Nr. 5 Saison 21/22 – Turtelei

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ZUM W ER K

BENJA MIN BR IT TEN Matinées Musicales & Sinfonische Suite aus Gloriana

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K Ü NSTLICHE BLUMEN U ND GROSSE KÖNIGIN NEN

VON A L A I N CL AU DE SU L Z ER

Über mangelnde Popularität konnte sich Rossini zeitlebens ebenso wenig beklagen wie über fehlende Anfeindungen von Kolle­ gen; von beidem gab es reichlich. Während sich Berlioz über Rossinis «melodischen Zynismus» ereiferte, blieb Schopenhauer immer «Mozart und Rossini treu»; Schu­ mann bezeichnete ihn als den «trefflichs­ ten Decorationsmaler» und Wagner, des­ sen Zusammentreffen mit Rossini doku­ men­tiert ist, nannte ihn nach seinem Tod einen «ungemein geschickten Verfertiger künstlicher Blumen», wohingegen Giaco­ mo Meyerbeer die «neuen Aspekte eines ­unsterblichen Genies» bewunderte. Carl Maria von Weber hingegen – den wiede­ rum Rossini schätzte – sah in ihm einen «Luzifer der Musik», vor dem er davon­ laufen müsse, «sonst fange er noch an, das Zeug gern zu haben». Rossini überlebte unbeschadet Ver­ ehrung wie Verachtung. Mithin auch Beet­ hovens maliziöses Diktum vom «guten Bühnenmaler» und dessen Empfehlung bei einem persönlichen Treffen in Wien, noch «viele Barbiere», aber «bloss nichts Ernst­ haftes zu machen». Und auch Wagners dick aufgetragenes Bild vom «Schmetter­ ling» Rossini, dem der «Adler» Beet­hoven geschickt auswich, «um ihn nicht durch das Schlagen seiner Schwingen zu erdrü­ cken», konnte dem leicht dahingleitenden Schwan von Pesaro nichts anhaben.

Die unzähligen Variationen, die auf der Grundlage der Opernmelodien des Italie­ ners entstanden, sprechen eine andere Sprache: die der Huldigung und des Res­ pekts vor so viel Einfallsreichtum. Ob ­Bottesini, Mercadante oder Moscheles oder die bedeutenderen Paganini, Chopin, Liszt, Offenbach oder Respighi, sie alle – und viele mehr – haben sich mit Rossinis Werk auseinandergesetzt. Benjamin Brit­ ten erwies ihm mit den Soirées Musicales und den Matinées Musicales gleich zwei Mal die Ehre. Bei den von ihm orchestrier­ ten Stücken handelt es sich vorwiegend um Kanzonetten und Arietten für eine oder zwei Singstimmen und Klavier, die Rossini zu Lebzeiten unter dem Titel ­Soirées Musicales veröffentlicht hatte. Laut eigener Aussage hatte Britten diese als Kind oft aus dem Mund seiner mu­sika­ lisch begabten Mutter gehört, die sie für Gesangsübungen verwendete, weshalb Brittens Kompositionen wohl auch als Hommage an Edith Rhoda Britten, gebo­ rene Hockey, gehört werden dürfen. Britten hat diese Stücke, die in ihrer endgültigen Gestalt 1941 in Rio de Janeiro uraufgeführt wurden, in Rossinis Glanz erstrahlen lassen. Auch wenn er dem ver­ ehrten Älteren den Vortritt liess, trat er als Komponist mit eigenen Vorstellungen nicht völlig zurück. Das von Rossini be­ reits orchestrierte Pas de six aus der Oper Guillaume Tell etwa kürzte Britten nicht


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