Sickness». Mit Blick auf die Lehr-/ Lernzukunft sowie die Auseinandersetzung mit kritischen Aspekten werden schon jetzt auch VR/AR/MR-Settings in die aktuelle Praxisforschung eingebunden.
Neben Videokonferenzen, die als synchrone Settings, im Blended Learning integrierbar sind, ermöglichen kollaborative 3D-Umgebungen eine grosse Auswahl an ortsunabhängigen Lern-/Lehrsettings. Die Avatar kommunikation in Verbindung mit dem konkreten Erleben von Immersion erhöht die Teilnahmequalität. Die per manente Bewegung und Interaktionen der Lehrenden und Lernenden in einer 3D-Umgebung verunmöglichen schwarze Teilnehmendenbildschirme oder Phänomene wie «Zoom-Fatigue».
3D-Umgebungen bieten neue Optionen für die Lehre und das Lernen. Der von der Fachstelle Digitales Lehren und Lernen der PH FHNW entwickelte Ansatz «Lernen hoch3 » berücksichtigt diese «virtuelle Realität» basierend auf ihren Ausführungen zur kritisch-reflexiven Medienbildung und integriert Aspekte des Diskurses bezüglich «Future Skills». Lernen hoch3 eröffnet für kollaborative 3D-Lern-/Lehrsettings sowie die Anwen dung von Methoden, die auf höhere Motivation und Lernendenaktivierung abzielen, neue Chancen - dies für synchrone Online-Veranstaltungen aber auch dem Blended Learning.
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In den 3D-Umgebungen ist unter anderem ein gemeinsames Recherchieren oder das
Halten von Vorträgen mit Präsentationen möglich.
Bild: VRPark AUS DER PH
«Kollaborative 3D-Umgebungen ermöglichen eine grosse Auswahl an ortsunabhängigen Lern-/Lehrsettings.»
Es braucht didaktische Gestaltungselemente Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass grundsätzlich der blosse Einsatz von Technologien, hier kollaborativen 3D-Umgebungen, in der Lehre nicht zu besseren Lernef fekten führt, sondern nur in Verbindung mit geeigneten didaktischen Gestaltungselementen und der Einbindung ausgewählter Methoden tatsächlich positive Effekte zeigt. Die jeweiligen medienpädagogischen Gestaltungsmög lichkeiten sowie didaktischen Gewinne der vielfältigen «digitalen Lehr-/Lernszenarien» müssen erfahrbar gemacht werden, damit Lernende zukunftsorientierte Szenarien kennenlernen und gemeinsam während ihrer Ausbildung reflektieren können.
Mitarbeiter*innen der Fachstelle wenden sich dem Lehren und Lernen in 3D seit über 15 Jahren zu. Aktuell leiten sie ein entsprechendes Arbeitspaket im Rahmen der «FHNW Learning Spaces». In diesem Kontext konnten
Mitarbeitende der FHNW bereits eine kollaborative 3D-Umgebung erfolgreich in ihrer Lehre, in Weiter bildungen oder für Sitzungen einsetzen.
RICARDA T.D. REIMER leitet die Fachstelle «Digitales Lehren und Lernen» der PH FHNW. KATHRIN KOCHS ist ebenda wissenschaftliche Mitarbeiterin.
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AUS DER PH
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Politik spielen im Bundeshaus
Für eine funktionierende Demokratie ist politische Bildung essenziell. Statt das schweizerische Politiksystem nur in der Schule erklärt zu bekommen, können es Jugendliche durch das Projekt «SpielPolitik» selbst erleben. Während zweier Tage in Bern schlüpfen jeweils drei bis vier Oberstufenklassen in die Rolle von Nationalrät*innen und spielen den Beratungsund Beschlussfassungsprozess des nationalen Parlaments anhand von selbst konzipierten Volksinitiativen durch. Den Höhepunkt des Spiels bildet die Schlusssession, die – ganz realistisch – im Nationalratssaal stattfindet.
Von Solange Morel und Sabine Goldhahn
D ie Aufregung ist ihnen nicht anzusehen. Souverän stehen Federica und ihre zwei Mitschülerinnen aus Le Mont-sur-Lausanne ganz vorne im Nationalratssaal. Gleich werden die drei Achtklässlerinnen das Wort an den Nationalrat richten. Dieser besteht heute jedoch nicht aus Schweizer Parlamentarier*innen, sondern aus drei Schulklassen. «Die Nationalratssession im Bundeshaus ist der Abschluss einer mehrmonatigen Vorbereitungszeit im Rahmen des Projekts ‹SpielPolitik!›», erklärt die Spielleiterin Liliane Wenger. Die Erziehungswissenschaftlerin arbeitet am Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der Pädagogischen Hochschule FHNW und ist begeistert vom Projekt. «Es ist eine einmalige Chance für die Schüler*innen: Sie erleben aktiv den parlamentarischen
Prozess – mit allen nötigen Schritten.» So haben die Klassen jeweils eine fiktive Partei gegründet, ein Parteiprogramm ausgearbeitet, eine Volksinitiative entworfen und gemeinsam Debattieren geübt. Nun schlüpfen die Jugendlichen während zweier Projekt tage in Bern in die Rolle von Nationalrät*innen und beraten über ihre Initiativen: «Ja zur Reduzierung der Lichtverschmutzung!», «Schluss mit Plastik!» und «100 km/h auf den Autobahnen».
Starke Argumente für den Klimaschutz
Das Projekt «SpielPolitik!» ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Verein «Schulen nach Bern» und dem Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA), das unter ande rem von der FHNW getragen wird. Es wird fünfmal im Jahr mit Klassen aus jeweils zwei Sprachregionen durchgeführt. «So lernen die Schüler*innen, dass zur nationalen Politik in der Schweiz auch die Verständigung zwischen den vier Sprachregionen gehört», sagt Wenger. Immer wieder geht es in den Initiativen der Jugendli chen um Umweltthemen. Schülerin Federica erzählt: «Das Thema für unsere Initiative ‹100 km/h auf den Autobahnen› haben wir gewählt, weil man darüber gut debattieren kann. Schon im Unterricht haben wir versucht, Argumente für die Initiative, aber auch mögliche Gegenargumente zu finden. Im Laufe der Debatte haben wir dann aber gemerkt, dass die Idee richtig gut ist.» In Bern haben die drei Schulklassen dann am Tag vor der grossen Nationalratssession intensiv über die drei Initiativen diskutiert: In Kommissionen haben sie die Initiativen im Detail besprochen und daraufhin in Fraktionssitzungen den Standpunkt ihrer Fraktion ausgehandelt.
Gut vorbereitet zur Nationalratssession
Die Initiantinnen von «100 km/h auf den Autobahnen» sind sich sicher: Die verringerten Lärm- und Abgasemis sionen wären gut für die Gesundheit der Bevölkerung und auch der Beitrag für den Klimaschutz sei nicht zu unterschätzen. Mit der neuen Regelung liessen sich zudem rund 560 Millionen Franken pro Jahr einsparen – durchschnittlich 70 Franken pro Haushalt. Auch der Verkehrsfluss würde sich durch die Verlangsamung verbessern und die Anzahl und der Schweregrad von Unfällen würde sinken. Die durchschnittliche Schweizerin
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Schüler*innen tragen im Projekt «SpielPolitik» die Argumente ihrer Fraktion vor. Foto: Lukas Buser
verlöre durch die langsamere Geschwindigkeit nur zirka drei Minuten pro Tag, das sei vertretbar. Während der «SpielPolitik!»-Sessionssitzung im Nationalratssaal bringen die drei Schülerinnen der verantwortlichen Fraktion ihre Argumente auf den Punkt. «Erstens erlaubt die Initiative, CO2 einzusparen», wendet sich eine der Schülerinnen an den «SpielPolitik!»-Nationalrat. «Die Einsparungen sind zwar gering, aber in der Klimakrise, in der wir uns befinden, machen auch kleine Veränderungen einen Unterschied. Wer denkt, dass wir jetzt nichts tun müssen, wird das vor den künftigen Generationen rechtfertigen müssen.» Die Nationalrät*innen klatschen. Stilsicher und professionell haben Federica und ihre Mitschülerinnen den Standpunkt ihrer Fraktion dargelegt. Doch wird das reichen?
Gegenwind im Bundeshaus
Die Nationalrät*innen aus den anderen Fraktionen bleiben skeptisch. Die Lärmvermeidung sei minim und der Beitrag zum Klimaschutz zu gering, um die Einschränkung zu rechtfertigen. Der Zeitverlust von durchschnittlich zehn Minuten pro 100 Kilometer sei für Leute mit einem langen Arbeitsweg eine zusätzliche Belastung. Ausserdem würden die meisten Unfälle sowieso im Stadtgebiet passieren und viele Argumente für die Initiative bald aufgrund der Elektromobilität entfallen. Ein weiteres Gegenargument kommt von einem echten Politiker, dem ehemaligen Nationalrat Dominique de Buman. Bei jeder Spielsession ist auch eine Person
aus der Politik als Vertretung des Bundesrats mit dabei. De Buman argumentiert, dass die Gesetzeslage bereits alle Voraussetzungen für Geschwindigkeitsreduktionen bietet und die Initiative diese einschränken würde. Doch warum? Es ist ein winziges sprachliches Detail. Im Wortlaut steht «Der Bund begrenzt die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h.» Doch geht es dabei um die maximale Geschwindigkeit? Oder soll immer und überall so schnell gefahren werden dürfen? Was ist mit Zonen, in denen die Geschwindigkeit heute auf 80 km/h oder weniger begrenzt ist? Nachdem alle Argumente dargelegt wurden, wird schliesslich abgestimmt – die Initiative wird abgelehnt und damit dem Volk vom Nationalrat zur Ablehnung empfohlen.
Wissen für später Lehrerin Carola Espanhol hat die Diskussionen wäh rend der zwei Tage in Bern gespannt beobachtet. «Die Jugendlichen können aus der Debatte viel mitnehmen», erklärt sie, «etwa, dass Debattieren nicht persönlich sein darf.» Das Projekt mache im Politikunterricht einen grossen Unterschied, erzählt sie. «Wenn ich nur erklärt hätte, was eine Initiative ist, wäre ihnen das nie so gut in Erinnerung geblieben. Jetzt werden sie für immer wissen, wie die Schweizer Demokratie funktioniert.»
Dieser Beitrag ist im Juni 2022 in ähnlicher Form bereits im eMagazin der FHNW erschienen.
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Im «SpielPolitik» können Oberstufenschüler*innen den demokratischen Prozess selbst ganz realistisch erleben. Foto: Lukas Buser
Nachdenken über philosophische Fragen verändert die Perspektive
Die Pädagogische Hochschule FHNW entwickelt ein Philosophie-Lehrmittel für Kinder.
Von Michael Hunziker
Die Kinder der 5. Klasse an der Schule Unter entfelden haben sich in einen Kreis gesetzt. «Wir werden heute zusammen philosophieren», sagt die Lehrerin Rebecca Gisi. «Ihr habt euch ja bereits ins Thema eingelesen und ich bin gespannt auf eure Diskussion». Mit dem Thema, das die Kinder bearbeiten, gehen sie aufs Ganze. Wie es sich für Philo sophinnen und Philosophen eben gehört. In der Lektion geht es um die Frage der Geschlechtsidentität. Anhand einer fiktiven Geschichte eines Kindes, das sich nicht auf ein Geschlecht festlegen will und je nach Tag auf den Namen Lea oder Leo hört, wird die Klasse in der Folge die grossen Fragen erörtern, die das Beispiel aufwirft. «Damit wir miteinander gut diskutieren können, erinnere ich euch an unsere Regeln», sagt Rebecca Gisi. Sie hat in der Mitte des Kreises verschiedene Karten ausgelegt, auf denen Symbole abgebildet sind: Ein Ohr fürs Zuhören, ein Baum für die freie Rede, geometrische Formen fürs Beispielegeben.
Die Kinder gehen ziemlich in medias res, direkt zum Kern des Problems: Es gibt keine klare Lösung, sondern viele Ambivalenzen. Ein Mädchen stellt fest, dass man sich durch das Geschlecht unterscheiden kann und so eben eine Identität erhält, was im Alltag doch sehr hilfreich sei. Dass diese Identität aber eben auch ein Klischee sein kann, darauf kommt ein Junge: «Ein Mädchen kann ja auch Fussballspielen. Es gibt kein typisch weiblich
oder typisch männlich.» Ein anderes Mädchen findet es irritierend, dass ein und dieselbe Person je nach Tag unterschiedliche Namen hätte, «aber ich würde das Kind unterstützen, wenn es so leben möchte.» Die Diskussion ist rege am Laufen, und die Kinder sagen: «Ich schliesse mich an», oder «hier würde ich widersprechen» – ein bisschen wie in der SRF-Arena, einfach gesitteter.
Bestandteil des Lehrplans 21 Weil das Philosophieren in der Schule zwar nicht als eigenständiges Fach, doch als fester Bestandteil verschiedener Fächer Teil des Lehrplans 21 ist, ist Christoph Buchs von der Pädagogischen Hochschule FHNW derzeit daran, das Lehrmittel «Philofit » zu erarbeiten. Auch Buchs ist an diesem Nachmittag mit von der Partie. Denn die Klasse von Rebecca Gisi erprobt einen von rund 50 Impulsen, die das Lehrmittel umfassen wird. Gegliedert in acht thematische Bereiche wird dieses voraussichtlich ab Herbst 2023 Lehrpersonen ermöglichen, mit ihrer Klasse über Fragen wie «was ist ein gutes Leben?», «was ist der Mensch?» oder «was ist Wissen?» zu diskutieren.
«Wir versuchten, in den Impulsen durch kleine Ge schichten Denkmöglichkeiten zu schaffen. Oft sind das irreale Situationen, die lust- und spannungsvoll sind und den Kindern ermöglichen, zum Geschehen Stellung zu beziehen oder Fragen zu stellen», erzählt
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«Wir versuchten, in den Impulsen durch kleine Geschichten Denkmöglichkeiten zu schaffen.»
Christoph Buchs
Buchs, von Haus aus Primarlehrer und Philosoph. Seit rund zehn Jahren widmet er sich als Leiter der Fachstelle Philosophieren mit Kindern der Frage, wie das Philosophieren ins Klassenzimmer kommen kann. Viele Fächer hätten einen ethischen Aspekt, den man nur über philosophisches (Hinter-)Fragen thematisieren könne. «Die Kinder sollen lernen, eigene Fragen zu ent wickeln. Wir geben ihnen mit unseren Geschichten den Einstieg.» Die 50 Impulse haben Buchs und sein Team aus Gedankenexperimenten der Fachphilosophie und aus Ideen der kinderphilosophischen Literatur hergeleitet oder teilweise selbst erfunden. Bereits die Titel der
einzelnen Übungen versprechen Anregung, auch für Erwachsene: «Die Glücksmaschine», «der Gartenplatz – Verteilungsgerechtigkeit» oder «Gesetze – Unterschied zwischen Naturgesetzen und sozialen Regeln».
Zurück zur Diskussion über Geschlecht und Identität. Ein Junge meldet sich mit einem interessanten Gedanken: «Mich nimmt es wunder, wie man in der Steinzeit übers Geschlecht redete. Die hatten bestimmt noch nicht so viele Begriffe.» – Das Wissen verändert die Perspektive auf das Leben. Die Diskussion nimmt in der Folge für Fünftklässler*innen einen beachtlichen Komplexitätsgrad
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an. Ohne dass Rebecca Gisi als Moderatorin eingreift, kommen Kinder an den Punkt, an dem sie auf der einen Seite biologische Kategorien und auf der anderen Seite gesellschaftliche Normen wie Kleider und Verhalten benennen können, und sehen, dass die beiden Aspekte ineinander verflochten und nicht dasselbe sind.
Kinder werden zu eigenem Denken angeregt und lernen zu argumentieren
«Im Unterrichtsetting des Philosophierens geht es nicht darum, dass einfach alle wild durcheinander ihre Mei nungen kundtun, sondern darum, sich argumentativ und rhetorisch möglichst offen einem Thema zu widmen und dadurch ein tieferes Verständnis zu erhalten – die Kinder sollen zum eigenen Denken angeregt werden», erklärt Gisi nach dem Unterricht. Gisi ist seit einer Weiterbildung zu Philosophieren mit Kindern «Feuer und Flamme» für diese Art von Unterricht. «Zwischendurch einen solchen Safe-Space aufzumachen, eine offene Atmosphäre zu schaffen, tut den Kindern und dem Klassenklima gut.» Es ist offensichtlich: Die Kinder haben Spass, ihre Meinungen auszuprobieren. «Sie lernen dabei Begründen, Zuhören und ihre Meinung zu überdenken – das sind
Kompetenzen, die ihnen auch im Alltag helfen», erklärt Gisi weiter. Sie beobachtet, dass sich in einem solchen Setting auch die eher schüchternen Kinder zu Wort melden und Selbstvertrauen gewinnen können.
Für Christoph Buchs endet nun die Erprobungsphase des Lehrmittels. In zehn Klassen auf Kindergarten- und Primastufe hat er vierzig Impulse testen lassen. Die beteiligten Lehrpersonen haben zu den Unterrichts einheiten mittels Beurteilungsbögen und Interviews differenziertes und konstruktives Feedback gegeben. Nun gilt es, sämtliche Anregungen zu prüfen, das Lehrmittel entsprechend zu überarbeiten und die dazugehörigen Materialien fertig zu stellen. Rebecca Gisi ist schon jetzt überzeugt, dass das Lehrmittel zu geistiger Offenheit und zur Horizonterweiterung beiträgt. «Wenn die Kinder genug früh kritisches Denken und offenes Diskutieren üben, sind sie bereit für die Herausforderungen, die auf ihre Generation zukommen.»
Dieser Beitrag ist im September 2022 in ähnlicher Form bereits auf der Bildungsseite der PH FHNW in Zeitungen von CH Media bzw. der Basler Zeitung erschienen.
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Die Kinder lernen beim Philosophieren auch zuzuhören, zu begründen und ihre Meinung zu überdenken. Foto: Christoph Buchs.
DAS HEFT PH-Magazin Nr. 8 2022 AUS DER PH InformierenSie FührunsichüberWorkshogenund ps kunstm u s e umbern A.ch/erfahren n g e botfürSchulklassen Thema der Ausgabe 2673-6837September/Oktober 2022 CHF 19 9 772673683002 11 2673-6837 772673683002 11 2673-6837 772673683002 11 2673-6837 772673683002 11 ISSN 2673-6837 Die Ärztin – Schimpansen – Gehirnsturm Apps – Ein Schimmelpilz, der Leben rettet Deine Erfindung – Architekten und Faulpelze Juliette und die Schule unter den Bäumen Pfeile schiessen und Eier werfen – Krimi ERFINDUNGEN Shw r M g NO 11 DAS MAGAZIN FÜR MÄDCHEN (UND DEN REST DER WELT) Erscheint zwei Monate DIESE ZEITSCHRIFT IST SO KLUG, SCHÖN, LUSTIG, MUTIG UND INSPIRIEREND WIE IHRE LESERINNEN! 2022 UNSERE ZUKUNFT MIT AMEISE, SCHMETTERLING UND CO SONDERAUSSTELLUNG BIS 26. MÄRZ 2023 NATURAMA.CH/RESPEKT Naturama Aargau, Feerstrasse 17, 5000 Aarau, naturama.ch
Warum sollen Kinder Philosophieren lernen?
Überfachliche Kompetenzen wie zuhören, geduldig sein oder Kritik ertragen, werden beim Philosophieren mitgelernt.
Von Christoph Buchs
Der Lehrplan 21 enthält den Auftrag, dass Kinder ab dem Kindergarten lernen, über grundlegende Fragen des Lebens nachdenken zu können. Wie ist diese Kompetenz zu verstehen? Inhaltlich geht es um philosophische Themen. Viele denken dabei an abstrakte Texte und Theorien von Platon oder Kant, die schwer zu verstehen scheinen. Damit sollen sich Kinder befassen? Nein, Philosophieren in der Schule und die Fachphilosophie unterscheiden sich stark, teilen aber in gewisser Weise den Ausgangs punkt. Denn auch die wissenschaftliche Philosophie geht ursprünglich von Fragen aus, die allen zugänglich sind; einfach deshalb, weil sie dem menschlichen Leben, Denken und Sprechen entspringen. Bereits Vierjährige verwenden Ausdrücke wie «ich weiss», «das ist wahr/ falsch» oder «das ist gut/schlecht». Solche Ausdrücke verwenden wir im Alltag ganz selbstverständlich.
Sie können aber zum Thema von philosophischem Interesse werden, wenn Erwachsene wie auch Kinder in Situationen geraten, in denen diese Begriffe fragwürdig erscheinen: Die Erde sieht flach aus, aber wir wissen, dass sie rund ist. Wie kann das sein? Das kann zum Weiterfragen führen: Wann weiss man eigentlich etwas zweifelsfrei? Oder Kinder hören von ihren Eltern, es sei schlecht, zu lügen, aber dann «erwischen» sie den Vater bei einer Höflichkeitslüge. Ist es doch manchmal gut, zu lügen? Und weitergefragt: Was sind eigentlich die Entscheidungsmerkmale von gutem Handeln? Das sind Fragen, für die sich auch Kinder interessieren.
Erste Schritte beim Nachdenken-Lernen So fragen zu können, ist bereits eine philosophische Teilkompetenz. Wie der Beitrag über die 5. Klasse zeigt (vgl. S.43), schaffen Lehrpersonen im Unterricht etwa durch das Erzählen von kurzen Geschichten Situatio nen, die Kinder zum philosophischen Fragen anregen sollen. Danach geht es jedoch weiter: Fragen rufen nach Meinungen und Meinungen nach guten Gründen. Diese können wiederum Zweifel, Einwände und Gegengründe hervorrufen. All das tun zu können, heisst Philosophieren können. Es scheint offensichtlich, dass Kinder dies nicht einfach mitbringen, sondern lernen müssen. Das Ziel des philosophischen Unterrichts auf der Kindergarten- und Primarstufe besteht denn auch darin, dass Kinder erste,
basale und ihrem Alter angepasste Schritte im Erlernen und Üben dieser Kompetenzen machen können.
Überfachliche Kompetenzen
Grundlegende Fragen stellen – Meinungen äussern –Einwände formulieren: Philosophieren findet in einem interaktiven Rahmen statt; der gemeinsame Dialog ist zentral. Miteinander ein Gespräch führen können, erfordert auch sogenannt überfachliche Kompetenzen wie geduldig sein, zuhören, etwas auf den Punkt bringen oder Kritik ertragen können. Diese Kompetenzen werden beim Philosophieren quasi mitgelernt und entsprechen Schlüsselkompetenzen wie Kommunikation, Kooperation, Kritisches Denken und Kreativität, die von der OECD als besonders wichtig für das Aufwachsen und Leben im 21. Jahrhundert betrachtet werden (4 K). Die Kinder können diese Fähigkeiten in anderen Fächern, im Klassenleben aber auch ausserhalb der Schule mit Gewinn anwenden.
Für Bildung wichtig
Fazit: Philosophieren ist eine allgemeinbildende Aufgabe für die Volksschule, weil dabei Fragen aufgegriffen werden, die für alle bedeutsam sind, und weil die Kinder dabei Werkzeuge kennenlernen, um mit solchen Fragen erkenntniserweiternd umgehen zu können. Sie lernen dabei, sich im Denken und Handeln mehr und mehr eigenständig zu orientieren.
Zum Thema Philosophieren mit Kindern bietet die gleichnamige Fachstelle der PH FHNW Beratung, Aus- und Weiterbildungen an und führt Entwicklungs- und Forschungsprojekte durch.
CHRISTOPH BUCHS ist Leiter der Fachstelle Philosophieren mit Kindern an der Pädagogischen Hochschule FHNW.
Dieser Beitrag ist im September 2022 in ähnlicher Form bereits auf der Bildungsseite der PH FHNW in Zeitungen von CH Media bzw. der Basler Zeitung erschienen.
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Zukunftspläne für mehrsprachiges Lernen
Das Projekt «Sprachen inklusiv» der PH FHNW will mehrsprachigen Kindern mit besonderem Bildungsbedarf das Lernen im multilingualen Modus eröffnen.
Von Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Sandra Däppen und Simone Kannengieser
Auf dem Bildschirm in der Eingangshalle einer Heilpädagogischen Schule stellt ein*e Schüler*in die Gebärde des Monats vor. Bislang werden die Gebärden in deutscher Sprache untertitelt – bei 18 Sprachen, die in der Schule gesprochen werden. Dieses Beispiel zeigt: Kinder und Jugendliche mit sogenanntem besonderem Bildungsbedarf haben ein hohes Risiko, mit reduzierten Bildungsangeboten an der Entfaltung ihrer Potenziale gehindert zu werden. Während Mehrsprachigkeit für sie oft als überfordernd angesehen wird, gibt es Hinweise aus der Forschung, die in die Gegenrichtung weisen: Frühe Mehrsprachigkeit erleichtert das Lernen weiterer Sprachen; Fähigkeiten, die als Future Skills par excellence gelten, wie kognitive Flexibilität und Perspektivenwechsel, werden durch Mehrsprachigkeit gefördert.
Wenn die Fachperson für Unterstützte Kommunikation mit den Schüler*innen die Gebärde des Monats ab sofort auch in deren jeweiliger Erstsprache untertitelt, wird die
Vielsprachigkeit nicht nur symbolisch wertgeschätzt, sondern es wird sichtbar, dass Mehrsprachigkeit schulisches Lernen unterstützt und die Sprachen der Schüler*innen in den Schulalltag inkludiert werden. Die Regel in Schulhäusern, nur Deutsch zu sprechen, aufzugeben, ist das eine. Das andere ist es, die verfügbaren Sprachen im Unterricht zu nutzen. Aus der Regel «In meiner Schule spreche ich Deutsch» wird das Motto «An unserer Schule sprechen wir alle Sprachen, die wir können».
Mehrsprachige Lernportale und Vorleserunden Diesen Paradigmenwechsel strebt auch eine Klassen lehrperson an einer Sprachheilschule an. Sie bereitet den Mathematikunterricht nach den Sommerferien vor. Mithilfe eines Übersetzungsprogramms hat sie eine Wörterliste in alle in der Klasse vorkommenden Sprachen übertragen: zählen, vorwärts, rückwärts, kommt vor/nach, wegnehmen, ist/wird mehr/weniger, zwischen, zusammen, zerlegen, Nachfolger, Unterschied usw. Das Kompetenzziel, die Begriffe zu verstehen und zu verwenden, wird unterstützt und angereichert: Der alternative sprachliche Zugang kann beim Verständ nis helfen und das mehrsprachige Durchdringen des jeweiligen Konzeptes schafft ein Mehr an Bezügen und Anwendung. Ohne diese Initiative der Lehrperson blieben die Stellen für Zehnerfeld, Zahlenreihe usw. in den arabischen, portugiesischen oder slowakischen
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«Frühe Mehrsprachigkeit erleichtert das Lernen weiterer Sprachen; Fähigkeiten, die als Future Skills par excellence gelten, wie kognitive Flexibilität und Perspektivenwechsel, werden durch Mehrsprachigkeit gefördert.»
Wortschätzen vielleicht leer. Zudem erhalten die Schü ler*innen den Anstoss, generell bei den Rechenvorgängen und Aufgaben weitere Sprachen heranzuziehen. Daran kann sich beispielsweise die Erarbeitung von Themen aus dem Bereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» mithilfe von Erklärvideos in einem mehrsprachigen Lernportal wie zum Beispiel «Binogi» anschliessen.
Während sich in solchen Angeboten individualisiertes selbsttätiges Lernen manifestiert, bahnt eine Schuli sche Heilpädagogin in einer Regelklasse kooperatives Arbeiten an: Im Rahmen der Leseförderung inszeniert sie zweisprachige Lesungen, bei denen etwa Graphic Novels von zwei Personen in zwei Sprachen präsentiert oder Texte mit Sprachenwechseln vorgetragen werden. Beide didaktischen Vorgehensweisen erlauben die Einbeziehung von Sprachen, welche die Lehrpersonen nicht beherrschen.
Aber auch die Sprachendiversität in den Schulteams kann genutzt werden. An einer Primarschule fördert die Logopädin einen serbisch-deutsch-sprachigen Jungen. Ihm fällt das Sprachverstehen schwer – in
beiden Sprachen gleichermassen. Zufällig kann die Klassenassistenz Serbisch und wird in die Verwendung von Piktogrammen eingewiesen, sodass sich deutsche und serbische Versprachlichungen für das Kind mit den Verstehensbrücken verbinden.
Alle im Text genannten Beispiele stammen aus dem Projekt «Sprachen inklusiv», durchgeführt vom Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie der PH FHNW und unterstützt vom Bundesamt für Kultur. Das Projekt will mehrsprachigen Kindern mit besonderem Bildungsbedarf das Lernen im multilingualen Modus eröffnen. Alle Beispiele sind erste Schritte der Umsetzung. Die bereits zusammengetragenen digitalen Medien, Materialien und Ideen für Therapie, Förderung, Unterrichtsgestaltung und Projektarbeit erfüllen noch nicht alle Wünsche für alle Sprachen und Bedarfe – aber sie ermöglichen Lehr- und Fachpersonen, einfach mal anzufangen. Mit einem im Projekt entstehenden Leitfaden erhalten sie eine Grundlage für die Integration von Mehrsprachig keitsförderung in die Förderplanung. www.fhnw.ch/ph/sprachen-inklusiv
Die vier Autorinnen arbeiten am Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie der PH FHNW und bilden das Projektteam von «Sprachen inklusiv». SIMONE KANNENGIESER leitet die Professur Berufspraktische Studien und Professionalisierung. BARBARA ATERAS ist ebenda Dozentin. SANDRA DÄPPEN ist Dozentin an der Professur für Inklusive Didaktik und Heterogenität. SANDRA BUCHELI ist Dozentin an der Professur für Kommunikationspartizipation und Sprach therapie.
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Wie wird das Schulhausareal zu einem Lernort für BNE?
Das Projekt Schulhausareal Agenda 2030 der PH FHNW setzt auf eine partizipative Arealgestaltung durch Kinder und weitere Personen aus den Gemeinden.
Von Pascal Pauli
Lernorte in der Schulhausumgebung – und dabei insbesondere der Schulgarten als Lernort – stos sen seit sechs bis acht Jahren bei Lehrpersonen und Schulen auf wachsendes Interesse. Am Institut Kindergarten-/Unterstufe entstanden in dieser Zeit unterstützende Umsetzungsimpulse, -materialien, Beratungs- und Weiterbildungsangebote. Die grosse Herausforderung für Schulen bleibt jedoch der Umgang mit knappen Ressourcen bei Pflege und Unterhalt. Hier setzt die Idee an, Ressourcen von Personen aus den jeweiligen Gemeinden, wie beispielsweise Senior*innen, bei der Ideenentwicklung und Umsetzung der Gestaltung des Schulareals zu einem gemeinsamen Lern- und Lebensort einbinden.
Befruchtende Mitwirkung von Kindern, Lehrper sonen und Senior*innen in Mümliswil
In einem ersten Schritt machte sich die Schule Müm liswil (SO) im Zeitraum von Herbst 2021 bis Herbst 2022 auf den Weg, einen Teil des Areals von insgesamt 350 Quadratmetern Fläche beim Schulhaus Rank durch Kinder und interessierten Personen aus der Gemeinde naturnah zu gestalten. Im Schulhaus Rank werden vier Klassen des Zyklus 1 unterrichtet.
Es konnten neun Interessierte aus der Gemeinde gewonnen werden – darunter sieben Senior*innen. Parallel hielten die Kinder im Rahmen einer Bestan desaufnahme des Areals fest, was sie an Pflanzen und Tieren kennen und was ihnen gefällt. Die Senior*innen nahmen das Interesse der Kinder auf und bereiteten Möglichkeiten für die Arealgestaltung vor, die sie an der Zukunftswerkstatt in einem ersten Teil mit den Kindern in Gruppen anschauten – so lernen die Kinder einen Möglichkeitsraum in den Bereichen Naturgarten, Nutzgarten, Obst, Tierhaltung und Spielen in der Natur kennen. Im zweiten Teil entwickelten die Kinder in Gruppen anhand von Themenkarten ihre gewünschte Umgebung und bewerteten die Wünsche. Die Kinder bereiteten den Senior*innen mit ihrem Interesse und ihrer engagierten Teilnahme solche Freude, dass diese im Anschluss der Schule konkrete Umsetzungsmithilfe anboten. Die Lehrpersonen waren nach anfänglicher
Skepsis vom Engagement und der Motivation der Senior*innen so begeistert, dass sie alle Ideen in die Unterrichtsplanung aufgenommen haben. So sind im Zeitraum vom April bis Juli 2022 fünf Hochbeete mit thematischer Kräuter-Bepflanzung, zwei Ast- und ein Steinhaufen sowie eine Wildblumen-Wiese realisiert worden. Neben dem Fachwissen haben die teilnehmen den Senioren alles Material für die Vorhaben eigens organisiert. Auch bei der langfristigen Pflege- und Unterhaltsarbeiten sind sie die Ansprechpersonen.
Mehrwert auf verschiedenen Ebenen
Die gemeinsame Gestaltung der Lernorte im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, dies zeigen erste Erkenntnisse, bringt einen Mehrwert auf verschiedenen Ebenen. Einerseits stärkt es bei den Kindern und den mitwirkenden Personen aus der Gemeinde die Identi fikation mit der Schulhausumgebung. Dies generiert Ressourcen und entlastet die Schulhausteams somit bezüglich Pflege- und Unterhaltsarbeiten.
Durch die Umsetzung konnten andererseits auch erste Erkenntnisse gewonnen werden, wie ein Gestaltungsund Mitwirkungsprozess ablaufen kann und damit ein wichtiges Anliegen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) realisiert wird. Schüle*rinnen können so Partizipationsmöglichkeiten erfahren und diesbezüg liche Fähigkeiten entwickeln. BNE geht aber darüber hinaus und in Verbindung mit den Lernorten erhalten die Lehrpersonen Impulse, um nachhaltigkeitsbezogene Themen und Fragen im Unterricht aufzugreifen. So zum Beispiel die Frage «Unkraut – Kraut: Was ist der Unterschied?» in Zusammenhang mit der Kräuter-Be pflanzung oder die Frage «Welches Obst ist das Beste?» Beide Fragen bieten einen vielperspektivischen Blick und die Bearbeitung der Frage zielt ermöglicht vernetzendes Lernen. Ausserdem erlaubt es einen zukunftsgerichteten Blick auf Nachhaltigkeitsthemen, was für eine BNE wesentlich ist.
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PASCAL PAULI ist Projektleiter an der Professur Didaktik des Sachunterrichts am Institut Kindergarten-/ Unterstufe der PH FHNW.
«Lernen findet nicht nur im Klassenzimmer statt»
Roman Renz ging in seiner Bachelorarbeit an der PH FHNW der Frage nach, was Lehrpersonen daran hindert, das Potenzial ausserschulischer Lernorte zu nutzen.
Aufgezeichnet von Virginia Nolan
«Als langjähriges Mitglied der Pfadfinderbewegung machte ich früh die Erfahrung, dass Lernen nicht nur in der Schule stattfindet – gerade, wenn es darum geht, Lebenskompetenzen zu erwerben, die über kognitive Fähigkeiten hinausgehen. Aber, wie ein erfolgreiches Beispiel aus Dänemark zeigt: Auch der ‘normale’ Unterricht kann das Klassenzim mer verlassen. In den Praktika, die ich während des Studiums zur Primarlehrperson absolvierte, stellte ich fest, dass ausserschulische Lernorte jedoch kaum genutzt werden. Die Frage, warum dem so ist, wurde zum Hauptgegenstand meiner Bachelorarbeit an der PH FHNW. Meine Recherchen zeigten, dass die Schulen, an denen ich bisher unterrichtet hatte, kein Einzelfall sind: Regelmässiges ausserschulisches Lernen scheint in der Region Basel kein grosses Thema zu sein. Über mögliche Gründe dafür sollte eine vertiefte Gesprächsanalyse mit drei Primarehrpersonen Aufschluss geben.
Der Lehrplan 21 formuliert Bildung für eine nachhaltige Entwicklung als zentrales Anliegen formuliert. Ausser schulische Lernorte haben in diesem Zusammenhang einzigartiges Potenzial: Sie ermöglichen den Schüler*in nen naturbezogene Erfahrungen, welche ganz und gar im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung stehen. Ausserhalb der Schule findet eine ganzheitliche, unmittelbare Aus einandersetzung der Lernenden mit ihrer räumlichen Umgebung statt: Grössenverhältnisse, Abstände, Höhen und Tiefen, Wetter und Naturphänomene lassen sich in der Kulturlandschaft selbst ermessen – Schüler*innen begegnen dem Lerngegenstand unmittelbar. Diese Primärerfahrung und die Möglichkeit zur Mitgestaltung macht Bildungserfahrungen nachweislich greifbarer, weil Schüler*innen sie sich aus mehreren Perspektiven erschliessen können. Untersuchungen aus Dänemark führen weitere Vorteile an, zeigen beispielweise, dass regelmässiger Unterricht ausserhalb der Schule pro soziales Verhalten und die Motivation beim einzelnen Kind sowie den Zusammenhalt als Klasse fördern.
Warum aber nutzen Lehrpersonen dieses Potenzial vergleichsweise selten? Die Auswertung theoretischer Literatur und meiner eigenen kleinen Stichprobe legt
nahe: Es sind zahlreiche, persönlich und systembe dingte Hindernisse. Die Literatur betont in diesem Zusammenhang etwa den finanziellen und organi satorischen Aufwand für ausserschulisches Lernen, der im Gespräch mit besagten drei Lehrpersonen auch Thema war. Interessanterweise geht die Literatur aber nicht auf Beweggründe ein, die zumindest bei meinen Interviewpartnern vordergründiger zu sein schienen: Leistungsdruck und die damit verbundene Angst, den Lehrplan nicht zu schaffen, oder die Sorge, dass Eltern Kritik am ausserschulischen Lernen üben könnten. Bemerkenswert ist, dass die interviewten Lehrpersonen diese Aspekte nicht per se als persönliche Hinderungs gründe anführten, sondern sie als mögliche Ängste unter Berufskolleg*innen deuteten. Auch scheinen Variablen wie das Alter und Unterrichtserfahrung eine Rolle zu spielen, was eine Studie unter Zürcher Primarlehrer*innen bestätigt: Mehr Unterrichtserfahrung führt auch zu vermehrten Unterricht draussen. Und: Je mehr Lehrper sonen während der Ausbildung mit ausserschulischem Lernen in Berührung kommen, desto eher machen sie später selbst davon Gebrauch– vielleicht ist dies der vielversprechendste Ansatz, um eine wertvolle Ressource in Zukunft besser zu nutzen.»
Roman Renz. zVg.
WEITERBILDUNGEN AN DER PH FHNW
Das Institut Weiterbildung und Beratung (IWB) der PH FHNW hat im Auftrag der «Arbeits gruppe Lehrplan» des Bildungsraums Nord westschweiz vor gut drei Jahren das Portal www.lernorte-nordwestschweiz.ch entwickelt und hält es aktuell. Zudem bietet das IWB auch verschiedene Kurse zu ausserschulischen Lernorten an.
PH-Magazin Nr. 8 2022 DAS HEFT 51 AUS DER PH
PH-Magazin
Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen und Schulleitungen
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«Wir müssen unsere Wahrnehmung stets hinterfragen»
Berfim Pala untersuchte in ihrer Masterarbeit an der PH FHNW, welche Rolle die Erwartungshaltung von Lehrpersonen bei der Diskriminierung von Immigrantenkindern spielt.
Aufgezeichnet von Virginia Nolan
«Ich unterrichte Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe I in Basel. Wenn ich darüber nachdenke, auf welche Future Skills es für Lehrpersonen ankommt, fällt mir eines ein: Wir müssen uns bewusstmachen, welchen Einfluss unsere subjektive Wahrnehmung auf das Selbstbild und die Leistungen von Schüler*innen hat. Ob sie ihr Potenzial ausschöpfen können, hängt erheblich davon ab, mit welcher Werte- und Erwartungshaltung wir ihnen begegnen. Letztlich geht es dabei auch um Chancen gleichheit, dem Hauptgegenstand meiner Masterarbeit an der PH FHNW, die den wissenschaftlichen Diskurs dazu mit der Realität abgleicht. Anhand eines Fallbei spiels zeige ich unter anderem auf, wie Schüler*innen mit Migrationshintergrund Diskriminierung erleben, und dass die Rolle der Lehrperson dabei von zentraler von Akteur*innen im Bildungssystem aus, die, wie Untersuchungen zeigen, mit Schulschwierigkeiten von Immigrantenkindern geradezu rechnen – und sie dann oft einem ‘Kulturkonflikt’ zuschreiben. So wird die durch Schüler*innen erlebte Diskriminierung seitens Schule häufig in Gefährdung übersetzt.
An dieser Stelle betont die Forschung die zentrale Rolle der Lehrperson, deren Erwartungshaltung einem Kind gegen über in direktem Zusammenhang mit dessen schulischer Laufbahn steht. Die Psychologie erklärt diesen Effekt damit, dass Schüler*innen automatisch versuchen, den ihnen entgegengebrachten Erwartungen zu entsprechen und die ihnen zugewiesene Rolle übernehmen. Der in meiner Masterarbeit analysierte Fall zeigt dies am Beispiel der schulischen Odyssee eines Immigrantenkindes, das je nach Lehrperson als lernbeeinträchtigt bis hin zum Anwärter fürs Gymnasium eingestuft wurde –und in der Interaktion mit der jeweiligen Person auch die von ihm erwarteten schlechten oder sehr guten Leistungen erbrachte. Die damit verbundenen Hürden meisterte besagter Jugendlicher dank eigenem Einsatz und dem seiner Mutter, die durch ihren beruflichen Hintergrund über das Schweizer Bildungssystem sowie externe Fachstellen orientiert war, deren Ressourcen sie nutzte. Ihr Sohn ist heute als Arzt tätig, was nicht zuletzt der Beharrlichkeit der Mutter zu verdanken ist – und ihrer Expertise, eine Ressource, die viele Immigrantenfamilien nicht aufbringen können. Was ich aus meiner Masterarbeit mitnehme: Es ist zentral, dass wir Lehrpersonen unsere subjektive Wahrneh mung stets hinterfragen und uns ihrer Wirkung auf die Entwicklung der Lernenden bewusst sind. Gelingt das, sind wir dem Ideal der Chancengerechtigkeit ein Stück nähergekommen.»
KOLLOQUIUM «QUALIFIKATIONS ARBEITEN ZU DIVERSITÄT»
In loser Folge werden im HEFT Qualifikationsarbeiten aus einem neuen, studiengan gübergreifenden Kolloquiumsformat der PH FHNW vorgestellt. Das Kolloquium bietet Studierenden, Dozierenden und Forschenden einen gemeinsamen Reflexionsraum zum Austausch über Diversität und den damit verbundenen Transformationspotenzialen für das Bildungsfeld. Das Projekt verfolgt zudem die Zielsetzung, das Themenfeld Diversität als wichtiges Querschnittsthema für die Professionalisierung von Lehrpersonen sichtbarer zu machen. Dieses Projekt wird im Rahmen der Diversity Strategie der PH FHNW umgesetzt.
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PROGRAMMMIEREN GEGEN DAS CHAOS
Mark Weisshaupt, Lernwerkstatt SPIEL
«Robo Rally» ist ein Klassiker im Genre der «Programmierspiele». Was zeichnet diese aus? Statt zu würfeln und zu setzen, wird die eigene Spiel figur immer wieder mit einer stets neu auszuwählenden Abfolge von Befehlskarten programmiert (z.B. «geh 2 Felder vorwärts», «dreh Dich nach links», «wiederhole die letzte Bewegung», «geh 1 Feld rückwärts»). Alle versuchen, die eigene (Roboter-) Figur auf dem Feld um Hindernisse herum als erste in Richtung Ziel zu steuern. Weil alle Spielenden jedoch
klug und robust zu programmieren, um dann möglicherweise dennoch zu scheitern, da man nicht alles richtig antizipieren kann. Zugleich werden das Arbeitsgedächtnis und die räumliche Vorstellung gefordert, um die eigenen Schritte und die Blickrichtung folgerichtig zu programmieren. Zwei bis sechs Spieler können sich mit zunehmen dem Chaos- und Lustfaktor in dem futuristisch-industriellen Setting tummeln.
Im Spiel und auf dem variabel auf baubaren Feld gibt es viele weitere, teilweise optionale, Elemente, die zum Spielspass und zum Komple xitätsgrad beitragen können: etwa betretbare Förderbänder, die die Roboter selbsttätig weiterbewegen, Laserbeschuss und entsprechende Schadenskarten, die in der Folge die eigene Programmierung schwieriger machen oder kaufbare Upgrades für den eigenen Roboter. Die Spieldauer kann, nicht zuletzt abhängig von der gewählten Größe der Spielfläche, Anzahl der Zielpunkte und der Spieleranzahl von 30 Minuten bis hin zu einem ganzen Nachmittag selbst eingestellt werden.
VIRTUELLE ZEITREISEN MIT «ASSASSIN’S CREED»
Judith Mathez, Beratungsstelle Digitale Medien in Schule und Unterricht – imedias
Es braucht einiges an Vorwissen, um sich das Leben in vergangenen Epochen lebhaft vorstellen zu können. Wie verlockend wäre da eine Zeitma schine, die uns ein Eintauchen in die Vergangenheit ermöglichen würde.
gleichzeitig programmieren, wissen sie nicht, wie die anderen Roboter sich gleich bewegen werden. Wenn sich nach der Programmierphase dann alle Figuren Schritt für Schritt in Bewegung setzen, kommen sich die Roboter des Öfteren ins Gehege und schieben sich gegenseitig von der geplanten Bahn. Damit passt der verbliebene Rest der fünfschrittigen eigenen Programmierung natürlich nicht mehr zur aktuellen Positi onierung, wird aber dennoch bis zum Ende ausgeführt. Chaos ist programmiert. Man läuft dann beispielsweise gegen Wände, in die falsche Richtung, oder stürzt gar in Fallgruben.
Die Lust des Spiels besteht gerade darin, das mögliche Chaos zu anti zipieren, seine Figur entsprechend
Das Spiel ist in der aktuellen Fassung von Avalon Hill etwas leichter zu gänglich als in früheren Versionen. Wenn die Programmierung noch etwas weniger komplex sein soll, dann bieten sich als Alternativen z.B. «Colt Express» (mit Western Setting) für die ganze Familie oder «Code & Go Maus-Mania», für die Jüngeren an.
«Robo Rally», ab 12 Jahren, von Richard Garfield, Avalon Hill
«Colt Express», ab 10 Jahren, von Christophe Raimbault, Ludonaute
«Code & Go Maus-Mania», 5 bis 9 Jahre, bei Learning Resources
Die Gamereihe «Assassin’s Creed» kommt diesem Erlebnis verblüffend nah. In grossen Spielwelten kann man historisch bedeutsame Orte und Gegenden ausgiebig erkunden, beispielsweise das alte Ägypten, das antike Griechenland oder Nordeuropa während der Wikingerzeit. Die Spiele sind gemäss aktuellen historischen Erkenntnissen gestaltet, was Land schaft und Tierwelt, Architektur, Handwerk und Alltag angeht. Im eigens entwickelten Spielmodus «Discovery Tour» lassen sich die Spielwelten in Ruhe und absolut gewaltfrei erkunden.
Zusätzlich sind pädagogisch aufbe reitete Hintergrundinformationen eingefügt. In Olympia erfährt man während des Erkundungsgangs über die belebte und mit Fahnen geschmückte Anlage vieles über den Ablauf der olympischen Spiele, die antiken Disziplinen und bedeutsame Personen. Auch Abbildungen von Artefakten wie bemalte Tongefäs se oder Münzen mit Abbildungen der Athleten fehlen nicht, ebenso wenig wie ein kurzes Quiz am Ende jeder Entdeckungstour. Hätten Sie gewusst, welche Frau – trotz Teil
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SPIEL- UND LESETIPPS
SPIEL-
nahmeverbot an den Spielen – als erste Olympiasiegerin gilt? Es ist die spartanische Königstochter Kyniska, die aus dem Wagenrennen mit dem Vierergespann 396 und 392 v. Chr. als Siegerin hervorging, weil sie die Besitzerin der Pferde war. Aber auch ein freies Herumstreifen ist möglich. So lassen sich mit etwas Geduld im Griechenland des 4. Jh. v. Chr. Delfine und sogar Löwen entdecken.
Die Spiele mit der Möglichkeit, interaktiv historische Welten zu erkunden, eignen sich auch für den Einsatz im Unterricht ab dem Zyklus 2. Die Gamewelten stellen dabei virtuelle Lernorte dar.
Die Spiele der Reihe, für Gamekon solen oder PC, sind auf deutsch ver fügbar und kosten rund 20 Franken.
«Assassin's Creed», Ubisoft
für seine Badehose und er schämt sich nicht nur vor seinem Freund, sondern vor der ganzen Welt. Als Nits seinem Freund die eigenen Ersparnisse schenken will, wird Mischa richtig böse, spricht eine Zeitlang kaum mehr ein Wort. Nits wird bewusst, wie schwierig es ist,
IMPRESSUM
«das HEFT» – das Magazin der Pädagogischen Hochschule FHNW erscheint zweimal jährlich, 4. Jahrgang, Nr. 8, Oktober 2022, www.fhnw.ch/ph
Herausgeberin: Pädagogische Hochschule FHNW
Verantwortlicher Redaktor: Marc Fischer
Autor*innen dieser Ausgabe: Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Christoph Buchs, Sandra Däppen, Marc Fischer, Sabine Goldhahn, Michael Hunziker, Simone Kannengieser, Kathrin Kochs, Judith Mathez, Guido McCombie, Solange Morel, Dominik Muheim, Virginia Nolan, Pascal Pauli, Ricarda T.D. Reimer, Alexander Repenning, Maria Riss, Mark Weisshaupt
Bildessay: Dora Freiermuth
Fotograf*innen dieser Ausgabe: Lukas Buser, Marc Fischer, Claude Hurni, Christian Irgl, Barbara Keller
Gestaltung: HinderSchlatterFeuz, Zürich
Druck: Sprüngli Druck AG, Villmergen AG
Inserate: print-ad kretz gmbh, Austrasse 2, 8646 Wagen, Tel. 044 924 20 70, Fax 044 924 20 79, E-Mail: info@kretzgmbh.ch
SPANNENDER PLOT ZU AKTUELLEM THEMA
Maria Riss, Zentrum Lesen
Seit dem Kindergarten sind Mischa und Nits beste Freunde. Aber jetzt ist Mischas Vater verschwunden, seit zwei Tagen schon. Mischa hat grosse Angst und muss sich zudem um seine kleine Schwester kümmern. Nits will seinem Freund helfen und besucht ihn deshalb zum ersten Mal in dessen Wohnung.
Was Nits da sieht, verschlägt ihm die Sprache: In der Wohnung gibt es keine Möbel, keine Spielsachen, nur Matratzen und einen leeren Kühlschrank. Und Mischa erzählt seinem Freund endlich von der Armut, von den vielen Notlügen, von seinem zwar liebevollen, aber völlig überforderten Vater. Aber am meisten spricht Mischa von seiner riesengrossen Scham. Er schämt sich für seinen alten Rucksack, die leere Wohnung, er schämt sich
Betroffenen zu helfen, ohne dass diese ihre Würde verlieren. Das Buch beschreibt ein ernsthaftes, aktuelles Thema. Zugleich ist es aber auch ein spannender Krimi und eine Geschichte darüber, wie wichtige gute Freunde sind. Das Buch liest sich leicht, weil der Plot sehr spannend ist und die Autorin es versteht, schwierige Dinge in einer einfachen, aber niemals vereinfa chenden Sprache auszudrücken. Ein wunderbares Buch, das sich sehr gut zum Vorlesen eignet und unbedingt in jede Schulbibliothek gehört.
Stefanie Höfler, «Feuerwanzen lügen nicht» Beltz 2022
Weitere Lesetipps gibt es unter: www.zentrumlesen.ch
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Postadresse: Pädagogische Hochschule FHNW, Kommunikation, Bahnhofstrasse 6, 5201 Windisch, 056 202 72 60
Auflage: 7000 Exemplare Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck von Artikeln nur mit Genehmigung der Redaktion.
ISSN 2624-8824
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UND LESETIPPS
Katzen-Pfeffer
werden auf den Smartphone-Bildschirm geböllert, Schre ckensnachrichten überdecken das bunte Blumenfeld, das wir uns als Hintergrundbild eingerichtet haben. Nicht so bei meinem Grossvater. Schon als das erste Nokia auf den Markt kam, hat er verkündet: «Handy? Ha! Da mach ich nicht mehr mit.»
Auch ich ertappe mich hin und wieder bei ähnlichen Gedanken. Warum soll ich mir noch neue «Skills» an eignen? Warum nicht einfach Zukunftsverweigerer und zynischer Pessimist werden? Ist doch viel angenehmer! Besonders in der Schweiz, dem «Disneyland Europas», wie eine Oberstufen-Schülerin unser Land mal nannte. Sie war Teilnehmerin einer meiner Schreib-Workshops. Metapher-geladen beschrieb sie, wie sie sich gerne in ein farbiges Gummi-Böötli setzen möchte: Sich einfach den Strom runtertreiben lassen mit Eistee, Sonnenbrille und Boombox und dabei sämtliche Wasserfälle ignorieren, die das Böötli früher oder später in die Tiefe reissen könnten. Schön oder? Zynischer Pessimismus macht Spass! Aber bringt er mich nachhaltig weiter?
Dominik Muheim schreibt über Skills seines Grossvaters – und denkt dabei über «Future Skills» nach.
Von Dominik Muheim
«Weisst du, Dominik», hat mein Grossvater zu mir gesagt, als ich mit zarten neun Jahren im Garten einem Büsi über den Kopf gestreichelt habe, «wir hatten früher auch Katzen. Aber nicht zum Streicheln, sondern zum Fressen.» Dann hat er sich im Gartenstuhl zurückgelehnt, die Beine überschlagen, das Bierfläschli geöffnet und von seiner Kindheit erzählt. Und Büsi und Bub, unschuldig wie wir waren, sassen im frischgemähten Gras und haben mit grossen Ohren und Augen gelauscht, wie es damals war, als die Verhältnisse so schlecht waren und das Essen so knapp wurde, dass sich mein Grossvater (selber noch als Schul-Bub) ganz unvorstellbare Skills aneignen musste: Streunende Katzen zu jagen, auszunehmen und zu kochen, war einer davon. Klingt makaber, ist aber wahr. Genau so wahr, wie die Veränderungen, denen wir nonstop ausgesetzt sind. Und ich bin sehr froh, dass sich Dinge ändern und ich mir nie Katzen-Kill-Skills aneignen musste. Mein Grossvater, der diese Geschichte heute noch erzählt, hat das Rezept «Katzen-Pfeffer» zur Sicherheit trotzdem digitalisiert. «Wer weiss», meinte er bedeutungsschwanger, als er mir den Speicherstick überreichte.
Seit seiner Kindheit ist vieles besser geworden. Schade nur, dass auch einiges schlechter wurde. Schade, dass sich dies nur schlecht ignorieren lässt. Push-Nachrichten
Was mich manchmal weiterbringt, sind Poe try-Slam-Workshops, wie ebenjener, indem dieser Text entstanden ist. Die Texte der Jugendlichen haben sich in letzter Zeit verändert. Sie sind kritischer, politischer und wütender geworden. Das Feuerwerk an Ideen und Energie, das aus gewissen Texten zischt, inspiriert mich gröber. Und vielleicht sind es solche «Future Skills», die wir brauchen: Kreativität, Handeln auf Eigeninitiative, Lösungen suchen.
Gut, diese Skills brauchte mein Grossvater auch schon bei der Katzen-Jagd. Trotzdem sagt er mittlerweile: «Ha! Da mach ich nicht mehr mit.» Aber mein Grossvater ist 92, er hat seine Kämpfe ausgetragen. Leider gibt es weit Jüngere, die stur Ähnliches von sich geben und sich mit verschränkten Armen und finsterer Miene im farbigen Böötli treiben lassen.
Doch wer auf diese Art und Weise nicht mehr mitmacht, ärgert sich irgendwann nur noch. Und was ist schon alter Ärger im Gegensatz zu junger Wut?
$plkm21§. Ui. Gerade ist mir mein Büsi auf die Tastatur gehüpft. Es hat Hunger. Ich auch. Keine Angst: Das «Katzen-Pfeffer-Rezept» bleibt, wo es ist.
DOMINIK MUHEIM ist Spoken-Word- und Slam- Poet und Kabarettist. Zudem leitet der an der PH FHNW ausgebildete Primarlehrer Schreib-Workshops und organisiert Kulturver anstaltungen.
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KOLUMNE
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