Fotos: © CANDY WELZ
STADEUM
Vom Lockdown erschöpft: Dimitrij Schaad als Schauspieler K.
Five Deleted Messages
Der europaweit umworbene Autor und Theater-Regisseur Falk Richter hat sich mit Kino-Star Dimitrij Schaad mit den emotionalen und gesellschaftlichen Folgen des Lockdowns auseinandergesetzt. Die umjubelte Inszenierung des Kunstfest Weimar konnte als deutschlandweit einziges Gastspiel im STADEUM gewonnen werden. Der lange Planungs-Weg eines CoronaStücks in Pandemiezeiten. „Dies ist eine Nachricht an die Nachwelt: Die können uns jederzeit wieder drohen, jederzeit! Mit der zweiten Welle, mit der dritten Welle, mit der vierten Welle. Wenn wir zu übermütig werden, wenn wir uns nicht genau an das halten, was die uns sagen, dann können die uns immer wieder wegsperren, verstehst Du?“ Selbst Schauspieler K., der Protagonist in Falk Richters Theaterstück „Five Deleted Messages“, scheint uns einen Vogel zu zeigen. Wer plant in diesen unsicheren Zeiten schon Kulturveranstaltungen? Das STADEUM tut es. Intendantin und Geschäftsführerin Silvia Stolz hält es da wie Rolf Hemke, der künstlerische Leiter des Kunstfest Weimar: „Unsere Botschaft muss sein, dass die Kunst da ist, dass sie lebt, dass sie wandelbar ist und dass wir weitermachen müssen, komme was wolle.“ Man passt sich notfalls den äußeren Notwendigkeiten an. Zunächst sollte das Gastspiel im November 2020 stattfinden, dann
kamen die zweite Welle und der zweite Lockdown. Im Dezember schien der März noch realistisch. Nun richten sich alle Hoffnungen auf die Zeit nach Ostern. Am 10. April soll das Stück zum Lockdown endlich auf der STADEUMBühne zu sehen sein.
Fakt bleibt: Die Welt ist aus den Fugen. Seit über einem Jahr hat uns die Corona-Pandemie weltweit fest im Griff. Was bis März 2020 in Deutschland Normalität war, wird 2021 zu heiß umkämpften „Privilegien“: Ein Essen im Restaurant, eine durchtanzte Nacht im Club oder ein Theaterbesuch. Vor einem Jahr konnte sich kaum jemand vorstellen, dass wir 2021 noch immer in unseren Wohnungen sitzen und der Friseurbesuch zum gesellschaftlichen Ereignis wird. Was dieser Zustand mit uns als Gesellschaft macht, das hat der Dramatiker Falk Richter bereits
im Sommer letzten Jahres vorausgeahnt und zu Papier gebracht. „Five Deleted Messages“ ist seitdem das Stück zur Stunde, ein kluger, komplexer und unterhaltsamer Kommentar zu den gesellschaftlichen Folgen des Lockdowns, entstanden aus persönlichen Tagebuchnotizen des Regisseurs, die er fiktionalisiert und dramatisiert hat. Im August 2020 hatte die Inszenierung in Weimar Premiere und es zeigt, wie gut bereits Goethe und Kafka sich mit der Situation auskannten, in der wir uns heute befinden. Schauspieler K., gespielt von Dimitrij Schaad, der zuletzt als Marc-Uwe in der Kinoverfilmung „Die Känguru-Chroniken“ zu sehen war, probt die Rolle seines Lebens, er soll Goethes „Faust“ spielen. Doch die Aufführung wird wegen Corona abgesagt. Eine Situation, die Autor und Regisseur Falk Richter nach eigener Aussage von Franz Kafka entnommen hat: „Dieses Gefühl: Man wacht
STADERBRISE
plötzlich auf und die ganze Welt ist anders. Das eigene Leben hat sich komplett verändert. Man ist auf einmal in einem Prozess drin, den man nicht versteht, für den man nicht verantwortlich ist. Und man hat das Gefühl, man wird unentwegt von neuen Verordnungen bestraft. So fühlt sich das im Moment für viele an.“ K. durchläuft stellvertretend für uns alle sämtliche emotionale Stadien des Lockdowns: Von Angst über Wut, Ungehaltenheit und Ungewissheit bis zu einem fast kuschligen Gefühl, sich in der Situation irgendwie dann doch eingerichtet zu haben. Dabei spaltet sich K. in zwei Persönlichkeiten: In den zu Beginn dieses Artikels zitierten Verschwörungstheoretiker, der vermutet, dass hinter all dem neben Bill Gates nur Björn Höcke und Thomas Kemmerich stecken können – und in den faustischen K., der wissen will, was die Corona-Welt im Innersten zusammenhält. Amüsant und nachdenklich zugleich, denn wie wir wissen, schafft es Faust im Original nur mit Hilfe des Teufels, sich aus seiner Studierzimmer-LockdownSituation zu befreien, um endlich wieder Trinken und Tanzen zu gehen …
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