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Literatur

Strassenmagazin Nr. 555 28. Juli bis 10. August 2023 Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass davon gehen CHF 3.–an die Verkäufer*innen
Kim de l’Horizon
Meyer
Musio
Abou Kheir
Sael
Abboud
CHF 6.–
Marguerite
Giuliano
Lubna
Jafar
Hamed

Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren.

BETEILIGTE CAFÉS

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Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise

Editorial

Dichten und Denken

Bei mir um die Ecke befindet sich ein Lokal, an dem steht: «Egal, wie dicht du bist, Goethe war Dichter» – natürlich alles in Grossbuchstaben, damit das Wortspiel etwas besser funktioniert. Ich finde das sehr lustig.

Der Spruch kam mir wieder in den Sinn, als ich Giuliano Musios Ankündigung im Maileingang hatte, er würde unser Heftthema «Dichten und Denken» gerne als «Abdichten und Ausdenken» interpretieren. Genau dieses Ausloten der Sprache und ihrer Möglichkeiten haben wir uns gewünscht. Und so haben wir Kim de l’Horizons Grossmeere im Heft und Lubna Abou Kheirs kindliches Ich, das zwischen Alltag und Metaphysik hin- und herschaukelt. Wir haben Jafar Saels markante lyrische Sätze, die Sprache und Leben ganz eng zusammendenken – zum Beispiel, wenn er schreibt: «Das Leben ist ein Fehler, weil wir es falsch lesen.»

Hamed Abboud geht dem Briefeschreiben

Illustrationen

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und damit einer scheinbar so vertrauten Praxis nach, nimmt aber ihre biografische, kulturelle, soziologische und politische Dimension wie nebenher und doch sehr treffend auch noch mit.

Und Marguerite Meyer tut einen Schritt zurück und macht sich Gedanken darüber, wer sich das Dichten und Denken hier und heute überhaupt leisten kann. Eine weitere Frage könnte auch lauten: Wer wird gehört und gelesen im Literaturbetrieb? Oft nur ein Bruchteil derer, die die Welt mit Worten und Gedanken bereichern. Wir versuchen einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass sich das ändern möge, und publizieren deshalb auch gezielt Texte geflüchteter Autor*innen –unter anderen solche, die wir auf dem Literaturportal «Weiter Schreiben Schweiz» entdeckt haben.

18 Lubna Abou Kheir Die

Marisa Zürcher macht Illustration und Grafik im Schatten des Prime Tower in Zürich, wo sie auch lebt. Davor studierte sie

Illustration Fiction mit Sicht auf den Pilatus. In ihren Bildern interessiert sie sich besonders für den Eigensinn der Sachen, deren Glanz und Verderben.

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DIANA FREI Redaktorin
TITELBILD:
ZÜRCHER
MARISA
FOTO: ALEXANDER SCHLOSSER 6 Kim de l’Horizon Blutbuch (Prolog) Marguerite Meyer Warum Apéros aufregend sind und Bücher auch Guiliano Musio Abdichten und
Ausdenken
Grube
Nur wenn ich deine Augen hätte 22 Hamed Abboud Der Briefträger 27 Rätsel 28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Internationales Verkäufer*innen-Porträt «Wir wollen leben und arbeiten wie ihr auch»
21 Jafar Sael

Blutbuch (Prolog)

Beispielsweise habe ich «es» dir nie offiziell gesagt. Ich kam einfach mal geschminkt zum Kaffee, mit einer Schachtel Lindt & Sprüngli (der mittelgrossen, nicht der kleinen wie üblich), oder dann später in einem Rock zum Weihnachtsessen. Ich wusste, oder nahm an, dass Mutter es dir gesagt hatte. «Es». Sie hatte «es» dir sagen müssen, weil ich «es» dir nicht sagen konnte. Das gehörte zu den Dingen, die mensch sich nicht sagen konnte. Ich hatte «es» Vater gesagt, Vater hatte «es» Mutter gesagt, Mutter muss «es» dir gesagt haben.

Andere Dinge, über die wir nie sprachen: Mutters riesiges Muttermal auf dem linken Handrücken, die Schwere, die Vater –wenn er von der Arbeit heimkam – ins Haus schleppte; wie einen immensen, nassen, vermodernden toten Hirsch ins Haus schleppte; dein lautes Schmatzen, deinen Rassismus, deine Trauer, als Grossvater starb; deinen schlechten Geschmack, wenn es um Geschenke geht; die Liebhaberin, die Mutter hatte, als ich etwa sieben war, den silbrigen Ohrenring, den Mutter von ihrer Liebhaberin zum Abschied bekommen hatte, der wie eine lange Träne von Mutters Ohrläppchen bis fast an ihr Schlüsselbein reichte, als sie ihn noch anzog, um Vater zu provozieren; die unzähligen Stunden, die ich damit verbrachte – wenn ich mich unbeobachtet fühlte –, den Ohrenring von einer Hand in die andere gleiten zu lassen, den Ohrenring so in die Sonne zu halten, dass er flammende Muster an die Wände warf, meine unendliche Lust, diesen Ohrenring anzuziehen, meine unsägliche innere Stimme, die mir das verbot, meinen unendlichen Wunsch, einen Körper zu haben, Mutters unbändigen Wunsch, durch die Welt zu reisen. Wir sprachen nie über Politik oder Literatur oder die Klassengesellschaft oder Foucault oder darüber, dass Mutter die Matur auf dem zweiten Bildungsweg abbrach, als ich auf die Welt kam. Wir sprachen nie darüber, dass du einen Bart gekriegt hast, als du mit Mutter schwanger warst, dass das «Hirsutismus» heisst, wir sprachen nie darüber, wie du das behandelt hast, ob du dich rasiert, gewachst oder die dunklen Haare mit der Pinzette ausgerissen hast, ob du Antiandrogene nimmst, um das Testosteron –das dein Körper «im Übermass produziert» – zu unterbinden, und wir sprachen nie darüber, wie du angeschaut wurdest, wie sehr du dich geschämt haben musst, wir sprachen sowieso nie über Scham, nie über den Tod, nie über deinen Tod, nie über deine wachsende Vergesslichkeit, wir sprachen sehr oft über die Familienalben und über jedes einzelne der Bilder darin, allerdings sprachen wir nie darüber, wie lächerlich Grossvater auf diesen Fotos aussieht, die er mit seiner Burschenschaft aufgenommen hat, wie komisch sie ihre Brust plustern und breitbeinig in die Kamera grinsen; wir haben nie über das Mädchen gesprochen, das bis zu einem gewissen Alter durch die Fotoalben geistert, meistens an deiner Hand, manchmal an einer der Hände deiner fünf Brüder, nein, wir haben nie darüber gesprochen, wohin diese jüngste Schwester namens Irma verschwunden ist. Wir sprachen nie darüber, ob es für andere Familien auch so anstrengend ist, so zu tun, als wären sie wie die anderen Familien, wir sprachen nie über Normalität, nie über Heteronormativität, Queerness, wir sprachen nie über Klasse, die sogenannte «Dritte» Welt und die

geheimen Geflechte der Pilze, die viel grösser und feiner sind als in unserer Vorstellung, wir sprachen nie über all die Wege, die diese Welt bereithält, die sie uns bereithält, um vor uns selbst davonzulaufen, die gewundenen Wege, die im Schatten grosser Pappeln liegenden Wege, die öden, endlosen Wege, die diese Welt umspinnen, wie ein Faden einen Fadenknäuel umspinnt, aber wir sprachen über die Wege, die alle zusammen «Jakobsweg» heissen.

Vor einigen Wochen sassen wir auf dem Sofa, du hast mir eines der Fotoalben gezeigt. Ich habe mich gezwungen, dasselbe Interesse vorzutäuschen wie die letzten zehn Male, als du mir dieselben Fotos mit denselben Kommentaren erläutert hast. Wir schauten uns ein Foto deiner Mutter an, auf dem sie schwanger mit dir ist, ein Foto, das mich die ersten Male überrascht hat, weil da einfach eine nackte Frau zu sehen ist, in einem kleinbürgerlichen Familienalbum von 1935. Plötzlich hast du deinen Redefluss unterbrochen, mich angeschaut und gefragt: «Warum bist du eigentlich nie da?»

Ich sitze hier an meinem Schreibtisch in Zürich, ich bin sechsundzwanzig, es wird langsam dunkel, es ist einer dieser Abende, die noch Winterabende sind, während mensch schon eine Vorahnung von Frühling riecht, ein samtiger Geruch: von Bodnant-Schneeballblüten, übertrieben süss und weissrosa; von Menschen, die wieder beginnen zu joggen und ihren Schweiss durch die viel zu sauberen Strassen tragen. Ich jogge nicht. Ich sitze hier und kaue meine Fingernägel, trotz des Ecrinal-Bitternagellacks, ich kaue, bis der weisse Rand abgekaut ist und noch weiter, ich dränge den weissen Rand beständig nach hinten. Vor einem halben Jahr habe ich diesen ultralangweiligen Job im Staatsarchiv angenommen, ich stecke den ganzen Tag zwischen Regalen tief unter der Erde, katalogisiere Krankenakten längst verstorbener Patient*innen, ich spreche mit niemenschem, bin zufrieden, bin unsichtbar, lasse meine Haare wachsen, gehe nach Hause und setze mich hierhin, an meinen Schreibtisch, von wo aus ich die Buche im Nachbargarten sehen kann, von wo aus mir die Erinnerungen an die Blutbuche kommen, unsere Blutbuche, die grosse, rotlaubige Buche in der Mitte unseres Gartens. Ich schreibe. Wenn meine Freund*innen Dina und Mo, die auch irgendwo sitzen und schreiben, mir schreiben: «Kommst du was trinken?», dann schreibe ich nicht zurück. Ich versuche zu schreiben, und wenn ich nicht schreiben kann, wenn ich im Wattenmeer der Vergangenheit versinke, dann rasiere ich mich, dusche und fahre mit dem Fahrrad in die Aussenbereiche der Stadt, in die Aussenröcke, wie die Engländer*innen sagen, ich suche die Tankstellen und Fussballplätze ab, ich tigere vor den Gyms auf und ab, die Grindr-App ist meine bleiche Fackel in der Nacht der Agglomeration, sie weist mir den Weg zu den Männern, die ich suche, die ich brauche, die ich mich brauchen lasse, von denen ich mir hinter dem Fahrradhäuschen den Rock hochschieben lasse und die ich sich in mich hineinschieben lasse, schnell und gefühllos, ich habe ja genug Gefühle, ich brauche nicht noch mehr davon, ich brauche endlich mal einen harten cut von ihnen. Ich verschwestere mich mit dem rostigen Gitter des Vorort-Gym, an

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dem ich mich festkralle, beim nächsten Mal verschwestere ich mich mit dem Geländer des ausgestorbenen Tribünenaufgangs, das mir Halt gibt, und last, but not least pralle ich mit der Wange so lange an die Pausenraumtür des Securitas, bis ich von meinen Gefühlen zurück in mein Fleisch gestossen bin, dann gehe ich nach Hause, Samen noch in und Geruch von fremdem Mann an mir, ein warmes Gefühl in meiner leeren Mitte, das mich für die Dauer des Heimwegs auffüllt. Hier gehe ich aufs Klo, rasiere mich wieder, Achseln, Beine, Scham, ich fürchte mich immer vor der Möglichkeit, nachts aufzuwachen und nach jemensch anderem zu riechen, dann gehe ich noch mal aufs Klo, um auch den restlichen Samen aus mir zu entlassen, dann duschen, mit Bimsschwamm abrubbeln, eincremen. Meine Haut ist irritiert vom vielen Rasieren. Dann setze ich mich zurück an den Schreibtisch, in das Blickfeld der Buche, und ich merke erst jetzt, dass ich schon diese ganze Zeit an dich schreibe. Und wenn ich nicht schreibe, dann lese ich oder denke an die Möglichkeit, meinen Körper auf den Jakobsweg zu geben, ich denke an die Möglichkeit, zu gehen, bis ich an nichts mehr denke oder nach Santiago de Compostela gelange oder ans Meer, und ich denke an die Möglichkeit, das alles nicht zu tun.

Wir sprachen nie darüber, dass du eines Nachmittags nicht mehr nach Hause fandest und Mutter einen Anruf von der Polizei erhielt. Wir sprachen nie darüber, dich in ein Heim zu geben, und als du einen schlimmen Schub hattest vor einem Monat und in einem Rehazentrum aufgewacht bist und gefragt hast, wo denn der Balkon hin sei mit der Aussicht über Bern, da hat Mutter gesagt: «Aber den haben sie doch abgenommen, der war nicht mehr sicher.» Da hast du gesagt: «Ach ja, stimmt», und hast etwas zu laut über dich selbst gelacht und dann von den Geranien auf dem Balkon gesprochen. Ich habe Mutter gehasst für ihre Feigheit, dir nicht die Wahrheit zu sagen, ich war erst genervt und dann gerührter von ihrer plötzlichen Sorge um dich, als ich es sein wollte. Plötzlich ist sie die caring daughter, aber ich nicht, dachte ich, mich kriegst du nicht zur caring daughter, Mutti, und habe mich noch kälter von Mutter verabschiedet als sonst. Wir sprechen nicht über die hohe Wahrscheinlichkeit, dass du in den nächsten sechs Monaten einen weiteren Schub machen wirst («sie wird einen Schub machen» – diese Ärzt*innensprache, als würdest du das bewusst machen), und wir sprechen nicht über die hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Schub den Rest deines Erinnerungsvermögens tilgen wird.

Jetzt ist es Nacht, und ich stelle mir vor, wie auch du am Fenster deines Zimmers in der Reha stehst und der Nacht ins Gesicht schaust. Ich spüre, wie du langsam verschwindest. Liebe Grossmutter, ich möchte dir noch schreiben, bevor du ganz aus deinem Körper verschwunden bist oder keinen Zugriff auf deine Erinnerungen mehr hast.

Ich möchte dir sagen können, dass ich mich vor dir fürchtete, dass beispielsweise ich damals das Glas Himbeermarmelade zerschlagen habe, die du frisch gemacht hattest und von dem du dachtest, dass Mutter es zerschlagen habe, und Mutter auch tatsächlich mich beschützt hat, die Schuld auf sich genommen hat und du sie aufs Gröbste zur Schnecke gemacht hast. Ich habe deswegen bis heute ein schlechtes Gewissen, euch beiden gegenüber. Ich möchte wissen, was mit meiner Grosstante Irma geschehen ist, mit dem Mädchen, das an deiner Hand durch das Familienalbum geht und dann verschwindet. Ich möchte verstehen, wie es war, du zu sein: eine gewöhnliche Frau des unteren

Mittelstandes in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Ich möchte verstehen, wieso ich kaum Erinnerungen an meine Kindheit habe, und wenn, dann nur an dich. Ich möchte eine Sprache finden, in der ich dich fragen kann: «Wo sind die Meinigen?» Ich möchte wissen, wie diese Scheisse in unsere Adern kommt.

Du warst zu laut, zu fordernd, zu grob, du hast nie zugehört, du hast mir Geld geschickt und den Satz dazugeschrieben: «Du weisst, du kannst mich jederzeit besuchen.» Es tut mir leid, dass ich so ein schlechtes Grosskind bin. Ich bin zu fein, um fein zu sein.

Liebe Grossmutter. Wenn ich an dich denke, denke ich an all die Dinge, die wir uns nie sagen konnten und nie sagen können. Ich erinnere mich daran, dass du immer voller Stolz die Wörter gebraucht hast, die das Berndeutsche vom Französischen übernommen hat, und ich kann den Stolz zwar nachvollziehen, aber er ist mir auch höchst unangenehm. Denn das Französische wurde uns durch Napoleon gebracht, es war die Besetzungssprache, es war die Sprache der kultivierten, aber barbarischen Kriegstreiberjungs. Er hat uns die Sprache gebracht und einige Gesetze, und im Gegenzug hat er den in ganz Europa berüchtigten Staatsschatz Berns gestohlen. Einige Hundert Milliarden waren das, auf den heutigen Schweizer Franken (vom franc!) umgerechnet. Er tilgte damit seine Schulden und finanzierte seinen Ägyptenfeldzug. Ich weiss, das sind jetzt meine weissen Privilegientränchen, und wir sind ja selbst seit Ende des 19. Jahrhunderts Weltmeister*innen in Hochfinanzräubereien. Aber Napoleons Raubzug machte die Schweiz Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Land mit sehr hoher Emigrationsrate und hatte steuertechnische Auswirkungen bis ins 20. Jahrhundert: Zuvor wurden nämlich Berner*innen nicht besteuert. Es ist also komisch für mich, dass du stolz die Früchte des Mannes trägst, der eine Mitschuld an deiner Armut trägt.

Spuren Napoleons, die noch heute in deinem Sprachgebrauch zu finden sind:

dr Nöwö – der Neffe – le neveu

ds Fiseli – der Sohn – le fils

dr Potschamber – der Nachttopf – le pot de chambre

ds Gloschli – glockenförmiger Unterrock – von cloche

dr Gaschpo – der Blumenübertopf – le cache-pot

ds Lawettli – Waschtuch – von laver

Du hast von Madame DeMeurron erzählt, dem Berner Stadtoriginal: die erste Frau in der Schweiz, die ein Auto fuhr, eine Patrizierin, die sich fast nur in französischen Ausdrücken prononcierte, um zu zeigen, wie vornehm sie war. Die auch das R nicht rollte wie die Gerber aus dem lumpigen Mattequartier, sondern schön hinten aussprach, à la française. «Schaffed Iir no oder sid Iir scho öber?» Arbeiten Sie noch oder sind Sie schon jemand?, hast du sie zitiert, das R hinten ausgesprochen, völlig übertrieben, und du hast gelacht und deine Zähne gezeigt. Ich habe die Sentenz nicht verstanden. Wie soll mensch denn gesellschaftlich aufsteigen, wenn mensch nicht arbeitet? (Ich hatte noch nicht verstanden, dass fettes Kapital nur geerbt, nicht erarbeitet werden kann, entgegen der Tellerwäscher*innenmär, die wir einander mit dem Nestlé-Löffelchen reinbuttern.) Du beginnst, alles zu vergessen, was nicht vor deinem fünfzigsten Geburtstag geschehen ist. Du verschwindest. Das Französische aber bleibt dir. Ich denke daran, wie nahe ich mich dir fühle, wenn ich dir schreibe, und ich denke daran, wie fern ich mich dir fühle, wenn ich dich sehe. Wie du davon sprichst, einmal nach Santiago de

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Compostela zu gehen, wie glücklich das deine Mutter und Maria machen würde und wie du – nach dem langen, langen Weg –glückselig in den Atlantik springen würdest, mitsamt Kleidern. Ich denke daran, wie du ununterbrochen sprichst, von irgendetwas, von den Rabatten im Supermarkt Migros, von den Tagen, an denen es doppelte Cumuluspunkte gibt. Deine Angst vor der Stille. Ich erinnere mich daran, wie du mich – um nicht mit dem Verlust klarkommen zu müssen – ständig gehütet hast nach dem Tod von Grossvater. Nein, falsch, nicht ich erinnere mich. Das ist Mutters Erinnerung.

In der Sprache, die ich von dir geerbt habe, in meiner Muttersprache also, heisst «Mutter» M E E R. Mensch sagt D I E M E E R oder M E I N E M E E R, aus dem Französischen abgeschielt. Für «Vater» P E E R. Für die «Grossmutter» G R O S S M E E R. Die Frauen meiner Kindheit sind ein Element, ein Ozean. Ich erinnere mich an die Beine meiner Mutter, ich erinnere mich daran, sie zu umarmen, an ihr hochzuschauen und zu sagen: D U B I S T M E I N E M E E R. Ich erinnere mich an ein Gefühl des Daheimseins und an ein Gefühl des Vollkommenumgebenseins. Die Liebe der Meeren war so gross, mensch entkam ihr nicht, entkommt ihr nicht, mensch schwimmt ein Leben lang, um aus den Meeren herauszukommen.

In der Sprache, die ich von dir geerbt habe, in meiner Meersprache also, gibt es nur zwei Möglichkeiten, ein Körper zu sein. Das Aufwachsen im Gaumen der deutschen Sprache zwang mich stets in diese Kindergartenzweierreihe hinein.

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ROLLING STONE

In der Sprache, die ich von dir gelernt habe, in meiner M O T H E R T O N G U E, weiss ich nicht, wie ich von mir schreiben kann. Da sind Mutters Zunge drin und deine Augen und ich – meine – ich meine – mein Körper, meine Körper, meine Körperlichkeit? Da ist dieses schreibende Ich, und dann ist da das Kind, das ich war, das vor dem Zweierreihenzwang steht und noch hindurchmuss. Und ich bin durchdrungen vom Kind, so wie der Mond in seiner Gänze von der Erde handlos gehalten wird, aber im Schreiben muss ich zwischen uns unterscheiden, weil mich sonst die Kindheit, weil mich sonst der Kinderkörper, weil mich sonst die Flut aus Vergangenheit fortspült.

Ganz so einfach ist es aber auch in der Meersprache nicht: Es sind da nämlich kleine Umwege hineingetreten oder eher Abwege – die Frauen waren Gegenstände. Anstelle von M E E R verwendeten alle Erwachsenen – selbst die Mütter – sächliche Artikel: das Mami, das Mueti, das Grossmami, das Grosi. Aber nicht nur die Mütter, alle Frauen waren sächlich: das Anneli, das Lisbeth, das Regini. Und auch die Kinder waren Gegenstände, süss und winzig wie Mokkalöffelchen: das Mineli, das Hänneli, das Hansli. Ich erinnere mich, dass mich diese Vergegenständlichung wütend machte. Ich wollte kein Gegenstand sein, ich wollte ein Mensch sein und gross; und gross zu sein, bedeutete, ein Geschlecht zu haben, ein männliches. Als Frau drohte einem, ein Gegenstand zu bleiben oder ein Ozean zu werden. Das wollte ich nicht.

Wenn ich an dich denke, Grossmeer, dann denke ich an das Migros-Restaurant, in das du mich immer eingeladen hast, wenn du mich in ein «Restaurant» einladen wolltest, ich denke an das Urmeer, dem die ersten Bakterien entsprangen, das ziemlich genau siebenunddreissig Grad Celsius warm war, ich denke an Meer und an das Leben, das sie für mich aufgegeben hat, und an das Leben, das du für Meer aufgegeben hast, ich denke daran, dass du gerade aus dem Rehazentrum entlassen wurdest, dass du vermutlich wieder auf deinem Balkon stehst und wütend auf die halb vertrockneten Geranien schaust, und ich denke an all die Texte, die ich dir nie geschrieben habe. In einem von ihnen geht eine bärtige Dame den ganzen Weg von Ostermundigen nach Santiago de Compostela. Auf halbem Weg trifft sie einen jungen Menschen, auch mit Bart, mit breiten Schultern, tiefer Stimme, Rock und Kajal, und sie sprechen über nichts, sie gehen schweigend nebeneinanderher in Richtung Meer, und zwischen ihnen treiben die Überbleibsel, das Schwemmgut ihrer langen, im Halbdunkel liegenden Spuren.

Der abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem Roman «Blutbuch» von Kim de l’Horizon. Er ist 2022 im DuMont Verlag erschienen.

KIM DE L’HORIZON , 1992 in Ostermundigen geboren, schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke. Bekannt geworden mit dem Debütroman «Blutbuch», der 2022 mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung sowie dem Deutschen Buchpreis und dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde. Der Roman wird in 16 Sprachen übersetzt. Kim de l’Horizon hat das Literaturinstitut Biel absolviert und schreibt für das Schweizer Literaturmagazin Delirium. «Blutbuch» wird im Oktober am Schauspielhaus Zürich als «Blutstück» uraufgeführt.

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FOTO: ANNE MORGENSTERN
EIN FILM VON JAFAR
PANAHI
AB 27. JULI IM KINO

Warum Apéros aufregend sind und Bücher auch

Ich liebe Apéros. Also das Konzept von Apéros. Wenn Freund:innen aus dem Ausland zu Besuch sind, erzähle ich stolz von der Apéro-Kultur in der Schweiz. Es geht mir nicht um mittelmässigen Wein, steife Ansprachen, trockenes Knabberzeug – nein! Sondern darum, dass Apéros stets die Ungewissheit und ein Potenzial in sich tragen. Unzählige Möglichkeiten, wie der Abend enden wird. Es ist ein bisschen aufregend. Manchmal sind Apéros eine Pflichtübung: Man geht hin, steht ein bisschen herum, zeigt sein Gesicht, langweilt sich und macht sich nach einer halben Stunde aus dem Staub – und niemand ist einem böse. Und manchmal kommt man leicht unmotiviert dahingehetzt, nach einem langen Arbeitstag, schnappt sich ein Glas, stolpert über eine interessante Gesprächspartnerin, die man nicht erwartet hätte, und drei Stunden später tanzt man auf den Tischen.

Ich liebe also Apéros. Vor einigen Jahren war ich mal an einem richtig guten. Er wurde nach einer Kulturveranstaltung aufgetischt, er war ziemlich riche, die Stimmung war gelöst und euphorisch. Die nach dem Auftritt hungrigen Künstler*innen beäugten zurecht ziemlich erfreut die Auslage mit Lachsbrötchen, Spinatröllchen, in Knoblauch marinierten Oliven. Es war eine schöne Veranstaltung gewesen, mitten in Zürich, an einem schicken Ort. Das Publikum war aufmerksam, zugewandt, interessiert. Besser könnte man es sich nicht wünschen.

Eine ältere, gut gekleidete Dame kam auf mich zu. Ich hatte aus meinen Texten gelesen und es hatte ihr gefallen. Wir gossen uns gegenseitig stets Weisswein nach, unterhielten uns blendend, ein interessantes Gespräch.

Und dann fragte sie mich: «Sagen Sie, wann erscheint Ihr erstes Buch?»

Ich erwiderte: «Sobald ich genug Zeit habe, um ein ganzes Buch zu schreiben.»

Ohne zu Zögern schlug sie vor: «Machen Sie doch ein Sabbatical!»

Ich schaute sie entgeistert an.

Sie kennen bestimmt dieses Gefühl, wenn Sie wissen, dass Ihnen Ihr Gesicht entgleist und Sie nichts dagegen tun können? Vermutlich rutschte mir in dem Moment mein ganzes Gesicht Richtung Kinn. Ich schaute sie also entgeistert an. In meinem Kopf wurde schlagartig alles klar: Sie ging davon aus, dass andere Menschen einfach so ein halbes Jahr oder ein Jahr auf Lohnarbeit verzichten könnten, um ein Buch zu schreiben. Dass sich die Miete irgendwie schon deckt.

In dem Moment ging ich auch einfach so von Dingen ihrerseits aus: Bestimmt hat sie ein Zweithäuschen im Engadin, einen Investment Fund, Einnahmen aus vermieteten Zürcher Wohnungen, ihre Kinder haben sich mit dem Erbvorbezug schon ein Haus gebaut oder eine Firma – you name it. Ich wollte all das benennen und sie auf den Boden der Tatsachen und in die Le-

bensrealität, also in meine, zurückholen. Stattdessen fing ich mich, lachte einigermassen charmant auf und sagte fröhlich: «Stimmt, das wär was!»

Sie strahlte: «Ich würde wirklich so gerne Ihr Buch lesen.»

Der netten Dame mache ich keinen Vorwurf. Es ist nicht leicht, sich aus der eigenen Realität heraus- und in eine andere Realität hineinzudenken. Auch mit viel Empathie und Wissen bleibt man stets zu einem grossen Teil Gefangene der eigenen Umstände, bräche man noch so gerne daraus aus.

Das Dichten und Denken braucht einige Zutaten: Die Neugier, ein bisschen Talent und den Willen, sich auf gedankliche Äste hinauszubegeben, mit der Gefahr des Absturzes im Nacken. Das Dichten und Denken – oder das Denken und Dichten – braucht aber auch Ressourcen. Zeitliche, finanzielle, soziale. Und nicht jede*r hat diese.

Das Schreiben, Lesen, Nachdenken, Hirnen, Kreativsein ist etwas, was unser aller Leben besser macht. Was wäre die Welt ohne Literatur, Kunst, Kultur, Unterhaltung? Ohne Filme und Seifenopern, ohne Poesie, ohne Bilder und Gärten, in denen man sich verlieren kann? Oder ohne ein Hobby, dem man sich fernab von Produktivitätsprimat und Talent hingeben kann?

Sie, die Welt, wäre schon noch da, aber sie wäre um einiges weniger lebenswert, weniger schön, weniger herausfordernd. Man kann das konkrete Machen, das Schaffen ehren und trotzdem anerkennen, dass das sogenannt Schöngeistige unverzichtbar ist.

Selbst die etwas seichte Netflix-Serie, die uns allen den regnerischen Sonntag versüsst oder den blödesten Tag vergessen lässt, braucht genau das: Menschen, die sich Gedanken hingeben können, diese weiterspinnen, in die Welt – oder auf den Bildschirm – hinaustragen.

Ich mag die Anekdote mit besagter Dame am Kulturanlass. Manchmal erzähle ich sie zur Belustigung in einer Runde, in der ich weiss, dass man mich versteht. Und manchmal kaue ich im Stillen daran herum.

Es sind die stillen Momente, vielleicht nach den aufgeregten, handlungsvollen Augenblicken voller Begegnung, in denen das eigene Wachsen beginnt. An einem Satz herumzustudieren oder an einer Begegnung – daran lernen wir, uns in Verbindung zur Welt zu erforschen. Unsere Meinungen und Haltungen zu bilden, unsere Wahrnehmungen zu schärfen, bewusst oder unbewusst.

Kennen Sie Adam Smith? Er gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie. Ein Mann des 18. Jahrhunderts, dessen Theorien zur Ethik, zur Arbeit und Moral, zur Wirkungsweise des Marktes eine solche Wucht hatten, dass sie heute noch eine Grundlage unseres Verständnisses von Wirtschaft bilden.

Kennen Sie Margaret Douglas? Vermutlich nicht. Frau Douglas war Smiths Mutter. Sie stellte ihm jeden Abend das Essen auf den Tisch, organisierte seine frische Wäsche, förderte ihn. Adam Smith

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hätte ohne seine wohlhabende und umsorgende Mutter nicht existiert – und das nicht nur, weil er aus ihr rausgeschlüpft war.

Und doch ist uns nur Adam Smith bekannt. Er ist in die Geschichtsbücher eingegangen, wird an Universitäten gelehrt, inspiriert Weltbilder und Parteien. Die Gedanken von Margaret Douglas sind uns nicht bekannt. Sie hatte bestimmt welche. Doch aufgrund ihres Geschlechtes, aufgrund ihrer Rolle konnte sie diese nicht mit einem Publikum teilen. Das ist doch schade, oder? Ihre Geschichte, ihre Perspektive fehlt uns. Das ganze Bild eines Puzzles ergibt sich aus seinen Teilen. Fehlt ein grosser Teil, sehen wir nur einen Ausschnitt. Zugegeben, ein einfaches Beispiel für einen umfassenden Blick auf die Menschheit, und doch kein dummes, glaube ich.

Das Grossartige an Geschichten, Büchern, Musik, Erzählungen ist unter anderem: Sie zeigen einem eine andere Welt auf. Oder einen überraschenden Blick auf die Welt, den man bis anhin nicht kannte. Sie zeigen einem die eigenen blinden Flecken auf, ekeln einen an, stossen einen vor den Kopf, machen neugierig und sehnsüchtig und erweitern unseren Horizont.

Sich von der Muse küssen lassen beziehungsweise sich der Musse hingeben, das kann nicht jede*r im gleichen Masse. Wer nicht das Geld, die Zeit, die Kontakte, die Möglichkeiten hat, in Ruhe nachzudenken und diese Gedanken auszuformulieren, wird vermutlich kein Buch schreiben. Wird nicht in Lehrbüchern aufscheinen, wird nicht im Fernsehen auftreten, wird nicht auf Podien sitzen. Wird nicht gehört.

Und ich denke mir: Was für ein Verlust.

Und dieser Gedanke ist ganz egoistisch von mir. Ich würde gerne mehr lesen und hören von Menschen, die anders sind als ich. Mich selber kenne ich ja. Und mein Umfeld auch. Bei der Erkenntnis, dass mir ein Teil des Bildes verwehrt bleibt, schleicht sich auch etwas Trauer ein. Das ist nichts im Vergleich dazu, dass eben diese Puzzleteile dann einfach nicht vorkommen – in politischen Entscheidungen, in Poesie, in den ganz grossen Erzählungen von Nationalstaaten und Gesellschaften.

Lachsbrötchen an einem Apéro sind Luxus. Mittelmässiger Wein von mir aus auch. Aber das Geschichten erzählen und lesen und hören ist kein Luxus. Zumindest sollte es für niemanden einer sein.

Dieses Jahr wird es leider nichts mit der von der Dame vorgeschlagenen Bücherschreib-Auszeit. Aber bisschen richtig frei habe ich. Ferien, nennt man das gemeinhin. Und ich werde mir für diese freien Tage ein paar Bücher besorgen, die mich in andere, neue, unbekannte Welten einladen.

MARGUERITE MEYER , 38, ist Journalistin, Autorin und Poetry Slammerin. Als Journalistin ist sie jeweils hinter den Fakten her, als Autorin hinter der Fiktion. Bei Surprise ist sie im Vorstand tätig.

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FOTO: NICK LOBECK Stranger in the Village Rassismus im Spiegel von James Baldwin Aargauer Kunsthaus 3.9.2023 – 7.1.2024 © James Bantone, Child’s Play 01 2022 ANZEIGEN 10.6.–12.11.23

Abdichten und Ausdenken

Kurt stolperte über ein Gänseblümchen, das zwischen den Pflastersteinen herausragte. Über ein Gänseblümchen kann man nicht stolpern, das war ihm auch klar. Er hatte es nur zu spät entdeckt und wollte nicht mit ihm in Kontakt kommen, weshalb er ungeschickt auftrat. Er taumelte und versuchte den Sturz abzuwenden, indem er, schon beinahe in der Horizontalen, die Füsse noch zwei-, dreimal voreinandersetzte.

Das geschah auf dem Marktplatz einer Kleinstadt, ganz hinten in einem Tal voller Fabriken und Werkhallen, eingeschlossen zwischen hohen Felswänden, die bereits am frühen Nachmittag die Sonne verdeckten. Am Stadtrand führte ein kurviger Weg bergab. Wer ihn nahm, glaubte nach ein paar Minuten, zuunterst angekommen zu sein, doch dann war da wieder eine Abzweigung, die weitere zwanzig Meter hinabging. In dieser Senke stand ein Zaun, und hinter dem Zaun war eine Hecke, und hinter der Hecke befand sich Kurts kleines Haus. Die Sonnenstrahlen erreichten es nicht länger als ein paar Minuten pro Tag, weshalb von Kurts Sommersprossen nur noch ein paar blassgraue Flecken übrig waren, die sich von der bleichen Haut kaum abhoben.

In seinem Keller hatte Kurt einen Bastelraum eingerichtet, in dem er sich seit drei Jahren jeden Abend nach der Arbeit aufhielt. Hier hoffte er, eines Tages ein Rätsel zu lösen, das die Menschheit seit über hundert Jahren beschäftigte: den perfekten Verschluss für den Getränkekarton zu finden.

Die Geschichte der Getränkekartons war eine Aneinanderreihung von Fehlschlägen: In den Anfängen hatte man einfach den Giebel des Kartons abgeschnitten. Aber da man nicht immer eine Schere dabeihatte, perforierte man die Ecke, sodass sie sich abreissen liess. Doch weil dabei die Milch immer überschwappte, führte man jene Kartons ein, die man öffnete, indem man die Laschen auffaltete. Die Handhabung war aber zu umständlich, deshalb entwickelte man einen Verschluss mit einem Plastikring, den man mit dem Finger wegriss. Aber wer empfindliche Haut oder Gelenkprobleme hatte, bekam den Karton gar nicht erst auf. Und so kreierte man die Kunststoffzungen zum Eindrücken. Nun spritzte die Milch aber wieder raus, und zudem war der Deckel undicht. Deshalb wurden dann die Schraubverschlüsse erfunden. Ihr Drehmechanismus, mit dem sich eine Innenkappe löste, kostete aber ältere Menschen zu viel Kraft. Zudem war die Verpackung teurer, die Milch schwappte unkontrolliert hinaus, und die Schachteln liessen sich nicht mehr stapeln. Und somit war es nur schlimmer geworden.

Kurt wollte derjenige sein, der dieses Problem, mit dem sich Millionen von Menschen seit Jahrzehnten täglich

herumschlugen, endgültig löste. Er wollte den Verschluss erfinden, der jeden weiteren Versuch unnötig machte. Abend für Abend zeichnete er Entwürfe, arbeitete an Prototypen, faltete, schnitt und klebte, testete Trichter oder Dosierpumpen und grübelte bis zur Erschöpfung. Er kam der Lösung nicht näher, aber er gab auch nicht auf.

Schon als Kind hatte er sich mit Verschlüssen beschäftigt. Je dichter ein Verschluss war, umso grösser war Kurts Faszination gewesen. Er hatte ein Spielzeugflugzeug besessen und immer wieder dessen Tür auf- und zugeklappt. Er konnte sich nichts vorstellen, was dichter war als eine Flugzeugtür, und dieser Gedanke beruhigte ihn.

Er war noch nicht einmal alle Milchzähne los, als er schon komplexe Schachteln bastelte und sich mit Falzmechanismen, Luftpolsterfolien und Füllmaterialien wie Schaumstoffperlen auseinandersetzte. Er sammelte Korkzapfen, Schraubdeckel, Steckschnallen von Rucksäcken, kaufte sich von seinem Taschengeld Klett am Meter, um zu erforschen, wie sich die Widerhaken der einen Seite in die Schlaufen der anderen fügten. Er konnte Schlüsselzylinder durch blindes Betasten den Herstellern zuordnen und wusste bald so viel über Schlösser, dass aus ihm ein professioneller Einbrecher geworden wäre, hätte er nur ansatzweise eine kriminelle Veranlagung gehabt.

Kurts Vater hatte die meiste Zeit zu Hause verbracht, entweder arbeitslos oder krankgeschrieben, während die Mutter für ein Bestattungsunternehmen tätig gewesen war. Sie blieb oft auch abends weg, manchmal die ganze Nacht. Kurts Vater sah sich von Überfällen, Verschwörungen, Intrigen und Überwachungssystemen bedroht. Stets warnte er den Sohn vor Einbrechern. Kurt musste jeden Abend überprüfen, ob die Fenster des Kinderzimmers gut verriegelt waren. Aber selbst wenn sie es seien, so hatte ihm sein Vater vor dem Lichterlöschen erklärt, könnte jederzeit nachts ein Mann mit einer Axt neben Kurts Bett stehen.

Der Vater seinerseits bekam immer mehr Angst vor der Mutter und verdächtigte sie sogar krimineller Praktiken. Er verrannte sich in die Idee, sie betreibe Organhandel. In ihrer Gegenwart liess er sich nichts anmerken, aber sobald sie aus dem Haus war, schloss er die Tür ab, verdunkelte die Wohnung und warnte Kurt panisch davor, dass die Mutter sie beide umbringen wolle. Sie habe absichtlich nicht rutschfeste Teppiche gekauft, damit sie hinfielen und sich verletzten. Und leicht verderbliche Lebensmittel, um sie langsam zu vergiften.

Der Vater nahm sich vor, Kurt abzuhärten, um ihn auf gefährliche Situationen vorzubereiten, und diesen Vorsatz nahm er sehr ernst. An Silvester liess er Kurt glauben, es sei Krieg ausgebrochen. Oder er stürmte nachts mit Schutzanzug und Gasmaske in Kurts Zimmer und rief, diesmal

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sei es ernst, diesmal sei es keine Übung. Mal kam er als Clown verkleidet durch das Fenster geklettert, mal brachte er unter der Kommode Lautsprecher an, aus denen in der Dunkelheit Stimmen ertönten. Er sagte Kurt, das Bett bestehe aus abgetrennten Gliedmassen. Tief in der Matratze schlage noch ein Herz, das man sogar hören könne, wenn man sein Ohr nur fest genug an sie drücke. Und eines Morgens erwachte Kurt neben einem ausgestopften Marderhund, den sein Vater ihm unter die Decke gelegt hatte. Es war der Tag, an dem die Mutter verhaftet wurde. Sie hatte tatsächlich mit Organen gehandelt.

Zu seinem vierzehnten Geburtstag bekam Kurt von seiner Grosstante einen Vakuumierer geschenkt. Er setzte sich intensiv mit der Mechanik auseinander, las nach, wie die Pumpe im Inneren dem Beutel Sauerstoff entzieht, wie der Saugmechanismus aktiviert wird, der Druck sich erhöht, der Schweissprozess einsetzt. Nach der Schulzeit studierte Kurt Verpackungstechnologie. Das Handbuch für Verpackungstechnik las er mehrmals von der ersten bis zur letzten Seite durch. Anschliessend begann er bei einer Pflaster- und Kompressenfirma zu arbeiten, für die er Behälter entwickelte. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen redete er nur, wenn es nötig war. Er wollte nicht allzu freundlich sein, sonst riskierte er, dass sich in der Kantine jemand zu ihm setzte. Obwohl er nun schon über zehn Jahre für das Unternehmen tätig war, wusste er von den meisten nicht, wie sie hiessen. Das war aber auch nicht nötig. Er hatte inzwischen eigene Namen gefunden. Den Mitarbeiter vom Verkauf, der sich immer anschlich, wenn er Kurt etwas fragen wollte, nannte er den Schleicher. Derjenige von der Personalabteilung, der sich von niemandem provozieren liess, sondern immer das konstruktive Gespräch suchte, war der Seelsorger. Die vom Kundendienst, die in ihren Zweiteilern aussah, als würde sie Werbung für Frischkäse machen, war die Crème fraîche. Und der mit dem Tomatenkopf war der Tomatenkopf.

Dass er nun, auf dem Heimweg von der Arbeit, im Begriff war, wegen eines Gänseblümchens zu stürzen, war selbst für Kurt ungewöhnlich. Es gab ja viel Schlimmeres. Zum Beispiel Springkraut. Er hasste die Kapseln, die schon zerplatzten, wenn man sie kaum berührte, hasste es, wenn sie ihre Samen meterweit herumschleuderten, während sich die Hülle wie unter Schmerzen verkrümmte. Am unheimlichsten waren ihm aber die Blumen, die in Arbeitsbereiche und Wohnräume eindrangen: Tulpen in Vasen zum Beispiel, deren Blüten sich öffneten, sich streckten und spannten und spreizten, obwohl ihre Stängel längst durchtrennt waren.

Eigentlich beunruhigte ihn ja fast alles, was sich öffnete oder öffnen liess oder auch nur eine Öffnung hatte, aus der etwas herauskommen konnte: Spieldosen, Springbrunnen, Garagentore, aufgeschlagene Eier oder noch schlimmer solche, aus denen sich etwas Lebendiges hervorkämpfte, Geburtstagsgeschenke, dazu die beleidigten Reaktionen, wenn er sich weigerte, die Schnur zu lösen und das Papier aufzureissen, Chöre mit ihren synchron aufgerissenen Mündern. Sowieso: Münder und Zungen.

Weil er niemanden küssen wollte, hatte er lange befürchtet, jungfräulich zu sterben wie seine Grosstante, die als Siebenundneunzigjährige im Altersheim immer noch darauf bestanden hatte, mit «Fräulein» angesprochen zu werden, und deren wichtigste Hinterlassenschaft zwölf Schachteln mit Stickbildern von Schäferhunden, Eulen und Bauernhäusern im Wechsel der Jahreszeiten waren –mehr wahrscheinlich, als von Kurts Leben übrigbleiben würde.

Eines Tages traf er aber tatsächlich eine Frau, die ihm gefiel, und da fand er das Küssen wenn auch nicht angenehm, so doch immerhin erträglich. Seine Partnerin war eine Pyromanin. Sie schäme sich so, erklärte sie Kurt unter Tränen, sie wolle sich ändern. In der nächsten Nacht stand sie bereits wieder vor brennenden Vorhängen und

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lachte wie Satan. Jahre später liess er sich mal noch von einer Frau zum Essen einladen. Aber weil er fürchtete, sie könnte ihn vergiften, bestand er darauf, dass sie einen Bissen von seinem Teller nahm, bevor er selber davon ass. Damit war auch dieser Versuch gescheitert, und Kurt schloss mit den Frauen ab.

Es gelang ihm nun, sich einen vorhersehbaren Alltag aufzubauen. Er konnte einem Beruf mit klaren Abläufen und regelmässigen Arbeitszeiten nachgehen. Er traf sich stets mit denselben wenigen Leuten, von denen ihm niemand zu nahe kam. Er hortete einen Vorrat an gleichen Kleidern, hatte sich als Haustier eine Schildkröte ausgesucht, die vermutlich nie ersetzt werden musste, weil sie ihn überleben würde, und verzichtete auf Reisen. Wenn er Urlaub hatte, sortierte er seine Dokumente oder den Gewürzkasten. Es gab so gut wie keine Entscheidungen mehr zu treffen.

Selten überkam ihn die Angst, dass er eines Tages wegen etwas sehr Dummem sterben könnte, zum Beispiel weil er einen Zahnstocher verschluckte. Und dass er in den paar Sekunden vor dem Tod noch dachte: Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Dann kam es ihm vor, als sässe er nur noch die Zeit bis zu dieser Dummheit ab. Denn er hatte ja aufgeräumt, alle Störfaktoren beseitigt oder auf ein Minimum reduziert. Er konnte sich nicht vorstellen, was jetzt noch kommen sollte.

Bis er eines Tages erkannte, wofür er bestimmt war: Er musste die Getränkekartons aus ihrer Geschichte des Versagens befreien. Drei Jahre beschäftigte er sich inzwischen mit dieser Aufgabe, und allmählich gingen ihm die Ideen aus. Er fragte sich, ob er immer noch zu konventionell dachte, und versuchte, über Umwege ans Ziel zu kommen, neue Perspektiven einzunehmen, auch Methoden auszuprobieren, die auf den ersten Blick absurd schienen.

Er experimentierte mit Druckknöpfen, Korkzapfen, Schnellbindern, mit Steck- und Reissverschlüssen, schliesslich mit Kombinationen mehrerer Vorrichtungen, etwa mit Klettverschlüssen, die einen Falzmechanismus auslösten und sich mithilfe von Magneten allein wieder verschlossen. Kurts Modelle durchliefen in drei Jahren dieselbe Entwicklung wie die bereits patentierten Exemplare innerhalb eines Jahrhunderts: Je weiter er dachte, desto grauenvoller wurden die Ergebnisse. Eines Abends gab er sich endlich der Verzweiflung hin. Er verschränkte die Arme auf der Arbeitsfläche, legte den Kopf darauf und heulte lange.

Der Sturz auf dem Marktplatz ereignete sich am nächsten Tag. In den zweieinhalb Sekunden, in denen sich Kurt noch zu retten versuchte, fiel ihm plötzlich die Lösung ein: Das Problem war nie der Verschluss gewesen, sondern der Karton selbst. Man musste nichts anderes tun, als diesen abzuschaffen. Wie hatte man überhaupt mal annehmen können, es sei eine gute Idee, Flüssigkeit in Karton zu verpacken?

Mit dieser Erkenntnis schlug sein Kopf heftig an einen Blumentopf aus Faserbeton. Kurt blieb liegen. Gleich würde er das Bewusstsein verlieren. Und es war ihm ein Trost, dass er vor seinem Tod noch eine Antwort gefunden hatte.

Natürlich stirbt man nicht, nur weil man sich den Kopf an einem Blumentopf stösst. Kurt aber glaubte genau das. Und wie man es beim Sterben wohl so macht, dachte er an den Anfang seines Lebens. Nicht an die Geburt, denn die Vorstellung, dass sein Körper aus einem anderen Körper herausgekommen war wie bei einer riesigen Babuschka, machte ihn nervös, und nervös wollte er sein Leben nicht beenden. Nein, er dachte an den tatsächlichen Anfang, als er geteilt gewesen war in ein Spermium und eine Eizelle, getrieben von zwei sich ergänzenden Instinkten: verpackt zu werden und zu verpacken.

GIULIANO MUSIO wurde 1977 geboren, ist schweizerisch-italienischer Herkunft und hat Germanistik und Anglistik studiert. In seinen Romanen «Scheinwerfen» (2015) und «Wirbellos» (2019) verbindet er genaue Recherche und Faktentreue mit surrealen Elementen. Für «Wirbellos» wurde er mit dem Literaturpreis des Kantons Bern und dem Kurt-Marti-Preis ausgezeichnet. Mit der Kolumnensammlung «Keinzigartiges Lexikon» (2018) und einem neuen Text zu Beethovens «Egmont» (2019) hat er sich auch kürzeren literarischen Formen zugewandt. Neben dem Schreiben ist Musio als Korrektor bei der Neuen Zürcher Zeitung tätig.

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Der Platz ist überall ... vielleicht ist er, wo eine Mutter oder eine Frau mit einem Kind sein soll. Ich erzähle sie, sie ist eine Frau, sie ist wie eine Geschichte ... Ich will erzählen, was sie mir verraten hat. Wir kannten einander nicht, aber die Situation war sehr vertraut. Ich war ein Kind ... Ich bin ein Kind, ich habe Fragen, ich suche Antworten überall, in Büchern, in Geschichten, an Orten … Manchmal sind Bücher Orte. Ich weiss nicht wo, aber wir standen an einem Fenster. «Öffne die Flasche für mich», sagte ich. Sie: «Bitte.» Ich: «Öffne die Flasche für mich.» Sie: «Am Anfang oder am Ende eines Satzes sagt man ‹bitte›.» Ich: «Es spielt keine Rolle, wenn du mir einfach helfen würdest.» Sie: «Das stimmt ... Aber ich habe vor kurzem in der Sprachschule gelernt, ‹bitte› ist etwas Wichtiges.»

Ich: «Ja, das sagt man so, aber ich bin einfach ein Kind … unbelastet.»

Sie: «Was bringt dich dazu, dir so sicher zu sein, dass ich dir helfen werde?»

Ich: «Ich bin mir bewusst, dass ich ein Kind bin.»

Sie: «Die Leichtigkeit gehört nur den Kindern.»

Ich: «Leichtigkeit in der Seele meinst du? Oder beim Gewicht?»

Sie: «Die Kinder sind die Leichtigkeit in Bezug auf das Gewicht, sie sind die Seele nach dem Warten … Manchmal sind sie das Gewicht selbst.»

Ich: «Kinder sind unerträgliche Leichtigkeit … aber oft sind sie leicht.»

Sie: «Willst du weiterspielen oder malen?»

Ich: «‹Würdest du gerne?› Es ist richtiger, wenn du die Frage so stellst. Ich weiss nicht, warum die Erwachsenen Spielen und Malen mit Kindern in Verbindung bringen. Die Kinder haben Fragen. Wir tragen immer die Frage ‹warum?› mit uns.»

Sie: «Wir fragen immer ‹warum?›, warum bleibt der Mensch hier von Geburt bis Tod?»

Ich: «Kannst du die Fragen beantworten?»

Sie: «Ja! Ich versuche die Fragen immer wieder zu beantworten.»

Ich: «Die Erwachsenen haben die Macht zu antworten.»

Sie: «Sie haben Wissen.»

Ich: «Denkst du?» Sie: «Sie … Denken Sie?»

Ich: «Haben Sie das auch vor kurzem in der

Die Grube

Sprachschule gelernt?» Sie: «Ja.» Ich: «In der Schule unterrichtet euch die Macht?»

Sie: «Wir haben keine Macht.»

Ich: «Ja, darum beschäftigen Sie sich mit ‹Sie› und ‹Du›.»

Sie: «Verstehst du Macht?»

Ich: «Ich habe gehört, dass die Eltern Macht haben über ihre Kinder.»

Sie: «Ja. Sie zwingen die Kinder, sich an Routinen zu gewöhnen.»

Ich: «Ja, das ist Macht ohne Wissen.»

Sie: «Ja, das ist Macht ohne Verstehen.»

Ich: «Routine ist Macht.»

Sie: «Routine ist Freiheit.»

Ich: «Das Wort ‹Du› hat keine Macht, ‹Sie› hat vielleicht mehr Macht.»

Sie: «Macht braucht irgendwie Dummheit.»

Ich: «Dummheit lehrt man sie auch in der Schule?»

Sie: «Oder vielleicht ist sie ein Talent, der Mensch bekommt sie einfach so bei der Geburt mit.»

Ich: «Damit die anderen die Kontrolle behalten können, müssen wir blöd sein.»

Sie: «Oder wir werden dazu gemacht.»

Ich: «Wenn ich spiele, finde ich, dass es einfacher ist, meine Soldaten spielen meine Geschichte, die ich für sie erfinde, das braucht keine Intelligenz.» Sie: «Aber dein Gehirn ist noch jung, du kannst es mit Intelligenz füllen.» Ich: «Wie? Wird das in der Schule unterrichtet?» Sie: «Nein.» Ich: «Plastiksoldaten zu kontrollieren braucht kein Denken.» Sie: «Deine Spielzeuge, meinst du?» Ich: «Ja. Ich habe auch ein kleines goldiges Mädchen und einen Buben.» Sie: «Warum?» Ich: «Geschenk vom Spatz. Er war weiblich, ein weiblicher Spatz.» Sie: «Sind sie ein Liebespaar?» Ich: «Wahrscheinlich! Vielleicht sind sie rein zufällig in derselben Musikkiste.» Sie: «Liebe ist auch Zufall.» Ich: «Wie ist die Liebe?» Sie: «Wenn du irgendwo hingehst und alleine zurückkommst, ohne dein Herz.» Ich: «Mein Herz wird dort hängenbleiben?» Sie: «Meines ist dort hängengeblieben.» Ich: «Herzen hängen oder bleiben immer irgendwo.»

Sie: «Warum?» Ich: «Hmmm … vielleicht wegen des Schaukelns. Die Liebe kommt mit der Schaukel, der Körper schwingt zurück, aber das Herz bleibt hängen, neben dem Mond.» Sie: «Neben jemandem.» Ich:

«Ich weiss nicht … Ich weiss nur, dass der Körper ohne Herz zurückkommt.» Sie: «Vielleicht hat unser Herz Mondkrater.»

Ich: «Mag sein.» Ich: «Öffne die Flasche für mich.» Sie öffnet sie. Sie: «Wie hoch kannst du schaukeln?» Ich: «Kommt darauf an, wer angibt.» Sie: «Oder wie weit du kommen möchtest.» Ich: «Ich habe kein Ziel, ich gucke bloss einen Punkt an und stelle mir vor, dass ich ihn erreichen kann.» Sie: «Einen Krater im Mond?» Ich: «Nein … ein Licht.»

Sie: «Meinst du einen Stern?» Ich: «Nein, einfach Licht. Erwachsene haben immer für alles einen Namen. Licht ist Licht, das kann ein Stern sein oder ein Loch oder ein Mensch.» Sie: «Licht scheint in der Dunkelheit.» Ich: «Licht scheint auch im Licht, unter dem Sonnenlicht gibt es leuchtende Dinge, und es gibt noch leuchtendere Dinge, wenn ich schaukle. Ich gucke die Punkte an, die am meisten leuchten.» Sie: «Kommt darauf an, wie weit weg sie sind.»

Ich: «Entfernungen interessieren mich nicht, ich verstehe sie nicht.»

Sie: «Aber sie sind manchmal wichtig.»

Ich: «Sie sind oft gut.»

Sie: «Sie bedeuten Sicherheit zwischen Menschen.»

Ich: «Sie spielen keine Rolle für die Sicherheit.» Sie: «Doch, irgendwie spielen sie eine Rolle.» Ich: «Wenn du deine Privatsphäre nicht mit den anderen teilen möchtest.» Sie: «Hast du das ausprobiert?» Ich: «Wenn ich meine Spielzeuge an einem Ort stehen lasse und mit Abstand draufgucke, finde ich das Bild sehr komisch.» Sie: «Genauso ist es mit der Privatsphäre, findest du?» Ich: «Entfernungen finde ich gut, um seine Probleme und Ideen in Distanz zu anderen lassen zu können.»

Sie: «Die Geheimnisse durch Distanz beschützen.»

Ich: «Das ist das Gegenteil von deinem Zustand jetzt.»

Sie: «Du hast nicht ‹Sie› gesagt.»

Ich: «Ich brauche Hilfe.»

Sie: «Trink einfach.»

Ich: «Die Wasserflasche war die Distanz.»

Sie: «Hast du sie weggeworfen?»

Ich: «Nein, sie ist die Distanz zwischen uns.»

Sie: «Aber du wirst sie irgendwann wegwerfen.»

Ich: «Es gibt immer etwas, das wir weg­

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werfen müssen.»

Sie: «Wie diese Flasche.»

Ich: «Aber wenn sie leer ist, nicht solange es noch Wasser drin hat.»

Sie: «So sind die Menschen.»

Ich: «So bist du.»

Sie: «Es gibt immer etwas von der menschlichen Natur, das wir wegwerfen müssen. Aber wir verzichten nicht auf die Menschen.»

Ich: «Aber das ist nicht für alle möglich.»

Sie: «Leider stimmt das, es ist eher möglich für die Reichen.»

Ich: «Sie können sich einfacher entfernen, sich distanzieren, Dinge wegwerfen.»

Sie schweigt.

Ich: «Mögen Erwachsene Farben?»

Sie: «Mögen sie, ja. Aber für sie machen sie keinen Sinn, sie haben keine Bedeutung.»

Ich: «Sehen sie alle Farben wie Wasser?»

Sie: «Wasser hat keine Farbe.»

Ich: «Aber Wasser kann Farbe haben, wenn es will.»

Sie: «Es kann Farbe annehmen.»

euer Verhalten ist nicht sauber, denn das Wasser ist nicht trinkbar.»

Sie: «Findest du Wasser nicht blau?»

Ich: «Nein, das Wasser hat diese Farbe der Natur gestohlen.» Stille.

Sie: «Die Quelle hier ist sauber und das Wasser trinkbar, die Quelle dort ist nicht sauber.»

Ich: «Jede Quelle hat trinkbares Wasser, jeder Brunnen, aber nicht überall. Woher kommst du?»

Sie: «Von der rechten Seite, und du?»

Ich: «Auch von der rechten Seite.»

Sie: «Es ist seltsam, dass wir uns nicht getroffen haben!»

Ich: «Wo hätten wir uns treffen sollen?»

Sie: «Unterwegs?»

Ich: «Ich war nicht unterwegs, ich war überwegs.»

Sie: «Kamst du zu Fuss hierher?»

Ich: «Ich kam durch die Erinnerung von der rechten Seite!»

Sie: «Vielleicht durch die Farbe?»

Sie: «‹Gesehen …› Wir sehen die Farbe.»

Ich: «Ich berühre die Farben. Rot ist immer dick und langsam, aber Blau leicht und fliessend.»

Sie: «Ich stand irgendwo an einem Loch, ich sah, wie jemand reingeht. Ich berührte die Menschen neben mir, aber ich habe nicht allzu viel gesehen.»

Ich: «Ja, berühren ist wahrer als sehen.»

Sie: «Wie schön ist das?»

Ich: «Wir können auch die Schönheit berühren.»

Stille.

Wir stehen jetzt an einem Fenster, sie ist nicht mehr da, plötzlich werden ihre Haare grau, sie kann nicht mehr lange stehen, ich bleibe klein, ich bleibe ein Bub, ich will durch diese Erinnerung zurückkehren, ich weiss nicht, wohin, aber die Farben sind nicht mehr da, die Luft, das Wasser, die der das … nicht mehr da, wir können hier nicht mehr ertragen.

Ich: «Das Wort ‹Sie› ist für mich einfach zu viel.»

Ich: «Vom Licht?»

Sie: «Von uns.»

Ich: «Erwachsene haben kein Licht.»

Sie: «Vielleicht von den Kindern.»

Ich: «Wasser spiegelt in seiner Farbe wider, wer wir sind. Die Quellen hier sind sauber und das Wasser trinkbar.»

Sie: «Das Wasser spiegelt uns wider, unsere Gesichter, unser …»

Ich: «Euer Verhalten.»

Sie: «Als Menschen.»

Ich: «Als Erwachsene. Nicht als Menschen,

Ich: «Meinst du blaue Farbe?»

Sie: «Ja! Das Blau gibt dem Himmel seine Farbe, und auch dem Meer.»

Ich: «Ja eben! Ich habe doch gleich gesagt, der Himmel hat das Blau gestohlen, und ebenso das Meer. Aber nein, nicht durch die Farbe. Die letzte Sache, an die ich mich erinnere, ist, dass ich auf einem Loch stand, und jemand hat mich gestossen, meine Schultern waren sehr warm, aber ich hatte keine Schmerzen. Da war rote Farbe, ich habe sie berührt.»

Sie: «Ich bin einfach viele.» ANZEIGE

LUBNA ABOU KHEIR , Autorin und Schauspielerin aus Syrien. Sie hat vier Stücke auf Deutsch geschrieben, darunter «Gebrochenes Licht» und «Cheese War» (Theater Neumarkt Zürich). Sie schreibt auch Prosatexte, u.a. im Projekt «Weiter Schreiben Schweiz». Preis als beste Schauspielerin am Amarcort Film Festival Rimini 2022.

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FOTO: MAHAR AKRAA

Nur wenn ich deine Augen hätte

Der Geruch des Regens

Der Duft von Rosen

Der Geruch des Weizens

Der Geruch des Regens im Frühjahr und wie frisch er ist

Der Duft von Rosen die gerade erblühen

Und wie frisch er ist

Der liebliche Gesang

der Nachtigall bei Sonnenaufgang

was ist das für ein schöner Klang

Die rauschhafte Frühlingsbrise

die von überallher weht

Zaubert den Tulpen ein Lachen auf den Mund

Gibt dem gefallenen Blatt des Baumes Leben

Haucht Seele ein den Ranken der Reben

Und macht sie neu so dass sie Trauben geben

Auf dass ich Wein daraus machen kann

Und diesen Trank trinke ich dann

Dass mir zumute wird wie jener Frühlingsbrise

Und ich das Herz vom Rost befreie

Dass ich die anderen so liebe wie die laue Luft

Wenn ich es bin der weht

Und niemals frage: Wo kommst du denn her?

Oder auch dass gleich dem Regen

Wenn es an mir sein wird zu regnen

Kein Unterschied sei zwischen dir und mir mir und den anderen

Oder dass gleichermassen der roten Tulpe gleich im Rausch

Mein Lachen zu jedem Schauspiel in der Wüste klingt

Dass ich niemals meinen Duft verkaufe an die Fremde

Dass mein Kopf so rot wie sie sei

Dass ich meinen Leib hingebe der Geliebten so wie sie

Mich jedem ihrer Gefährten schenkt

(Mich jedem ihrer Gefährten schenkt).

Aus dem afghanischen Persisch (Dari) von Kurt Scharf.

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Buchhandlung im Volkshaus

Stauffacherstrasse 60

8004 Zürich

Telefon 044 241 42 32 www.volkshausbuch.ch info@volkshausbuch.ch

Politik,Literatur Marx,Jelinek

Psychoanalyse Freud

Fehler

Das Leben ist ein Fehler, weil wir es falsch lesen. Wir alle liegen falsch im Fehler, im Fehler liegen wir falsch. Es ist ein Fehler. Es liegt falsch. Es ist ein Fehler.

Wir gehen auf diesem Weg. Dieser Weg ist falsch.

Geh’ ich schräg, ist dies ein Fehler und das ein Fehler. Gehst du gradeaus, ist das ein Fehler und dies ein Fehler. Geh’ ich gradeaus, ist dein Weg mein schräger Weg. Wenn mein schräger Weg bei dir gradeaus geht, welcher ist dann falsch?

Wenn selbst die Fehler falsch sind, dann gehst du auf dem falschen Weg und ich gehe auf dem falschen Weg.

Viele Fehler liegen zwischen dir und mir. Der unsinnige Weg, auf dem wir beide gehen, ist zwecklos, ein Fehler.

Nur wenn ich deine Augen hätte und du meine, dann wäre dein Weg kein Fehler und mein Weg kein Fehler.

JAFAR SAEL ist 1997 in Herat, Afghanistan geboren. Bereits als Jugendlicher begann er Gedichte zu schreiben und sie auch vor Publikum vorzutragen. Philosophie, Lyrik und Musik sind seine Leidenschaften. Er schreibt ausserdem Songtexte, singt im Intergalaktischen Chor Zürich und macht seine ersten Schritte in der Malerei.

in

denken Gegen sätzen denken

Literaturhaus Zürich live und auf der digitalen Bühne

Sept–Okt 2023

12.9. Paolo Giordano

14.9. Isolde Schaad

18.9. Homeira Qaderi

21.9. Gianna Molinari

28.9. Judith Keller

3.10. Ilija Trojanow

12.10. Çiğdem Akyol

25.10. Francesca Melandri

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Aus dem afghanischen Persisch (Dari) von Lutz Rzehak.
FOTO: WILMA LESKOWITSCH

Der Briefjäger

Immer wenn ich meine Wohnung betrete oder verlasse, schaue ich in meinen Briefkasten, und freue ich mich immer noch über Prospekte und Werbeangebote, die sich mit unterschiedlichsten Briefen dort sammeln. Denn seit meinem Umzug nach Wien habe ich stets bei allen möglichen Stellen meine persönlichen Daten angegeben, um Post von ihnen zu erhalten.

Ebenso lehnte ich die Angebote staatlicher Institutionen, monatliche Beträge automatisch von meinem Konto einziehen zu lassen, ab und zog es vor, Rechnungen auf Papier zu bekommen, die mit anderen Briefen in meinem kleinen weissen Briefkasten landen würden. Mein Entschluss entsprang keinem Misstrauen gegenüber den Institutionen, sondern einfach dem Wunsch, Post zu bekommen, die ich durchsah, sortierte, teilweise las, um am Ende nur die wichtigsten Briefe aufzubewahren.

Mir ist bewusst, dass viele Leute Papier sparen wollen und gedruckte Rechnungen vermeiden, aber nach reiflichem Überlegen wurde mir klar, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss, solange ich mich nicht daran beteilige, Plastikmüll anzuhäufen. Und dass ich andererseits unter einer ganz besonderen Form von Vitamin­B­Mangel leide, eine gefährliche Krankheit, die die Gefühlswelt des Menschen durcheinanderbringen und sich zuspitzen kann. Auch du kannst dich damit anstecken, wenn du dein halbes Leben damit verbringst, in regionalen und überregionalen Zeitschriften auf die Rubrik «Brieffreundschaften» zu starren, ohne je selbst einmal Post zu bekommen.

Eines Tages hatte der Verantwortliche der Flüchtlingsunterkunft laut nach mir gerufen, um mir einen Brief des Bezirksgerichts zu überreichen. Das war der erste Brief, den ich je erhalten habe, mit über achtundzwanzig Jahren. Ich betrachtete den Regierungsadler, der hellgrau auf dem Umschlag prangte, und nachdem der Vogel weder um meinen Kopf flog noch sich auf mich stürzte, beschloss ich, den Brief zu öffnen und zu lesen.

Ich musste gleich an meinen fünf Jahre älteren Bruder denken. Er war der einzige Mensch, den ich je mit einem Brief in der Hand gesehen hatte. Er hatte das Briefeschreiben geliebt und in jener Zeit Briefmarken aus verschiedenen arabischen Ländern gesammelt. Doch obwohl er monatlich Briefe erhielt, hatte ich niemals einen Postboten bei uns gesehen. Auf meine Nachfrage sagte er, dass

er von Zeit zu Zeit zum Postamt gehe, um die postlagernd an ihn gesendeten Briefe persönlich in Empfang zu nehmen. Obwohl sich die Briefe auf seinem Schreibtisch und in seinen Schubladen stapelten, habe ich nie auch nur einen von ihnen gelesen, trotz meiner Neugier zu erfahren, was seine Freunde aus den verschiedenen Ländern ihm schrieben und was er ihnen antwortete.

Während ich noch auf den Adler starrte, war ich mir sicher, dass der Absender meines ersten Briefes keine Brieffreundschaft mit mir anstrebte, denn es war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht vergönnt gewesen, irgendwo meine Adresse und meine Hobbys zu veröffentlichen. Auf dem Brief klebte auch keine Marke, die in mir den Wunsch ausgelöst hätte, sie mit Wasserdampf abzulösen und aufzubewahren. Der Brief war mit Computer geschrieben, und mir wurde mitgeteilt, dass ich mich auf ein Interview zwecks Entscheidung über mein Aufenthaltsrecht vorbereiten solle.

Nachdem ich mir Inhalt und Termin eingeprägt hatte, warf ich den Brief weg.

Nach einigen Monaten, die rasch vergingen, erhielt ich meinen zweiten Brief. Darin steckte die Entscheidung des Gerichts über die Rechtmässigkeit meines Antrags, was bedeutete, dass ich bleiben und mir in einem Dorf eine Wohnung mieten durfte. Ich zog ins obere Stockwerk eines Hauses und wohnte direkt neben der Vermieterin, mit der ich mir einen Briefkasten teilte. Aber weil sie mir keinen eigenen Briefkastenschlüssel gab, vereinbarten wir, dass sie meine Post in der Schublade des im Flur stehenden Schuhschranks deponieren sollte, falls der Staat beschliessen sollte, mir einen weiteren Brief zu schicken, in dessen erster Zeile zu lesen sein würde: «Sehr geehrter Herr Abboud».

Das Austauschen von Messages im Allgemeinen war mir nicht fremd, ich kannte es jedoch nicht in Form von Briefen. Seit meiner Zeit auf dem Gymnasium hatte ich E­Mails geschrieben und Freundschaften in andere Städte und Länder gepflegt. Wir schickten uns Gedichte, ohne viele Worte zu verlieren, denn persönlich tauschten wir uns direkt über das Internet aus, wo sich Websites für Chatrooms und Internettelefonie verbreiteten.

Ich schrieb zwar E­Mails an Zeitschriften, mit der Anfrage, ob sie Texte von mir veröffentlichen würden, doch

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es wäre mir im Traum nicht eingefallen, einem meiner Freunde in Syrien einen Brief zu schicken – und hätte ich es getan, wäre mir offener Spott sicher gewesen. Ausserdem hätte ich dem Empfänger meines Briefes grosse Mühen abverlangt, weil er auf der Suche nach dem Brief zwischen den verschiedenen Postämtern hin und her laufen müsste, um zu erfragen, wohin der Brief seinen Weg gefunden hätte.

Mein Vater erzählte mir, dass in seiner Jugend noch Briefe geschrieben wurden, und seine Geschichten stimmten mit den Bildern überein, die ich in alten italienischen Filmen gesehen hatte. Dort fährt ein Mann, der die Strassen der Stadt wie seine Westentasche kennt, auf einem alten Fahrrad umher, gekleidet in eine dunkelblaue Uniform, eine Tasche über der Schulter und eine Mütze zum Schutz vor der Sonne auf dem Kopf, bei der man im ersten Moment an die Polizei oder den Geheimdienst denkt. Doch gleich darauf erkennt man sein breites Lächeln, wenn er näherkommt, ein Lächeln, das sich der Hoffnung der Wartenden bewusst ist, er möge vor ihrer Tür haltmachen.

Doch dann war dieser Mann mit seinem Fahrrad wie vom Erdboden verschwunden, und es blieben nur die nostalgischen Geschichten meines Vaters. Und mein Schicksal war es, in einer Welt aufzuwachsen, in der nur besondere Menschen wie mein Bruder Briefe erhielten. Wir aber, die Normalen, mussten unsere Botschaften per E­Mail verschicken oder sie Reisenden mitgeben. Wir stellten uns neben die Busse und baten den Fahrer oder einen der Fahrgäste, unsere Post mitzunehmen und sie an die Liebsten zu übergeben, was den Bräuchen der Beduinen in alten Zeiten ähnelte, wenn sie den Karawanen mündliche Nachrichten mit auf den Weg gaben, oder, sagen wir, mit der Brieftaube schickten, wenn sie über diesen Luxus verfügten.

Wird die Brieftaube eigentlich anders genannt, wenn sie sich auf ihrer Reise mit ihrem Brief auf ein Reittier setzt, das ihr das anstrengende Flattern für einen Teil des Weges abnimmt?

Alles, was ich aus der Schublade des Schuhschranks herauskramte, waren Schreiben, die mit jenem bekannten Satz begannen, den ich in diesem Land kennengelernt und von dem ich begriffen hatte, dass er mich mein ganzes Leben lang begleiten werde:

«Sehr geehrter Herr Abboud ...»

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Die Möglichkeit, etwas anzunehmen oder abzulehnen löst sich allerdings in Luft auf, sobald der graue Adler auf dem Brief hockt. Solcherart Briefe können ungefragt in deinem Briefkasten landen und brauchen keine Briefmarke als Eintrittskarte.

Immer wenn die Briefmarke fehlt und die Krallen des Adlers das Papier des Umschlags berühren, stellt sich ein Gefühl der Angst ein, selbst wenn der Brief bloss eine Antwort auf einen offiziellen Antrag meinerseits war. Vielleicht hatte die Verbindung von «mein erster Brief» und «Bescheid über meinen rechtmässigen Aufenthalt oder eine Ausweisung» eine Brief­Angst bei mir entstehen lassen, so dass ich sogar vergass, welche Anträge ich gestellt hatte; stets rechnete ich mit überraschenden Entscheiden oder unerwarteten Strafen. Selbst wenn die erste Zeile des Briefes mit dem höflichen Begleitsatz «Sehr geehrter Herr Abboud» verziert war, könnte er mir doch Schaden zufügen, gleichsam wie ein Messer, bei dem es keine Rolle spielt, wie gross es ist oder wie scharf seine Klinge: Kitzeln wird es dich nicht.

Aber das Glück ist ein Spieler, das sich uns nur zuwendet, wenn ihm langweilig ist, nicht aber, wenn wir es brauchen. Plötzlich bewegte sich jedoch etwas im Himmel, mochte es das Glück sein oder die Gebete meiner Mutter, denn als ich hinunterging, um nachzusehen, ob etwas für mich in der Schublade lag, fand ich einen Brief in einem dünnen grünen Umschlag, der nicht mit der offiziellen Anrede begann, die mir gewöhnlich meine Freude verdarb. Auf Vorder­ und Rückseite des Umschlags hatte jemand etwas mit Handschrift geschrieben, und als ich den Umschlag aufriss, las ich: «Lieber Hamed ...»

Der Brief kam von Freunden aus einem Nachbarland. Ich las ihn wieder und wieder und antwortete erst Wochen

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später, als ich mich daran sattgelesen hatte. Doch ich wusste nicht, was ich schreiben und was ich mir für die persönlichen Treffen oder die Telefongespräche aufheben sollte. Als ich meinen Antwortbrief fertig hatte, suchte ich im Internet nach einem Lehrvideo, um mich zu vergewissern, Adresse und Absender richtig geschrieben zu haben.

Dann nahm ich meinen Stapel offizieller Briefe, der von meinem grünen Brief gekrönt war, und zog in die Stadt – neugierig darauf, wie viele Briefe ich dort wohl erhalten würde. Briefe stellten für mich mittlerweile das Mass meiner Verwurzelung in diesem Land dar, und deshalb begann ich, Gelegenheiten nachzujagen, einen Brief, eine kleine Postkarte, Zeitschriften oder Bücher zugeschickt zu bekommen. Ich versäumte auch nicht, mich bei Kulturinstitutionen in meiner Umgebung zu registrieren, um ihre Programmbroschüren zu bekommen, auch wenn ich nur einen Bruchteil ihrer Veranstaltungen besuchte.

Schliesslich wurde ich überhäuft mit Briefen; und immer, wenn ich eine schwere Zeit durchmachte oder in Niedergeschlagenheit verfiel, bekam ich einen Brief, der mich aus meinem Abgrund zog. Das ging so weit, dass ich zu einem Freund sagte: «Solange es Leute gibt, die mir schreiben, und solange sich mein Briefkasten füllt, verliere ich die Hoffnung nicht.»

Ich habe nie vor meinen Freunden meine Neugier verborgen, die Geschichten um ihre ersten Briefe zu erfahren. Einer hatte zum Beispiel schon im Alter von zehn Jahren Briefe erhalten, ein anderer, der an einem Briefaustauschprogramm der Schule teilgenommen hatte, mit dreizehn. Aus lauter Neid sagte ich zu ihnen, dass Briefe eine grosse Verantwortung bedeuteten und dass sie hätten warten sollen, bis sie das Wahlrecht erhielten, um Briefe zu empfangen.

Meine eigene Eignung, zu wählen und Briefe zu erhalten, schien allerdings ziemlich spät eingesetzt zu haben. Es gibt aber keinen Grund, niedergeschlagen zu sein, denn ich konnte trotz der durch die Pandemie verursachten Stagnation einige Freunde anspornen, mir von Zeit zu Zeit Briefe zu schicken. Auf diese Weise riss der gegenseitige Nachrichtenstrom nicht ab, und meinem Briefkasten mangelte es nicht an Zuwendung und Liebe.

Zufällig bekam ich einmal ein Gespräch zweier Freundinnen mit, die sich über das Briefeschreiben unterhielten. Eine sagte, dass sie niemals eine alte WhatsApp­Nachricht finden würde, die in einer Schatulle versteckt auf dem Dachboden des Hauses vergessen wurde. Und dass sie beim Sortieren ihrer Papiere in den Schreibtischschubladen auf keine E­Mail eines alten Freundes stossen würde. Dass sie aber bestimmt hier und da einen Brief entdecken würde, der sie auf eine Reise voller sehnsuchtsvoller Erinnerungen mit schriftlichen Geständnissen in der intimen Atmosphäre des Papiers mitnehmen werde.

Dieser Wunsch hat es wirklich verdient, ihn mit ge

schlossenen Augen zu geniessen! Ich muss indes schon wieder an den Adler und meine Angst vor zukünftigen Briefen denken, die entweder eine Antwort auf einen von mir gestellten Antrag oder einen neuen und unerwarteten Beschluss enthalten könnten, der mein neues Leben direkt betrifft. Aber ich wünsche mir, dass sich der Adler in einen weissen Hasen verwandelt und die offiziellen Briefumschläge nicht mehr in dem unverschämten Weiss daherkommen, sondern dass ich in meinem Briefkasten einen offiziellen Brief auf rosafarbenem Papier vorfinde, so dass Leute wie ich, die unter akutem Vitamin­B­Mangel leiden, keinen neuen Panikanfall erleiden, und dass solche Briefumschläge die Empfänger mit ihrer angenehmen Farbe auf das vorbereiten, was in ihnen verborgen ist – was auch immer es sein möge.

Aus dem Arabischen von Larissa Bender.

HAMED ABBOUD, geboren 1987 in Syrien. Auf Deutsch erschienen: «Der Tod backt einen Geburtstagskuchen» (Übersetzung Larissa Bender, pudelundpinscher 2017) und der vielbeachtete Band «In meinem Bart versteckte Geschichten» (Übersetzung Larissa Bender und Kerstin Wilsch, Edition Korrespondenzen 2020). «Meine vielen Väter» (März 2023) ist Abbouds erstes auf Deutsch verfasste Buch.

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Die 25 positiven Firmen

Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung.

Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit.

Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.

Buchhaltungsbüro Balz Christen, Dübendorf

Gemeinnützige Frauen Aarau

Ref. Kirche, Ittigen

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti

Benita Cantieni CANTIENICA®

Arbeitssicherheit Zehnder, Zürich

Madlen Blösch, Geld & so, Basel

Breite-Apotheke, Basel

Spezialitätenrösterei derka ee, derka ee.ch

Boitel Weine, Fällanden

Farner’s Agrarhandel, Oberstammheim

Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

Kaiser Software GmbH, Bern

InoSmart Consulting, Reinach BL

Maya-Recordings, Oberstammheim

Scherrer & Partner GmbH, Basel

BODYALARM – time for a massage

EVA näht: www.naehgut.ch

TopPharm Apotheke Paradeplatz

AnyWeb AG, Zürich

Cobra Software AG www.cobrasw.ch

Praxis Dietke Becker

Beat Vogel – Fundraising-Datenbanken, Zürich

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Kontakt: Caroline Walpen

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GEMEINSAM SCHAFFEN WIR CHANCEN

Nicht alle haben die gleichen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aus diesem Grund bietet Surprise individuell ausgestaltete Teilzeitstellen in Basel, Bern und Zürich an – sogenannte Chancenarbeitsplätze.

Aktuell beschäftigt Surprise acht Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt in einem Chancenarbeitsplatz. Dabei entwickeln sie ihre persönlichen und sozialen Ressourcen weiter und erproben neue berufliche Fähigkeiten. Von unseren Sozialarbeiter*innen werden sie stets eng begleitet. So erarbeiteten sich die Chancenarbeitsplatz-Mitarbeiter*innen neue Perspektiven und eine stabile Lebensgrundlage.

Einer von ihnen ist Negussie Weldai «In meinem Alter und mit meiner Fluchtgeschichte habe ich schlechte Chancen auf dem 1. Arbeitsmarkt. Darum bin ich froh, bei Surprise eine Festanstellung gefunden zu haben. Hier verantworte ich etwa die Heftausgabe oder übernehme diverse Übersetzungsarbeiten. Mit dieser Anstellung ging ein grosser Wunsch in Erfüllung: Meinen Lebensunterhalt wieder selbst und ohne fremde Hilfe verdienen zu können.»

Scha en Sie echte Chancen und unterstützen Sie das unabhängige Förderprogramm «Chancenarbeitsplatz» mit einer Spende.

Mit einer Spende von 5000 Franken stellen Sie die Sozial- und Fachbegleitung einer Person für ein Jahr lang sicher.

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#551: Unser Leben «Die Stärke dieser Frauen»

Die 32 Frauenporträts haben mich sehr berührt, herzlichen Dank für die Offenheit und Ehrlichkeit. Der Mut und die Stärke dieser Frauen sind bewundernswert. Ich finde es sehr beschämend, dass die Mütter ihre Kinder wegen dem F-Ausweis nicht besuchen können. Mutter bleibt man ein Leben lang. Ich erlebe das selber, das Mitfühlen und Mitleiden, wenn die erwachsenen Kinder in Not sind. Zusätzlich immer finanziell knapp zu sein; ich wünschte, dass der Reichtum nicht so ungerecht verteilt wäre. Ich wünsche all diesen Frauen alles Gute und dass sie den Mut und die Hoffnung nie verlieren!

SUSANNE MARTI, ohne Ort

«Sehr bewegt»

Zu eurer Streikausgabe gratuliere ich ganz besonders! Diese Frauengeschichten haben mich sehr bewegt.

Korri g endum #554: Sozialzahl Keine Legenden

Leider ist in der Kolumne «Die Zukunft der Schlechtwetterentschädigung» von Carlo Knöpfel aus der Ausgabe 554/23 vom 14. bis 27. Juli ein Fehler passiert: In der Grafik zum Text sind in den oberen beiden Balken die Legenden verloren gegangen. Im roten Balken mit 6334 Millionen müsste «Arbeitslosenentschädigung» stehen und im darunterliegenden grünen Balken mit 5648 Millionen «Kurzarbeitsentschädigung». Wir entschuldigen uns für den Fehler.

#Strassenma g azin

«Die Sterne»

Die letzte Nummer, die ich gekauft habe, stammt aus dem März 2022. Ich habe mich so über die Gendersterne aufgeregt, dass ich seither kein Heft mehr gekauft habe. Falls Sie einmal auf die Sterne verzichten werden, lassen Sie es mich wissen. Ich habe das Heft immer gern gelesen. Aber ärgern will ich mich nicht!

Imp ressum

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Mitarbeitende dieser Ausgabe

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Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

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«Wir wollen leben und arbeiten wie ihr auch»

«Ich muss immer ein wenig in Bewegung sein. Deshalb ver kaufe ich die serbische Strassenzeitung Liceulice nicht an einem bestimmten Ort, sondern mal hier und mal dort, min destens drei oder vier Stunden am Tag. Neben dem Verkauf arbeite ich noch in einem Hotel, dort mache ich Reinigungsarbeiten. Ich habe Epilepsie, gekoppelt mit einer leichten Sehbehinderung, was in meinem Arbeitszeugnis vermerkt ist und alles nicht gerade einfacher macht. Menschen mit Behinderungen werden bei uns immer noch diskriminiert. Zwar gibt es ein Gesetz, das vorschreibt, dass Unternehmen behin derte Menschen anstellen müssen, aber in der Praxis sieht das anders aus. Es heisst doch immer, man solle nur dem ver trauen, was man sieht – und dass die Regierung uns Behinderten zu helfen versucht, das sehe ich nicht.

Seit zwölf Jahren verkaufe ich nun die Strassenzeitung und bin Teil von Liceulice, was mir viel bedeutet. Die Organisation ist meine zweite Familie geworden – eine Familie, die niemanden im Stich lässt, was man während der Covid sehen konnte: Wir konnten damals zwar keine Zeitungen mehr verkaufen, aber Liceulice liess uns gleichwohl nicht fal len. Trotzdem wünsche ich mir nichts dringlicher als eine Arbeit mit einem festen Vertrag, damit ich endlich auf eigenen Füssen stehen kann.

Unterstützung bekomme ich nach wie vor von meinen Eltern, wofür ich sehr dankbar bin. Meiner Mutter wurde gesagt, sie solle mich in ein Heim bringen, aus mir werde sowieso nichts, ich sei bloss eine Last für sie. Aber sie hat es nicht getan. Wenn man erfährt, dass man an Epilepsie leidet und die eigenen Eltern wie Löwen dafür gekämpft haben, dass man wieder laufen und sprechen kann, so gibt einem diese Hilfe auch den Mut, niemals aufzugeben – gerade auch in Zeiten, in denen es nicht leicht ist. Es gibt unterschiedliche Formen von Epilepsie, meine ist zum Glück nicht allzu stark ausgeprägt. Trotzdem bin ich in meiner Arbeit und meinem Leben beeinträchtigt. Bis zu meinem 18. Lebensjahr wurde ich, wie sich später herausgestellt hat, mit falschen Medikamenten therapiert. Sie nützten nicht viel, aber hatten schlimme Nebenwirkungen. Seit ich das Krankenhaus gewechselt habe, geht es mir besser.

In der Schule war es nicht leicht. Erst ging ich in eine reguläre Klasse, doch der Lehrer meinte, mit meiner Krankheit könne ich nicht am Unterricht teilnehmen. So landete ich in einer Schule für behinderte Kinder. Später absolvierte ich eine Lehre in einer Buchbinderei. Danach habe ich mich lange Zeit auf Stellen beworben, ich bekam aber nie eine Antwort. Der Traumberuf wäre das für mich sowieso nicht gewesen. Ich schäme mich nicht dafür, behindert zu sein. Ich habe mich damit abgefunden, daran ändern kann ich sowieso nichts. Und ich möchte, dass auch die anderen mich annehmen, wie ich bin.

Denn wir sind wie ihr auch. Wir wollen leben, arbeiten und eine Familie gründen. Wenn ich aus Kummer nur noch daheim herumsitze und mich gehen lasse, so nützt das niemandem etwas. Jammern hilft nicht weiter. Ich versuche es stattdessen mit positiven Gedanken. Mir geben Menschen Kraft, die trotz vieler Hindernisse nicht aufgegeben und es am Ende doch noch geschafft haben; dafür bewundere ich sie. Meine Freundin zum Beispiel. Sie hat seit Geburt keine Hände, trainiert aber jeden Tag Taekwondo. Keine Ahnung, wie sie das schafft, aber sie zeigt damit, dass alles möglich ist.

Ich möchte mit jemandem, den ich liebe, irgendwann eine Familie gründen. Seit mehr als zehn Jahren bin ich mit meinem Freund zusammen. Er hat ebenfalls eine Behinderung, wir haben uns damals in einer Selbsthilfegruppe für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen kennengelernt. Bevor ich ihn heirate, möchte ich allerdings eine Vollzeitstelle finden – und wie meine Freundin werde ich nicht aufgeben und alles daransetzen, einen solchen Job zu bekommen.»

30 Surprise 555/23 Internationales Verkäufer*innen-Porträt
FOTO: SARA RISTIĆ
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von LICEULICE / INTERNATIONAL NETWORK OF STREET PAPERS Aufgezeichnet von MILICA TERZIĆ, übersetzt von TRANSLATORS WITHOUT BORDERS

SOZIALE STADTRUNDGÄNGE

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Menschen, die Armut, Ausgrenzung und Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung kennen, zeigen ihre Stadt aus ihrer Perspektive und erzählen aus ihrem Leben. Authentisch, direkt und nah.

Buchen Sie noch heute einen Sozialen Stadtrundgang in Basel, Bern oder Zürich. Infos und Terminreservation: www.surprise.ngo/stadtrundgang

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18-02 UHR 2. SEPTEMBER 2023 LANGENACHT-ZUERICH.CH

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