Strandgut 9/2020

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Theater © Freies Schauspiel Ensemble

© Catherine Lieser

Mehr Harry und Sally als Virginia Woolf

Die große Verweigerung Gallus Theater: Daedalus Company eröffnet Frauen-Trilogie mit »Buy little buy less buy nothing at all« Jetzt also, endlich, startet sie: die feministische EmpowermentTrilogie »Women in Sound« von drei Frankfurter Regisseurinnen. Im Strandgut wiesen wir bereits in den Juni- und Juli-Ausgaben darauf hin. Regina Busch und ihre Daedalus Company machen den Auftakt mit der Inszenierung von Claire Dowies »Buy little buy less buy nothing at

all«. Auch wenn sich‘s anders liest, gesprochen und umgesetzt wird der Monolog der britischen Autorin nach der deutschen Übersetzung von Michael Raab. Das Stück beschriebt begleitet eine Großstädterin, gespielt von Luise Audersch, auf ihrem Weg von der enthusiastischen Primark-Fetischistin zu einer Frau, die radikalst der kapitalistischen Konsumwelt entsagt, mit all den damit verbundenen Konsequenzen. Eine live von Laila Gerhardt intonierte Klanginstallation verknüpft den Monolog mit wegweisenden Musikerinnen unserer Zeit, etwa der Pionierin der elektronischen Musik, Delia Derbyshire, gespielt von Karla Hennersdorf. Die Performance-Künstlerin Katharina Olt verkörpert dokumentarische und fiktive Figuren, die den Lebensweg der Großstädterin und der Musikerinnen kreuzen. Die Daedalus Company verspricht spannende und überraschende Begegnungen erfolgreicher Frauen, deren Selbstermächtigungsprozesse ineinander verwoben sind und neue Sichtweisen auf weibliche Identitäten kreieren, Rollenstereotype entlarven und überschreiben! Sound, Licht und Inszenierung sind Corona-kompatibel. Und die Bestuhlung selbstredend auch. gt Termine: 3., 4., 5. September, 20 Uhr www.gallustheater.de www.daedaluscompany.de

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Strandgut 09/2020

Freies Schauspiel Ensemble startet mit Duncan Macmillans Drama »Atmen« in die neue Spielzeit Die Dialoge sind von einer ziemlichen Direktheit. Und die oft karikaturesken Übertreibungen von einer Schärfe und Böshaftigkeit, die britischer nicht sein könnte. Die Uraufführung von Duncan Macmillans Zweipersonen-Stück »Lungs« fand 2011 in Washington, D.C. statt, um dann umgehend mit Preisen überschüttet zu werden. 2013 hat die britische Kult-Regisseurin Katie Mitchell das Beziehungsdrama spektakulär in der Berliner Schaubühne in Szene gesetzt: als »klimaneutrales Theater«, bei dem die Akteure auf Rädern die Elektrizität erzeugten, die es für die Aufführung brauchte. Denn darum geht es auch in »Atmen«, der Geschichte des uns so vertraut vorkommenden, Müll trennenden und Wasser sparenden Gutmenschen-Paares (taffe Akademikerin/eher erfolgloser Musiker), das sich Fragen stellt, die uns nicht minder vertraut sind, wie: »Was bedeutet es, wenn wir ein Kind in diese kaputte Welt setzen? Für das Kind? Und für uns? Für die Welt?«. Aber auch: »Was bedeutete es für die Welt, wenn wir verzichten? Sollen nur die Dummen Kinder kriegen?« Aber es geht um noch weit mehr und Anderes für Jürgen BeckRebholz, der »Atmen« im Titania für das Freie Schauspiel inszeniert. die zweite Regiearbeit des EnsembleMitglieds nach Ingrid Lausunds »Der Weg zum Glück«. Der Gedanke an ein gemeinsamen Kind, den der eher täppisch-schludrig vorzustellende Protagonist seiner verdutzten Partnerin – der Autor nennt sie nur MANN und FRAU – auf einem Ikea-Parkplatz offenbare, löse einen Prozess aus, der das ganze Dasein dieser Beziehung mit allen grund-

sätzlichen Fragen des Menschseins umfasse, erklärt der Regisseur. Dieser Gedanke, auf den sie mit einem perplexen »Ein Baby?« – die ersten Worte in diesem Stück – reagiert, bringe das Leben der beiden wie ein erster umgeworfener Dominostein erst wirklich in Gang. In Gang bringt dieser genialische Einstieg vom Fleck weg aber auch das schon beim Lesen wie ein Sog wirkende Stück. »Völlig unabhängig von Öko und Co-2-Bilanzen kann sich hier jede Generation wiederfinden«, sagt Beck-Rebholz. 25-jährige stießen auf die akute Frage ›Wie übernehme ich Verantwortung?‹, 40-50-jährige entdeckten wahrscheinlich vieles aus ihrer eigenen Lebensgeschichte, und noch viel Ältere dürften sich vielleicht gar ein bisschen sehnen nach einer Zeit, als solche Probleme noch für sie wichtig waren. Jürgen Beck-Rebholz will auch den Bühnenanweisungen des Autors folgen, der für diesen ein komplettes Erwachsenenleben umspannenden Parforceritt über Orte und Zeiten anweist, auf jegliche Bild-, Licht- und Toneffekte zu verzichten. Und das verheißt pures Schauspiel mit Jana Saxler und Moritz Buch, die beide in der Novemberevolution-Doku »Die Unvollendete« mitwirkten. Noch was, was man wissen sollte? »Vielleicht, dass bei allem Ernst immer ein Schuss »Sechserpack«, etwas Comedyhaftes mitschwingt: Mehr Harry und Sally als Virginia Woolf«, verspricht der Regisseur. Winnie Geipert Termine: 19., 25., 26., 27. September, 20 Uhr www.freiesschauspiel.de


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