FOTO: KLAUS PETRUS
Nachruf
Viktor Zimmermann 31. März 1953 bis 20. März 2021
Als Viktor Zimmermann zum ersten Mal bei einer Surprise-Chorprobe zur Tür hereinkam und allen einen verschmitzten, scheuen Gruss gab, erschrak die damalige Chorleiterin Ariane Rufino dos Santos erst mal ein bisschen: Die vom Nachtleben, Rauchen und Trinken angeschlagene Stimme krächzte auffallend. Doch gerade mit dieser Raucherstimme entwickelte Viktor sich zum ausdrucksstärksten Solosänger des Chors. Die Namen der Mitsänger*innen konnte er sich auch nach Jahren kaum merken, aber das tat seinem unwiderstehlichen Charme keinen Abbruch. Er blieb zwar etwas schüchtern, flirtete aber gern mit den Frauen. Er schrieb auch Texte, viele davon flossen in das letzte Jubiläumsprogramm des Strassenchors ein. Zur Probe erschien er immer gepflegt und sauber rasiert, selten verpasste er eine. Wenn er einmal nicht kam, wusste man, dass er zu viel getrunken hatte – oder dass «sein Magen spinnte», wie er sagte. Sein Lebenswandel konnte einen mit Sorge erfüllen. Ausser Flüssigem, oft auch Hochprozentigem, nahm er Nahrung nur sehr gelegentlich und in schlechter Qualität zu sich. Ein Leben lang war er mit illegalen Substanzen unterwegs und in rechtlich grenzwertige Aktionen und Erwerbstätigkeiten involviert. Immer wieder landete er auch im Gefängnis. Er selbst textete: Liebes Schicksal, ich danke dir Du warst bis heute gut zu mir Immer gewütet, auf die Spitze getrieben Und dennoch halbwegs bei Verstand geblieben. Viktor kostete das Leben aus. Kaum volljährig, drückte er in seinem Ford Transit aufs Gaspedal und fuhr zusammen mit drei Bekannten nach Afghanistan. Von dieser Reise erzählte er anlässlich der ersten Lesung der «Ungeschriebenen Memoiren des Viktor Z.» 2013 in der Basler Tiki-Bar, seiner Lieblingsbeiz. Viktor war in seinem Element, wenn er Geschichten davon erzählte, wie er in unwägbaren und schwierigen Situationen immer wieder davonkam. Anlässlich dieser Lesung entstand die Idee, er könnte mit seinem unglaublichen Erzähltalent doch Stadtrundgänge für Surprise machen. Auf der Gasse herumgetrieben habe er sich schliesslich genug, das Leben dort kannte er in allen Facetten. Ein paar Mal ging er probehalber auf Stadtführungen mit, aber er hat es sich dann doch nicht zugetraut, das regelmässig auf die Reihe zu kriegen. Dafür entdeckte er den Surprise Strassenchor. Die Tiki-Bar und die Aktivitäten ihrer Betreiber*innen ausserhalb der Bar prägten Viktors soziales Leben in den letzten Jahren. An allen grossen Feten bediente er 30
Die zerlebte Raucherstimme wurde zum Markenzeichen: Viktor Zimmermann war ein ausdrucksstarker Solosänger.
in «Tikilandia» den Bierstand und brachte seine Begeisterung für die Bands lautstark zum Ausdruck. Und immer kam Viktor am nächsten Tag zum Aufräumen. Hoffen wir nicht auf die Vernunft der Menschheit. Versuchen wir es lieber selbst. Wenn wir uns liebhaben können, haben wir schon viel erreicht. Ein Paradies können wir nicht errichten, aber vielleicht eine Welt mit etwas weniger Schmerz. Als er 2018 an Zungenkrebs erkrankte und operiert werden musste, lieferten ihm Freundinnen aus der Nachbarschaft täglich selbstgekochte Suppen, und selbst nach Beginn der Corona-Pandemie kamen sie ans Fenster und hielten einen lebensrettenden Schwatz. Trotzdem waren die Einsamkeit aufgrund der Selbstisolation als Risikopatient und die auf unbestimmte Dauer geschlossenen Bars sehr schwer für ihn. Möchte ich denn wirklich noch leben? Hab ich Freunden Liebe zu geben? Wenn ich morgen sterbe, was bleibt von mir? Die schönen Momente zwischen mir und dir. Kurz vor seinem 68. Geburtstag fanden ihn seine Freunde Silvan und Dieter in seiner Wohnung, wo er allein gestorben war. Wir sind alle sehr traurig. Viktor hinterlässt eine schmerzliche Lücke im Chor.
Basierend auf Texten der ehemaligen Surprise-Chorleiterin Ariane Rufino dos Santos und Freund*innen aus der Tiki-Bar, zusammengestellt von DIANA FREI
Surprise 498/21