ADATO #1_2019 Architecture and Painting

Page 74

74

08

PA M AI N LE TR I NEG I

ADATO

Eine kurze Geschichte über die Symbiose zwischen Architektur und Malerei.

Anna-Maria Tupy

Die Entwicklung der Steinbauten und ihre Ausschmückung mit kostbaren Gesteinsarten besitzen keinen festlegbaren Zeitpunkt. Wohl kann man den Ursprung möglicherweise in die Steinzeit verzeichnen. Denn bereits um 8500 v. Chr. wurde in Anatolien auf dem nahe der syrischen Grenze gelegenen Hügel Göbekli Tepe eine Tempelanlage bestehend aus sieben Meter hohen Stelen aus Kalkstein aufgestellt, in die Künstler Tierfiguren graviert haben. Auch später im alten Ägypten waren die Pyramiden als religiöse Grabstätte der Pharaonen die ersten Steinbauten, während die meisten Menschen noch in Lehmhäusern wohnten. Am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. werden große Palastanlagen errichtet, wie zum Beispiel der Palast von Knossos auf der Insel Kreta. Von da an verlaufen die Entwicklung und der Ausbau von öffentlichen Gebäuden und Plätzen sowie privaten Wohnhäusern in Stein parallel in den unterschiedlichen Kulturen ab. Besonders schöne Beispiele findet man im antiken Griechenland. Vorzugsweise wurde weißer und bunter Marmor für die Verkleidung von Wänden, Fußböden, Decken, Säulen und Interieur verwendet. Oftmals gestalteten sich jedoch die Beschaffung und der Transport von echtem Marmor von den lokalen oder ausländischen Steinbrüchen zum Bauwerk entweder schwierig oder sie war mit immensen Kosten verbunden, die sich nur sehr wohlhabende Leute leisten konnten. Zudem war man mit der Auswahl an heimischen Marmor auf eine gewisse Farbauswahl und Musterung beschränkt, sodass andersartiger Marmor in der Phantasie sozusagen kreiert wurde. Bei der Ausgestaltung von Innenräumen wurden gerne solche Phan-

tasie-Marmore gezeigt, indem sie in den frischen Putz (ital. „al fresko“) gemalt wurden. Viele Bürger besaßen in ihren Häusern keine Wandverkleidung in Marmor, weshalb die Wandmalerei und die Imitation von Marmor eine wichtige Rolle spielte. Meist fehlte auch das Geld beim Wiederaufbau nach einem Erdbeben oder einer kriegerischen Auseinandersetzung, weshalb fehlende Bereiche mit Mörtel neu verputzt und künstlich marmoriert wurden. Im Folgenden wird näher auf die künstliche Marmorierung in der bildenden Kunst von der Antike bis in die heutige Zeit eingegangen, wobei der Fokus auf die Maltechnik und deren Wirkung gelegt ist. Ausgehend von den Wandputztechniken im alten Ägypten, die die Grundlage der römischen Wandmalerei bilden, wird über die freskale Scheinarchitektur der Renaissance erzählt. Die Hochblüte der Illusion wurde im Barock durch die Gestaltung mit Stuckmarmor, einer Imitationstechnik von Marmor mit eingefärbten Leim-Gips-Massen, erzielt. Aufgrund seiner häufigen Verwechslung mit echtem Marmor wurde er auch gerne zur Ausgestaltung der Ringstraßenbauten in Wien verwendet, worauf am Ende dieses Textes eingegangen wird. Dabei kann die große Anzahl an verschiedenen Kunsttechniken dazu verleiten, den Überblick zu verlieren. Da all die hier besprochenen Imitationstechniken den Baustoff Gips und/oder Kalk gemein haben, verschmelzen die Gattungsgrenzen ineinander. Aus diesem Zusammenhang beeinflussen und bedingen sich die einzelnen Kunstformen einander.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.