substanz FHS St.Gallen - Nr.1/2019

Page 38

Brennpunkt – substanz goes international

Interkulturelle Kompetenz –

braucht man das?

Essay* Eine asiatische Austauschstudentin antwortet auf Fragen im Unterricht kaum. In der Prüfung schreibt sie lediglich ein, zwei Sätze pro Aufgabe und fällt durch. Der Dozent hat schon länger den Eindruck, dass asiatische Studierende kaum etwas k ­ önnen. In der multikulturellen Projektarbeit ärgern sich die Schweizer Studierenden mehr und mehr, weil sich ihre Teamkolleginnen und -kollegen aus Spanien kaum an Termine und vereinbarte Zeiten halten. Kommen Ihnen solche Situationen bekannt vor? Was ist geschehen? Die Antwort ist überraschend einfach und gleich­ zeitig komplex. Einfach, weil verschiedene Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen aufeinander­ treffen und sich alle «so wie immer» verhalten. Komplex, weil Kultur vielschichtig und kaum fassbar ist, uns jedoch massgeblich beeinflusst.

nehmung, unsere Kommunikation und unsere Denkweise. Das gilt für alle Menschen dieser Erde, nur eben je nach Sozialisierung anders. Kultur vermittelt Bedeutung, gibt Sicher­ heit und Orientierung. Sie definiert unsere Komfortzone, innerhalb derer wir gemäss unserer Normalvorstellung handeln. Alles, was ausserhalb dieser Komfortzone liegt, wird als «fremd» und eher störend wahrgenommen. Jeder Mensch ist kulturell geprägt und bringt seine Art und Weise in eine Interaktion mit ein. Unbewusst wird angenommen, dass der andere gleich tickt. Das trifft aber in interkulturellen Situationen nicht zu. Daher kommt es meist zu Missverständ­ nissen. Arbeiten wir mit kulturell anders geprägten Personen zusammen, sind wir in unserer Komfortzone gefordert.

Kultur definiert Komfortzone

Kultur beeinflusst Wahrnehmung

Gehen wir der Sache auf den Grund und betrachten wir zunächst Kultur und ihre Auswirkung auf eine Inter­ aktion genauer. Kultur umfasst Werte, Glaubenssätze und Grundannahmen einer Gruppe von Menschen, zum Beispiel einer Nation, einer Religion oder einer Altersgruppe. Diese beeinflussen unser Verhalten, unsere Wahr-

In den genannten Beispielen agieren alle aus ihrer eigenen kulturellen Prägung heraus, obwohl sie sich in einer kulturellen Überschneidungssituation befinden. Das ist menschlich. Für die asiatische Austauschstudentin ist es herausfordernd, direkt angesprochen zu werden. Um sich auszudrücken, braucht sie weniger Worte und zieht

38

SUBSTANZ

den Kontext mit ein. Der Dozent hingegen ist es gewohnt, dass Antworten begründet werden. Er verlässt sich auf das Wort. Daher nimmt er wahr, dass asiatische Studierende weniger können würden. Für die Schweizer Studierenden ist Pünktlichkeit wesentlich. Stossen sie auf ein anderes Zeitverständnis, beginnen sie sich zu ärgern. In Spanien aber wird mit Zeit flexi­ bler umgegangen.

Interkulturalität als Normalfall Was diese Personen erleben, passiert tagtäglich überall auf dieser Welt und in allen Tätigkeitsgebieten. Wir leben in einer multikulturellen interdependenten, globalen und zunehmend digi­talisierten Welt, in der Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung miteinander im Austausch sind. Interkulturalität ist nicht mehr das Besondere, sondern der Normalfall. Obwohl Interkulturalität an Beachtung gewonnen hat, ist die bewusste Beschäftigung damit noch keine Selbstverständlichkeit. Wer jedoch im beschriebenen Umfeld kulturübergreifend wirksam arbeiten möchte, benötigt interkulturelle Kompetenz. Sie ist die Basis für das effektive und angemessene Handeln, wenn sich kulturell unterschiedliche Menschen zielführend begegnen wollen.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook

Articles inside

Nach dem Spital lieber daheim statt im Heim

4min
pages 56-57

Hilfe Alexa, ich bin in Not

11min
pages 58-64

Impressum

3min
pages 65-68

Mit einem Simulator zur Work-Life-Balance

3min
pages 52-53

Mit der Bestellliste zwischen 100 Schubladen

2min
pages 50-51

Digital Human Work» – eine Utopie?

4min
pages 48-49

Die Japaner denken sehr mutig

11min
pages 40-47

Wo die Schweiz «Luxembourg City» heisst

4min
pages 32-33

Die Welt ist zu einem Dorf geworden

1min
page 37

Zum grossen Finale nach Pittsburgh

4min
pages 34-36

Interkulturelle Kompetenz – braucht man das?

4min
pages 38-39

Slowenien lernt vom Fachbereich Gesundheit

2min
page 27

Mit einem Plan im Gepäck

4min
pages 18-21

Digitale Reise durch drei Länder

4min
pages 24-26

Internationalität ist eine Frage der Kultur

6min
pages 10-13

Bier, BMW und Bytes in Bayern

3min
pages 28-31

In fremde Kulturen abgetaucht

4min
pages 14-15

Vier Menschen, vier Wände

3min
pages 22-23

Das International Office der FHS St.Gallen

0
pages 16-17
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.