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Dornenreicher Weg in die Freiheit
Von Peter Schuster
Geboren wurde ich am 22. März 1936 im siebenbürgischen Kirtsch (Curciu), einem ischen Bergen gelegen, mit vielen Obst- und Weingärten. Meine Eltern betrieben einen Bauernhof, und ich musste fleißig helfen. Dann kam der Krieg, mein Vater wurde eingezogen und ist 1943 gefallen. 1945 wurde meine Mutter nach Russland verschleppt und kehrte erst 1947 heim. Ich wuchs mit meinen Geschwistern bei Verwandten auf und hatte eine sehr harte Jugend. Ich musste sehr schwer arbeiten, meine Freizeit war sehr kurz bemessen. Ich trieb mich in der freien Natur Peter Schuster umher und machte mir Gedanken über viele Ereignisse und sammelte Erfahrungen. Während der Schul- und Berufsausbildung hatte ich viele Ideen, wie man einiges verändern könnte. Ich erkannte sehr bald, dass das in einem totalitären Staat nicht möglich ist, und so wuchs in mir der Wunsch, in Freiheit und Unabhängigkeit zu leben. Ich überlegte, wie ich das Land verlassen könnte. Und diesen Gedanken wurde ich nie mehr los.
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Ich überlegte, mich in einem Eisenbahnwagen einbauen zu lassen oder in einem Personenwaggon unters Dach zu kriechen. Doch das konnte ich nicht alleine schaffen. Ich hätte jemanden gebraucht, der die abgeschraubten Teile zurückmontiert. Denselben Gedanken hatten auch andere, aber sie wurden gefasst. Ich versuchte, eine Segelfliegerschule zu besuchen; trotz allerlei Hindernissen ist es mir gelungen, zur Fliegerschule nach Großdorf (S Hermannstadt zugelassen zu werden. Die Schule hatte schon seit einem Monat begonnen, als ich ankam. Aber die Theorie hatte ich schon zu Hause gelernt, ich musste nur noch fliegen lernen. Die Fliegerschule war auf einem Berg, wo es fast immer windig war. Die nächsten zwei Monate vergingen ohne Probleme. Wir sind immer nur einzeln geflogen. Eine Woche vor der Prüfung, an einem Sonntag, stiegen die Lehrer aus Vergnügen mit Zweisitzern in die Luft. Mein Lehrer war halb Ungar und halb Deutscher, er hieß Stefan Toth. Er hat mich zum Flug mitgenommen. Er sagte mir, dass er den Auftrag habe, mir etwas anzuhängen, damit man mich der Schule verweisen kann, ich sei der einzige Deutsche. Er selbst sei auch auf der Kippe, nur wisse er nicht, wann er dran sei.
Beim Ausstieg aus dem Flugzeug schimpfte er mich zusammen, ich sei schlecht geflogen. Am nächsten Tag wurde ich zur Direktion gerufen; es wurde mir vorgeworfen, dass ich undiszipliniert sei, und so einer habe in der Fliegerschule nichts zu suchen. Mein Koffer war auch schon vor der Tür, ich musste in einen Geländewagen steigen und wurde zum Bahnhof nach Hermannstadt gefahren. Aus war der Traum vom Fliegen.
Tauchgeräte Marke Eigenbau
Doch der Fluchtgedanke ließ mich nicht mehr los. Ich fragte meinen gleichaltrigen Arbeitskollegen Stefan Neckel, ob er mit mir flüchten wolle. Er sagte ja. Wir wurden gute Freunde und suchten gemeinsam nach einer Lösung. Wir entschieden uns, den Weg über Jugoslawien einzuschlagen, und zwar als Taucher durch die Donau. Weil es damals in Rumänien keine Tauchgeräte gab, mussten wir selbst welche bauen. In ein paar Monaten war es soweit, wir hatten ein schwimmendes Ventil mit kleinen schwimmenden Teilen gebaut, welche die Rolle hatten, die Luftöffnung bei der kleinsten Wasserwelle zu schließen, und sie zu öffnen, wenn die Welle vorüber war. Den Schwimmer tarnten wir mit vermodertem Holz. Die Kleider wurden fest zusammengewickelt, in einen Gummisack gesteckt und entsprechend beschwert, so dass der Sack kaum an der Wasseroberfläche schwebte. Für das Gesicht hatten wir Gasmasken umgeändert. Die Verbindung von der Maske zum Schwimmer war ein halber Meter langer Gummischlauch und eine Leine. Tauchte man tiefer, sperrte sich alles automatisch und umgekehrt.
Nun mussten wir unsere Konstruktion testen. Wir entscheiden uns für das in der Nähe gelegene Freibad. Ein erster Versuch ergab, dass die Ventile nicht richtig funktionierten. In zwei Wochen waren wir soweit, dass wir die Flucht wagen konnten. Zur Donau zu gelangen war sehr schwierig, denn 40 Kilometer landeinwärts begannen die strengen Kontrollen. Um die zu umgehen, entschieden wir uns, in einen Fluss zu steigen und mit ihm nach Jugoslawien zu schwimmen. Die von Temeswar nach Jugoslawien fließende Bega schien uns das richtige Gewässer zu sein. Ein Problem waren die Schiffe mit ihrem Propellerantrieb.
Wir fuhren in die Nähe von Temeswar, warfen Holz in den Kanal und ermittelten die Fließgeschwindigkeit, um zu wissen, wann wir die Grenze passieren werden. Es hätte sieben bis acht Stunden gedauert. Das war eine lange Zeit, wir hätten das nicht durchgestanden. Aber wenn wir auf halbem Weg ins Wasser stiegen und uns bis abends versteckten, könnten wir es schaffen. Ende Juli 1956 fuhren wir erneut nach Temeswar und folgten dem Begakanal in Richtung Süden. Das Wasser war an diesem Tag sehr trüb. Wir dachten, das sei günstig, aber das Gegenteil war der Fall. Als wir nur ein paar Zentimeter unter Wasser
waren, war es komplett dunkel. Die Taschenlampe leuchtete nicht einmal ein paar Zentimeter weit. Auch die Uhr nicht, der Kompass war auch nicht zu gebrauchen. Plötzlich hörten wir Motorengeräusch, konnten aber nicht feststellen, woher der Lärm kam. Das Wasser leitet den Schall so gut, dass wir desorientiert waren. Wir tauchten bis zum Boden, dann spürte ich einen festen Ruck, und als das Schiff vorbei war, tauchte ich langsam am Rand unter Weidengestrüpp auf. Ich sah mich um und suchte meinen Freund. Ich sah ihn lange nicht und machte mir Sorgen, dass etwas passiert sei. Plötzlich hörte ich ein Schnaufen auf der anderen Seite und sah, wie sich Stefan mit beiden Händen die Maske herunterriss. Reden konnte er noch nicht. Das Schiff hatte unsere Verbindungsschur durchtrennt und Stefan den Schwimmer abgerissen. So musste er viel Wasser schlucken, denn schnell auftauchen durfte er auch nicht. Als er zu sich gekommen war, sagte er, dass er aufgibt. Auch ich musste einsehen, dass unser Unternehmen ein Flop war. Auf dem Heimweg saßen wir im Zug und schwiegen wie Stumme.
Verraten und gestellt
Aber der Fluchtgedanke beschäftigte uns weiter. Wir wollten versuchen, über die grüne Grenze zu fliehen. Die Wahl fiel auf Hatzfeld an der serbischen Grenze, etwa 50 Kilometer von Temeswar entfernt. Wir wollten mit der Eisenbahn von Temeswar nach Hatzfeld fahren.
In der Zwischenzeit hatten wir noch einen Freund namens Daniel für unser Vorhaben rekrutiert. Wir hatten ihn in alle Geheimnisse eingeweiht. Alles war minutiös geplant. Aber am Tag der Flucht, es war der 17. August 1956, kam Daniel nicht zum vereinbarten Treffpunkt. Wir sind ohne Daniel nach Temeswar gefahren und in den Pendlerzug nach Hatzfeld umgestiegen. Wir versuchten, Hatzfeld zu umgehen. Doch wir wussten nicht, dass die Grenze fast den Ort berührte. Plötzlich waren wir außerhalb der Ortschaft und standen vor einem geparkten Geländewagen. Wir waren kaum 200 Meter gegangen, da trat ein Mann aus dem Maisfeld und kam auf uns zu. Von hinten näherten sich gleich zwei Mann. Die verwickelten uns in ein Gespräch, dann zogen sie plötzlich Pistolen, legten uns Handschellen an und nahmen uns im Geländewagen mit.
Wir gerieten in ein Gewitter. Es schüttete wie aus Kübeln, und es wehte ein kräftiger Wind. Wir fuhren stundenlang durch Mais- und Kartoffelfelder, bis wir auf eine Straße gestoßen sind. Auf dem Weg lachten unsere Aufpasser und sagten, warum wir nicht noch eine halbe Stunde gewartet hätten, dann hätten wir mit geschlossenen Augen über die Grenze gehen können. Denn in so einem Gewitter könne niemand geortet werden. Unser Mediascher Freund hatte uns der Securitate verraten. Damit wir nicht sehen konnten, wohin wir fahren, hatte man uns vor Temeswar Blechbrillen auf die Augen gesetzt und die Handschel-
len kontrolliert. Die ganze Zeit durften wir kein Wort sprechen. Als das Auto hielt, hörten wir, wie sich ein Tor öffnete und schloss. Danach wurden wir angebrüllt und aus dem Auto gezerrt. Sie hießen uns „herzlich willkommen in der neuen Heimat“. Unsere Sonnenbrillen stünden uns wunderbar, und das Gute sei, dass sie nicht brechen, weil sie aus Blech gepresst sind. Ich wurde als erster gepackt und in einen Raum geführt. Man sagte mir nur: „Füße heben, Treppe“. Ich sollte ganz ruhig stehen und den Kopf nicht bewegen. Es herrschte eine himmlische Ruhe. Ich hatte sehr großen Durst, und ich hörte, nicht weit von mir Wasser tropfen. Da es so ruhig war, hatte ich mir an der Wand die Brille hochgeschoben, um zum Wasser zu gehen. Da bekam ich von hinten eine kräftige Ohrfeige, dass mir die Brille wegflog. Ich bemerkte, dass die Wärter Filzschuhe trugen, damit wir ihren Schritt nicht hörten. Ich verlangte Wasser und bekam auch welches. Nach langem Warten wurde ich in einen kleinen Raum geführt zur Leibesvisite. Schnürsenkel und Hosengürtel wurden mir abgenommen. Man setzte mir die Brille auf, und ich wurde zur Toilette geführt. Man drehte mich mehrmals herum, damit ich die Orientierung verliere. In der Zelle war lediglich ein eisernes Stockbett, neben dem man kaum stehen konnte. Hoch an der Wand brannte eine Glühbirne Tag und Nacht. Man sagte mir, ich könne mich niederlegen, aber die Hände müssten sichtbar auf der Decke liegen. Aber im Schlaf vergaß man die Anordnung und deckte die Hände zu. Nach kurzer Zeit sagte man mir, Hände auf die Decke, wenn nicht, werde ich etwas erleben, wegen Ungehorsams. Um 5 Uhr wurde ich geweckt, zur Toilette geführt, aber mit aufgesetzter Sonnenbrille und im Zickzack. Vor der Toilettentür bekam ich zwei Stückchen Papier. Die ganze Zeit stand der Wärter vor der Tür und blickte von Zeit zu Zeit durch ein Glasfenster herein. Nachher durfte ich an einem kleinen Waschbecken die Nase waschen.
Beim Verhör stellte sich der Ermittler als Oberleutnant Pl übersetzt Pfannkuchen bedeutet. Er wollte herausbekommen, wohin wir gehen und warum wir weg wollten; außerdem, was uns nicht gefällt am Sozialismus. Mit einer Ohrfeige und einer Menge Beschimpfungen wurde ich in die Zelle zurückgeschickt, wo inzwischen noch ein Häftling saß. Er stellte sich vor und fragte, warum ich in Haft sei. Es war mir verdächtig, er wollte vieles von mir wissen. Manchmal weinte er, aber warum, wollte er nicht sagen. Ich hatte den Eindruck, dass er mit den Wärtern bekannt und ein Spitzel war. Aber ich hatte keine Verbrechen begangen und somit nichts zu fürchten. Jeden Tag wurde ich einmal zum Verhör geführt. In der zweiten Woche aber kaum noch. Nach zehn Tagen sagte man mir, dass ich in ein Gefängnis überführt werde, wo ich auf meinen Prozess warten müsse. Am letzten Tag wurde mein Zellengenosse zum Prozess geführt. Nach einigen Stunden kam er weinend zurück und sagte, dass er bei der Polizei Haftmeister war und als solcher ein verhaftetes Mädchen vergewaltigt hatte. Das Gericht hat ihn zu sechs Jahren verurteilt.
Gefangen in Temeswar
Am zehnten Tag wurde mir die blecherne Sonnenbrille zum letzten Mal aufgesetzt, in Handschellen musste ich in einen Geländewagen einsteigen. Nach kurzer Fahrt lachten meine Aufseher und sagten: „Hier wirst du den Rest deines Lebens verbringen“. Ich war im Gefängnis von Temeswar. Von meinem Freund wusste ich nichts seit der Verhaftung. Ich wurde angebrüllt und durch eine Tür geschubst. Über Treppen ging es in den ersten Stock. Dort musste ich mich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Nach einer Leibesvisite, bei der mir auch ein Finger in den Hintern gesteckt worden ist, landete ich mit einem Schub in einer Zelle. Ich war erschrocken vom Anblick, der sich mir bot, und dachte, dass ich auch bald so aussehen werde wie diese Leute. Beim Öffnen der Tür hatten sich alle mit dem Gesicht zur Mauer wenden müssen. Als die Eisentür geschlossen war, bewegten sich alle und kamen auf mich zu. Es waren acht Mann, alle älter als ich. Ich war damals 19 Jahre alt. Alle wollten wissen, was in letzter Zeit geschehen ist. Zum Mittagessen gab es Suppe aus getrockneten Kartoffelscheiben, auf denen Hunderte von dicken, fetten Maden schwammen. Die Holzlöffel stanken fürchterlich. Wer weiß, wie viele mit denen schon gegessen hatten. Eine beschädigte emaillierte, etwa anderthalb Liter große Kostschale hatte ich auch bekommen. Jeder erkannte seine Kostschale an den Beulen. Auch die Holzlöffel hatten unterschiedliche Zeichen, an denen man sie erkennen konnte. Ich muss ein von Ekel erregtes Gesicht geschnitten haben, denn einer der Insassen kam, um mich zu trösten: „Warum isst du nicht? Es lebt keine mehr, mach Augen und Nase zu und schluck alles hinunter. Bei anderen Völkern ist dies eine Delikatesse. Also nimm dir Mut und schluck. Du wirst dich schnell daran gewöhnen“. Die Kartoffeln waren angeblich Überreste der Kriegsreserven. Ich schluckte alles hinunter, aber satt wurde ich nicht. Auf dem Bett sitzen durften wir nicht. In der Zimmermitte standen ein langer Tisch aus Winkeleisen und zwei lange Bänke. Lautes Reden war verboten. In der Tür war eine Öffnung, die mit einem durchlöcherten Blech abgedeckt war. Dadurch wurden wir ständig beobachtet. Gegen 17 oder 18 Uhr gab es Abendessen. Es bestand aus gekochten Pasternak-Wurzeln und einem Stück hartem Maisbrei.
Nach 19 Uhr war Appell. Wir mussten uns mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. Ein Häftling musste über die Lage berichten und die Zahl der Häftlinge melden. Der Offizier vom Dienst kam mit dem Wärter, der die Schicht übernehmen sollte, und zählte alle ab. Dann gab es noch einen Wärter, der klopfte alle Eisengitter mit einem Holzhammer ab, um nach dem Klang festzustellen, ob nicht ein Eisenstab durchgesägt war. Den Rapport musste jeden Tag ein anderer erstatten. Beim Rapport mussten wir alle zugeknöpft sein und gerade stehen. Wehe, wenn etwas nicht in Ordnung war. Nach dem Appell wurde alles wieder still. Das Bett durfte man aber trotzdem nicht berühren. Da ich neu war,
hatten wir viel zu erzählen. Die Zeit reichte kaum, um das Leid jedes einzelnen zu erfahren und das eigene weiterzugebeen.
Ich erfuhr, dass wir wegen Grenzübertritts zu zwei bis drei Jahren verurteilt werden. Das erschien mir sehr viel. Ein älterer Häftling, der meinem Gesicht den Kummer abgelesen hatte, sagte, dass er ein katholischer Mönch sei, schon einige Jahre Gefängnis hinter sich hätte und immer noch lebe. Um zu überleben, müsste ich einige Regeln einhalten. Er war wegen angeblichen Hochverrats und Spionage für den Vatikan zum Tode verurteilt worden. In Einzelhaft wartete er in einer kleinen dunklen Zelle auf den Tag der Hinrichtung. Beten war sein einziger Trost. Und das Beten gab ihm den Mut, durchzuhalten. In jener Zelle habe er vier Jahre gelebt, ohne das Tageslicht zu sehen, mit dem ewigen Gedanken, bei jeder Türöffnung zum Galgen geführt zu werden. Eines Tages habe er die Nachricht erhalten, dass das Todesurteil in Lebenslang umgewandelt worden sei.
Dann zählte er mir die Überlebensregeln auf. Die wichtigste: „Du musst alles essen, was du vorgesetzt bekommst, ob ekelig oder nicht, hart oder weich, der Magen verdaut alles. Wenn du runde kleine Knochen im Essen findest, sollst du sie unbedingt essen, denn die sind nicht hart, und die inwendigen Zellen sind voller Öl, und Kalzium brauchst du auch. Das sind Gelenksknochen. Wenn alte Leute Knochen übrig lassen, dann verlange sie. Denn wenn du einmal schwach wirst, kannst du dich mit dieser Kost nicht mehr erholen, und du kriegst alle möglichen Krankheiten. Und wenn du Schläge bekommst, musst du auf die Zähne beißen und dir sagen: Es tut mir nicht weh, ich spüre nichts. Sollte dich jemand provozieren, lasse dich nicht ein. Steh niemals in der Vorderreihe, damit dich niemand kennt, es ist besser, unbekannt zu bleiben. Die Schreie, die wir manchmal am Abend hören, musst du ignorieren. Es hört sich an, als würde man Häftlinge quälen, was manchmal stimmt, aber es sind oft Häftlinge, die aus Verzweifelung schreien oder den Verstand verloren haben. Du musst denken, dass ein jeder sein eigenes Schicksal tragen muss, und du kannst sowieso keinem helfen. Du sollst dich hüten, mit der Securitate zu kollaborieren. Die Securitate wird dir alles versprechen, bis du ja sagst, die kannst du nie mehr lebend loswerden. Glaube nie, was sie dir versprechen. Die sind auch wie Napoleon, sie lieben den Verrat, hassen aber den Verräter. Vergiss nicht, du bist für die nur ein Werkzeug. Bist du im Gefängnis einmal als Spitzel enttarnt, wirst du nie mehr Ruhe finden, du wirst nur verspottet oder geschlagen. Und dann hast du auch noch gegen dein eigenes Gewissen zu kämpfen. Du musst dich so verhalten, dass du noch in den Spiegel sehen kannst. Viele haben sich aus diesem Grunde das Leben genommen.“
Diese und viele andere Ratschläge waren für mich Gold wert. Von da an habe ich alles leichter ertragen. Vor dem Schlafengehen mussten wir zur Toilette. Das war ein kleiner Bottich. Um 22 Uhr war Nachtruhe. Um 5 Uhr wurden wir geweckt. In fünf Minuten mussten die Betten aufgeräumt sein, in dieser Zeit
mussten wir uns auch über dem Bottich waschen. Die Häftlinge vom Dienst mussten das Schaff leeren, spülen und mit Kalziumchlorid besprühen. Zwischen 6 und 7 Uhr hatten wir Appell, danach gab es Frühstück: etwa 800 Milliliter Terci (sprich Tertsch). Das war dünn gekochter Maisbrei mit ein wenig Zucker. Dazu wurde ein Töpfchen schwarzes Wasser, leicht gesüßt, gereicht.
Es folgte der tägliche Ablauf. Zuerst erzählte jeder, was er geträumt hat, dann wurde ein Resümee gezogen, denn einige alte Häftlinge konnten sehr gut Träume deuten. Und mit ziemlicher Sicherheit traf das auch ein. Um alles zu verstehen, muss ich die Lage und die Gebäude ein wenig beschreiben.
Das eigentliche Gefängnis war in E-Form gebaut. An einer Seite war die Bahnlinie und an zwei Seiten war eine Garnison russischer Soldaten. Die vierte Seite war das Verwaltungsgebäude und das Militärgericht. Dazwischen war ein großer Freiraum mit Parkanlage. Auf der Innenseite des Gebäudes waren Stacheldraht-Zellen eingerichtet. Zwischen dem Stacheldraht stand eine drei Meter hohe Bretterwand. Und darüber stand ein Wachposten mit Maschinenpistole, so dass er in alle Zellen hineinsehen konnte. Um die Zellen war in einem Abstand von anderthalb Metern von der Bretterwand ein Stacheldrahtzaun gezogen. Dazwischen war die Erde geharkt, damit man jede kleinste Spur sehen konnte. Wer diese Todeszone betreten hat, wurde ohne Warnung erschossen.
Die Häftlinge wurden fast täglich, wenn das Wetter es erlaubte, in solch eine Zelle geführt. Dort mussten wir im Gänsemarsch spazieren. Meistens waren zwei Aufpasser oben im Häuschen. In dem mittleren Fuß des E-Gebäudes im Erdgeschoss war die Küche. Das Gebäude war zwei Stockwerke hoch, darin waren bis zu 1.000 Häftlinge untergebracht, darunter etwa 300 politische. Sie waren an einem Ende des E-Gebäudes im ersten Stock eingekerkert. Alle Fenster waren mit Brettern abgedeckt. Sie ragten weit über die Fenster hinaus, so dass man nicht hinaussehen konnte. Die Lüftung war deshalb auch sehr schlecht. Manchmal gelang es uns, einen Knoten aus den Brettern zu ziehen, um ein wenig hinaussehen zu können. Wir wechselten uns dabei ab. Während jemand hinaussah, stand einer mit dem Ohr an der Tür und lauschte, damit wir nicht überrascht wurden, denn dann gab es Strafen, meistens Isolation - je nach Wärter und Laune drei bis zehn Tage. Einfache Isolierung oder mit Handschellen, mit Ketten an den Füßen oder beides. Man wurde in einen kleinen ungeheizten Raum eingesperrt. Zwei Tage bekam man nur eine Kostschale mit warmem Salzwasser, am dritten Tag erst die volle Essensration.
Wir schliefen in Eisenbetten ohne Strohsack oder Decken. Ich fing an, Morse zu lernen, aber am meisten gefiel mir das Stummenalphabet. Durch Klopfzeichen auf den Heizkörper fand ein Mithäftling heraus, dass mein Freund in der zweiten Zelle nebenan war. Bis zum Prozess durften wir uns nicht sehen. In unserer Zelle waren ferner ein zu 25 Jahren verurteilter Physikprofessor, ein Politiker, ein Gynäkologe, ein Agronom, ein Bauer und ein älterer Professor,
der okkulte Wissenschaften studiert hatte und sieben Sprachen beherrschte. Von ihm lernte ich auch sehr viel, der hatte ein enormes Allgemeinwissen.
Obwohl ich erst drei Tage in dieser Zelle war, hatte mir ein Wärter zu verstehen gegeben, dass ich sein Liebling sei. Wenn ich Hunger hätte, sollte ich es einfach sagen. Es war ein älterer Mann, er hieß Unguru. Erst viel später habe ich erfahren, worauf diese Sympathie beruhte. Immer wenn er Dienst hatte, freuten wir uns, er war überhaupt nicht streng, im Gegenteil, er warnte uns, wenn Gefahr drohte.
Die in unserem Gefängnis einsitzenden Frauen arbeiteten in einer Konservenfabrik. Sie durften im Gegensatz zu uns Pakete empfangen. Weil sie im Stockwerk unter uns untergebracht waren, konnten wir aus dem Strohsack gezogenen Zwirn hinunterlassen und betteln. Manchmal schickten uns die Frauen Speck, Zucker oder aber Obst und Gemüse, das sie aus der Fabrik mitgebracht hatten.
Sonntags hatten die Frauen Ausgang auf dem Gefängnishof. Mir gefiel eine namens Rosi; sie war wegen Veruntreuung verurteilt worden und hatte noch ein paar Monate bis zur Freilassung vor sich. Jeden Abend wechselten wir ein paar Worte. Manchmal schickte sie mir ein wenig Speck.
Zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt
Eines Morgens wurde ich verständigt, dass mein Prozess angesetzt ist. In einer halben Stunde sollte ich fertig sein. Wir wurden auf den Gang gebracht. Unter dem Dutzend Versammelten war auch mein Freund Stefan. Über den Hof ging es ins nächste große Gebäude. Wir kamen vor ein Militärgericht, dem ausschließlich hohe Offiziere angehörten, denn es war ein politischer Prozess; angeklagt waren wir wegen Landesverrats. Der Prozess verlief etwa so: Der Staatsanwalt las die Anklage vor. Ein Anwalt tat so, als würde er uns verteidigen. Dann wurde die Strafe verkündet. Stefan und ich erhielten je zwei Jahre Gefängnis. Wir überlegten, ob wir Widerspruch einlegen sollten. Doch der gute Wärter riet uns, es dabei zu belassen, denn wir hätten die geringste vom Gesetz vorgesehen Strafe erhalten. Bei einer Revision könnte es passieren, dass uns das Gericht die Strafe erhöht.
Am nächsten Tag wurde einer von uns ins Krankenhaus gefahren. Nach ein paar Stunden kam er zurück. Er sagte mir, sie seien zu sechst gewesen, bewacht wurden sie von zwei Mann. Ich schmiedete ab sofort Fluchtpläne. Der gute Wärter brachte mir Milch und führte mich auch zum Arzt, natürlich nicht allein, sonst wäre das aufgefallen. Die sechs Ärzte auf der Station waren auch Häftlinge, lediglich der Chefarzt war Offizier. Er überwachte alles.
Wegen meiner Schmerzen erhielt ich Medikamente und eine zweiwöchige Diät verordnet. Diät bedeutete etwas besseres Essen, aber auch viel weniger. Zufrieden war ich nicht, aber ich durfte mich nicht verraten. Ich wollte lediglich,
dass man mich zum Röntgen führt, um vielleicht wegrennen zu können. Ich simulierte weiter Magenschmerzen, lernte fleißig Morse, auch die abgekürzte Form, die von den Häftlingen häufig benutzt wurde. Manche konnten fast so schnell klopfen, wie man spricht. Aber so schnell zu empfangen, das kam mir schwer vor. Das einhändige Stummenalphabet übte ich ebenfalls. Den Platz des Mönchs nahm ein reformierter Pfarrer ein.
Inzwischen war ich seit zwei Monaten im Gefängnis, und der Gedanke, durchzugehen, ließ mich nicht los. An einem Morgen brachten sie mich mit drei anderen in die Stadt zum Röntgen. Unter den drei Aufpassern war auch der gute Unguru. Dem konnte ich eine Flucht nicht antun. Im Krankenhaus stellte sich Unguru neben mich und sagte, ich sollte mir die Dummheit aus dem Kopf schlagen, denn mein Vorhaben werde misslingen, ich sollte schön brav sein bis zur Rückfahrt.
Vor der Fahrt ins Krankenhaus hatte ich trotz Verbots eine Pflaume gegessen, die ich von meiner Rosi geklaut hatte, die mit anderen Frauen auf dem Gefängnishof Früchte für die Konservenfabrik sortierte. Diese Pflaume hat die Röntgenärzte irritiert, so dass sie eine ziemlich große Magenwunde diagnostizierten und eine Operation vorschlugen. Ich bat sie, sie sollen mir eine Diät verschreiben, denn ich werde alles überleben. Sie ordneten eine dreimonatige Diät an.
Das Essen wurde von nichtpolitischen Häftlingen in Gegenwart des Wärters ausgeteilt. Beim Austeilen blieb stets etwas übrig, und das bekamen wir. Normal wurde dies ausgeschüttet, es durfte nicht aufgeteilt werden. Nach dem Essen wurden die Kostschalen und die Holzlöffel eingesammelt und in einem Nebenraum gespült. Das Essbesteck jeder Zelle wurde getrennt aufbewahrt. Jeder kannte seines an bestimmten Zeichen.
Manchmal sahen wir durch die Astlöcher in der Bretterwand vor den Fenstern, wie vor dem Kücheneingang Schlachthofabfälle vom Lastauto auf den Asphalt gekippt wurden. Anschließend spalteten Häftlinge Rinderköpfe, zerlegten sie und warfen alles, einschließlich Lippen und Augen, aber auch gespaltene Hörner ins Kochgeschirr. Das war zwar unansehnlich, aber es stank nicht. Anders war es, wenn Rindermägen und -därme aufgeschnitten, gereinigt und in kleine Stücke geschnitten wurden. Der Gestank verbreitete sich überall. Anfangs musste ich die Nase zudrücken, wenn das Essen gereicht wurde. Aber zum Glück passt sich die Nase an, und in kurzer Zeit riecht man nichts mehr. Lediglich, wenn aus den Darmfalten noch Dreck hervorkam, ekelte man sich. Aber ich folgte der Lehre unseres Mönches Tarcisius: Nase zu, Augen zu, alles muss runtergeschluckt werden. Zweimal die Woche gab es Fleisch, an den anderen Tagen Madenkartoffeln oder -erbsen. Am besten waren die Bohnen. Sehr oft gab es Sauerkraut und Pasternakscheiben. Auch in Scheiben geschnittene Futterrüben wurden gekocht, ab und an auch Möhren. Auch Spinat gab es während der Erntezeit, aber nur in Wasser gekocht. Diese Speisen wurden abwech-
selnd mittags und abends ausgegeben. Ich hatte keine Probleme mit dem Essen, aber ich war ständig hungrig. Nur wenn der gute Wärter im Dienst war, konnte ich satt werden, und die anderen auch.
Abwechslung hatten wir auch. Man hatte uns einen Grenzgänger, einen Banater Schwaben aus Hatzfeld, in die Zelle gesteckt. Er war etwa 20 Jahre alt, ziemlich klein, aber sehr kräftig. Er litt an Epilepsie, was wir nicht wussten. Während wir im Zimmer spazierten, stand er plötzlich ein paar Sekunden, zählte an seinen Fingern und fiel vornüber auf die Ellenbogen. Er war so steif wie ein Klotz, die Muskeln waren wie Stein. Wir wollten an die Tür klopfen, aber ein alter Häftling meinte, wir sollten ihn liegen lassen. Die Krankheit könne kaum behandelt werden, er werde bestimmt aufwachen. In zehn Minuten stand er auf und erzählte weiter, als wäre nichts gewesen.
Wir wurden fast täglich in den Hof zum Spaziergang gelassen. Der Hof grenzte an einer Seite an eine russische Garnison und wurde von zwei Mann in hohen Wachthäuschen beobachtet. Ich beobachtete die Posten schon lange und dachte, hier könnte ich flüchten. Mir fiel auf, dass ein dunkelhäutiger Posten sein Gewehr an einen Nagel hing, um die Mitesser im Gesicht auszudrücken. Ein zweiter hängte ebenfalls das Gewehr an den Nagel und reparierte Uhren. Der Uhrmacher war so konzentriert, so dass er nicht einmal den Kopf hob. Ich sagte mir, wenn einer der beiden im Dienst ist, werde ich einen Ausbruch wagen. Die beiden Posten waren stets in verschiedenen Schichten.
Ausbruch
Am 11. November 1956 führte man uns wieder in den Hof an die Luft. Als ich auf die Wachhäuschen blickte, dachte ich, ich werde verrückt. Meine beiden auserwählten Posten hatten zusammen Dienst, eine einmalige Gelegenheit, sagte ich mir. Während des Spaziergangs im Gänsemarsch war ich letzter. Der Pfosten, an dem ich hinaufklettern wollte, wies Verdickungen auf, war also für meine Absichten wie geschaffen. Von dem Pfosten musste ich auf die etwa zwei Meter davon entfernte vier Meter hohe Mauer springen, auf der unter Strom stehende Drähte gespannt waren. Dahinter war zwischen Mauer und einem inneren Stacheldrahtzaun der vier Meter breite Todesstreifen. Wer es wagte, ihn zu betreten, konnte ohne Warnung erschossen werden. Ich war mir sicher, dass ich längst drüber sein werde, ehe der Posten die Waffe vom Haken genommen hat. Allerdings hatte ich mir nicht überlegt, was ich mit meinen Schuhen machen soll. Ich musste sie ausziehen, um an dem Pfosten hochklettern zu können. Ich ging noch eine Runde hinter den anderen her und dachte nach, was ich mit den Schuhen machen soll. Ich versuchte vergeblich, sie in meine Windjackentasche zu stecken, zog sie wieder an und ging weiter hinter den anderen her. Über die Mauer konnte ich sie nicht werfen, denn man hätte es
hören können. Deshalb beschloss ich, barfuß zu türmen, obwohl eine dünne Schneeschicht lag. Ich hörte nur noch mein Herz schlagen. Dann warf ich einen kurzen Blick auf die Wachen, und ich weiß nicht, wie ich über den Stacheldraht gesprungen und den Pfosten hinauf geklettert bin, ich ließ den unter Strom stehenden Draht hinter mir und sprang von der Mauer. Was ich nicht ahnen konnte: In den Mauerkamm waren zerbrochene Flaschenhälse einbetoniert. Noch schlimmer: Hinter der Mauer waren drei Meter hohe Zellen aus Stacheldraht errichtet, ferner ein tiefer Graben ausgehoben worden. Ich bin in solch eine Zelle gefallen und habe mir sehr weh getan, so dass ich erst einmal nicht atmen konnte. Als ich wieder Luft bekam, fing ich an, den Stacheldraht mit bloßen Händen zu brechen, bis ich ein so großes Loch im Zaun hatte, durch das ich durchkriechen konnte. Während ich den Draht durchbrach, wurde Alarm ausgelöst. Als ich draußen war, sah ich rechts einige Wärter auf mich zulaufen. Also lief ich nach links an einer russischen Wache vorbei, welche alles gesehen hatte. Der Soldat schüttelte nur den Kopf und ließ mich vorbeilaufen. Ich dachte kurz, in die Kaserne zu laufen, denn dort würden die Wärter bestimmt nicht nach mir suchen. Doch ich tat es nicht. Ich lief, so schnell ich konnte. Dann tauchte ein Rangierzug auf. Der Lokomotivführer war ein junger Mann. Als er die vielen Verfolger hinter mir sah, bedeutete er mir, aufzuspringen, ließ eine dichte Dampfwolke ab, so dass meine Verfolger mich nicht mehr sehen konnten.
Weil ich richtig vermutete, dass sie den Zug aufhalten und kontrollieren werden, lief ich weiter. Auf der dem Gefängnis abgewandten Seite waren Hausgärten. Neben den Gleisen folgte ich einem schmalen Fußweg bis zu einem Viadukt. Darunter fuhren die Lkw, aber viel zu schnell, um von der Brücke darauf zu springen. Als ich auf die andere Straßenseite wechseln wollte, kamen mir Soldaten entgegengelaufen; ich musste umkehren und unter ein Gestrüpp kriechen. Kaum war ich in den Brennnesseln, da waren die Verfolger schon in meiner Nähe. Es waren alles Gefängniswärter. Ich konnte alles hören und sehen. Kurz danach kamen Soldaten mit Motorrädern und auf Pferden. Dazu stießen noch Arbeitssoldaten, die in der Nähe stationiert waren. Die sollten sich auch an der Suche beteiligen. Aber keiner wusste, wen er suchen sollte. Plötzlich brachten Soldaten einen Mann, der sich mit einer Hand die Hose halten musste. Den hatten sie aufgegriffen, als er irgendwo seine Not verrichtete. Da war es sogar mir zum Lachen zu Mute. Als die Soldaten sogar im Brunnen suchten und die Hausherrin und ihre Kinder anbrüllten, sie sollten sagen, wo sie mich versteckt haben, sagte ein Mädchen, dass jemand nach der Stadtmitte gefragt habe.
Darauf wendeten einige Motorradfahrer und brausten mit hoher Geschwindigkeit davon. Um mich herum wimmelte es von Soldaten, doch die wussten nicht einmal, ob ich Sträflingskleidung trage. Ich hörte, wie sie von einem Hund sprachen. Davor hatte ich Angst. Dann brachten sie aus dem Gefängnis ein Foto von mir, das sahen sich alle an und verschwanden. Ich bemerkte, dass der gute
Wärter Unguru vor mir postiert wurde, weil er der einzige war, der mich kannte. Es tat mir leid, dass es gerade in seiner Dienstzeit passiert ist.
Alle blickten in die Ferne, keiner kurz hinter sich. Das Militär war fast verschwunden, da habe ich mich bewegt, worauf ein kleiner Hund zu meinen Füßen zu jaulen begann. Der Wärter warf dem weglaufenden Hund einen Stein hinterher. Doch der Hund näherte sich mir erneut. Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. Als der Hund erneut jaulte, drehte sich der Wärter um, sah mich und rief: „Hände hoch du verfluchter Verbrecher, darum gebe ich dir so viel zu essen, dass du ausbrichst?“ Im Nu war ein Haufen Arbeitssoldaten und Wärter da. Ich war noch nicht einmal aus dem Gestrüpp herausgekrochen, da wollte mir ein Wärter in die Füße schießen, aber ein Arbeitssoldat hat ihm die Maschinenpistole niedergedrückt, so dass die Kugel in den Boden schlug. Die Arbeitssoldaten - ausschließlich Deutsche - beschimpften ihn sofort. Mit ein paar Fußtritten wurde ich hingestreckt. Doch wegen der Arbeitssoldaten trauten sich die Wärter nicht, hart zuzuschlagen.
Isolationshaft in Fesseln
Zurück ins Gefängnis ging es wieder am russischen Posten vorbei. Mit Fußtritten traktierten mich die Wächter bis zur Gefängnisstraße. Vor dem Gefängnistor wurde ich vom politischen Offizier und Stellvertreter des Kommandanten erwartet. Der hieß Vac s Rind. Er begrüßte mich mit „herzlich willkommen“ und öffnete das Tor. Mit einem Fußtritt beförderte er mich regelrecht durch die Luft. Sie zerrten mich am Kragen ins Pförtnerhaus. Dann kamen alle Wärter und zeigten ihrem Vorgesetzten, wie treu sie waren. Ich schützte lediglich mein Gesicht, denn ich lag am Boden. Ich glaube nicht, dass es einen gab, der nicht auf mich eingeschlagen hat. Dann stülpten sie mir einen verzinkten Eimer über den Kopf, damit ich nicht sehen konnte, wer zuschlägt. Ich fühlte schon lange keine Schmerzen mehr. Ich war nur voller Spucke und Blut. Dann kam ein rothaariger Oberleutnant vom Geheimdienst, spielte sich als mein Retter auf und beschimpfte die Schläger. Die Methode war nicht neu, der wollte nur wissen, welche Kontakte ich zu den Posten und zu Studenten hätte. Und wen ich in Ungarn hätte.
Weil ich keine Kontakte zugab, ohrfeigte er mich und drohte, er lasse einen Hund auf mich los. Ich saß auf dem Boden mit dem Rücken an der Wand und hatte die Füße angezogen. Die Hände hatte ich auf die Knie gelegt, so dass ich mein Gesicht verdeckt halten konnte und wartete auf den Hund. Plötzlich ging die Tür auf, und der Hund kam herein mit seinem Herrn. Der hetzte den Hund auf mich. Der Hund kam ganz langsam und knurrend auf mich zu. Ich hielt den Atem an, soweit ich konnte. Der Hund kam mit der Schnauze ganz nahe an meine Hände, nur ein paar Zentimeter, stand ein paar Sekunden vor mir, dann
wedelte er mit dem Schwanz und setzte sich vor mir nieder. Weil ich weiter verneinte, Kontakte nach außen zu haben, hetzte er den Hund erneut auf mich. Doch genau wie vorher setzte er sich neben mich. Dann gab der Offizier dem armen Hund einen festen Fußtritt und jagte ihn hinaus.
Er führte mich ins Freie, wo die Schläger warteten. Plötzlich spürte ich einen Hieb im Nacken. Es krachte, dann sah ich zunächst schwarz und dann wunderschöne grüne Sterne, die auf und ab auf schwarzem Hintergrund schwebten. Kurz danach schien es, als ob mir Blumen entgegenkämen, dann wurde es wieder dunkel. Mehr habe ich nicht mitbekommen. Ich erwachte, als man mir den Kopf in einem Waschbecken unter fließendem, kaltem Wasser festhielt. Da sah ich rings herum nur Wärter, die ironisch lachten und mich verspotteten. Dann kam ein Offizier und sagte, dass ich jetzt da sei, hätte ich ihm zu verdanken. Er habe von oben gesehen, als ich die Schuhe ausgezogen habe und sie nicht in den Taschen unterbringen konnte. Weil die Wachen nicht aufpassten, habe er alle Militäreinheiten in Alarm versetzt. Die kamen schon, bevor ich draußen gewesen sei. Dann schlug er mich mit den Fäusten zu Boden. Nachdem ich mir erneut das Blut abgewaschen hatte, führten sie mich in eine Schmiede. Ich musste mich rücklings auf den Boden legen, wobei ein Amboss zwischen den Füßen zu stehen kam. Sie legten mir aus Flacheisen geschmiedete Schellen an, die mit 10 Millimeter starken glühenden Bolzen vernietet wurden. Die Schellen, die mit einem einzigen Kettenglied verbunden waren, wurden danach nicht gekühlt, so dass ich tiefe Verbrennungen davongetragen habe.
Die Schmiede hoben mich hoch, und einer schlug mir auf den Rücken, dass ich nicht mehr atmen konnte und zusammengebrochen bin. Weil ich noch in Handschellen war, bin ich sehr schlecht gefallen.
Die Länge eines Schrittes betrug lediglich drei Zentimeter. Ich wurde in Einzelhaft gebracht. Nach einiger Zeit kam Unguru wütend, packte mich an den Ohren, schüttele mich fest und schlug zweimal zu. Als er die Zelle verlassen hatte, spürte ich, dass mir Blut am Körper hinunterfloss bis in die Schuhe. Der Wärter hatte mir hinter dem Ohr eine Ader gerissen. Ich war schon froh, denn ich hoffte, zu verbluten und schmerzlos für immer einzuschlafen. Aber die Blutung hörte bald auf.
Nach nicht einmal zehn Minuten kam Unguru mit einer Kostschale mit gekochtem Fleisch. Er entschuldigte sich, dass er sich hatte gehen lassen, nahm mir die Handschellen ab und sagte, ich sollte schnell essen, damit uns niemand erwischt. Ich hatte kaum ein paar Löffel gegessen, da kam der politische Offizier, schrie den Wärter an und beschuldigte ihn, er würde sich auf meine Seite schlagen. Aber Unguru war nicht erschrocken und sagte dem Offizier, das stehe mir zu. Die Isolation trete erst am nächsten Tag in Kraft. Ich kam mir wie ein Zirkustier vor, jeder wollte mich sehen. Wenn einer kam, war es noch auszuhalten, aber wenn zwei kamen, und wenn es auch gute waren, dann spielte einer
vor dem anderen den Helden, sie schlugen und bespuckten mich. Ich dachte, der Tag würde nie enden. Abends beim Appell kamen viele Wärter und noch viele Begleiter, sie wollten alle den „Bären“ sehen.
Über Nacht wurden mir die Handschellen abgenommen. Aber die Füße schmerzten, denn an jeder Fußschelle waren Eisenkugeln angeschweißt. Jede Kugel wog ungefähr sechs bis acht Kilogramm. Und diese hingen im Fleisch. Ich hütete mich, zu sitzen, denn dann hätte ich nicht mehr aufstehen können. Deshalb schlief ich stehend, an die Wand gelehnt. Am Morgen wieder Appell mit großer Begleitung. Ich hatte große Angst, dass die Wachen mich totschlagen werden. Aber später habe ich erfahren, dass sie unter Arrest standen und nicht in meine Nähe kommen durften. Gegen 10 Uhr hörte ich einen Mann unter meinem Fenster singen und pfeifen. Ich erkannte in ihm sofort den Hofmeister. Der Mann war Ingenieur, seine Entlassung stand kurz bevor. Er war stets gut aufgelegt und ging immer singend und pfeifend umher. Er war sehr gut informiert. In der Nacht hatte ich sehr viel nachgedacht über mich und war zu dem Entschluss gelangt, meinem Leben ein Ende zu setzen. Ich betete, der Herr möge mich erlösen. Als ich aber den Ingenieur hörte, fasste ich neuen Mut. Er stellte seine Leiter unter meinem Fenster auf und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, denn ich werde lediglich zehn Tage lang in Ketten bleiben. Er gab mir den Rat, mich nicht vom Geheimdienst Securitate einfangen zu lassen. All das hatte er mir zwischen Gesang mitgeteilt.
Kaum war die Leiter weg, kam schon der politische Offizier mit einem Papier in der Hand, das ich unterschreiben sollte. Er wollte mich als Spitzel anwerben. Er lockte damit, dass ich in eine große Zelle verlegt und in ein paar Monaten frei sein werde. Er überreichte mir die vorgefertigte Erklärung und meinte, wenn ich mir es überlegt hätte, könnte ich sie dem Wärter geben. Nach einiger Zeit kam der Wärter und fragte mich danach. Als ich nein gesagt hatte, meinte er, das sei richtig.
Den ganzen Tag verbrachte ich in Handschellen. Die Hände waren inzwischen blau, und ich hatte Angst vor einer Infektion. Essen bekam ich keines, lediglich Salzwasser. Wegen der Handschellen konnte ich aber nicht trinken. Ich musste an die Tür klopfen, dass man mir vorher die Handschellen abnahm. Setzen konnte ich mich nicht wegen der Fußfesseln. Die Füße schwollen an und schmerzten, besonders die Brandwunden. Der erste Tag verging bei ein paar Hieben, Beschimpfungen und mit Anspucken. Am Abend, beim Schichtwechsel kamen wieder viele Wärter und versetzten mir ein paar feste Hiebe und Ohrfeigen. Über Nacht nahm man mir die Handschellen ab. Jetzt konnte ich mich auch auf den Boden setzen. Aber es war sehr kalt. Ich zog das Hemd aus, knöpfte es zu und streifte es über Kopf und Oberkörper. Nun blieb die ausgeatmete warme Luft unter dem Hemd, so konnte ich mir die Hände ein wenig wärmen. Die entblößten Körperteile blieben aber kalt. Die Nacht dauerte eine Ewigkeit. Ich
musste das Hemd doch wieder normal anziehen. Meine Windjacke hatte ich verloren, vielleicht hatten die Wärter sie mir weggenommen, ich weiß es nicht. Ich war so durchgefroren, dass ich nicht einmal mehr zittern konnte. In der Nacht hatte es auch geschneit. In den Zellenfenstern fehlte das Glas, es gab weder Heizung noch Decke.
Die schützende Hand des Kommandanten
Die ganze Nacht über hörte ich lediglich, dass bei den Russen etwas los war. Denn man hörte Motorenlärm und viel Geschrei. An diesem Morgen fand der Schichtwechsel sehr spät statt. Als sich die Zellentür öffnete, stand der Gefängniskommandant in Begleitung einer Schar Aufseher und des politischen Offiziers Vac s der Kommandant wissen wollte, warum ich da bin, konnte ich den Mund nicht öffnen, um zu antworten. Ich war vor Kälte wie erstarrt. Das veranlasste den politischen Offizier, mich ironisch vorzustellen. Als sich der Kommandant mir genähert und die Wunden und das gestockte Blut gesehen hatte, wurde er wütend, drehte sich um und trat mit den Stiefeln auf den politischen Offizier und die Wärter ein und brüllte aus Leibeskräften: „Mörder, Mörder, die ihr seid, wie könnt ihr mir das antun. Wer hat euch das Recht gegeben, Menschen so zu quälen. Ich mache dir den Prozess wegen Sadismus und Ungehorsams. Du warst mein Stellvertreter, was hast du dir erlaubt. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen, dies gilt für alle Beteiligten, ihr Mörder. Niemand darf ohne meine Erlaubnis mehr herkommen, nur die Dienstleute, und jetzt soll der Arzt schnell kommen“. Wärter und Politoffizier konnten nicht schnell genug hinauslaufen und verkeilten sich in der Tür. 54 Jahre sind seither vergangen. Während ich diese schlimmen Erinnerungen in mir wachrufe, um alles aufzuschreiben, fließen mir so stark die Tränen, dass ich eine Pause einlegen muss. Denn ich erlebe alles von neuem.
Kaum war das Gesindel weg, war auch schon ein Arzt da. Im Nu wurde auch ein Bett gebracht, Feuer brannte im Ofen, und Fensterscheiben wurden eingesetzt, auch mehrere Decken und warme Milch habe ich erhalten. Die hatte ich im Nu ausgetrunken. Der Arzt gab mir Vitamine und wusch mir die Brandwunden an den Füßen und das Blut aus dem Gesicht. Dabei half ihm der Kommandant. Er sagte zu mir, ich sei neu geboren, denn wenn er nicht gekommen wäre, hätten diese Verbrecher mich umgebracht.
Ich musste die Hose runterlassen. Vom Gestank, der ihnen entgegenschlug, ist den beiden übel geworden. Das hinter dem Ohr ausgetretene Blut war mir auch zwischen die Beine geflossen. Weil ich die Beine wegen der Fußschellen nicht auseinandernehmen konnte, fing alles an zu faulen. Der Arzt hatte viel zu tun, um mich halbwegs zu reinigen. Am schwersten fiel ihm, das Verbandzeug zwischen Eisen und Füße zu schieben, ohne mir weh zu tun. Und wenn es doch
passierte, dann schimpfte der Kommandant. Der Arzt war auch ein Häftling. Als ich nach langer Zeit fertig war, befahl der Kommandant dem zuständigen Wärter, er solle mich im Auge behalten und niemand zu mir lassen außer dem Arzt.
Als sie mich allein in der Zelle zurückgelassen hatten, sagte der Wärter, ich hätte großes Glück gehabt, dem Kommandanten sei dieser Fall gerade recht gekommen. Das Verhältnis zwischen ihm und den politischen Offizieren sei nicht das beste. Am Mittag fragte mich der Wärter Unguru, was ich essen möchte. Ich sagte ihm, er solle mir das Beste geben. Dann hielt ich eine gehäufte Kostschale mit viel Fleisch (Kutteln) in der Hand, es hat zwar gestunken, aber es war sehr gut. Unguru wollte mir noch einen Nachschlag geben, doch ich war satt.
Nach dem Mittagessen war Arztvisite. Er gab mir Multivitamine, die ich vor ihm einnehmen musste. Ich hatte mich von der Kälte gut erholt. Nur die Füße taten mir sehr weh, weil die Fußschellen mit den Gewichten dauernd ins Fleisch schnitten. Bevor der Arzt ging, half er mir aufs Bett und deckte mich gut zu. Dass ich so eine Verpflegung bekomme, hätte ich nie gedacht. Unguru sagte mir, jetzt wirst du noch wegen Ausbruchs verurteilt werden. Wie viel ich bekommen werde, wusste er nicht. Denn aus diesem Gefängnis war noch keiner ausgebrochen. Der Kommandant kam fortwährend zu mir, einmal mit, das andere Mal ohne Arzt.
In der kommenden Nacht schlief ich fest. Um 5 Uhr wollte ich aufstehen, aber der Wärter sagte, ich könnte im Bett bleiben. Beim Schichtwechsel kam als erster der Kommandant. Er ließ den Arzt kommen. Der Kommandant sah sich meine stark geschwollenen Füße an und schüttelte den Kopf. Die Gewichte durften nicht abgenommen werden. Deshalb war der Arzt gefragt. Er wusch mir die Wunden mit Kamillentee und legte essigsaure Tonerde auf. Diese Prozedur wurde den ganzen Tag über wiederholt. Und es hat geholfen. Die Füße waren nur noch wenig geschwollen. Er schob eine mit viel Penizillinpulver bestreute Binde zwischen Eisen und Fuß. Beim Abendappell fragte mich der Kommandant, ob er einen Häftling zu mir verlegen soll.
Die Nacht verging ohne Ereignisse. Am Morgen war der Kommandant wieder als erster bei mir und kümmerte sich um mich. Ein paar Stunden später brachten zwei wegen Raubes Verurteilte ein Eisenbett mit Strohsack und Decken in meine Zelle und machten Feuer im Ofen. Wärter Unguru hatte die Aufgabe, mir den Zellengenossen zu bringen. Es war ein junger Mann, der verrückt geworden war. Er wollte nicht essen, und aus seiner Nase floss eine gelbe, zähe Flüssigkeit. Es war ein sehr schöner junger Mann. Mir ging durch den Kopf, dass man den Mann nur darum zu mir gesteckt hat, damit auch ich die Krankheit bekomme und langsam daran sterbe. Das war ja auch eine Methode der Securitate. Ich entfernte sein Bett so weit wie möglich von meinem. Abends bei der Übergabe ist der Kommandant nicht mehr erschienen, das bestätigte meine Vermutung, dass diese Gutmacherei nur eine Tarnung von der Securitate war. Später kam der Wär-
ter und sagte, ich soll meinen Freund ins Bett legen. Aber das wollte mir nicht gelingen. Der Wärter gab mir den richtigen Tipp. Ich brachte ihn neben das Bett und fasste ihn hinten an den Kleidern. Als er fest nach vorne zog, ließ ich ihn los, so dass er aufs Bett gefallen ist und ich ihn lediglich zudecken musste.
Die Nacht verlief ganz normal. Die Füße waren noch ein wenig geschwollen. Beim Appell fehlte der Kommandant erneut. Gegen 10 Uhr kam ein Unteroffizier, er war Sanitäter und musste meinen Kollegen ins Krankenhaus fahren. Ich fragte ihn, was der verbrochen habe. Er sei Student in Craiova gewesen. Das habe die Securitate mit ihm angerichtet.
Er fragte, warum ich isoliert worden bin, führte den Kranken hinaus, kam zurück, schlug mich brüllend nieder, trat mir gegen die Füße und schlug mir die Fäuste ins Gesicht. Als er weg war, kam Unguru und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ich befürchtete, dass auch die beiden Wachposten kämen und mich totschlagen würden. Die blieben in Haft, bis ihre Unschuld am Ausbruch bestätigt sei, sagte Unguru.
Beim Abendappell war der Kommandant als erster bei mir. Ich sah, wie sich sein Gesicht verzog, er war böse und wollte wissen, wer bei mir gewesen ist. Er kündigte seinen nächsten Besuch für den kommenden Morgen an. Als alle weg waren, brachte mir Unguru eine Schale mit warmem Salzwasser. Ich sollte dies trinken, sagte er. Als er weg war, schüttete ich das Salzwasser aus. Doch das hatte er durchs Türloch gesehen. Unguru öffnete die Zellentür und gab mir den Rat, Salzwasser zu trinken, denn es helfe gegen Hunger und stärke die Widerstandskraft des Körpers. Ich befolgte seinen Rat. Das Resultat war verblüffend, ich spürte fast keinen Hunger mehr. Nach drei Tagen konnte ich die Fesseln besser ertragen. Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen. An den Wänden waren Tausende von schönen Gedichten eingekratzt. Hinter der Mauer unter meinem Fenster brüllte den ganzen Tag ein Lautsprecher, aber leider nur in russischer Sprache. Den ganzen Tag musste ich mir Heldenmärsche anhören. Weil ich nichts verstand, suchte ich mir eine andere Beschäftigung: Ich übte Morse, das Alphabet hatte ich von dem Mönch gelernt. Nun musste ich lernen, fehlerfrei zu klopfen. Jetzt war die beste Gelegenheit dazu, denn es störte mich niemand. Ich trat in Kontakt mit einem Unbekannten, der wissen wollte, wer ich bin und warum ich isoliert bin. Ich Depp sagte alles. Nach zehn Minuten kam ein großer rothaariger Major zu mir, beschimpfte mich ordinär und fragte, warum ich verbotene Sachen mache.
Weil ich leugnete, schlug er mir mit den Fäusten ins Gesicht. Er beschimpfte mich, schlug mich nieder und ließ seine Wut an mir aus. Weil ich verneinte, Verbindungen nach außen zu haben, schlug er abermals auf mich ein. Ich lag noch am Boden, da packte er mich im Nacken und sagte, dass er es war, der sich mit mir über Morse unterhalten habe, auf der anderen Mauerseite sei sein Büro. Am Nachmittag kam der Kommandant mit dem Arzt und dem Offizier
vom Dienst auf Visite. Als er mich sah, stand er regungslos da, dann fragte er mit grimmigem Gesicht, wer mich verprügelt hat. Der Wärter sagte ihm, dass es ein Geheimdienstoffizier gewesen sei. Er atmete tief durch, ohne etwas zu sagen. Der Arzt musste mir wieder die Wunden waschen und kontrollieren, ob nichts gebrochen ist. Unter den Fußschellen blutete ich stark. Alle Wunden wurden gewaschen und mit einem Pulver bestreut. Um mich zu beschützen, ließ der Kommandant mich in eine große Zelle verlegen. Bei Schichtwechsel sagte er den anderen Häftlingen, sie sollten mir behilflich sein. Beim Abendappell versuchte ich, aufzustehen, doch der Kommandant sagte mir, ich könnte sitzen bleiben. Die anderen Häftlinge sahen sich die Ketten und meine Wunden an. Gehen konnte ich nicht. Ich versetzte mein Gewicht auf die Zehenspitzen und drehe die Füße gleichzeitig in die gewünschte Richtung. Dann verlagerte ich das Gewicht auf die Fersen und drehte die Füße weiter, so konnte ich mich vier bis sechs Zentimeter fortbewegen. Es war leichter, die Füße in den Fußschellen zu drehen, als kleine Schritte zu tun. Aber das schlechteste war, dass meine Fußschellen aus flachem, acht Zentimeter breitem Eisen geschmiedet waren. Das kleine Spiel des Kettenrings verhinderte, dass ich die Beine auseinandernehmen konnte. So bildete sich salziger Schweiß, und die Haut verfaulte regelrecht zwischen den Beinen.
Am achten Tag ordnete der Kommandant an, mir die Fesseln abzunehmen. Ein Zellenkollege musste helfen, mich bis zur Treppe zu tragen. Dort rief der Kommandant zwei Schmiede, die mich in die Werkstatt tragen mussten. Dort angekommen, sah ich den Amboss am Boden. Ich musste mich auf den Rücken legen, ein Schmied hob mir die Beine darauf, ein zweiter Schmied kam mit einem großen Meißel und einem großen Hammer, um die Eisennieten zu durchtrennen. Davor hatte ich Angst. Denn zehn Millimeter Eisen mit dem Meißel durchzutrennen war nicht leicht. Der Kommandant kniete auf Lumpen neben mir und hielt die Fesseln so, dass sie mir nicht ins Fleisch schnitten. Wenn ein Hieb daneben ging, schimpfte er.
Als alles nach langer Zeit vorüber war, half mir der Kommandant auf die Beine. Ein Schmied hieß mich, zu laufen, indem er mir mit dem Hammerstiel einen festen Hieb auf den Rücken verpasste, so dass ich auf die Nase gefallen bin. Der Kommandant sagte nichts, fasste mich am Ellenbogen, denn ich konnte kaum gehen. Schritt für Schritt ging es hinauf in eine Zelle mit 65 Häftlingen, darunter interessante Menschen: Professoren, Mönche und Pfarrer der verschiedenen Konfessionen, alte Politiker, Ärzte, ehemalige Polizisten, Legionäre und Spione. Da gab es keine Langeweile. Die Zeit reichte nicht für all das, was man lernen oder hören wollte.
Die Zeit hatten wir sehr gut eingeteilt. Nach dem Aufstehen wurde als erstes eine Traum-Analyse vorgenommen. Jeder sagte am Morgen, was er geträumt hatte. Dann war die Zeit der Deuter gekommen, die vorhersagten, was uns an diesem Tag
erwartet. Fast immer hatten sie recht. Die Häftlinge hatten sich in verschiedene Interessengemeinschaften geteilt. Am Vormittag suchte jeder, jeden kennenzulernen oder am Sprachunterricht teilzunehmen. Wer die Betten berührte, wurde hart bestraft, manchmal geschlagen, das andere Mal isoliert. Nach ein paar Tagen setzte mich der Kommandant in Kenntnis, dass in Bukarest verfügt worden sei, dass ich zehn Tage in Ketten gelegt und isoliert werden soll. Er erlaubte, dass die Häftlinge mir Pullover und lange Unterhosen liehen. Der Kommandant nahm jemandem die Pelzmütze vom Kopf und setzte sie mir auf. So wurde ich in die Isolationszelle geführt. Später brachte ein Häftling die Ketten. Die wurden mir über die Hosenbeine an die Füße festgeschraubt. Es waren leichte, 50 Zentimeter lange Ketten, mit denen ich gut gehen konnte.
Dieses Mal war ich in einer richtigen Isolationszelle ohne Fenster und ohne Bett. Zwei Tage gab es Salzwasser, erst am dritten Essen. Die Ketten wurden mir abgenommen. An diesem Tag bekamen wir Sträflingskleider. Ich nahm meine neuen Kleider entgegen und wartete auf dem Gang. Ich entdeckte in einer Ecke Säcke mit Maismehl. In ein Bein meiner neuen langen Unterhose füllte ich ungefähr ein Kilogramm Mehl. Ohne zu denken, nahm ich einen Mundvoll Mehl. Aber beim Atmen war mir Mehl in die Kehle gekommen, so dass ich einen Erstickungsanfall bekam.
Andere Häftlinge folgten meinem Beispiel und bedienten sich aus den Säcken. Einige aber waren gierig und haben sich die Hosen gefüllt. Als wir im Zimmer waren, versuchte jeder, sich etwas Maisbrei im Kohleofen zu backen. Plötzlich stürmten mehrere bewaffnete Wärter ins Zimmer. Wir standen mit dem Gesicht zur Wand, da hörte ich den Kommandanten schreien, wer Mehl gestohlen habe, der möge heraustreten. Ich drehte mich um und sagte, dass ich mir welches genommen habe. Auf seine Frage, warum, antwortete ich, weil ich Hunger habe. Danach ging der Kommandant von Bett zu Bett und suchte nach Mehl, auch im vierten Stock. Er verdonnerte alle zu zehn Tagen Isolation, mich nahm er jedoch aus mit der Begründung, er verstehe, dass ich Hunger habe, aber die anderen nicht, die müssten ordentlich bestraft werden. Ich durfte das Mehl behalten und musste ihm versprechen, nie wieder etwas anzustellen. Die anderen mussten das Mehl zurück in die Säcke leeren.
Je sechs Häftlinge kamen der Reihe nach in die Isolation. Nach zwei Tagen war ich dran. Erneut wurden mir Ketten angelegt. Ich habe acht Tage Isolationshaft abgesessen. Nach jeweils zwei Tagen mit Salzwasser nahm mich der Kommandant aus der Zelle. Während der Isolationshaft sind sechs Studenten aus Temeswar zu uns gestoßen. Zwei kannte ich von daheim: Fritz Wädt und Fritz Barth. An zwei Namen erinnere ich mich noch: Aurel Baghiu und Teodor Stanca, die Namen der beiden anderen habe ich vergessen. Sie wurden rasch verurteilt: Wädt zu einem Jahr, Barth zu drei Jahren und die anderen zu je acht Jahren. Nach der Freilassung durften sie kein Studium mehr aufnehmen. Die
zwei letzten Tage Isolationshaft hat der Kommandant mir wegen guter Führung gestrichen. Weil der Kommandant seine schützende Hand über mir hielt, verdächtigten mich die Mithäftlinge, dass ich mit der Securitate kollaboriere. Da sagte aber einer der Mönche zu meiner Verteidigung, dass seit meinem Ausbruch viel Personal gewechselt worden sei. Mein Fluchtversuch sei dem Kommandanten willkommen gewesen, denn er habe alle Ungeliebten um sich beseitigen können. Ich hoffte, endlich in Ruhe gelassen zu werden, da wurden mir am nächsten Morgen erneut Ketten und Handschellen angelegt. Eine Eskorte brachte mich zum Verhör zum Gericht.
In Ketten durch die Stadt
Weil kein Auto zur Verfügung stand, mussten wir zu Fuß hin. Die Kette machte solch einen Lärm, dass sich die Leute nach mir umdrehten. Wir benutzten die Straßenmitte. Ein bewaffneter Wärter ging vor und zwei neben mir. Auf dem Kopf trug ich eine große Pelzmütze, die mir die Augen verdeckte. Der Weg schien mir fast endlos. Ich durfte den Kopf nicht heben, mein Blick war zu Boden gerichtet, so dass ich nicht wusste, wohin wir gingen. Das Gebäude muss sehr groß gewesen sein. Die breiten Treppen waren von Menschen belagert. Sie mussten zur Seite treten. Als die Treppen frei waren, gingen wir in die dritte Etage in einen großen Raum voller Studenten. Sie wollten von mir einiges über ihre inhaftierten Kollegen erfahren.
Beim Verhör forderte eine laute Stimme mich auf, die Mütze abzunehmen. Die Arbeit musste der Wärter mir abnehmen, weil ich wegen der Fesseln dazu nicht in der Lage war. Ich musste mich setzen. Der Wärter weigerte sich anfangs, mir die Handschellen abzunehmen und den Raum zu verlassen. Doch als der Staatsanwalt ihm einen Prozess angedroht hatte, ging er hinaus. Der Ermittler sah mich an, zwinkerte mir zu, und ich konnte nicht glauben, dass dieser Mensch böse sein kann. Er strahlte Güte aus und war auch sehr sympathisch. Als der Wärter draußen war, kam er auf mich zu, gab mir die Hand und stellte sich als Peter Novak vor und seine Sekretärin als Marianne.
Er bedeutete mir, dass ich keine Angst zu haben brauche, es könne uns niemand hören, die Tür sei gepolstert, es dringe kein Laut hinaus. Er wollte wissen, wie es den Studenten im Gefängnis gehe. Denn niemand wisse, wo sie verschwunden seien. Er wollte wissen, mit wem ich in der Zelle bin und welche Strafen sie erhalten haben. Auch nach ihrer Moral fragte er. Ich sollte ihnen mitteilen, dass auch in anderen Städten Studenten demonstriert hätten und dass auch sie verhaftet worden seien. Die Bevölkerung sei aber auf ihrer Seite. Die Lage sei so angespannt, dass nur ein Funken nötig sei, um den Aufstand wie in Ungarn auszulösen. Als er mir sagte, was in Ungarn geschehen ist, ging mir ein Licht auf. Darum habe ich so viel Schläge bekommen, die hatten vermutet, dass
ich Verbindungen nach draußen unterhielte. Wegen der Studentendemonstrationen habe ich die vielen Prügel bekommen. Und darum wurden auch meine Gefängniswachen verhaftet. Nach langer Diskussion gab mir der Ermittler eine Tüte mit Bonbons und die handgeschriebenen Erklärungen einiger Wärter zu lesen. Er wollte wissen, welcher von ihnen mich tatsächlich gefasst hat. Der Ermittler hatte mich gar nichts gefragt, sondern nur geschrieben. Er sprach so leise mit der Sekretärin, dass ich kaum etwas verstehen konnte. Nach einiger Zeit gab er mir ein paar Seiten mit meiner Erklärung, die ich - vorausgesetzt mein Einverständnis - unterschreiben sollte. Von den vier Wärtern hatte lediglich Unguru die Wahrheit geschrieben, die anderen hatten allerhand Lügen festgehalten, was der Staatsanwalt auch gemerkt hatte.
Er verabschiedete mich mit der Bemerkung, dass er mich leider anbrüllen müsse, und mit der Bitte, ich solle die Studenten grüßen. Was meinen Prozess anbelangt, sollte ich mir keine Sorgen machen. Er öffnete die Tür und schrie mich an, ich würde dies mein Leben lang bereuen. Nachdem die Wärter mir die Handschellen erneut angelegt und mir die große Pelzmütze auf den Kopf gesetzt hatten, ging es genau so zurück ins Gefängnis, wie wir zum Gericht marschiert waren.
Im Gefängnishof trafen wir einen Wärter, der ebenfalls erklärt hatte, mich als erster gestellt zu haben. Hasserfüllt sagte er mir, ich hätte Glück gehabt, dass der Soldat ihm die Pistole weggedrückt hatte, sonst wäre er zum Wachtmeister aufgestiegen, ich aber hätte mein Leben lang an ihn gedacht, denn er hätte mir die Füße zerschossen, worauf er mir zwei Hiebe ins Gesicht versetzte. Nun kam ich wieder blutverschmiert in die Zelle. Die Studenten umkreisten mich und konnten nicht genug hören, ich hatte wirklich viel zu berichten. Abends fragte der Kommandant, wer mich geschlagen hat und ob ich etwas Unrechtes getan hätte. Ich sagte, der mit den eisernen Zähnen. Dann ließ er einen aus meiner Eskorte rufen, mehr habe ich nicht mitbekommen. Von dem Tag an habe ich dieses Monster mit den Eisenzähnen nicht mehr gesehen. Gewöhnlich machte der im Hof Dienst und führte die Häftlinge spazieren. Er sorgte auch dafür, dass die Häftlinge aus verschiedenen Zellen nicht in Berührung kamen. Unsere Zelle war inzwischen so überfüllt, dass wir keinen Platz zum Sitzen hatten. Deshalb durften wir auch auf den unteren Betten Platz nehmen. Alle Zimmer mit politischen Häftlingen waren überfüllt. Die Studenten erzählten, dass sie sich mit Kommilitonen in anderen Städten organisiert hätten. Sie hätten aber auf keinen Fall ein Blutbad wie in Ungarn anrichten wollen. Von den ganzen Ereignissen hatte ich bis zum Verhör keine Ahnung. Ich hörte ein paar Tage lang nur Motorengedröhn. Die Russen hatten alle Panzer verladen und nach Ungarn verlegt, um die Revolution niederzuwerfen. Eben in jenen Tagen war ich ausgebrochen. Die Furcht der Kommunisten war sehr groß, sie hatten vor ihrem eigenen Schatten Angst.
Die Zeit bis zum Prozess verging schnell. Am Prozesstag wurden mir erneut
Ketten und schöne Handschellen angelegt. Im Hof wartete ein für Häftlingstransporte umgebauter Kleinbus mit sechs kleinen Einzelzellen und zwei größeren. Dort waren schon drei Häftlinge drin. Ich wurde in eine Einzelzelle gesperrt. Die drei wurden zuerst ins Gericht geführt, danach mussten die auf der Treppe Wartenden Spalier stehen, durch das ich mit der Mütze über den Augen, in Handschellen und Fußketten geführt wurde. Ich fragte mich, wieso so viele Menschen erschienen waren. Dann hörte ich, dass dem Bürgermeister von Temeswar vor mir der Prozess gemacht wird. Während über den Bürgermeister verhandelt wurde, musste ich mit dem Gesicht zur Wand stehen.
Zusätzliche drei Monate Haft
Nach einiger Zeit führte man mich in den Gerichtssaal. Zuerst wurde noch gegen zwei Personen verhandelt. Als die Verurteilten abgeführt waren, wurde mir befohlen, die Mütze abzunehmen. Nachdem ich geantwortet hatte, ich könne nicht wegen der Handschellen, hörte ich eine laute Stimme, die den Wärtern befahl, die Handschellen abzunehmen. Als sich die Wärter wegen eines angeblichen Befehls weigerten, hörte ich die Worte: „Hier habe ich das Wort, und tun Sie das sofort, bevor ich Sie dazu zwingen muss. Und dann ist das eine Schande, so viele Wärter, bewaffnet bis an die Zähne, haben Angst vor einem einzigen Mann in Handschellen und Ketten. Ich frage mich, wie sollen wir ruhig schlafen, wenn unsere Wachen vor einem einzigen gefesselten Mann Angst haben“.
Danach geschah etwas, das mich in Schrecken versetzte. In dem großen Saal mit Balkon waren Hunderte von Jugendlichen versammelt, ich glaube, alle Studenten. Sie schrieen, pfiffen und schimpften gegen die Securitate und die Kommunisten. Ich dachte, die Decke fällt herab, so laut waren die Studenten. Der Richter war ein älterer Herr, ein Bär von einem Mann. Er hatte alles entfacht, flehte aber jetzt die Studenten an, sie sollten sich beruhigen, damit er mit dem Prozess beginnen könne. Der Staatsanwalt hielt sich zurück, das war auch ein ganz junger Mann. Neben dem Richter links und rechts saßen eine junge hübsche Frau und ein ebenfalls junger Mann. Manchmal trafen sich unsere Blicke, weil die Frau näher an mir war, und ganz diskret machte sie mir Zeichen, ich sollte ruhig sein. Ich war ganz ruhig, ich dachte, dass dies mit dem Ermittler zusammenhängt. Der Richter wollte wissen, warum ich ausgebrochen sei und wie es mir im Gefängnis gehe. Das ganze hat keine zehn Minuten gedauert. Dann ergriff der Staatsanwalt das Wort.
Jetzt kommt es knüppeldick, dachte ich. Anfangs schien er gnadenlos, aber später sprach er wie ein Verteidiger, den ich allerdings nicht hatte. Statt zu sagen, ich solle bereuen, was ich getan habe, und mich bessern, meinte er, der Freiheitsdrang sei so stark gewesen, dass ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hätte. Aber der Staat wisse, dass der Mensch sein größtes Kapital sei, also müsse er ihm noch eine
Chance im Leben geben. Denn die eigentlichen Schuldigen seien die Wachen. Denn hätten die bess er aufgepasst, hät te ich nicht ausb rechen können.
Der Richter meinte nach dem Plädoyer des Staatsanwalts, er sei davon überzeugt, dass der Angeklagte alles zutiefst bereue. Ich stimmte ihm zu. Danach flüsterten die beiden Assessoren mit dem Richter. An ihren Gesichtern konnte ich erkennen, dass alles gut ist. Der Richter erhob sich und verkündete folgendes Urteil: Weil keiner zu Schaden gekommen ist, verurteile das Gericht mich zu drei Monaten Gefängnis mit Recht auf Widerspruch. Er fügte hinzu, ich hätte die Hälfte des Minimums bekommen, sollte ich mich aber nicht bessern, dann werden diese drei Monate draufgesattelt.
Ich dankte für das milde Urteil und versicherte, keine Dummheiten mehr zu machen. Darauf klatschten die Studenten wie bei einem Schauspiel. Lediglich die Securitateleute waren mit meiner Strafe nicht einverstanden. Dann riefen mir die Studenten Namen derjenigen zu, die ich grüßen sollte. Nach dem Prozess ging es in Handschellen und mit der Mütze auf dem Kopf zum Auto und damit zurück ins Gefängnis. Ich stieg als letzter aus. Der politische Offizier (Vac pfing mich mit Ohrfeigen und schlug mich nieder. Als ich die Zelle betrat, lachten die Kollegen und fragten, seit wann der Richter schlägt. Ich hatte ihnen sehr viel zu berichten.
Am nächsten Tag nachmittags brachte Unguru mich zum Kommandanten. Er sagte mir, er könne mich nicht länger beschützen. Es sei besser, wenn ich in ein anderes Gefängnis käme. Aber vorher sollte ich mir einprägen, keine Dummheit zu begehen, denn nicht überall werde ich eine schützende Hand finden. Ich sollte mich hüten, in der ersten Reihe zu stehen, denn dort werde man bekannt, und das sei nicht gut. Ich sollte stets im Hintergrund bleiben. Und ich sollte nicht für die Securitate arbeiten. Ich sollte keinem eine Gelegenheit bieten, dass er mich bestrafen kann. Ich sollte alles essen und Salzwasser trinken. Ich sollte mich hüten vor Menschen, die krank sind. Denn im Gefängnis ist die Heilung schwierig.
Unguru, der von weitem zugehört hatte, grinste und meinte, er müsse mir auch etwas sagen: „Hast du eine Ahnung, wie viel ich deinetwegen geweint habe, es gruselte mich, wenn ich nachts an deiner Tür vorbeigehen musste. Ich hatte Befehl, jede Stunde durchs Türloch zu schauen, und wenn ich dich so in Ketten sah, dann war ich fertig. Auch zu Hause hatte ich keine Ruhe mehr, meine Gedanken waren nur bei dir. Jetzt sage ich dir auch warum: Ich habe einen Sohn in deinem Alter, und das Verfluchte ist, er sieht dir sehr ähnlich. Ich sah in dir stets meinen Sohn. Und ich kann und darf dir nicht helfen. Ich habe genauso gelitten wie du, und der Kommandant hat wahrscheinlich auch einen Sohn in deinem Alter. Daher die schützende Hand, die wirst du aber nicht mehr haben. Also nimm dich in acht“. Eine Woche vor Weihnachten 1956 kam ein Wärter mit einer Liste in die Zelle und rief die Häftlinge auf, die in einer Stunde für den Transport fertig sein sollten. Ich musste viel früher fertig sein. Zwei Mann
mussten mir Ketten an die Füße legen. Dann wurde ich in einem Spezialbus ohne Fenster in eine kleine dunkle Zelle gesperrt. Ich hörte, dass in den anderen Zellen auch welche sind. Viele Häftlinge folgten noch. Wir fuhren zum Bahnhof. Auf einem toten Gleis standen Spezialwaggons für den Häftlingstransport bereit. Ich kam in eine kleine Zelle. Alles geschah bei Nacht. Die Verladung dauerte lange. Wir fuhren ein paar Stunden, dann stand der Zug auf einem toten Gleis. Wir bekamen zu essen, und gegen Abend wurden wir wieder an einen Zug angeschlossen. Wir fuhren sehr lange, bis spät in die Nacht hinein.
Verlegt nach Neuschloss
Aussteigen mussten wir in einem von hohen Gebäuden umgebenen großen Hof mit sehr starkem Widerhall. Der Offizier vom Dienst mit mehreren Wärtern nahm uns in Empfang. Sie versuchten, uns einzuschüchtern. Wir waren in Neuschloss (Gherla). Beim Morgenappell kam ein sehr fescher Offizier mit schmalem Schnurbart, sah jedem ins Gesicht. Dann sagte er ironisch, er habe gehört, dass einige von uns fliegen könnten, aber aus Gherla sei noch kein Vogel hinausgeflogen. Das war an mich gerichtet. Dann befahl er deutlich, wer fliegen könne, der möge hervortreten. Ich trat aus der Reihe mit den Ketten an den Füßen und sagte: „Ich glaube, Sie suchen mich“. Er sagte ja, er habe nur wissen wollen, ob ich den Mut hätte, mich zu zeigen.
Er betrachtete mich von allen Seiten. Er beschloss, mich ab sofort Petric nennen, wie ich auch vorher in Temeswar gerufen worden war. Er meinte, wir würden uns noch unterhalten, denn Zeit genug dazu würden wir haben, es sei denn, ich fliege weg, aber von da aus sei das nicht möglich. Rings um uns seien drei Mauern, doch die könnte ich unmöglich überspringen, ohne gesehen zu werden. Ab sofort dürfe ich nicht mehr an die frische Luft gehen. Das hätte ich meiner Berühmtheit zu verdanken. Er stellte sich unter dem Namen Dragomir und als politischen Offizier vor. Er verfolge viele Ziele, eins davon sei ich. Dragomir war stets wie aus der Schachtel angezogen, sein schmaler schwarzer Schnurbart war millimetergenau geschnitten. Er war zu stolz, um auf Petzer zu hören, er war sehr ehrlich. Wen er auf falschem Fuß erwischte, der hatte nichts zu lachen. Am ersten Tag teilten wir uns die Betten auf. Ich war im 4. Stockwerk, neben mir ein kleiner katholischer Mönch mit einer Stimme wie ein kastrierter Hahn, aber hoch intelligent. Unter den Häftlingen waren weitere Mönche: Iustinian, Nohai, Tarcisius und Raza. Es war immer sehr interessant, den Geistlichen zuzuhören. Damals waren 115 Häftlinge im Raum, jung und alt, darunter viele Sektenangehörige. Toilette gab es keine, die Notdurft mussten wir in zwei große Holzfässer verrichten, die gegen Gestank mit Chlorkalk behandelt wurden. Es stank so stark nach Chlor, dass es einem den Atem verschlug. Jeden Morgen wurden die Fässer geleert. Damit der Gestank ein wenig
reduziert wurde, durften wir uns ab und an über ein Loch setzen. Zum Wischen gab es nichts. Wir mussten mit Konservendosen aus einem Gefäß Wasser schöpfen und den Hintern waschen. Das ekelhafteste war aber das Waschen der Fässer. Aber auch das war Gewöhnung.
Trinkwasser brachte man uns ebenfalls in Holzfässern: einen Liter je Häftling. Das Wasser von Neuschloss ist salzhaltig. Trinkwasser musste von weither gebracht werden. Zum Waschen bekam man einen halben Liter Salzwasser.
Unter so vielen Menschen wird es einem nie langweilig. Kurz nachdem wir in Neuschloss angekommen waren, musste ich am Morgen Meldung geben. Angetreten waren 118 Häftlinge. Der Wärter, ein kleiner, böser Ungar, sagte in seinem sehr schlechten Rumänisch: „Nimic se mi “ (Nichts bewegt sich). Das sollte stillgestanden heißen. Da meldete sich eine Stimme aus den hinteren Reihen: „Alles bewegt sich“. Der Wärter wollte wissen, wer das gesagt hat. „Giordano Bruno“, kam es aus einem anderen Mund. Der Wärter brüllte, so laut er nur konnte, damit ihn der Offizier hört: „Bruno, komm sofort heraus“. Er wiederholte es mehrmals. Da kam der Offizier vom Dienst mit dem politischen Offizier Dragomir herein. Dragomir fragte, was da los sei. Ich meldete, worauf der Wärter erneut schrie. „Bruno, komm heraus“. Dragomir lächelte und sagte: „Lass ihn zum Teufel, den Bruno, der hat seine Strafe schon bekommen, den musst du nicht mehr bestrafen. Komm gehen wir weiter“.
Eines Tages wurden wir getrennt, damit wir uns nicht weiter gegenseitig beeinflussen konnten. Erstes Ziel war, die Jugend von den alten Sträflingen zu trennen. Auch die Geistlichen und religiösen Fanatiker wollte man beisammen haben. Die Jugendlichen blieben im selben Großraum, neue wurden dazu gebracht, so dass wir 116 Mann beisammen waren. Die Neuen waren viel schwerer zu beherrschen. Aber an allem waren lediglich die Wärter schuld. Denn alles, was sie taten, war reine Willkür. Fast täglich wurde geschlagen. Es gab Wärter, die suchten stets einen Grund, um jemanden zu misshandeln. Sie gingen zwischen die Häftlinge und suchten jemanden aus, nahmen ihn mit in einen kleinen Vorraum, schlugen und traten ihn. Danach griffen sie andere, und zwar so lange, bis sie genug hatten.
Vor dieser Sorte hatte ich Angst. Eines Tages legte einer mir Handschellen an und befahl mir, die Hosen herunterzulassen und mich hinzulegen. Er warf mir ein Stück nasse Leinwand auf den Hintern und schlug aus Leibeskräften mit einem vier Zentimeter dicken dünnwandigen Aluminiumrohr darauf. Die ersten drei, vier Hiebe taten so weh, dass ich hochsprang. Bei jedem Hieb pfiff das Rohr. An jenem Tag wurden weitere vier Häftlinge so behandelt. Ich hatte keine offene Wunde, aber alles war geschwollen. Alle waren sehr empört wegen dieser Willkür. Aber bei wem sollte man sich beschweren? Ich konnte ein paar Tage nicht sitzen. Und kaum waren die Rohrsträhnen ein wenig geheilt, kamen die Wärter erneut, um zu schlagen. Diese Wärter waren alle Missgeburten, sehr
klein, buckelig und hässlich. Wegen ihres Aussehens hassten sie normal gewachsene Menschen. Man sagt nicht umsonst, hüte dich vor Menschen, die Gott gezeichnet hat. Als ich wieder nach demselben Muster verprügelt wurde, habe ich nach den ersten Hieben wohl so laut geschrieen, dass sofort eine Befriedigung den Gesichtern der Schläger abzulesen war. Diesmal hatte ich sehr starke Schmerzen, ich konnte kaum gehen. Diese Prügelorgie war zur Gewohnheit geworden, fast jeden Tag wurden welche geschlagen. Wir hatten bei uns einen etwa 20jährigen Zigeuner, der war Zeuge Jehovas. Eines Tages hatte ihn ein Wärter entdeckt und verspottete ihn, der Zigeuner antwortete mit einem Grinsen. Der Wärter schlug ihn nieder und beschimpfte ihn ordinär, worauf der Zigeuner vor Glück strahlte, weil er endlich für den Herrn leiden konnte. Er wurde weiter geschlagen. Doch je mehr er geschlagen wurde, desto glücklicher war er, und das ärgerte die Schläger. So wurde es allmählich für die Wärter langweilig, so dass er nie mehr bestraft wurde.
Ich wurde zum dritten Mal verprügelt. Bei den ersten Hieben sprang ich noch hoch, aber die nächsten Hiebe konnte ich schon besser vertragen. Ich merkte, dass ich am Hintern eine harte Haut bekommen hatte. Wenn ich ging, bewegte sich mein Hintern als Ganzes. Am stärksten schmerzten mir die Knöchel. Unter den Wärtern gab es einen Sadisten, der wollte unbedingt, dass ich an ihn denke, so lange ich lebe. Er trat mir auf die Knöchel und drehte sich auf der Stelle und lachte, wenn ich schrie. Er drohte, er bringe mich soweit, dass ich nie mehr laufen könne. Der Terror war kaum noch zum ertragen, jeden Tag gab es Schläge.
Revolte
Dann kam der Tag, als vier Wärter bei uns eintraten. Einer ohrfeigte einen kräftigen Häftling, der eben vor der Eingangstür stand. Reflexartig versetzte der Häftling der Missgeburt einen Hieb, so dass der auf den Hintern fiel. Die anderen drei liefen sofort brüllend hinaus und schrieen aus Leibeskräften: Rebellion, Rebellion. Wir zerlegten die Eisenbetten und verbarrikadierten die Tür. Durch Morsezeichen informierten wir das ganze Gefängnis. Wir entfernten die Bretter vor den Fenstern, fast das ganze Gefängnis schloss sich uns an. Nun hatten wir für kurze Zeit Licht und Luft. Die Feuerwehr rückte an und versuchte, durch die Fenster Wasser hereinzuspritzen, aber die Häftlinge hielten die Strohsäcke an die Fenster. Danach kam Militär zu Hilfe. Soldaten mit Maschinengewehren gingen in Stellung. Sie eröffneten das Feuer und zielten auf die Fenster unseres Raumes. Aber wir waren hinter den Mauern geschützt. Einige hielten die Strohsäcke vor die Fenster, so dass keine Kugel eindringen konnte. Aber es bildete sich Staub, dass man kaum noch atmen konnte. Weil wir nicht aufgaben, hörte die Schießerei auf. Die Tür war gut verbarrikadiert. Mit einem Schweißgerät schnitten sie ein Loch in die Tür, so dass ein paar Gewehrläufe hindurch pass-
ten. Doch sie konnten lediglich die Decke beschießen. Mit meinem Freund Stefan hatte ich mich in eine ganz dunkle Ecke zurückgezogen. Wir zogen alles an, was wir hatten; die Pelzmützen hatten wir aufgesetzt und uns Decken auf den Rücken gebunden.
Nachdem die Tür geöffnet war, stürmten die Soldaten mit Knüppeln herein, stellten sich in zwei Reihen auf, und wir mussten durch die Gasse rennen. Von beiden Seiten schlugen sie auf uns ein. Manche Soldaten hielten still, um besser in den Magen zu hauen oder in die Leber. Einige schlugen mit Holzhämmern auf die Köpfe ein. Viele Häftlinge blieben liegen.
Ein großer, kräftiger Häftling schob mich wie ein Spielzeug vor sich her und stieß mich immer ganz nahe gegen die Schläger, so dass ich kaum etwas abbekommen habe außer einem Hieb mit dem Hammer auf den Kopf. Ich ging kurz in die Knie, rappelte mich auf und lief weiter. Wir mussten aus dem dritten Stockwerk zwischen Soldaten hinunterlaufen. Auf dem Hof lagen Menschen übereinander. Plötzlich sah ich, wie der Kommandant einem ehemaligen Piloten die Faust in den Magen rammte. Dann packte der Kommandant den Piloten von hinten und versuchte ihn festzuhalten. Der Pilot ergriff den Kommandanten, schleifte ihn die Treppen hinunter und schleuderte ihn gegen die Wand, dass er wie ein Haufen Elend zusammensackte. Der Kommandant war 79 Jahre alt, groß und kräftig wie ein Gorilla. Er hätte schon längst in Rente sein müssen, aber als guter Kommunist wollte er sich wohl ein Leben lang nützlich machen. Der Kommandant war der Schwiegervater des damaligen Staatschefs Rumäniens Gheorghe Gheorghiu-Dej (1901-1965). Seit jenem Tag hat ihn niemand mehr gesehen.
Der Pilot hatte Glück, dass ihn kein Wärter gesehen hatte. Sonst hätte man ihn erschlagen. Aber in dem Gerangel hat kaum ein Wärter etwas gemerkt. Unten hat sich der Pilot auf den Bauch geworfen und mit dem Blut anderer im Gesicht beschmiert. Er hatte große Angst, dass ihn der Kommandant erkennen würde. Als wir unten angekommen waren, wurden wir in einen Raum gegenüber den Baderäumen geprügelt und mussten uns auf den Boden setzen. Die Wärter suchten Bekannte heraus und schoben sie ins Bad hinein. Nach zwei bis drei Schreien kehrte Ruhe ein, und der Tote wurde an Füßen herausgeschleift. Die „Auserwählten“ warteten, bis sie an die Reihe kamen. Die Henker hatten im Bad das Licht ausgeschaltet, damit man sie nicht erkennen konnte. Zusehen und Warten war schrecklich. Keiner wusste, ob er nicht selbst an die Reihe kommt. Jedes Mal, wenn ein Wärter zu uns kam und sich die Gesichter ansah, erstarrten wir. Bis zuletzt wünschte man sich, sie würden einen mitnehmen. Dann tauchten weiß Gekleidete mit Tragbahren auf, um Häftlinge wegschleppten. Das ganze dauerte bis zum Morgen. Dann mussten wir zurück in die Zelle. Einige hatten Angst, zu melden, dass sie Kugeln in Füßen oder anderswo im Körper hatten. Sie dachten, dass sie damit aushalten könnten, bis sie entlassen werden. Aus unserem Raum konn-
ten wir sehen, dass die Küche gebrannt hatte. Wir bekamen zwei Tage nur kaltes Essen. Als erstes wurden die Abdeckungen an unseren Fenstern ang ebracht.
Bei uns fehlten sechs Häftlinge, niemand wusste etwas von ihnen. Wir fragten Wärter Petric wir sollten froh sein, dass wir nicht dabei waren. Aber er erzählte etwas anderes: Die Zeugen Jehovas, die in einem Raum uns gegenüber untergebracht waren, hatten diese Schießerei als Weltende gedeutet. Sie zogen sich nackt aus, wuschen sich, wickelten die Bettlaken um sich und warteten auf den Erlöser. Denn nach ihrem Kalender war 1956 das Jahr 5.000, für das ihr Prophet den Weltuntergang vorhergesagt hatte. Sie waren sicher, als Gläubige in den Himmel zu kommen. Die Wärter, die das entdeckt hatten, schlugen mit Stöcken und Seilen unerbittlich auf sie ein. Ihr Ruf nach Jehova blieb unerhört.
Das Essen verschlechterte sich, es gab fast jeden Tag gekochte Rüben oder Pasternak mit Möhren, ganz selten Kohl oder Bohnen. Trotz dieser Maßnahmen waren die Jugendlichen stets zu Späßen bereit. Ganz beeindruckend war der Weihnachtsabend. Es wurden rumänische Weihnachtslieder gesungen, und jemand hat das durch Morse gesteuert und den Takt geschlagen. Da haben 7.000 Häftlinge an den Fenstern gesungen, dass wir Gänsehaut bekamen; viele beteten. Die Priester hielten Gottesdienst. Das waren schwere Momente. Denn jeder dachte an die Freiheit und an die Familie.
Ich saß schon seit fast zwei Jahren, und mein Entlassungstag rückte immer näher. Ich musste ein paar Gedichte lernen, die die Studenten Baghiu, Stanca Kurz vor der Entlassung wurde ich in ein anderes Gebäude in einen kleinen dunklen Raum zum Hof hin verlegt. Ich war allein, hatte ein Bett, einen Eimer für die Notdurft und eine Kanne mit Trinkwasser. Licht drang lediglich durch ein paar Löcher in der Brettertür. Bei schönem Wetter schien die Sonne durch die Löcher auf den Fußboden, dann verfolgte ich den Lichtpunkt auf dem Boden und damit, wie die Sonne wanderte. Essen bekam ich mehr als genug. Ich vertrieb mir die Zeit mit Überlegungen zu technischen Konstruktionen.
Nach etwa zwei Wochen brachte man sechs Häftlinge zu mir. Einer davon war Geschäftsführer und zu sechs Jahren verurteilt. Ihm hatte ein Pfennigbetrag gefehlt. Die rumänische Regierung wollte über Nacht nur anständige Bürger haben und hat die Gefängnisse zum Platzen gebracht. Nach ein paar Tagen merkten wir, dass der Mann beim Essen alles ungekaut hinunterschluckt. Als einer deshalb lachte, sprang er diesem an den Hals und rief immer wieder: „Du Schwein“. Wir eilten zu Hilfe, konnten aber trotz größter Anstrengung kaum seine Finger lösen. Nach ein paar Minuten war alles vorbei. Doch das wiederholte sich mehrmals. Wir merkten, dass man vor ihm nicht lachen durfte. Wir wollten wissen, warum er beim Lachen ausrastet. Er sagte, dass er die ganze Zeit beim Verhör nur Schweine gehört hatte, die ihn ausgelacht hätten. Darum
hasse er Schweine. Und wenn jemand lacht, sieht er sofort in ihm ein Schwein, das er töten muss. Wenn niemand lachte, war er ein friedlicher Mensch, dann konnte man kaum erkennen, dass er nicht normal war.
Eines Tages sprachen meine neuen Kollegen von hingerichteten Häftlingen. Es waren jene, die am Tag der kleinen Revolte umgebracht worden sind. Sie hatten die Leichen der fehlenden Häftlinge aus meiner Zelle auf einem Friedhof neben dem Gefängnis einscharren müssen. Danach mussten sie das Blut beseitigen. Alles sollte geheim bleiben. Jetzt wusste ich, die sechs sollten beseitigt werden, damit nichts ans Licht kommt. Und ich war mir sicher, dasselbe sollte mit mir geschehen. Die sechs hatten keine Ahnung, was auf sie wartet. Ich habe mich gehütet, ihnen etwas davon zu sagen. Nach etwa zwei Wochen rissen mehrere Wärter die Tür auf und legten allen Handschellen und dünne kurze Ketten an die Füße an und beschimpften sie. Die sechs waren erschrocken. Sie wurden in einen Kleinbus geladen und weggebracht. Zum Glück hat mich niemand gesehen, sonst hätte mich wohl auch dasselbe Schicksal ereilt. Die nächste Zeit bis zu meiner Entlassung bin ich im selben Raum geblieben. Zehn Tage vorher bekam ich besseres Essen und musste zum Arzt zur Kontrolle. Eine Stunde vor der Entlassung bekam ich eine Vitaminspritze, damit mein Gesicht ein paar Stunden lang schön rot bleibt und die Menschen auf der Straße sehen konnten, wie gut es im Gefängnis ist.
Am Tor bekam ich meine Papiere und eine Eisenbahnfahrkarte. Ich musste mich beeilen, um den Zug nicht zu versäumen. Nach 100 Metern blieb ich stehen, um mir das Gefängnis von außen anzusehen, in dem ich zwei Jahre meines Lebens nutzlos vergeudet hatte. Ich muss gestehen, von außen sieht das Gefängnis, ein Gebäude aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia, gar nicht schlecht aus. Und keiner von der Straße ahnt, was sich hinter den Mauern abspielt und wie viele tausend Häftlinge drinnen dahinvegetieren.
Am Bahnhof angekommen, wartete mein Freund Stefan Neckel auf mich, der war mir entgegengekommen, um mich abzuholen. Im Zug gab es etwas Neues für mich: In jedem Abteil war ein Lautsprecher montiert. Durch diese Lautsprecher wurden die Durchsagen gemacht, sie waren auch ans Radio gekoppelt. Zum ersten Mal hörte ich die wunderschöne Melodie „Eine Reise ins Glück“. Ich bekam Gänsehaut.
Mein Freund berichtete mir über alles, was in unserer Abwesenheit passiert war. Ich konnte ihm aber nichts mehr aus dem Gefängnis berichten, weil ich noch am selben Tag, als man ihn entlassen hatte, für die restlichen drei Monate isoliert worden bin. Stefan sagte mir, dass Gottfried Gärtners Schwester mit mir sprechen wolle. Sie möchte etwas über ihren Bruder erfahren. Zu Hause angelangt, war die Freude groß, besonders unter meinen Geschwistern. Da sah ich, wie viel die gewachsen waren.
Ich musste mich wieder anpassen. Ich hatte einen großen Hass auf kleine
Menschen. Ich hätte jeden am Hals erwischen können, und wenn der zusätzlich vom Herrgott gezeichnet war, war der Hass noch größer. Dieses Gefühl hatte ich noch sehr lange Zeit. Wenn ich einen sah, hatte ich immer das Bild der Missgeburten von Wärtern im Gefängnis vor Augen. Die selber trugen einen genau so großen Hass gegen normale Menschen in sich.
Ich wurde in einer Genossenschaft als Mechaniker eingestellt. Wir pflegten Anlagen in Bäckereien und Schneidereien. Wichtigstes Betätigungsfeld war die Überprüfung von Waagen. Die mussten in Rumänien jährlich geeicht werden. Dazu musste man umschulen und eine Prüfung ablegen. Für die Pflege von Präzisionswaagen musste man sich einer Sonderprüfung stellen. So kamen wir vom Weinkeller bis zum Schlachthof überall hin.
Ich heiratete und wechselte zur Tafelglasfabrik in Mediasch. Dort befasste ich mich mit Messanlagen, besonders aber mit Waagen. Ich arbeitete mich sehr schnell ein und befasste mich mit verschiedenen Neuerungen und Erfindungen, durfte auch eigene Versuche durchführen. Wegen eines von mir beanspruchten Patents fuhr ich nach Bukarest zum Patentamt. Dort musste ich ein Papier unterschreiben, dass ich meine Erfindung dem rumänischen Staat übergebe. Und wenn es durch die Kommission durchgegangen ist und sich ein Interessent find et, werde ich belohnt. Nach ein paar Monaten erhielt ich das Patentrecht. Die Freude war groß, aber von kurzer Dauer. Ich bekam eine Aufforderung, die erste Jahresrate für den Schutz meines Patentes zu zahlen, obwohl ich keinen Pfennig erhalten hatte, denn das Patent habe ich ja dem Staat geschenkt. Soviel Geld konnte ich nicht zum Fenster hinauswerfen. Die zweite Rate wollte und konnte ich nicht bezahlen und verzichtete aufs Patent. Ich fing an, den Motor selbst zu bauen. In der Metrologie hatten wir eine supergenaue Drehbank. Material war auch vorhanden. Für den Bau meines Motors hatte ich fast ein Jahr gebraucht. Nur einmal ist es mir gelungen, den Motor kurz laufen zu lassen. Es war ergreifend.
Kurz darauf las ich in einer deutschen Zeitschrift von einem ähnlichen Motor. Ich beschloss, mit den Zeichnungen nach Bukarest zur deutschen Botschaft zu fahren. Am Eingang wurde ich nach dem Besuchsgrund gefragt. Ich sagte, wegen Auswanderung. Und ich wurde hineingelassen. Nachdem ich dem ersten Beamten gesagt hatte, wovon die Rede ist, musste ich einige Zeit warten, dann kam der Botschafter Dr. Schäfer und bat mich in ein anderes Zimmer, dort sprachen wir über allerhand Sachen und auch über den Motor. Er hatte versprochen, die Zeichnungen an die richtige Stelle zu bringen. Beim Abschied sagte mir Dr. Schäfer, dass ich jetzt bestimmt verfolgt werde. Wenn ich etwas Verdächtiges bei mir hätte, sollte ich es lieber in der Botschaft lassen. Ich hatte nichts außer meinen Unterlagen für den Pass. Auf der Straße konnte ich nicht nach links und rechts sehen, denn das wäre viel zu auffällig gewesen. Also ging ich geradeaus bis zur ersten Vitrine, wo ich tat, als ob ich hineinsehen würde. Ich suchte einen guten Winkel, der es erlaubte, im Glas die ganze Straße hinter mir einsehen zu
können. Es waren fast keine Leute auf der abgelegenen Straße außer drei Personen. Eine Frau kam neben mich und sah auch in die Vitrine. Nachdem ich die Gesichter gesehen hatte, ging ich weiter in Richtung Stadtmitte. Ich hatte Hunger, ging in ein Restaurant und bestellte Fisch und ein Glas Wein. Ich ließ mir Zeit. Heimfahren konnte ich noch nicht, weil ich noch etwas für die Fabrik auszurichten hatte. Ich brauchte eine Übernachtungsmöglichkeit. Weil ich nicht ins Hotel wollte, fragte ich die Bedienung. Ich erhielt eine Adresse, an der mich eine ältere, freundliche Dame empfing. Ich fragte, ob ich bei ihr übernachten könnte. Sie sagte ja, bei Zahlung im voraus. Dann war sie verschwunden. Etwas später kam sie weinend herein und fragte, warum die Securitate vor dem Tor stehe. Ich erzählte ihr, dass ich in der deutschen Botschaft war und jetzt bestimmt verfolgt werde. Aber sie brauche sich keine Sorgen zu machen, denn ich habe nichts Böses getan. Nachdem sie ein wenig Vertrauen in mich gewonnen hatte, sagte sie, die Kommunisten hätten ihren Mann erschossen. Es war -1954), er sollte Staatschef werden. Er sei zum Verräter gestempelt worden und mit ihm noch seine Anhänger. Sie wurden zum Tode verurteilt und 1954 erschossen. Sie zeigte mir Bilder von ihrem Mann und seinem Konkurrenten Gheorghe Gheorghiu-Dej und von vielen anderen Politikern jener Zeit.
Ich glaubte, was sie erzählte. Am Morgen sagte mir die Frau, ich sollte recht lange schlafen, vielleicht verschwinden die Securitate-Leute. Die Frau brachte mich zu einem Ausgang in eine andere Straße, drückte mir die Hand und wünschte mir Glück. Ich stieg in eine Straßenbahn und fuhr in Richtung Stadtmitte. Der Wagen war nur zur Hälfte besetzt. Ich sah mir ständig die Leute an, konnte aber keinen Auffälligen ausmachen. Dann ging ich ganz nahe an den Ausstieg und wartete ruhig ein paar Stationen. Als sich die Tür schloss, trat ich zwischen die Flügel und öffnete sie. Dann sah ich, wie sich eine Frau und zwei Männer gegen die Tür warfen, aufrissen und mir folgten. Jetzt wusste ich, wer mich verfolgte. Sie grinsten mich an, und ich erwiderte das Grinsen. Nun ging ich in ein ganz großes Spielzeuggeschäft und wartete, dass die Zeit vergeht. Dort war so ein kompliziertes Labyrinth mit den Regalen und Wänden, aus dem man kaum herausfinden konnte. Ich merkte, dass ich alleine war. Ich ließ mir nichts anmerken und suchte weiter nach schönen Exponaten. Ich dachte an das Geschehene, da wäre ich beinahe mit meinen Verfolgern zusammengestoßen. Die hatten mich wahrscheinlich aus den Augen verloren und suchten mich erneut. Aber als wir uns Auge in Auge sehen konnten, lächelten sie nur, drehten sich um und gingen. Von da an habe ich keinen Verfolger mehr bemerkt. Die hatten mich daheim bestimmt schon angemeldet. Dies war mein Bukarester Erlebnis. Der Besuch in der Botschaft hatte keine schwerwiegenden Folgen, lediglich im Betrieb musste ich kurzfristig einige Einschränkungen hinnehmen.
In meiner Freizeit ging ich meinen besonderen Hobbys nach: Das waren die
Berge, Höhlen und das Mineraliensammeln. Zufällig kaufte ich einen kleinen Klumpen Rohgold und schmolz ihn in der Firma ein. Dazu hatte ich im geheimen einen Ofen und eine Zentrifuge gebaut. Danach vernichtete ich alles. Doch die Securitate bekam Wind davon, holte mich im Februar 1978 in der Firma ab und verhörte mich einen Monat lang in Großwardein (Oradea). Die Untersuchungshaft wurde mir nicht bescheinigt, sondern als Urlaub gewertet.
Im Laufe der Jahre stellten immer mehr Deutsche Auswanderungsanträge. Es brach regelrecht eine Ausreise-Hysterie aus. Unter den Deutschen gab es fast keine andere Diskussion mehr als dieses Thema. Auch ich stellte Antrag um Antrag. Ich wartete nicht einmal auf eine Antwort, weil ich wusste, dass es nur Absagen geben wird. Jeden zweiten Monat schrieb ich einen Antrag, in der Hoffnung, dass meine Papiere vielleicht einmal positiv beschieden werden. Von Deutschland aus wurde ich auch unterstützt. Meine Schwester schrieb ständig an Amnesty International. Die Securitate bestellte mich deswegen ins Zentralhotel. Zwei hohe Offiziere befragten mich. Zuletzt rückten sie mit der Sprache heraus: Ich könnte lediglich ausreisen, wenn ich mich verpflichte, in Deutschland Industriespionage zu betreiben. Ferner sollte ich den Amnesty-Mitarbeitern mitteilen, sie sollten zum Teufel gehen und nicht mehr an unsere Regierung schreiben. Denn kein Fremder könne die rumänischen Behörden zu etwas zwingen. Für mich stand fest: Die Securitate wollte mich erpressen. Mit einer offiziellen Auswanderung konnte ich nicht mehr rechnen, weil ich mich weigerte, mit dem Geheimdienst zu kollaborieren. Es blieb nur noch die Flucht über die Grenze. Es war ein großes Risiko, aber ich hatte keine andere Wahl. Manche haben den Wunsch nach Freiheit sogar mit dem Leben bezahlt. Meiner Frau erzählte ich nichts von meinen Absichten. In der Arbeit sprach ich oft mit meinem Chef über die Möglichkeit, zu fliehen.
Fluchtversuch bei Basiasch
Am 16. September 1979 bekam ich in der Arbeit einen Anruf von einem Freund, der sagte, um 12 Uhr sollte ich mit 40.000 Lei bei ihm sein, er habe die richtigen Schleuser gefunden, sie seien in der Banater Stadt Reschitza zu Hause. Als ich mich meiner Frau offenbart hatte, flehte sie mich an, es nicht zu wagen. Was sollte sie ohne mich mit dem Kind anfangen. Ich konnte sie nicht beruhigen, doch ihr Weinen konnte mich auch nicht zurückhalten.
Als ich bei meinem Freund Fritz Cristianu (vorher Gerst) eintraf, waren wir plötzlich zu viert. Fritz beruhigte mich und sagte, sein Bruder Roland werde nach Reschitza mitkommen, aber zu einem späteren Zeitpunkt die Flucht antreten. Fritz fuhr uns mit seinem Auto nach Reschitza, wo wir unsere Schleuser kennenlernten: Es war ein älterer Mann mit seinem 30 Jahre alten Sohn. Sie nahmen das Geld in Empfang, und wir fuhren sofort los. Wir sollten in der Nä-
he von Basiasch (Bazia zfluss zwischen Serbien und Rumänien wird. Fritz machte sich mit dem Auto auf den Heimweg, wir fuhren bis nach Anina in Grenznähe. Dort sagten die Schleuser entgegen unserer Abmachung, dass sie uns nur nahe an die Grenze fahren, von dort sollten wir alleine weitergehen. Am schwierigsten sei der Weg bis zur Grenze. Wenn wir ihre Anweisungen befolgten, gäbe es keine Gefahr. Der Sohn habe dort seinen Militärdienst geleistet. Wir saßen in der Falle und konnten nicht mehr zurück.
Die Schleuser sagten, wenn sie anhalten, sollten wir aussteigen und die Böschung hinaufkriechen, in der Dunkelheit könnten wir von dort einen Grenzerstützpunkt sehen, den sollten wir weit umgehen. Wenn wir mit dem Gebäude auf einer Linie seien, hätten wir die Grenze erreicht. Wenn wir auf Stacheldraht stoßen sollten, müssten wir ihn durchschneiden und durch die Lücke kriechen. Wir sollten auf alles achten, besonders auf Schnüre, denn sie könnten Alarm auslösen. Wenn wir das Gebäude hinter uns hätten, wären wir über der Grenze. Wir folgten ihren Anweisungen, aber wir stießen schon viel früher auf Stacheldraht, das Gebäude war noch weit entfernt. Wir schnitten ein Loch in den Draht und krochen durch. Wenn wir uns auf den Bauch legten, konnten wir am Horizont das Gebäude gut erkennen. Es herrschte eine himmlische Ruhe, nicht einmal Hunde hörte man bellen. Wir hatten das Gebäude schon hinter uns gelassen und fühlten uns schon in Jugoslawien. Wir gingen mehr aufrecht als gebückt. Nicht weit vor uns sahen wir ein Wäldchen, in dem wir warten wollten, bis es hell wird. Vor uns sahen wir Wachtürme, aber die waren anscheinend nicht besetzt. Plötzlich sahen wir in einiger Entfernung einen Soldaten auf uns zukommen. Wir waren entdeckt, an Flüchten war nicht mehr zu denken. Als der Soldat sich genähert hatte, schrie er „nieder“ und schoss vor unseren Köpfen in den Boden. Er wartete, bis ein zweiter Soldat eingetroffen war.
Der Soldat wurde gesprächig, er meinte, der Herrgott habe uns zu ihm geschickt. Denn für jeden Gefangenen würden sie eine Woche Urlaub bekommen, und er müsse sowieso zur Hochzeit seiner Schwester fahren, jetzt habe sich alles von selber erledigt. Er gab uns sogar Bonbons. Aber als der zweite hinzugekommen war, begann er zur Schau zu schimpfen. Die beiden führten uns in den Grenzerstützpunkt. Kaum waren wir drinnen, fielen die Soldaten über uns her, fluchten und schlugen sich müde an uns. Diese Soldaten waren anscheinend trainiert, die Nieren zu treffen und schlugen so lange darauf, bis man zusammenbrach. Die erste Nacht verbrachten wir dort. Am nächsten Morgen wurden wir in einem Spezialwagen nach Mediasch zur Polizei gefahren. Am darauffolgenden Morgen wurden wir verhört. Wir sagten, wie alles abgelaufen war. Denn die Schleuser hatten uns betrogen. Weil sie nicht Wort gehalten hatten, verdienten sie es nicht, gedeckt zu werden.
Uns wurde ein schneller Prozess gemacht. In fünf Minuten war ich zu sechs
Monaten Gefängnis verurteilt worden, und die anderen zwei auch. Danach durften wir miteinander und mit unseren Angehörigen kurz sprechen. Aus dem Gerichtssaal wurden wir direkt nach Temeswar ins Gefängnis gefahren. Am folgenden Tag gegen 10 Uhr wurde ich gerufen, meine Frau sei zu Besuch gekommen. Ich wollte das nicht glauben, doch zu meiner Überraschung war meine Frau wirklich auf der anderen Seite des Glases. Ein Polizist achtete darauf, dass wir nur Rumänisch sprachen. In zehn Minuten war das Gespräch beendet, und ich kriegte die Lebensmittel und die Wäsche, die meine Frau mir mitgebracht hatte. Alles wurde durchstochen und zerschnitten. Ich hatte versucht, meine Frau zu beruhigen, denn es war sehr hart für sie. Der Sohn würde immer nach mir fragen, und sie wisse nicht mehr, was sie ihm sagen solle. Nachdem ich zurück in der Zelle war, wurden auch die beiden anderen zum Gespräch gerufen. Als meine Freunde zurück in der Zelle waren, wurde ich einem Offizier vorgeführt, der mich anbrüllte, welche Beziehungen wir hätten, da unsere Angehörigen schon da seien. Niemand könne das wissen, lediglich höhere Offiziere. Wie viel hätten unsere Angehörigen für diese Information gezahlt? Ich sagte ihm, dass wir davon keine Ahnung hätten und selbst überrascht seien.
Wir drei Grenzgänger waren mit vielen anderen in einem Raum mit 58 Betten untergebracht, zwischen denen fast kein Platz war. Wir stellten uns dem Zimmerchef vor. Es war ein großer, kräftiger Mann, dem alle gehorchten. Zur Seite hatte er zwei Schläger. Mit einem Gummiknüppel sorgte er für Ordnung. Zu uns war er sehr nett, aber Räuber und Betrüger hatten nichts zu lachen. Als wir ihm erzählten, wie man uns gefangen hat, da lachte er und sagte, dass noch zwei Häftlinge aus Reschitza da seien, die in dieselbe Falle geraten seien. Die seien sich auch sicher gewesen, in Jugoslawien zu sein.
Dann erklärte er uns, was geschehen war. Zwei Wochen vorher hatten die Regierungen Rumäniens und Jugoslawiens einen Freundschaftsvertrag unterschrieben, und so wurde der Stacheldrahtzaun einige Kilometer landeinwärts teilweise wieder aufgebaut. Deshalb hätten sich mehrere Überläufer geirrt; sie wähnten sich schon in Jugoslawien und verließen ihr Versteck. Die Enttäuschung war groß, als sie von rumänischen Soldaten festgenommen wurden.
Ein paar Tage ließ man uns in der Zelle, während die anderen zur Arbeit mussten. Aber dann mussten auch wir auf die Baustelle einer Hühnerfarm. Um 5 Uhr wurden wir geweckt. Nach dem Bettenmachen gab es um 6 Uhr Frühstück: 125 Gramm Brot und 250 Milliliter schwarzes, leicht gesüßtes Wasser. Um 6.30 Uhr war Appell auf dem Hof. Bis die rund 600 Häftlinge samt Essgeschirr auf Lastwagen verfrachtet waren, verging einige Zeit, obwohl alles im Laufschritt erledigt werden musste. Nach einem weiteren Appell auf der Baustelle mussten wir uns dorthin stellen, wo es uns befohlen wurde. Wir durften keiner Pfütze ausweichen. Manchmal war der Dreck so dick, dass er in die Schuhe lief. Wir wurden zur Arbeit eingeteilt. Ich bekam eine sehr schlechte
Schubkarre, durfte mich aber nicht beklagen. Als sie mit Beton gefüllt war, musste ich die ganze Kraft aufbieten, um sie in Bewegung zu setzen; ich hatte keine Übung und auch keine Kraft für so eine schwere Arbeit. Schon gegen 10 Uhr begann ich zu zittern, meine Kraft war am Ende. Ich dachte die ganze Zeit nach, wie ich mir die Arbeit erleichtern könnte. Es dauerte ein paar Tage, bis mir die geniale Idee kam. Abends nach der Arbeit kroch ich in mein Bett im vierten Stock. Dort war ich vor Blicken geschützt, niemand konnte sehen, was ich dort oben mache. Ich musste mir einen drei Zentimeter breiten Leinenstreifen aus dem Strohsack schneiden, und zwar so, dass es niemand merkte. Ich hatte mir eine Nadel und Zwirn verlangt, mit der Vorgabe, mir die Kleidung flicken zu wollen. Mit dem Zwirn habe ich den weiten Schlitz zugenäht. Den Leinenstreifen habe ich in den Rock geheftet und vom Rücken über die Schultern in die Ärmel. Auf der Baustelle musste ich die beiden Enden des Leinenstreifens aus den Ärmeln herauslassen, um die Schubkarrengriffe wickeln und mit den Händen festhalten. Jetzt ruhte die ganze Last auf den Schultern, und mit den Händen musste ich nur noch lenken. Ich hatte es etwas leichter, aber abends war ich doch so müde, dass ich beim Essen die Hände kaum noch heben konnte. In der Nacht dachte ich über manches nach, erinnerte mich an die erste Haft in Temeswar und an den Wärter Unguru, der mir gesagt hatte, immer wenn ich sehr müde sei und Kopfweh habe und die Kräfte mich verließen, sollte ich Salzwasser trinken. Der Zimmerchef versorgte mich mit Salz aus einem Beutel, den er in der Kombüse aufbewahrte. Die Kombüse war ein kleiner Raum, worin das aus Paketen stammende Essen der Sträflinge aufbewahrt wurde und zu dem nur der Zimmerchef einen Schlüssel hatte. Jeder Häftling hatte das Recht, fünf Kilogramm Lebensmittel im Monat zu bekommen. Beim kleinsten Regelverstoß wurde einem das Recht auf das Paket gestrichen, dann mussten wir bis zum nächsten Monat warten. Meine Frau schickte mir regelmäßig Pakete, in der Regel mit kaloriereichem Speck gefüllt. Ich teilte den Speck so ein, dass ich jeden Tag ein Stückchen essen konnte. Ich sparte nie am Salz. Jetzt wusste ich, wie recht Unguru mit dem Salz hatte.
Wir freuten uns stets auf den Samstag, denn an diesem Tag gingen wir duschen. Eine Dusche dauerte 10 bis 15 Minuten, unter einer Brause standen wir stets zu dritt. Meistens war das Wasser nicht richtig warm, und oft blieb die Seife auf der Haut. Fast jeden zweiten Sonntag wurden wir in eine Halle gefahren, wo wir sechs Stunden lang Knoblauch für eine Konservenfabrik schälen mussten. Hie und da schluckten wir auch eine Knoblauchzehe hinunter. Wer dabei ertappt wurde, musste sich Schläge gefallen lassen und damit rechnen, die Lebensmittelpakete gestrichen zu bekommen. Sonntag war auch der einzige Tag, an dem wir miteinander sprechen und uns kennenlernen konnten.
Eines Tages brachte man sechs Männer - fünf Banater Schwaben und einen Rumänen - in unseren Raum. Alle waren am Unterarm verbunden. Sie kamen
aus dem Krankenhaus. Ich fragte einen, was das zu bedeuten habe. Er zeigte mir ganz diskret eine ziemlich hässliche Wunde und sagte, das hätten ihnen die verfluchten Serben angetan. Die sechs waren aus dem Grenzstädtchen Hatzfeld und machten sich zunutze, dass täglich um 10 Uhr ein Linienbus über die Grenze fuhr und nachmittags zurückkehrte. Die sechs Hatzfelder stiegen in einen ähnlichen Bus und starteten ein paar Minuten vor dem Linienbus in Richtung Grenzübergang. Die Grenzer merkten zu spät, dass der nahende Bus nicht das erwartete Fahrzeug war, so dass die sechs die Schranken durchbrechen konnten und nach Jugoslawien gelangten. Die Serben wollten wissen, wer den Bus gefahren hat. Doch die sechs hatten vereinbart, nichts zu verraten. Die Serben stellten den Schwaben in Aussicht, sie nach Deutschland abzuschieben, wenn sie preisgeben, wer den Bus gefahren hat. Falls sie das nicht täten, werde man sie Rumänien ausliefern. Die sechs vermuteten, dass die Serben den Fahrer, hätten sie ihn ermittelt, erschlagen hätten.
Weil sie schwiegen, haben serbische Grenzer ihnen Zinkdraht oberhalb des Knöchels zwischen Elle und Speiche durch die Arme gestoßen und ihnen die Hände auf den Rücken gebunden. Nach zweiwöchigem Krankenhausaufenthalt in Temeswar wurden sie bei uns eingeliefert. Nach ein paar Tagen mussten die sechs auch zur Arbeit.
Weil ich schweißen konnte, wurde mir eine neue Aufgabe zugeteilt: Ich musste kaputte Schubkarren reparieren. Nach getaner Arbeit rief mich der Offizier in seine Baracke, wir sprachen über allerhand. Die Deutschen behandelte er ziemlich freundlich. Am nächsten Tag nach dem Appell rief er die Schwaben zu sich und fragte jeden nach seinem Beruf. Danach wollte er von mir wissen, welchen von den fünfen ich als Baumeister einsetzen würde. Ich sagte, den Großen, er war tatsächlich Baumeister. Nach nicht einmal einer Woche waren alle Schwaben Vorarbeiter.
Unsere Schleuser aus Reschitza waren inzwischen auch bei uns im Gefängnis. Ihnen wurde der Prozess viel später gemacht. Der Sohn wurde zu drei, der Vater zu zwei Jahren verurteilt. Sie drohten, uns nach der Entlassung umzubringen. In diesen Monaten hat es zwei Unfälle mit Todesfolge gegeben. Bei einem hat eine hohe Mauer einen Zigeuner begraben. Die Mauer war ohne Mörtel hochgezogen, aber verputzt worden, so dass niemand diese Schweinerei bemerkt hatte. Zum zweiten Unfall kam es, weil ein Graben für die Kanalisation seitlich nicht abgestützt worden waren. Er stürzte ein und verschüttete mehrere Häftlinge, von denen einer auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben ist.
Auch im Winter wurde weiter gearbeitet. Lediglich, wenn der Frost Mörtel und Zement gefrieren ließ, wurde die Arbeit eingestellt. Als sich der Tag der Entlassung allmählich näherte, ließ unsere Leistung nach, der Offizier konnte sagen, was er wollte, wir blieben stur.
Eines Abends hieß es, wir sollten am nächsten Tag in der Zelle bleiben, denn wir werden wahrscheinlich versetzt. In der kommenden Nacht konnte ich kaum
schlafen, denn die Gedanken waren nur noch daheim. Gegen 10 Uhr brachte uns ein Wärter zum Tor, wo uns ein kleiner Offizier die Entlassungspapiere gab und uns eine gute Heimfahrt wünschte. Vor dem Gefängnis erwartete uns der Bruder meines Chefs. Er war gekommen, um uns mit dem Auto abzuholen. Natürlich war die Freude sehr groß. Klaus berichtete, dass viele die Ausreiseerlaubnis erhalten hatten. Es sei wie ein Wahn, alle wollten weg. Keiner habe mehr Vertrauen in Rumänien. Am späten Abend sind wir in Mediasch angekommen. Gegen Mitternacht war ich daheim angelangt. Meine Frau hatte auf mich gewartet, denn sie wusste, dass Klaus uns abholt.
Ich hatte mir inzwischen vorgenommen, das Land auf legalem Weg zu verlassen. Der Bekannte meiner Schwester bei Amnesty International schrieb weiter Briefe an die Behörden und die rumänische Regierung. Ich wurde erneut zur Polizei bestellt. Als ich ins Zimmer trat, saß dort Securitatechef Ferenc, der mich sofort ordinär verfluchte. Er wünschte, dass meine Schwester Ruhe gebe. Weil die ganze Korrespondenz von der Securitate gelesen wurde, schrieb ich gleich einen Brief an meine Schwester, in dem ich sie bat, keine Briefe mehr abzusenden. Doch ich schickte ihr mit einem Besucher aus Deutschland eine Notiz, in der ich ihr das Gegenteil mitteilte. Jeden Monat ging weiter ein Brief an die rumänische Regierung. 1982 war es endlich soweit: Am 22. August bin ich legal ausgereist. Ein Vierteljahrhundert dornenreichen Kampfs für die Freiheit war erfolgreich beendet.
Raubling, im Juni 2010
In Deutschland angekommen, bildet sich Peter Schuster weiter zum Elektroniker, arbeitet im eigenen Entwicklungslabor, in dem er Versuche und Erfindungen macht. Heute lebt er als Rentner in Raubling im oberbayerischen Landkreis Rosenheim und ist seinen Hobbys treu geblieben.