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Zwischen zwei Welten Kino In Paraguay werden immer mehr Ayoreo von ihrem Land vertrieben. Der Dokumentarfilm «Apenas el sol» zeigt, wie das indigene Volk um seine Rechte und den Erhalt der eigenen Kultur kämpft. TEXT GIULIA BERNARDI

Arami Ullón, in Ihrem Dokumentarfilm geht es um die Lebensrealität der Ayoreo, die immer wieder dagegen ankämpfen müssen, überhaupt kontaktiert oder von ihrem Land vertrieben zu werden. Sie sind keine Ayoreo. Wie sind Sie auf deren Situation aufmerksam geworden? Durch einen Artikel in einer Schweizer Zeitung, den ich zufällig las. Darin wurde von einer Gruppe von Ayoreo berichtet, die in den 1970er-Jahren von christlichen Missionar*innen vertrieben wurde. Ihr Land wurde verpachtet, abgeholzt oder verkauft. Ich war wütend und überrascht, nichts darüber gewusst zu haben, obwohl ich in Paraguay geboren und aufgewachsen bin. Anschliessend machte ich eine Umfrage in meinem Umfeld, und es kam dabei heraus, dass ich mit diesem Unwissen nicht allein war. So begann ich mit meiner Recherche, die über drei Jahre dauerte. Wie erklären Sie sich, dass niemand von der Tragödie wusste? Ich beobachte einen ausgeprägten Rassismus, der sich gegen die indigene Bevölke24

rung richtet und folglich gegen die eigenen Wurzeln. Etwa 80 Prozent der Paraguayer*innen haben einen indigenen Hintergrund, was oft ignoriert oder verleugnet wird. Seitdem Paraguay kolonisiert wurde, hat Weiss-sein einen hohen Stellenwert, da es immer mit Privilegien einherging. Entsprechend werden jene diskriminiert, die als nicht-weiss und als vermeintlich unzivilisiert gelten. Dies führt letztlich auch zu mangelndem Interesse und Ignoranz gegenüber der Lebensrealität dieser Menschen. So werden koloniale Strukturen aufrechterhalten. Wie hat sich die politische Haltung gegenüber den Ayoreo in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Es gibt insgesamt neunzehn indigene Völker, die in jenem Land leben, das heute als Paraguay bezeichnet wird. In den 1940er-Jahren entschied sich die Regierung, diesen Sachverhalt zu vereinfachen und entwarf ein Narrativ, gemäss dem alle Paraguayer*innen einen gemeinsamen Ursprung haben, der angeblich auf die Guaraní zurückgeht, die

bevölkerungsreichste indigene Gruppe. Ihre Kultur wurde anerkannt und Guaraní zur zweiten offiziellen Sprache Paraguays erklärt. Diese Vereinfachung liess alle anderen Indigenen aussen vor. Noch heute werden ihnen die eigenen Rechte aberkannt, was gewaltsame Vertreibungen und wirtschaftliche Ausbeutung zur Folge hat. Die Ayoreo sind das letzte indigene Volk ausserhalb von Amazonien, das zum Teil noch nicht kontaktiert wurde. Dies gilt es zu respektieren. Denn jene Menschen, die bereits kontaktiert wurden, sehen sich gezwungen, jeden Tag mit den Konsequenzen zu leben, die wir ihnen auferlegt haben. Sie leben segregiert und in prekären Verhältnissen. Sie befinden sich «zwischen zwei Welten», wie ein Protagonist gleich zu Beginn des Filmes schildert. Die Region Chaco, die einst dicht bewaldet war, gleicht heute einer Wüste. Auch vieles aus der Kultur der Ayoreo ging verloren. Ihr Film zeigt, wie der Ayoreo Mateo Sobode Chiqueno Gespräche mit Menschen seiner Community führt, Surprise 513/21


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