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Ein großzügiger Grenzoffizier .................................................................................. 4
Es steht fest, stellt die Autorin klar, den Schießbefehl an der Grenze hat es gegeben, und er wurde ausgeführt, aber es haben auch viele Zivilisten ihr Leben verloren. Wo bleibt da die Justiz, fragt sie.
1941: Die erste Fluchtwelle
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Meyers Großes Taschenlexikon umschreibt Flucht als Ausweichen vor einer drohenden Gefahr durch schnellen Ortswechsel. Menschen fliehen vor Feuer, Wasser oder Krieg. Aber sie flüchten auch vor totalitären Regimen, die sie mit Kerker, Folter oder sogar mit dem Tod, mit der Vernichtung im Lager bedrohen. Die großen Fluchtbewegungen des 20. Jahrhunderts setzen schon vor dem Zweiten Weltkrieg ein. Die erste Fluchtwelle aus Rumänien in Richtung Westen beginnt 1941. Stalin erhält nach Absprachen mit dem Deutschen Reich das Buchenland und Bessarabien. 1812 tritt das Osmanische Reich Bessarabien an Russland ab. Nach dem Ersten Weltkrieg wird das damals hauptsächlich von Rumänen bewohnte Gebiet Rumänien zugesprochen. Wer von den Bessarabiern Stalin fürchtet, geht 1941 nach Rumänien, aber auch nach Deutschland. Die Grenzgänger werden über das ganze Land verteilt. 1942 besetzt Rumänien diese Territorien, 1944 marschieren Stalins Truppen wieder ein. Eine neue Fluchtwelle aus dem Buchenland und Bessarabien ist die Folge. 1941 wurden Mazedo-Rumänen aus dem Pindosgebirge in Bulgarien nach Bessarbien und ins Buchenland umgesiedelt. Auch sie werden vor den Sowjets nach Rumänien flüchten. Zar Alexander I. hatte Anfang des 19. Jahrhunderts in Bessarabien, das sich zwischen den Flüssen Dnjestr, Pruth und Donau nördlich des Schwarzen Meeres ausdehnt, deutsche Kolonisten angesiedelt: Ulmer Schiffsleute bringen im Jahr 1817 mehr als 5500 Siedler donauabwärts in diese Region. Im Zweiten Weltkrieg lässt Hitler nach Absprache mit Stalin die 92 000 BessarabienDeutsche „heim ins Reich“ holen. Die beschönigende Bezeichnung verbirgt, dass es sich bei der Umsiedlung der Schwarzmeer- und Bessarbien-Deutschen um ein Exempel für ethnische Vertreibung und Säuberung handelt. Auch die Eltern des jetzigen Bundespräsidenten Horst Köhler stammen beispielsweise aus Bessarabien. Auch seine Familie hat damals ihre Heimat aufgegeben. 1944 holt die Geschichte auch die anderen Deutschen in Rumänien ein. Im Sommer und Herbst 1944 flüchten nicht nur Rumänen, sondern auch viele der rund 500 000 Deutschen aus Rumänien, die im Banat, in Siebenbürgen und im Sathmarer Land zu Hause sind, ferner viele aus Jugoslawien und Ungarn im Schutz der Deutschen Wehrmacht vor der nahenden Sowjetarmee in Richtung Westen. Bei Kriegsende sind an die 100 000 Volksdeutsche aus Rumänien auf der Flucht vor der Roten Armee. Unter den Flüchtlingen ist auch der damals erst zwei Jahre alte Hansi Schmidt aus Marienfeld, der später einmal als Handballer
den VfL Gummersbach weltbekannt machen wird. Viele, die die Flucht nicht wagen, werden es bereuen. Im Januar 1945 verschleppen die Sowjetkommunisten 75 000 Deutsche aus Rumänien in Arbeitslager. Es sind dies Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Auch die arbeitsfähigen Deutschen aus Jugoslawien und Ungarn werden im Dezember 1944 und Januar 1945 in Viehwaggons in die Lager im Donezbecken gebracht. In den Lagern von Stalino und Woroschilowgrad sind nach dem Krieg rund 30 000 volksdeutsche Zivilisten und ebenso viele Kriegsgefangene aus Ungarn interniert. Aus Jugoslawien verschleppen die Sowjets rund 30 000 Frauen und Männer zur Zwangsarbeit. Etwa 15 Prozent der Häftlinge wird den Hungerstod sterben. Wer 1944 auf der Flucht vor den Sowjets, aber auch in den darauffolgenden Jahren in die Hände der Partisanen in Jugoslawien fällt, egal ob Deutscher oder Rumäne, findet meistens in den Vernichtungslagern Titos den Tod, in denen all die Jugoslawien-Deutschen festgehalten werden, denen die Flucht vor dem Einmarsch der Sowjetarmee nicht gelungen ist. Zu den ersten Fluchtopfern, die der Klausenburger Historiker Dr. Stelian Mândruţ in rumänischen Verzeichnissen gefunden hat, gehören Hans Bohn (geboren 1910) und Janni Braun (1904) aus der Banater Gemeinde Billed. Serbische Partisanen haben sie auf der Flucht abgefangen und am 28. Oktober 1944 in Großbetschkerek erschossen. Auch ihnen ist die erste Geschichte in diesem Buch gewidmet unter dem Titel „Der lange Treck“. Ebenso ist es auch Hans (1928) und Karl Brandl (1878) aus Marienfeld, dem Geburtsort des Handball-Stars vom VfL Gummersbach, Hansi Schmidt, ergangen. Partisanen richten Hans Brandl am 9. September 1949 in Mokrin hin, Karl Brandl aber schon am 28. Oktober 1944 in Kikinda. Die serbischen Partisanen töten in Großbetschkerek auch Peter Groß, Hansi Schmidts Onkel. Erschossen werden in serbischen Lagern 1949 auch der Student Octavian Caramaciu aus Bukarest, der Unteroffizier Băncilă, die Künstlerin Felicia Călugăru aus Craiova, deren Mann und Bruder, der Student Ovidiu Horeanu aus Czernowitz, die Studenten Ion Iuga und Liciu, Hauptmann Neagoe oder Negoescu, Emil Raţiu, Lucreţia Timofte und ihr Mann, ferner Vasile Tutoveanu. 1952 verliert der Landwirt Ionică Zgarcea in Werschetz sein Leben. 1953 werden Magda und Ion Totan in einem serbischen Lager hingerichtet. Sie alle gehören zu den Tausenden von Opfern des Tito-Kommunismus. Ihnen ergeht es wie den in Jugoslawien internierten Deutschen, die exekutiert oder als Leihsklaven in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Manch einem von ihnen gelingt die Flucht nach Rumänien oder Ungarn. Das schaffen aber in erster Linie Kinder, denn die halbverhungerten Alten haben meist nicht mehr die Kraft dazu. Wer von ihnen Rumänien erreicht, wird von der LiobaBenediktiner-Schwester Patricia B. Zimmermann und einem eigens von der
Diözese Temeswar gegründeten Kinderhilfswerk betreut. Das und manches andere ist den neuen Machthabern ein Dorn im Auge. Dafür werden sie Schwester Patricia, die Priorin Dr. Hildegardis Wulff, den Temeswarer Bischof Dr. Augustin Pacha, Schulinspektor Dr. Franz Kräuter und den Domherrn der Temeswarer Diözese, Josef Nischbach, zu langen Kerkerstrafen verurteilen. Alle, außer dem 1954 gestorbenen Bischof Pacha, kommen erst 1959 im Austausch mit rumänischen Spionen nach Deutschland in die Freiheit.
Minen und Bunker
Bis zur Verminung der grünen Grenze zu Jugoslawien Anfang der 1950er Jahre erschießen die Grenzsoldaten noch viele Flüchtlinge, auch in dem Abschnitt, in dem die Donau die Grenze bildet. Der Historiker Mândruţ hat in rumänischen Veröffentlichungen folgende Opfer ermittelt: Živa Branda, erschossen 1946, Vasile Andrei, erschossen 1947, Ferdinand Anfred aus Orzydorf, erschossen 1947 bei Altbeba, Anton Lechmann, Tamas, Tătunea, Marineleutnant Faustin Carp, alle erschossen 1948, Gheorghe Vasile Barbu, Dominik Erhardt aus Stamora-Morawitz, Tudor Grigorescu, Vasile Jurcă, Tudor Tase, Tutunaru, alle erschossen 1949, Simion Boteanu, Nicolae Cimpoieru, Teodor Crăciun, alle erschossen 1950, Economu, erschossen 1950 zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern, Octavian Cabu und Constantin Dărădan, beide erschossen 1951. Zu jenen, denen die Flucht über Jugoslawien in den Westen gelingt, gehört Professor Dr. Ladis K. D. Kristof aus dem Buchenland. Seinen Heimatort Karapcziu verlässt er im März 1944. Der am 26. November 1918 in Czernowitz geborene Kristof flüchtet am 12. September 1948 aus Rumänien über die Donau bei Turnu Severin, schlägt sich allein durch Europa durch und gelangt ohne Englischkenntnisse 1952 in die USA. Er hat keinen Beruf, weil er für den Kriegsdienst zum rumänischen Militär einberufen worden ist und das Forstwirtschaftsstudium an der Posener Universität abbrechen musste. Der Buchenländer beginnt in Oregon als Waldarbeiter, studiert später Politikwissenschaften an der Universität Chicago, wirkt unter anderem an den Universitäten Columbia, Temple und Stanford. Mit der Ernennung zum Professor an der Portland State Universität im Jahre 1971 erfüllt sich Kristof einen Traum: Er kauft sich eine Farm in der Nähe, wo er seither mit seiner Familie wohnt. Unmittelbar nach Kriegsende ist aber auch ein Gegenstrom zu verzeichnen: Viele kehren aus dem Westen heim nach Rumänien. Sie haben es nicht einfach: Manche verlieren an den inzwischen gut bewachten Grenzen ihr Leben. Am 30. August 1947 erschießen rumänische Grenzer in der Nähe von Tschanad vier Frauen und drei Männer aus dem Banater Dorf Bakowa. Das berichtet Andreas Vincze in dem Heimatbuch „Monographie der Banater Heckengemeinde Bako-
wa“. Michael Petla (Jahrgang 1902) und Georg Ringler junior (1923) wollen an der Grenze sieben Personen abholen, die aus russischen Lagern nach Deutschland abgeschoben worden waren und jetzt versuchen, schwarz über die Grenze heimzukehren. Ums Leben kommen Petla und Ringler junior, ferner die Heimkehrer Eva Duckhorn (Jahrgang 1926), Maria Fischer (1924), Maria Garandt (1920), Katharina Richter (1921) und Georg Ringler senior (1902). Lediglich Maria Frombach (Jahrgang 1914) und Anna Schönherr (1916) bleiben am Leben. Frombach wird angeschossen und stellt sich tot, Schönherr ist bei den ersten Schüssen ohnmächtig geworden. Die beiden Frauen können sich zunächst in ein Maisfeld und danach nach Tschanad retten, wo der aus Bakowa stammende Priester Josef Petla sie aufnimmt und ihnen anschließend die Heimreise ermöglicht. Dieser „Zwischenfall“ wäre wahrscheinlich nie bekannt geworden, wenn die beiden Frauen nicht überlebt hätten. Die Toten würden möglicherweise noch heute als vermisst gelten. Die Erschossenen wurden in Tschanad beerdigt. Später haben Angehörige von drei Opfern Exhumierungserlaubnisse erhalten. Maria Duckhorn, Maria Fischer und Katharina Richter wurden auf den Friedhof in Bakowa überführt. Wer Ende der 1940er Jahre bei der Heimkehr an der Grenze gestellt wird, kommt ins Gefängnis oder in russische Gefangenschaft. So auch Johann Wagner (geboren 1909) aus Sackelhausen, der im September 1945 mit seiner nach Österreich geflüchteten Familie die Heimreise antritt. Grenzer verhaften ihn bei Curtici, er kommt ins Lager nach Focşani und danach in russische Kriegsgefangenschaft, wo er stirbt. Ein Teil der Internierten kommt in den inzwischen in Rumänien nach sowjetischem Muster geführten Gefängnissen ums Leben. Wie Mathias Reitz in seinem Buch „Sackelhausen. Beiträge zur Geschichte einer deutschen Gemeinde im Banat“ berichtet, wird Johann Rosenauer auf dem Heimweg aus Deutschland im Spätsommer 1948 an der Grenze verhaftet und kommt als politischer Häftling fünf Jahre ins Straflager der Baustelle des nicht verwirklichten Donau-Schwarz-Meer-Kanals. Ähnlich ergeht es dem Sackelhausener Nikolaus Weber, der zu mehreren Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird. Denn der kommunistische Terror hat längst eingesetzt. Rumänische Grenzer stellen auch Jakob Mumper (1908-1950) aus Billed bei der Heimkehr. Er stirbt im Gefängnis von Großwardein, und zwar acht Monate nach der Geburt seiner Tochter. Heimkehrer, Verfolgte und Drangsalierte suchen schon bald wieder nach Wegen, Rumänien zu verlassen. 1951 nutzen die rumänischen Kommunisten den Konflikt zwischen dem jugoslawischen Staatschef Tito und Stalin, um 40 320 Personen aus einer 25 bis 40 Kilometer breiten Zone entlang der gesamten Grenze zu Serbien in die Donautiefebene zu verschleppen. Die Deportierten stammen aus 297 Orten, 172 Gemeinden mit 125 eingemeindeten Dörfern aus dem Banat und der südwestlichen Kleinen Walachei. Sie werden auf freiem Feld ausgeladen und müssen 18
neue Dörfer eigenhändig aufbauen. Knapp ein Viertel der Verschleppten sind Deutsche, die größten Gruppen nach ihnen stellen die Bessarabier mit rund 8 500 und die aus Bulgarien stammenden Mazedo-Rumänen mit rund 3 500 Personen. Verschleppt werden ferner 1 300 fremde Staatsbürger, mehr als 1 000 Tito-Sympathisanten und 650 angebliche Schmuggler und Schleuser. Im engen Zusammenhang mit der Deportation in die Sowjetunion im Januar 1944, der Enteignung 1945 und 1948 sowie der Verbannung in die Donautiefebene 1951 steht die Einrichtung einer Sperrzone entlang der Grenze zu Jugoslawien, in der in den Jahren 1951 bis 1954 eine dreifache, aus Betonbunkern bestehende Verteidigungslinie errichtet wird. Diese Bunker - sie sind so überflüssig wie der Westwall - existieren auch heute noch. Zum Bau dieser Bunker wurden in 15 Häusern der Lothringer Straße in Sackelhausen militärische Spezialeinheiten einquartiert. Diese Grenze ist so gut gesichert, dass eine Überschreitung in den 1950er Jahren mit ganz großen Risiken verbunden, ja fast unmöglich ist. Ein zweieinhalb Meter hoher Stacheldrahtzaun sichert lückenlos die Grenze. Davor ist ein verminter Streifen, dahinter ein mit Rechen geebneter Streifen, auf dem jede Spur zu erkennen ist. Hohe Wachtürme sind derart aufgestellt, dass der bewaffnete Wachposten die Übersicht so weit hat, wie das Blickfeld des nächsten Wachpostens reicht. Die Grenzzone ist etwa 50 Kilometer breit. Nur Einheimische und solche mit einem speziellen Ausweis dürfen sie problemlos betreten. Die Stärke der Grenztruppen, die dem Geheimdienst Securitate direkt unterstellt sind, wird Anfang der 1950er Jahre stetig erhöht. In der 4 000 Einwohner zählenden Gemeinde Marienfeld, die hier stellvertretend für alle an der rumänisch-jugoslawischen Grenze genannt wird, gibt es zwei Grenzstützpunkte, die bis 1947 zur Bataillonstärke aufgerüstet werden. Auf je vier Einwohner entfällt ein Soldat. Das Militär besetzt und belegt große ehemalige Bauernhäuser. Von 21 bis 6 Uhr gilt eine streng bewachte Ausgangssperre. Die Grenze ist mit Stacheldrahtzaun und Minenfeldern gesichert. In Marienfeld hört der Zweite Weltkrieg erst mit dem Fall des Kommunismus 1989 auf. Die ständige Militärpräsenz, der eingeschränkte und stetig bewachte Verkehr bringen Zwänge wie die eines Lagerlebens mit sich. Ein erstes Minenopfer in Marienfeld ist der Landwirt Lenhard Retzler. Eines Tages ackert er zusammen mit anderen Bauern aus Marienfeld in Grenznähe. Weil seine Pferde kräftiger sind als die der anderen Bauern, hat er einen Vorsprung. Der Grenzsoldat befiehlt ihm, anzuhalten, um die anderen aufschließen zu lassen. Als er sich solange zum Rauchen ins Gras setzen will, tritt er auf eine Mine, die ihn zerfetzt. Die Grenze zu Jugoslawien ist zur Todeszone geworden. Arbeiten an der Grenze unterliegen strengen Kontrollen. Nur einen Tag vorher geprüfte Personen sind in der Zwei-Kilometer-Zone zugelassen. Weil dieser Streifen aber einen beachtlichen Teil des Ackerlands ausmacht, gestaltet sich
die Arbeit auf einigen Tausend Hektar äußerst umständlich. Die Marienfelder fühlen sich kaserniert. Morgens kontrolliert der erste Posten schon am Dorfrand. Für die Soldaten wird das Lesen der genehmigten Listen mit den deutschen Namen zur Schwerarbeit. Haben die Bauern es dennoch irgendwann geschafft, geht es zur Arbeit, stets auf vorher bestimmten Feldwegen. Abends dieselbe Prozedur, nur in umgekehrter Richtung. Gibt es Spuren auf dem geeggten Grenzstreifen, müssen alle Arbeiter sofort den gesamten Grenzabschnitt verlassen, in dem nur niedrige Pflanzen angebaut werden dürfen, um die Sicht der Wachposten auf den Türmen und am Boden nicht zu beeinträchtigen. Die Ausgangssperre zwischen 21 und 6 Uhr ist eine stete Herausforderung für die Jungen im Dorf und wird immer wieder verletzt, trotz zahlreicher Verhaftungen und anschließendem Gewahrsam mit Prügel im Keller der Polizei oder der Grenztruppen. Die Jugendlichen spielen mit den Grenzsoldaten Katz und Maus und bringen beachtliche sportliche Leistungen. Bemerken verspätete Jugendliche hinter einer Straßenecke eine Militärstreife, so springen sie einfach über Gartenzäune, bis die Soldaten außer Sichtweite sind. Nach 1955 bessert sich das Verhältnis zu Jugoslawien. Rumänien beseitigt Schritt für Schritt Minen und Stacheldraht, hebt die Ausgangssperre auf und reduziert die Grenztruppen erheblich. Die Kontrollen an den Einfallstraßen der Grenzorte bleiben jedoch unverändert erhalten. Der Schießbefehl gilt weiter und fordert noch zahlreiche Opfer. Noch Jahrzehnte nach Kriegsende darf in öffentlichen Gebäuden, einschließlich dem Rathaus, keine Karte über die Gemarkung der Gemeinde ausgehängt werden; Fremde könnten sich über den Grenzverlauf informieren. Auch in den späteren Jahren entzieht der Staat den Ortschaften in der Grenzzone Investitionsmittel. Stets sind die ewig wachsamen Grenztruppen beteiligt, wenn es um größere Bauvorhaben oder Menschenansammlungen geht. Dieses Korsett hemmt die strukturelle Entwicklung der Grenzgemeinden. Aber die Leute in Marienfeld oder anderswo an der Grenze begegnen diesem Druck mit ihrem unbeugsamen Willen. Sie umgehen kein Problem, sondern nehmen die Herausforderungen an wie schon Generationen vor ihnen. Mit Durchhaltevermögen, Ausdauer, Wissen und einer guten Arbeitsmoral kommen sie trotz aller Widrigkeiten voran. Die Bürger Marienfelds gewinnen den Kampf im politischen Minenfeld des Ortes täglich durch immer neue Tricks und Improvisationen, aber auch mit der Geheimwaffe des unverwüstlichen Humors. Es ist die Zeit, in der die Bewohner nach zwei Prinzipien leben: Sie sprechen aus, was sie nicht denken, und denken, was sie nicht öffentlich sagen können. Die Verbandsgemeinde Marienfeld grenzt auf 12 Kilometern an Serbien. Trotz zweier Grenzerstützpunke mit vielen Wachtürmen und speziell ausgebildeter Hunde kann dieser Abschnitt nicht vollkommen gesichert werden. Die Beobachtungstürme sind 2,5 Kilometer voneinander entfernt. Nach Einbruch
der Dunkelheit entfernen sich die Soldaten etwa zwei Kilometer von der Grenze und postieren sich an bestimmten Plätzen entlang einer Zickzack-Linie in Form des Buchstaben W. Sie verfügen über Suchscheinwerfer und Spürhunde. Jeder Grenzerstützpunkt ist für einen Abschnitt von etwa 7,5 Kilometer zuständig. Flüchtende müssen zwischen zwei Posten auf Hochständen durchschleichen. Trotz aller Sicherungen bleibt die Grenze löchrig. Verantwortlich dafür sind auch Offiziere und Unteroffiziere der Grenztruppe, die sich ihren Sold dadurch aufbessern, dass sie Flüchtlinge über die Grenze schleusen. Der Mokriner Weg, der am Grenzerstützpunkt Marienfeld West vorbeiführt, wird zum Fluchtpfad. Einer der Offiziere, der gegen Bezahlung so manchen auf diesem Weg in die Freiheit ziehen lässt, wird entlarvt und als Ausbilder ins benachbarte Valkan versetzt. Aber auch dort verhilft er Menschen in die Freiheit. Dafür verurteilt ihn ein Gericht zu ein paar Monaten Gefängnis. Danach fährt er mit seinem Pkw mit Vollgas über einen Feldweg nach Jugoslawien. Er nimmt drei Frauen mit. Trotz des Schusswaffengebrauchs: Viele Marienfelder schaffen den Grenzübertritt. So auch Rudi, der in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft für den Grünfutternachschub von den Feldern verantwortlich ist. Eines Tages fährt er mit seinem Pferdefuhrwerk durch alle strengen Kontrollen. Ein Soldat, damit betraut, die Arbeiter nur an den gemeldeten Stellen zuzulassen, macht ihn wieder einmal auf die Verhaltensregeln aufmerksam und fragt anschließend, ob er ihm etwas zu lesen mitgebracht habe. Der Soldat wartet auf Sexhefte aus dem Westen. Der Text spielt keine Rolle, denn er spricht kein Deutsch; die abgebildeten Damen reichen ihm. Der Soldat nimmt das Päckchen Hefte in Empfang und setzt sich voller Neugierde in einen Graben. Rudi nimmt die beiden unter Decken versteckten Fahrräder hervor und radelt mit seinem Sohn über die grüne Grenze. Nach kaum 24 Stunden melden die beiden am Telefon, dass die Biermarke, die sie eben bestellt haben, ihren Erwartungen entspreche. Es ist der verabredete Hinweis für die gute Ankunft im Westen.
Helsinki bringt die Wende
Nach der Konferenz für Zusammenarbeit und Frieden in Europa 1975 artet die Flucht aus Rumänien zu einer „Massenbewegung“ aus, obwohl die Sicherheitsmaßnahmen immer schärfer werden. Allein die Zahl der als Spätaussiedler anerkannten Personen, die im Jahr 1989 Rumänien ohne Genehmigung verlassen und in der Bundesrepublik eintreffen, beträgt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 8 287. Sie gehören zu den 23 387 Spätaussiedlern, die im Jahr 1989 in die Bundesrepublik einreisen. Als mit Genehmigung Eingereister gilt, wer Rumänien mit einem gültigen Pass verlässt und im Besitz einer von deutschen Behörden erteilten Registriernummer ist, die gleichbedeutend ist mit der Anerkennung als Volksdeutscher. Die 8 287 aus Rumänien geflüchteten Personen des Jahres 1989 haben mindestens eine Grenze ohne Genehmigung überschritten, viele aber zwei oder mehr. Für die anderen Jahre liegen nach Angaben aus dem Statistischen Bundesamt keine Zahlen der ohne Genehmigung aus Rumänien eingereisten Personen vor. Die deutsche Botschaft in Belgrad verfügt über keine Unterlagen mehr über die Zahl der ausgestellten Ersatzpässe, mit denen die Flüchtlinge nach Deutschland gelangt sind. Die Akten wurden während des letzten Balkankriegs absichtlich von eigenem Botschaftspersonal vernichtet. Die Zahl 8 287 steht im Widerspruch zu einer Statistik, die die Temeswarer Grenzer-Brigade Doina Magheţi zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat. Ihr ist zu entnehmen, dass vom 1. September 1980 bis 30. September 1989 mehr als 16 000 rumänische Staatsbürger Fluchtversuche unternommen haben, wobei für das Jahr 1989 die Monate April, Mai und Juni nicht belegt sind. Von diesen 16 000 ist angeblich rund 4 000 die Flucht gelungen. Im Jahr 1975 sollen 826 Personen die Westgrenze verletzt haben, nur 72 soll die Flucht gelungen sein. Die Zahlen für die Jahre von 1980 bis 1989: 913 Fluchtversuche (584 Festnahmen), 1824 (1313), 1280 (1037), 1071 (662), 1387 (924), 1632 (1240), 1659 (1094), 1920 (1210), 1885 (1225), 2483 (1728). Schon diese Zahlen belegen nach Ansicht von Doina Magheţi, wie verzweifelt die Leute versucht haben, sich aus dem Gefängnis Rumänien zu retten. „Die Erschossenen bleiben aber in den Unterlagen der Archive versteckt, hinter verschlossenen Türen.“ Dass diese Zahlen offensichtlich nicht stimmen, belegt auch ein Zeitungsbericht. Der ungarischen Zeitung Magyar Hirlap zufolge sind 1988 rund 4 000 rumänische Staatsbürger illegal nach Ungarn gelangt. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kommandeure der rumänischen Grenztruppen die Zahlen zu ihren Gunsten geschönt haben, weil sie sich Ärger ersparen wollten. Sie standen unter einem gewaltigen Druck. Sie mussten ständig mit der Angst leben, mit ihren Familien Hunderte von Kilometern an eine andere Grenze versetzt zu werden. Es hat bestimmt auch Situationen gegeben, wo die Spuren der Grenzgänger
nicht eindeutig gelesen werden konnten, beispielsweise wenn 28 zusammen davongelaufen sind und einen Trampelpfad hinterlassen haben. Die als Aussiedler anerkannten Deutschen sind nur ein geringer Teil der Personen, die die Flucht aus dem kommunistischen Rumänien nach Westen gewagt haben. Wie viele Rumänen, Ungarn, Serben, Zigeuner oder Angehörige anderer Nationalität das Land in der kommunistischen Zeit verlassen haben, müsste ebenfalls in den verschlossenen Archiven ermittelt werden. Nachdem die Societatea Timişoara (Gesellschaft Timişoara) die Recherchen um die Verbrechen an der Westgrenze Rumäniens eingestellt hat, bestehen Zweifel, ob es gelingen wird, Licht in dieses Kapitel zu bringen. Nach Angaben der Gesellschaft sind Unterlagen in verschiedenen Archiven verstreut oder vernichtet worden. Nachforschungen werden behindert, weil einige der für die Gräuel an der Grenze Verantwortlichen, Staatsanwälte und Richter noch immer im Amt sind und sich gegen Nachforschungen stemmen. Opfer sind nicht bereit, auszusagen, manche aus Angst, andere wieder, weil sie sich davon nichts versprechen und alles vergessen wollen.
Teilnehmer am zweiten Grenzgängertreffen im Juni 2007 in Ulm
Aber nicht nur in Rumänien, sondern auch in Deutschland ist der Versuch unternommen worden, etwas zu bewegen. In Ulm haben 2007 zwei Treffen von aus Rumänien Geflüchteten stattgefunden. Sie haben noch kein Konzept über eine mögliche Organisation. Sie nennen sich Grenzgänger und haben jedenfalls Schwester Patricia B. Zimmermann zu ihrer Schutzpatronin erkoren. Denn sie war es, die Flüchtlinge, ob Kinder aus dem jugoslawischen Banat oder Krieggefangene und Heimkehrer aus den Arbeitslagern in Russland, nach 1945 betreut
und ihnen zur Weiterfahrt in den Westen verholfen hat. Auf dem 12 Kilometer langen Grenzabschnitt der Gemeinde Marienfeld sind nach dem Zweiten Weltkrieg sieben Personen zu Tode gekommen. Allein von 1948 bis 1951 erschießen die Grenzer sechs Bessarabier. In den 1960er Jahren treffen ihre Schüsse den 15 Jahre alten Erwin Habalik nachts nach einer Feier auf dem Heimweg von Albrechtsflor nach Marienfeld tödlich. Die offiziell verbreitete Version: Der Junge habe über die Grenze fliehen wollen. Doch das ist vollkommen unglaubwürdig. Die meisten Flüchtlinge nehmen den Weg über Jugoslawien. Die Grenzer des südwestlichen rumänischen Nachbarn haben ein vergleichsweise lockeres Regime. Tito lässt die meisten seiner Landsleute ins Ausland reisen; sie sind nicht eingesperrt wie die Menschen in den übrigen Ostblockstaaten. Nach dem Bruch mit Stalin Anfang der 1950er Jahre liefert Jugoslawien keine Flüchtlinge mehr aus. Das ändert sich 1965, als Rumänien und Jugoslawien einen Auslieferungsvertrag schließen. Wenn den Serben danach ein Flüchtling aus Rumänien in die Hände fällt, liefern sie ihn Rumänien dem Abkommen entsprechend aus. Wer es dagegen durch Jugoslawien bis zur österreichischen oder italienischen Grenze schafft, gelangt meistens in die Freiheit. Die politische Führung Jugoslawiens treibt ein doppeltes Spiel. Je nach Bedarf und wenn die Beziehungen zu Ceauşescu wieder einmal verbessert werden müssen, werden die gestellten Flüchtlinge an Rumänien ausgeliefert. Etwa ab 1969 stellt die bundesdeutsche Gesandtschaft in Belgrad mit Duldung der jugoslawischen Behörden DDR-Bürgern und Deutschen aus Rumänien Ersatzpässe aus, mit denen sie über Österreich nach Deutschland gelangen. 1976 ändert sich das Szenario. Tito beabsichtigt, die Nachfolgeveranstaltung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki in Belgrad auszurichten. Deshalb ist er zu Zugeständnissen bereit. Nach den beiden Konferenzen installiert die UNO das Amt eines Kommissars für nationale Minderheiten. Damit sind die Bürger- und Menschenrechte nicht mehr ausschließlich eine innere Angelegenheit der einzelnen KSZEMitgliedstaaten. Das Genfer Weltflüchtlingskommissariat eröffnet in Belgrad ein Büro, das illegalen Ostblockflüchtlingen bei der Suche nach einem Asyl- oder Aufnahmeland hilft. Es stellt Kontakte zu Botschaften her, beschafft Reisepapiere und, wenn nötig, auch Geld für die Weiterreise. Es ist ein erster Schritt zum Aufbrechen der diktatorischen Strukturen in den kommunistischen Warschauer-Pakt-Staaten. Die KSZE-Bestimmungen wirken sich auch geringfügig auf die rumänische Innenpolitik aus. Unter anderem verpflichtet sich Rumänien, den Schießbefehl an seinen Grenzen aufzuheben, hält sich de facto aber nicht daran; die Grenzgänger werden nicht mehr vor Militärgerichte gestellt, weil eine Grenzverletzung nach den Übereinkünften von Helsinki und Belgrad nicht mehr unter die politischen Straftaten fällt; die Haftstra-
fen sind jetzt milder. Dafür nehmen aber die menschenverachtenden Prügeleien und Folterungen an den Grenzen zu; damit sollten potentielle Grenzgänger abgeschreckt werden. Die Gefangenen werden oft krankenhausreif geschlagen. So auch 1980 der Sackelhausener Michael Pohr. Die Bundesrepublik Deutschland erwirkt mit diplomatischem Geschick und leichtem Druck, dass Jugoslawien die Abschiebung der Deutschen an Rumänien beendet, ebenso die Auslieferung von geflüchteten DDR-Bürgern. Deutsche aus Rumänien und DDR-Bürger haben nichts mehr zu befürchten, sofern sie keine Straftaten begangen haben. Sie werden nach maximal 30 Tagen Haft freigelassen. Diese Zeit nutzen die Jugoslawen, um die Identität der Inhaftierten sorgfältig zu prüfen. Nach der Haft werden sie dem Genfer Flüchtlingskommissar übergeben, der sie schließlich bis zur Ausreise nach Deutschland betreut. Einen Nachteil bringen die Absprachen zwischen Deutschland und Jugoslawien nach Helsinki mit sich: Die deutsche Botschaft kann eingetroffene Flüchtlinge nicht mehr direkt mit Ersatzpässen versorgen; sie ist angehalten, die Grenzgänger an das UNO-Büro zu verweisen, das sie nach Aufnahme ihrer Daten weiterleitet an die jugoslawische Polizei. Die Jugoslawen sind daran interessiert, möglichst viele Grenzgänger abzuurteilen, denn die Massenflucht aus Rumänien ist für sie zum Geschäft geworden. Sie kassieren je Flüchtling und Gefängnistag 90 USDollar vom UNO-Flüchtlingshilfswerk. Wer kein Deutscher ist und aus Rumänien kommt, muss politische Gründe für seine Flucht vorgeben, reine Wirtschaftsflüchtlinge werden zurückgeschickt. Wer als politischer Flüchtling anerkannt ist, muss sich um ein Aufnahmeland kümmern. Kanada, Australien und Südafrika sind die Staaten, die die meisten von ihnen aufnehmen. Baptisten gehören zu den wegen ihrer Religion Verfolgten. Sie haben in Amerika eine starke Lobby und werden deshalb ab Mitte der 1970er Jahre nicht mehr Rumänien ausgeliefert. Aber auch Ungarn liefert die meisten der gefassten Grenzgänger aus. Bei den meisten Flüchtlingen handelt es sich um junge Leute. Als 1977 bekannt wird, dass die Jugoslawen die Grenzgänger nicht mehr automatisch ausliefern, steigt die Zahl der Grenzübertritte sprungartig an. Das veranlasst Rumänien zu einer verbesserten Grenzsicherung. Der Grenztruppe stehen neben Spürhunden auch Reitpferde zur Verfügung, um beweglicher und rascher zu sein. Je mehr sich die wirtschaftliche Lage in Rumänien verschlechtert, desto größer ist die Zahl derjenigen, die die Flucht über die grüne Grenze oder über die Donau wagen. Aber die Fluchtwilligen suchen auch andere Wege. Viele versuchen ihr Glück über Ungarn, über die Tschechoslowakei und die DDR, selbst über Bulgarien. Manchen gelingt die Flucht auf diese Weise. Ungarische oder tschechische Grenzer sind ab und an großzügig und öffnen den Schlagbaum nach Österreich. Ende der 1960er Jahre brauchen rumänische Staatsbürger kein Einreisevisum mehr für Österreich. Anfangs profitieren Flüchtlinge
von dem Abkommen zwischen Österreich und Rumänien. Später sind ungarische und tschechische Grenzer angehalten, keine rumänischen Staatsbürger mehr über die Grenze nach Österreich zu lassen. Aber auch das gibt es: Sind die Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänien wieder einmal auf einem Tiefstand, lassen die ungarischen Grenzer, wohl auf Anweisung, viele Ausreisewillige die Grenze nach Österreich passieren. Fluchtwillige profitieren manches Mal von der Laune der Grenzer. Während mancher rumänische Staatsbürger über die DDR in den Westen zu gelangen glaubt, versuchen DDR-Bürger, die Südwestgrenze Rumäniens nach Jugoslawien zu überwinden und die deutsche Botschaft in Belgrad zu erreichen. Andere wieder schlagen den Weg über die ungarisch-jugoslawische Grenze ein. Viele werden dabei ertappt und der DDR-Botschaft in Bukarest oder Budapest überstellt. Sie werden alle als Staatsfeinde wegen versuchter Republikflucht verurteilt. Manch einer stirbt im Kugelhagel der Grenzer. Dazu gehört auch ein Professor aus der DDR, den Grenzer in den 1970er Jahren bei Hatzfeld beim Fluchtversuch erschießen. Von den Rumäniendeutschen versuchen vor allem jene das Land illegal zu verlassen, die keine Verwandten in Deutschland haben und sich deshalb kaum Chancen ausrechnen, je in den Besitz eines Passes zu kommen. Viele riskieren und verlieren ihr Leben. Die Auswirkungen der Konferenzen von Helsinki 1975 und von Belgrad 1977 auf das Fluchtgeschehen in den deutschen Dörfern des Banats lassen sich an einigen Beispielen festmachen. Aus der Gemeinde Billed, die 1940 noch mehr als 3 600 deutsche Einwohner hatte, sind von 1969 bis 1989, so eine Statistik von Josef Herbst von der Heimatortsgemeinschaft, 95 Personen über die Grenze in den Westen geflüchtet oder nach Besuchsreisen im Westen geblieben. In Deutschland geblieben sind 27 Personen, 13 haben Jugoslawien-Besuche innerhalb des sogenannten kleinen Grenzverkehrs zur Flucht nach Deutschland genutzt, und über Jugoslawien und Ungarn sind 55 geflohen. Nach Fluchtversuchen verurteilt wurden acht Billeder, einer wegen Fluchthilfe. Vermisst wird seit 1960 Hans Wolz. Nachdem bekannt geworden war, dass Jugoslawien keine Deutschen aus Rumänien mehr zurückschickt, ist die Flüchtlingszahl sprungartig gestiegen: Die Billeder Statistik verzeichnet für 1975 und 1976 keine Flucht, 1977 fliehen zwei Personen, ein Jahr darauf elf, 1979 schon 15. Im Jahr 1980 sinkt die Zahl auf zehn, 1981 steigt sie auf 20. Danach sinkt sie rapide, weil sich inzwischen immer mehr Rumäniendeutsche mit Deutscher Mark und US-Dollar freikaufen und dadurch das hohe Risiko, erschossen zu werden, vermeiden können. Die Statistik für die folgenden Jahre: 1982 und 1983 fliehen je vier Billeder, ein Jahr darauf sechs, 1985 einer, in den drei folgenden Jahren je zwei und 1989 neun. Die Statistik für Deutsch-Stamora, erarbeitet von Ludwig Kiry, fällt zum Un-
terschied zu Billed etwas anders aus. Denn das Dorf liegt an der serbischen Grenze und hatte bedeutend weniger Einwohner: 1936 waren es 1 250; trotzdem ist eine höhere Anzahl über die Grenze gegangen als aus Billed. Das hat seine Gründe: Sie mussten nicht erst in die Grenzzone einreisen, sondern kannten sich dort aus, was ihnen die Flucht erleichterte. Aus Deutsch-Stamora, das zur Gemeinde Stamora-Morawitz gehört, ist 1989, im Jahr des Umsturzes in Rumänien, 23 Frauen und Männern die Flucht über die Grenze nach Jugoslawien gelungen, in den drei Jahren davor jedoch niemandem. Die Statistik für Deutsch-Stamora weist ab 1973 folgende geglückte Fluchten auf: 1973 zwei Personen, 1979 vier, 1980 fünf, 1981 zwei, 1982 dreizehn, 1983 sieben, 1984 sechs und 1985 zwei. 1981 ist eine Flucht missglückt: Vasile Nicolaie, geboren am 23. Mai 1955, ist beim Versuch, über die Donau nach Serbien zu gelangen, ums Leben gekommen. Eine weitere Flucht ist gelungen, aber das Jahr ist unbekannt. Aus Deutsch-Stamora sind nach Kirys Statistik 24 Personen von Reisen nach Jugoslawien und Deutschland nicht mehr nach Rumänien zurückgekehrt. Aus dem nahe der serbischen Grenze gelegenen Dorf Dolatz glückt von 1975 bis zum Sturz Ceauşescus im Dezember 1989 insgesamt 118 Personen die Flucht nach Jugoslawien. Zwei Brüder fliehen, nachdem sie einen Grenzsoldaten gefesselt haben. Am 28. August 1979 überschreitet der Dorfpfarrer mit 20 Personen die Grenze nach Jugoslawien, die meisten davon gehören zur Kirchweihjugend. Sie begeben sich von der Tanzunterhaltung auf die Flucht. Ihnen folgen einen Tag darauf sieben weitere Dolatzer. Zehn Personen werden in den Jahren nach 1975 auf der Flucht gestellt, vier mit Besucherpässen nach Deutschland gereiste Personen sind nicht mehr nach Rumänien zurückgekehrt. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg waren in Dolatz rund 1 300 Deutsche zu Hause. Ferner lebten dort 160 Ungarn und Rumänen. Bis 1950 ist die Zahl der Deutschen auf 780 gesunken. Heute lebt kein Deutscher mehr in dem Dorf. Wer nicht vor dem Fall des Kommunismus flüchten konnte, hat dem Dorf danach den Rücken gekehrt. Wie Mathias Reitz ermittelt hat, sind aus der Gemeinde Sackelhausen - sie hatte 1940 rund 4 000 Einwohner - von 1945 bis 1949 insgesamt 23 Personen nach Österreich und Deutschland gelangt, die meisten illegal. Den nächsten Fluchtversuch wagen Sackelhausener erst 1966: Nikolaus Kühn und Mathias Reitz selbst. Doch serbische Polizei liefert sie an Rumänien aus. Die beiden werden nach monatelangen Verhören mit brutalen Methoden zu zwei und viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Am Abend des Tages, als Reitz bei Albrechtsflor über die Grenze geht, sind die Grenztruppen zwischen Hatzfeld und Tschene in Alarmbereitschaft, denn die geplante Flucht war verraten worden. Reitz geht jedoch nicht in diesem Abschnitt über die Grenze, sondern in der Nähe von Albrechtsflor. Er hat sich
eine kalte Januarnacht ausgewählt, weil es leichter ist, über die zugefrorenen Kanäle zur Grenze vorzustoßen. Reitz wird am Grenzübergang Hatzfeld zurückgeschickt. Am Abend jenes Tages lässt der Kommandant des Grenzerstützpunkts zum Appell blasen. Reitz muss seine Fluchtgeschichte vor den versammelten rund 80 Soldaten erzählen. Die Schlussfolgerung des Kommandanten für seine Untergebenen: „Der Klassenfeind ist wachsam, aber wir Soldaten erfüllen unsere Pflicht nicht“. Zum zweiten Mal geht Reitz im Januar 1979 über die Grenze, auch dieses Mal bei hohem Schnee und Frost. Er schafft es, umgeht auf serbischer Seite DeutschZerne, wird aber erneut von serbischen Grenzern gefasst. Nach 20 Tagen Haft in Großbetschkerek hält er einen deutschen Ersatzpass in Händen und fährt in die Freiheit. 1968 gelingt Mathias Wetzler aus Sackelhausen während einer JugoslawienReise die Flucht nach Deutschland. 1972 fliehen Johann Wetzler und Helmut Groß. 1974 gehen Johann Egler senior und Johann Egler junior, Vater und Sohn, über die Grenze und gelangen nach Deutschland. 1976 gelingt den Brüdern Dr. Reinhold und Erich Fett mit ihrer Mutter Anna die Flucht über die Donau nach Jugoslawien und Deutschland, ferner Johann Pop. Bis zum Sturz Ceauşescus im Dezember 1989 sind aus Sackelhausen ferner geflüchtet: 1978 - 16 Personen, 1979 zwei, 1980 fünf, 1981 drei, 1982 sieben, 1985 vier, 1989 eine Person. Insgesamt sind 61 Sackelhausener illegal über die Grenze und mit einem Besucher- oder Dienstpass nach Deutschland gelangt. „Nirgendwo ist das Gefühl der Ohnmacht so bedrückend wie hinter Stacheldraht; aber nirgendwo wird der Freiheitstraum so intensiv geträumt wie hier.“ Das schreibt der Banater Künstler Julius Stürmer (1915 in Karansebesch geboren) in seinem Buch „Die eisige Hölle Workuta“. Stürmer war zehn Jahre hinter Stacheldraht, die längste Zeit in Workuta. Im Ostblock sind nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Arbeits- und Vernichtungslager von Stacheldraht umgeben, sondern auch die einzelnen kommunistischen Staaten. In Rumänien ist es ebenso. Auch dort träumen Menschen jahrzehntelang von der Freiheit. Ähnlich wie die Häftlinge in Workuta beschäftigen sie sich mit Fluchtgedanken. Stürmer und einige Mithäftlinge schmieden den Plan, mit einem Flugzeug aus der Hölle am Eismeer zu entkommen, von einem deutschen Piloten gesteuert. Ein Zufall macht den Plan zunichte. Was den Häftlingen verwehrt bleibt, gelingt einer Banater Familie aus Warjasch Jahre später. Sie bezahlt einen deutschen Piloten, und der bringt sie mit einer in der Landwirtschaft eingesetzten Maschine im Tiefflug aus dem Banat über Jugoslawien nach Österreich. Er unterfliegt die himmelwärts gerichteten Radaranlagen. In den 1980er Jahren startet eine unbekannte Zahl von Personen mit einem Flugzeug neben der Gemeinde Neupanat bei Arad und fliegt über Ungarn und Jugoslawien, um in Österreich in einem Maisfeld zu landen.
Doch das ist die wohl einfachste Art, zu fliehen. Viele andere riskieren ihr Leben, durchschwimmen Grenzflüsse, gehen über die grüne Grenze. Die Fluchtwilligen lassen sich einiges einfallen; wer in die Freiheit will, entwickelt oft viel Phantasie. Die Flüchtlinge panzern Autos, die dem Kugelhagel widerstehen. Sie verstecken im Halbdutzend in Mähdrescher-Bunkern und entkommen über die Grenze. Zwei junge Banater täuschen in den 1970er Jahren auf einer Straße in Grenznähe einen Unfall vor. Sie fahren mit dem Pkw gegen einen Baum und übergießen sich mit roter Farbe. Der Soldat steigt vom nahen Wachturm herab, um zu helfen. Während der Grenzer Hilfe holt, laufen die beiden über die Grenze. Andere bauen mit Gas getriebene kleine Raketenfahrzeuge, um die Donau zu überwinden. Wieder andere flüchten in versiegelten Lastkraftwagen und Müllautos. Dazu gehört auch die rumänische Pop-Gruppe Phönix aus Temeswar, die geschlossen im Lastkraftwagen über die Grenzen gelangt. Doch meist haben nur diejenigen eine Chance, die sich an der Grenze auskennen oder sich auf Schlepper verlassen können. Wer nicht Bescheid weiß, den stellen die Soldaten meist schon vor der Grenze. Doch oft führt auch der Zufall Regie. Den meisten, die gestellt werden, ergeht es schlecht. Die indoktrinierten Grenzer, die als Erfolgsprämie Sonderurlaub und Geld erhalten, gebrauchen die Maschinenpistole oder prügeln, treten und foltern. Sie setzen Gewehrkolben und Gummiknüppel ein, sie schlagen mit allem, was ihnen in die Hände kommt. Sie fesseln die Gefangenen mit Draht. Manch ein Gefasster überlebt diese Prügelorgien nicht oder nur als Krüppel. Wachhunde sind auf Bewegung abgerichtet und gehen auf alles los, was sich bewegt. Aber auch das gibt es im kommunistischen Rumänien: Der Gemeindienst inszeniert mit den ihm unterstellten Grenztruppen Fluchtversuche. Auch Leute, die Rumänien nicht verlassen wollen und in Grenznähe kommen, geraten in Schwierigkeiten. So auch vier Schriftsteller, die einem Temeswarer Literaturkreis angehören, der als Aktionsgruppe Banat bekannt werden soll. Zu ihnen gehört auch William Totok, 1951 in der Gemeinde Großkomlosch in der Nähe der serbischen Grenze geboren, der seit der Aussiedlung 1987 als Journalist und Schriftsteller in Berlin lebt. Wie Totok in seinem Buch „Die Zwänge der Erinnerung. Aufzeichnungen aus Rumänien“ schreibt, lässt der rumänische Geheimdienst im Herbst 1975 durchblicken, dass die Aktionsgruppe wegen eines angeblichen staatsfeindlichen Komplotts angeklagt werden soll. Darauf stehen Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren. Totoks Bruder ist seit Herbst 1975 nach einer Durchsuchung des Elternhauses in Großkomlosch in Untersuchungshaft. Zum Prozess wir er von Hermannstadt nach Temeswar mit in Eisenketten gelegten Füßen überführt. Der Prozess soll Mitte November stattfinden. Kurz davor „überstürzten sich die Ereignisse“, schreibt William Totok. Auf
einer Autofahrt nach Großkomlosch verhaften Grenzer den Literaturkritiker Gerhardt Csejka, die Schriftsteller Gerhard Ortinau, Richard Wagner, heute freischaffender Schriftsteller in Berlin, und William Totok, zusätzlich eine Kommilitonin Totoks und den Fahrer des Wagens. „Die erste Kontrolle, beim Betreten des Grenzgebiets, hatten wir ungehindert passiert, weil in meinem Personalausweis als fester Wohnsitz Großkomlosch angegeben war und ich somit das Recht hatte, Gäste zu beherbergen. Der Grenzsoldat notierte sich pflichtgemäß meine Personaldaten und informierte seine Vorgesetzten, dass ein Pkw unterwegs nach Großkomlosch sei. Etwa 15 Kilometer vor unserem Ziel hielt uns erneut eine Grenzstreife an. Nachdem uns die Personalausweise abgenommen worden waren, forderte uns einer der Soldaten auf, im Pkw sitzen zu bleiben. Etwa eine Stunde später traf ein Hauptmann der Grenztruppen namens Marina ein, auf dessen Befehl wir von einem Militärwagen in eine Kaserne nach Kleinkomlosch gebracht wurden. Nach einer allgemeinen Leibesvisitation und einer Gepäckkontrolle teilte man uns den Grund unserer Festnahme mit: Wir hätten versucht, illegal das Land zu verlassen“, berichtet Totok. Im Morgengrauen des 12. Oktober 1975 werden sie in den Arrest einer Grenzschutzeinheit nach Hatzfeld in winzige Einzelzellen gebracht. „Auf dem Korridor patrouillierte ein mit einer MP bewaffneter Soldat, der sich nur so wunderte, dass wir noch nicht zusammengeschlagen worden waren. (Bekanntlich werden diejenigen, die von Grenzsoldaten als Fluchtverdächtige bzw. während eines Fluchtversuchs aufgegriffen werden, auf die unmenschlichste Art gefoltert. Erst nach dieser ‹Sonderbehandlung› kommen die oft bis zur Unkenntlichkeit Misshandelten in Polizeigewahrsam. Später müssen sie sich vor einem Gericht verantworten und mit schweren Gefängnisstrafen rechnen).“ In Hatzfeld verhören gelangweilte Grenzoffiziere, die sich in ihrer Sonntagsruhe gestört fühlen, die Festgenommenen der Reihe nach. Die Offiziere geben offen zu, dass sie im Auftrag des Sicherheitsdienstes handeln, und zwar weil gegen Totok wegen Gefährdung der Staatssicherheit ermittelt werde. Am nächsten Tag, es ist ein Montag, werden die Verhafteten in Temeswar dem Staatsanwalt vorgeführt, der nach einem kurzen Verhör Haftbefehle ausstellt. Danach geht es ins Temeswarer Untersuchungsgefängnis. Csejka und Ortinau kommen in eine Zelle, Wagner und Totok in eine andere. Der PkwFahrer wird im selben Geschoss mit gefährlichen Kriminellen untergebracht, die Frau jedoch stecken die Wärter mit Prostituierten in eine Zelle im Kellergeschoss. In den Verhören versucht Untersuchungsrichter Oberleutnant Pele Petru, Geständnisse zu erpressen, aus denen hervorgehen sollte, dass die Verhafteten staatsfeindliche Aktivitäten betrieben hätten. Die Verhaftung findet bei Politikern, aber auch bei der Parteispitze nicht die erwartete Resonanz. Über die Hintergründe der Festnahme informieren sich
zwei aus Bukarest angereiste Parteifunktionäre: Ilie Verdeţ, verantwortlicher ZK-Sekretär für ideologische und Nationalitätenfragen, später Premierminister, und Adalbert Millitz, verantwortlicher Sekretär im ZK für die deutsche Minderheit. Die beiden Funktionäre veranlassen die Freilassung der sechs Verhafteten. „Millitz soll bei dieser Gelegenheit allerdings die ‹Sprengung› der Aktionsgruppe befürwortet haben. Gleichzeitig erteilte er den Befehl, Ortinau und mich von der Hochschule zu relegieren. Er plädierte für einen sanfteren Kurs der Securitate, der aber umso effektiver auf das Endziel (Zerschlagen der Gruppe) ausgerichtet sein sollte“, schreibt Totok. „Vermutlich stand das Datum meiner zweiten Verhaftung damals schon fest, der allerdings auch noch der Erste Parteisekretär des Kreises durch seine Unterschrift zustimmen musste. Überraschenderweise wurden wir am Freitag zwei Offizieren des Grenzschutzes zum Verhör vorgeführt. Jeder musste noch einmal schriftlich erklären, dass keiner von uns die Absicht hatte, das Land illegal zu verlassen.“ Am Samstag beschuldigt Militärstaatsanwalt Oberst Burcă in einem Verhör Totok, staatsfeindliche Texte verfasst und den Parteitag der Kommunisten verunglimpft zu haben. Am selben Tag werden alle aus der Haft entlassen. William Totok und sein Bruder werden später zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Spurlos verschwunden
An der Donau spielen sich dramatische Szenen ab. Die Soldaten schießen auf Schwimmer und Schlauchboote. Sie überfahren die Flüchtenden mit Schnellbooten, erschlagen oder ertränken sie. Serben, die die Toten bestatten, erkennen meistens, auf welche Weise die Angeschwemmten umgekommen sind. In nur seltenen Fällen nehmen die Rumänen die Leichen zurück. Sie behaupten selbst in eindeutigen Fällen, dass es sich bei den Toten um keine rumänischen Staatsbürger handelt. Und so kommt es, dass viele ihre Angehörigen vermissen und nicht wissen, ob sie auf einem serbischen Friedhof begraben sind oder aber der rumänische Geheimdienst sie hat verschwinden lassen. Anfang der 1960er Jahre verschwindet aus der Banater Großgemeinde Billed Hans Wolz. Seine Mutter und die Schwester wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Sie können nur vermuten, dass er ums Leben gekommen ist beim Versuch, seinen Traum von der Flucht in die Freiheit zu verwirklichen. Von dem am 1. April 1935 in Billed geborenen Wolz fehlt heute noch jede Spur. Wie Grete Lenhardt, seine Schwester, sagt, hat der Geheimdienst Securitate sie zusammen mit der Mutter kurze Zeit nach dem Verschwinden des Bruders vorgeladen, um herauszufinden, was die beiden Frauen wissen. Weil sie ahnungslos waren, hat die Securitate sie danach in Ruhe gelassen. Vielleicht gehört Hans Wolz zu jenen, die an der grünen Grenze zu Jugoslawien oder in
der Donau ums Leben gekommen sind. Vielleicht ist er aber auch erschossen worden; ein Fall, der wahrscheinlich nie aufgeklärt wird. Zu denen, die in der Donau ums Leben gekommen sind, gehört vermutlich auch Walter Zerwes, geboren am 18. November 1960 in Temeswar. Als Baufachmann kommt er zur Arbeit nach Turnu Severin an der Donau. Im November 1981 verabschiedet er sich von seinen Eltern in Jahrmarkt. Sie werden ihn nie wiedersehen. Ebenfalls im November 1981 verschwindet von der Baustelle ein rumänischer Kollege Walters. Der kommt jedoch in Serbien an und gelangt schließlich nach Italien. Peter Zerwes, Walters Vater, gelingt es, mit diesem Flüchtling zu sprechen. Doch der behauptet, nicht zusammen mit Walter geflüchtet zu sein. Peter Zerwes ist sich jedoch nicht sicher, ob der Kollege seines Sohnes die Wahrheit sagt. Vielleicht waren weitere Grenzgänger dabei, rätselt Peter Zerwes. Ebenfalls 1981 sind Walter Wilwerth (geboren am 28. Mai 1961) aus Schöndorf und Valentin Frahler (geboren am 10. Februar 1953) aus Sanktanna spurlos verschwunden, vermutlich sind auch sie bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen. Die Hoffnung, dass ihr Sohn noch lebt, hat Katharina Frahler, Valentins Mutter, auch heute noch nicht ganz aufgegeben: „Vielleicht wird er ge funden“, sagt sie weinend am Telefon. Die beiden haben ihren Betrieb in Neuarad am Abend des 27. Oktober 1981 verlassen und sind nicht wieder aufgetaucht. Die beiden Sackelhausener Johann Wolf (geboren 1956) und Ion Druciuc (1957) sind 1979 beim Versuch, die Donau mit einem Schlauchboot zu überqueren, ums Leben gekommen, berichtet Mathias Reitz. Druciuc soll nach Angaben seines Bruders an den Rippen verletzt gewesen sein. Ob es Einschüsse oder Verletzungen anderer Art waren, sei nicht zu erkennen gewesen. Im selben Jahr ist auch Johann Lorenz Valentin Frahler (1957) aus Sackelhausen in einem Militärkrankenhaus gestorben. Er ist vermutlich zu Tode geprügelt worden. Lorenz war aus der rumänischen Armee desertiert und beim Versuch, über die Donau nach Jugoslawien zu fliehen, gestellt worden. Die drei Toten wurden in Sackelhausen begraben, doch die Angehörigen durften die Särge nicht öffnen und konnten somit auch die Todesursachen nicht feststellen. 1978 erschießen rumänische Grenzer Hilde Maltry aus Bakowa beim Fluchtversuch über die Donau bei Orschowa. 1979 wird die ebenfalls aus Bakowa stammende Käthe Dassinger beim Versuch, ans rechte Donau-Ufer zu gelangen,
in Höhe des auf der serbischen Seite gelegenen Weißkirchen angeschossen. Zu den von dem Klausenburger Historiker Mândruţ in Veröffentlichungen ermittelten Grenztoten gehören: der in Temeswar geborene Anton Altmayer (erschossen zwischen 1981 und 1984), Rodica Dumitreanu (erschossen am 1. November 1983), Nicolae Gheorghe (ermordet am 6. Oktober 1986 an der ungarischen Grenze), Gheorghe Leonte (erschossen am 27. Mai 1987 bei Altbeba an der ungarischen Grenze), Gheorghe Mugescu (erschossen 1978 an der Donau), Zoltán Oláh (erschossen am 25. Oktober 1988 bei Pereg an der ungarischen Grenze), Ion Tilin (erschossen am 26. Juni 1982 bei Altbeba) und Walter Schmidt (erschossen am 6. oder 7. Oktober 1987). Ende der 1980er Jahre artet das Fluchtgeschehen an der Donau zum Todeskampf und Massenexodus aus. Die jugoslawischen Behörden schicken die Rumänen busweise zurück. Die rumänischen Gefängnisse können die Verurteilten nun nicht mehr aufnehmen. Deshalb werden die „Vaterlandsverräter“ in ihre früheren Wohnorte zurückgebracht, mit Zwangsaufenthalt bestraft und an ihren früheren Arbeitplätzen für nur einen geringen Teil des üblichen Lohns beschäftigt. Es sind Rumänen, Zigeuner, Ungarn und Deutsche, hauptsächlich Banater, aber auch Siebenbürger Sachsen.
Schlepper und Betrüger
Wer nicht in Grenznähe wohnt oder arbeitet, scheitert wegen der Kontrollen meist schon vor dem Fluchtversuch. Ortsfremde gelangen in der Regel nur zufällig und mit großem Glück an die Grenze. Deshalb betätigen sich Ortskundige als Schlepper und Schleuser. Grenzoffiziere verdienen sich ein schönes Zubrot; sie kassieren wie alle Schlepper beträchtliche Summen. Früher oder später werden fast alle erwischt und bestraft. Wer nicht zur Grenztruppe gehört und als Schleuser ertappt wird, dem ergeht es ebenso schlecht wie den Flüchtlingen selbst. Er wird solange gefoltert, bis er alles preisgibt, was er weiß. Schlepper gibt es auf beiden Seiten der Grenze. Jugoslawen verdienen genauso wie Rumänen. Helfer kommen sogar aus Deutschland und Österreich. Genauso wichtig wie der Schlepper auf der rumänischen Seite ist der Fluchhelfer auf der jugoslawischen Seite, der die Grenzgänger meist im Auto durch Jugoslawien zur österreichischen oder italienischen Grenze fährt oder aber nach 1976 zur deutschen Botschaft nach Belgrad, die DDR-Bürgern und Deutschen aus Rumänien mit Duldung der jugoslawischen Behörden ab 1969 Ersatzpässe ausstellt. Bundesbürger nehmen für Verwandte und Freunde einiges in Kauf; die jugoslawischen Behörden verurteilen manch einen Bundesbürger wegen Fluchthilfe. Vielen ist nicht bekannt oder sie ignorieren, dass sie sich auch nach deutschem Recht strafbar machen, wenn sie Ausländern über die deutsche Grenze helfen.
Mancher Grenzgänger macht die bittere Erfahrung, dass die bezahlten Fluchthelfer auf der rumänischen Seite sie verraten oder im Stich lassen, aber sie können die Betrüger nicht anzeigen, weil sie sich damit selbst ins Gefängnis bringen würden. Aber auch auf der serbischen Seite sitzen oftmals Betrüger. Sie kassieren Geld im voraus und lassen die Geflüchteten im Stich, helfen ihnen nicht weiter, drohen ihnen sogar mit Anzeige. An der Flucht verdienen aber nicht nur Privatpersonen. Der jugoslawische Staat wird ab Mitte der 1970er Jahre mit Flüchtlingen aus Rumänien viel Geld verdienen. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk zahlt Jugoslawien für die Unterbringung jedes Gefangenen täglich 90 Dollar. Als die Regierung in Belgrad 1976 dem bundesdeutschen Drängen nachgibt, deutsche Flüchtlinge, sowohl jene aus der DDR als auch solche aus Rumänien, nicht mehr den Herkunftsstaaten auszuliefern, ist sie sich dessen wahrscheinlich nicht bewusst, dass sie damit einen Massenexodus aus Rumänien auslösen wird. Schon 1977 fliehen die Deutschen aus Rumänien in Scharen nach Jugoslawien. Sie und die anderen Flüchtlinge aus Rumänien, ihre Zahl ist viel höher als die der Deutschen, füllen die Gefängnisse in Jugoslawien. In den jugoslawischen Gefängnissen sitzen aber nicht nur Grenzgänger aus Rumänien. Siegfried Britt trifft 1970 im Gefängnis von Koper auch Polen, Tschechen und Ungarn. Franz Weszely ist 1980 im Gefängnis von Padinska Skela nördlich von Belgrad mit Leuten aus aller Herren Länder zusammen: aus der DDR, Bulgarien, aus der Sowjetunion, aus Bulgarien, aus dem Iran, dem Irak und aus Jordanien. Alle wollen über Jugoslawien in den Westen.
Harte Strafen
Im kommunistischen Rumänien werden sowohl der versuchte als auch der gelungene Grenzübertritt noch in den 1950er Jahren mit harten Strafen belegt. Der Liste des Klausenburger Historikers Mândruţ ist zu entnehmen: Das Militärgericht in Bukarest verurteilt den 1949 aus einem serbischen Lager nach Rumänien abgeschobenen Lehrer Valeriu Basarabeanu zu fünf Jahren Gefängnis. Das gleiche Strafmaß erhält der ebenfalls von den Serben ausgelieferte Dan Cernovodeanu. Nicolae Ştefan Craiu wird 1949 an der Grenze gestellt, verurteilt, kommt 1954 frei und flieht nach Deutschland. 1957 verurteilt das Militärgericht Temeswar Valeriu Dobrescu zu sieben Jahren Gefängnis wegen versuchten Grenzübertritts. Zu je zehn Jahren Gefängnis verurteilt das Militärgericht Konstanza 1949 die Brüder Corneliu Valentin und Dan Gabrielescu wegen Fluchtversuchs über das Schwarze Meer. Der aus Bulgarien stammende MazedoRumäne Garofil Dimciu - er wurde 1948 in Triest gefasst - stirbt noch im selben Jahr in einem rumänischen Gefängnis. Zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt ein Gericht Rozalia Lupea im Jahr 1948. Wegen Anstiftung zum Grenzübertritt
schickt das Militärgericht Temeswar Petru Miroiu 1958 sieben Jahre ins Gefängnis. General Gheorghe Rozin, ehemaliger Befehlshaber von Bukarest, wird 1948 wegen versuchten Grenzübertritts verurteilt; er stirbt 1960 im Gefängnis von Gherla. Der Pilot Gheorghe Cucu ist von 1954 bis 1964 wegen versuchter Flucht in Haft. In Klausenburg wird 1949 der Partisan Petru Săbăduş nach missglücktem Fluchtversuch nach Serbien zusammen mit Pavel Mârza verurteilt. Der Arzt Săbăduş stirbt 1953 im Gefängnis von Gherla. 1947 stirbt im Gefängnis von Craiova der wegen versuchter Flucht verurteilte Ali Saban. Weitere Verurteilte, die in rumänischen Gefängnissen ums Leben kommen, sind: Ecaterina Aramă wird 1949 an der Grenze gestellt und stirbt im selben Jahr in Jassy; eine Frau namens Paula - ihr Familienname ist unbekannt -, Mutter von vier Kindern, stirbt in Miercurea Ciuc. Auch in den 1960er Jahren sprechen die Militärgerichte noch drastische Strafen aus. Emerich-Otto Leikep aus Hermannstadt, der im Juli 1967 mit einem gefälschten Pass bis Straßsommerrain an der österreichischen Grenze gelangt, wird zu acht Jahren verurteilt, kommt nach einer Amnestie aber nach einem halben Jahr frei. Ab 1968 wird illegaler Grenzübertritt mit Gefängnis von einem Jahr bis zu drei Jahren bestraft. Für den Fluchtversuch gibt es nur die Hälfte der Strafe. Wer ausländisches Geld hat, muss mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus rechnen. 1968, dem liberalsten Jahr in der Ära Ceauşescu, werden Grenzgänger nach einer Gesetzesänderung nicht weiter als politische Häftlinge eingestuft, aber trotzdem im Gefängnis als solche behandelt. Ein Beispiel: Ein Gericht verurteilt im Sommer 1968 Reinhold Mager nach dem alten Gesetz zu vier Jahren und seine beiden Freunde Johann Wagner und Hans Rieder zu je drei Jahren Gefängnis. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes wird das Urteil auf Antrag revidiert: Die drei kommen nach einem Jahr frei. Die Prozesse, mit denen die Grenzgänger in Rumänien konfrontiert werden, bezeichnet der aus dem Banat stammende Rechtsanwalt Martin Mühlroth als Zirkus vor Gericht. Er habe seinen Mandanten stets reinen Wein eingeschenkt: Er habe die Angeklagten darüber informiert, dass er das Mandat annehme, aber ihnen nicht helfen könne. Auch Mühlroth ist Grenzgänger: Er hat Serbien und die Freiheit auf einem aufgeblasenen Treckerreifen erreicht. Den Strafen der Gerichte gehen die der Grenztruppen und der Securitate voraus: Prügel und Folter. Zur Abschreckung treiben Grenzsoldaten blutüberströmte junge Männer durch die Dorfstraßen. Einen solchen Fall hat es auch in Marienfeld gegeben. Selbst ganzen Familien ergeht es ähnlich; auf der Brust tragen sie die Aufschrift: „So sehen Vaterlandsverräter aus“. Ebenfalls zur Abschreckung dienen ab und an inszenierte Schauprozesse. Sie sollen der Bevölkerung auch zeigen, dass der Staat jenen entgegenkommt, die ihre Taten bereuen. Doch
sie bewirken stets das Gegenteil von dem, was die Kommunisten eigentlich damit bezwecken. Mit dem Thema Flucht befassen sich inzwischen auch Schriftsteller. Einer davon ist der aus Wiesenhaid im Banat stammende Siegfried Chambre (Jahrgang 1961). Chambre hat vier Fluchtversuche gebraucht, um in den Westen zu gelangen. Den ersten unternimmt er 1979 mit 18. Nach dem Versuch, in einen mit Gemüse beladenen Eisenbahnwagen einzusteigen, bleiben ihm noch Prügel erspart. Er kommt zur Securitate, wo er und seine ebenfalls gefassten Kameraden schriftlich erklären müssen, was sie an dem Waggon gesucht hatten. Sie schreiben die abgesprochene Lüge auf, und der Securitate-Offizier lässt sie frei. Sein großzügiges Verhalten kann sich Chambre erst später erklären: Die Securitate war angewiesen, nicht nur die Flucht, sondern schon Fluchtversuche zu unterbinden. Für einen Fluchtversuch hätte sich der Securitate-Offizier demnach bei seinen Vorgesetzten verantworten müssen. Deshalb akzeptiert er die Lüge in den Protokollen, der Fluchtversuch erscheint nicht als solcher, und der Geheimdienstler hat keine Unannehmlichkeiten. Was ihm die Grenzer nach der zweiten Flucht angetan haben, schildert Chambre im 1994 erschienenen Roman „Auf und davon oder Der Traum vom roten Flugzeug“. Ungarische Grenzer stellen Chambre und seine beiden Begleiter und liefern sie an Rumänien aus. Chambre schreibt: „Ein junger Grenzer legte uns Handschellen an. Er tat es mit verlegener Miene und schulterzuckend. So habe man es von der rumänischen Seite gewünscht. Wir stiegen in einen Geländewagen, und ab ging's zur Grenze. Jenseits des Grenzstreifens wartete man auf uns. Ein Major als Ranghöchster, zwei Leutnants, acht Soldaten. Ein ganz ordentliches Empfangskomitee. Die Vorgesetzten schüttelten sich die Hände, unterschrieben einen Auslieferungsvertrag, und wir wurden geheißen, denselben Weg, auf dem wir in der Nacht nach Ungarn gekommen waren, zurückzulaufen. Der ungarische Grenzsoldat nahm uns die Handschellen ab und klopfte uns ermutigend auf die Schultern. Drüben schüttelte der rumänische Major jedem von uns die Hand und sagte mit jener Freundlichkeit, die einem das Blut in den Adern gerinnen lässt: ‹Herzlich willkommen daheim.›“ Ein Leutnant schnürt auf Befehl des Majors den Gefangenen die Hände so fest zusammen, dass bald Blut und Schmerz in ihnen hämmern. Das folgende Verhör besteht zunächst aus Fausthieben ins Gesicht, auf den Hinterkopf und in den Magen. „Das Blut spritzte aus meiner Nase auf die Uniform des Grenzers. Er fluchte grässlich und warf mich in den nahegelegenen Entwässerungskanal“, schreibt Chambre weiter. „Dann öffnete er die Hose und pisste in den Graben, in dem wir inzwischen alle drei lagen. Ich versuchte, das Blut aus meinem Gesicht zu waschen. Der Grenzer lachte laut und rief: ‹Wasch nur heftig, das Wasser ist jetzt desinfiziert.› Dann knöpfte er sich die Hose zu und schrie wie besessen: ‹Raus mit euch, los, hochkommen!›
Als Chambre aus dem Kanal kriechen will, tritt ihm der Grenzer gegen den Kopf: „Du Schwein bist noch nicht genug desinfiziert, los, weiterwaschen, sonst versaust du uns das ganze Auto.“ Einer der acht Grenzer bindet den beiden aus dem Kanal gekrochenen Leidensgenossen mit Leinenschnur die Hände auf den Rücken. Als Chambre das Ufer erreicht, ist er an der Reihe. Danach beginnt ein Major das Verhör. Weiter heißt es in dem Roman: „Wir wurden getrennt, und während der Major einen von uns verhörte, wurden die beiden anderen auf das Verhör ‹vorbereitet›. Um das Auto des Majors herum standen die Soldaten. Einer aus der Gruppe kam auf mich zu und pflanzte sich vor mir auf. ‹So, so, nach Deutschland wolltest du kleiner Neamtz (verächtlich für Deutscher) also. Was hast du den ganzen Sommer gemacht, während ich hier an der Grenze Dienst schieben musste? Hast dich in Fotzen gesuhlt, was? Und nun werde ich bestraft, weil dir die Flucht nach Ungarn geglückt ist. Hast wohl nicht gedacht, dass die dich zurückgeben, ha? Auf den Bauch, los!›“ Der Soldat tritt Chambre um, der auf seinen aus Leibeskräften schreienden Kumpel Alex fällt. Neben dem auf dem Boden liegenden Alex stehen breitbeinig zwei Grenzer, die mit je einem Bündel Betoneisen auf dessen Rücken einschlagen. Nach zwei Hieben ist das Hemd zerfetzt, nach zehn die Haut. Während sich Chambre zur Seite rollt, kommt der andere Soldat mit der Kurbel des alten Geländewagens auf ihn zu, schlägt und trifft Füße und Beine des Gefesselten, danach hilft er mit den Stiefeln nach. Dann ruft der Major wieder zum Verhör. Er möchte den Namen des Fluchthelfers erfahren. Alex liegt zehn Schritte entfernt und stöhnt. Peter, der zweite Kamerad, sitzt im Geländewagen, während ein Grenzer ihm von Zeit zu Zeit eine Ohrfeige oder einen Fausthieb verpasst. Weil Chambre die Fragen des Majors nicht beantwortet, reicht er ihn zurück an den Soldaten und wendet sich Alex zu. Der Soldat zündet eine Zigarette an und hält sie Chambre dicht vor die Nasenspitze, so dass er die Glut auf der Haut spüren kann. Und immer, wenn der Gepeinigte denkt, jetzt verbrennt er ihn, zieht der Grenzer die Zigarette weg, steckt sie in den Mund und raucht weiter. Als nur noch ein Stummel übrig ist, drückte er ihn auf Chambres Rücken aus. Weil er noch immer nicht geständig ist, geht die Folter weiter. Ein Leutnant lässt einen Wachhund auf ihn los. Der Hund ist dem mit gefesselten Händen über den Kasernenhof laufenden Geschundenen auf den Fersen und beißt ihm in den Unterschenkel. Er lässt von dem inzwischen im Dreck liegenden Chambre erst ab, als der Leutnant es ihm befiehlt. Jetzt sollte der Hund nach Alex fassen. Doch dem zerreißt er lediglich ein Hosenbein, weil sich Alex auf den Boden fallen lässt und still liegen bleibt. Alex bewegt sich trotz Aufforderung nicht. Deshalb schlägt der Leutnant ihn mit dem Gummiknüppel, zerrt ihn hoch und schiebt ihn vor sich her in sein Büro. Währenddessen sitzt Peter regungslos und mit hängendem Kopf auf einer Bank. Seine gefesselten Hände sind tiefblau.
Plötzlich schreit er wie am Spieß. Ein Soldat, der bisher scheinbar teilnahmslos in einer Ecke gestanden hat, marschiert zu Peter, nimmt das Bajonett vom Gewehr, durchschneidet die Fesseln und lässt aus einem Schlauch Wasser über Peters Arme laufen. Nach einer Weile weicht das Blau einem dunklen, dann einem hellen Rot. Der Soldat geht danach zu Chambre, durchtrennt auch seine Fesseln und kühlt ihm Hände und Arme mit Wasser. Doch die Folter ist damit noch nicht beendet. Der Major möchte die Namen der Helfer hören. Chambre muss die Schuhe ausziehen und sich knien. Der Leutnant schlägt ihm mit dem Gummiknüppel auf die Fußsohlen. Danach muss er die Hände auf den Tisch legen, mit der Handfläche nach oben. Der Leutnant schlägt erneut mit dem Gummiknüppel zu, diesmal auf die Handflächen. Chambre schreit vor Schmerz. Danach folgt die nächste Frage des Majors: Wo das ungarische Geld geblieben sei, das sie für die Weiterfahrt mit der Eisenbahn gebraucht hätten. Chambre und seine beiden Mitstreiter haben es in Ungarn verschluckt, doch das sagen sie nicht. Chambre muss Hose und Unterhose runter lassen und sich bücken. Der Leutnant schlägt ihm mit der Hand ins Genick, dass er vornüberknickt, und kontrolliert den Mastdarm mit dem Finger, um den sein Taschentuch gewickelt ist. Weil nichts zum Vorschein kommt, tritt der Leutnant Chambre wütend mit dem Schuh ins Gesäß, so dass dieser ausgestreckt zu Boden fällt. Der Major bohrt weiter, möchte wissen, woher die sehr genaue Ungarn-Karte stamme, wenn ihnen angeblich kein Mensch geholfen hat. Als der Major die Antwort hört, die sei auf dem Flohmarkt gekauft, schäumt er vor Wut. Der Leutnant schlägt zu, wieder und wieder mit dem Gummiknüppel, auf Hände und Füße. Er hört erst auf, als Chambres Schreie in seinen Ohren schmerzen.
Wenn es in Ungarn keinen Helfer gegeben habe, wer hat den dreien den Weg auf der rumänischen Seite gezeigt, das ist die nächste Frage. Auf die unbefriedigende Antwort schlägt der Major Chambre mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Als er aus der Ohnmacht erwacht, sitzt neben ihm Fluchthelfer Mircea mit geschwollenem Gesicht und blutunterlaufenen Augen, barfuss, die Sohlen geschwollen. Mircea fragt den aufwachenden Chambre, warum sie ihn verraten hätten. In diesem Augenblick fliegt die Tür auf, in der triumphierend der Leutnant steht. Mircea gibt zu, Chambre zu kennen, worauf der Leutnant meint: „Na also, warum nicht gleich so.“ Das Verhör ist beendet. Seine Flucht nach Jugoslawien und die anschließende Auslieferung an Rumänien ist Thema eines Buches des Siebenbürger Sachsen Karl-Rudolf Brandsch, das unter dem Titel „Flucht aus dem Reich Ceauşescus. 40 km im Fluss Timisch“ erschienen ist. Literarisch verarbeitet auch der Temeswarer Schriftsteller Daniel Vighi zur Zeit seine in ein paar Wochen als Grenzsoldat bei Valkan gesammelten Erleb-
nisse. Über dieses Vorhaben hat Vighi vor kurzem vor der Gesellschaft für Menschenrechte in Marmarosch-Siget berichtet. Seinen Angaben zufolge waren die Grenzgänger in erster Linie junge Leute bis 30 Jahre alt. Die Grenztruppe hatte Soldaten, die Nacht für Nacht auf der Lauer lagen. Sie mussten tatsächlich liegen, in Furchen, hinter Sträuchern und durften die Stelle, wo sie sich auf die Lauer legen mussten, nicht verändern. Der Acker musste unverändert bleiben, der Soldat dufte nichts auf den Boden legen, um sich gegen Kälte zu schützen, er war lediglich mit einer Plane gegen Regen geschützt; im Winter war es erlaubt, einen Lammfellmantel gegen die Kälte zu tragen. Veränderungen waren verboten, weil sie ihre Lagerplätze verraten hätten, und Leute, die in Grenznähe arbeiteten, hätten ihr Wissen zur Flucht nutzen können. Nach einem Jahr waren all diese Soldaten rheumakrank, ausnahmslos, so Vighi. Diese jungen Männer hassten die ganze Welt. Aber in erster Linie hassten sie die unglücklichen Grenzgänger, die aus dem ganzen Land an die Westgrenze strömten. Mit Märzbeginn wurde die Sommersaison an der grünen Grenze eingeläutet. Die folgenden Monate brachten eine scheinbar unendliche Reihe von Unglücksfällen, von blutigen Heldentaten und Horrorgeschichten mit sich. Nachts gab es getarnte Wachen in den Feldern, eine Patrouille war unterwegs von einer Lauerstellung zur anderen, um zu kontrollieren, ob die Soldaten schlafen. Es ist vorgekommen, dass Soldaten auf Lauerposten auf die Patrouillen geschossen haben. Vighi berichtet weiter: „Ich hatte Angst, nachts in Lauerstellung zu gehen. Deshalb haben sie mir einen Schäferhund mitgegeben.“ Der Befehlshaber des Grenzerstützpunkts, ein Leutnant, war brutal und alkoholabhängig. Er hat sich immer gewünscht, einen Grenzgänger zu erschießen und ihn mit der Schubkarre durch Valkan fahren zu lassen - als abschreckendes Beispiel, so Vighi weiter. „Es war eine Welt, in der ich als Student nur kurze Zeit durchhalten musste. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn ich einem Grenzgänger gegenübergestanden hätte. Denn wir waren zwischen Hammer und Ambos.“ Vighi wollte sein Studium beenden, deshalb ist er nicht geflüchtet. Einer seiner Kameraden hat sich anders entschieden: Er ist über die Grenze gegangen. Manchmal wurden Unschuldige Opfer dieses endlosen Krieges zwischen Soldaten und Zivilisten. Dazu gehört eine alte Bäuerin, die an der Grenze in einem Maisfeld hackte. Aus Versehen hat sie ihre Notdurft auf der jugoslawischen Seite verrichtet. Als sie danach nichts ahnend zurück an die Arbeit gehen wollte, hat sie ein Scharfschütze von einem Beobachtungsturm aus erschossen, direkt ins Herz. Die mit Fernglas bestückten Gewehre hat die rumänische Grenztruppe aus den USA bezogen. Etwa jeder zehnte Grenzsoldat war in den 1980er Jahren mit solch einer Waffe ausgestattet. In der Ausbildung wurden den Grenztruppen alle möglichen Fälle der Grenzverletzung vorgetragen, denn die Grenzgänger entwickelten viel Phantasie. Diese realen Geschichten verbreiteten sich aber nicht nur in den Kasernen, sondern
auch unter der Zivilbevölkerung und damit auch unter den Leuten, die sich darauf vorbereiteten, über die Grenze zu fliehen. Auch sie analysierten, diskutierten und entwickelten Strategien. Einige Ausbilder sprachen von einem mitleidlosen Wettbewerb auf Leben und Tod zwischen Grenztruppen und Verbrechern. Diese ausgegebene Losung verwendeten die Grenzsoldaten auch dann, wenn sie folterten, quälten, die Gefangenen durch Schläge entstellten und sie mit Stacheldraht fesselten. „Bevor meine Mama weint, soll lieber deine Mutter trauern.“ Dieser Spruch belegt wie kein anderer die Lage an der Westgrenze Rumäniens in den Jahren des Kommunismus. Die Ausbilder hatten den Soldaten eingeschärft, dass alles, was ein Grenzer tut, aufgezeichnet wird, wo er zu welcher Stunde auf Wache war. Und diese Akte wurde zehn Jahre lang aufbewahrt. So konnte es geschehen, dass ein Grenzsoldat auch Jahre nach der Entlassung aus der Armee noch zur Rechenschaft gezogen und ins Gefängnis gesteckt werden konnte wegen Nichterfüllung des Kampfauftrags. Beispielsweise wenn Grenzgänger Jahre nach der Flucht erzählten, wie ihnen die Flucht gelungen ist. Täglich hat es an der Westgrenze Zwischenfälle gegeben, berichtet Vighi. Jeden Abend hat der Befehlshaber des Grenzerstützpunkts zum Appell blasen lassen. Vor dem Grenzerstützpunk versammelt waren alle, vom Koch über die Wachsoldaten bis zu den Hundeführern, sie alle mussten der vom KognakKonsum rau gewordenen Stimme des Befehlshabers lauschen. Er teilte ihnen täglich mit, worauf sie sich in der kommenden Nacht und am nächsten Tag einzustellen hatten. Er gab die von der Polizei, dem Geheimdienst Securitate und vom Gegeninformationsdienst der Armee gesammelten Informationen weiter. Er wusste beispielsweise, dass aus einem bestimmten Gymnasium in Siebenbürgen Schüler verschwunden sind und wahrscheinlich an der Grenze bei Marienfeld auftauchen werden. Ihm war bekannt, dass zwei ehemalige Häftlinge im Grenzgebiet zwei Soldaten entwaffnet hatten. Aber auch das, was in den vergangenen 24 Stunden sonst passiert ist, wurde vor versammeltem Regiment gemeldet. Dazu hat auch der Tod der alten Bäuerin am Grenzstreifen gehört. Der Befehlshaber des Grenzerstützpunkts Valkan-Feld jener Tage hat die eingefangenen Grenzgänger geschont, nicht offensichtlich. Doch wenn es ging, hat er es so gedreht, dass sie nicht in die Hände anderer gefallen sind, die sie verprügelt hätten. Ähnlich hat sich auch Nikos verhalten, ein Nachkomme von Griechen, die nach dem kommunistischen Putsch nach Rumänien geflüchtet waren. Er hat nie auf Flüchtende geschossen, er hat sie einfach gestellt. Nikos gehörte zu den wenigen, die der Meinung waren, auf die alte Bäuerin hätte nie geschossen werden dürfen. Doch über all das wurde nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Mit jedem neuen Tag igelten sich die Soldaten in eine eigene Welt ein, in eine geschlossene, barbarische Welt, in der es nur noch darum ging, wessen Mutter weinen musste: die des Soldaten oder die des gefassten Grenzgängers. Der
Wettkampf zwischen Grenzern und Flüchtlingen wurde von Tag zu Tag grausamer. Grenzgänger haben die Grenztruppen nicht nur einmal gedemütigt. Dazu haben auch jene Jugendlichen gehört, die ihren Trabant am Kühler gepanzert hatten, um die Schranke an einem kleinen Grenzübergang zu durchbrechen, der ausschließlich für den kleinen Grenzverkehr eingerichtet worden war. Einmal monatlich durften dort Leute aus beiden Teilen des Banats die Grenze passieren, um einzukaufen oder Verwandte zu besuchen. Als der Trabant die Schranke durchbrochen hatte, sind die an der Grenze wartenden Passlosen ohne Kontrolle nach Serbien gelaufen, haben sich den serbischen Grenzern ergeben, um danach die rumänischen Soldaten zu beleidigen. Andere haben sauerstoffgetriebene Gasflaschen zu Raketen umgewandelt, um im Höllentempo über die Donau zu gelangen. Die größte Schmach erleben die Grenztruppen ein paar Jahre später, so Vighi. Jugendlichen gelingt die Flucht mit einem in einem Hinterhof gebauten Flugzeug in den Westen.
Zwangsarbeit
Grenzübertritt wird im kommunistischen Jugoslawien mit höchstens 30 Tagen bestraft, in Rumänien mit mehreren Jahren. Im kommunistischen Rumänien bedeutet Verurteilung wegen Grenzverletzung Zwangsarbeit. 95 Prozent des erarbeiteten Lohns behält der Staat für Kost und Quartier ein. Der Rest wird nach Ablauf der Strafe ausgezahlt. Der Häftling darf kein Geld besitzen. Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht. Das schreibt Karl-Rudolf Brandsch aus dem siebenbürgischen Kronstadt in seinem Buch „Flucht aus dem Reich Ceauşescus. 40 km im Fluss Timisch“ nach seine Grenzübertritt als Taucher und der Auslieferung aus Jugoslawien. Das Temeswarer Gefängnis beschreibt er so: „Wuchtig und düster steht das Gefängnis in seiner Größe vor uns, erdrückend und kalt mit seinen vergitterten Fenstern. Erbaut wurde es unter Maria Theresia, Königin von Böhmen und Ungarn, nach 1740.“ Das Gefängnis, umgeben mit Stacheldraht und besetzten Wachtürmen, gleicht einer Festung. Irgendwo in den Werkstätten arbeiteten auch ausländische Fluchthelfer. Mit ihnen ist nie jemand in Kontakt gekommen. Brandsch schreibt über die Zeit der Untersuchungshaft: „Im dritten Stock werden wir in Zellen verteilt. Mit einem Kumpel werde ich in eine Zelle geschoben. Erschreckend klein ist diese, circa zweieinhalb mal dreieinhalb Meter groß. Gegenüber dem Eingang ist ein Fenster. Rechts und links an den Wänden in Längsrichtung, das Fenster fast verdeckend, stehen je drei Eisenbetten übereinander mit je einem Strohsack, einem Kissen und einer Decke. Die Kissen sind mit Stroh gefüllt. Nur einen Spalt kann das Fenster geöffnet werden, da die
Betten es fast verdecken, und nur ein schmaler Gang dazwischen ist frei. Ein kleiner Tisch und eine kurze Bank, altes edles Mobiliar, an dem zwei Mann essen können, stehen gleich rechts, wenn man hereinkommt. Eine kahle Glühbirne an der Decke vervollständigt unseren Luxus. Zehn Männer begrüßen uns neugierig. Jetzt sind wir zwölf in diesem Loch, zwei Mann in jedem schmalen Bett. In den nächsten Tagen werden noch zwei hinzukommen, die werden auf dem Dielenboden unter den Betten schlafen müssen.“ Nach dem Urteil kommt Brandsch in einen Raum, der 72 Schlafplätze hat. Fünf Betten sind sogar doppelt belegt von jungen Männern, die sich gemeinsam auf die Flucht begeben hatten. Auch die Bänke sind als Schlafplätze besetzt, „also suchen wir uns einen Platz unter den Betten auf dem Fußboden“, schreibt Brandsch. In dem Raum sind ausschließlich Grenzgänger zusammengepfercht: 86 Mann. Zu ihnen gehören auch Franz und Dieter aus Marienfeld, die zu je sechs Monaten verurteilt worden sind. Sie werden nach der Entlassung Brandsch eine Ansichtskarte mit Grüßen aus Nürnberg schicken. Anders ergeht es Häftlingen in Jugoslawien. Dort gibt es keine Zwangsarbeit. Das Essen ist nach Berichten der Grenzgänger recht unterschiedlich, doch nicht immer so schlecht wie in Rumänien. Die meisten Gefängnisinsassen würden es vorziehen, an der frischen Luft einer Beschäftigung nachzugehen, denn die Langeweile hinter Gittern ist fast unerträglich. Doch das ist nicht immer möglich. Aussagen von Grenzgängern zufolge ist das auf die Absprachen mit dem UNO-Häftlingshilfswerk und die Zahlung von täglich 90 US-Dollar für jeden Häftling zurückzuführen. In Jugoslawien werden Häftlinge meist korrekt behandelt. Doch auch dort sind sie der Laune des Wachpersonals ausgesetzt. Wenn ein Wärter einer bestimmten Nationalität schlecht gesonnen ist, bekommen das die entsprechenden Häftlinge zu spüren. Die Wärter prügeln sogar. In den meisten Fällen ergeht es speziell Zigeunern und Albanern schlecht. Sie werden nicht zimperlich angefasst, berichten Grenzgänger. Die Zustände im Temeswarer Untersuchungsgefängnis beschreibt William Totok so: „In der etwa fünf Meter langen und zwei Meter breiten Zelle mit sechs engen Schlafstellen, bestehend aus drei doppelstöckigen Eisenbetten, befanden sich eine Latrine mit Wasserspülung und eine Dusche, die einmal pro Woche benutzt werden durfte. Beim geringsten Geräusch hatten wir uns mit dem Gesicht zur Wand aufzustellen. Den Wärtern durften wir uns nicht namentlich vorstellen, sondern mussten stattdessen unsere Nummer nennen. Ich beispielsweise hieß 24. Tag und Nacht brannte in einer mit einem Drahtnetz abgesicherten Wandnische eine schwache Glühbirne. Da jedem Häftling die Uhr abgenommen wird, verliert er jegliche Zeitorientierung. Die jeweilige Tageszeit konnte anhand des Tageslichts bloß annähernd bestimmt werden, das schwach schimmernd durch
eine winzige, von mehreren Gittern und einer Milchglasscheibe abgesicherte Fensteröffnung in die Zelle fiel. Tagsüber war es untersagt, sich auf dem Bett auszustrecken. Den Häftlingen ist es erlaubt, in der kleinen Zelle auf- und abzugehen bzw. auf der Bettkante zu sitzen. Die Ruhezeit zum Schlafen dauert genau sieben Stunden, von 22 bis 5 Uhr. Klopfzeichen sind verboten, ebenso alle anderen Versuche der Kontaktaufnahme. Dreimal täglich mussten wir - mit dem Gesicht zur Wand gedreht - zum Appell antreten. In unregelmäßigen Abständen fanden überraschend Inspektionen statt, wobei sämtliche Zellengenossen einer peinlichen Kleidervisitation unterzogen wurden. Die Matratzen sowie sämtliche Winkel der Zelle wurden bei derartigen Kontrollen sorgfältig nach verbotenen Gegenständen (wie Papier, Bindfäden, Schnürsenkeln, Metall, Rasierklingen, Glasscherben, Nadeln, Zwirn, Zeitungen, Büchern, Spiegeln, Hosenriemen usw.) durchsucht. Die Wirkung derartiger Besuche auf die sowieso schon arg strapazierten Nerven der Häftlinge entsprach offensichtlich einem raffiniert ausgeklügelten System von Psychoterror.“ Wer in kommunistischer Zeit lange eingekerkert war, hat die Haftanstalt mit schweren psychischen und physischen Schäden verlassen. Der total entrechtete und entmündigte Häftling sei der Willkür der Gefängnisaufseher, der Ermittlungsbeamten und deren Helfershelfer ausgesetzt, die, rekrutiert aus den Reihen der Schwerverbrecher, durch ihre Kollaboration Privilegien erlangt haben. „In einer rumänischen Haftanstalt vergeht kein Tag, ohne dass Gefangene unmenschlich geschlagen werden. Die Schreie der Gefolterten dringen bis in die letzten Winkel des Gefängnistrakts und verbreiten Entsetzen unter den anderen Sträflingen“, schreibt Totok. Widerstand, als Zeichen extremer Verzweiflung, ist stets gescheitert. Wer in Hungerstreik getreten ist, wurde in einer ungeheizten Zelle isoliert, und zwar in einem dünnen Hemd und einer Unterhose. Auf dem Betonboden oder im Eisenbett ohne Matratze blieb den zur Isolationshaft Verurteilten nichts übrig, als in der Zelle auf- und abzugehen. Manchen Häftlingen wurden zusätzlich Eisenketten an den Beinen angelegt. Zu essen bekamen diese Gefolterten nur jeden zweiten Tag, hinzu kam eine Kanne Wasser. Zwangsernährung erfolgte auf Anordnung der Staatsanwaltschaft und des Gefängnisarztes, falls diese vom Überwachungspersonal überhaupt in Kenntnis gesetzt worden waren. Missliebige Häftlinge ließ man einfach verhungern. Totok weiter: „Jeder Häftling erhält bei seiner Einweisung ins Gefängnis einen Aluminiumnapf und eine Blechkanne. Viele greifen zum extremsten Mittel des individuellen Protestes, indem sie ihren Esslöffel verschlucken, den sie für wenige Minuten mittags und abends bekommen, um damit zu essen (Messer und Gabel sind verboten). Nach einem derartigen Verzweiflungsakt, mit dem sie auf sich aufmerksam machen wollen, müssen die in Lebensgefahr schwebenden Häftlinge in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Mir ist der Fall eines
Gefangenen bekannt, der etwa zwanzig Mal seinen Löffel verschluckt hatte. Die wiederholten chirurgischen Eingriffe zur Entfernung des Metalls hatten eine enorme physische Schwächung des Häftlings zur Folge. In der Vollzugsanstalt setzte der Verurteilte seine Protestaktion ergebnislos fort. Nach einem weiteren Eingriff riskierte er alles: Mit einem scharfkantigen Blechstück trennte er sich seine kaum vernarbten Operationswunden auf und riss sich handtellergroße Hautfetzen vom Bauch, die er dem herbeigeeilten Gefängniswärter entgegenschleuderte. Der erboste Aufseher unterließ es, einen Arzt zu rufen. Der Häftling verblutete in kürzester Zeit infolge seiner sich selbst zugefügten Verletzungen. Derartige Vorkommnisse sind keine Seltenheit. Zumeist werden sie vertuscht; der Gefängnisarzt stellt einen Totenschein aus, in dem als Todesursache irgendeine harmlose Krankheit vermerkt ist.“ Häftlinge, die zu fliehen versucht haben, sind in der Regel rasch gestellt worden. Totok berichtet von zwei Fällen aus dem Untersuchungsgefängnis in Temeswar. „Während des sogenannten Spaziergangs im Freien (in einem etwa 20 Quadratmeter großen Käfig, durch dessen offene, mit einem Drahtnetz abgesicherte Decke man ein Stück Himmel sieht) gelang es den Gefangenen, zu fliehen. Noch am selben Tag wurden sie wieder eingefangen und stundenlang verprügelt. Erst spät in der Nacht verstummten ihre Schreie. Von einem barbarischen Vorfall, der sich im Temeswarer Gefängnis am 25. Dezember 1975 ereignete, berichtete mir ein Mithäftling. Sämtliche Gefangene des Isolationstrakts mussten sich splitternackt auf die eiskalten Betonfliesen des Gefängniskorridors legen. Auf die mit Handschellen aneinandergefesselten Häftlinge prügelte ein Wachkommando mit Gummiknüppeln ein. Gleichzeitig ließ der befehlshabende Offizier die Schreie der Gefolterten auf ein Tonband aufzeichnen, um nach Abschluss dieser entwürdigenden Prozedur den Opfern das Band immer wieder vorzuspielen.“ Zu essen bekamen die Häftlinge dreimal täglich. Als Frühstück gab es eine leicht gesüßte Brühe, in der neben gebrannten Gerstenkörnern manchmal auch noch gequollene Keksreste schwammen. Das Mittagessen bestand aus einer Art Suppe - ein undefinierbares, lauwarmes Gebräu, in dem manchmal eine oder zwei oberflächlich geschälte Kartoffeln schwammen - und eine zweite Brühe, zumeist aus grünen oder getrockneten Bohnen, aus madigem Sauerkraut oder verwelktem Kohl und Graupen, aus ungeschälten Kartoffeln, schmutzigem Spinat, aus Graupenbrei oder auch aus einfach in Salzwasser gekochten Makkaroni. „In dieser als zweiter Gang servierten Brühe schwimmen sogar Fleischabfälle, d.h. entweder Kuhaugen, unverwertbares Euter, Schafslippen oder borstige Schweinefüße, an denen manchmal sogar noch die Klauen dran sind. Dazu erhält der Häftling täglich 125 Gramm säuerlich schmeckendes Schwarzbrot und etwa 200 Gramm eines unausgebackenen Maisfladens (eine breiige, gelbe Masse, bekannt unter der Bezeichnung ‹turtoi›).“ Das Abendbrot eines Untersu-
chungsgefangenen entsprach etwa dem zweiten Gang des Mittagsmahls: „keine Proteine, kein Fett, keine Vitamine - immer nur ungenießbare, wässrige Kohlenhydrate“.
Auch Sportler nutzen das Schlupfloch Jugoslawien
Zu denen, die Reisen nach Jugoslawien zur Flucht nutzen, gehören auch bekannte Sportler, wie der DDR-Fußballnationalspieler Falko Götz, geboren am 26. März 1962 in Rodewisch. Am 3. November 1983 setzt er sich zusammen mit seinem Mannschaftskollegen Dirk Schlegel vor dem Europapokalspiel des Berliner FC Dynamo bei Partisan Belgrad in die bundesdeutsche Botschaft in Jugoslawien ab und gelangt mit einem Ersatzpass in den Westen. Ein Gastspiel des rumänischen Erstligisten Dinamo Kronstadt in Jugoslawien nutzt auch der Handballer Bruno Zay 1970 zur Flucht. Er trampt durch Jugoslawien und gelangt über Italien und Österreich nach Deutschland, wo er sich als Spieler dem VfL Gummersbach anschließt und mit Hansi Schmidt in einer Mannschaft spielt. Zu jenen, die aus der DDR über Ungarn nach Jugoslawien gelangen wollten, gehört auch Wolfgang Andreas, der nach der Ausreise unter dem Namen Chris Wolff als Schlagersänger Karriere machen wird. Der am 2. Oktober 1954 in Chemnitz geborene Andreas versucht 1981, durch Bestechung über die tschechisch-ungarische Grenze zu gelangen, um danach die ungarisch-serbische Grenze zu überwinden. Doch er gerät an einen Gauner; die Tschechen stellen ihn, in der DDR wird er zu drei Jahren Haft verurteilt und gelangt 13 Monate nach Urteilsverkündung durch Freikauf in die Bundesrepublik Deutschland. Der angebliche Schlepper, ein in der DDR tätiger ungarischer Kellner, kassiert von Andreas 27.500 DDR-Mark. Bekannt wird Wolff 1987 mit den Hits „Palma de Mallorca“ und „Am Strand von Maspalomas“ bei Auftritten in der ZDF-Hitparade. Der Titel „Wenn die Sehnsucht brennt“ gehört zu seinen letzten Erfolgen. Doch nicht jeder, der sich im Westen in Freiheit wähnt, ist auch in Sicherheit. Ein Beispiel dafür ist der am 16. Juli 1956 in Brandenburg an der Havel geborene Fußballer Lutz Eigendorf. Ab 1970 spielt er für den FC Dynamo Berlin und absolviert sechs Länderspiele für die DDR. Am 20. März 1979 setzt er sich nach einem Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern bei einem Stadtbummel in Gießen von der Mannschaft ab. Die Tatsache, dass Eigendorf beim Polizeisportklub Dynamo gespielt hat, wird ihm zum Verhängnis, insbesondere, weil der Stasi-Chef Erich Mielke ein begeisterter Fußballfan war. Hinzu kommt noch, dass sich Eigendorf in den westlichen Medien kritisch über die DDR äußert. Eigendorfs in Berlin gebliebene Frau Gabriele wird mit der Tochter unter ständige Beobachtung gestellt.
Auch Eigendorf selbst, der 1982 vom 1. FC Kaiserslautern zu Eintracht Braunschweig wechselt, gerät ins Visier der Staatssicherheit. Westdeutsche MfSInformanten überwachen ihn fast ständig. In der Nacht des 5. März 1983 wird Eigendorf bei einem mysteriösen Verkehrsunfall schwer verletzt und stirbt zwei Tage später. Die Obduktion ergibt einen sehr hohen Alkoholgehalt im Blut. Vereinskollegen sagen aus, Eigendorf habe sich zwar am Abend mit ihnen getroffen, aber nur sehr wenig Bier getrunken. Nach Öffnung der Stasi-Archive deutet einiges darauf hin, dass der vermeintliche Verkehrsunfall ein von der Staatssicherheit der DDR geplanter oder sogar ausgeführter Mordanschlag gewesen ist. Als sich der aus dem Banat stammende Handballer Hansi Schmidt am 30. November 1963 in Köln von seiner Mannschaft abgesetzt hat, beauftragt die rumänische Botschaft Privatdetektive, die den zukünftigen Star des VfL Gummersbach aufspüren sollen. Hätten sie ihn gefunden, wäre sein Freiheitstraum rasch zu Ende gewesen. Ebenfalls in Gießen gelangt der rumänische Handballer Vasile Capră Mitte der 1970er Jahre in die Freiheit. Er springt aus dem Zugfenster auf den Bahnsteig. Denn seine Mannschaftskollegen von Steaua Bukarest und die Geheimdienstmitarbeiter in Begleitung der Mannschaft hatten ein wachsames Auge auf ihn geworfen, so dass er durch die Tür den Zug nicht hätte verlassen können. Aber nicht nur Sportler und DDR-Flüchtlinge wurden überwacht und bespitzelt; Auch Grenzgängern aus Rumänien ist es ähnlich ergangen. Anfang der 1980er ist der Wagen eines aus Rumänien geflüchteten Ingenieurs in Neuss bei Düsseldorf explodiert. Der Mann ist mit dem Leben davongekommen, der Anschlag - vermutlich steckt die Securitate dahinter - ist fehlgeschlagen. Der Staatssicherheitsrat führte unter der Nummer 506.826 vom 24. März 1969 eine streng geheime Akte über rumänische Staatsbürger, die von 1960 bis zum 31. Dezember 1968 nicht mehr von Auslandsreisen heimgekehrt sind. Das hat Doina Magheţi bei der Akteneinsicht in den Archiven des Geheimdienstes Securitate erfahren. In dieser Zeit sind der Akte zufolge 1563 rumänische Staatsbürger im Ausland geblieben, davon waren 153 Mitglieder der kommunistischen Partei, 20 waren dienstlich unterwegs, 133 als Touristen, 290 waren Jungkommunisten, fünf Mitglieder der nach dem Krieg aufgelösten sogenannten bürgerlichen Parteien. In Österreich geblieben sind 320 Personen, in Jugoslawien 308, in der Türkei 196, in der Bundesrepublik Deutschland 119, in Italien 112 und in Frankreich 99. Unter den 1866 rumänischen Bürgern, die von 1960 bis zum 31. März 1969 nicht mehr von Auslandsreisen heimgekehrt sind, waren 204 Ingenieure, 138 Ärzte, 97 Lehrer, 81 Künstler, 15 Wirtschaftswissenschaftler und vier Physiker. In derselben Zeit sind 45 Personen aus Rumänien geflüchtet, indem sie sich gefälschter Pässe bedient oder in Güterzügen oder Schiffen versteckt hatten.
Dem „Bericht über einige Schlussfolgerungen aus der laufenden Geheimdiensttätigkeit in der Abteilung Gegenspionage vom 1. April 1969“ ist zu entnehmen, dass „387 Elemente“, davon 322 Ausländer überwacht wurden. Der Geheimdienst Securitate hat sie der Spionage für „verschiedene kapitalistische Staaten“ bezichtigt. 38 rumänische Staatsbürger wurden wegen Vaterlandsverrats observiert wegen ihrer Kontakte zu Ausländern. Andere wiederum wurden verdächtigt, Ausländern Informationen zu liefern. Die restlichen 27 rumänischen Staatsbürger, die das Land illegal verlassen haben, seien dafür bekannt, dass sie sich Rumänien gegenüber feindselig verhielten. Einige seien als Agenten für ausländische Geheimdienste tätig, andere verbreiteten über die Radiosender „Freies Europa“ und „Die Stimme Amerikas“ feindselige Propaganda über Rumänien oder versuchten, Kontakt zu Flüchtlingen aufzunehmen. Zu den am häufigsten Überwachten gehörten deutsche, französische, amerikanische, israelische, italienische und englische Staatsbürger, heißt es in dem SecuritateBericht. Der Geheimdienstakte 506830 vom 5. April 1969 ist zu entnehmen, dass 1968 das Jahr mit den meisten Fluchten in den 1960er Jahren war. 619 rumänische Staatsangehörige haben das „Internationale Tou-Ein Denkmal erinnert in Orschowa an jene, die ihr Leben verloren haben beim Versuch, über die Donau in die ristik-Jahr 1968“ genutzt, um Freiheit zu gelangen. Rumänien den Rücken zu kehFoto: Walther Konschitzky ren. Zu denen, die in den 1960er Jahren im Ausland geblieben sind, gehörten dieser Quelle zufolge sieben Securitate-Informanten. Von ihnen hätten sich sechs geweigert, weiter mit dem rumänischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. 51 Flüchtlinge seien als Problemfälle eingestuft worden, weil sie anscheinend feindliche Tätigkeiten gegen Rumänien im Ausland ausübten. 55 weitere seien in Abwesenheit verurteilt worden zu Freiheitsstrafen zwischen sieben und 15 Jahren und zum Einzug des
Vermögens. Die stetig wachsende Zahl der Rumänien-Besucher aus dem Ausland hat der Securitate immer mehr Arbeit beschert. In den Archiven des Geheimdienstes ist genau festgehalten, wie viele Besucher jährlich eingereist sind: Den Unterlagen ist zu entnehmen, dass 676 000 Ausländer 1965 Rumänien besucht haben. 1966 waren es schon 916 500, in den beiden folgenden Jahren 1,2 und 1,4 Millionen und 1969 schon mehr als 2 Millionen. Zu den Aufgaben der Securitate gehörte auch die Ermittlung der Fluchtwege und Tricks der Grenzgänger. In einer für das Jahr 1969 erstellten Dokumentation heißt es, viele Touristen, die mit dem Rumänischen Automobil-Klub oder dem Rumänischen Touristik-Amt in die Tschechoslowakei gereist sind, hätten Schifffahrten auf der Donau genutzt, um sich in Österreich abzusetzen. Andere hätten in Bulgarien Ausflüge in die Türkei gebucht, um in die Freiheit zu gelangen. Um weitere Fluchtversuche zu verhindern, hat der Geheimdienst Briefe aus dem Ausland abgefangen und die entnommenen Erkenntnisse verwertet. Den Securitate-Unterlagen ist beispielsweise zu entnehmen, dass einer Bukaresterin in einem Brief der Rat erteilt worden sei, 10 000 Lei auf die Reise in die Tschechoslowakei mitzunehmen, um die Donaufahrt nach Wien buchen zu können. In einem Brief wurde einer anderen Bukaresterin geraten, in Prag die bundesdeutsche Botschaft zu besuchen, um sich ein Durchreisevisum für Dänemark oder Frankreich zu besorgen. Eine nach Österreich geflüchtete Rumänin schreibt einer Architekturstudentin, sie sollte den von ihr erprobten Trick anwenden: In Preßburg habe sie sich auf dem Bahnhof krank gestellt. Der Bahnhofsvorsteher habe darauf gemeint, sie sollte doch einfach mit dem Zug ins nur 60 Kilometer entfernte Wien fahren. Aus einem aus Italien eingegangenen Brief hat die Securitate erfahren, auf welche Art und Weise rumänische Staatsbürger in die Türkei gelangen. Der nach Italien Geflüchtete schreibt einem Bekannten: „Eine Fahrkarte von Sofia nach Istanbul kostet lediglich 10 Dollar. Versuch, je mehr Geld mitzunehmen, versteck es, denn sie ziehen Dich an der Grenze nicht bis auf die Haut aus. Es wäre gut, wenn Du das Haus verkaufst und Dir die Anschrift Deiner Schwiegereltern zulegst. Nehme das gesamte Geld vom Hausverkauf mit. Den Reisepass solltest Du über den Rumänischen Automobil-Klub besorgen. Möchten sie wissen, wohin Du willst, sage ihnen, Du wolltest Verwandte in Sofia besuchen. An der Grenze zur Türkei gibt es keine Probleme.“ Mit dem Sturz Ceauşescus im Dezember 1989 enden die Fluchtversuche aus Rumänien nach Jugoslawien. Diejenigen, die in jenen Tagen der Revolte Haftstrafen wegen illegalen Grenzübertritts verbüßen mussten, waren mehr als verärgert, weil sie die Gefahren einer Flucht noch auf sich genommen haben. Mit Öffnung der rumänischen Grenzen wären sie auch ohne Flucht in die Freiheit gelangt. Heute, wo Rumänien zur EU gehört und Serbien noch immer unter den
Folgen des von Slobodan Milošević vom Zaun gebrochenen Balkankriegs leidet, haben sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt: Heute flüchten Menschen aus Serbien über die Grenze nach Rumänien. Wie die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien in ihrer Ausgabe vom 7. August 2007 berichtet, hat der rumänische Grenzschutz rund 100 serbische Staatsbürger festgenommen, die illegal rumänisches Territorium betreten haben. Sie hätten sofort Asylanträge gestellt und den rumänischen Beamten in Aussicht gestellt: „Weitere werden folgen…“ Johann Steiner