ErfahrungsSchatz - Der Ratgeber für die reife Generation | Mai 2018

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Sommer 2018

Graben wie die Altvorderen

Dr. Schreber war nie in einem Schrebergarten – Geschichten, die das Deutsche Kleingärtnermuseum erzählt Tirilieren, Tschilpen, •Kreischen. Noch ehe die

Morgendämmerung das Nachtschwarz vertreibt, erklingt ein Konzert. Der Rotschwanz beginnt, Amsel und Kohlmeise stimmen ein. Ganz in der Ferne – so scheint es – schwillt das Dröhnen der Großstadt an. Leipzig erwacht. Allein dieser ZwitscherWecker lässt manchen das Bett im Schlafzimmer mit der Liege im Mini-Häuschen tauschen. Und dass es da kein Bad gibt, sondern einen Wasserhahn beim Zaun und ein Hüttchen mit Camping-Toilette hinter den Sträuchern – was macht’s? Ländliche Idylle eine Viertelstunde Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt – der Kleingärtnerverein „Dr. Schreber“. Um die 170 Quadratmeter klein sind die Grundstücke durchschnittlich. Bei vielen umrankt ein grüner Bogen die Pforte, an der manchmal eine kleine Glocke hängt. Wer nach den Vorschriften wirtschaftet, teilt sein Areal in höchstens ein Drittel für Laube und Terrasse, ein Drittel Wiese und mindestens ein Drittel Anbaufläche. Der Vorstand wirft schon mal einen Blick über die Zäune, um die Gemeinnützigkeit für den Verein zu behalten. Aber irgendwas bauen alle an: Beeren zum Naschen oder für den Rumtopf, Möhren hundertprozentig bio für den Babybrei oder Kräuter und Tomaten für den abendlichen Salat wachsen auf den winzigen Beeten. Vor allem aber blühen Blumen. Die ersten, die morgens durch das Tor kommen, sind jene, die hier angestellt sind: die Leiterin und die Mitarbeiter des

Laubengarten im Deutschen Kleingärtnermuseum Deutschen Kleingärtnermuseums, gefolgt vom Team der Gaststätte. Der Museumsgärtner beginnt seine Runde. Im Laubengarten öffnet er die Türen der vier Holzhäuschen. Dann beackert er die anderen ihm anvertrauten historischen Gärten: den nach Vorbildern aus der Zeit um 1900 mit exakt angelegten Beeten und den „DDR-Garten“, der das Laubenpieperdasein der Siebziger und Achtziger zeigt. Dass es hier ein Museum gibt – das weltweit einzige seiner Art – hängt mit der Geschichte des Vereins zusammen. Dies ist die älteste Schrebergartenanlage der Welt und steht unter Denkmalschutz. Wobei der Leipziger Namensgeber Dr. Schreber nie hier war, sondern die Gründungsväter nur seinem Vorbild folgten. Die Ursprünge der Bemühungen, den Kindern in der durch die Industrialisierung immer enger werdenden Großstadt etwas Grün zu bieten, lagen beim Schuldirektor Dr. Ernst Innocenz Hauschild. Drei Jahre nach dem Tod Schrebers, also anno 1864, legte er am Johannapark eine große Spielweise an und nannte den Verein „Schreber-

platz“. Der Lehrer Karl Gesell wollte 1868 den Kindern in selbst zu pflegenden Beeten die Natur nahebringen. Seine Schützlinge allerdings zeigten wenig Begeisterung und notgedrungen packten deren Eltern mit an. Es entstanden die „Schrebergärten“. Doch die städtischen Bebauungspläne für der Westvorstadt sahen etwas anderes vor. Der Verein musste umziehen und am 21. Mai 1876 wurde der „Schreberplatz“ der Westvorstadt, heute Anlage des Kleingärtnerver-

eins „Dr. Schreber“ eröffnet. Im Museum hat die Leiterin, Diplom-Museologin Caterina Paetzelt, gerade eine neue Sonderausstellung eingerichtet: „Stadt+Grün. urban gardening“ heißt die. Ansonsten erkennen die Besucher, vor allem die Älteren unter ihnen, wieder, was sie ans Gärtnern ihrer Kindheit erinnert: Zeitschriften und Werkzeuge, Plakate und Fotos. Natürlich habe sie auch noch offene Wünsche: „Alte Samentütchen könnten wir gut gebrauchen. Und Fotos aus dem Gartenalltag und dem Vereinsleben der vergangenen 150 Jahre, möglichst mit Informationen, was auf den Bildern zu sehen ist. Dabei geht es uns um die Kleingartenbewegung insgesamt. Nicht nur um den hiesigen Vereine.“ In dem hat übrigens auch Caterina Paetzelt eine Parzelle. Sie gehört zu denen, die das Durchschnittsalter der Vereinsmitglieder in den vergangenen Jahren weit unter die 60 fallen ließen. Der

Verein hat 152 Gärten und keiner davon ist unverpachtet. „Das liegt weniger an unserer Rolle als Denkmal, sondern an der Lage fast in der Innenstadt. Draußen am Stadtrand, wo die Anlagen manchmal auch keinen Strom und keine Wasserleitung haben, da gibt es ziemlichen Leerstand.“ Aber unabhängig davon, ob sie hier ein Gärtchen pflegen, hereinkommen dürfen alle Naturfreunde, sich in den Biergarten

oder in das Restaurant setzen, ihre Kinder über die Wiese toben oder an den historischen Spielgeräten turnen lassen. Und natürlich das Museum im Vereinshaus und die drei Museumsgärten besuchen. Wenn die Sonne dann untergeht, ziehen die Kleingärtner mit Sack und Pack und Fahrrädern wieder durchs Tor. Der eine oder andere aber bleibt bis zum morgendlichen Gezwitscher. mhz

Kleingärtner bei der Arbeit im Verein „Dr. Schreber“ Fotos: Volkmar Heinz

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In Leipzig grünen und blühen 278 Kleingartenanlagen mit über 39.000 Parzellen. Sie dehnen sich auf einer Fläche von circa 1240 Hektar und bilden damit fast ein Drittel des Grüns der Stadt. Mit rund sechs Parzellen auf einhundert Einwohner, so hat es der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde ausgerechnet, ist Leipzig so was wie die Hauptstadt der Kleingärtnerei. Zum Vergleich: Auf einhundert Einwohner kommen in Dresden 4,4, in Hannover 3,8 und in keiner anderen großen Stadt mehr als drei Gärten. Deutsches Kleingärtnermuseum, Aachener Straße 7, 04109 Leipzig, Tel. 0341 2 11 11 94, Mail: kleingaertnermuseum@t-online.de, Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag jeweils 10 bis 16 Uhr, Sommeröffnungszeiten: Juni bis August zusätzlich am Samstag und Sonntag 10 bis 16 Uhr

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Servicenummer: 0800 3233 800 (gebührenfrei) www.johanniter.de/hausnotruf


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