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MENSCHEN IM PORTRAIT

BERNADETTE ELLEMUNTER MAYR Was Frauen bewegt

Eine Frau möchte ihren Mann verlassen, hat aber kein Geld, sich eine eigene Wohnung zu nehmen. Die Kinder kommen in die Pubertät und die Mutter weiß sich nicht mehr zu helfen. Der Mann ist spielsüchtig: Es sind Geschichten und Sorgen wie diese, hier nur beispielhaft aufgezählt, mit denen Frauen sich an den „Verein Frauen helfen Frauen Bruneck“ wenden – und Unterstützung erfahren. Bernadette Ellemunter Mayr steht dem Verein seit vier Jahren vor. Im Interview erzählt sie, warum es manchen immer noch schwerfällt, Hilfe anzunehmen, was sich in den 35 Jahren seit der Gründung verändert hat und wie auch nur kleine Schritte etwas zum Besseren verändern können.

PZ: Frau Ellemunter Mayr, gab es ein

Schlüsselerlebnis, das Sie zu Frauen helfen Frauen gebracht hat?

Bernadette Ellemunter Mayr: Ich bin als einziges Mädchen mit fünf Brüdern aufgewachsen, deshalb war ich mir nicht sicher, ob ich mich in einer Frauengruppe wohlfühlen würde. Dabei klappte es bei dem Verein Frauen helfen Frauen Bruneck von Anfang an gut. Es gab nicht das eine Schlüsselerlebnis, das mich zum Verein gebracht hat. Ich habe mich immer schon für die Geschichten von Menschen interessiert. Schon früher haben sich mir Bekannte oft anvertraut und mir vieles erzählt. Ich höre gerne zu, und es erfüllt mich, dass ich etwas bewirken kann.

Wann ist eine Beratung für Sie erfolgreich?

Wenn eine Frau zu uns kommt, sich zunächst gar nicht traut ihre Geschichte zu erzählen, dann Vertrauen gewinnt und unseren Beratungsraum mit einem kleinen Gefühl der Erleichterung verlässt, freut uns das sehr. Auch kleine Schritte sind wichtig und können etwas bewirken.

Beim Namen Frauen helfen Frauen denken viele gleich an Frauen, die sich vor gewalttätigen Partnern schützen müssen…

Wir haben 20 Jahre den Frauenhausdienst und die geschützten Wohnungen geführt. Ende des Jahres 2015 haben wir die Konvention an die Bezirksgemeinschaft zurückgegeben, werden damit aber immer noch in Verbindung gebracht.

Der Verein Frauen helfen Frauen wurde 1986 in Bruneck gegründet. Wie haben sich die Themen in den vergangenen 35

Jahren verändert?

Ein paar Frauen haben damals gesehen, dass es ein niederschwelliges, also unbürokratisch und einfach zugängliches, Angebot braucht, wo sich Frauen über alle möglichen Themen, die sie bewegen, austauschen können. Dazu gehören Lebenskrisen, Partnerschafts- und familiäre Konflikte, Krankheit, Einsamkeit, Rechtsfragen, Suchtprobleme, das Leben als Alleinerziehende usw. Das Interessante ist: Diese Themen haben sich mit den Jahren eigentlich nicht großartig verändert. Nur eines ist heute anders: Es gibt viel mehr Alleinerziehende. Vor 35 Jahren waren Trennungen noch exotische Ausnahmen. Heute gehören sie zu den häufigsten Gründen für eine Beratung. Wir bieten neben unserer Beratungstätigkeit auch eine einmalige, kostenfreie und unverbindliche Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin an, die Frauen und Mädchen über ihre Rechte und Pflichten informiert.

Was sind bei einer Trennung häufige

Konfliktpotentiale?

Wenn es zur Trennung kommt, stehen Frauen oft ohne eigenes Einkommen da. Das sind ganz schwierige Situationen, in denen man sich oft alleine fühlt, und wir eine kleine Hilfestellung geben können. Es gibt auch Väter, die nach der Trennung die Verantwortung für ihre Kinder nicht übernehmen – auch da kommt es zu Konflikten und großer Belastung in der Familie. Bernadette Ellemunter Mayr, Jahrgang 1952, wächst in Bruneck auf. Die Familie ist für die Mutter von drei Kindern das Wichtigste, weshalb sie mehrmalige Nachfragen, ob sie nicht bei dem „Verein Frauen helfen Frauen” mitarbeiten möchte, ausschlägt. 1999 fängt Ellemunter Mayr an, beim Verein ehrenamtlich mitzuarbeiten. Als eine Koordinatorin für Frauen helfen Frauen Bruneck gesucht wird, nimmt sie die Stelle an. 2017 geht sie in Pension. Seither steht sie dem Verein ehrenamtlich als Präsidentin vor. //

Der Anspruch an die Frauen ist hoch, sie müssen vieles unter einen Hut bringen. Familie, Beruf, alles muss perfekt laufen. Frauen müssen sich ständig rechtfertigen. Wenn sie arbeiten, wenn sie nicht arbeiten, wenn sie Kinder haben, wenn sie keine Kinder haben. Da ist viel Druck dabei. Für Frauen aus meiner Generation ging es damals um ein Erkämpfen von Selbstständigkeit. Ein eigenes Konto war die Ausnahme. Heute ist das eigentlich selbstverständlich und doch erleben wir immer wieder Frauen, die in eine Abhängigkeit hineinrutschen.

Wie schaffen es die ehrenamtlichen

Mitarbeiterinnen, Schicksale nicht wie einen schweren Rucksack mit nach

Hause zu nehmen?

Wir machen alle immer wieder Schulungen. Dabei frischen wir nicht nur unser Wissen auf, sondern erlernen zunächst, die Frauen zu beraten, dadurch aber nicht persönlich belastet zu werden. Wir alle kommen aus unterschiedlichen Berufen und bringen unterschiedliche Lebenserfahrungen mit, das ist sehr bereichernd. Anonymität gilt nicht nur für die Frau, die zu uns kommt, sondern auch für die Mitarbeiterinnen selbst. Es werden keine privaten Nummern ausgetauscht, die Beratungen finden hier in der Zentrale in der Oberstadt statt.

Wie wichtig ist den Frauen Anonymität?

Wir sind an die Schweigepflicht gebunden. Eine Frau, die zu uns kommt, muss keinen Namen nennen. Alles, was wir besprechen, bleibt hier bei uns. Sie erzählt ihre Geschichte, und wir schauen, was sie braucht.

Wie schwer fällt es Frauen, den ersten

Schritt zu Frauen helfen Frauen zu machen?

Wir sagen den Frauen immer: Ihr dürft euch Hilfe holen, und wenn es nur ein Gespräch ist. Aber offen über seine Probleme zu sprechen, das ist nicht immer einfach. Das sehe ich als Auftrag für die Zukunft an die Gesellschaft.

Ist Hilfe suchen und annehmen in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabu?

Engagiert: Die Gründerinnen des Vereins Frauen helfen Frauen in Bruneck.

Frauen für Frauen: Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Vereins bei einem Ausflug.

Es fällt immer noch schwer. Ich denke, das hat noch mit der älteren Generation zu tun, die eine gewisse Haltung weitergegeben hat. Nach außen muss alles passen, die Fassade muss aufrechterhalten bleiben. Aber jeder Mensch hat eine Familiengeschichte. Nirgends ist alles rund. Jeder hat mit etwas zu kämpfen.

Haben Anfragen seit der Corona-Pandemie zugenommen?

Obwohl die Beratungen in der Anfangszeit des Lockdowns nicht ganz einfach umzusetzen waren, haben wir 2020 mehr Frauen betreut als im Jahr zuvor. Wenn man über lange Zeit auf engstem Raum zusammenleben muss, kann es zu schwierigen Situationen kommen. Die Pandemie hat sicher Probleme, die davor schon da waren, verstärkt.

Bei Frauen helfen Frauen können Interessierte auch ihre Patientenverfü-

gung ausfüllen. Warum ist Ihnen das als Dienst wichtig?

Wir haben eine Hausärztin, die ehrenamtlich hilft, die Patientenverfügung auszufüllen. Das Thema betrifft uns ja alle – trotzdem beschäftigen sich die wenigsten damit. Wenn jemand ins Krankenhaus eingeliefert wird und nicht mehr selbst entscheiden kann, wie und vor allem ob er behandelt werden möchte, ist es zu spät. Genau deshalb ist es wichtig, sich rechtzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ein anderes Thema, das für Frauen in einem gewissen Alter immer wichtiger wird, ist der Umgang mit digitalen Medien. Heutzutage müssen so viele Dinge online abgewickelt werden. Arztrezepte, Befunde, Vormerkung für Impfungen: Das überfordert viele. Wir machen uns fit für diese Themen und helfen den Frauen dann beim Erledigen.

Was nehmen Sie aus den vielen Jahren bei Frauen helfen Frauen mit?

Man wird demütig und zufrieden, wenn man viele Schicksale erlebt. Aus den Begegnungen mit den Frauen lerne auch ich ständig dazu. // Interview: Verena Duregger

FRAUEN HELFEN FRAUEN BRUNECK

Der Verein Frauen helfen Frauen Bruneck (FhFB) ist seit mittlerweile 35 Jahren eine wichtige Kontaktstelle für Frauen und Mädchen, die sich in schwierigen Situationen befinden oder einfach nur ein Gespräch suchen. Verschwiegenheit wird großgeschrieben: Alle Beratungen finden anonym statt. Das Angebot ist kostenlos und unbürokratisch. Das Büro in der Paul-von-Sternbach-Straße 6 liegt nur einen Steinwurf vom Ragenhaus entfernt und ist von Montag bis Freitag von 8.30 bis 11.30 Uhr geöffnet. Ab Herbst soll das Beratungsangebot auch auf den Nachmittag ausgeweitet werden. Der Verein Frauen helfen Frauen Bruneck wird vom Amt für Kinder- und Jugendschutz und soziale Inklusion der Autonomen Provinz Bozen und durch Beiträge der Stadtgemeinde Bruneck, der Bezirksgemeinschaft Pustertal, der Raiffeisenkasse Bruneck und durch private Spenden finanziert.

Eine große Hilfe ist auch die 5-Promille-Zuweisung auf der Steuererklärung zugunsten Frauen helfen Frauen Bruneck – Steuernummer: 92014600214

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