Furios 27 - Körper

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FURIOS 27

Körper im Widerstand Der Körper ist nicht nur häufig Gegenstand von, sondern auch Mittel zum Protest. Dabei machen sich Aktivist*innen auch angreifbar. Wie stark kann die eigene Körperlichkeit Teil von zivilem Ungehorsam sein?

gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu protestieren. In Hongkong und Belarus haben Menschen aus Protest gegen ihre Regierung öffentliche Plätze eingenommen und auch an der FU haben Studierende zivilen Ungehorsam in Form von Hörsaal-Besetzungen genutzt, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen – so zum Beispiel in der ›Klimastreikwoche‹ im November 2019. Doch was ist ziviler Ungehorsam und was macht ihn so körperlich?

Auf der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow hat Sophie 2021 gemeinsam mit anderen Aktivist*innen eine Straße blockiert. Mit Fahrradschlössern aneinander gekettet, auf der Straße sitzend, musste sie ruhig bleiben und ihren Mitstreiter*innen, die sie vor der Aktion kaum kannte, vertrauen. Sophie, die neben ihrem Klimaaktivismus an der FU studiert, musste für diese Aktion eine Nacht in Polizeigewahrsam. Besonders prägend sei für sie der Moment gewesen, in dem die Tür zuging und sie erkannte, dass an der eigenen Seite kein Griff vorhanden war, in dem sie merkte, dass sie bis auf einen Anruf, eine Decke und Wasser kaum mehr Rechte hatte. Dieser Moment, in dem sie nicht mehr frei auf die eigenen körperlichen Bedürfnisse reagieren konnte.

In der langen Geschichte des zivilen Ungehorsams finden sich sowohl individuelle Held*innenfiguren als auch kollektive Praktiken des Widerstands: Antigones individueller Aufstand gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen der Antike ist ebenso ziviler Ungehorsam wie die von Mahatma Gandhi und Martin Luther King angeführten Massenbewegungen gegen Kolonialismus und Rassismus im 20. Jahrhundert. Ziviler Ungehorsam sei eine »kollektive Praktik, deren spezifische Form sich erst im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat, auch weil erst dann politische Systeme entstanden sind, die sich dezidiert als demokratisch verstanden haben«, erklärt Robin Celikates, Professor für Sozialphilosophie an der FU. Diese Wendung habe eine Anpassung von zivilem Protest erfordert, da demokratische politische Systeme im Prinzip nun Legitimität beanspruchen konnten. Mit zivilem Ungehorsam solle nun nicht mehr – wie im Widerstand gegen Tyrannei – das ganze System gestürzt, sondern auf eine weitere Demokratisierung hingearbeitet werden werden. Heute finde sich diese Art des Protests auch in prodemokratischen Bewegungen in autokratischen Regimen wieder, wie der Arabische Frühling oder die Proteste in Russland im Frühjahr zeigten.

Sie erzählt von der Wut, die sie empfunden habe angesichts dieser Ungerechtigkeiten im Umgang mit der Klimakrise. Denn mit ihrer Sitzblockade – einem eigentlich kleinen Delikt –, welche Geschäftsführer*innen und Politiker*innen von einem schicken Abendessen in Glasgow abhielt, haben sie und ihre Mitstreiter*innen lediglich gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen.

Sophie begreift ihren eigenen Körper im Aktivismus vor allem als »erweitertes Mittel der Demokratie.« Es gehe darum, auf die globalen und vielschichtigen Ungerechtigkeiten hinzuweisen, die die Klimakrise bereits verursacht hat und zukünftig auslösen wird. »Das zeigt ja die Verzweiflung. Der letzte Weg, den wir haben, ist, unseren Körper zu nutzen, denn mehr bleibt uns nicht.«

©Illustration: Nina Schlömer

Wenn Sophie aktivistisch tätig ist, dann ändere sich ihr Körperempfinden. Als sie, zusammen mit anderen Aktivist*innen der Gruppe Ende Gelände, durch eine Sitzblockade gegen den Braunkohleabbau protestierte, habe sie auf Grundbedürfnisse, wie den Gang zur Toilette oder die Menstruation, kaum achten können. Deshalb sei es bei solchen Aktionen noch wichtiger als sonst, auf den eigenen Körper zu hören. Im schlimmsten Fall könne ein Heraustreten aus der Gruppe dazu führen, dass die eigene Identität preisgegeben werden muss. Sophie sei bei diesen Formen des Protests sehr unter Spannung und stelle sich dann auch mal die Frage: Schaffe ich das, schafft mein Körper das?

»Ich wusste, ich habe jetzt eine richtige Scheißnacht und mich wird das richtig prägen, aber immerhin habt ihr keinen Kaviar gegessen.« »Eine körperliche Forderung nach besseren Lebensbedingungen« – so beschreibt die US-amerikanische Philosophin Judith Butler den Einsatz des eigenen Körpers als Form des politischen Protests. Vor dem Bundestag formte sich jüngst ein Teppich aus Menschen, um

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