Nr. 5 Saison 21/22 – Turtelei

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KOLUMNE

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FR AGENDE ZEICHEN

VON EGL E A

Beide sassen erschöpft und hungrig an unserem Tisch, sie Geigerin, er Cellist, mitgebracht von gemeinsamen Musiker­ freunden. In den letzten Tagen waren sie in Deutschland, Österreich und Frank­ reich auf Tournee gewesen und zwischen­ drin Hals über Kopf von London nach Brüssel umgezogen. Beide keine Englän­ der, hatten sie sich als Engländer gefühlt. Nach der Suppe fragte ich, warum denn jetzt, das war 2018, auf einmal Brüssel, wo es ihnen in London so gut gefallen hatte. «Geht nicht mehr», sagten sie, «sobald­ der Brexit durchgezogen ist, wird das zwi­ schen Insel und Kontinent nicht mehr funktionieren.» Wussten diejenigen, die Ende letzten Jahres den mehr als 1200 Seiten dicken Brexit-Vertrag verabschiedeten, dass sie damit nicht nur eine vitale europäische Musikszene zerstören würden, vielmehr eine Verbindung, in der so viel Geniales gezeugt und geboren wurde, dass einem beim Zurückblicken schwindlig wird? Mozart war erst vor etwas mehr als einem Jahr aus Salzburg nach Wien gezo­ gen, als er seinem Vater schrieb, eigentlich sei er ein Engländer, ein Erz-Engländer sogar. Das beunruhigte den Vater anfangs nicht. Schon als Achtjähriger war sein Sohn in London gewesen und hatte da­ mals mitbekommen, was diese Musikstadt zu bieten hatte. Nervös wurde der Vater

erst ein paar Jahre später, als der Sohn von seinen englischen Musikerfreunden in Wien schwärmte, die zurück nach Lon­ don und ihn mitnehmen wollten, wenigs­ tens für eine Tournee, natürlich mit seiner Frau. Ob der Vater währenddessen die bei­ den Kinder hüten könne. Der Vater schmet­ terte die Bitte ab, unverschämt sei das, zudem befürchtete er, sein Sohn würde dortbleiben. Es war ein deutscher Konzert­ unternehmer namens Salomon aus Bonn, in London sensationell erfolgreich, der Mozart angebaggert hatte; es fiel ihm nicht schwer, Musiker auf die Insel zu lo­ cken, denn er konnte ihnen dort ein Viel­ faches an Auftrittsmöglichkeiten, Zuhö­ rern und Geld bieten. Leopold Mozart hielt die Sache für erledigt, er wusste nicht, welches Buch sein Sohn in der Freizeit durchgeackert hatte: An Attempt to facilitate the study of English language. In das Gästebuch eines Schweizers hatte Mozart geschrieben: ­Patience and tranquillity of mind contribute more to cure our distempers as the whole art of medicine. Der Mann war sein Englisch­ lehrer. Noch las Mozart Shakespeare auf Deutsch, das aber wollte er schleunigst ändern. Aus Mozarts England-Traum wurde nichts. Kurz nach der Abreise seiner eng­ lischen Freunde starb der Erz-Engländer in Wien; sein Freund Joseph Haydn, vor einigen Monaten nach London emigriert


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