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Wiesbaden-Biennale S. 0 „Stell dir Vor ...“ S. 6 Frank Stella S. 7 Worte, Wasser & Wein S. 8 Theaterdonner S
In Darmstadt grassiert das „Saturday Night Fever“ in der Disco „Odyssey“ und ist äußerst ansteckend. Das Ensemble um Hauptdarsteller Alexander Klaws als egozentrischer Disco-King Tony (Mitte) und die fulminant rockige Röhre Beatrice Reece (schwebend) wird gefeiert.
Wallenstein mit Abraham und drei Schwestern im Saturday Night Fever
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TheaterDonner auf den Bühnen in Wiesbaden und Darmstadt
Wenn Abraham mit den furiosen Drei auf Lohengrin trifft, stecken sich drei Schwestern bei Don Carlo mit dem Saturday Night Fever an. Auf diversen Brettern der Region wird Sehenswertes geboten - unter aktuellen Pandemieregeln.
Blick nach Wiesbaden
„Geben Sie Gedankenfreiheit!“ fordert Posa (Aluda Todua) vom hartleibigen König Filippo II (Timo Riihonen) im spanischen Flandern mit gruseligem Inquisitor-Boss in der Kaiserloge (Young Doo Park) und Königsohn Carlo (Rodrigo Porras Garula), der unter die Haut geht. Jesus als Ketzer gekreuzigt. Flanderns Deputierte mit Fotos von Putin-Opfern wie Anna Politkowskaja und Alexej Nawalny. Furchtbar aktueller Schiller. Aufrüttelnde Premiere von Verdis „Don Carlo“ mit Cristina Pasaroiu (Elisabeth) und Alessandra Volpe als Eboli. Starke Bilder von Uwe-Eric Laufenberg. Antonello Allemandi dirigiert das Staatsorchester in Bestform. Gänsehaut in Gelb-Blau beim Schlussbeifall - der Chor singt die Ukraine-Hymne mit Chordirektor Albert Horne. Im Foyer informiert Amnesty International über Aktionen.
„Schauspiel in der Kirche“: Kürzlich irritierend intensiv als „Judas“ im Lot Vekemans-Erfolg, jetzt mit dem Eigentext „Die Erprobung Abrahams“. Schauspieler-Autor Jürg Wisbach („The Minutes“/ „Wallenstein“) bürstet Genesis 22 gegen den Strich und zeigt ein fiktives Vater-Sohn-Treffen - Jahrzehnte nach dem abgeblasenen Brandopfer des Sprösslings. Langes Grauhaar und Bademantel-Outfit im Rollstuhl, bezwingendes Wesen. Seinen Sohn Isaak (der einst seinen Hund vor dem Vater beschützte) und den Pfleger verkörpert Lars Wellings, als wandlungsfähiger Mime aus der Beilharz-Ära prägnant erinnerlich.
Zirkuspferd Caruso Cavaletto Klaus Nicola Holderbaum), Ackergaul Ottokar (Stephan Rumphorst) und Galopper Scirocco sind die „furiosen Drei“. Schauspiel-Publikumsliebling Uwe Kraus bringt als Regisseur Angela Khuon-Sieferts Stück mit dem berührend aufspielenden Ensemble in facettenreiche Bilder. Ob das Trio dem Pferdemetzger (Mark Paus) entkommt? Am 2.Juli starten die Gäule nochmal.
„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Kurze Absprache auf der Wallenstein-Bühne: Noah L. Perktold (General Dendati), Tom Gerber (Generalissimus Wallenstein) und Jürg Wisbach (Generalleutnant Octavio Piccolomini) brillieren. „Geben Sie Gedankenfreiheit“. Verdis Oper „Don Carlo“ zeigt beklemmende Parallelen zu Putins Ukraine-Krieg, der Chor überrascht im Premieren-Beifall mit der Ukraine-Hymne. Im Foyer informiert Amnesty International über aktuelle Aktionen und sammelt Unterschriften.
Sehenswert und zum Nachdenken anregend. Anton Cechov schrieb die „drei Schwestern“ als „heitere Komödie“ und zeigt dekadent-traurige Langeweile, unzufriedene Erschöpfung, kurzes Glück, Verzweiflung, philosophierende Soldaten. „Nach Moskau, nach Moskau“ oder in einer anderen Zeit leben wollen sie. Doch sie verharren, innen wie außen - auch in Uwe-Eric Laufenbergs Sicht, die dem leisen Stück sinnfreie Schrei-Attacken hinzufügt. Zum hervorragenden Ensemble zählen Lena Hilsdorf, Mira Benser & Lina Habicht als Trio, Christian Klischat, Christoph Kohlbacher, Noah L. Perktold, Uwe Kraus, Felix Strüven, Matze Vogel, Benjamin Krämer-Jenster. Beglückendes Wiedersehen mit Monika „Anfissa“ Kroll und Charakterkopf Bernd „Ferapont“ Ripken. „Hier ist kein Glanz als der von Waffen.“ Oh, wie aktuell ist Schillers „Wallenstein“, im 0jährigen Krieg „mit einem Netz verderblich …umstrickt“. Nicolas Brieger zeigt mit hochkarätiger Besetzung (oft in mehreren Rollen) ein packendes Drama an einem langen Abend. Durchhalten lohnt sich. Das formidabel aufgelegte Team um Titelheld Tom Gerber nötigt Hochachtung ab, wird gefeiert. Jürg Wisbach, Lukas Schrenk, Matze Vogel und Mathias Lamp (aus Mainz gut erinnerlich) sowie der furiose Hanno Friedrich, Christian Klischat, Noah L. Perktold, Matze Vogel und Sybille „Gräfin Terzky“ Weiser nebst Wallenstein-Tochter Maria Wördemann berühren. Bernhard Moshammer überzeugt als Bänkelsänger mit Kreisler-Charme.
Blick nach Darmstadt
Schwert trifft Smartphone. Zweimal verschoben, aber ganz große Oper: Andrea Moses wird für ihre großartig aktualisierte Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ samt kompletter Gralserzählung als selten gehörter Rarität umjubelt. Der grandiose Abend zeigt Lug & Trug, manipulative Macht und den para-religiösen Schwanenritter als Politprofi im halbrunden Plenum (Bühne Christian Wichle). GMD Daniel Cohen, das beseelt musizierende Staatsorchester und die Chöre beweisen Klasse. Fulminante Leistungen bietet das Ensemble. Peter „Lohengrin“ Sonn, KS. Kathrin „Ortrud“ Gerstenberger, „Heerrufer“ Julian Orlishausen, „Telramund“ Johannes Schwärsky und „König“ Johannes Seokhoon Moon trumpfen klangschön auf. Ein Genuss. Ansteckend ist der Musical-Boom („Flashdance“/„Footloose“) in Darmstadt. Es grassiert das „Saturday Night Fever“, in der Brooklyn-Disco Odyssey darf getanzt werden. Das Publikum ist elektrisiert. Till Kleine-Möller setzt den Kultfilm in der tüchtig rotierenden Drehbühne von Maria Reyes Pérez und stilgerechten Kostümen von Jose Luna gekonnt in Szene. Dirigent Michael Nündel sorgt mit kleiner Besetzung für funkig-souligen Bigband-Sound. Das Ensemble um Alexander „Tony Manera“ Klaws und Beatrice Reece, Livio Cecinei, Janina Moser & Marije Maliepaard ist Broadwaywürdig. Choreograf Timo Radünz zitiert auch mal John Travolta. Das Hessische Staatsballett in Höchstform: Der herausragende Doppel-Abend „What we are made of“ reißt mit den absolut gegensätzlichen Choreografien „Untitled black“ von FAUST-Preisträgerin Sharon Eyal/Gai Behar - Musik Ori Lichtig, Licht Avi Yona „Bambi“ Bueno - sowie „Timeless“ von Xie Yin mit Streichquartett und Klavier zu Begeisterungsstürmen hin. Ein echtes Schmankerl!
Text und Fotos: Gesine Werner
„Die Erprobung Abrahams“ als berührendes Schauspiel von Jürg Wisbach in der Heilig Geist-Kirche: „Isaak“ Lars Wellings zeigt seinem Vater Abraham (Jürg Wisbach) die alte Hundebiss-Wunde am Arm.