40 minute read

Familientreffen vor dem Stacheldraht

Von Elisabeth Loris

Das Thema Deutschland war oft Gesprächsstoff in unserer Familie, seit meine Großeltern 1961 übergesiedelt waren. Nachdem die Behörden zahlreiche unserer Ausreiseanträge abgewiesen hatten, schien uns dieses Ziel unerreichbar. Meine Mutter war öfter in Deutschland zu Besuch; manchmal blieb sie auch drei Monate dort, um zu arbeiten. Doch sie kam immer Elisabeth und Franz Loris mit Tochter Angelika in wieder zurück, weil sie sich nicht ihrer ersten Wohnung in Rastatt. von der Familie trennen konnte. 1969 war auch meine Schwester Erika, damals 16 Jahre alt, dabei; sie kamen nach drei Wochen wieder zurück. Meine Schwester wäre am liebsten dort geblieben, doch dafür war sie zu jung. Wir beide schmiedeten danach oft Fluchtpläne, doch wir verwarfen sie immer wieder. Es war alles zu gefährlich. 1972 kamen unsere Cousinen mit dem Auto zu Besuch. Das nutzten wir für einen Tagesausflug an die Donau, um die Möglichkeiten zu prüfen, mit einem Boot nach Serbien zu gelangen. Doch wir waren beide derselben Meinung: nicht übers Wasser. Trotz unserer vielen Pläne, Deutschland schien für uns ein unerreichbares Ziel zu bleiben; wir konnten nur davon träumen. Leider ging für Erika dieser Traum nie in Erfüllung. Sie verunglückte 1975 tödlich, zusammen mit unserer Oma. Ein schwerer Schicksalsschlag für uns alle. 1978 starb auch unsere Oma in Deutschland, und meine Mutter stellte noch einmal einen Besucherantrag. Meine Mutter und ich wurden zum Geheimdienst Securitate bestellt. Man sagte mir, meine Mutter könnte nach Deutschland fahren, wenn ich ein Papier unterschreiben würde, das mich verpflichtete, Rumänien nicht mehr zu verlassen, falls sie nicht zurückkommt. Das war Erpressung, doch ich unterschrieb. Mutter bekam den Pass und fuhr im Februar 1978 weg. Bei ihrer Abreise sagte ich zu ihr, sie habe die Wahl: zu bleiben oder zurückzukommen, doch ich würde hier nicht alt. Ich sah keine Zukunft mehr für uns Deutsche, auch nicht für meine kleine Tochter, damals ein Jahr alt. Meine Mutter fand in Deutschland Arbeit, wohnte bei Verwandten, die sie zum Bleiben zu überreden versuchten. Ab und zu rief ich sie an, und sie ent-

Advertisement

schloss sich schließlich für Deutschland. Ihre Eltern waren beide in Deutschland gestorben; es war wohl das letzte Mal, dass sie einen Pass bekommen hatte. Diese Entscheidung fiel ihr sehr schwer: Von der Familie getrennt zu sein, mit zwei süßen Enkelkindern, die auf sie warteten, und die Frage: Wann sieht man sich wieder? Ab Sommer 1978 fuhr ich zweimal wöchentlich nach Temeswar zur Audienz bei der Securitate, weil es hieß, es beschleunigt die Ausreise, wenn man sich dort oft blicken lässt. Mir half es weniger. Bei der Audienz wurde man einzeln aufgerufen und konnte seine Situation vortragen. Oftmals hieß es, meine Mutter soll zurückkommen, es würde ihr nichts geschehen. Oder ich wurde nur angebrüllt, kam überhaupt nicht zu Wort, ich sei zu jung, um auszureisen, soll für diesen Staat noch etwas leisten. Öfter wurde mir jenes Schriftstück gezeigt, ob ich vergessen hätte, was ich unterschrieben habe. Manchmal öffnete ich nur die Tür, da wurde schon geschrieen, „raus, was suchst du hier“. Doch ich ließ nicht locker, kam immer wieder. Mit einer Bekannten fuhr ich auch nach Bukarest zur deutschen Botschaft. Die Botschaftsmitarbeiter konnten leider auch nichts tun, die Entscheidung lag bei den rumänischen Behörden. Ich ging weiter in Audienz, und so wurden wir im Sommer 1979 vor eine Kommission gerufen, die über unsere Ausreise entscheiden sollte. Den Beamten der Securitate trugen wir unser Anliegen vor, doch ihre Antwort war nur, Mutter sollte zurückkommen, es wird ihr nichts passieren. Sie würden uns nicht ausreisen lassen. Normalerweise war kein Widerspruch geduldet, doch mein Vater trat vor und sagte in gebrochenem Rumänisch: „Als ihr uns nach Russland verschleppt habt, wusstet ihr, dass wir Deutsche sind - und auch ohne Sie werde ich nach Deutschland kommen“, drehte sich um und ging. Dass es tatsächlich kurze Zeit später so kommen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt keiner von uns. Mir wurde klar, dass sie mich nicht legal ausreisen lassen werden. Deshalb planten mein Mann und ich mit einem befreundeten Ehepaar die Flucht. Doch der Plan scheiterte, weil die Frau Angst hatte. Mein Vater bekam oft diese Diskussionen mit, dann sagte er immer wieder, er werde nur mit Pass ausreisen, nie illegal über die Grenze gehen. Er sei zu alt, um alles stehen und liegen zu lassen und ganz von vorne zu beginnen. Er war damals 61 Jahre alt.

Aus der Kur zur Grenze

Im August 1979 fuhr mein Vater nach Lippa zur Kur und kam zum Wochenende heim, um nach dem Rechten zu sehen. Das Haus, die Hühner, der Garten, das war seine Welt, darin blühte er auf. Ende August waren wir samstags und sonntags zu einer Hochzeit eingeladen. Samstag Mittag - wir waren fast fertig, um wegzugehen, kam ein fremder Mann zu uns nach Hause und fragte, ob mei-

ne Mutter in Deutschland sei und ob wir auch dahin wollten. Wir sollten es uns überlegen und bereden, er würde in ein paar Tagen wiederkommen. Ich bat ihn ins Wohnzimmer, machte ihm einen Kaffee, doch der Mann war sehr nervös. Er erklärte uns in kurzen Worten, wo wir die Grenze passieren, was es kostet und dass es sicher sei, und weg war er. Als ich ihm auf die Gasse folgte, war er wie vom Erdboden verschluckt. Danach dachte ich, was war das denn? Hat sich jemand einen Scherz mit uns erlaubt? Mein Mann und ich hatten keine Zeit, darüber nachzudenken, ob der Unbekannte es wirklich ernst meinen könnte, weil wir an diesem Wochenende auf beiden Hochzeiten beansprucht wurden. Wir waren als Kellner, wie es damals üblich war, voll beschäftigt. Montags morgens ging ich von der Hochzeit heim, war müde, wollte nur noch schlafen. Mein Mann half beim Aufräumen, und mein Töchterchen schlief bei den Schwiegereltern. Mein Vater fuhr montags morgens zurück nach Lippa zur Kur. Unser Zimmer lag an der Straße. Gegen 13 Uhr klopfte jemand an die Rollläden, rief meinen Namen, ich soll herauskommen, es suche mich jemand - es war der Fremde. Ich bat ihn ins Haus, und er fragte, wie wir uns entschieden hätten. Heute wäre der Moment, um über die Grenze zu gehen. Es kostet 40 000 Lei je Person, und wir treffen uns um 16 Uhr vor dem Temeswarer Hauptbahnhof. Im nächsten Augenblick war er weg. Entschieden, entschlossen? Mein Mann und ich hatten überhaupt keine Zeit, darüber zu reden. Ich stieg kurzentschlossen aufs Fahrrad - ich musste meinen Mann sprechen. Es war ein kühler Tag, dass ich fror, merkte ich erst später. In der Eile hatte ich mich viel zu dünn angezogen. Mein nächster Gedanke war, mein Vater muss als erster weg. Ich fuhr in die Hintere Reihe (Gasse) zu den Brauteltern, dort fand ich meinen Mann. Die Männer waren mit Aufräumen fertig und saßen noch im Hof. Nach einigem Hin und Her konnte ich ihn zur Seite ziehen, um ihm zu sagen, worum es gehe. Schlagartig war er präsent. Wir fuhren heim, holten das Geld, das wir zum Glück bar hatten, denn wir hatten zwei Wochen vorher unser Auto verkauft. Wir fuhren in den Graben, ein Cousin meines Mannes, der sich schon in Deutschland niedergelassen hatte, war eben zu Besuch. Wir hofften, er werde uns nach Lippa zu unserem Vater fahren - Fehlanzeige, er war weggefahren. Nun wussten wir nicht, an wen wir uns wenden sollten. Wer bringt uns so schnell nach Lippa und dann zum Hauptbahnhof nach Temeswar? Wem konnte man trauen? Wir fuhren durch die Lothringer Gasse, dann die Neugasse hoch und hatten Glück. Auf einer Brücke vor einem Haus stand ein Auto. Wir gingen hinein und fragten den Mann, ob er bereit sei, uns in dieser kurzen Zeit zu fahren. Er sagte zu, und los ging es. Die Fahrt war sicher filmreif, die Zeit knapp. Er hielt sich an keine Geschwindigkeitsbeschränkung, auch nicht in den Dörfern; Enten und Gänse stoben auseinander.

In Lippa angekommen, fragte ich an der Rezeption nach Vaters Zimmer. Ich klopfte an, ging hinein, Vater hielt gerade Mittagsschlaf. Er erschrak, als er mich sah, dachte, es sei etwas passiert. Er war doch erst vor ein paar Stunden hierher gefahren. Ich beruhigte ihn und sagte, es gehe in der Nacht über die Grenze. Ich packte das Nötigste in seinen Koffer, wir wollten fahren, doch die Frau an der Rezeption sagte, das geht nicht, er kann nicht einfach so weg. Ich erklärte ihr, wir hätten familiäre Probleme, und Vater würde morgen wieder kommen. Und weg waren wir. Mit Vollgas fuhren wir in Richtung Temeswar. Ich saß mit meinem Vater auf dem Rücksitz und versuchte, ihm zu erklären, dass er heute Nacht über die Grenze geht. Doch ich glaube, es drang gar nicht recht zu ihm vor, er war zu sehr überrumpelt worden. Wir fuhren auf der Landstraße am Dorf vorbei, da fragte er, „gehen wir nicht mehr heim? Was wird aus meinem Garten?“ Es war gerade Erntezeit. Wir erreichten ein paar Minuten vor 16 Uhr den Hauptbahnhof, der Mann erwartete uns schon und stellte uns einen älteren Herrn vor. Er sprach gut Deutsch und hieß angeblich Krämer. Er war sehr freundlich, sagte, er würde gut auf Vater aufpassen, wir sollten uns keine Sorgen machen. Er fragte Vater auch, ob er Angst habe, doch dieser sagte, er habe noch nie vor etwas Angst gehabt. Krämer schien sehr ruhig und gefasst, erklärte mir, sie würden mit dem Zug nach Großkomlosch fahren und nachts über die Grenze gehen. Sie gelangten ohne eine Kontrolle nach Großkomlosch, die Grenzer beachteten sie kaum. Sie gingen durchs Dorf zum Haus, das früher Krämer gehört hatte, wie er sagte, inzwischen wohnten Zigeuner darin. Dort übernachteten sie. Die Flucht wurde um einen Tag verschoben, Krämer erwartete noch ein junges Paar aus Temeswar, hieß es. Bevor sie in den Zug gestiegen sind, übergab ich das Geld in einer Plastiktüte. Der Zug fuhr los, mein Vater stand am Fenster, winkte uns zum Abschied, er wirkte ruhig, gelassen. Danach gingen wir mit dem Mann, der uns in Jahrmarkt besucht hatte, Kaffee trinken, doch im Lokal konnten wir nicht frei sprechen; also gingen wir in einen Park und setzten uns auf eine Bank. Ich war ebenfalls zur Flucht entschlossen. Ich hätte keine Sekunde gezögert, doch nicht ohne meine zweieinhalbjährige Tochter. Ich hab den Mann angefleht, gebettelt, es musste doch eine Möglichkeit geben, das Kind mitzunehmen. Vielleicht in einem Rucksack und auf dem Rücken, es ist doch Nacht, das Kind schläft doch - aber er ließ sich nicht erweichen, es ist viel zu gefährlich, das geht nicht, kein Kind. Wenn wir uns entschieden hätten, morgen um dieselbe Zeit am Hauptbahnhof. Und weg war er. Wir kannten weder seinen Namen, noch wussten wir, wo er wohnte. Wir waren ratlos, wussten nicht, was wir tun sollten und fuhren deswegen mit der Straßenbahn zu unseren Bekannten in die Fabrikstadt. Sie fielen aus allen Wolken, als sie hörten, welche Chance wir jetzt hätten, und sie nicht nutzen

wollten. Wir diskutierten stundenlang. Ich schlug vor, mein Mann soll allein gehen mit meinem Vater, der noch in Großkomlosch auf den Startschuss für die Flucht wartete. Das wollte er nicht, und ich wollte nicht ohne mein Kind flüchten. Die Bekannten meinten, ich soll die Kleine zu den Schwiegereltern geben, dort sei sie bestimmt gut aufgehoben, und sie würde sicher bald ausreisen können, wenn wir weg sind. Endlich sah ich ein, dass die Flucht das beste sei. Mit diesem Entschluss fuhren die Bekannten uns mit dem Auto nach Hause. Es war sicher schon 20 Uhr. Als wir in Jahrmarkt ankamen, stand meine Tochter mit verweinten Augen mutterseelenallein auf der Gasse, eine Tüte in der Hand. Sie stand da verloren, hilflos, das schnitt mir ins Herz. Ich nahm sie in den Arm, und alles war gut. Später kam mein Schwiegervater und nahm sie wieder auf dem Fahrrad mit in die Hintere Reihe, weil er merkte, da stimmt etwas nicht. Ich sagte zu meinem Mann, du kannst gehen, aber ich las mein Kind nicht allein hier, es wird so verzweifelt sein wie eben, wenn ich gehe, es ist noch viel zu klein und braucht mich. Die Diskussionen haben von vorne begonnen. Schließlich sagte ich mir, dass dies vielleicht die einzige und letzte Gelegenheit war, Rumänien zu verlassen. So entschloss ich mich doch, diesen Schritt zu wagen. Doch welches Risiko wir eingingen, haben wir nicht bedacht. Die Freunde fuhren uns um 22.30 Uhr zu den Schwiegereltern. Die schliefen schon. Für sie war es auch ein Schock, als wir ihnen sagten, wir würden über die Grenze gehen, dass wir die Kleine bei ihnen lassen. Meine Schwiegermutter fing an zu weinen, die Kleine wachte auf, erschrak und weinte auch. Ich nahm sie auf den Arm, ging mit ihr in die Küche, wo es nicht so laut war, redete beruhigend auf sie ein, ging mit ihr auf dem Arm hin und her. Es war sehr schwer für mich, musste mich sehr beherrschen, um nicht zu weinen, doch ich wusste, ich muss stark sein für sie. Ich sagte ihr, „du musst jetzt ganz tapfer sein, du bleibst eine Weile lang hier bei Oma und Opa, weil ich ein paar Tage weg muss. Aber bald komme ich wieder und hol dich ab, das verspreche ich dir“. Als sie sich beruhigt hatte, legte ich sie ins Bett, wartete, bis sie eingeschlafen war - ein kleiner Engel. Das war mein letzter Gedanke - ich konnte danach nicht weinen, hatte keine Tränen, vielleicht waren die letzten Stunden ein bisschen viel, auch weil wir zwei Nächte nicht geschlafen hatten. An diesem Tag vergaßen wir auch zu essen. Die Freunde brachten uns heim und fuhren nach Hause. Doch schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht. Ruhelos ging ich durch alle Zimmer, öffnete die Schränke, sah hinein, da war alles, was man braucht. In jedem Zimmer neue Möbel, Einbauküche, Bad, wir hatten alles, und jetzt sollten wir abschließen und gehen? War die Entscheidung richtig? Schließlich war alles mit dem Fleiß und Schweiß meiner Eltern aufgebaut. Ich betete zu Gott, er möge mir helfen, diese Entscheidung endgültig und richtig zu fällen. Noch war es nicht zu spät, noch konnten wir da bleiben.

Ich wurde immer ruhiger und wusste, das ist der richtige Weg. In der Früh ging ich noch einmal durchs Haus, dann in den Garten, auf die Tenne, fütterte die Hühner, den Hund, streichelte ihn noch einmal, ging in den Hof, sah hoch zu den Tannenbäumen, dachte, dass ich einmal gehört habe, wenn die Tannenbäume höher sind als das Haus, verlässt es der Besitzer. Bei uns traf es zu. Wir packten blaue Arbeitsanzüge in eine Tasche, nahmen unsere Ausweise und ein paar Lei, schlossen Haus und Hoftor ab und gingen in den Graben. Der Verwandte aus Deutschland, der in Jahrmarkt zu Besuch weilte, fuhr uns nach Temeswar. Dort trafen wir meinen Schwiegervater, der ging zur Bank und lieh uns noch eine Summe Geld, weil unseres nicht reichte, um den Schlepper zu bezahlen. Weil wir noch etwas Zeit hatten, fuhren wir zu unseren Freunden in die Fabrikstadt. Die boten uns noch Essen an, doch wir kriegten keinen Bissen hinunter. Die Anspannung war zu groß. Um 16 Uhr trafen wir den Mann am Hauptbahnhof; wir stiegen in den Zug, ich übergab ihm das Geld, und er verschwand. Krämer erwartete uns im Zug, er schien sehr ruhig, saß uns gegenüber und sagte, egal, was passiert, heute Nacht gehen wir über die Grenze. Wir sollten ruhig und locker bleiben. Doch das war nicht so einfach. Ich spürte eine innere Unruhe, mein Magen drehte sich um. Der Zug setzte sich in Bewegung, wir unterhielten uns mit Krämer, damit wir abgelenkt waren. Weinige Kilometer vor der Grenze kamen bewaffnete Grenzsoldaten in unser Abteil, direkt auf uns zu. Wir waren fremd und daher verdächtig. Sie verlangten unsere Ausweise und fragten, was wir hier im Grenzgebiet machen. Das sei für uns verboten. Krämer sagte, er wohne in Großkomlosch, mein Mann sei Elektriker und würde ihm etwas reparieren. Die Grenzer waren skeptisch, sahen auch nach unserer Tasche, öffneten sie aber nicht. Da hatten wir Spielzeug über die Arbeitsanzüge gelegt - sie nahmen unsere Ausweise mit und gingen weg mit den Worten, „wir werden schon sehen“. Ich zitterte innerlich vor Angst, doch Krämer beruhigte uns und sagte, egal, was passiert, auch wenn sie uns die Ausweise nicht mehr zurückgeben, wir gehen heute Nacht über die Grenze. Es sei alles arrangiert. Am Bahnhof würde uns eine Zigeunerin erwarten, ich solle so tun, als würde ich sie gut kennen, davon würde viel abhängen. Und tatsächlich: Der Zug hielt an, wir stiegen aus, die Grenzer kamen schon auf uns zu, da sah ich die Zigeunerin, ging schnurstracks auf sie zu, umarmte und küsste sie, fragte, wie es ihr gehe, was die Kinder machten. Sie tat auch so, als würde sie uns kennen. Es war Theater, das wir spielen mussten, denn die Grenzsoldaten standen daneben und beobachteten uns genau. Schließlich gaben sie uns zögernd die Ausweise zurück. Ich hing mich bei der Zigeunerin ein, wir wollten los, da fragte ein Grenzer: Und wie lange bleibt ihr denn? Einige Tage, bis die Arbeit fertig ist, gab Krämer zurück. Wir setzten unseren Weg fort, die Zigeunerin und ich voraus, mein Mann und Krä-

mer dahinter. Er sagte immer wieder: Dreht euch nicht ein einziges Mal um, keinen Blick zurück, geht ganz locker, wir werden noch beobachtet. Wir gingen zum Haus der Zigeunerin. Als wir in den Hof traten, stand mein Vater auf dem Gang. Als er uns kommen sah, griff er sich fassungslos an den Kopf und sagte: „Um Gottes Willen, ihr seid das?“ Ihm hatten sie gesagt, ein junges Paar aus Temeswar würde mitkommen; dass wir dieses Paar sind, ahnte er nicht. Das Familientreffen in Großkomlosch, kurz vor dem Stacheldraht, missfiel ihm. „Ist euch überhaupt bewusst, was ihr da tut? Wenn wir an der Grenze erschossen werden, ich bin ein alter Mann, aber ihr seid jung, dann ist die ganze Familie ausgelöscht, was wird dann aus dem Kind?“ Darüber nachzudenken, dafür hatten wir überhaupt keine Zeit. Das war auch besser so. Die Zigeunerin meinte es sicher gut mit uns, setzte uns gebackene Eier vor, Vater aß als einziger, wir kriegten keinen Bissen hinunter. Selbst Trinken fiel uns schwer. Wir mussten vorsichtig sein, hielten uns im Zimmer auf, und bevor wir aufbrachen, schickte die Zigeunerin ihren Sohn los, um zu sehen, ob die Luft rein war, denn nebenan wohnte der Dorfpolizist. Es war alles ruhig. 18 Uhr, die Zeit war gut gewählt, denn wir mussten quer durchs Dorf, trafen meist ältere Leute, die jungen waren noch nicht daheim von der Arbeit. Mein Vater hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging ganz locker einher und grüßte freundlich. Außerhalb des Dorfes trafen wir eine Frau mit ihrer Kuh. Er fragte, „gibt die Kuh auch Milch?“ Sie sah uns noch lange hinterher, irgendwann verschwanden wir in einem Maisfeld und warteten auf die Dunkelheit. Die Zeit wollte nicht vergehen, wir hörten die Grenzer vorbeilaufen mit ihren Hunden - wir verhielten uns ganz still. Endlich brach die Nacht herein, doch das Wetter war nicht so günstig. Es war mondhell und windstill. Wir zogen die mitgebrachte Arbeitskleidung über unsere Kleidung, verließen das Maisfeld und gingen los. Krämer gab die Richtung an, er kannte sich anscheinend genau aus. Plötzlich zwei Schüsse hintereinander - wir warfen uns auf den Boden, wagten kaum zu atmen und warteten, was passieren würde. Vater hatte einen chronischen Husten, den er nicht unterdrücken konnte. Er hielt sein Taschentuch vor den Mund, doch wir hatten Angst, dass es gehört werde, denn es war windstill. Plötzlich war es so, als würde uns von oben jemand beistehen, der Himmel überzog sich mit Wolken, und es wehte ein leichter Wind aus der Richtung, wo die Grenzer patrouillierten. Sie waren nicht weit weg von uns, wir sahen sie mit ihren Taschenlampen. Sie trafen zusammen, unterhielten sich, wir hörten sie, doch verstanden nur einige Wortfetzen. Sie trennten sich wieder. Sie gingen in verschiedene Richtungen. Wie lange wir so regungslos auf dem Acker lagen, weiß ich nicht, wir hatten kein Zeitgefühl, es schienen Stunden zu vergehen. Ich lag flach auf dem Boden, sah plötzlich, wie sich das Gras im Wind bewegte und dachte, die Grenzer kommen auf uns

zu. Vater sagte auch, „ich glaube, ich höre schon ihre Schritte“. Dabei war es wohl sein eigener Herzschlag, den er hörte. Die Nerven waren bei uns allen bis aufs äußerste angespannt.

Alarm ausgelöst

Als die Grenzer außer Sicht- und Hörweite waren, sagte Krämer, „jetzt müssen wir uns auf allen Vieren fortbewegen und sehr vorsichtig sein. Ab jetzt müssen wir auf Alarmdrähte achten“. Er wusste nicht genau, wo und in welcher Höhe sie gespannt waren. Es galt, sie rechtzeitig zu entdecken, und zu meiden, denn beim Berühren lösten sie Leuchtraketen und Alarm aus. Mein Mann war sehr nervös, was auch verständlich war, denn spätestens ab den Schüssen wurde uns bewusst, dass es um Leben und Tod ging. Ich war ruhig, betete im stillen, legte alles in Gottes Hand. Weil ich ruhig war, meinte Krämer, ich hätte die besseren Nerven, ich soll mit ihm vorausrobben. Langsam und sehr vorsichtig tasteten wir uns vorwärts - ich bückte mich, sah gegen den Himmel, da - ein Draht - wir robbten vorsichtig unten durch. Bloß den Draht nicht berühren. Und so schafften wir auch die nächsten vier Drähte, die in unterschiedlichen Höhen angebracht waren. Wir tasteten uns sehr langsam voran. Immer wieder blieben wir kurz liegen, horchten in die Nacht, es war alles ruhig, keine Bewegung. Auf allen Vieren ging es weiter. Hände und Knie taten weh von den harten Schollen, doch Krämer tröstete uns, wir hätten es bald geschafft. Wir erreichten den nächsten Draht, doch Vater kam aus Versehen dran - es war Alarm auf der ganzen Linie. Es schrillte in Abschnitten, es war furchtbar. Ängstlich blieben wir auf dem Boden liegen, darauf wartend, dass jeden Moment eine Leuchtrakete hochgeht. In der Ferne sah man die Lichter eines Autos, und ich sagte, jetzt können wir liegen bleiben, sie holen uns ab. Aber wir hatten auch diesmal Glück, das Auto drehte, fuhr in die andere Richtung. Es war Gott sei Dank der letzte Alarmdraht vor der Grenze. Wahrscheinlich lösten Tiere öfter Alarm aus. Wir blieben noch eine Weile liegen, lauschten, es blieb alles still und dunkel. Wir rafften uns auf, überstiegen den Draht, gingen ein Stück weiter auf den harten Schollen. Doch auf einmal ganz weicher, feiner Boden - es war der Grenzstreifen, der am nächsten Morgen unsere Fußspuren preisgab. Krämer sagte, „lauft jetzt“. Wir rannten alle, so schnell wir konnten, in ein Maisfeld. „Jetzt habt ihr es geschafft, ihr seid in Jugoslawien.“ Er nahm einen Flachmann aus seiner Jackentasche, bot uns zu trinken an, doch keiner bekam auch nur einen Schluck hinunter. Mein Vater wollte sich eine Zigarette anzünden, aber seine Hand zitterte so sehr, dass er es nicht schaffte. Da wir nicht ganz sicher waren, wo wir eigentlich sind, begleitete uns der Mann bis zur Straße. Ab und zu kam ein Auto mit jugoslawischem Kennzeichen vorbei. Also nahmen wir an, nicht mehr in Rumänien zu

sein. Wir hatten noch eine Bitte an Krämer. Er solle nach Jahrmarkt zu den Schwiegereltern fahren und ihnen ausrichten, dass wir sicher über die Grenze und in Jugoslawien angekommen sind. Als Erkennungszeichen, das war mit den Schwiegereltern ausgemacht, gaben wir ihm eine Pfeife mit, welche mein Mann selbst gemacht hatte. Wie wir später erfuhren, war er tatsächlich zu ihnen gefahren. Krämer verabschiedete sich, wünschte uns alles Gute und ging wieder zurück nach Rumänien. Es war kühl in dieser Nacht, es begann zu regnen. Wir suchten Schutz unter einem Baum und warteten auf den Morgen. Als es zu dämmern begann, gingen wir auf die Straße. Wir wussten nicht, in welche Richtung wir gehen sollten, es gab keine Schilder. Irgendwann blieb ein Bus stehen, wir stiegen ein, er fuhr los, nach einer Weile fragte der Busfahrer, wo wir hin wollten. Nach Belgrad. Er fuhr nach Hatzfeld - Gott sei Dank blieb er stehen. Wir stiegen aus und gingen in die andere Richtung. Es war wenig Verkehr, und so wunderten wir uns, dass ein Auto neben uns anhielt. Ich sah eine weiße Mütze auf dem Vordersitz liegen und wusste, es ist ein Polizist. Er forderte uns auf, einzusteigen, ich vorne, mein Mann und Vater hinten. Damals konnte ich mich sehr gut auf serbisch verständigen, es kam mir zugute. Der Polizist fragte, „seid ihr heute nacht rübergekommen?“ Wo wir hin wollten, und ob wir noch Familie in Rumänien hätten. Er war sehr nett und mitfühlend, sagte, wir sollten alles befolgen, was er uns sagt, dann werden wir unser Ziel erreichen. An einer Weggabelung blieb er stehen, fragte, wo wir hin wollten, links oder rechts. Egal wohin, nur nicht mehr nach Rumänien zurück. Er brachte uns auf die Polizeistation von Kikinda zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Es war 6 Uhr, Schichtwechsel, die Polizisten waren genervt, weil wir ausgerechnet jetzt kamen. Sie sperrten uns in einen kleinen Raum unter der Treppe, ohne Fenster, ohne Luft. Auf der Heizung lagen ein frisches Baguette und Salami. Mein Vater und mein Mann verschlangen es im Nu. Ich kriegte keinen Bissen hinunter. Mir wurde schlecht, ich klopfte an die Tür, durfte mich auf eine Bank setzen, bewacht von einem Polizisten. Es ging mir den ganzen Tag sehr schlecht; obwohl ich seit Tagen nichts gegessen hatte, bekam ich keinen Bissen hinunter. Wenn ich einen Schluck Wasser trank, musste ich mich übergeben. Mir wurde erst jetzt richtig bewusst, was wir getan hatten. Vielleicht sehe ich mein Kind nie wieder - es trennt uns eine unüberwindbare Grenze. Doch es gab kein Zurück mehr. Wir wurden den ganzen Tag verhört, einzeln und zusammen, wir sagten immer, wir hatten keinen Fluchthelfer, sind auf eigene Faust herübergekommen. Nachmittags wurden wir vor ein Gericht gestellt und zu 20 Tagen Gefängnis verurteilt, weil wir die jugoslawische Grenze ohne gültige Papiere überschritten haben, hieß es. Wir wurden von zwei Beamten abgeführt, mein Mann in Handschellen; in einem verschlossenen Wagen wurden wir nach Großbetschkerek gebracht. Dort

nahm man uns Ausweise, Eheringe und Geld ab, doch bei der Entlassung bekamen wir alles wieder. Ich wurde in den Frauentrakt geführt - einen langen Flur entlang. Am Ende wurde eine Tür geöffnet, etwa 20 Frauen starrten mich an. Ich war verunsichert, wusste nicht, in welcher Sprache ich sie anreden sollte: auf deutsch, rumänisch oder serbisch? Ich entschloss mich für Deutsch, und das Eis war gebrochen, es waren Frauen, die genau wie ich über die Grenze gegangen waren. Sie waren alle neugierig, wie und wo wir über die Grenze gekommen sind. Es wurden viele Geschichten ausgetauscht. Weil die Betten nicht ausreichten, schliefen ich und eine Frau auf einer Matratze auf dem Boden. Ich glaubte, gut geschlafen zu haben, doch die Frau erzählte mir am nächsten Morgen, ich sei nachts aufgestanden, geradeaus Richtung Tür gegangen, hätte immer wieder gesagt, ich will über die Grenz, ich will über die Grenz“. Doch als ich die Tür berührte, und merkte, da ist ein Hindernis, drehte ich mich um und sagte: „Die Grenz is zu, die Grenz is zu“. Ich legte mich wieder hin und schlief weiter. Ich konnte es kaum glauben, weil ich nie schlafwandle, doch sie schwor mir, dass es so war, sie wollte mich nur nicht aufwecken. An diesem Abend nahm ich den ersten Bissen zu mir, nach drei Tagen. Unglaublich. Im Gefängnis wurden wir noch einmal verhört, Fotos und Fingerabdrücke wurden gemacht. Wir wurden nicht schlecht behandelt, wenn nur die Tage nicht so unendlich lang gewesen wären. Um 6 Uhr war Weckzeit und um 21 Uhr, nach dem Appell auf dem Flur, wurde das Licht gelöscht. Zum Frühstück gab es immer frisches Weißbrot und eine undefinierbare Brühe in kleinen schwarzen Töpfen. Am ersten Morgen nach dem Frühstück wurde ich müde, wollte nur schlafen, saß apathisch da, konnte keinen klaren Gedanken fassen, ich war wie benebelt, den ganzen Tag. Am nächsten Morgen dasselbe, und so trank ich jeden Morgen mein Töpfchen schön leer, weil ich merkte, etwas wurde uns da hineingetan: Wir wurden ruhiggestellt, wahrscheinlich war es das beste, sonst hätte man vielleicht zu sehr gegrübelt. In der Innentasche meiner Jacke hatte ich ein Foto meiner kleinen Tochter, ich holte es jeden Tag hervor, betrachtete es und fragte mich, wie es ihr wohl geht, wie wird sie das alles verarbeiten? Wird sie mit ihrem kindlichen Gemüt begreifen, was geschehen ist? Für mich war alles so unendlich weit weg. Wir hatten weder Seife noch Zahnpaste. Alle paar Tage wurden wir in einen Duschraum gebracht, ein Stück Seife für uns alle, nasse Leintücher zum Abtrocknen. Kaum waren wir drinnen, schrie draußen der Polizist: „Schnell, schnell“. Wir hatten nur die Kleider, die wir trugen, ab und zu wurde ein Stück ausgewaschen, ohne Waschmittel, am Bett zum Trocknen aufgehängt. Das Essen war oft ungenießbar, versalzen, und wenn wir uns beschwerten, war es sehr gepfeffert. Schließlich sagten wir nichts mehr, es war nicht zu ändern. Im Zimmer nebenan waren jugoslawische Frauen inhaftiert. Die hatten den Auftrag,

uns zu beobachten, was sie auch gewissenhaft taten. Wir konnten nicht einmal allein aufs Klo, schon war eine hintendran. Oft hörten wir im Hof Männerstimmen. Ich hätte so gern gewusst, ob mein Mann und mein Vater beieinander waren. Eines Nachmittags fasste ich den Mut, stieg auf die Heizung, sah durchs Fenster hinunter in den Hof, und tatsächlich, sie gingen nebeneinander her. Ich war beruhigt, Hauptsache, sie waren zusammen. Wie ich später hörte, waren sie viel schlimmer dran als wir. 30 Mann im Zimmer, es wurde viel geraucht, als Toilette hatten sie ein Fas im Zimmer. Einmal täglich durften wir im Hof spazieren gehen. Der Gefängnisdirektor besuchte uns auch einmal, er sprach gut Deutsch, gab uns den Rat, uns nicht zu widersetzen. Dann würden wir an unser Ziel kommen. Sonntags bekamen die jugoslawischen Frauen Besuch, sie brachten immer schönes Obst mit hoch, lagerten es in ihrem Zimmer. Ich bekam immer ganz lange Zähne und dachte oft, wenn ich da draußen bin, esse ich nur noch Obst. Die Tage vergingen nur langsam, manchmal schien ein Tag wie eine kleine Ewigkeit. Wir hatten Zeitungen im Zimmer, in kyrillischer Schrift. Die las ich aus lauter Langeweile, obwohl ich nicht alles verstand. Eines Morgens kam ein Beamter mit einer Liste, las meinen Namen, ich wurde entlassen. Ich verabschiedete mich von den Frauen, wurde hinunter in einen Raum gebracht, dort warteten mein Mann und mein Vater. Sie trugen Vollbart. Sie konnten sich nicht rasieren, die Klingen waren stumpf. Wir freuten uns, uns wiederzusehen, obwohl wir keine Ahnung hatten, wie es weitergehen soll. Meinem Mann wurden Handschellen angelegt, wir wurden in ein Auto verfrachtet. Wir konnten nicht hinaussehen, es wurde uns auch nicht gesagt, wo wir hinfahren. Irgendwann stoppte der Wagen, und wir stiegen aus. Sie führten uns in ein Häuschen. In einem Büro wurde uns alles wieder abgenommen, ein Beamter brachte meinen Mann und meinen Vater weg. Mich nahm eine Beamtin mit. Wir gingen über ein weitläufiges Gelände, auf dem einstöckige Häuser standen. Die Beamtin führte mich im ersten Stock eines Hauses in einen großen Schlafsaal. Auf den Betten saßen einige Frauen, sie sahen erbärmlich aus, ungepflegt. Sie starrten mich an, und mir wurde unheimlich. Ich dachte, oh, Gott, wo bin ich hier gelandet? Wahrscheinlich waren die Frauen psychisch krank. Als ich versuchte, mich mit ihnen zu verständigen, kam eine andere Beamtin und sagte, ich sei hier falsch, ich müsste ins Erdgeschoss. Unter der Treppe öffnete sie eine Tür, ich ließ einen Freudenschrei los, denn da waren die Frauen vom Gefängnis, die zwei Tage vor mir weggegangen waren. Ich wurde ins Zimmer bugsiert, die Tür verschlossen. Das Zimmer war sehr klein, je zwei Etagenbetten an den Wänden, ein Waschbecken und Toilette. Wir schliefen zu zweit in einem Bett, die anderen auf dem Boden, wir waren etwa ein Dutzend Frauen. Wir waren, wie ich später erfuhr, im UNO-Lager in Padinska Skela.

Essen gingen wir in ein gegenüberliegendes Gebäude, die jugoslawischen Frauen aßen auch dort. Sie schrieen, spuckten, warfen die Teller vom Tisch, manchmal verging einem der Appetit. Wir hatten mehr Freiheit als im Gefängnis, durften nachmittags draußen in der warmen Septembersonne sitzen. Wir bekamen jeden Tag einen Apfel; es war wie ein Geschenk für mich. Bei uns war auch ein junges Mädchen aus Deutschland. Wie es uns erzählte, war es mit dem Zug unterwegs, wurde eines Nachts von der Polizei aufgegriffen und hierher gebracht, den Grund dafür verriet es uns nicht. Eines Nachmittags wurde es richtig hysterisch. Deshalb schlossen die Wärterinnen es im Zimmer ein. Das Mädchen tobte, schrie, warf alle Matratzen von den Betten. Zwei Beamtinnen wollten es beruhigen, schafften es aber nicht, weil sie sich nicht verständigen konnten. Sie riefen mich zu Hilfe, ich sollte mit dem Mädchen reden, es beruhigen. Es war völlig durchgeknallt. Und weil ich selbst nicht wusste, was ich tun sollte, setzte ich mich zu ihm und erzählte ihm unsere Geschichte: dass wir alles in Rumänien zurückgelassen haben, auch unser Kind, dass wir für die Freiheit unser Leben riskieren, aber jetzt genau wie es im Ungewissen sind, wie es weitergehen soll. Ich redete lange auf das Mädchen ein, es beruhigte sich, schließlich haben wir beide geheult, danach brauchte ich einige Zeit, um mich zu beruhigen. Es waren die ersten Tränen seit unserem Weggehen, mir wurde jetzt alles viel bewusster.

Nur in Gruppen durch Belgrad

Wir waren drei Tage in diesem Lager. Am folgenden Morgen wurden wir zusammengetrommelt; ein Beamter kam mit einer sehr langen Liste, 34 Personen wurden entlassen. Wir bekamen je ein Lunchpaket, sie beschrieben uns den Weg, und wir marschierten los. Es war ein schöner Herbsttag. Wir gingen über Felder, ich genoss die Weite. Wir erreichten eine Bushaltestelle. Mit dem Bus fuhren wir nach Belgrad. Am Busbahnhof in Belgrad aßen wir unsere Lunchpakete und machten uns danach auf die Suche nach der UNO-Adresse. Es wurde abgestimmt, wer Serbisch oder Englisch spricht. Ein junger Mann und ich führten die Gruppe an, fragten uns durch. Wir liefen stundenlang durch die Stadt. Einige ältere Frauen und Männer waren schon müde, wollten aufgeben, doch wir haben sie immer wieder aufgemuntert. Endlich waren wir da. Es hieß, Familien hätten Vorrang. Da war eine Familie Weber mit zwei Söhnen und als nächste waren wir an der Reihe. Unsere Personalien wurden aufgenommen, und auf unseren Wunsch wechselten sie unser restliches rumänisches Geld in Dinar. Als alle soweit waren, wurde uns eindringlich ans Herz gelegt, wir sollten nicht einzeln, sondern nur in Gruppen in die Stadt gehen. Es sei zu gefährlich, es seien oft Schlepper unterwegs, die Ausschau nach Flüchtlingen hielten und diese nach Rumänien zurückbrachten. Wie Touristen sahen wir nicht aus, son-

dern ungepflegt, die meisten ängstlich und verstört. Wir wurden in zwei Gruppen geteilt, die einen kamen in ein Hotel in der Stadt und wir außerhalb in ein Motel. Wir fuhren mit der Straßenbahn dahin, es war abgelegen, aber sauber. An der Rezeption wurde uns gesagt, dass unsere Mahlzeiten nur serviert würden, wenn die Gruppe vollzählig ist. Wir waren vor 20 Uhr im Speisesaal, hatten alle schon Hunger. Es wurde abgezählt, es fehlten drei Männer. Nach langer Überredungskunst wurde uns das Essen doch serviert; kaum hatten wir zu essen begonnen, kamen die drei Kinogänger. Sie wurden von allen Seiten beschimpft. Ab da waren sie immer pünktlich. Es gab Hähnchen und Pommes frites. Salat und Brot standen auf dem Tisch. Wahrlich ein Festmahl für uns alle. Kein Krümel blieb übrig, und es wundert mich heute noch, dass die Knochen von den Hähnchen nicht mitgegessen wurden. Wir schliefen wie die Murmeltiere, keiner traute sich, das Motel zu verlassen. Am nächsten Morgen kam ein UNO-Vertreter, um für uns Passbilder machen zu lassen. Doch leider fanden wir in der ganzen Stadt keinen Automaten, der funktionierte. Nach langem Suchen fanden wir einen Fotografen, der uns die Passbilder zu einem günstigen Preis anbot. Nachmittags kauften wir noch Lebensmittel und Obst mit den restlichen Dinar, danach fuhren wir ins Motel zurück, blieben in unseren Zimmern. Am nächsten Morgen gingen wir zur deutschen Botschaft und sahen mit Entsetzen, dass nebenan die rumänische Botschaft war. Wir klingelten an der deutschen Botschaft, es machte keiner auf. Es war zu früh. Wir hatten alle Angst, wir würden von den Rumänen gesehen und vielleicht noch in die Botschaft gezerrt. Wir standen alle beieinander auf einem Haufen, wie verängstigte Hühner. Hoffentlich, dachten wir, ging jetzt nicht noch alles schief. Wir klingelten nach einer Weile noch einmal, die Tür wurde geöffnet, wir stürmten hinein, rannten fast die Angestellten um. Wir waren alle ängstlich, doch sie beruhigten uns, sagten, hier könne uns nichts passieren, wir seien geschützt, so als wären wir auf deutschem Boden. Niemand könnte uns etwas anhaben. Wir brauchten eine Weile, bis wir begriffen, dass wir tatsächlich in Sicherheit waren. Ich versuchte mich abzulenken, las in den Zeitschriften, die dort lagen. Das Personal war sehr freundlich und umsichtig. Wir bekamen Ersatzpässe, und es wurde uns gesagt, damit könnten wir nun in die Bundesrepublik ausreisen. Sollte dieser Traum endlich wahr werden? Ich konnte es nicht glauben. Als alle mit Pässen versorgt waren, gingen wir zum Bahnhof. Dort trafen wir die Gruppe wieder, die in dem anderen Hotel war. Wir waren wie eine Herde Schafe, darauf bedacht, dass alle zusammenblieben. Mittags setzten wir uns in den Zug. Normalerweise bin ich immer optimistisch, doch damals konnte ich einfach nicht glauben, dass wir in Richtung Deutschland fahren. In Wien hielt der Zug etwas länger, ein Verkäufer kam mit Süßigkeiten vorbei. Ich wollte mir auch etwas kaufen, doch vor lauter Staunen und Überlegen

konnte ich mich nicht entscheiden. Schließlich wurde es dem Mann zu bunt und er sagte: „Wenn’s net wissen, was woll’n, fahr ich weiter. Bis zum nächsten Mal“. Er war weg, ich hatte das Nachsehen. In Salzburg wurden wir alle aus dem Zug geholt. Die Pässe wurden kontrolliert, und mit dem nächsten Zug fuhren wir nach Freilassing. Es war Freitag, der 21. September 1979. Am Bahnhof wurden wir von Männern erwartet, die brachten uns in Autos auf eine Polizeistation im Wald. Wir wurden noch einmal verhört, blieben aber bei unserer Aussage: Wir sind auf eigene Faust über die Grenze gegangen. Denn wir dachten, vielleicht könnten auch noch andere auf demselben Weg flüchten. Mein Onkel wohnte damals in Ainring. Er wusste von meiner Mutter, dass wir unterwegs sind. Wann wir ankommen würden, wusste niemand, doch ganz sicher an dieser Grenzstation. Der Nachbar meines Onkels war an dieser beschäftigt. Den bat er, ihn anzurufen, wenn wir ankommen, egal bei welcher Tages- oder Nachtzeit. Und so ergab es sich, dass Onkel und Tante vom Einkaufen kamen, als der Nachbar sie anrief. Ohne etwas auszupacken, kamen sie zu uns. Wir wussten nichts davon und waren deshalb erstaunt, als wir aufgerufen wurden, mit nach draußen zu kommen. Die Freude war groß, Onkel und Tante zu sehen. Normalerweise hätten wir mit den anderen nach Nürnberg gemusst, doch weil Freitag war, fuhren wir mit dem Onkel heim. Ich finde es heute noch sehr schade, dass wir damals, als wir bei ihm ankamen, kein Foto machten. Doch es gab Wichtigeres zu tun. Nach einer ausgiebigen Dusche gingen wir in sauberen Kleidern als erstes zur Post, schickten ein Telegramm nach Jahrmarkt. Wir riefen auch gleich meine Mutter an, die damals in Stuttgart arbeitete. Sie fragte ungläubig, „seid ihr wirklich hier, wie geht es euch, seid ihr nicht krank? Geht es euch gut?“ Sie setzte sich in den Zug und kam spät abends zum Onkel. Wir saßen die halbe Nacht beisammen und erzählten. Schließlich war es ein Wiedersehen nach anderthalb Jahren, jetzt war ein Teil der Familie wieder vereint. Nachmittags fuhr mein Onkel mit mir einkaufen. Ich staunte nur, was es da alles gab. Er fragte mich immer wieder, was er mir kaufen soll, was ich gerne hätte, doch ich sagte, ich möchte nichts, las mich nur schauen. Ich hatte keine Wünsche, war nur froh, dass wir endlich unser Ziel erreicht hatten, egal, wie es weiterging. Wir waren jung und davon überzeugt, dass wir einen Neuanfang schaffen würden mit der Arbeit unserer Hände. Wir hatten zwei schöne Tage bei Onkel und Tante erlebt, lernten die Familien der beiden Cousins kennen. Am Montagmorgen fuhren wir mit dem Zug nach Nürnberg ins Aufnahmelager. Dort wurden wir registriert, bekamen ein Zimmer und gingen einkaufen. Wir haben praktisch mit nichts wieder angefangen, denn wir hatten nichts. Doch die Freude, dass wir hier waren, überwog alles andere. Ich ging in einen Laden, stand an der Kasse, mein Mann draußen. Er gab mir

durch ein Zeichen zu verstehen, dass er ein Feuerzeug braucht. Ich stand da, vor der Kassiererin, und mir fiel dieses Wort nicht ein. Es kam mir alles in den Sinn, doch dieses Wort suchte ich vergeblich. Ich wusste mir nicht zu helfen, also gab ich der Frau ein Zeichen, als würde ich ein Feuerzeug anzünden. Sie verstand sofort, mir war das sehr peinlich. Doch ich denke, sie erlebte täglich solche Szenen. Nach dreitägigem Aufenthalt fuhren wir mit dem Zug nach Rastatt, kamen in ein Durchgangslager. Weil meine Mutter in Stuttgart war, hätten wir uns nach den Regeln der Familienzusammenführung auch dort niederlassen sollen, doch wir wollten nicht in eine Großstadt. Wir bekamen ein Drei-Bett-Zimmer und Geschirr. Ich ging einkaufen, kochte uns ein Essen in der Gemeinschaftsküche. Nachmittags standen wir auf der Straße vor dem Haus, schauten uns um, es war schönes Wetter. Plötzlich blieb ein Auto stehen, ein Mann stieg aus und rief freudig: „Ja, das gibt’s doch net, des is doch der Kassnel Stef. Was macht ihr dann do?“ Es war Josef M. Die Familie lebte schon seit einigen Jahren hier, seine Frau verwandt mit meiner Mutter. Am nächsten Tag luden sie uns zum Essen ein, wir waren auch bei unseren ehemaligen Nachbarsleuten eingeladen. Überall wollten die Leute etwas über unsere Flucht hören. Mein Vater zeigte, wie wir über die Grenze gekrochen sind, die Leute lachten und amüsierten sich. Dass mein Vater nach Stuttgart gehen würde, war klar. Meine Mutter hatte dort eine Einzimmer-Wohnung. Wir wären gern in Rastatt geblieben, doch im Lager war kein Platz. Am nächsten Tag kam ein ehemaliger Arbeitskollege meines Mannes vorbei und machte uns den Vorschlag, bei ihm zu wohnen. Wir gaben ihn als unseren Cousin aus und gingen mit ihm in die Danziger Straße. Er hatte eine Zwei-Zimmer-Wohnung und bot uns das Schlafzimmer an, das war komplett leer. Ich ging ins Lager, bat um Decken und Kissen. Frau T. sagte, sie kenne einen Mann, der Matratzen zu verschenken hat. Ich organisierte einen kleinen Handwagen, ging dorthin, nahm die Matratzen mit, machte sie sauber, legte sie auf den Boden ins Schlafzimmer, rollte das eine Federbett als Kissen zusammen, und schon hatten wir ein Nachtlager. Ich freute mich, wir hatten ein Dach über dem Kopf. Es würde alles gut werden, ich glaubte daran. Ich ging auch einmal in die Kleiderkammer, holte mir eine dicke Jacke und zwei Pullis für den Winter. Eines Morgens rief mich Frau T. zu sich ins Büro, hielt mir eine Tüte hin und sagte - das ist für Sie. Zwei lange Hosen, zwei Handtücher und Nähzeug, ich war überglücklich. Das Glück begleitete uns weiter. Wir waren drei Tage in Rastatt, da bekam mein Mann Arbeit bei Mercedes, hatte dieselbe Schicht wie der Mann, bei dem wir wohnten und konnte mit ihm zur Arbeit fahren. Ich fand leider keine Arbeit, ich war Näherin von Beruf. Ich versuchte, meine Tage mit Putzen und Kochen auszufüllen. Wenn ich einmal nichts zu tun hatte, ging ich in die Stadt, in die

Läden, einfach um mich umzusehen. Gekauft hab ich nur Lebensmittel, denn das Geld war knapp. Aber ich begnügte mich damit, ich war zufrieden. Mir fehlte nur eins: mein Kind. Schlimm waren die Abende, als ich allein war, weil die Männer Nachtschicht hatten. Viele unbeantwortete Fragen, wie geht es ihr, ist sie gesund, wann werde ich sie wieder in den Armen halten können, gingen mir durch den Kopf. Ich schrieb Briefe an den Außenminister, an das Deutsche Rote Kreuz, bat um Hilfe. Ich hab gebetet und gehofft. Mein Flehen wurde erhört. Ende November konnten die Schweigereltern die Papiere für die Kleine einreichen. Wir suchten uns eine Zwei-Zimmer-Wohnung und zogen am 15. Dezember mit unseren wenigen Habseligkeiten ein. Als erstes kauften wir uns ein Radio, um wenigstens Nachrichten hören zu können, später Küche und Schlafzimmer auf Raten. Meine Mutter griff uns unter die Arme, gab uns etwas Geld. Damit kauften wir unser erstes Auto, einen Ford. Wir waren jetzt mobil, herrlich. Das Weihnachtsfest kam immer näher. Ich ging oft über den Weihnachtsmarkt, sah die Kinder, und mir wurde das Herz ganz schwer. Was hätte ich nicht alles dafür gegeben, wäre mein Mädchen bei mir. Eines Abends sagte mein Mann zu mir, wir bleiben über die Feiertage nicht hier. Was sollen wir allein in der Wohnung, wir fahren zu meinem Onkel nach Bayern. Dieser war bei uns zu Besuch, kurz bevor wir über die Grenze gegangen sind. Mein Mann sagte damals zum Spaß, „wenn das Chriskindche schellt, steh ich vor deiner Tür“. Keiner ahnte damals, dass es wirklich so werden würde. Deshalb wollte er jetzt hin. Einen Tag vor Heiligabend fuhren wir weg. Wir fanden ein uriges Bauerndorf vor und wurden von der ganzen Familie herzlich aufgenommen. Wir erzählten viel, die Zeit verging im Nu. Einen Tag vor Silvester fuhren wir zu unseren Freunden nach Waldkraiburg. Mit ihnen feierten wir unser erstes Silvester in Deutschland. Wir haben gelacht und getanzt, das Feuerwerk bestaunt, ein paar Stunden lang alles vergessen. Es tat uns sehr gut, in diesen Tagen nicht allein zu sein. Am 2. Januar fuhren wir heim, das Auto beladen mit Sachen, die uns geschenkt wurden. Anfang Januar rief meine Schwägerin an, die Kleine habe den Pass bekommen, sie würde bald ausreisen können. Wir weinten beide vor Freude, sicher würde sie bald hier sein. Wir kauften ihr ein Bettchen, Spielsachen, richteten im Wohnzimmer eine Spielecke für sie ein. Eine Woche nach ihrem 3. Geburtstag, am 27. Januar 1980, kam sie in Frankfurt am Main an. Wir fuhren mit dem Auto hin, nahmen eine befreundete Familie mit, deren Sohn erst anderthalb Jahre alt war und mit demselben Flugzeug ankam. Wir fuhren rechtzeitig weg, lieber früher dort sein als zu spät. Ich war innerlich aufs äußerste angespannt, legte mir zurecht, was ich alles sagen wollte, fragte mich auch, wird sie uns überhaupt noch erkennen? Mir war mal heiß, mal kalt, ich ging mit der Frau spazieren, wir konnten nichts mehr reden. Dann eine Durchsage: Der Flug aus Buka-

rest hat eine Stunde Verspätung. Die schien endlos zu sein. Endlich war es soweit, wir sahen es - ein Mädchen aus Jahrmarkt, war in derselben Maschine, es trug sie auf dem Arm. Sie sah müde aus, wahrscheinlich hatte sie geschlafen. Sie trug ein rotes Mäntelchen und hatte eine weiße Mütze auf, süß sah sie aus. Ich nahm sie auf den Arm, sie sah mich mit ganz großen Augen an, und ich brachte keinen einzigen Ton heraus, die Kehle war mir wie zugeschnürt. Wir gingen ein Stück weiter, ich ließ sie hinunter. Mein Mann nahm sie an der Hand und sagte, „jetzt gehen wir Gummibären suchen“. Sie entdeckte auch gleich einen Automaten. Sie freute sich, und damit war das Eis gebrochen. Wir hatten ihr eine große Puppe mitgebracht, die sie in Staunen versetze. Dann nahm sie mich an der Hand, erklärte mir, dass sie meine goldene Kette am Hals trägt. Was sie so noch alles in ihrer Tasche hat, dürfe sie aber keinem sagen. Sie plapperte munter drauflos. Als wir in die Tiefgarage kamen und sie das Auto sah, sagte sie „Papa, das ist ja mein Auto“. Unser Wagen daheim war auch gelb, daran konnte sie sich noch erinnern, damals sagte sie auch, das ist ihr Auto. Ich war erstaunt, dass sie das alles noch wusste. Die Kinder schliefen im Auto, und wir Erwachsenen waren froh und erleichtert, dass sie endlich da waren. Allmählich fiel die Anspannung von uns ab. Wir fuhren das Ehepaar heim, die Kinder spielten noch miteinander, es war eine Freude, ihnen zuzusehen. Wir fuhren in unsere Wohnung, sie staunte, freute sich über die Spielsachen und fremdelte überhaupt nicht. Sie war froh und glücklich, dass sie wieder bei uns war. Oft umarmte sie uns beide und sagte Mama und Papa, ich bin so froh, dass ich bei euch bin. Wir waren es auch. Nach Monaten der Ungewissheit, Angst und Sorgen hatte ich meine kleine Tochter wieder. Es sind Augenblicke des tiefen Glücks, der Dankbarkeit, die man nie vergisst. Ich verbrachte viel Zeit mit ihr. Im Sommer 1980 zogen meine Eltern von Stuttgart nach Rastatt, wir waren wieder eine Familie. Ich fand auch bald Arbeit, und so haben wir uns hier eine Existenz aufgebaut durch den Zusammenhalt der Familie und mit viel Fleiß.

Elisabeth Loris ist 1954 geboren, ihr Mann 1952 und der Vater 1918.

This article is from: