Surprise 499/21

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gen des Lebens geredet, etwa die Vor- und Nachteile der beruflichen Selbständigkeit, während nebenan eine junge Frau in schönstem Schweizerdeutsch-Italienisch-Gemisch telefoniert. Das Einkaufszentrum umfasst ein Hotel und Wohnungen. In eine wird ein Paket geliefert. Symbolträchtig für den Umbruch im Detailhandel, dass selbst die Leute, die im Einkaufszentrum wohnen, im Internet bestellen. Auf der anderen Seite des Zentrums stehen in den Fahrradständern ausschliesslich elektrische Leihscooter. Beliebt für die Hinfahrt, unpraktisch, um mit Einkäufen beladen wieder heimzufahren. Etwas aus der Zeit gefallen wirkt der Name Illuster, ein altmodisches Wort, dessen Bedeutung nicht mehr geläufig ist. Möglich, dass in den Achtzigerjahren, als im damals populären Hiphop das englische Wort «ill» oft verwendet wurde, die Jugend das Einkaufszentrum als Ill-Uster bezeichnete und darum irgendwie cool fand, weil es so viel wie Krass-Uster bedeutete.

Tour de Suisse

Pörtner in Uster Surprise-Standorte: Zentrum Illuster Einwohner*innen: 34   722 Sozialhilfequote in Prozent: 1,8 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 23 Platz im Ranking der Städte mit tiefster Sozialhilfequote: 2 (hinter Zug, 1,5 Prozent)

Dieses Einkauszentrum gibt es schon lange, Anfang der Siebzigerjahre ist es eröffnet worden, zusammen mit dem schräg gegenüberliegenden Einkaufszentrum Uschter77. Letzteres wird zurzeit umgebaut und ist mit Bauabschrankungen abgeriegelt. Das hat man hier schon hinter sich, das Zentrum wurde vor ein paar Jahren neu eröffnet und ist durchaus modern, erinnert an ein Raumschiff, das in der Stadt vor Anker liegt. Im Innern ist es allerdings ziemlich düster. Die Weinprobe verläuft harzig, niemand will sich um diese Zeit animieren lassen, Wein zu kosten oder mehr über die Vorzüge eines neuen Verschluss-Systems zu erfahren. Möglich, dass Wein ein Image- und Absatzproblem hat, denn zurzeit steckt hinter jeder unbekannten Handynummer eine Umfrage zum Thema Wein. Erklärungen, dass es auf die GeleSurprise 499/21

genheit ankomme, ob roter oder weisser Wein bevorzugt werde, werden bei diesen nicht akzeptiert, man muss sich festlegen. Entweder oder. Die Sonne scheint, es ist endlich warm und die Terrassen sind wieder offen, auch die der zentrumseigenen Verpflegungsstätte. Ein paar einzelne Tische zumindest, die allerdings auf der Schattenseite des Zentrums liegen, weshalb sie unbenutzt bleiben. In der Sonne liegt die Pfingstgemeinde. Der Imbiss, der sich im Untergeschoss befindet, heisst Mystery; möglich, dass dort rätselhafte Speisen erworben werden können oder die Speisekarte in Rätselform gehalten ist. Auf der Bank vor der Kleiderboutique wird die Mittagspause verbracht und über wichtige Fra-

Gegenüber werden zwei Hochhäuser gebaut und als urbanes Wohnen angepriesen. Ende der Siebzigerjahre wurden Hochhäuser im Schweizer Fernsehen als eher triste Beispiele des modernen Lebens gezeigt und mit dem Hochhus-Blues besungen. Nun hat sich ihr Image verbessert, verdichtetes Wohnen ist wieder zeitgemäss. Auf derselben Strassenseite befindet sich eine etwas in Jahre gekommene Überbauung mit kleinen Geschäften. Es gibt unter anderem einen Zigarrenladen, ein Solarium, ein Reisebüro und einen Nachtklub. Gut möglich, dass dieser Abschnitt, der eine leicht heruntergekommene, aber resiliente Urbanität repräsentiert, als Nächstes abgerissen und modernisiert wird. Das wäre allerdings schade.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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