The Red Bulletin CD 03/21

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MARC AUREL

Wie gehe ich mit Stress in der Arbeit um? Die grössten Denker aller Zeiten beantworten Fragen unserer Gegenwart, übermittelt durch den Philosophen Christoph Quarch. Diesmal: Der römische Kaiser Marc Aurel verrät sein Rezept für erfolgreiches Zeitmanagement. Zeit ist ein kostbares und knappes Gut. Als ehemaliger römischer Kaiser weiss ich, wovon ich rede. Das Impe­ rium war riesig, die Kommunikationsmittel waren ­bescheiden, ich hatte zahlreiche Widersacher und war noch dazu ständig auf Reisen oder führte Krieg gegen die wilden Stämme nördlich der Donau. Arbeit über Arbeit – doch der Tag hatte genau wie heute nicht mehr als 24 Stunden. Angesichts der Überfülle meiner Pflichten und Aufgaben gab es nur ein Mittel, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen: Disziplin. Oh, ich weiss sehr gut, dass Dis­ ziplin in eurer Welt nicht gerade hoch im Kurs steht. Doch vielleicht ist ja gerade das euer Problem: dass ihr euch ablenken lasst und eure Zeit mit unnützem Zeug vertrödelt. Was «unnützes Zeug» ist, wollt ihr wissen? Unnützes Zeug ist alles, was euch davon abhält, das zu tun, was hier und jetzt zu tun ist – ohne einen Gedanken an irgendetwas anderes zu verschwenden. Mein Gott, es gibt bei euch Leute, die den lieben langen Arbeitstag ständig abgelenkt sind, mit ihren Mobiltelefonen spielen oder rumtwittern. Hätte ich mit so etwas angefangen … ich wäre keine zwei Tage im Amt geblieben. Nein, wenn man seine kostbare Lebenszeit mit geistigem Müll verplempert, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man weder seine Arbeit noch sein Privatleben auf die Reihe bekommt. Glaubt mir: Disziplin ist das Geheimnis eines guten Lebens. Und Konzentration ist das Geheimnis jedes erfolgreichen Zeitmanagements. In meinen Aufzeichnungen finde ich folgende ­Notiz: «Trachte danach, die Aufgabe, die gerade vor dir liegt, mit gesammelter Kraft und in ernster, aber unverkrampfter Würde, in Liebe zu deinem Nächsten, in innerer Freiheit und Gerechtigkeit als Römer und als Mann zu erfüllen, und verschaff dir Ruhe von allen

anderen Gedanken!» Okay, den «Römer» erlass ich euch, und den «Mann» könnt ihr von mir aus durch «Mensch» ersetzen – aber sonst sind diese Worte noch immer wahr und gültig: Liebe und Würde, denkt daran. Ebenso wahr und gültig ist mein Vorschlag, was zu tun ist, um diese disziplinierte und konzentrierte Haltung auszubilden: «Das wird dir gelingen, wenn du jede Handlung so vollziehst, als ob es die letzte deines Lebens wäre, frei von jeder Planlosigkeit, frei von Lei­ denschaft, die dich dem gesunden Urteil der Vernunft entzieht, frei von Pose und Selbstliebe, frei von Unmut über das Los, das dir das Schicksal zugedacht hat.» Ja, so einfach ist das: Räume deinen Kopf auf, und alles wird gut! Vor allem würdet ihr dieses merkwürdige Thema loswerden, das ihr Work-Life-Balance nennt – also die Frage, wie man das private und berufliche Leben ins Gleichgewicht bringen kann. Denn diese Frage stellt sich gar nicht mehr, wenn ihr immer nur eure Arbeit verrichten würdet: wohlgemerkt eure eigene, von euch gewünschte Arbeit. Wenn du einfach handeltest, ohne dich damit aufzu­ halten, darüber zu lamentieren, dass nun auch noch dieses oder jenes zu tun ist, dass dein fauler Adjutant dir schlecht zugearbeitet hat … Schluss damit, handle einfach! Greif zum mentalen Schwert und hau diese Gedankenkette durch. Zack, schon ist man wieder frei im Hier und Jetzt, ganz bei sich und nicht bei etwas, worauf man ohnedies keinerlei Einfluss hat. Gut, da die Zeit drängt, schliesse ich mit einem weiteren Zitat aus meinen Aufzeichnungen: «Wenn du dir an der gegenwärtigen Tätigkeit und der rechten Wahrhaftigkeit in Wort und Rede genügen lässt, dann wirst du glücklich leben. Es gibt niemanden, der dich daran hindern könnte.»

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war zwischen 161 und 180 Kaiser des Römischen Reiches. ­Seine Regierungszeit gilt als die letzte Blütezeit des Imperiums, gelang es ihm doch, in dem riesigen Reich inneren Frieden und Zusammenhalt zu schaffen, obwohl dessen Grenzen ­fortwährend bedroht waren. Deshalb verbrachte er den Grossteil seiner Amtszeit im Feldlager, wo er auch seine von der ­stoischen Philosophie inspirierten «Selbstbetrachtungen» ­niederschrieb. Marc Aurel starb fernab von Rom in der Grenzstadt Vindobona, heute bekannt unter dem Namen Wien.

THE RED BULLETIN

DR. CHRISTOPH QUARCH

MARCUS AURELIUS ANTONINUS AUGUSTUS (121–180)

BENE ROHLMANN

« Vielleicht ist ja das euer ­Pro­blem: dass ihr eure Zeit mit unnützem Zeug vertrödelt.»


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