Forum 170/2022 – Das Magazin der IPPNW

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Foto: © Sebastian Backhaus / Agentur Focus

ippnw forum

das magazin der ippnw nr170 juni2022 3,50€ internationale ärzt*innen für die verhütung des atomkrieges – ärzt*innen in sozialer verantwortung

- Klage auf Gesundheitsversorgung - Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbot - Und wer spricht noch vom Jemen?

Tragödie Ukrainekrieg: Im Sturm den Friedenskurs halten


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EDITORIAL Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.

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ine gemeinsame europäische Sicherheitsund Friedensordnung mit Russland ist nicht nur möglich, sondern zwingend notwendig.

Es ist schwierig – und doch muss es darum gehen, eine Exit-Strategie aus dem Ukrainekrieg zu finden. Um langfristig eine Friedensordnung zu erreichen, sei es auch erforderlich, all die Wunden zu heilen, die in den letzten 30 Jahren durch militärische Gewalt auf unserem Kontinent geschlagen wurden, so Andreas Zumach in seinem Vortrag zu Friedensperspektiven (S. 22f.) Mit welchen Maßnahmen Versöhnung, Abrüstung und Frieden erreicht werden können – damit beschäftigt sich auch der Friedens- und Konfliktforscher Friedrich Glasl. In seinem Aufruf an Politik und Zivilgesellschaft formuliert er die Hauptschritte, um vor allem eine weitere Eskalation durch Fehlverhalten zu vermeiden und durch weitere Maßnahmen Vertrauen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen (S. 24). Die psychosoziale Dimension des Krieges wiederum ist Thema des Artikels von Joseph Raab. Die Schaffung von Feindbildern, die Entmenschlichung und der Verlust von Werten sind es, die Krieg ermöglichen. Um dem entgegenzuwirken, müssen „Kompromissbildung und Akzeptanz gelehrt und gelernt werden“, so Raab (S. 26f.) Welche Rolle spielt die nukleare Abschreckung in diesem Konflikt? Der Besitz von Atomwaffen macht den Krieg über alle Maßen explosiv. Die Bundesregierung könnte hier zur Deeskalation beitragen: „Ein Verzicht auf atomare Aufrüstung und der Abzug der US-Atomwaffen würden Deutschland sicherer machen,“ schreibe ich in meinem Beitrag (S. 25). Ute Rippel-Lau geht auf die Gefährdung der ukrainischen Atomanlagen in diesem Krieg ein. 15 Reaktoren sind derzeit in der Ukraine an vier Standorten in Betrieb – und auch in der Ruine Tschernobyl kann es jederzeit zu einem katastrophalen Zwischenfall kommen. Zum Schutz der Bevölkerung müssten sich die Militärs aus diesen Zonen zurückziehen, zumal das Völkerrecht bisher keine Regelungen zum Schutz von Atomanlagen im Kriegsfall enthalte (S. 28f.) Ein Interview mit dem ukrainischen Friedensaktivisten Yurii Sheliazhenko finden Sie auf S. 34. Die Fotos zu diesem Schwerpunkt stammen von Sebastian Backhaus, der im März 2022 in die Ukraine gereist ist (S. 20f.) Der Titel des Heftes zeigt Menschen aus Irpin, die am 5. März 2022 vor den russischen Angriffen Richtung Kiew flohen.

Ihre Dr. Angelika Claußen > Mehr zu unseren Aktivitäten gegen den Ukrainekrieg auch im Forum intern 3


INHALT Jemen: Humanitäre Krise

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THEMEN Türkei: Für Gleichheit und Menschenrechte.........................................8 Klage auf Gesundheitsversorgung...............................................................9

Foto: IKRK – Ahmad Al Basha / CC BY-NC-ND

Und wer spricht noch vom Jemen?..........................................................10 Die Not in Syrien ist das Ergebnis falscher Politik....................... 12 Die „Wunderwaffe“ des Afghanistankrieges.......................................14 Ukrainekrieg: Was kann Afrika tun?........................................................16 Kann das Super-Greenwashing noch verhindert werden?..........17 Auf nach Büchel!.............................................................................................. 18

Ukrainekrieg: Zerstörte Brücken

Wien: Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbot............................ 19

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SCHWERPUNKT Zerstörte Brücken.............................................................................................. 20 Eine gemeinsame Sicherheits- und Friedensordnung

Foto: © Sebastian Backhaus / Agentur Focus

ist zwingend notwendig!................................................................................ 22 Aufruf für Versöhnung, Abrüstung und Frieden...............................24 Keine Sicherheit durch nukleare Abschreckung............................. 25 Feindbilder und Kriegslogik........................................................................ 26 Atomanlagen im Ukrainekrieg.................................................................... 28

WELT Wien: Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbot

Aufbegehren gegen den Krieg................................................................... 30

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RUBRIKEN Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31 Gelesen, Gesehen.............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine........................................................................ 33

Foto: ICAN

Gefragt: Yurii Sheliazhenko......................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33 4


MEINUNG

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100 Milliarden: In den kommenden Wochen entscheiden die Bundestagsabgeordneten über ein Sondervermögen für die Bundeswehr und eine massive Erhöhung des Verteidigungsetats.

ollten diese Pläne umgesetzt werden, hätte Deutschland bald die dritthöchsten Militärausgaben der Welt. Durch einmalige Ausgaben in dieser Höhe würde eine Militarisierung festgeschrieben, die durch nachfolgende Generationen kaum noch zu korrigieren wäre und die den Handlungsspielraum zukünftiger Regierungen erheblich einengen würde. Das 100-Milliarden-Programm als „Sondervermögen“ mit Hilfe einer Grundgesetzänderung durchzusetzen wirft aus unserer Sicht zusätzlich elementare verfassungsrechtliche Fragen auf. Eine derart weitreichende Grundgesetzänderung ohne Zeit für eine breite gesellschaftliche und parlamentarische Debatte ist unverhältnismäßig, besonders da es in weiten Teilen der Bevölkerung jahrelange Vorbehalte gegenüber einer zunehmenden Militarisierung gibt. Zur Beendigung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine wird die geplante Aufrüstung nicht beitragen. Im Gegenteil: Die neuen Waffen der Bundeswehr sind erst in Jahren verfügbar. Doch bereits die Ankündigung ihrer Beschaffung kann zu einer weiteren Eskalation führen – bis hin zum Atomkrieg. Die sozialen und ökonomischen Herausforderungen in Deutschland und weltweit sind enorm. Kriege, Klimakatastrophe, Hunger, Pandemien und soziale Ungleichheiten bedrohen unsere Gesundheit und sind ohne internationale Kooperation nicht zu überwinden. Gesundheit für alle Menschen und ein gesunder Planet – dafür lohnt es sich zu kämpfen. Das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr verschlingt nicht nur finanzielle, sondern auch natürliche Ressourcen sowie menschliche Arbeitskraft und Kreativität, die wir zur Bewältigung der globalen Herausforderungen für Klimagerechtigkeit und Gesundheit für alle bitter nötig hätten. Eine neue Friedensordnung in Europa kann nur durch Deeskalation, Verhandlungen und Abrüstung erreicht werden! Eine Welt, in der jeder Staat aufrüstet und weitere Staaten nach Atomwaffen streben, ist keine sicherere Welt. Ralph Urban

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ICAN

ANFdeutsch.com

NACHRICHTEN

Die Türkei greift Ziele in Syrien und Nordirak an

IPPNW fordert Freilassung von Julian Assange

IPPNW Schweden fordert Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag

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Bereits 2018 wurde der vom Syrienkrieg bis dahin weitgehend verschonte Distrikt Afrin zum Schauplatz eines Krieges mit Luft- und Bodenangriffen, Enteignungen, Vertreibungen und Besatzung. Seitdem wird Afrin völkerrechtswidrig aus Ankara verwaltet. Beobachter*innen werfen den türkischen Besatzungskräften in Nordsyrien schwerste Verbrechen vor, darunter willkürliche Enteignungen und die Vertreibung kurdischer Bevölkerungsteile, die illegale Inhaftierung von Oppositionellen und Folter. Mehr als siebzig Akademikerinnen, Journalistinnen, Aktivistinnen sowie Frauenorganisationen haben sich in einem Appell an die UN gewendet und fordern ein Ende des Krieges des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung.

Ein Gericht in London hatte im April formell die Auslieferung des Whistleblowers an die USA genehmigt. Bei einer Auslieferung und Anklage wegen „Verschwörung“ (Veröffentlichung von Pentagon-Dokumenten) drohen ihm 175 Jahre Haft. Die endgültige Entscheidung darüber liegt nach wie vor bei der britischen Innenministerin Priti Patel. Assanges Anwälte hatten nur vier Wochen Zeit, Einwände bei der Regierung vorzulegen. Praktisch alle Menschenrechtsorganisationen von Rang, von Amnesty International über den internationalen PEN bis zu Reporter ohne Grenzen, haben die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert. Noch Anfang Mai haben 37 Abgeordnete des Deutschen Bundestages in einem offenen Brief an die englische Innenministerin Priti Patel für die Freilassung des Wikileaksgründers plädiert, Mitte Mai 45 Abgeordnete des Europäischen Parlaments.

Der Ukrainekrieg hat die Stimmung in Schweden und Finnland zugunsten eines NATO-Beitritts verändert. Laut BBC sind in Finnland 76 Prozent und in Schweden 57 Prozent für einen Beitritt. Der russische Präsident Wladimir Putin droht mit Konsequenzen, falls die beiden Länder der NATO beitreten.

m Schatten des Krieges Russlands gegen die Ukraine fliegen türkische Kampfjets, Kampfhubschrauber und Drohnen Angriffe auf Ziele im Nordirak und in Syrien. Aus dem Irak werden Proteste gegen die illegale Militäroperation laut. Der grenzüberschreitende Militäreinsatz sei offenbar mit der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak abgesprochen worden, so die TAZ. Vor dem Einsatz von Bodentruppen hatte die Luftwaffe vermeintliche Stellungen der PKK im Nordirak bombardiert. Die türkische Regierung macht Selbstschutzgründe geltend. Angeblich habe es Erkenntnisse gegeben, dass die PKK sich mit der Schneeschmelze zu Frühlingsbeginn auf neue Angriffe auf türkisches Territorium vorbereitet hätte.

ie IPPNW hat auf ihrem Jahreskongress in Hamburg die Freilassung von Julian Assange gefordert. Als Chefredakteur von Wikileaks und durch die Veröffentlichung von Whistleblower-Informationen über schwere Kriegsverbrechen habe Julian Assange größte friedenspolitische Bedeutung. Schon 2019 hatte ihn die nordirische Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan für den Friedensnobelpreis nominiert. Dieses Jahr sind weitere Nominierungen hinzugekommen. Auch die deutsche IPPNW-Sektion unterstützt die Nominierung von Assange.

nlässlich von Schwedens Antrag auf Aufnahme in die NATO fordert die schwedische IPPNW-Sektion SLMK, dass Schweden atomwaffenfrei bleiben solle – sowohl territorial als auch in der Politik. Zuallererst sollte Schweden unverzüglich dem UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen beitreten. Zudem müsse sorgfältig überlegt werden, ob Schweden an der Nuklearen Planungsgruppe teilnehmen soll. Schweden dürfe niemals an der Planung, Vorbereitung oder Übung eines Atomwaffeneinsatzes beteiligt sein. Die schwedische IPPNW-Sektion fordert daher zu prüfen, ob sich dies mit der Mitgliedschaft in der Nuklearen Planungsgruppe vereinbaren lasse. Die schwedische Regierung solle zudem ein Gesetz erlassen, das die Einfuhr von Atomwaffen auf schwedisches Territorium verbietet. „Eine der wichtigsten Aufgaben Schwedens als NATO-Mitglied muss sein, das Bündnis dazu zu bringen, nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen und das Bündnis zu überzeugen, seine Abhängigkeit von Atomwaffen zu beenden und sich für die Abrüstung aller Atomwaffen einzusetzen“, erklärt die SLMK.

Mehr Infos: slmk.org

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Osps7 / CC BY-SA 4.0

Micha Brändli / unsplash

NACHRICHTEN

Im Westjordanland getötete Journalistin: UN fordert Untersuchung

Aktionskonferenz gegen Krieg und Hochrüstung

Nordkorea: USA rechnen mit Atomwaffentest

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ach dem Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh im Westjordanland hat der UN-Sicherheitsrat eine Aufarbeitung des Falles gefordert. „Die Mitglieder des Sicherheitsrates forderten eine sofortige, gründliche, transparente, faire und unparteiische Untersuchung ihrer Tötung und betonten die Notwendigkeit, Rechenschaft abzulegen“, hieß es in einer Mitteilung des UN-Gremiums. Zudem verurteilten die 15 Ratsmitglieder die Tötung der US-Palästinenserin „auf das Schärfste“ und sprachen ihren Angehörigen ihr Beileid aus. Shireen Abu Akleh vom TV-Sender Al-Jazeera war am 11. Mai 2022 in Jenin (Westjordanland) erschossen worden, als sie mit einem Kamerateam über eine Razzia des israelischen Militärs berichtete. Al-Jazeera beschuldigt die Militärs, die 51-Jährige vorsätzlich getötet zu haben. Sie habe eine Schutzweste getragen, die sie eindeutig als Journalistin ausgewiesen habe. Israel hatte zunächst palästinensische Kämpfer für den Tod der Journalistin verantwortlich gemacht. Inzwischen räumten Vertreter der Regierung aber ein, dass die Reporterin durch israelischen Beschuss gestorben sein könnte. Die Gewalt israelischer Sicherheitskräfte gegen die Teilnehmer*innen des Trauerzug hatte zudem international für Bestürzung gesorgt. Abu Akleh hatte in Jerusalem gelebt und seit 25 Jahren für Al Jazeera aus den besetzten Gebieten berichtet.

m Streit um die Verabschiedung des Sondervermögens für die Bundeswehr hat der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der Union mit einem Alleingang der Ampel-Koalition gedroht. Wenn CDU und CSU sich im Bundestag mit Blick auf die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung querstellten, dann gebe es „auch andere Wege als die Wehrverfassung“, sagte Mützenich der FAZ. Gegen die geplante weitere Aufrüstung wandten sich 250 Friedensaktivist*innen auf der Aktionskonferenz der Friedensbewegung am 22. Mai 2022. Sie forderten größere Anstrengungen, um aus der Kriegslogik zu einer Friedenslogik der Kooperation und der Abrüstung zu kommen. Es sei die Aufgabe der Friedensbewegung, Nein zum Krieg zu sagen. Die zunehmenden Aufrufe und Erklärungen gegen den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine und gegen die Ausweitung der Kriegsbeteiligung machten Mut – so Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro (IPB). Notwendig sei aber weiterhin Engagement zum Handeln und Zivilcourage, um sich gegen die Konformität zu stellen. Bei der Aktionskonferenz diskutierten die Aktiven der regionalen Friedensinitiativen, wie die Forderungen nach Beendigung des Krieges, einem Stopp von Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen öffentlicher und wahrnehmbarer gemacht werden können. Die Friedensbewegung bereitet bundesweite und dezentrale Aktionen vor, um gegen das „100-Milliarden-Sondervermögen“ zu protestieren. Siehe auch Forum intern S. 14 7

aut Berichten aus Washington bereitet Nordkorea den ersten Atomwaffentest seit fünf Jahren vor. Die USA beruft sich dabei auf aktuelle Satellitenbilder. In den letzten Monaten hat Nordkorea mehrfach Raketentests vorgenommen. Pjöngjang feuerte dabei eine atomwaffenfähige UBoot-Rakete und eine Interkontinentalrakete ab. Im April kündigte Kim Jong Un an, die Nuklearfähigkeiten seines Landes schnellstmöglich stärken zu wollen. Die Europäische Union verabschiedete weitere Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomwaffenprogramm. Nordkorea hat seit Beginn dieses Jahren mehrfach Raketen getestet, darunter auch eine Interkontinentalrakete. Im Mai feuerte Nordkorea nach Angaben der südkoreanischen Streitkräfte von der Hauptstadtregion Pjöngjang aus drei ballistische Kurzstreckenraketen ins offene Meer ab. Pjöngjang treibt seit Jahren die Entwicklung von atomwaffenfähigen Raketen voran. Zuletzt hatte Nordkorea im September 2017 eine Atomwaffe getestet – es war der sechste solche Test. Biden-Vorgänger Donald Trump hatte mit Kim Jong Un erfolglos über eine nukleare Abrüstung verhandelt. UN-Resolutionen verbieten Nordkorea die Erprobung von atomwaffenfähigen Raketen jeglicher Reichweite. Experten vermuten, dass Pjöngjang mit den Tests auch den Druck auf die USA verstärken will, damit sie konkrete Vorschläge für neue Gespräche vorlegen. Die Verhandlungen mit Nordkorea über sein Atomprogramm kommen seit über drei Jahren nicht mehr voran.


FRIEDEN

Für Gleichheit und Menschenrechte IPPNW-Mitglieder besuchten auch in diesem Jahr zivilgesellschaftliche Gruppen in der Türkei

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FAMILIE SENYASAR

nter der erfahrenen Leitung von Dr. Gisela Penteker sind wir, eine Gruppe von Menschenrechtsaktivist*innen, auch dieses Jahr im März wieder in die Türkei gereist. Durch Gespräche mit NGOs haben wir die Menschenrechtslage sondiert und durch unsere Anwesenheit die kurdischen und türkischen Aktivist*innen unterstützt. Neben berührenden und beeindruckenden Begegnungen und Einblicken u.a. in die kurdische Kultur standen niederschmetternde Beobachtungen über die Lage von Menschenrechtsaktivist*innen.

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inige persönliche Eindrücke: In der Millionenstadt Van wurde uns von erheblichen Repressionen gegenüber kurdischen Anwält*innen und Aktivist*innen berichtet. Trotz offizieller Aufhebung des 2016 ausgerufenen Ausnahmezustands wird dieser de facto weitergeführt, es gilt seit sechs Jahren ein Demonstrationsund Presseerklärungsverbot. Die Kurd*innen vor Ort appellierten, nicht nur „besorgt“ zu sein, sondern sich aktiv zu solidarisieren und über die Lage der Kurd*innen in der Türkei zu berichten. Für ein näheres Verständnis der Situation kurdischer Geflüchteter in Deutschland waren die Berichte der Ärztekammer und der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV von Bedeutung: Geschildert wurden uns desaströse Bedingungen und Folter in türkischen Gefängnissen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Helfer*innen durch die massiven Repressionen zunehmend selbst traumatisiert sind. Insbesondere vor diesem Hintergrund erscheint es bemerkenswert, dass die psychosoziale Arbeit vor Ort weitergeführt wird. In Dersim berichtete der kommunistische Bürgermeister einerseits über den Aufbau von landwirtschaftlichen kollektiven Strukturen in der Tradition alevitischer Kultur (Verbundenheit mit der Natur) als auch über kleinere lokalpolitische Errungenschaften wie etwa das Senken der Wasserkosten. Andererseits erfuhren wir von langjähriger Arbeitslosigkeit infolge der Massenentlassungen durch die Regierung, Repressionen und Verhaftungen durch das türkische Militär sowie die Ausbeutung lokaler Ressourcen durch europäische Firmen. In Diyarbakir trafen wir Abgeordnete der HDP, der Demokratischen Partei der Völker. Sie haben zwei Forderungen: Gleichheit für alle Völker der Türkei und Gleichheit der Geschlechter, die sie durch die Besetzung von leitenden Stellen mit einem Mann und einer Frau umsetzen. Die Architektenkammer berichtete

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über den großflächig von der Regierung zerstörten historischen Stadtteil Sur mit Vertreibung der 28.000 alteingesessenen Bewohner*innen. Ein Höhepunkt war der Austausch auf einem Fachtag, an dem ca. 40 ehrenamtliche Mitglieder der Menschenrechtsstiftung TIHV und aus dem sozialpsychiatrischen und pädagogischen Umfeld Diyarbakirs teilnahmen. Die Vorträge orientierten sich inhaltlich an den Themen Resilienz und Empowerment im Kontext von Traumatisierung. Lilli Beckedorf referierte über „Resilienz und psychisches Wachstum nach Trauma“. Dorothea Zimmermann (Wildwasser e.V.) widmete sich physischen und psychischen Traumata bei Kindern und Jugendlichen sowie therapeutischen Behandlungsansätzen. Kinderarzt Ernst-Ludwig Iskenius thematisierte die Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Geflüchteter in Deutschland und die Frage, wie hilfreich Psychotherapie in unsicheren Krisenzeiten sein kann. Dr. Nesmil Ghassemlou referierte über den „stärkenden Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer“. Vor dem Gerichtshof in Urfa trafen wir die Mahnwache von Mutter und Sohn Senyasar. Vor den Augen von Emine Senyasar wurden 2018 ihr Mann und zwei Söhne durch die Wächter eines AKP-Abgeordneten getötet. Die Familie hatte sich geweigert, ein Wahlplakat des Abgeordneten in ihrem Laden aufzuhängen. Ein weiterer Sohn wurde wegen dieses Vorfalls zu 37 Jahren Haft verurteilt und ist seit ca. einem Jahr in Isolationshaft. Emine Senyasar möchte Gerechtigkeit und dass die Mörder ihrer Familie bestraft werden. Von dem Schicksal der Familie waren wir sehr erschüttert. Nach zwei Wochen mit täglichen Delegationstreffen kamen wir mit rauchendem Kopf und einigen Fragen zurück nach Deutschland. Wir haben einen reichen Blumenstrauß an über Jahrzehnten geknüpften Kontakten und Beziehungen in Nordkurdistan kennengelernt. Vielleicht schließen sich bei der nächsten Reise ja noch weitere neue Gesichter an. Mehr unter: blog.ippnw.de/tag/turkei

Lilli Beckedorf ist Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung. Dr. Nesmil Ghassemlou ist IPPNW-Mitglied.


SOZIALE VERANTWORTUNG

Klage auf Gesundheitsversorgung

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emeinsam mit einem Mann aus dem Kosovo gehen Ärzte der Welt und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Sachen Zugang zu Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere neue Wege: Im Mai 2022 reichten sie eine strategische Klage auf eine Gesundheitsversorgung für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein. Ziel ist es, die Meldepflicht im Gesundheitswesen zu kippen. Der 44-jährige, schwer herzkranke Kläger stammt aus dem Kosovo und kam 1997 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, wurde er 2017 nach 20 Jahren in den Kosovo abgeschoben, weil er nach einem Umzug versäumt hatte, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Um wieder nach Deutschland zurückzukehren, blieb ihm nur die irreguläre Einreise. Seitdem ist er de facto von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Als er einen Herzinfarkt erlitt, erhielt er im Krankenhaus eine Privatrechnung von 5.800 Euro, die er nach und nach abzuzahlen versucht. Medikamente, Kontrolluntersuchungen und eine womöglich nötige zweite Operation – all das bleibt ihm faktisch verwehrt. Denn um zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen zu können, braucht er einen Behandlungsschein vom Sozialamt, das wiederum laut Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetztes verpflichtet ist, seine Daten an die Ausländerbehörde zu übermitteln.

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ch lebe und arbeite seit dreißig Jahren in Deutschland und bin schwer herzkrank. Ich möchte ohne Angst vor Abschiebung einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen – damit ich zum Kardiologen oder ins Krankenhaus gehen kann. Dafür klage ich vor Gericht“, so der Kläger gegenüber der Presse. „Das Recht auf eine medizinische Grundversorgung ist Ausdruck der Menschenwürde und steht allen Menschen zu – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland, dass Schwerkranke, Schwangere und Kinder hier faktisch nicht zum Arzt gehen können, wenn sie keinen Aufenthaltstitel haben“,

sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der GFF gegenüber der Presse. Vermutlich leben hunderttausende Menschen ohne Papiere in Deutschland. Die Meldepflicht im Gesundheitswesen ist in Europa einzigartig – und laut der Gesellschaft für Freiheitsrechte auch verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde einschränke. Gleich zwei Grundrechte würden verletzt: das Recht auf Gesundheitsversorgung und auch das Recht

Die IPPNW ist Teil des Kampagnenbündnisses „GleichBeHandeln“, das die Abschaffung der Meldepflicht zum Ziel hat, und von Ärzte der Welt koordiniert wird. Letztes Jahr konnte die Kampagne erreichen, dass die Überarbeitung des Paragraphen 87 in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen wurde. Doch passiert ist bisher nichts. Daher begrüßt die IPPNW diesen wichtigen juristischen Schritt umso mehr.

auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten. „Die Sozialämter nehmen die Daten zum Zweck der Gesundheitsversorgung auf, die Ausländerbehörde soll damit aber unerlaubte Aufenthalte aufdecken und Abschiebungen ermöglichen. Diese Zwecke widersprechen sich. Darüber hinaus wird das Ziel der Übermittlungspflicht, irreguläre Aufenthalte aufzudecken, nicht erreicht, weil die Betroffenen abgeschreckt werden und sich erst gar nicht ans Sozialamt wenden“, schreiben Ärzte der Welt und GFF.

„Wir erleben immer wieder, wie die Angst vor einer Abschiebung zur Chronifizierung von Erkrankungen und zu Zeitverzug bei dringend benötigten Therapien führt“, erklärt Carlotta Conrad (IPPNW). Die vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzt*in und Patient*in dürfe niemals durch staatliche Eingriffe gestört werden. „Das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung muss endlich für alle Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten.“ Weitere Infos: gleichbehandeln.de

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egen diese Übermittlungspflicht richtet sich die Klage. Kurzfristiges Ziel des Eilantrags ist es, dass das Verwaltungsgericht der Sozialbehörde untersagt, die Daten des Klägers an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Die Klage zielt langfristig aber darauf ab, die aufenthaltsrechtliche Meldepflicht vom Bundesverfassungsgericht grundlegend überprüfen zu lassen.

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Anne Jurema ist Referentin für soziale Verantwortung bei der IPPNW.

Foto: gleichbehandeln.de

Patient ohne Aufenthaltsstatus klagt auf Zugang zum Gesundheitssystem


FRIEDEN

Und wer spricht noch vom Jemen?

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ur wenige Tage vor dem siebten Jahrestag des Beginns des Krieges im Jemen tourte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck durch die Golfstaaten Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ziel der Reise: Erste Gespräche mit Katar zur Lieferung von Flüssiggas und zur Wasserstoffversorgung – Teil der Bemühungen, angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Abhängigkeit der BRD von russischem Gas zu reduzieren. Habeck verteidigte seine Bemühungen in den Golfstaaten mit der Aussage, dass es zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg vor „unserer“ Tür führe, einen Unterschied gebe.

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abeck blendet damit den verheerenden Krieg im Jemen aus – die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind im blutigen Krieg im Jemen aktive Kriegspartei und Katar war es von 2015 bis 2017 auch. Der Krieg im Jemen verursachte die größte humanitäre Katastrophe weltweit, und die Aussichten sind düster, weil die Kampfhandlungen zunehmen und die internationale Gemeinschaft – Habeck und die Bundesregierung eingeschlossen – keinen Druck zur Beendigung des Krieges aufbaut. Ganz im Gegenteil, sie intensiviert die Zusammenarbeit mit den Golfstaaten und legitimiert damit die Monarchen und ihren Krieg im Jemen.

Krieg im Jemen – aktueller Stand der Kampfhandlungen... Im Laufe der letzten sieben Jahre führte die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition mehr als 24.876 Luftschläge

durch. Die Kampfhandlungen nahmen zu Beginn des Jahres 2022 wieder zu. Erst am 25. März 2022 setzten die Ansar Allah, inoffiziell auch als Houthis bezeichnet, durch einen Raketenangriff einen Ölspeicher des saudischen Ölkonzerns Aramco in Brand. In unmittelbarer Nähe des brennenden Speichers liegt die Formel-1-Rennstrecke, wo zum gleichen Zeitpunkt Trainings stattfanden. Ein Rennfahrer fragte sein Team via Funk, ob es sein Auto sei, das verbrannt rieche. Für weitaus weniger Berichterstattung sorgten die nur wenige Stunden später – weitab von internationalen Großevents – erfolgten Vergeltungsschläge auf zivile Infrastruktur im Jemen. Nach Angaben der Ansar Allah trafen die Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Koalition ein Kraftwerk, eine Treibstoffversorgungsstation und das staatliche Sozialversicherungsbüro in der Hauptstadt Sanaa. Bei den Angriffen starben acht Menschen. Laut Angaben der Vereinten Nationen führte die Militärkoalition im Jahr 2021 monatlich im Schnitt 600 Luftangriffe aus – Ansar Allah verübten im gleichen Zeitraum 340 Raketen- und Drohnenangriffe auf Saudi-Arabien. Der Krieg kostet viele Menschenleben: Im Jahr 2021 starben nach Angaben des Armed Conflict Location & Event Data Project mehr als 17.800 Menschen in Kampfhandlungen. UNICEF gibt an, dass seit 2015 mehr als 10.200 Kinder durch die Kriegshandlungen im Jemen getötet oder verletzt wurden. Insgesamt starben laut eines Berichts des UNDP seit Kriegsbeginn im März 2015 etwa 380.000 Menschen an den direkten und indirekten Folgen des desaströsen Krieges – Schätzungen nach könnte die Zahl der Kriegstoten bis 2030 auf 1,3 Millionen ansteigen. Diese Berechnungen stammen jedoch aus dem 10

vergangenen Dezember, das heißt, vor der aktuellen Eskalation und vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine, der sich auch auf den Jemen auswirkt. ...und die humanitäre Katastrophe Im Jemen herrscht seit Jahren die schlimmste humanitäre Krise der Welt, und immer, wenn der Tiefpunkt erreicht scheint, bricht die nächste Katastrophe über den Jemen herein. Auf den Kriegsausbruch im März 2015 folgte eine bis heute anhaltende, durch die Koalition auferlegte See-, Land- und Luftblockade, durch die Hunger im Jemen ausbrach und die Wirtschaft einbrach. Ein Jahr später brach Cholera aus aufgrund der zerstörten Wasserinfrastruktur. Der klimabedingte Wassermangel verschlimmerte die Lage. 2020 kam die Pandemie hinzu, die von den Überresten der bis dahin durch den Krieg angegriffenen Gesundheitseinrichtungen schlecht aufgefangen werden konnte. 2022 sind diese zu 50 Prozent zerstört. Nun herrscht in der Ukraine Krieg und der Weizenpreis im Jemen, der 30 Prozent der Weizenimporte aus der Ukraine bezieht, stieg. Abdulrahman Abadeli, der in einem provisorischen Geflüchtetenlager in Mokka lebt, zeigt sich besorgt: „Dieser Krieg in der Ukraine hat uns dazu gebracht, über die Zukunft nachzudenken und anstatt Gott zu bitten, den Krieg im Jemen zu beenden, bitte ich Gott auch, den Krieg in der Ukraine zu beenden, damit wenigstens Lebensmittel in den Jemen kommen können.“ Seit Jahren warnen Hilfsorganisationen, dass das humanitäre Desaster in Jemen zu einer Hungerkatastrophe auswächst – nie sah es schlimmer aus als jetzt. Laut dem Bericht des Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen vom Februar 2022 sind aktuell 17,4 Millionen

Foto: IKRK – Ahmad Al Basha / CC BY-NC-ND

Inkohärenz einer kriegsverurteilenden Außenpolitik und der Krieg im Jemen


Menschen – 54 Prozent der Bevölkerung – auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Diese Zahl kann bis Dezember 2022 auf 19 Millionen anwachsen. Doch kaum ein Blick richtet sich noch auf den Jemen. Die von den UN, Schweden und der Schweiz organisierte Geberkonferenz in Genf lief schlecht: Von den benötigten 4,27 Milliarden Dollar konnte nur ein Drittel erzielt werden. Auch die vorangegangene Geberkonferenz 2021 enttäuschte: Nur 1,7 Milliarden von erhofften 3,85 Milliarden US-Dollar wurden zugesagt. Blicken wir auf die aktuell ins Unermessliche steigenden Militärausgaben zahlreicher Staaten, ist dieses klaffende Finanzierungsloch zur Bekämpfung einer augenscheinlich anrollenden Hungerkatastrophe beschämend.

Was es für den Frieden braucht Die Wissenschaftlerin Helen Lackner, die selbst im Jemen lebte und forschte, betonte in einem Interview, dass eine Einigung zwischen den Ansar Allah und ihren Gegnern möglich sei, vorausgesetzt, die Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2015, auf die sich die Verhandlungen bis jetzt beziehen, würde geändert, denn diese fordere die vollständige Kapitulation der Ansar Allah.

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eit dem ersten Kriegsjahr weiteten die Ansar Allah ihr Einflussgebiet aus und kontrollieren mittlerweile 70 Prozent der Bevölkerung. Eine Forderung nach Kapitulation ist nicht realistisch. Gleichzeitig erklärt Lackner, dass ein Friedensabkommen zumindest zu einem Ende der Kampfhandlungen zwischen den Ansar Allah und der Militärkoalition führen könnte, die weiteren Problemen blieben bestehen. Doch keine Seite wird einen militärischen Sieg erringen, beide verlieren durch die andauernden Kampfhandlungen

JAHMALIAH / TAIZ: EIN ÄLTERER MANN HAT SEIN HAUS INSPIZIERT. VIELE GEBÄUDE WURDEN BEI KÄMPFEN IN SCHUTT UND ASCHE GELEGT. – und am meisten verliert die Bevölkerung. Ein weiterer wichtiger Schritt besteht im Ende von Waffenlieferungen an die Kriegsparteien. Zwar beschloss die letzte Bundesregierung nach der Ermordung des Journalisten Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul einen löchrigen Exportstopp an die am Jemenkrieg beteiligten Staaten (Ägypten, Bahrein, Jordanien, Kuwait, Saudi Arabien und die VAE), doch die Lieferungen gingen weiter. Erst 2020 wurden Rüstungsausfuhren an Ägypten im Wert von 752 Millionen Euro erlaubt sowie in die Vereinigten Arabischen Emirate (51,3 Millionen Euro), nach Kuwait (23,4 Millionen Euro), nach Jordanien (1,7 Millionen Euro) und Bahrain (1,5 Millionen Euro). Die letzte Bundesregierung zeigte sich in den letzten neun Tagen ihrer Amtszeit besonders großzügig und genehmigte einen Großteil aller 2021 erstellten Lizenzen, als nichts mehr zu verlieren war und sie eigentlich keine politisch relevanten Entscheidungen mehr treffen sollte.

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ie Waffenlieferungen aus weiteren westlichen Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien laufen ebenfalls weiter. Obwohl Präsident Biden bei Amtsantritt versprach, sich für ein Ende des Krieges und der Waffenlieferungen einzusetzen, befeuerte er ihn Ende 2021 mit der Genehmigung für den Verkauf von Raketen in Höhe von etwa 650 Millionen US-Dollar.

Genua haben am 31. März 2022 gestreikt, als der saudische Frachter der Transportschifflinie Bahri einlief. Wiederholt nutzte das saudische Königreich diese Schifflinie für den Waffenhandel, den die Hafenarbeiter*innen ebenfalls wiederholt erfolgreich gestört und verhindert haben. Aktiv stellen sie sich gegen die Waffenlieferungen in Kriegsgebiete weltweit – kohärent blieben sie bei ihrer antimilitaristischen Haltung, denn die Verlierer*innen aller Kriege seien am Ende immer die Arbeiter*innen. Das ist es wohl auch, was es für den Frieden braucht: Eine mangelnde Bereitschaft durch Waffenherstellung und -lieferungen zu Kompliz*innen der Kriege im Jemen, in Syrien, in Äthiopien oder auch in der Ukraine zu werden: Ein Aufbegehren gegen die allgemeine Aufrüstungseuphorie und ein Aufzeigen der verwendeten zivilen Logistikinfrastruktur und der profitierenden Unternehmen. Im Sommer finden antimilitaristische Aktionstage vom 30. August bis 4. September 2022 während der Documenta in Kassel statt. Auch hier bietet sich eine gute Gelegenheit, um die Verantwortung des auch in Kassel sitzenden Rüstungskonzerns im Jemenkrieg aufzuzeigen – denn die Militärkoalition bombardiert den Jemen auch mit Bomben von Rheinmetall.

Gekürzte Fassung des gleichnamigen Artikels vom 30. März 2022. Mehr unter: www.imi-online.de

Die staatlichen Amtsträger*innen schauen nicht mehr auf den Jemen, aber die Kriegsgegner*innen fordern einen Stopp der Rüstungsexporte und eine Politik der Deeskalation und der Abrüstung. Am sieb- Jaqueline Andres ist Referentin ten Jahrestag des Krieges fanden zwar nur bei der InforDemonstrationen in Kanada und Irland mationsstelle statt, aber die italienische BasisgewerkMilitarisierung Tübingen (IMI). schaft USB und die Hafenarbeiter*innen in 11

Fotos: IKRK – Ahmad Al Basha / CC BY-NC-ND

HABEEL SALMAN: EINE FRAU MUSS 2 KM BIS ZUM NÄCHSTEN WASSERPUNKT LAUFEN – MIT KIND UND KANISTER.


FRIEDEN

Die Not in Syrien ist das Ergebnis falscher Politik Die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien müssen aufgehoben werden!

W

estlichen Regierungen und Denkfabriken gilt Syrien als „gescheiterter Staat“, doch Syrien wird daran gehindert, mit eigenen Kräften das Land wiederaufzubauen. Voraussetzung wäre der Rückzug ausländischer Truppen und Kampfverbände aus den ressourcenreichen Gebieten des Landes. Darüber hinaus müssten die einseitig von EU und USA verhängten Wirtschaftssanktionen, die auch Nachbarländer Syriens und nicht-syrische Unternehmen treffen, aufgehoben werden. Die Europäische Union und auch die USA verweigern das und verlängern damit die humanitäre Krise in Syrien ebenso wie Not und Perspektivlosigkeit von Flüchtlingen in den Nachbarländern. Die Krisensituation wird aufrechterhalten, um die Regierung in Damaskus und die mit ihr verbündeten Partner Russland und Iran unter Druck zu setzen. Als der Krieg in Syrien 2011 begann, war das Land schuldenfrei. Niemand musste Hunger leiden, das Tourismusgeschäft boomte. Die Beziehungen Syriens zu den Nachbarländern Irak, Jordanien, Libanon und Türkei waren von wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit geprägt, die allen nutzte. Seit Beginn des Krieges hat sich die Lage kontinuierlich verschlechtert, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in

der syrischen Gesellschaft erodieren. Zeichen dafür ist das Verschwinden einer stabilisierenden Mittelschicht, Schwarzmarkthandel und Korruption nehmen zu. Die wichtigen Ressourcen des Landes – Wasser, Öl, Gas, Baumwolle, Weizen – werden von Gegnern der Regierung besetzt gehalten und kontrolliert. Das vertieft die Spaltung im Land und schadet den Menschen. Ende 2021 galten nach Angaben des Welternährungsprogramms rund zwölf Millionen Menschen – 55 Prozent der syrischen Vorkriegs-Gesellschaft – als arm und waren auf Lebensmittelhilfen angewiesen.

An einem gesonderten Stand gibt es Käse und Eier, die aus dem rund 30 km entfernt liegenden Sednaya gebracht werden. Früher kostete eine Palette mit 30 Eiern 250 bis 300 Syrische Pfund (SYP). Heute liegt der Preis pro Palette bei 11.000 SYP. Früher wurden die Eier palettenweise gekauft, heute in geringer Stückzahl. Am Nachbarstand gibt es Obst und Gemüse, das bis auf die ägyptischen Kartoffeln aus Syrien stammt: Große Avocados von der Küste, wo auch die Orangen herkommen. Knoblauch, Kartoffeln, Gurken, Tomaten, Zwiebeln, Aubergine, Salat – alles ist kunstvoll aufgeschichtet und ausgestellt.

Leben in der Krise

Die guten Tomaten aus dem Hauran

Der Alte Souk, Al Souk al Adiq sagen die Damaszener zu dem beliebten Markt auf der Al Ammara Straße, am nördlichen Ende der Altstadt. Früher kamen die Bauern aus dem Umland mit ihrem Obst und Gemüse, mit Hühnern, Eiern und Milch, um alles frisch anzubieten. Als der neue Großmarkt, der Souk al Hal in Zablatani gebaut wurde, brachten die Bauern ihre Waren direkt dorthin. Heute werden dort auch die Lastwagen beladen, die Waren in den Irak oder bis nach Saudi-Arabien transportieren.

Hier verkauft Abu Ahmad, der gerade 15 Jahre alt war, als er 2003 seine Arbeit am Gemüsestand anfing. Der Mittdreißiger arbeitet sieben Tage die Woche von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, erzählt er und sortiert nebenbei Tomaten aus. Sein Tageslohn beträgt 15.000 SYP, was aber für ihn, die Frau und drei Kinder nicht reiche.

Der Alte Souk bietet (fast) alles: Erdbeeren, Kräuter aller Art, Datteln aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es gibt Kiwis aus Tunesien, Ingwer aus China, Datteln und Granatäpfel aus Jordanien. Die Produkte aus dem Ausland sind teuer und werden von Kunden nur in sehr kleinen Mengen gekauft, sagt ein Dattelverkäufer, der früher und vor allem während des Fastenmonats Ramadan deutlich mehr Umsatz hatte. Die Datteln gehören zum Ritual des Fastenbrechens, doch viele Familien verzichten heute aus Kostengründen darauf. 12

Die Tomaten seien mit 3.000 SYP pro Kilo sehr teuer, weil sie unter Plastikplanen bei Banias, an der Küste gezüchtet worden seien. Von dort müssten sie nach Damaskus transportiert werden und das koste: „Diesel ist teuer, aber auch der Dünger, der im Ausland eingekauft werden muss, ist teuer“, erklärt Abu Ahmad. Was im Ausland gekauft werde, müsse mit US-Dollar bezahlt werden, die das Land kaum noch habe. Das verteuere alles. Die guten, natürlich – nicht unter Plastikplanen – gewachsenen Tomaten gebe es zwischen Mai und Dezember und die kämen aus dem Hauran (Deraa), sagt er. Das sei nicht weit von Damaskus entfernt und so seien die Tomaten von dort nicht nur besser, sondern auch billiger. Als er vor 19 Jahren


anfing, auf dem Markt zu arbeiten, hätten die Leute Fünf-Kilo-Kisten mit Tomaten für 100 SYP gekauft, erinnert er sich. Heute kauften sie ein Viertel oder vielleicht ein halbes Kilo Tomaten – mehr sei zu teuer.

„Vor dem Krieg ging es uns so gut wie nie“ Die Geschichte des Souk von Damaskus ist die Geschichte seiner Händlerfamilien. Die meisten Geschäfte gibt es seit Generationen. Väter haben sie ihren Söhnen vermacht, die sie wiederum an ihre Söhne weitergaben. Nur so konnten die meisten Betriebe zehn Jahre Krieg überstehen und die Beziehungen zu den Zulieferbetrieben außerhalb von Damaskus aufrechterhalten. Bassam Hawary stammt aus einer Händlerfamilie, sein Vater verkaufte Reifen. Hawary eröffnete Ende der 1990er Jahre seinen eigenen Laden. Er verkauft Netze aus Leinen und Nylon. Netze für den Transport, für Hängematten, aber vor allem Netze für Hand- und Fußballtore. Die Baumwolle für die Seile, aus denen die grobmaschigen Netze hergestellt werden, kam früher aus Aleppo. Heute würden Baumwolle und Nylonseile aus China geliefert, sagt der Händler. Die Preise seien enorm gestiegen. Nicht nur, weil es schwierig geworden sei, syrische Baumwolle zu bekommen, sondern auch, weil der Transport wegen der Benzin- und Dieselknappheit sehr teuer geworden sei. „Dabei haben wir genug Öl, um das ganze Land zu versorgen! Wir haben Öl, Baumwolle und Weizen und alles ist in unserem

Land“, sagt der Händler und schüttelt den Kopf. Wie könne es sein, dass Syrien nicht mehr über seine Ressourcen verfügen könne! Über die Frage, wen er für die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich mache, denkt Bassam Hawary lange nach. „Ich bin kein Politiker“, sagt er dann, aber er habe den Eindruck, dass alle – „im Land und außerhalb“ – die Verhältnisse in Syrien ändern wollten. Vor dem Krieg sei es dem Land gut wie nie gegangen, doch jetzt komme es ihm so vor, als sollten „alle Länder hier in der Region, die im Tourismussektor erfolgreich waren, zerstört werden.“ Dabei gehe es nicht nur um Syrien, auch der Libanon, Libyen, Ägypten, Irak, Jemen, Iran – ein Land nach dem anderen, das wirtschaftlich erfolgreich war oder ist, solle zerstört werden. „Ich habe dieses Geschäft für meine beiden Söhne aufgebaut. Jetzt sind beide in Dubai, weil sie hier keine ordentliche Arbeit mehr finden.“

seien die Frauen aus ihrer Familie als Netzknüpferinnen bekannt. Keine Maschine könne diese Arbeit so machen wie sie und die anderen Frauen, ist sie überzeugt. „Ich danke Gott, dass wir gut leben können.“ Ihr einfacher Arbeitsplatz ist im Empfangszimmer der Wohnung. Auf einem Holzbock ist die Baumwolle aufgerollt. Vor ihr auf einem Stuhl ist ein weiterer Bock befestigt, auf dem das fertig geknüpfte Netz aufgerollt ist, das sie mit einem Holzschiffchen knüpft. Am Tag knüpfe sie etwa fünf Meter Netz, sagt Umm Issa. Dafür erhalte sie 2.000 SYP und sei zufrieden. Gerade habe sie von Bassam Hawary einen Auftrag aus Saudi-Arabien erhalten: „Wir sollen Vorhänge für Türen knüpfen. 1,70 Meter breit und 2,25 Meter hoch. Jetzt warten wir auf die Seile, um mit der Arbeit beginnen zu können.“

Umm Issa, die Netzknüpferin Die Netze, die Bassam Hawary in seinem Laden verkauft, werden in Yabroud, rund 80 km nördlich von Damaskus, noch von Hand geknüpft. Verantwortlich für die Produktion ist Umm Issa Barakati, die die Aufträge an weitere fünf Frauen verteilt. Sie selber habe die Arbeit von ihrer Mutter gelernt, damals sei sie sechs Jahre alt gewesen. „Heute bin ich 79 Jahre alt und habe nur einige Probleme mit meinen Knien“, schmunzelt sie. Mehr als 100 Jahre 13

Karin Leukefeld ist freie Korrespondentin im Mittleren Osten. Sie lebt zur Zeit in Damaskus.


FRIEDEN

Die „Wunderwaffe“ des Afghanistankrieges Der US-Drohnenkrieg zeigt: Es gibt keinen völkerrechtskonformen Einsatz von Kampfdrohnen

Die grausamen Erfahrungen aus 20 Jahren US-Drohnenkrieg machen deutlich: Ein Einsatz von Kampfdrohnen „unter Berücksichtigung von ethischen Aspekten“, wie die Bundesregierung behauptet, ist nicht realistisch. Das Dunkel der Zahlen In den zwei Jahrzehnten, die seit dem ersten bewaffneten Drohnenangriff am 7. Oktober 2001 vergangen sind, haben die USA in Afghanistan vermutlich weit mehr Drohnenangriffe durchgeführt als in jedem anderen Land. Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen in Afghanistan durch bewaffnete Drohnen getötet wurden, da die US-Regierung darüber wenig Informationen bereitstellt. Sicher scheint, dass die jährliche Zahl der durch Drohnen getöteten Menschen in Afghanistan und in anderen Ländern im Laufe der Zeit dramatisch angestiegen ist.

I

n den ersten Jahren wurde das Drohnenprogramm von Präsident George W. Bush noch vergleichsweise klein und verdeckt fortgeführt, mit etwa 60 Drohnenangriffen in Afghanistan und in Pakistan. Die Obama-Regierung führte in ihrer Amtszeit zwischen 2009 und 2017 insgesamt mindestens zehnmal so viele Angriffe durch, auch in Ländern wie Jemen und Somalia, das heißt außerhalb „aktiver Konfliktzonen“ wie Afghanistan. Präsident Donald Trump hat die Zahl der Drohnenangriffe im Vergleich zu Obama schätzungsweise vervier- bis verfünffacht. Für bestimmte Zeiträume hat die US-Regierung die Zahl der Luftangriffe veröffentlicht, jedoch keine

Information über den Ort des Anschlags oder die Zahl der Opfer. Wegen der fehlenden Information haben verschiedene NGOs und Journalist*innen versucht, die Zahl der Drohnenopfer unter Nutzung von Zeitungsberichten, Fotos und anderen Quellen zu schätzen. Die Zeitschrift „The Nation“ schätze die Zahl der getöteten Zivilisten in Afghanistan zwischen 2001 und 2012 auf 6.481, davon 5.622 durch den Luftkrieg inklusive Drohnen. Die UNAMA veröffentlicht seit 2009 Gesamtzahlen der zivilen Opfer, jedoch wird die Zahl der durch Drohnen getöteten Personen nicht angegeben. 2015 veröffentlichte das ZDF eine „Webstory“ mit der Einschätzung, dass zwischen 2001 und 2013 in Afghanistan 13.026 Menschen durch Drohnen getötet worden sind. Diese Schätzung erfolgte „auf Basis von Zahlen des US CENTCOM und des Buches „Sudden Justice“ von Chris Woods. Daten wurden nur bis 2013 erhoben. Das Projekt „Drone Warfare“ der NGO Bureau of Investigative Journalism (BoIJ), berichtet für den Zeitraum Januar 2015 bis Januar 2020 13.072 bestätigte Luftangriffe (inklusive Drohnenangriffe) in Afghanistan, 4.126 bis 10.076 gemeldete Tote, darunter 66 bis 184 Kinder, und 658 bis 1.769 Verletzte. BoIJ hat keine Zahlen der Opfer vor Januar 2015 oder nach Januar 2020. Trotz der akribischen Arbeit der NGO und anderen unabhängigen Quellen ist es sehr schwer, über alle zivilen Todesfälle durch Drohnenangriffe in Afghanistan zu berichten. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass eine sehr große Zahl der getöteten afghanischen Zivilisten in abgelegenen ländlichen Gebieten lebte, wohin kein Reporter je seinen Fuß gesetzt hat.

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nd auch das US-Militär macht keine Anstalten, diese Orte aufzusuchen. Laut BoIJ „veröffentlicht die US-Luftwaffe monatliche Zusammenfassungen ihrer Operationen über Afghanistan, einschließlich der Anzahl der geflogenen Einsätze und der Anzahl abgeworfener Bomben und Raketen. Diese Informationen werden mit einem Monat Abstand veröffentlicht und weisen auf eine noch höhere Anzahl von Angriffen aus als die des Bureaus.“ Durch Whistleblower sind jedoch Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, die auf das volle Ausmaß des Massakers an unschuldigen afghanischen Zivilisten durch Drohnenangriffe hinweisen. So veröffentlichte zum Beispiel die US-Online-Zeitschrift „The Intercept“ im Jahr 2015 geheime USDokumente – „Drone Papers“, aus denen hervorgeht, dass in dem mehrmonatigen Erfassungszeitraum während der USOperation „Haymaker“ zwischen Anfang 2012 und Februar 2013 in Afghanistan 90% der Getöteten nicht die beabsichtigten Angriffsziele waren. Daniel Hale, ein USAF-Veteran und NSA-Mitarbeiter, der von 2009 bis 2013 an der Identifizierung von Zielpersonen für Drohnenangriffe in Afghanistan beteiligt war, erklärte sich im Juli 2021 schuldig, die geheimen Dokumente an „The Intercept“ weitergegeben zu haben. Er wurde zu 45 Monaten Freiheitsstrafe in einem Bundesgefängnis verurteilt. Fehlerhaftigkeit und Intransparenz ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte militärische Engagement der USA in Afghanistan. Zehn getötete Zivilisten:

Der Drohnenangriff in Kabul Am 29. August 2021 erfassten die USStreitkräfte in Afghanistan per Drohnenüberwachung ein weißes Auto, dessen


Fahrer sie sicher als ISIS-K-Terroristen identifiziert zu haben glaubten. Der Fahrer war beobachtet worden, wie er an einem vermeintlichen „geheimen Unterschlupf“ der ISIS anhielt, um Munition für einen tödlichen Angriff auf US-Truppen einzusammeln. Die Drohne erhielt den Befehl, mit einer Hellfire-Rakete auf das Auto zu feuern. Dabei tötete sie zehn Mitglieder einer Familie, darunter auch die sieben Kinder. Die jüngsten waren erst zwei und drei Jahre alt.

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rst am 17. September 2021 entschuldigte sich General Kenneth McKenzie, der oberste Befehlshaber des US CENTCOM, persönlich im Fernsehen und erklärte der Welt: „Es war ein Fehler.“ Die Beamten seien „ernsthaft davon überzeugt“ gewesen, dass eine „unmittelbare“ Bedrohung vorliege. „Dies war kein überstürzter Angriff (...) Die Einsatztruppe hat das Fahrzeug und seine Insassen acht Stunden lang bewusst verfolgt und beobachtet und dabei alle verfügbaren Informationen abgeglichen, um eine hinreichende Gewissheit über die unmittelbare Bedrohung zu erlangen, die dieses Fahrzeug für unsere Streitkräfte darstellte“, so McKenzie. Das Ausmaß der Enthüllungen war hier nur möglich, weil die New York Times und weitere große Medien sich vor Ort befanden, um über die Evakuierung des nahe gelegenen Kabuler Flughafens zu berichteten. Dagegen fanden die meisten Drohnenangriffe in ländlichen Gebieten von Afghanistan statt, wo etwaige Fehler nicht bekannt werden.

Bundesregierung: Nichts gelernt Als ob all dies nicht passiert wäre, veröffentlicht die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag (S. 149) den Beschluss: „Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Bei ihrem Einsatz gelten die Regeln des Völkerrechts, extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab.” (Anm. der Redaktion: Mittlerweile hat der Verteidigungsausschuss am 6. April 2022 rund 150 Millionen Euro für die Bewaffnung der Drohnen bewilligt.) Auch der Angriff am 29. August 2021 sollte dem Schutz der US-Streitkräfte vor einer unmittelbaren Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt dienen und sowohl ethische wie auch sicherheitspolitische Aspekte berücksichtigen. Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um die Gefährdung von Zivilist*innen auszuschließen und die Genehmigung wurde durch einen Offizier erteilt, der sich vor Ort auf dem Stützpunkt befand, wo sich die US-Truppen aufhielten. Wie sollte die Bundeswehr bei bewaffneten Drohneneinsätzen in der Lage sein, an bessere Informationen zu gelangen als die USA? Indem sie dort, wo der Angriffsbefehl erteilt wird, Soldaten am Boden hat? Auch die USA hatten sowohl Soldaten als auch den Entscheidungsträger für den Drohneneinsatz direkt vor Ort. Tatsächlich war das Wissen der USSoldat*innen in den Einsatzgebieten begrenzt. In einer neokolonialen Situation ist 15

dies nicht weiter verwunderlich. Wird dies für Bundeswehrsoldat*innen sehr viel anders sein? „Der Einsatz bestimmter Waffen, die als grob unmenschlich eingestuft werden oder bei denen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann, ist bereits nach internationalem Recht verboten“, schreiben Peter und Judy Weiss in „Drohnen müssen als Waffen geächtet werden.“ (Foreign Policy in Focus, Okt. 2021)

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ufgrund widersprüchlicher – bzw. oft fehlender – Berichterstattung durch US-Beamte ist nur sehr wenig darüber bekannt, wie viele Nichtkombattanten in zwanzig Jahren durch US-Drohnenangriffe ermordet oder verstümmelt wurden. Tausende von Drohnentötungen bleiben ungeklärt, und Washington weigert sich, darüber zu sprechen, so der Journalist und Historiker Emran Feroz in „Death by Drone: America‘s Vicious Legacy“. Er zitiert Lisa Ling, eine ehemalige Drohnentechnikerin des US-Militärs: „Ich denke, dass jeder Schlag, bei dem sich zivilgesellschaftliche Vertreter zu Wort melden und uns sagen, dass wir ihre Zivilisten töten, vom Internationalen Strafgerichtshof gründlich untersucht werden sollte, und die internationale Gemeinschaft sollte zuhören.“

Dies ist ein Auszug aus dem gleichnamigen Artikel auf imi-online.de. In: „Ausdruck“ 12/2021

Elsa Rassbach ist Vertreterin von Code Pink sowie Mitbegründerin der DrohnenKampagne.

Foto: Steve Rhodes / CC BY-NC-ND 2.0

SYRIEN: SCHLANGESTEHEN VOR EINER HILFSKLINIK DER CARITAS, DIE AUCH KOSTENLOSEN ZUGANG ZU MEDIKAMENTEN GEWÄHRT. DROHNENPROTEST BEI GENERAL ATOMICS IN SAN DIEGO (USA).


FRIEDEN

Was kann Afrika tun?

Foto: African Union Mission to the UN

Eine kenianische Perspektive auf den Krieg in der Ukraine

BOTSCHAFTER MARTIN KIMANI: VERABSCHIEDUNG DER UN-RESOLUTION ZUM KRIEG IN DER UKRAINE

Wie wird der Krieg gegen die Ukraine in Afrika und Kenia diskutiert? Kenia hat seine Position sehr deutlich gemacht, wie, Kenias UN-Botschafter Martin Kimani im Februar 2022 erklärte – und seine Stellungsnahme spiegelt die Position der Afrikanischen Union seit 2002 wider: Wir respektieren territoriale Integrität und Selbstbestimmung. Wir können nicht in Nostalgie schwelgen und bereits gezogene Grenzen neu ziehen wollen, indem wir die Souveränität anderer Länder zerstören. Bei der Diskussionen in den sozialen Medien über den Krieg in der Ukraine gibt es in Afrika verschiedene Perspektiven – vom Schutz der ukrainischen Grenzen um jeden Preis bis hin zu einer sehr pro-russischen Haltung.

Mehrere afrikanische Länder haben sich bei der Abstimmung über die UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine der Stimme enthalten. Was sind die Gründe dafür? Einige afrikanische Länder haben sich enthalten, weil sie militärisch oder wirtschaftlich von Russland abhängig sind – oder sie sind Russland gegenüber loyal, weil es sie in der Vergangenheit bei der Befreiung von der westlichen Kolonialherrschaft unterstützt hat. Dafür habe ich Verständnis – der Kolonialismus ist in unserer Erinnerung näher als der Zweite Weltkrieg. Die Art und Weise, wie dieser Krieg die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie überspielt, und die kaum vergleichbare

Empörung und Berichterstattung über den äthiopischen Tigray-Krieg, den Bürgerkrieg in Kamerun und andere afrikanische Kriege verstärken bei vielen Menschen in Afrika das Gefühl, zurückgelassen worden zu sein – frei nach George Orwell: „Einige Tiere sind gleicher als andere.“

Dennoch bin der Meinung, dass es uns als Kontinent spaltet, wenn wir den Krieg nicht verurteilen und dass wir Gefahr laufen, der nächste Kriegsschauplatz zu werden. Wir können uns nicht „enthalten“ in einem Konflikt, in dem schon einige Male mit einem Atomkrieg gedroht wurde.

Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Kenia und andere afrikanische Länder? Afrika war der größte Exportmarkt der Ukraine für Weizen, Kenia importierte hauptsächlich Weizen von dort. Die steigenden Kraftstoff- und Gaspreise haben in afrikanischen Ländern zu vielen Preissteigerungen geführt, von Lebensmitteln bis zu Düngemitteln. Wir nähern uns schnell einem kritischen Punkt. Es sind die Haushalte und Familien, die für diesen Krieg zahlen. Wir hoffen, dass sich die Lage bald stabilisiert, denn der erhöhte wirtschaftliche Druck kann weitere Konflikte auf dem Kontinent befördern. Meine größte Sorge gilt der Nahrungsmittelknappheit. Der Anstieg der Düngemittelpreise bedeutet, dass Kleinbauern (und auch einige Großbauern) nicht genügend Nahrungsmittel produzieren können. Wir sehen bereits, dass das Welternährungsprogramm Schwierigkeiten hat, seinen Bedarf zu decken, nachdem die Ukraine den Export von Weizen eingestellt hat.

Was können die afrikanischen Länder tun? Jede Krise birgt auch Chancen. Die Sanktionen gegen Russland bedeuten, dass 16

afrikanische Länder die Wirtschafts- und Versorgungslücken schließen könnten. Länder wie Tansania (sechstgrößter Flüssiggasproduzent), Nigeria und Senegal können ihren Marktanteil erhöhen. Das bedeutet, dass die afrikanischen Volkswirtschaften wachsen, der wirtschaftliche Druck nachlässt und hoffentlich politische Instabilität vermieden wird. Afrikanische Länder mit großen Ackerflächen, z. B. die Demokratische Republik Kongo, können Lücken in der Nahrungsmittelproduktion schließen und ihre Nachbarländer beliefern. Langfristig müssen die afrikanischen Länder ihre Wirtschaftspartnerschaften diversifizieren und ihre Abhängigkeit von Russland verringern. Afrikanische Länder mit größerem diplomatischem Einfluss auf der Weltbühne wie Kenia sollten eine proaktive Rolle übernehmen und „neutrale“ Länder dazu bewegen, Stellung zu nehmen. Wir brauchen den Frieden, und wenn mehr Länder mit einer UN-Stimme ihn unterstützen, werden wir ihn vielleicht schneller erreichen.

Wir haben viel die über rassistische Diskriminierung afrikanischer Studierender gehört, die dem Krieg in der Ukraine zu entkommen versuchten. Ist das in Kenia ein Thema? Kurz gesagt, die Kenianer*innen waren darüber verärgert. Der kenianische UNBotschafter hat das verurteilt. Aber dieser Rassimus ist nicht neu. Ich hoffe, es ist uns eine Lehre, und ich hoffe, dass wir alle daraus lernen, besser zu sein und besser zu handeln.

Hellen Barsosio ist ehemalige IPPNW-KoPräsidentin von Afrika.


ATOMENERGIE

Kann das „Super-Greenwashing“ noch verhindert werden? Abstimmung zur Taxonomie im Juli in Brüssel

1. Jeder Euro, der aufgrund dieser Einstufung in Atomkraft oder Erdgas fließt, fehlt für wirksamen Klimaschutz und bremst die Energiewende aus. 2. Investitionen in fossile Gas-Infrastruktur führen auf Jahrzehnte hin zu massiven weiteren Klimaschädigungen: nicht nur durch das bei der Verbrennung des Gases entstehende CO2, sondern auch, weil bei Transport und Lagerung viel Methan über Lecks in die Atmosphäre entweicht. 3. Die Finanzsituation für die kapitalintensive Risikotechnologie Atomkraft würde sowohl durch Fördermittel als auch bessere Kredite entscheidend verbessert, was Laufzeitverlängerungen im französischen Kraftwerkspark und AKWNeubauten in vielen europäischen Ländern deutlich wahrscheinlicher werden lässt.

Wie geht der Prozess weiter? Die Taxonomie ist dem EU-Parlament am 11. März 2022 offiziell übermittelt worden. Jetzt hat das Parlament die Möglichkeit, den Vorschlag der Kommission bis zum 11. Juli 2022 abzulehnen. Dieser ist nun in den Wirtschafts- und Finanzausschuss und den Umweltausschuss des EU-Parlaments weitergeleitet worden. Nach einer ersten Debatte und der Abstimmung in den beiden zuständigen Ausschüssen, voraussichtlich vom 14. bis 21. Juni, gibt es die finale Abstimmung im Plenum in der ersten Juliwoche. Für eine Ablehnung im Parlament bedarf es 353 Stimmen. Da im

EU-Rat absehbar keine Mehrheit für eine Ablehnung der Taxonomie zu erwarten ist, ist es möglich, dass hier gar keine Abstimmung darüber aufgesetzt wird.

Wie hoch stehen die Chancen, dass dieser Rechtsakt durchkommt? Allein im EU-Parlament gibt es die Möglichkeit, den Vorschlag der EU-Kommission noch abzuwehren. Dafür braucht es eine absolute Mehrheit mit 353 Stimmen. Nimmt man die Anzahl der Unterschriften zusammen, ergibt sich mittlerweile ein Stimmungsbild von ca. 250 Abgeordneten, ausgehend von Sozialdemokraten Fraktion, Grünen und Linken und einigen Konservativen. Es fehlen also rund 100 Abgeordnete, die von der konservativen EPP-Fraktion und der liberalen „Renew“-Fraktion kommen müssen. Die EPP droht sich aktuell zu spalten. Bei „Renew“ wird es einzelne Abgeordnete geben, die gegen die Taxonomie stimmen. Die Mehrheit wird sich aber dafür aussprechen, um dem französischen Präsidenten Macron nicht in den Rücken zu fallen. Es wird also ein Krimi werden, bei dem es auf jede einzelne Stimme ankommt. Dabei kritisieren immer mehr Abgeordnete sowohl den Prozess als auch den Inhalt des Entwurfs. Wenn es zu einem knappen Abstimmungsergebnis für den Vorschlag der EU-Kommission kommt, wäre dies trotzdem eine politische Niederlage für die Kommission, da sie wegen ihres undemokratischen Vorgehens zunehmend in der Kritik steht.

Was für Aktionen sind geplant? Im Mai mobilisierte .ausgestrahlt zu den EU-Abgeordnetenbüros in Deutschland, um mit Protest und Forderungsübergaben einen direkten Kontakt vor allem zu den konservativen und liberalen Abgeordneten herzustellen. Gleichzeitig wurde die EU-Taxonomie im Rahmen des Globalen Klimastreiks am 21. Mai von Fridays for Future thematisiert und insbesondere Abgeordnete adressiert. Umweltverbände haben im Mai und Juni offene Briefe und Direktmailing-Kampagnen gestartet, und die Parents 17

for Future wollen kurz vor der Abstimmung einen Twitterstorm initiieren. Luxemburg und Österreich haben bereits eine Klage angekündigt, sollte die Verordnung rechtsgültig werden. Eine solche Klage könnte sich darauf stützen, dass gemäß Artikel 290 der EU-Verträge nur „unwesentliche“ Aspekte eines Gesetzes an die EUKommission delegiert und per Verordnung geregelt werden dürfen. Deutschland unterstützt diese Klage bis jetzt noch nicht, aber soziale Bewegungen und NGOs sollten darauf hinwirken, dass die Bundesregierung mitklagt, falls das EU-Parlament das Greenwashing nicht stoppt. Doch jetzt schon einseitig auf Klagen und deren unklares Ergebnis zu setzen, wäre verfrüht. Noch ist die Verordnung nicht in Kraft – und Protest dagegen notwendiger denn je. Hier sollte ein Fokus auf den EU-Parlamentarier*innen liegen. Um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, braucht es vielfältige Kontaktaufnahmen. Gleichzeitig kann öffentlicher Protest auf der Straße, im Netz oder mit Leserbriefen in der Lokalzeitung nicht nur Druck auf die Abgeordneten aufbauen, den Entwurf iabzulehnen. Vielmehr würden sich damit auch die Erfolgsaussichten einer Klage verbessern – denn Details eines Gesetzes sind umso „wesentlicher“, je mehr sie auch politisch umstritten sind. Mehr Infos: ausgestrahlt.de/eu-taxonomie

Timo Luthmann arbeitet bei .ausgestrahlt als Campaigner zum Thema Klimakrise und Atomkraft.

Fotos: Koalakollektiv

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m 2. Februar 2022 veröffentlichte die EU-Kommision offiziell ihren Vorschlag für einen zweiten „Delegierten Rechtsakt“, der Atomenergie und fossiles Erdgas in die sogenannte EU-Taxonomie aufnehmen und damit als „grün“ klassifizieren soll. Die EU-Kommission untergräbt damit das ursprüngliche Ziel der Taxonomie, Investitionen für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft bereitzustellen. Stattdessen möchte sie weitere Gelder in fossile Infrastruktur und die an der Realität längst gescheiterte Atomtechnologie leiten. Dies hätte jedoch gravierende Folgen:


ATOMWAFFEN

SPAZIERGANG AM ATOMWAFFENSTÜTZPUNKT 2022

Auf nach Büchel! Keine Eskalation durch nukleare Aufrüstung!

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it jedem weiteren Tag wächst die Sorge, dass der Krieg in der Ukraine zum Weltkrieg und gar zum Atomkrieg eskalieren könnte. Auch hochrangige Politiker*innen in den USA und Russland sowie der UN-Generalsekretär Guterres sprechen von einem möglichen Atomkrieg und sehen die Gefahr als „real“. Bundeskanzler Scholz nannte die Vermeidung einer Eskalation bis zum Atomkrieg als seine erste Priorität. Die IPPNW teilt seine Befürchtungen hinsichtlich der Atomkriegsgefahr. Was kann die IPPNW in dieser Situation tun, ohne die Menschen in Panik zu versetzen? Die Lage ist bereits hoch emotionalisiert, wir brauchen klaren Verstand und Fakten. Daher ist die Arbeit an unserer Aufklärungsseite „Atomwaffen A-Z“ so wichtig wie nie zuvor. Dort gibt es jede Menge aktuelle Informationen, z.B. über die russischen Streitkräfte, Hintergründe zu den Drohungen und Aussagen zur Bereitschaft der russischen Atomwaffen. Im Glossar werden Begriffe erklärt, wie etwa: Was genau sind „taktische“ oder „sub-strategische“ Atomwaffen und wofür sind sie gedacht?

Gegen nukleare Aufrüstung Die Bundesregierung reagiert auf die Invasion der Ukraine mit einer nie dagewesenen Aufrüstung. Die Politik ist dem Aufrüstungsreflex verfallen. Auch wenn dieser Reflex angesichts der heftigen Drohungen aus Russland nachvollziehbar ist, sind mehr Waffen keine Lösung.

Die NATO-Staaten geben bereits zigmal mehr Geld für ihre Armeen aus, höhere Militärausgaben werden in dieser Situation nicht zu mehr Sicherheit führen. Die IPPNW setzt sich dafür ein, das 100 Milliarden schwere „Sondervermögen Bundeswehr“ zu verhindern. Dieses beinhaltet auch die Anschaffung eines neuen nuklearen Trägersystems – nämlich von 35 F35-Kampfjets. In Kombination mit der ab 2023 geplanten Stationierung „modernerer“ US-Atombomben in Deutschland ist dies eine gegen Russland gerichtete nukleare Aufrüstung und eine gefährliche Drohung. Die lange umstrittene Entscheidung zum Kauf dieser Flugzeuge wird zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt getroffen. Daher haben wir einige Aktivitäten angeschoben: In einem Offenen Brief an die Bundesregierung forderten wir, jegliche Eskalation wegen der explosiven Situation in der Ukraine zu vermeiden. Als Mitträgerin der Kampagne „Atombomber? Nein danke!“ starteten wir eine neue Mailaktion. Mehr als 3.000 Menschen schickten Mails an Bundesabgeordnete, mit der Forderung, gegen das Sondervermögen und die neuen Atombomber zu stimmen.

alle Länder das Bedürfnis haben, Atomwaffen zu erwerben, weil sie sich unsicher fühlen. In dieser Zukunft wird aber niemand mehr sicher sein, sondern wir werden – wie momentan – immer wieder Geisel der nuklearen Erpressung. Die einzige Lösung ist, das völkerrechtsverbindliche Instrument zur Eliminierung von Atomwaffen weiterzuentwickeln und zum Gewohnheitsrecht zu machen. Diese Weiterentwicklung des UN-Vertrages für ein Verbot von Atomwaffen (AVV) findet bei der ersten Staatenkonferenz vom 21.-23. Juni 2022 in Wien statt.

Aktionscamp Büchel Um unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen, laden wir Euch zum fünften Geburtstag des Verbotsvertrags ein! Vom 5. bis 10. Juli 2022 wollen wir in Büchel in die Öffentlichkeit tragen, dass nukleare Abrüstung nötiger ist denn je, und bei den politisch Verantwortlichen ein Umsteuern bewirken. Hier für die Aktionstage anmelden! buechel.nuclearban.de

Abrüstung ist dringend notwendig! Statt aufzurüsten, müssen wir einen Friedensprozess anschieben, der Rüstungskontrolle und Abrüstung als wesentliche Bestandteile beinhaltet und zur Abschaffung aller Atomwaffen beiträgt. Alternativ blicken wir in eine Zukunft, wo 18

Xanthe Hall ist Referentin für Atomwaffen der deutschen IPPNW.


DIE HIBAKUSHA SETSUKO THURLOW 2013 IN WIEN.

Wien: Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbot Wien ist Zentrum der Verhandlungen um die Zukunft des UN-Vertrages

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s war 2014 ebenfalls in Wien, wo die gemeinsamen Bemühungen von NGOs und diplomatischen Vertretungen einer kleinen Gruppe von Staaten mit Österreich, Mexiko, Südafrika, Costa Rica um ein Atomwaffenverbot bei der dritten Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen (nach den zwei Konferenzen von Oslo und Nayarit 2013) einen entscheidenden Durchbruch erhielten: Der österreichische Diplomat Alexander Kmentt stellte am Ende der Konferenz den sogenannten „Austrian Pledge“ vor und lud die anderen Staaten zur Mitunterzeichnung ein. So wurde diese Forderung eines Atomwaffenverbots aus humanitären und medizinischen Gründen bald zum International Humanitarian Pledge (Humanitären Appell) und zum wesentlichen Grundsatzpapier für die folgenden Verhandlungen der so genannten „Open Ended Working Group“, die schließlich 2017 zur Entscheidung von 120 Staaten für einen Verbotsvertrag führten.

Ich hatte in den Jahren davor mehrmals mit Kmentt und auch mit anderen Diplomat*innen über das Thema Atomwaffenverbot gesprochen. Ihm war bewusst, dass es großer Anstrengungen bedarf, die Wiener Konferenz 2014 zu einem Erfolg zu bringen. Aber er war von der Sache überzeugt. Er hatte meinen Vortrag über die sieben Gründe für ein Atomwaffenverbot gehört, der später die Grundlage für eine Posterausstellung wurde, und er war vor allem auch vom Vortrag des späteren IPPNW Co-Präsidenten Ira Helfand sehr beeindruckt.

Jetzt ist Wien wieder Zentrum der Verhandlungen, und Botschafter Kmentt wurde als Vertreter des Gastgeberlandes zum Vorsitzenden der Ersten Teilnehmerstaatenkonferenz (1MSP) gewählt. Die österreichische IPPNW hat sich unter den besonderen Umständen des Ukrainekrieges und der dadurch erhöhten Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen erst jüngst an den österreichischen Außenminister Dr. Alexander Schallenberg gewandt und wurde zu einem Gespräch mit Botschafter Alexander Kmentt, dem Leiter der Abteilung für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Non-Proliferation ins Ministerium eingeladen, das im Mai stattgefunden hat.

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eplant ist eine ganze Reihe von Aktivitäten im Vorfeld und während der Konferenz. Studierende der IPPNW sind eingeladen, am Sonntag 19. Juni von 1517 Uhr an einer Fahrraddemo durch Wien teilzunehmen: zur Akademie der Wissenschaften, zu UNO, OSZE und zum Stephansdom, wo wir am 6. August immer der Opfer von Hiroshima gedenken und für ein Atomwaffenverbot demonstrieren, und weiteren Stationen eingeladen. Wir bemühen uns nicht nur um Leihräder für die, die ohne Rad kommen, sondern auch um möglichst viele private Schlafplätze.

Am Samstag und Sonntag, dem 18. und 19. Juni finden mehrere ICAN-Workshops für Campaigner*innen statt. Am Sonntag gibt es dann auch eine Informationsveranstaltung im sogenannten Catamaran, dem Haus der Gewerkschaften. 19

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as österreichische Außenministerium veranstaltet am Montag, dem 20. Juni 2022, also am Tag vor Konferenzbeginn, die „Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons“ (HINW22Vienna), bei der auch eine größere Anzahl von Teilnehmer*innen aus der Zivilgesellschaft mit Diplomat*innen, Wissenschaftler*innen und NGO-Vertreter*innen diskutieren können. Eine Anmeldung ist erforderlich. Die Konferenz findet im Austra Center Vienna neben dem VIC (UNO Wien) im 22. Bezirk statt.

Im Austria Center Vienna findet dann vom 21. bis 23. Juni 2022 auch die Teilnehmerstaatenkonferenz statt, bei der die Zahl von NGO-Teilnehmern strikt begrenzt ist. Für Mittwoch, den 22. Juni 2022 abends ist ein Treffen aller IPPNW-Mitglieder geplant. Somit möchte ich alle interessierten IPPNWler*innen herzlich nach Wien einladen!

Klaus Renoldner ist Präsident von IPPNW Österreich.

Foto: ICAN

Foto: IPPNW Österreich

HIROSHIMA-TAG IN WIEN: „ABRÜSTUNG“ VON ATOMWAFFEN AUF DEM STEPHANSPLATZ.


Foto: © Sebastian Backhaus / Agentur Focus

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enschen aus Irpin, die vor den Kampfhandlungen in Richtung Kiew-Stadt fliehen, müssen eine gesprengte Brücke passieren.


Weitere Fotos von Sebastian Backhaus finden Sie hier: https://photo-backhaus.de

Zerstörte Brücken Sebstian Backhaus hält den Ukrainekrieg in Bildern fest

I

rpin, an der nördlichen Stadtgrenze Kiews: Der Ort wird von der russischen Armee angegriffen. Unter dem Getöse der Kampfhandlungen flüchten die Einwohner*innen am 5. März 2022 in Richtung Kiew-Stadt. Auf ihrem Weg müssen sie den Fluss Irpin überqueren. Doch die Brücke, die nach Kiew führt, wurde von der ukrainischen Armee gesprengt, um den Einmarsch der russischen Armee zu erschweren. So müssen die Flüchtenden über die Trümmer der Brücke klettern, um sich vorerst zu retten. Kiew: Freiwillige einer Bürgerwehr verteilen Brot an die Nachbarschaft im Stadtzentrum. Lebensmittelengpässe sind ein zunehmendes Problem. An den wenigen geöffneten Supermärkten entstehen lange Schlangen. Viele Menschen trauen sich aufgrund von Raketeneinschlägen nur noch kurz vor die Haustür oder aus dem Schutzkeller.

Fotos: © Sebastian Backhaus / Agentur Focus

Seine ersten Fotos machte Sebastian Backhaus, als er 2012 während der politischen Unruhen in Kairo war. Seitdem hat er u. a. aus Afghanistan, Irak, Niger und Syrien berichtet. Im März 2022 ist er nach Kiew gereist, um ein Bild von der Lage der Menschen in der beschossenen Stadt zu vermitteln.

KIEW

IRPIN 21


UKRAINEKRIEG

Eine gemeinsame Sicherheits- und Friedensordnung ist zwingend notwendig! Vortrag von Andreas Zumach zu den Friedensperspektiven im Ukrainekrieg

Der Jounalist Andreas Zumach hat auf dem IPPNW-Jahreskongress in Hamburg einen Vortrag zu den Friedensperspektiven im Ukrainekrieg gehalten, den wir hier in Auszügen dokumentieren.

USA dann in Folge auch kräftig verletzte. Daraufhin rief er den Krieg gegen den Terrorismus aus, der seit über 20 Jahren geführt wird. Gemessen an den damals erklärten offiziellen Zielen, die Gefahr des islamistisch gerechtfertigten Terrorismus zu überwinden, ist dieser Krieg völlig gescheitert – mit inzwischen Millionen Opfern. Gescheitert in Afghanistan, aber auch im Irak, in Libyen, in Syrien. Und im Moment scheitert er in Mali.

R

Mit dem Zeitenwende-Begriff soll das größte Aufrüstungsprogramm Deutschlands seit 1945 gerechtfertigt, die 100 Milliarden Sondervermögen sollen grundgesetzlich abgesichert werden sowie eine Steigerung des jährlichen Militärhaushalts auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialproduktes. Deswegen müssen wir dieser Zeitenwenden-Behauptung widersprechen, um dann auch den angeblich unabweisbaren Folgen zu widersprechen. Der Begriff wird ja dafür benutzt, die Geschichte der letzten 30 Jahre zu entsorgen und vor allem die Verantwortung und Schuldanteile, die die 33 westlichen Staaten der NATO und EU daran haben, dass es zu diesem Konflikt mit Russland gekommen ist. Es geht nicht darum, diesen Krieg zu rechtfertigen, aber wir müssen darauf bestehen: Nicht erst seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014, sondern spätestens seit 1997 mit der Entscheidung, die NATO nach Osten zu erweitern, hat der Westen die Bausteine geliefert für ein sich stetig verschlechterndes Verhältnis zu Russland, in dessen Ergebnis wir jetzt diesen fürchterlichen Krieg haben.

ussland wird die Ukraine niemals unter Kontrolle bringen. Es wird in einem solchen Szenario dauerhaft gewaltfreien, aber auch gewalttätigen Widerstand der Ukrainer*innen geben, denen Putin wirtschaftlich, politisch und demokratiepolitisch nichts anzubieten hat. Es muss deshalb darum gehen, eine für Wladimir Putin gesichtswahrende Exit-Strategie aus diesem Krieg zu finden. Die Chancen dafür sind in den letzten Wochen eher geringer geworden. Wann im Hinblick auf die Aufrüstung und die Lieferung von konventionellen Waffen der Punkt erreicht ist, an dem Wladimir Putin eine aktive Kriegsbeteiligung der NATO attestiert, das liegt in seiner Definitionshoheit. US-Präsident Joe Biden hat Mitte April 2022 im Kongress eine weitere Tranche von 31 Milliarden US-Dollar beantragt, von denen 23 Milliarden für militärische Unterstützung für die Ukraine gedacht sind und weitere acht Milliarden für wirtschaftliche Entwicklung. (Anfang Mai hat der Kongress sogar 40 Milliarden US-Dollar für diese Zwecke bewilligt). Die Signale aus Washington werden immer eindeutiger, dass es nicht nur darum geht, diesen Krieg zu beenden und dann möglicherweise den Abzug der russischen Invasionstruppen zu erzwingen, sondern darum, Russland in die Knie zu zwingen.

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Egon Bahr hat vor 50 Jahren gesagt: „Eine europäische Friedensordnung kann es nur mit der Sowjetunion geben, nicht ohne sie und schon gar nicht gegen die Sowjetunion.“ Dies gilt heute unverändert – natürlich bezogen auf Russland. Das gibt uns allein die geografische Lage auf diesem gemeinsamen eurasischen Kontinent vor. Eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Friedensordnung mit Russland ist nicht nur möglich, sondern zwingend notwendig.

s wird behauptet, der Ukrainekrieg bestätige die Notwendigkeit von Atomwaffen. Umgekehrt: Dieser Krieg ist der allerbeste Beweis dafür, dass wir die Atomwaffen aus dieser Welt endlich beseitigen müssen – weil sie eben keine Abschreckungsfunktion haben, sondern Krieg ermöglichen. Präsident Putin kann diesen Krieg bisher doch, abgesehen vom Widerstand der ukrainischen Streitkräfte, weitgehend ungehindert führen, weil er eben mehr oder weniger unmissverständlich mit der Atomwaffe droht. Und weil die NATO damit rechnen muss, dass Russland möglicherweise Atomwaffen einsetzen könnte und sie dann selbst auch unter den Zwang ihrer eigenen nuklearen Einsatzstrategie gerät. Atomwaffen sind keine erfolgreichen Abschreckungsinstrumente, sie ermöglichen erst das Führen von Kriegen.

Nun zu dem Begriff „Zeitenwende“ von Olaf Scholz. Der Begriff wurde vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush bereits am 12. September 2001 verwendet, am Tag nach den Terroranschlägen. Er sprach von einer Zeitenwende: Nichts sei jetzt mehr wie vorher und auch bestimmte Regeln würden nicht mehr gelten. Damit meinte er wichtige Bestimmungen des Völkerrechts, die die

In diesem Zusammenhang wird auch behauptet, dass die Ukraine nicht überfallen worden wäre, hätte sie nicht auf Atomwaffen verzichtet. Im Budapester Memorandum 1994 haben die Ukraine, aber auch Kasachstan und Belarus auf die noch auf ihrem Territorium liegenden sowjetischen Atomwaffen verzichtet. Im Gegenzug dafür haben Russland und die USA und Großbritan22


nien die Souveränität und die Unverletzlichkeit der Grenzen dieser Staaten garantiert. Selenskyj hat in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz am 19. Februar 2022 völlig zu Recht gesagt, dass Russland dieses Memorandum verletzt hat und hat neue Garantien dafür gefordert. Doch zu behaupten, die Ukraine habe damals auf eine real existierende nukleare Abschreckung als Option verzichtet, ist nicht richtig. Die Waffen lagen zwar auf ihrem Territorium, aber die operative Verfügungsgewalt über sie lag ausschließlich in Moskau.

N

ach Ende dieses Krieges brauchen wir Rüstungskontrolle und Abrüstungsverhandlungen auf allen Ebenen, im atomaren und im konventionellen Bereich, bei der Truppenstärke, bei den Manövern. Die NATO und die USA hatten sich zu den entsprechenden Vorschlägen und Forderungen Putins von Anfang Dezember 2021 durchaus positiv geäußert. Wenn die NATOStaaten in solche künftige Verhandlungen aber mit der Haltung hineingehen, nur die russischen militärischen Kapazitäten reduzieren zu wollen, die eigenen aber für sakrosankt erklären, sind diese Verhandlungen leider schon heute zum Scheitern verurteilt.

serstoff herstellen mit Wind- und Solaranlagen, die wir Russland unter guten Bedingungen schnell zur Verfügung stellen sollten. Das wäre ein konkretes Projekt für eine europäische Friedensordnung mit Russland, die diesen Namen wirklich verdient.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist ein wirtschaftlicher. Wenn davon die Rede ist, der Ukraine möglicherweise eine EU-Perspektive anzubieten, darf nicht dasselbe passieren wie bei den Verhandlungen in den Jahren 2010–2013, wo die EU vom damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch gefordert hat, sich zu entscheiden zwischen einer Annäherung an die EU oder einer zentralasiatischen Zollunion mit Kasachstan, Belarus und Russland. Das von einem Land zu verlangen, das traditionell ein Großteil seines Wirtschaftsverkehrs mit Russland abwickelt, war verheerend. Walter Steinmeier hat als Außenminister 2016 in einem Interview gesagt, die Wirtschaftsexpert*innen der EU, Russlands und der Ukraine sollten sich an einen Tisch setzen und darüber reden, wie man die bestehende Zollunion zwischen Russland und der Ukraine kompatibel machen könne. Das ist leider nie passiert.

Für eine europäische Friedensordnung ist auch erforderlich, dass all die schwärende Wunden, die in den letzten 30 Jahren durch militärische Gewaltmittel geschlagen wurden, auf unserem Kontinent geheilt werden. Das heißt, für die Krim und die anderen umstrittenen Territorien in der Ukraine muss es ein einvernehmliches Verfahren geben, am besten eine neue Abstimmung von der UNO durchgeführt, z. B. mit der Option einer weitestgehenden Autonomie dieser Gebiete innerhalb der Ukraine. Dasselbe muss passieren für die sezessionistischen Gebiete in Georgien und Moldawien, wo im Moment russische Truppen stehen. Und last but not least: Auch die Wunde, die die NATO 1999 mit ihrem Luftkrieg gegen Serbien mit der nachfolgenden Abspaltung des Kosovo geschlagen hat, muss endlich geheilt werden.

Noch ein wichtiger Punkt: Wir alle auf unserem eurasischen Kontinent müssten ein primäres Interesse haben, die unheilvolle Abhängigkeit Russlands und seiner Wirtschaft von fossilen Energien in den nächsten Jahren schrittweise zu reduzieren. Die russischen Wirtschaft besteht zu 80 Prozent aus fossiler Energiewirtschaft. Wenn das so bleibt, werden wir die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Wir müssen mit Russland eine grüne nachhaltige Energie-Partnerschaft eingehen. Das können wir auch schon beginnen, wenn Putin noch ein paar Jahre im Kreml Herrscher sein sollte. Man könnte in den windreichen Regionen Sibiriens und den sonnenverwöhnten Regionen Südrusslands z. B. grünen Was-

Den Mitschnitt finden Sie auf Youtube: www.youtube.com/c/ IPPNWgermany

Andreas Zumach ist Autor und Journalist. 23

Foto: © Sebastian Backhaus / Agentur Focus

1. MÄRZ 2022, HAUPTBAHNHOF KIEW: MENSCHEN WARTEN AUF DIE EVAKUIERUNGSZÜGE


UKRAINEKRIEG

Konfliktdynamik und Friedenschancen Ein Aufruf von Friedrich Glasl

Der Friedens- und Konfliktforscher Friedrich Glasl formuliert Kernaussagen für Versöhnung, Abrüstung und Frieden in einem Aufruf an Politik und Zivilgesellschaft: Als erstes muss verhindert werden, dass der Krieg durch Fehlverhalten weiter eskaliert: 1) In Zeiten erhöhter Spannungen dürfen Formen und Kanäle der direkten Kommunikation niemals verlassen werden. Bei indirekter Kommunikation wird die Eskalation durch viele Fehlerquellen, Verzerrungen, Missverständnisse und Unterstellungen vorangetrieben. 2) Zurzeit befürchten viele Regierungen eine weitere kriegerische Eskalation und reagieren mit Erhöhungen ihrer Verteidigungsetats. Derartige affektgetriebene Rüstungs-Reflexe haben jedoch keinerlei abschreckende oder deeskalierende Wirkung. In den letzten 150 Jahren hat sich gezeigt, dass ein Wettrüsten – entgegen seinem erklärten Zweck – keine Kriege verhindert, sondern diese paradoxerweise sogar provoziert und intensiviert. 3) Wenn Regierungen keine Eskalation wünschen, sollten sie auf Militarisierungen nicht reflexhaft mit Rüstungserhöhungen reagieren. Vielmehr sind Initiativen zu deeskalierenden Aktionen notwendig, um aus dem Teufelskreis des Rüstungs-Reflexes auszubrechen. Zu diesem Zweck stellen sie an die gegnerische Konfliktpartei keine neuen Forderungen, sondern beweisen durch ihre deeskalierenden Vorleistungen unmissverständlich, dass sie die entstandenen Spannungen ernsthaft reduzieren wollen.

4) Regierungen demokratischer Länder sollten journalistische Freiheiten niemals einschränken, da sie andernfalls gegen faktenwidrige Berichterstattungen nicht glaubwürdig Stellung beziehen können. 5) Wenn angesehene Persönlichkeiten Deutschlands und Österreichs wichtige Aufsichtsratsfunktionen in russischen Unternehmen bekleiden, sollten sie ihre Zugänge zu Entscheidern in Russland nicht abbrechen, sondern intensivieren und die bestehenden Vertrauensbeziehungen nutzen, um auf deeskalierende Entscheidungen einzuwirken. 6) Menschen aus Russland sollten von kulturellen Events und wissenschaftlichen Kooperationen nicht ausgeschlossen werden. Bei kulturellen Anlässen ist die Freiheit von Kunst, Religion und Wissenschaft unbedingt zu wahren. Damit soll – entgegen der psychologischen Kriegsführung! – deutlich gezeigt werden, dass nicht die Menschen eines Volkes als Feinde betrachtet werden. Solche Veranstaltungen sind bewusst zu nutzen für Diskurse über Grundwerte und Appelle zu gewaltfreien Konfliktlösungen.

Diese Punkte zu beachten begünstigt Initiativen für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen

8) Seit 1990 ist es an der Zeit, mit den seinerzeitigen Partnern der KSE-, SALT-, START-Abkommen etc. und mit bedeutenden Staaten wie u.a. China, Indien, Iran, Israel etc. auf Initiative der neutralen und bündnisfreien Staaten eine zeitgemäße globale Sicherheits- und Friedensarchitektur auszuhandeln. Nur gemeinsam mit den vormals verfeindeten Mächten kann eine neue Ordnung geschaffen werden, die auf Vertrauen und Kooperation baut und dadurch nachhaltige Wirkungen gewährleistet. 9) Produktion und Einsatz von Waffensystemen zerstören immense Ressourcen und wirken sich direkt und indirekt verheerend auf das Klima aus. Sie binden viele Mittel, die zur Rettung unseres Planeten vor der Klimakatastrophe dringend benötigt werden. Deshalb sind Abbau und Limitierung aller Waffensysteme gleichzeitig Maßnahmen zum Abwenden der Klimakatastrophe. Auch wenn solche Versuche nicht sofort erfolgreich waren, sind erneut wieder Initiativen zu wagen! (Quelle: www.trigon.at) Prof. Friedrich Glasls Vortrag „Konfliktdynamik und Friedenschancen in der Ukraine“ finden Sie unter: youtu.be/qOXmlyY4LAc

7) Initiativen von Regierungen neutraler und bündnisfreier Staaten wecken Bewusstsein dafür, welche Schäden eine weitere Eskalation für die ganze Menschheit bewirkt; diese zu verhindern ist höchste Verantwortung einer jeden politischen Führung. Neutrale regen SofortProf. Dr. Dr. h.c. Friedrich Glasl maßnahmen an zum Beenden kriegerie.h. ist österreischer Handlungen, mit der Perspektive chischer Konflikt-/ einer künftigen neuen Sicherheits- und Friedensforscher und Mediator. Friedensordnung. 24


IPPNW-STUDIERENDE ORGANISIERTEN EINE BIKETOUR GEGEN ATOMWAFFEN – 25.02.22 IN BERLIN

Keine Sicherheit durch nukleare Abschreckung

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is 1994 waren sowjetische Atomwaffen in der Ukraine stationiert – heute wird argumentiert, Russland hätte die Ukraine nicht angegriffen, wären diese noch immer im Land. Diese Argumentation stimmt nicht, weil die Ukraine zu keinem Zeitpunkt Zugang zu den sowjetischen Atomwaffen hatte. Sie waren lediglich auf ukrainischem Territorium stationiert. Also: Welche Rolle spielt nukleare Abschreckung? Der Besitz von Atomwaffen würde Kriege zwischen den Großmächten verhindern, heißt es oft. Atomwaffen würden „strategische Stabilität“ bewahren und „Sicherheit schaffen“. Einen Beweis dafür gibt es nicht – lediglich die Korrelation der Existenz von Atomwaffen und der Tatsache, dass ein Dritter Weltkrieg (noch) nicht stattgefunden hat. Beispiele für Angriffe und Kriege gegen Atommächte hingegen gibt es genug.

Atomwaffen machen den Krieg explosiv China entsandte 1950 während des Koreakriegs 200.000 Soldaten gegen die Truppen Südkoreas und der Atommacht USA. Argentinien marschierte 1982 auf den britisch kontrollierten Falkland-Inseln ein, und der Irak feuerte nach der US-amerikanischen Invasion von 1991 auf die Atommacht Israel. Indien und Pakistan greifen einander in Kaschmir an, obwohl beide Atomwaffen besitzen. Die Atommächte, allen voran Russland und die USA, haben seit Beginn des Atomzeitalters zahlreiche Stellvertreterkriege geführt. Rückblickend sehen wir, dass Atom-

Atomwaffen machen den Krieg explosiv waffen in Vietnam, Afghanistan oder im Irak nicht zu einem Ende der Gewalt beigetragen haben – im Gegenteil. Anstatt Sicherheit zu schaffen, macht der Besitz von Atomwaffen diesen Krieg über alle Maßen explosiv. Es ist naiv zu erwarten, dass der Einsatz von Atomwaffen verhindert wird, solange an der „nuklearen Abschreckung“ festgehalten wird. Denn die Gefahr von menschlichen oder technischen Fehlern ist extrem hoch. Sollte es zu einem Erstschlag kommen, können Automatismen und eine Eskalation zu einem globalen Atomkrieg führen.

Maßnahmen wie ein rechtlich bindender Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen durch die NATO und Russland könnten folgen. Ein neues nukleares Wettrüsten in Europa hat längst begonnen. Auch Deutschland plant die erste nukleare Aufrüstung seit dem NATO-Doppelbeschluss 1979. So sollen die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen ab 2023 durch aufgerüstete Bomben ersetzt und neue Kampfjets für deren Einsatz angeschafft werden. Putin hatte bereits 2015 angekündigt, dass er auf diese Aufrüstung mit Gegenmaßnahmen reagieren würde.

Ukrainekrieg löst Bewaffnungsreflex aus

Wie könnte Deutschland deeskalieren?

Ausgelöst durch das unberechenbare Verhalten Russlands erleben wir derzeit einen Bewaffnungsreflex aller direkt und mittelbar beteiligten Staaten. Ein Denk- und Handlungsmuster der Kriegslogik: der Mythos der „erlösenden Gewalt“. In der Friedenswissenschaft ist das der erste Schritt zur absoluten Eskalation. Ein Krieg, an dem vier Atomwaffenstaaten beteiligt sind, würde das Ende unserer Welt bedeuten.

Deutschland kann zur Deeskalation des Konflikts beitragen. Ein Verzicht auf atomare Aufrüstung und der Abzug der US-Atomwaffen würden Deutschland sogar sicherer machen. Denn die Atomwaffen in Büchel eignen sich nicht zur Abschreckung. Da ihr Standort bekannt ist, wären sie im Kriegsfall eines der ersten Angriffsziele. Ihr Abzug würde den Weg freimachen für den deutschen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbot. Auf lange Sicht ist der Atomwaffenverbotsvertrag die einzige Antwort auf die Doktrin der nuklearen Abschreckung und die einzige Garantie für echte gemeinsame Sicherheit.

Deshalb muss ein Weg gefunden werden, beidseitig gesichtswahrend zu einem Waffenstillstand zu gelangen. Dazu müssen alle diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der OSZE ausgeschöpft und muss auf vielfältige, gleichzeitig anwendbare Lösungsansätze gesetzt werden. Im Ukrainekrieg könnte der Einsatz von Mediator*innen wie dem UN-Generalsekretär oder der Generalsekretärin der OSZE, Russland und die USA im ersten Schritt dazu bewegen, die Atomwaffen aus der erhöhten Alarmbereitschaft zu nehmen. Vertrauensbildende 25

Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.


UKRAINEKRIEG

Feindbilder und Kriegslogik Ein Beitrag zur psychosozialen Dimension

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it dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist erneut Krieg ausgebrochen – diesmal wieder auf europäischem Boden. Je länger der Krieg dauert, desto komplexer werden politische Antworten, ob friedenspolitische oder militärlogische. Zwar ist der Exit aus Afghanistan erst ein dreiviertel Jahr her, doch schon wird erneut die Macht der Stärke heraufbeschworen, werden militärische Aufrüstung und Waffenlieferungen eingefordert.

wütend die Therapie, die er aber wegen seiner seelischen Probleme dringend weiter bräuchte.

Dieser Beitrag ist eine Erinnerung an die psychosozialen Funktionen des Krieges, wie sie unter anderem von dem Psychoanalytiker Stavros Mentzos (1930–2015) dargelegt wurden.

„No animal shall kill any other animal.“

1. Feindbilder aufbauen: Zuvorderst werden Feindbilder geschaffen, Dämonen an die Wand gemalt. Feindbilder werden meist von allen Seiten bedient. Es geht darum, andere zu entmenschlichen, das Antlitz der Anderen auszulöschen, sie als Persönlichkeiten zu negieren. Diese beklemmende Logik finden wir bei allen politischen Verfolgungen, bei der Ausgrenzung ethnischer oder religiöser Gruppen, aber auch bei internationalen Schuldzuweisungen (wie „den Russen“ oder „der Achse des Bösen“). Beispiele: » Der deutsche Bundespräsident wird wegen seiner fehlenden Russlandfeindlichkeit selbst zur Zielscheibe – er wird von der Ukraine wieder ausgeladen. » Ein russischer Patient, der wegen einer schweren Depression in Behandlung ist, fordert von seiner Therapeutin eine klare Positionierung für Russland. Nachdem dies nicht geschieht, beendet der Patient

» Niemand im Westen will den Krieg. Trotzdem fallen verschiedene Parteien übereinander her, zum Teil mit verächtlichem Spott und Abwertung. Russische Musiker werden mit einem Auftrittsverbot im Westen belegt.

2. Wash-Out der Werte:

(Chapter 2)

sierung des Gewissens, damit Soldat*innen bereit sind, in den Krieg zu ziehen. Tötungshemmungen müssen überwunden, das Über-Ich transformiert, biologische Versöhnungsmuster gelöscht werden. Diesen Prozess hat Yishai Sarid in seinem Roman „Siegerin“ beklemmend dargestellt. Werden Kriegsgräuel unmittelbar erlebt, können sie eine Verrohung bewirken, die „wie ein Schuss Heroin“ wirkt und den Rausch für weitere Gräueltaten absichert (so der Neuropsychologe Thomas Elbert in der SZ vom 09.04.2022). Oder das Resultat ist Traumatisierung. Doch wer will eher Opfer als Täter sein?

3. Heldentum und Katharsis:

„No animal shall kill any other animal without a cause.“

„Krieg ist nicht der Vater aller Dinge, sondern ihr Verhinderer und Vernichter.“

George Orwell: Animal Farm

Stavros Mentzos, Die psychosoziale Dimension des Krieges

(Chapter 8)

Das grundsätzliche Tötungsverbot findet sich nicht nur in Art. 3 der Allgemeinen Menschenrechte als Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit wieder, sondern ist auch Kernelement allen religiösen Empfindens. Dennoch wird mit Begriffen wie Verteidigung von Demokratie und Freiheit, Sicherung der Handelswege oder Recht auf Selbstbestimmung militärische Gewalt erneut gerechtfertigt, hört man zusätzlich nationalistische Töne. Gemeinsam ist den Scharfmachern, dass das Tötungsverbot von anderen Geboten verdrängt wird. „The cause“ kann beliebig gedehnt werden, wie nicht nur die mediale Deutungsmacht in Russland bitter zeigt. In der „Schule der Nation“ bedarf es gezielter Propaganda und einer Synchroni26

Krieg löst Konflikte durch Unterwerfung und Zerstörung. Kompromissbildung und Kreativität sind Kriegsparteien fremd. Krieg ist nicht die Folge von Aggression, sondern Aggression ist das Instrument des Krieges. Menschen, die ungelöste Konflikte in sich tragen, sind anfällig dafür, diese Spannung nach außen abzuführen. Besonders kritisch wird es, wenn Freiheit/Selbstbestimmung oder Bindung/ Liebe fehlen, um eine Balance herzustellen. Interessenkonflikte können nicht als sachliche Widersprüche ausgehalten werden, sondern müssen in der Person des anderen vernichtet werden. Die Verdrängung von Mitgefühl und Mitleid steht im Vordergrund.


Tierschicksale, Franz Marc (1913): „Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern“, so untertitelte der Maler das Bild.

Lieblosigkeit und Hilflosigkeit. Wer Gewalt anwendet, versucht eine passive in eine aktive Erfahrung zu transformieren – Täter statt Opfer zu sein, Identifikation mit dem Aggressor. Hass und Zorn wirken identitätsstiftend bei selbstunsicheren Menschen.

Der Maler Franz Marc (1880–1916) zum Beispiel hat sich noch vor Ausbruch des ersten Weltkrieges zunächst glorifizierend mit einem erlösenden Heldentum auseinandergesetzt. Im Kampf würden alle Konflikte aufgelöst, Europa gereinigt. Auf dem großformatigen Gemälde „Tierschicksale“ von 1913 zucken rote Blitze wie Artilleriefeuer. Im Fokus steht ein blaues Reh, Symbol für die Unschuld der ganzen Tierwelt. Als Soldat war Marc bald angewidert von den Gräueltaten, die er erlebte. 1916 fiel er bei Verdun herumfliegenden Granatsplittern zum Opfer.

4. Ziel von Kriegen sind vorrangig wirtschaftliche Großmachtinteressen. Die narzisstischen Interessen von Machthabern sind kriegstreibend, nicht ihr Aggressionstrieb. Ökonomische und politische Vormachtstellung, Kampf um Rohstoffe und egoistisches Gewinnstreben bestimmen die Dynamik. Kriege werden nicht von den Hungrigen, sondern von den Reichen und Satten initiiert. Der Blick auf die ökonomischen Zusammenhänge droht in der Ukraine verloren zu gehen, stattdessen werden Angriffs-, Verteidigungs- oder Ver-

nichtungsparadigmen in den Vordergrund gestellt. Nichtsdestotrotz begünstigen gerade patriarchale Gesellschaftsstrukturen die Militarisierung von Konflikten. Die hegemonialen Ansprüche der Machtelite finden Resonanz im „Fußvolk“ und in dessen Minderwertigkeitsgefühlen. Gesunde Schuld- und Schamgefühle werden um des eigenen Vorteils willen oder zugunsten eines selbstüberhöhenden Nationalbewusstseins verdrängt. Im Krieg wird alles erlaubt, was im Frieden sanktioniert ist: Gier, Neid und Rache; Rauben, Töten und Zerstören. Im Krieg schwingt man sich auf zum Herrn über Leben und Tod – narzisstische und patriarchale Allmachtsfantasien.

5. Friedenslogik statt Abschrekkungsdoktrin Erschreckend viele Menschen haben nie gelernt, mit Konflikten, Widersprüchen und gegensätzlichen Interessen konstruktiv umzugehen, das heißt, verhandeln und Kompromisse eingehen zu können. Gewalt ist immer sekundär, Folge von Sprachlosigkeit. Die Sprache der Gewalt trägt die Narben von erlebter Gewalt, von 27

Um all dem entgegenzuwirken, brauchen wir stabile Institutionen, welche auf humanistischen und demokratischen Werten beruhen. Kompromissbildung und Akzeptanz müssen gelehrt und gelernt, Friedenslogik schon in der Schule eingeübt werden. Hierbei handelt es sich um langfristig angelegte Prozesse. Ob kurzfristig Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung oder Milliardenangebote zur anderweitigen Befriedung des Konfliktes geboten sein können, vermag derzeit niemand mit Gewissheit zu beurteilen. Die Stärke der Friedensbewegung liegt darin, dass sie grundsätzliche Überzeugungen in schwierigen Konfliktlagen nicht einfach über den Haufen wirft. Damit Frieden und Sicherheit lebbar wird, brauchen wir die Orientierung an verlässlichen Werten. Verlässliche Friedensarbeit wiederum braucht endlich eine hoheitliche Finanzierung. Milliardeninvestitionen in aktive Friedenspolitik schaffen mit Sicherheit mehr Frieden als Milliarden in Aufrüstung.

Josef Raab ist IPPNW-Mitglied und aktiv in der Regionalgruppe München.


UKRAINEKRIEG

Atomanlagen im Ukrainekrieg Mit jedem Kriegstag steigt die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Katastrophe

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m 26. April 2022, dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl besuchte der Direktor der IAEO Rafael Mariano Grossi die Anlage des havarierten Kraftwerksblocks, der inzwischen von einem Sarkophag ummantelt ist. Vor 36 Jahren hatte sich der bis dahin größte Reaktorunfall in der Geschichte der Atomenergie ereignet. Durch einen misslungenen Versuch war es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, dann zu einer Kernschmelze und zu einer Explosion des Reaktordaches gekommen. Das im Reaktor als Moderator befindliche Graphit mitsamt den freigewordenen Radionukliden brannte elf Tage, so dass große Gebiete in der Ukraine, in Belarus und in Russland sowie in Europa radioaktiv kontaminiert wurden. Seit dem Jahr 2000 ist auch der letzte Kraftwerksblock von Tschernobyl stillgelegt. Auf dem Gelände werden die abgebrannten Kernbrennstäbe der drei stillgelegten Reaktorblöcke in oberirdischen Abklingbecken gelagert und müssen weiter gewartet werden. In den Bodenschichten der Sperrzone befinden sich außerdem langlebige Radionuklide wie Plutonium 239 und Plutonium 240, die durch Truppenbewegungen mit schweren Fahrzeugen oder durch Artilleriebeschuss freigesetzt werden können. Russische Truppen hatten gleich zu Beginn des Ukrainekrieges die Atomruine von Tschernobyl eingenommen und die Sperrzone besetzt. Satellitenbildern zufolge hatten russische Soldaten ohne jede

Schutzausrüstung in der Sperrzone Schützengräben ausgehoben. Eine Verstrahlung der Soldaten wird aufgrund der radioaktiven Bodenbelastung vermutet. Zeitweilig wurden in der Umgebung erhöhte Strahlenwerte gemessen, ein Hinweis auf das Aufwirbeln von radioaktivem Staub durch die Militäraktion.

tan nur zwei Reaktorblöcke im Betrieb. Am 2. März 2022 wurde das AKW bei Kampfhandlungen von russischen Truppen beschossen. Es kam zum Brand in einem Schulungsgebäude, zu Schäden am Reaktorgebäude 1 und in einem Trockenlager für abgebrannte Brennelemente. Radioaktivität war nicht ausgetreten.

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In der Ukraine decken 15 Reaktorblöcke an vier Standorten circa 50 Prozent des Strombedarfs des Landes. Knapp die Hälfte davon sind im Moment in Betrieb.

ie Sicherheitslage infolge der vierwöchigen Besatzung durch die russischen Truppen war prekär: Der Schichtbetrieb kam zum Erliegen. Die Arbeiter*innen waren fast vier Wochen ununterbrochen im Dienst, wichtige Instandhaltungsarbeiten wurden nicht durchgeführt. Zeitweilig mussten sogar Notstromaggregate anspringen, da die Atomruine vom Stromnetz abgekoppelt war. In der Zeit der Besatzung gab es über einen Monat keinen Kontakt zwischen der ukrainischen Aufsichtsbehörde und der IAEO. Dieser konnte jetzt wiederhergestellt werden. Nachdem die russischen Truppen von dort abgezogen waren, reiste Grossi mit seinem Team an, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. „Ich weiß nicht, ob wir kurz vor einer Katastrophe standen, aber die Situation war absolut anormal und sehr, sehr gefährlich“, so der IAEO-Direktor. Das Atomkraftwerk Saporischja in der Ostukraine ist mit seinen sechs Reaktorblöcken und einer Kapazität von 5700 MW das größte Europas und befindet sich seit Anfang März unter Kontrolle des russischen Militärs. Wegen beschädigter Stromversorgungsleitungen sind momen28

Gab es schon Angriffe auf Atomkraftwerke? Krieg in einem Land mit laufenden Atomreaktoren ist ein Novum und ein Tabubruch. Am 7. Juni 1981 zerstörten israelische Jagdbomber das irakische Atomkraftwerk Osirak. Es war der erste Angriff in der Geschichte auf einen Atomreaktor. Während des iranisch-irakischen Krieges bombardierte der Irak mehrfach den iranischen Reaktor in Busher. In all diesen Fällen befanden sich die Anlagen noch im Bau und sie enthielten noch kein spaltbares Material. Ein Angriff auf ein im Betrieb befindliches Atomkraftwerk fand bisher noch nie statt, da es auch für einen Angreifer unkalkulierbare Risiken birgt.

Wie gefährdet sind Atomanlagen in einem Krieg? Dennoch warnte Grossi vor Kurzem: „Der militärische Konflikt bringt die Atomkraftwerke der Ukraine und andere Ein-

Foto: Urbex Hungary / CC BY 2.0

DIE AKW-RUINE VON TSCHERNOBYL (2018)


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richtungen mit radioaktivem Material in eine beispiellose Gefahr“. Selbst ohne militärische Absicht sind Atomanlagen im Krieg durch versehentlichen Beschuss oder durch Brände erheblich gefährdet. Schon im Jahr 2020 drohte ein Waldbrand in der Tschernobylzone das Kraftwerksgelände zu erreichen. Atomkraftwerke sind auch schon dann gefährdet, wenn wegen der Kampfhandlungen oder durch Sabotageakte das versorgende Stromnetz lahmgelegt wird. Dadurch kann eine Kernschmelze ausgelöst werden. Ebenso sind Cyber-Angriffe eine immense Gefahr. Für die Kühlung sind AKWs auf eine ununterbrochene Stromzufuhr angewiesen. Auch ein abgeschaltetes Atomkraftwerk muss weiter gekühlt werden. Das gilt insbesondere für die mit Wasser gefüllten Lagerbecken für abgebrannte Kernbrennstäbe, in denen gegenüber einem Atomkraftwerk ein Vielfaches an Radioaktivität gelagert ist. Für das Betreiben der Notstromaggregate wird Diesel in einer Größenordnung eines Tanklastzuges pro Tag benötigt. In der Regel reichen die Dieselvorräte an den Atomanlagen für 1-3 Tage. Scheitert der Treibstoffnachschub und fällt die Kühlung aus, kommt es zur Kernschmelze. Eine intakte Infrastruktur ist im Krieg häufig nicht gewährleistet. In noch stärkerem Maße wäre eine funktionierende Infrastruktur für den Umgang mit einer Reaktorkatastrophe erforderlich. Befände sich ein Reaktor inmitten einer chaotischen,

umkämpften Zone, gäbe es wahrscheinlich noch nicht einmal Ersthelfer*innen, die den radioaktiven Fallout eindämmen könnten und die aus Angst vor Schüssen und Bombardierungen eher fliehen würden.

Sind Atomkraftwerke in einem Krieg völkerrechtlich geschützt? Kraftwerke werden in modernen Konflikten häufig zur Zielscheibe, da ihre Zerstörung die Fähigkeit eines Landes beeinträchtigt, den Kampf fortzusetzen. Aber Atomreaktoren sind nicht wie andere Energiequellen. Sie enthalten enorme Mengen an radioaktivem Material, das auf unterschiedlichste Weise freigesetzt werden kann. Grundsätzlich fallen Atomkraftwerke nach der Genfer Konvention (Art. 56, Abs. 1, S. 1 des 1. Zusatzprotokolls) unter den besonderen Schutz „gefährlicher Anlagen“ wie Staudämme, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Da Atomkraftwerke immer auch Dual-use-Objekt sind, die der zivilen und militärischen Nutzung zeitgleich dienen, konnten sich die Vertragsparteien in den 70-er Jahren nicht darauf einigen, Atomkraftwerke grundsätzlich aus Kriegshandlungen herauszunehmen. Im Art. 56 des 1. Zusatzprotokolls der Genfer Konvention wird in Absatz 2 das Verbot eines Angriffes auf Atomanlagen teilweise wieder eingeschränkt. Es heißt dort: „Wenn sie elektrischen Strom zur regelmäßigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kriegshandlungen liefern und wenn ein solcher Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, 29

um diese Unterstützung zu beenden.“ Prof. Dr. Norman Paech schreibt dazu: „Es gibt im Völkerrecht derzeit nur eine Regelung in der Haager Landkriegsordnung und dem ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen, einen Ort als ‚unverteidigt‘ zu erklären. Er muss selbst demilitarisiert sein und darf dann nicht angegriffen werden.“

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m Völkerrecht gibt es bisher keine klaren Regelungen, was Abstands- und Sicherheitszonen betrifft. Es ist zu hoffen, dass dieser Krieg Anlass genug ist, diese Lücke im Völkerrecht zu füllen. Dringend notwendig ist, dass sich die russischen Truppen um die Atomanlagen zurückziehen und diese zum Schutz der Zivilbevölkerung zu vollständig entmilitarisierten Zonen werden. Eine erneute Reaktorkatastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima ist jederzeit möglich. Mit jedem Tag, den der Ukrainekrieg andauert, steigt die rein statistische Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nuklearen Katastrophe kommt. Weiterlesen: Internationales IPPNWBriefing: „Am Rande einer humanitären Katastrophe“ – ippnw.de/bit/briefing Völkerrechtsblog: „Wie sind Atomkraftwerke im Krieg durch das Recht geschützt?“ – ippnw.de/bit/vb

Ute Rippel-Lau ist Mitglied des Vorstandes der deutschen IPPNW.


WELT

Aufbegehren gegen den Krieg Gesundheitskräfte verschaffen sich grenzüberschreitend Gehör bei den Regierungen

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ie IPPNW wurde vor über 40 Jahren von Ärztinnen und Ärzten aus Russland und den USA im Bewusstsein gegründet, dass die gegenseitige Bedrohung mit totaler Vernichtung durch ein irrational großes Arsenal von Atomwaffen für Ärztinnen und Ärzte, die mit ihrem Beruf dem Leben verpflichtet sind, inakzeptabel ist. Damals war die Bedrohung für jeden Menschen deutlich spürbar. Hundertausende gingen allein in Deutschland gegen das atomare Wettrüsten auf die Straße. Der IPPNW gelang es, eine die Machtböcke übergreifende Initiative zu ergreifen und die Menschen zu beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ über die nicht beherrschbaren Folgen eines Atomkrieges aufzuklären. Dafür hat sie 1985 den Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Der Krieg in der Ukraine droht zu eskalieren: Die Gefahr eines vernichtenden Atomkrieges ist aktuell mindestens so akut wie damals. Und obwohl die Information darüber für jede und jeden zugänglich ist, erleben wir keine zum damaligen Aufbegehren vergleichbare Reaktion, in keinem Land. Als Teil der Friedensbewegung ist die IPPNW international wie national gefordert, sich für ein Ende des Krieges und damit der akuten Atomkriegsgefahr einzusetzen, die Menschen aufzuklären und damit zum Handeln zu animieren. Die internationale Föderation der IPPNW versucht diesem Anspruch gerecht zu werden; verschiedene Sektionen der Organisation verfolgen unterschiedliche Ansätze und tauschen sich darüber aus.

ÜBERGABE VON EINER MILLION UNTERSCHRIFTEN AN DIE UN-DIPLOMATIN IZUMI NAKAMITSU. am 11. April 2022 am Sitz der Vereinten Nationen in New York offiziell an die Leiterin des Büros für Abrüstungsfragen der UN Izumi Nakamitsu übergeben. Petition unter: ippnw.de/bit/avaaz Ein besonders hoffnungsvolles Zeichen war die gemeinsame Erklärung von IPPNW-Ärzt*innen aus Russland und der Ukraine, die am 16. März 2022, drei Wochen nach Beginn des Krieges, veröffentlicht wurde. Darin werden die humanitären Folgen des Krieges beklagt und auf die Gefahr einer Eskalation bis hin zum Atomkrieg hingewiesen. Die Regierungen der Konfliktparteien werden aufgerufen, alles zu tun, um konstruktive und wirksame Verhandlungen zur Herstellung des Friedens zu beschleunigen.

Im Februar, vor dem Krieg, veröffentlichte die IPPNW einen medizinischen Appell „No War in Europe“, initiiert von der deutschen Sektion. Er wurde von mehr als 870 Gesundheitsfachkräften unterzeichnet. Fünf Tage vor dem Krieg veranstaltete die IPPNW ein Online-Event zum Krieg in Osteuropa und dessen humanitären Folgen. Eine Zusammenfassung dieser Veranstaltung ist auch auf Deutsch abrufbar: www.ippnw.de/bit/briefing

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er Hauptfokus der internationalen Arbeit liegt bei der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die 2007 von der IPPNW begonnen und inzwischen von über 600 Partnerorganisationen getragen wird. Der Atomwaffenverbots­vertrag, mit dessen Inkrafttreten im Januar 2021 Atomwaffen völkerrechtlich illegal wurden, ist das zentrale Objekt der internationalen IPPNWAktivitäten: Kampagnenarbeit, um weitere Staaten zum Vertragsbeitritt zu bewegen und damit den rechtlichen Rahmen für das Verbot von Atomwaffen zu vergrößern. Informationen zur Staatenkonferenz in Wien finden Sie auf S. 17.

Zusammen mit anderen medizinischen Organisationen hat die IPPNW am 10. März 2022 eine Erklärung veröffentlicht, in der ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine gefordert und die Dringlichkeit betont wird, eine nukleare Eskalation zu verhindern. Mehrere Sektionen haben eigene Erklärungen und Aufrufe zur Beendigung des Krieges veröffentlicht, neben der deutschen z. B. die kanadische, die schwedische und die schweizerische. In zahlreichen Interviews, Zeitungsartikeln und Radiobeiträgen fordern IPPNW-Ärzte weltweit ein Ende des Krieges. Außerdem hat die internationale IPPNW mit 15 weiteren Friedensnobelpreisträgern einen Offenen Brief gegen den Krieg initiiert, der online von über einer Million Menschen unterschrieben wurde. Der Brief ruft Russland und die NATO dazu auf, den Einsatz von Atomwaffen in dem Konflikt auszuschließen, er wurde

Dr. Helmut Lohrer ist International Councillor der IPPNW. 30


AKTION

Leinen los! Farbenfrohe Kundgebung im Hafen

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en Abschluss ihres Jahreskongresses beging die IPPNW im Hamburger Hafen. Unter dem Motto „Keine Waffentransporte durch den Hamburger Hafen – für einen zivilen Hafen“ fand zunächst eine Barkassenfahrt statt. Bei einer Kundgebung an der Hafenpromenade erregte dann ein Fanfarenkonzert der Band Tinnitussis die Aufmerksamkeit vieler Passant*innen. Redner*innen machten auf die Gefahr einer atomaren Eskalation im Ukrainekrieg aufmerksam. Die Medizinstudierende Kim Rosebrock von IPPNW und ICAN forderte: „Deutschland soll dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten und die Atomwaffen abziehen!“ Neben Christoph von Lieven (Greenpeace) warnte IPPNW-Vorstandsmitglied Ralph Urban vor der Lieferung von Waffen: „Durch Waffenlieferungen machen wir uns selbst zur Kriegspartei. Deutschland droht in den Sog des Krieges hineingezogen zu werden.“

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GELESEN

Inflamed

Heile und herrsche!

Der Autor Raj Patel und die Ärztin und Akti- Bernd Hontschiks brennende und zornige Sorge vistin Rupa Marya zeigen in ihrem Buch die Ver- um eine bedrohte patientenzentrierte Heilkunst knüpfungen zwischen entzündlichen Erkran- durchdringt jede Seite dieses Buches. kungen aller Art und unserem gesellschaftlinhand der gesundheitspolitischen Nachrichten der letzchen Zustand auf.

S

trukturelle Ungleichheiten, soziale Ausgrenzung und Armut machen krank – wie wir wissen. Die Autor*innen zeigen aber anhand aktueller Studien, wie sehr die westliche Medizin diskriminierend und aus ihrer (Kolonial-)Geschichte heraus mitverantwortlich ist. Sie hangeln sich dabei in ihren Kapiteln entlang der Organsysteme und ihrer Entzündungen im weitesten Sinne – nicht ohne zu betonen, dass dies eine Parodie auf die westliche Medizin ist, die immer die Einzelteile und nicht den Menschen in seiner Umwelt in der Vordergrund stellt. Ganz aktuell zeigen sie am Beispiel Covid, dass die Bipoc (Black, indigenous, People of Colour)-Community in den USA nicht nur ein höheres Krankheits- und Sterberisiko aufgrund von sozialem Status hatte, sondern auch ganz konkret die Pulsoxymeter auf dunkler Haut schlechter funktionieren und höhere Werte anzeigten, als tatsächlich vorlagen. So wurde Tausenden Sauerstoff vorenthalten, was vermutlich zur höheren Sterblichkeit beigetragen hat. Des Weiteren bringen sie eine Fülle von Beispielen, dass ein aktiviertes Entzündungssystem Folge gesellschaftlicher Bedingungen sein kann. Und dass die vielen chronisch entzündlichen Erkrankungen, zu denen auch Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Alzheimer zählen, Folgen unserer extraktiven Wirtschaftsweise und insbesondere der Kolonialisierung sind. Mich hat das Buch besonders mit seinen vielen Quellen und der Kraft fasziniert, mit der es mögliche Auswege aufzeigt: von der überall vorherrschenden „Entzündung“ hin zu einer menschenwürdigen Medizin, die eine andere Politik und ein anderes Wirtschaftssystem erfordert. Deep medicine ist ein Heilungsprozess auf jeder Ebene – von der alltäglichen Art und Weise, wie wir miteinander und mit unseren Patient*innen kommunizieren, bis hin zur großen Weltpolitik und dem Umgang mit unserem Planeten. Rupa Marya und Ray Patel: Inflamed. Deep Medicine and the Anatomy of Injustice (bis jetzt nur auf Englisch), Allen Lane 2021, 496 S., 19,99 € (Kindle 14,92€), ISBN: 978-0-241-48361-9 Katja Goebbels

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ten Jahrzehnte dokumentiert der Autor zeitrafferartig die Destruktion der Fundamente eines sozialen Gesundheitswesens durch profitorientierte Kommerzialisierung und die Übernahme von Qualitätskonzepten aus industriellen Fertigungsprozessen. Der Kranke als Subjekt einer patientenorientieren Medizin ist zum Objekt einer Versorgungskette geworden, in der das Erlöspotential von Leistungen den Behandlungsalltag bestimmt. Solange sich mit diesen Leistungen Geld verdienen lässt, wird die Selbstwirksamkeit der Patient*innen auf Zuzahlungen reduziert. Mitmenschliche Zuwendung wurde zum unproduktiven Kostenfaktor. So sind in den letzten Jahrzehnten 50.000 Pflegestellen gestrichen worden. Sie wurden im großen Ausmaß ersetzt durch Planstellen für Controlling, Dokumentation und die erlösrelevante Leistungskodierung in den Kliniken – aber auch bei den Krankenkassen zur Plausibilitätskontrolle, Leistungssteuerung und um einen möglichst großen Anteil aus dem zentralen Gesundheitsfonds zu begründen. Bürokratisierung, Aufwertung patientenferner Tätigkeiten und eine Digitalisierung, die sich an der ärztlichen Schweigepflicht reibt, sind dann nicht überschießende Fehlentwicklungen, sondern Notwendigkeiten dieser kommerzialisierten Medizinkonzeption, bei der die umfassende Sammlung von Gesundheitsdaten dazu dient, weiteren Reichtum zu generieren. Hontschik sieht hier eine neue Stufe in der Veränderung der Medizin, wenn die therapeutische Wertschätzung von Kranken nicht nur abgelöst wird von Wertschöpfung aus Krankheit, sondern diese Medizin zum gesellschaftliches Herrschaftsinstrument wird. Dies belegt er mit gerade in der Coronapandemie gehäuften Vorstößen, das Solidaritätsprinzip der Krankenversicherung aufzuweichen oder exekutiv unbequeme wissenschaftliche Meinungen zu entwerten. Die Einbindung der Medizin in Machtstrukturen ist keineswegs neu und auch nicht ihr Missbrauch: die Elimination von jüdischen oder sozialistischen Ärzt*innen im Nationalsozialismus, die Entlassung von Wissenschaftler*innen -oder Ärzt*innen aus akademischen Forschungseinrichtungen und Kliniken auf Druck der Tabaklobby oder Pharmaindustrie oder banal die kirchlichen Krankenhausträgern zugestandene existenzgefährdende Einflussnahme auf das Privatleben ihrer Mitarbeiter*innen. Als Leser des Buchs setzte ich bei manchen plakativen Aussagen zu einem „Ja, aber...“ an, übrig blieb meist aber nur ein „Ja, leider!“ Ein lesenswertes, faktenreiches Buch! Bernd Hontschik: Heile und herrsche. Westend, Frankfurt 2022, 144 S., 18,- €, ISBN: 9783864893582 Herbert Kappauf 32


GEDRUCKT

TERMINE JUNI

6 Argumente gegen Waffenlieferungen

Risiken und Nebenwirkungen von Waffenlieferungen

Warum Waffen nicht zu einer Lösung beitragen

Die Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges warnen, dass Waffenlieferungen zu unbeherrschbaren Risiken führen können. Sie taugen nicht als Mittel zur Lösung eines Konfliktes. Die Beendigung des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine erfordert andere Mittel, die auf Verhandlungen und Diplomatie beruhen.

Ärztinnen und Ärzte der IPPNW warnen: 2021

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Waffen und Militär lösen keine Konflikte. Vielmehr verschärfen sie die Lage und verlängern den Krieg. Das zeigen auf drastische Weise u. a. die Kriege in Syrien oder im Jemen. Sie hinterlassen Hunderttausende von Opfern, zerstörte Städte und ein Machtvakuum, in dem weder staatliche noch traditionelle Institutionen den Menschen Sicherheit gewährleisten.

en 2. Waffenlieferung verhindern Neutralität Gemäß Artikel 51 der UN-Charta ist es völkerrechtlich zulässig, einem angegriffenen Land im Rahmen kollektiver Verteidigung zu Hilfe zu kommen. Jedes Land kann aber entscheiden, ob es den angegriffenen Staat mit Waffen beliefern und damit selbst zur Kriegspartei werden will oder ob es neutral bleiben möchte.

§

Waffenlieferungen 3. erschweren Rüstungsexportkontrollen

Die parlamentarische Kontrolle von Rüstungsexporten wurde lange als intransparent kritisiert. Die Vorgänger-regierungen lieferten nicht nur in Krisengebiete, sondern sogar an kriegsführende Staaten. Die neue Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, „eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ zu verfolgen und „grundsätzlich keine Waffen in Spannungs- und Krisengebiete“ zu exportieren. Die Lieferungen von Waffen an die Ukraine schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall.

Waffen dienen nicht 4. nur zur Verteidigung Jede sogenannte Defensivwaffe kann auch als Offensivwaffe genutzt werden. Das hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2019 festgestellt. Es gibt also keine defensiven Waffen, die man mit besserem Gewissen liefern könnte.

5. Waffen wandern weiter Einmal exportiert, verlieren Regierungen die Kontrolle darüber, wer von ihren Waffen Gebrauch macht. Waffen können von der gegnerischen Partei erbeutet werden. So gelangten die an die kurdischen Peschmerga gelieferten Milan-Raketen aus Deutschland 2014 in den Besitz des IS.

en 6. Waffenlieferung wirken eskalierend Der Ruf nach Waffen ist eine häufige reflexhafte Reaktion auf Gewalt und Aggression, doch Gewalt führt zu Gegengewalt. Auch die Gewalt durch Waffenlieferungen wird weitere Gewalt hervorrufen und in eine Eskalationsspirale führen, die in der aktuellen Situation in einem Atomkrieg enden könnte.

Information

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Waffen befeuern und verlängern Konflikte

Waffenlieferungen lösen keine Konflikte. Vielmehr verschärfen sie die Lage und verlängern den Krieg. Das zeigen auf drastische Weise u. a. die Kriege in Afghanistan, dem Irak, Syrien, Libyen und im Jemen. Sie hinterlassen Hunderttausende von Opfern, zerstörte Städte und ein Machtvakuum, in dem weder staatliche noch traditionelle Institutionen den Menschen Sicherheit gewährleisten. Sechs Risiken und Nebenwirkungen von Waffen bzw. Waffenlieferungen erläutert dieser Flyer. A4 doppelseitig – Versand gegen Portokosten Bestellen unter: shop.ippnw.de Selbst ausdrucken: ippnw.de/bit/waffen

15.6. online: Atomwaffentest, Atomwaffeneinsatz – bekannte und mögliche Folgen. Mit Christoph von Lieven, Greenpeace 21.-23.6. in Wien: Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag

JULI

1.–3.7. in Hamburg: Hamburg Tribunal zu Rüstungsexporten 6. oder 7.7. voraussichtlich Aktion zur Taxonomie in Strasburg 5.-10.7. IPPNW-/ICAN-Aktionstage in Büchel. Infos unter: buechel.nuclearban.de 16.7. Konferenz „Preparing for permanent crisis? Critical perspectives on Global Health Security“ in Berlin 6. und 9.8. bundesweit: Hiroshimaund Nagasaki-Gedenktage

Aufkleber und Banner Aufkleber „No War“, Versand gegen Spende — Transparente „Atombomber nein danke“ und „No War. Sicherheit geht nur gemeinsam“, je 3 x 1 Meter. Preis: je 45,- Euro zzgl. Versand. Bestellen unter: shop.ippnw.de

AUGUST 8.-12.8. in Wolfenbüttel Sommerakademie „Atomares Erbe“ Weitere Infos unter: atommuellreport.de

SEPTEMBER/OKTOBER GEPLANT Das nächste Heft erscheint im September 2022. Das Schwerpunktthema ist:

10.9. Vortrag: Medizin im Nationalsozialismus. Mit Dr. Till Bastian, Landsberg / Lech 30.9.-15.10. Besuch aus Diyarbakir in Berlin und Köln

Erste Staatenkonferenz in Wien Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 171 / September 2022 ist der 31. Juli 2022. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS Herausgeber: Internationale Ärzt*innen für die

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete

Verhütung des Atomkrieges, Ärzt*innen in sozialer

Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung

Verantwortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland

der Redaktion oder des Herausgebers. Nach-

Redaktion: Ute Watermann (V.i.S.d.P.), Angelika

drucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

Wilmen, Regine Ratke

Redaktionsschluss für das nächste Heft:

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum,

31. Juli 2022

Körte­straße 10, 10967 Berlin,

Gestaltungskonzept: www.buerobock.de,

Tel.: 030 6980 74 0, Fax 030 693 81 66,

Layout: Regine Ratke; Druck: DDL Berlin

E-Mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de,

Papier: Circle Offset, Recycling & FSC.

Bankverbindung: GLS Gemeinschaftsbank

Bildnachweise: Fotos: privat oder IPPNW.

IBAN: DE 23 4306 0967 1159 3251 01,

Weitere Informationen unter: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

anmelden: OKTOBER 21.–23.10. Nürnberg Sechster Kongress Medizin & Gewissen LebensWert Programm & Anmeldung: medizinundgewissen.de

BIC: GENODEM1GLS Das Forum erscheint viermal jährlich. Der Bezugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag 33


Videostill: Democracy Now! / CC BY-NC-ND 3.0 US

GEFRAGT

6 Fragen an … Yurii Sheliazhenko

Friedensforscher, Pädagoge, Aktivist – Sekretär der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung

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Können Sie bitte beschreiben, wie Sie die aktuelle Situation sehen? Der völkerrechtswidrige Einmarsch Russlands in die Ukraine ist Teil einer langen Geschichte von Beziehungen und Feindseligkeiten zwischen beiden Nationen, und er ist auch Teil eines langjährigen globalen Konflikts zwischen dem Westen und dem Osten. Um ihn vollständig zu verstehen, sollten wir Folgendes im Gedächtnis behalten: Kolonialismus, Imperialismus, Kalter Krieg, neoliberales Vormachtstreben und Aufstieg von reaktionären Möchtegern-Anführern. Was Russland und die Ukraine betrifft, so ist das Entscheidende an diesem obszönen Kampf [..] der überholte Charakter beider politischer und militaristischer Kulturen: In beiden gibt es die Wehrpflicht und ein System militärisch-patriotischer Erziehung anstelle staatsbürgerlicher Bildung. Deshalb bezeichnen sich die Kriegstreiber auf beiden Seiten gegenseitig als Nazis. Mental leben sie noch in der Welt des „Großen Vaterländischen Krieges“ der UdSSR und der „ukrainischen Befreiungsbewegung“ [...].

stützte der Westen die Militäroperation der Ukraine im Donbass, wo die Verstöße gegen den Waffenstillstand ihren Höhepunkt erreichten. In den Tagen vor der russischen Invasion wurden fast täglich Zivilist*innen auf beiden Seiten getötet und verwundet, sowohl in den von der Regierung kontrollierten als auch nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten.

Gibt es in diesem Konflikt Details, die der westliche Öffentlichkeit nicht so bekannt sind? Eine besondere Rolle spielt die ukrainische Diaspora in Amerika, die nach den beiden Weltkriegen stark wuchs. Westliche Geheimdienste rekrutierten während des Kalten Krieges Agenten in dieser Diaspora, um nationalistische Gefühle für die Aufstachelung gegenüber der UdSSR zu nutzen. Es entstand eine mächtige Lobby mit Verbindungen zur Ukraine und interventionistischen Ambitionen. Nach dem Fall der UdSSR beteiligte sich die westliche Diaspora aktiv am Aufbau der Nation.

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Können Sie Beispiele dafür geben? Die russischen Falken etwa profitieren von der internationalen Isolation Russlands, weil diese eine militärische Mobilisierung bedeutet und alle öffentlichen Ressourcen nun in ihren Händen liegen. Im Westen hat der militärische Komplex die Regierung und die Zivilgesellschaft korrumpiert – Rüstungsfirmen profitieren stark von der Militärhilfe für die Ukraine: Die Konzerne Thales (Javelin-Raketen), Raytheon (Stinger-Raketen) und Lockheed Martin (Vertrieb von Kampfjets) haben enorme Gewinn- und Börsenwertsteigerungen erlebt.

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Wie sieht es mit der Demokratie in der Ukraine aus? Am 24. Februar begann Putin seine brutale und illegale Offensive, die, wie er sagt, auf die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine abzielt. Im Ergebnis scheinen sich sowohl Russland als auch die Ukraine immer stärker zu militarisieren und immer extremistischer zu werden – und niemand ist bereit, das zu ändern. Die herrschenden Autokraten und ihre Anhänger*innen in beiden Ländern profitieren vom Krieg, ihre Macht wird gestärkt, und sie haben viele Möglichkeiten zur persönlichen Bereicherung.

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Ist der Frieden mit Russland in der Ukraine derzeit ein Thema? Ja, auf jeden Fall. Präsident Selenskyj wurde 2019 gewählt, weil er versprochen hatte, den Krieg zu beenden und über den Frieden zu verhandeln, aber er brach diese Versprechen und begann, die prorussischen Medien und die Opposition zu unterdrücken. Gleichzeitig verstärkte die NATO ihre Militärhilfe und ihre Atomübungen. Putin leitete seine eigenen Atomübungen ein und verlangte vom Westen Sicherheitsgarantien, vor allem die Blockfreiheit der Ukraine. Statt aber solche Garantien zu geben, unter-

Was kann ein Pazifist tun, wenn sein Land angegriffen wird? Zuallererst sollte ein Pazifist Pazifist bleiben und auf Gewalt weiterhin mit gewaltfreiem Denken und Handeln reagieren. Man sollte alle Anstrengungen unternehmen, friedliche Lösungen zu suchen und zu unterstützen, der Eskalation zu widerstehen und sich um die Sicherheit anderer sowie der eigenen Person zu kümmern.

Auszug aus dem Interview mit Oleg Bodrov und Yurii Sheliazhenko unter www.ipb.org. Die Fragen stellte Reiner Braun. 34


Auswahl aus dem Vortragsprogramm 6. Internationaler IPPNW-Kongress Medizin & Gewissen:

LebensWert 75 Jahre Nürnberger Ärzteprozess und Nürnberger Kodex Nürnberg, 21. – 23.10.2022

Freitag, 21.Oktober 17:00 - 17:45 Uhr Nürnberger Ärzteprozess und Nürnberger Codex Prof. Paul Weindling, Medizinhistoriker, Oxford 17:45 - 18:30 Uhr The Nuremberg Trail and Codex – Origin Effect and Future Applications to Medicine and Public Health Prof. George Annas, Zentrums für Gesundheitsrecht, Ethik und Menschenrechte an der Boston University School 19:30 - 20:15 Uhr Ein Gesundheitskonzept für Erde und Mensch Prof. Sabine Gabrysch, Institut für Public Health der Charité, Berlin 20:15 - 20:35 Uhr Abrüsten für die Gesundheit – Sicherheit neu denken Dr. Angelika Claußen, IPPNW

Samstag, 22. Oktober 9:00 - 9:30 Uhr Klima und Militär – Klima und Krieg Jacqueline Andres, Informationsstelle Militarisierung (IMI) 9:30 - 10:00 Uhr Gesundheit ist ein Menschenrecht Prof. Gerhard Trabert 10:00 - 10:30 Uhr Global Health zu und nach Zeiten der Pandemie Thomas Gebauer, Stiftung medico international 10:30 - 11:00 Uhr Hippokrates for Sale – Kommerzialisierung der Medizin Dr. Bernd Hontschik, Chirurg und Publizist 11:30 - 16:00 Uhr Diskussionsforen 16:30 - 17:15 Uhr Wissenschaftliche Retrospektive zur Pandemie – Was war evidenzbasiert? Prof. Gerd Antes, Medizinstatistiker

18:00 - 18:15 Uhr Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben Eckart von Hirschhausen, Arzt, Fernsehmoderator, Kabarettist

Sonntag, 23. Oktober 9:00 - 9:45 Uhr Physicians and torture: From Nuremberg to Guantanamo Prof. Sondra S. Crosby, Boston University 9:45 - 10:20 Uhr Rassismus im Gesundheitswesen Prof. Ilhan Ilkilic, Istanbul 10:20 - 11:00 Uhr Bürgerrechte in Zeiten von Pandemien? Prof. Dr. Volker Roelcke, Medizinhistoriker und Hochschullehrer 11:30 - 12:30 Uhr Medizin und Umwelt: Wie viel Gesundheit kostet die Umweltbelastung durch die Medizin? Sylvia Hartmann, KLUG und Dr. Christian Schulz, KLUG

17:15 - 18:00 Uhr Ethik in der Pandemie Prof. Andreas Frewer

Weitere Infos & Anmeldung: medizinundgewissen.de


ICAN DEUTSCHLAND

2017 NOBEL PEACE PRIZE

IPPNW- und ICANAktionscamp Büchel 5. – 10. Juli 2022 Nur eine Welt ohne Atomwaffen wird eine sichere Welt. Wir protestieren gegen den Atomwaffenwahn und für den Verbotsvertrag! Sei dabei! Wir fordern von der Bundesregierung: • Deeskalation und Abrüstung • den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag • den Einsatz für eine gemeinsame Sicherheit in Europa und • den Abzug der US-Atombomben aus Büchel endlich auf den Weg zu bringen! Bis heute sind in Büchel 20 US-Atombomben stationiert, die von deutschen Bundeswehrsoldat*innen im Rahmen der nuklearen Teilnahme eingesetzt werden können. Anstatt den Bundestagsbeschluss von 2010 umzusetzen und sich für den Abzug dieser einzusetzen, will die Bundesregierung Milliarden in die Beschaffung neuer F35-Atombomber investieren. Zudem sollen ab

2023 die Bomben in Büchel durch moderne, lenkbare Bomben mit variabler Sprengkraft ersetzt werden. Das macht ihren tatsächlichen Einsatz erheblich wahrscheinlicher. Laut US-Nukleardoktrin wäre ein angeblich „begrenzter Atomkrieg“ gegen Russland mit Atomwaffen geringer Sprengkraft durchaus führbar. Ein Atomkrieg auf europäischem Territorium, weit weg von den USA, aber mit verheerenden Folgen für Europa? Nicht mit uns! Vom 5.-10. Juli 2022 wollen wir vor Ort in Büchel – gemeinsam mit vielen anderen Menschen – unsere Forderungen und unseren Protest deutlich machen: mit Workshops, Aktionen, Musik und Tanz. Wir wollen die Atomwaffenproblematik weiter in die Öffentlichkeit tragen und bei den politisch Verantwortlichen ein Umsteuern bewirken. Willst Du auch, dass Deutschland atomwaffenfrei wird? Dann bist Du bei unserem Aktionscamp genau richtig! Wir, als politisch engagierte und kulturbegeisterte Leute, wollen mit viel Kreativität zeigen, wie wichtig gerade in der heutigen Zeit die Abschaffung von Atomwaffen ist. Also los, sei dabei und verbring mit uns ein paar spannende Sommertage für eine atomwaffenfreie Welt!

Bitte melde Dich möglichst bald an, damit wir das Camp gut planen können!

Infos & Anmeldung: buechel.nuclearban.de


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