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Deko zum Essen S
Autorin Lucy Hutchings prüft ihre Anpflanzungen
Balkon und Garten sind gestern: Auch innerhalb der eigenen vier Wände lassen sich stilvoll Kräuter, Gemüse und Früchte anbauen. Lucy Hutchings erklärt in ihrem neuen Buch „Get Up and Grow“, wie es geht.
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Die Welt braucht mehr Eigeninitiative, soviel steht fest. Denn praktisch alles, was wir selber machen, selber produzieren, verbraucht prinzipiell deutlich weniger Ressourcen als das fertig gekaufte Pendant – in Zeiten der Klimakrise kein schlechter Ansatz. Das gilt natürlich insbesondere für die natürlichste Form der Selbstversorgung, dem Anbau von Lebensmitteln.
Endlose Quadratmeter Balkon- und Gartenflächen werden von Frühling bis Herbst mit Tomaten, Minzen und anderem Grünzeug zugestellt und von den grünen bis braunen Daumen der Nation gepflegt – manchmal bis zum Tode. Dabei reduzieren sie fleißig ihre persönlichen „Food Miles“ und damit den CO2-Verbrauch. Aber was machen all diejenigen unter uns, die nicht über den Luxus einer eigenen Anbaufläche verfügen? Bloß nicht verzagen, sagt Lucy Hutchings. Der Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse funktioniert genauso gut drinnen. Und sorgt dabei noch für ein stilvolles Ambiente.
In dem soeben im at Verlag erschienenen Ratgeber „Get up and grow“ beschreibt die Britin, wie man sein Wohnzimmer in ein Garten Eden verwandelt. Wer dabei an die immer gleichen Büropflanzen denkt und sich unter „essbar“ höchstens ein paar Kressepflänzchen vorstellen kann, liegt weit daneben. Anbauen kann man so gut wie alles: heimische wie exotische Obstsorten von Pflaume bis Maracuja, alle mögliche Gemüse- und Kräuterarten, feine Gewürze sowie essbare Blüten und Zimmerpflanzen. Das hängt auch ein wenig davon ab, in welcher Himmelsrichtung das Fenster liegt oder ob man die Muse hat, eine kleine Vollspektrum-LED-Lampe auf Amazon zu bestellen. Neben dem Licht basiert der Innenanbau auf denselben Grundlagen wie draußen: ein gutes Substrat und eine ausreichende Wasser- und Nährstoffversorgen. Doch die Autorin hat noch ein paar Tricks mehr auf Lager.
Lucy Hutchings ist kein Kind von Bio-Farmern, der die Arbeit mit Pflanzen in die Wiege gelegt wurde. Die heutige Bloggerin war einst in der kaum ökologischen Welt der Mode zu Hause. Nebenbei baute sie jedoch immer zu Hause Lebensmittel an und machte fleißig Bilder von ihren Erfolgen. Als sie auf Instagram den Account @shegrowsveg startete und ihr Hobby öffentlich präsentierte, wurde sie unter Selbstversorgern schnell zu einem Star. Den Erfolg verdankt sie unter anderem ihrem Gespür, ästhetisches
mit praktischem zu verbinden: „Vielleicht fiel es mir auf, weil ich Quereinsteigerin bin und einen Design-Hintergrund habe“, schreibt sie in „Get Up and Grow“. „Es gibt kaum Berührungspunkte zwischen der Ziergärtnerei, Zimmerpflanzen-Fans und der Selbstversorgungsszene.“ Genau hier setzt Hutchings an: „Ästhetik hat für mich einen hohen Stellenwert, und ich bin fest davon überzeugt, dass Schönheit und eine reiche Ernte nicht unvereinbar sind.“
Dann heißt es endlich: „Bye bye verschrumpeltes, um die halbe Welt geflogenes Supermarkt-Gemüse!“ In unserem Magazin Gastro-CityGuide haben wir auf die Problematik bereits mehrfach hingewiesen: Der weltweite Transport von Lebensmitteln ist ein Klimakiller bedrohlichen Ausmaßes. Bewusste Konsumenten sollten sich am besten an die Dreifaltigkeit der ökologischen Ernährung halten – saisonal, regional und vegetarisch. Der Innenanbau nach Hutchings erfüllt die letzten beiden Kriterien und ist dazu unabhängig vom ersteren, denn zu Hause kann das ganze Jahr über gepflanzt werden. Nachdem sich der Leser durch die (dringend erforderlichen) Basics im Buch gekämpft hat, steht ihm eine ganze Palette kreativer Projekte zur Auswahl, die den Traum von der Selbstversorgung näher rücken lassen und gleichzeitig die Inneneinrichtung verschönern. Fairerweise eingestuft in Schwierigkeitsgraden.
Wie wäre es beispielsweise mit dem Kokedama-Zitrusgarten (siehe Bild rechts oben) oder dem Essbaren Terrarium für den Anbau von Ananas und Vanille? Das sieht zwar toll aus, gilt aber als tricky und ist zugegeben nicht der beste Einstieg für eine Wohnung voller wachsender Lebensmittel. Lieber erst einmal klein anfangen, etwa mit dem hängenden Fenster-Kräutergarten, den selbstbewässernden Töpfen, der rollenden Salatbar oder den Microgreens (Keimlingen). Danach sollte man sich langsam aber sicher an die mittelschweren Projekte ran wagen: Hydroponik-Kulturen, die Schreibtischfarm oder der Mobile Wandgarten. Mal muss mehr, mal muss weniger gebastelt werden. Dabei helfen detaillierte und leicht verständliche Illustrationen zu den einzelnen Arbeitsschritten sowie eine Auflistung der wichtigsten Bezugsquellen für das überschaubare Equipment. Insgesamt stecken genug Herausforderungen in Hutchings Buch, um längerfristig beschäftigt zu sein. Die entspannende, beinahe meditative Wirkung der Gartenarbeit entfaltet sich innerhalb der Wohnung übrigens genauso gut wie außerhalb.
Ein kleiner, aber besonders interessanter Wissensschatz findet sich am Ende der Lektüre: Essbare Zimmerpflanzen. Hutchings hat schmackhafte Alternativen zu populären Zimmerpflanzen aufgelistet, die jeden Raum kulinarisch bereichern. Statt Sukkulenten einfach mal eine Agave anpflanzen, anstelle von Kakteen einen Feigenkaktus ausprobieren. Mit „Get Up and Grow“ scheint alles möglich zu sein. Wer eine einfache bis anspruchsvolle Art der Selbstversorgung im eigenen Zuhause sucht, ist mit Hutchings definitiv an die richtige Adresse geraten. Dann heißt es in Zukunft vielleicht öfter mal „Schatz, reich mir bitte die Fernbedienung rüber. Und pflück‘ mir grad noch ne Zwergbanane ab!“
Fotografie © Filippa Langley, AT Verlag / www.at-verlag.ch