FURIOS 27
Wenn die Angst überhandnimmt Das Herz klopft, Gänsehaut macht sich am Körper breit und der Atem stockt – Angst ist eine Emotion, die wir alle kennen. Doch was, wenn Angst zum ständigen Begleiter wird? Wie sich Angststörungen anfühlen und warum so viele Studierende unter ihnen leiden.
zittere ich, kriege schlecht Luft und habe Herzrasen. Ein paarmal dachte ich schon, das sei ein Herzinfarkt, und habe einen Krankenwagen gerufen. Ich dachte, ich würde sterben.«
Es war an einem Sommerabend im Freiluftkino. Zoé guckte in den dunklen Nachthimmel. Sie erblickte eine Sternschnuppe, doch anstatt sich etwas zu wünschen, bekam sie es mit der Angst zu tun. Kam die Sternschnuppe immer näher? Würde gleich ein Meteorit einschlagen? In der Zeit danach träumte sie jede Nacht davon, dass die Welt untergeht. Zoé erinnert sich noch gut an die Anfänge ihrer Angststörung, damals war sie 18. Heute ist sie 26 Jahre alt und studiert Geschichte und Politikwissenschaft an der FU. Seit dem Abend im Freiluftkino begleiten sie Angstzustände in ihrem Leben. An einem Café vorbeilaufen, in einer vollen U-Bahn sitzen oder eine fremde Person anrufen – was für andere alltägliche Aktivitäten sind, ist für Zoé nur schwer möglich. »Ich habe immer das Gefühl, dass irgendwo eine Gefahr lauert und ich aufpassen muss«, erzählt sie.
Einen großen Anteil ihrer Angststörung machen bei Zoé soziale Phobien aus. Sie erklärt, mit Menschen in Kontakt treten zu müssen, löse bei ihr Unbehagen aus. »Ich darf nicht so lange unter zu vielen Menschen sein und brauche immer wieder Zeit, um durchzuatmen. Ich passe auf, dass ich nur mit Leuten unterwegs bin, die empathisch sind und bei denen ich mich wohlfühle.« Ängste sind unter Studierenden an der FU keine Seltenheit – das zeigt der University Health Report aus dem Jahr 2021. In der Onlinebefragung gaben 38 Prozent der befragten Studierenden an, unter Symptomen einer Angststörung zu leiden. Erfragt wurden Symptome wie »Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung« sowie ein »Mangel an Kontrolle über die eigenen Sorgen«. Diese Ergebnisse sind zwar nicht mit diagnostizierten Angststörungen gleichzusetzen, doch auch der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse im Jahr 2015 lieferte schon Hinweise darauf, dass Studierende, verglichen mit jungen Erwerbstätigen, verhältnismäßig oft unter Angsterkrankungen leiden. Aber woran liegt das?
Eigentlich ist Angst etwas ganz Normales. Sie soll uns davor schützen, Gefahren einzugehen, und ist somit lebensnotwendig. Treten diese Ängste übermäßig auf, sodass die Lebensqualität eingeschränkt wird, spricht man von einer Angststörung. Unterscheiden lassen sich generalisierte Angststörungen, Panikstörungen und Phobien. Während bei Phobien spezifische Situationen Besorgnis erregen – wie beispielsweise bei der sozialen Phobie, wo alltägliche soziale Interaktionen zur Belastung werden –, treten bei der generalisierten Angststörung eher diffuse Ängste auf. Die Panikstörung dagegen beschreibt das Auftreten massiver Panikattacken, die mit starken körperlichen Symptomen wie Herzrasen und Schwindel einhergehen.
So würden körperliche Schmerzen nach einem Unfall auf die Psyche schlagen. Umgekehrt reagierten auch Organe auf psychische Belastungen, wofür Magen-Darm-Probleme ein typisches Beispiel seien.
»Bei Studierenden fehlen oft Strukturen, die Sicherheit geben«, erklärt Reysen-Kostudis. Durch ihre Tätigkeit als psychologische Beraterin an der FU kennt sie die individuellen Sorgen der Studierenden, aber auch die Bedingungen des Studiums, die diese auslösen. So sei das große Maß an Selbstorganisation und oft fehlender Rückmeldung seitens der Lehrkräfte ein Auslöser für Ängste: »Studierende haben häufig dieses Gefühl: Ist das gut genug gewesen? Sollte ich die Hausarbeit nicht doch noch mal verbessern?« Diese ständige Unklarheit, ob die erledigte Arbeit auch wirklich reiche, führe bis hin zu Ängsten, das Studium nicht zu schaffen. Hohe Durchfallquoten bei wichtigen Prüfungen, wie beispielsweise bei den juristischen oder pharmazeutischen Studiengängen, verstärkten diese Tendenz noch. In geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern kämen Ängste jedoch nicht seltener vor. Denn gerade bei Studiengängen ohne festes Berufsbild gebe es oft Zweifel, ob man gut genug oder überhaupt fähig sei, ins Berufsleben einzutreten. »Studierende schätzen sich oft sehr viel kritischer ein als es der Realität entspricht«, merkt Reysen- Kostudis an.
So schildert auch Zoé, wie sich das Zusammenspiel von Psyche und Körper bei ihr auswirkt: »Wenn ich Angst habe, dann werde ich müde und schlapp und kann mich nicht bewegen.« Während andere bei Aufregung Herzklopfen bekommen, hat Zoé das Gefühl, ihr Herz bliebe stehen. Anders ist das, wenn Zoé eine Panikattacke hat: »dann
Verantwortlich für die Ängste der Studierenden ist laut Reysen- Kostudis aber auch das »Dazwischen-Sein«, was im Fachjargon als prolongierte Adoleszenz bezeichnet werde. Das heißt: Studierende müssten zwar oft schon ähnlich viel Verantwortung übernehmen wie Erwerbstätige, begegneten dabei aber vielen nicht altersgemä-
Die Angststörung gilt zwar als psychische Krankheit, doch für Diplompsychologin Brigitte Reysen-Kostudis, Mitarbeiterin an der psychologischen Beratungsstelle der FU, ist klar:
»Körper und Psyche können nicht getrennt werden, das gehört immer zusammen.«
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