«Kleine Schweizer» im Waadtland Die Rebsorten, die aus dem Burgund, Savoyen oder dem Bordelais stammen, haben sich bestens im Kanton Waadt eingenistet. Nicht so aber Varietäten, die aus anderen Regionen der Schweiz stammen. Der fünfte Teil unserer Serie zeigt, dass Completer, Petite Arvine, Amigne, Humagne rouge und Riesling-Sylvaner bei uns nur in winzigen Mengen produziert werden. Dafür verstecken sich hinter ihnen ausserordentliche Geschichten. Text: Alexandre Truffer
© Philippe Dutoit
Claude und Georges-Claude Blanchard in Bougy-Villars vinifizieren seit 2018 einen Completer, der in einem 900 m2 umfassenden Rebberg wächst.
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Le Guillon 59_2021/2
In seinem Buch «Schweizer Rebsorten – Ihre Geschichte und Ursprünge» (Haupt Verlag) zählt Dr. José Vouillamoz rund dreissig ursprüngliche Schweizer Rebsorten. Er bevorzugt den Begriff «ursprünglich» gegenüber einheimisch oder autochthon, wenn er von Varietäten spricht, die sehr wahrscheinlich auf helvetischem Territorium entstanden sind. Neben dem Chasselas umfasst diese Liste bei den Weinliebhabern mehr oder weniger bekannte Walliser Spezialitäten sowie eine Reihe origineller Raritäten aus dem Tessin (Bondola), der Deutschschweiz (Räuschling) oder dem Vieux-Pays (Grosse Arvine oder Lafnetscha).
Die 700 Jahre eines Grand Seigneurs 1321 trägt der Bischof von Chur wie derjenige von Lausanne den Titel Reichsfürst des Heiligen Römischen Reiches. Sein Einflussbereich umfasst verschiedene Bündner Täler, die sich mehr oder weniger widerspenstig zeigen gegenüber der bischöflichen Autorität. Die Churer Kathedrale ist das Zentrum der politischen, ökonomischen und administrativen Aktivitäten der Region. Nicht weiter erstaunlich also, dass die erste Erwähnung des Completers in den Archiven des Domkapitels von Chur gefunden wurde. Gemäss José Vouillamoz soll diese Weissweinsorte – Vater mehrerer Kinder, die auf helvetischem Boden geboren wurden (Walliser Lafnetscha, Tessiner Bondola, Luzerner Hitzkircher) – von Benediktinermönchen der Abtei Pfäfers im heutigen Kanton St. Gallen aus Norditalien importiert worden sein. Diese Mönche besassen Reben in Malans, im Herzen der Bündner Herrschaft, wie auch in Italien. Gemäss unserem Ampelografen stammt der Name Completer «sehr wahrscheinlich von completorium, dem lateinischen Namen für die Komplet, das abendliche Gebet der Mönche. Bei diesem Gebet war es den Benediktinermönchen traditionellerweise gestattet, schweigend ein Glas Wein zu trinken.» Diese Sorte, die gerade wiederentdeckt wird und sich besonders gut für eine lange Lagerung eignet, bedeckt in der ganzen Schweiz nur 8,5 Hektar, vor allem in Graubünden, aber auch im Tessin und im Wallis. In der Waadt wurde sie 2013 von GeorgesClaude Blanchard eingeführt, der mit ihr eine Parzelle von 900 Quadratmetern bepflanzte. Chemie, Behörden und Klima ver-