The Red Bulletin CD 06/21

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GUIDE Gaming

KREATIVITÄT

Leben spielen

ALEKSEY KOLMAKOV, GRETA SANTAGATA

LOU BOYD

Würden wir alle nur etwas spielerischer an unseren Alltag herangehen, hätten wir es viel leichter, behauptet die Spieledesignerin Jana Wendler. Hier erklärt sie, wie Gamifizierung funktioniert. Angesichts einer weltweiten Krise sind Spieleautoren jetzt nicht unbedingt die Ersten, die man zu Hilfe ruft – würde man meinen. Und doch sieht es ganz so aus, als würde die Rettung der Welt nun auf eine spielerische Ebene verlagert. Gemeinsam mit der Wissen­ schaft sucht eine neue Ge­ neration von Gamern jetzt nach Antworten auf ungelös­ te Fragen: 2011 etwa ent­deck­ ten tausende Spieler des Online-­Rätselspiels «Fold­it» binnen drei Wochen die Ur­ sache einer Aids-ähn­lichen ­Erkrankung bei Affen. Zuvor war 15 Jahre lang keine Lö­ sung für das Problem ge­ funden worden. Im März diesen Jahres war die Klimakrise dran. Das Lon­ doner Festival «Now Play This» lud Naturwissenschaft­ ler, Gamer und Künstler zum Spiel. Einen der Workshops leitete die Spieleerfinderin ­Jana Wendler – ihr 2018 ver­ öffentlichtes Online-Game «Missing» widmet sich der ­Suche nach Abgängigen. Natürlich lasse sich die Klima­krise nicht in vier Tagen lösen, sagt Wendler. Aber in­ dem wir an grosse Probleme spielerisch herangehen, kön­ nen wir «alle dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen». THE RED BULLETIN

Bahnbrechend: Im Brettspiel «Ecologic», entworfen von den russischen Wissenschaftlern Marat Sabirow und Alexej Kolmakow, geht es um nachhaltigen Bergbau.

Dinge verändern ohne Konsequenzen

Grosse Entscheidungen, die uns im wirklichen Leben nicht so leicht von der Hand gehen, lassen sich im Spiel ganz ein­ fach ausprobieren, erklärt Wendler. «Da können wir Din­ ge verändern, ohne dass es in der realen Welt Konsequenzen hat. Das weckt Vertrauen in die Aktivitäten und die Arbeit ausserhalb des Spiels. Beim Spielen interagiert man mit der Welt, ihren Menschen und ihren Ideen.»

Gamifiziere deinen Tag

Bei Alltagsaufgaben Punkte zu sammeln kann die Produk­ tivität steigern. Wendler: «Vom Standpunkt der Spiel­ gestaltung aus nennt man das Gamifizierung. Bei manchen digitalen Spielen erreicht man ein neues Level, indem man den Abwasch macht.»

Sei jemand anders

Spiele erlauben uns, eine ­andere Perspektive einzu­

Zusammenarbeit

«Spiele haben so viel Poten­ zial, verschiedene Sicht­weisen zusammen­zuführen», sagt Wendler. «Forschern fällt es oft schwer, ihre Erkenntnisse zu vermitteln. Spieledesigner dagegen erzählen Geschich­ ten und ermöglichen es, mit den Informationen zu inter­ agieren. Mit einem Spiel, das diese beiden Elemente ver­ bindet, kann Raum für etwas Neues entstehen.»

«Beim Spielen interagieren wir mit der Welt.» Jana Wendler, Spiele-Erfinderin

nehmen. «Sie können zum Beispiel den Bösen spielen und schauen, was das mit ­Ihnen macht.»

Kreativer Blödsinn

Zur Gamifizierung braucht es nichts als einen spielerische­ ren Blick auf die Welt. Dafür muss man nicht einmal online gehen. Gamifizierung funktio­ niert auch analog. «Widmen Sie einfach die Gegenstände in Ihrem Umfeld um», meint Jana Wendler. «Ohne grossen Aufwand können Sie zum ­Beispiel coole Dinge aus Kar­ ton basteln. Oder legen Sie einfach eine LED in einen Fla­ schenverschluss, und schon haben Sie ein kleines leuch­ tendes Spielzeug. Blödeln Sie herum mit den Dingen, die da sind, und beobachten Sie, was passiert.» Das Festival «Now Play This» findet jedes Jahr im Somerset House in London statt: nowplaythis.net. Jana Wendlers wissenschafts­ basierte Gaming-Arbeiten finden Sie auf: playfuel.co.uk

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