ChemieXtra 1-2/2020

Page 31

NEWS

Der Abrieb von Autoreifen, Kunstfasern aus Kleidung und Plastikverpackungen von Le­ bensmitteln: Jeder Mensch ver­ teilt tagtäglich grosse Mengen an grossen und kleinen Kunst­ stoffteilchen in die Umwelt. «Ein Verzicht auf massenhaf­ ten Gebrauch von Kunststoff­ produkten könnte die Plastik­ flut in der Umwelt wirkungsvoll eindämmen», sagt Dr. Andreas Köhler, Forscher am Öko-Insti­ tut. Plastikrecycling ist zwar wichtig, reicht aber allein nicht aus, um Mikroplastik von der Natur fernzuhalten. «Auch Er­ satzmaterialien wie bioabbau­ bare Kunststoffe oder Baum­ wolltextilien verlagern die Um­ weltprobleme lediglich, statt sie wirklich zu lösen.» Köhler hat sich gemeinsam mit mehreren Experten des Öko-Instituts im Projekt «Oh­ ne Plastik leben – aber wie!?»

mit den Ursachen des heuti­ gen Massenkonsums von Kunststoffen auseinanderge­ setzt. Das Projekt analysiert Möglichkeiten und Auswirkun­ gen eines Plastikverzichts in drei Anwendungsgebieten. Dabei wurden auch Erfahrun­ gen von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei der Plastikvermeidung mit in Be­ tracht gezogen. «Die Plastikverschmutzung der Natur ist unumkehrbar, das Zu­ rückholen von Billionen kleins­ ter Plastikfragmente aus Bö­ den, Flüssen und Meeren kann der Mensch nicht leisten», sagt Projektkoordinator Köhler. «Das wirkliche Ausmass der Schädi­ gung ist momentan noch nicht abschätzbar.» Deshalb ist es jetzt umso dringlicher, die wei­ tere Plastikfreisetzung in die Umwelt deutlich zu vermin­ dern.

Von den meisten Menschen unbemerkt sind Fahrzeugrei­ fen die grössten Verursacher von Kunststoffpartikeln in der Umwelt. Fahren verursacht Reifenabrieb und so gelangen jährlich rund 100 000 Tonnen Mikroplastik in Deutschland in die Umwelt – etwa ein Drittel des gesamten Auf­ kommens. Polymer-Mikrofasern lösen sich beim Benutzen und Wa­ schen aus der synthetischen Kleidung. Etwa 77 Gramm da­ von setzt jede Person in Deutschland pro Jahr frei. Das Meiste davon landet im Haus­ staub und im Waschwasser. Fertiggerichte, Käse- und Wurst­ aufschnitte sowie Joghurt in Einweg-Verpackungen aus Kunststoff waren ursprünglich für Ausnahmesituationen wie den Ausser-Haus-Verzehr ge­ dacht. Heute ist die so erzielte

Bild: M. Dunne/ETH Zürich

Gegen Mikroplastik hilft nur Vermeidung

Das natürliche Rezeptorbindeprotein der PSA-Phage.

Bequemlichkeit Alltag gewor­ den – zwischen 80 und 90 Prozent aller Lebensmittel ge­ langen in einer vorbereiteten Form in die Haushalte und produzieren nebenher viel Plastikmüll. Eine Lösung, Plastik zu ver­ meiden, wäre die Einweg-Ver­ packungen durch ein System aus unterschiedlich genorm­ ten Mehrweg-Behältertypen zu ersetzen. Medienmitteilung Oekoinstitut www.oeko.de

Bild: SNI/Unibas

Empa nimmt Nanomedizin unter die Lupe

Nanopartikel aus Eisen und Silber unter dem Mikroskop. Ein «Kügelchen» ist rund 100 Nanometer klein.

Empa-Forscher um Bernd No­ wack von der Abteilung Techno­ logie und Gesellschaft in St. Gal­ len berechnen die Risiken von Nano-Medikamenten. Das inter­ disziplinär angelegte Projekt Bio­ rima erarbeitet das Risikoma­ nagement von Nanobiomateria­ lien für Mensch und Umwelt. Erste Lücken hat Nowack be­ reits vor einiger Zeit geschlos­ sen, als er mit seinem Team das Risiko von Nano-Goldpartikeln in der Umwelt abschätzte. «Der­ 1–2/2020

zeit kann man davon ausgehen, dass Nano-Gold in medizini­ schen Anwendungen keine Pro­ bleme verursacht», so der For­ scher. In der neuen Studie ana­ lysierte Nowacks Team nun weitere Nanomaterialien, die in der Medizin eingesetzt werden. Interessant sind Partikel zwi­ schen 1 und 100 Nanometern Grösse, weil sie verhältnismäs­ sig leicht herzustellen sind und beispielsweise für medizinische Bildgebungsverfahren, antimik­ robielle Beschichtungen oder für die Arzneimittelfreisetzung eingesetzt werden können. Unter den bisher verwende­ ten Substanzen liessen sich aufgrund vorhandener Daten nun erstmals einige häufig verwendete Nanomaterialien

untersuchen: Darunter war beispielsweise Nano-Chito­ san, ein Abkömmling eines natürlich vorkommenden Viel­ fachzuckers. Weitere analysier­ te Substanzen waren Polyacryl­ nitril (PAN), das in der antibak­ teriellen Therapie genutzt wird, sowie Hydroxyapatit (HAP), ein natürliches Mineral. Bei den Analysen stellte sich heraus, dass Chitosan in seiner herkömmlichen Form, sobald es ins Wasser gelangt, giftiger für Wasser-Mikroorganismen ist als in seiner Nanoform. Nano-­ Chitosan ist demnach weniger gefährlich für aquatische Lebe­ wesen. Das Nano-Polymer PAN und das mineralische HAP schnitten sogar noch günstiger ab. «Diese Substanzen sind im

Wasser quasi als nicht toxisch einzustufen», so Nowack. Anders sieht es allerdings für Nano-Silber aus, das in der Medizin für seinen antibakteri­ ellen Effekt geschätzt wird. Was aber bei der Behandlung von Krankheiten erwünscht ist, ist in der Umwelt problema­ tisch: In der Biosphäre wirkt das anorganische Nanomate­ rial ebenfalls giftig auf Mikroor­ ganismen, die allerdings wich­ tig für die Balance in einem Ökosystem sein können. Die ermittelten Daten fliessen darüber hinaus in den Prozess der Entwicklung neuer Medi­ kamente ein. Medienmitteilung Empa www.empa.ch 29


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.