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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

«Die Verkaufenden bieten das Magazin mit einem kleinen Blumenstrauss an, um wieder eine Brücke zu den Kunden zu bauen.» The Big Issue Korea, Südkorea

Vor Gericht

Missglückte Firmenrettung

«Die Verkäufe sind stark zurückgegangen, dafür haben fast 10 000 Menschen unser ‹Corona-NotfallDreimonats­abonnement› abge­­­­schlossen. Das entspricht fast der Hälfte unseres durchschnittlichen Jahresumsatzes.» The Big Issue Japan Surprise 477/20

Gross war die Euphorie 2016 über die Freigabe von CBD-Hanf, Cannabis mit einem THC-Gehalt von unter einem Prozent. Anders als Drogenhanf wirkt CBD nicht berauschend, sondern beruhigend. Klinisch bewiesen ist es nicht, aber die Substanz soll bei Depressionen, Epilepsie und gar Krebs helfen. Mit deren Legalisierung setzten nicht nur viele Kranke, sondern auch geschäftstüchtige Unternehmende auf das Rundum-Heilmittel: Ende 2017 hatten sich schon fast 500 Hersteller beim Bund registrieren lassen. Heute sind es 700. Einer von ihnen sitzt nun im Zürcher Bezirksgericht und wartet auf sein Urteil wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz. Seine Geschichte steht für die weniger freudige Fortsetzung des CBD-Booms. Als der Beschuldigte vor vier Jahren seine Cannabis-Firma gegründet und eine mittelgrosse Indoor-Anlage aufgebaut hatte, bekam er noch 2500 Franken pro Kilo. Der Einzelrichterin hat er geschildert, wie in der allgemeinen Goldgräberstimmung der Markt bald übersättigt war: «Zu viele setzten auf dasselbe Ross.» Die Folge: ein dramatischer Preiszerfall. Ende 2018, sagt er, war der Kilopreis teilweise bis auf 800 Franken gesunken – bei Anbaukosten von durchschnittlich 1400 Franken je Kilo. Seine Firma geriet in ernsthafte Schieflage. Um einen Konkurs abzuwenden und die Anlage fit zu machen für den Verkauf – er wollte aussteigen –, tat er das Naheliegende: «Scharfes anbauen», wie er sich ausdrückt. Also den verbotenen Drogenhanf, mit dem

auf dem Schwarzmarkt noch immer viel Geld zu holen ist. Es tue ihm leid, hat er im Gerichtssaal gesagt. Er habe sich nicht bereichern wollen. Nur seine Firma retten. Es gibt, sinniert er im Wartezimmer, drei Gründe, warum illegale Grows auffliegen: Wasserschäden, der Geruch – oder man wird verpfiffen. In seinem Fall habe sein früherer CBD-Stecklingslieferant der Polizei den Tipp gegeben. Es könne kein Zufall sein, dass seine Anlage just vor der Ernte ausgehoben wurde. Exakt 1536 Pflanzen stellten die Beamtinnen sicher. In der Anklageschrift geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der Beschuldigte rund 48 Kilo hätte ernten können. Was ihm bei einem durchschnittlichen Grosshandelspreis von 5000 Franken einen Umsatz von rund einer Viertelmillion beschert hätte. Womit seine finanziellen Probleme gelöst gewesen wären. Stattdessen hat er nun alles verloren. Das Geld, die Firma, die Anlage. Während der Verhandlung hat er die Richterin wehmütig um die Herausgabe der Polizeifotos gebeten. Die Beweise für seine Tat, aber auch für seine Anbaukunst. Das ginge leider nicht, meint sie, aber er könne sie gerne nochmals ansehen, und legt sie vor ihm auf den Tisch. Er blättert sie durch. Die Bilder der Pflanzen, die ihm nun eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten einbringen. In der Urteilseröffnung spricht die Richterin von einer «hochprofessionellen, nicht mehr kleinen» Anlage. Sie mahnt, es hätte doch legale Mittel gegeben, die Firma zu sanieren. Aber sie hält dem ehemaligen CBD-Produzenten zugute, dass er die Untersuchung leicht gemacht habe. Sie sei sich sicher, sagt sie ihm zum Abschied, dass sie ihn hier nie wiedersehen werde.

Y VONNE KUNZ  ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


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