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Gegen die Reizüberflutung Fotografie Mit der Wanderausstellung «Ich sehe was, das du nicht siehst» macht

Eline Keller-Sørensen die Wahrnehmung von Menschen mit Autismus spürbar.

FOTOS: ELINE KELLER-SØRENSEN

TEXT MONIKA BETTSCHEN

Der 15-jährige Niklas Svend und die 38-jährige Joëlle Lynn wenden eigene Strategien an, wenn ihr Umfeld sie überfordert.

Wenn wir anderen Menschen begegnen, läuft das jedes Mal etwas anders ab. Deshalb wenden wir unbewusst Verhaltensweisen an, die wir uns im Laufe des Lebens angeeignet haben. Wir erfassen die Körpersprache des Gegenübers und wissen intuitiv, wann eine Umarmung oder bloss ein verbaler Austausch angemessen ist. «Für viele Menschen aus dem autistischen Spektrum aber bedeuten ungewohnte Gesprächssituationen gewaltige Hürden, weil sie das Verhalten von anderen häufig nicht gut lesen können», sagt die Fotografin Eline Keller-Sørensen, die Mutter einer zehnjährigen Tochter, die auch betroffen ist. Wie kann ich dir nur helfen und mit dir in Verbindung treten? Diese Frage dominiere den Alltag von betroffenen Familien. Die Zeit, bis ihre Tochter die Diagnose bekam, beschreibt KellerSørensen als zermürbend. «Man möchte Kontakt herstellen, aber man weiss lange nicht wie.» Was an einem Tag problemlos gehe, zum Beispiel auf den Spielplatz gehen oder der Besuch einer Nachbarin, sei am nächsten Tag vielleicht gerade jener Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe. Mit einer genauen Planung von wiederkehrenden Abläufen, etwa von Besuchen oder auch von Haare waschen, könne man einem autistischen Kind dabei helfen, sich besser in seinem Umfeld zurechtzufinden. «Da es Betroffenen schwerfällt, Gefühle und nonverbale Signale zu lesen, müssen sie mühsam lernen, die Mimik von anderen zu verstehen.» Um für Begegnungen gerüstet zu sein, greifen viele zu einem Trick: Sie imitieren andere Leute, wobei sie manchmal übertreiben. Solch einstudiertes Verhalten kann irritierend wirken. «Diese Schwierigkeiten beim Kontakt mit 24

anderen werden von der Gesellschaft leider fälschlicherweise als Gefühlskälte interpretiert. Man reduziert sie oft auf das Klischee des verschrobenen IT-Genies: Einige Betroffene verfügen tatsächlich über sogenannte Inselbegabungen, zum Beispiel in der Informatik, wo soziale Interaktionen nicht so zentral sind. Dabei sind autistische Menschen sehr wohl empathiefähig, oft sogar überempathisch. Aber sie verfügen aufgrund von gewissen biologischen Faktoren nicht über die Fähigkeiten, um das zu zeigen.» Funktionieren als Kraftakt Mit ihrer Fotowanderausstellung «Ich sehe was, das du nicht siehst», die sie zusammen mit dem Verein «Autismus deutsche Schweiz» realisiert hat, möchte Eline Keller-Sørensen solchen hartnäckigen Vorurteilen entgegenwirken. Der Titel des Projekts verweist auf die Tatsache, dass autistische Menschen die Welt anders wahrnehmen, indem sie Sinneseindrücke anders verarbeiten. Das kann sich auch in einer Überempfindlichkeit auf Licht, Lärm oder bestimmte Gerüche äussern. Die Fotografin porträtierte elf junge Menschen zwischen 6 und 38 Jahren in der Deutschschweiz in Situationen, in denen sie sich wohl und sicher fühlten. Dafür wählte sie eine RolleiflexKamera, bei der man das Gerät nicht direkt vor die Augen hält, sondern nach unten schaut. «Das erlaubte mir ein stilles Beobachten, währenddessen ich dem Gegenüber Raum geben konnte. Es ging hier nicht darum, eine Situation zu inszenieren, sondern teilzuhaben an einem Moment.» Surprise 498/21


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