Familientreffen vor dem Stacheldraht Von Elisabeth Loris Das Thema Deutschland war oft Gesprächsstoff in unserer Familie, seit meine Großeltern 1961 übergesiedelt waren. Nachdem die Behörden zahlreiche unserer Ausreiseanträge abgewiesen hatten, schien uns dieses Ziel unerreichbar. Meine Mutter war öfter in Deutschland zu Besuch; manchmal blieb sie auch drei Monate dort, um zu arbeiten. Doch sie kam immer Elisabeth und Franz Loris mit Tochter Angelika in wieder zurück, weil sie sich nicht ihrer ersten Wohnung in Rastatt. von der Familie trennen konnte. 1969 war auch meine Schwester Erika, damals 16 Jahre alt, dabei; sie kamen nach drei Wochen wieder zurück. Meine Schwester wäre am liebsten dort geblieben, doch dafür war sie zu jung. Wir beide schmiedeten danach oft Fluchtpläne, doch wir verwarfen sie immer wieder. Es war alles zu gefährlich. 1972 kamen unsere Cousinen mit dem Auto zu Besuch. Das nutzten wir für einen Tagesausflug an die Donau, um die Möglichkeiten zu prüfen, mit einem Boot nach Serbien zu gelangen. Doch wir waren beide derselben Meinung: nicht übers Wasser. Trotz unserer vielen Pläne, Deutschland schien für uns ein unerreichbares Ziel zu bleiben; wir konnten nur davon träumen. Leider ging für Erika dieser Traum nie in Erfüllung. Sie verunglückte 1975 tödlich, zusammen mit unserer Oma. Ein schwerer Schicksalsschlag für uns alle. 1978 starb auch unsere Oma in Deutschland, und meine Mutter stellte noch einmal einen Besucherantrag. Meine Mutter und ich wurden zum Geheimdienst Securitate bestellt. Man sagte mir, meine Mutter könnte nach Deutschland fahren, wenn ich ein Papier unterschreiben würde, das mich verpflichtete, Rumänien nicht mehr zu verlassen, falls sie nicht zurückkommt. Das war Erpressung, doch ich unterschrieb. Mutter bekam den Pass und fuhr im Februar 1978 weg. Bei ihrer Abreise sagte ich zu ihr, sie habe die Wahl: zu bleiben oder zurückzukommen, doch ich würde hier nicht alt. Ich sah keine Zukunft mehr für uns Deutsche, auch nicht für meine kleine Tochter, damals ein Jahr alt. Meine Mutter fand in Deutschland Arbeit, wohnte bei Verwandten, die sie zum Bleiben zu überreden versuchten. Ab und zu rief ich sie an, und sie ent-
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