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Hingehen oder Daheim bleiben: Die Öh-Wahlen 2021
HINGEHEN ODER DAHEIM BLEIBEN: DIE ÖHWAHLEN 2021
Die ÖH-Wahlen stehen in der urösterreichischen Tradition der sozialpartnerschaftlichen Konfliktvermeidung. Diese Art der Vertretung durch Zwangsmitgliedschaften sei nicht mehr zeitgemäß und unflexibel, sagen die Kritker*innen. Warum sie im Falle der ÖH jedoch mehr Segen als Fluch sein könnte, lest ihr hier:
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Von David Mehlhart
Österreich ist ein Labyrinth, dessen Absolvierung am Ende mit einem herrlich, vor Rum nur so triefenden Punschkrapfen belohnt wird. So oder so ähnlich schrieb Rektor Hendrik Lehnert in seiner letzten Rector’s Column. Es ist davon auszugehen, dass er mit dieser Metapher wohl seine ersten eineinhalb Jahre in Österreich verarbeiten, zumindest aber zusammenfassen wollte. Denn: So unabhängig die Universitäten formal auch sein mögen, so sehr sind sie die Verdoppelung der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Republik. Die schmerzliche Erfahrung, dass der sozialpartnerschaftliche Konsens-Filz nicht am Bein des viel beschworenen Grünen Tisches zu wuchern aufhört, muss man als nicht-autochthoner erst einmal verdauen. Aber an dieser Stelle soll es aber explizit nicht um den etwaigen Kulturschock des Rektors gehen, sondern quasi um seinen Gegenpart – die Studierenden und die Wahl ihrer Vertreter*innen vom 18. bis zum 20. Mai. Dass die Studierenden an den österreichischen Universitäten mit der ÖH ebenfalls ihren fixen Platz in dieser institutionalisierten Konflikt-Umschiffung zugewiesen bekommen haben, scheint oftmals nicht ganz klar zu sein. Bei der ÖH handelt es sich nicht um einen bloßen Verein, einen freiwilligen und privaten Zusammenschluss von Menschen, die ein gleiches Ziel oder Projekt verfolgen z. B. – um an dieser Stelle im Studentenmilieu zu bleiben, – in dem sie sich zusammenschließen, um durch übermäßigen Bierkonsum ein Großdeutschland herbeizutrinken. Vielmehr ist die ÖH eine sogenannte Körperschaft öffentlichen Rechts. Damit steht sie in einer Reihe mit dem Gewerkschaftsbund, der Arbeiterkammer oder offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften. Ob man es nun will oder nicht, Stichwort Zwangs-/Pflichtmitgliedschaft wird man als Studentin und Student per Gesetz durch die ÖH vertreten. Die Lethargie und Behäbigkeit, die diese Art der Organisation ausstrahlt mag mitunter auch der Grund sein, warum die Wahlbeteiligung seit jeher rückläufig ist. Waren es zu Beginn der Wahlen im Jahr 1946 bundesweit noch 82 Prozent der Studierenden, die ein Votum abgaben, schleppten sich in Salzburg zuletzt lediglich 19 Prozent der Studis ins Wahllokal. Und hier scheint der Hund begraben zu liegen. Ist man auf der Suche nach guten Gründen zur Wahl vom 18. bis 20. Mai zu gehen, die jenseits von pflichtschuldigen pro forma Aufrufen a la „mehr Stimmen = mehr Demokratie“ verlaufen, muss man sich mit den Tiefenstrukturen von Pflichtmitgliedschaften und gesetzlichen Vertretungen auseinandersetzten. Denn wie so oft in Österreich liegen auch hier Fluch und Segen, Progressivität und Reaktion sehr nah beieinander.
Laut Statistik.at handelt es sich um 376.050 Menschen (2019/20) die in Österreich als ordentliche Studierende gemeldet sind. Hätten all diese bei der letzten Nationalratswahl 2019 geschlossen für
eine Partei votiert, wäre diese Partei nur knapp hinter den NEOS gelandet (387.000 Stimmen und acht Prozent). Nun liegt es in der Natur der Sache, dass durch die Masse der Studierenden Bruchlinien jedweder Art verlaufen. Ein angehender Pfarrer hat mit einer Historikerin, die sich für queere Geschichte interessiert, wahrscheinlich eher weniger politische Überschneidungen. Genauso wie die sozio-ökonomischen Unterschiede zwischen den Studierenden immens sein können oder viele junge Menschen der Zugang zu Universitäten von vornherein verbaut ist, da Bildung (oder zumindest das, was im gegenwärtigen Unisystem noch davon übrig ist) immer noch dynastisch vererbt wird.
Den Schluss, den man also daraus zieht, darf aber gerade nicht lauten, dass man sich um der Eintracht willen zusammenrauft und irgendwelche Burgfrieden-Koalitionen aushandelt, die dann erst recht zahnlos daherkommen. Der wohl entscheidende Vorteil, den eine Pflichtmitgliedschaft mit sich bringt, ist die Möglichkeit der Selbstorganisation bzw. -verwaltung. Im besten Fall agiert die gewählte Vertretung, an dieser Stelle ist es egal auf welcher Ebene oder welche Farbe nach den selbst gesteckten und definierten Zielen und arbeitet so aus der Studierendenschaft heraus für diese. „Aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“ hieß es passend dazu in einem populären Schlager aus dem 19. Jahrhundert. Dass dies natürlich auch schlimm nach hinten losgehen kann steht freilich außer Frage. Stichwort Vitamin B bzw. das, was Österreich unter Meritokratie verstanden wird.
Ein kurzer Ausflug in den studentischen Alltag, um dies zu verdeutlichen. Beim Anbieten von Services macht aber diese Eigenschaft der Selbstorganisation einen Unterschied ums Ganze. Liest man sich etwa die Beschreibung des ÖH Beratungszentrums im Unipark durch, sieht man schnell zu wessen Gunsten hier beraten wird. Im Fokus stehen klar die Studierenden selbst, deren Studienerfolg aber auch deren sehr individuelle Probleme und Anliegen. Kurzum: „Die Ratsuchenden stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit.“ Die Unabhängigkeit als Ausgangslage der Beratung darf nicht unterschätzt werden.
Dass das auch anders geht, kann man aktuell in Salzburg beobachten. Im Rahmen der 900.000€ schweren „On Track“-Initiative. Das Geld kommt direkt vom Wissenschaftsministerium, was einmal die Frage nach der Unabhängigkeit aufwirft. Zum anderen wird versucht Beratungsangebote, Die man klassischerweise bei der ÖH direkt erhalten kann, in bester BWL-manier outzusourcen. Durchgestylt und mit passendem Instagram-Auftritt in Agentur-Ästhetik will man dort den Studierenden und ihren Problemen per Mentoring, Training, Coaching und einer Prise positiver Psychologie beikommen. Allein an dieser Wortwahl lässt sich schon erkennen, wohin die Reise gehen soll. Ganz offensichtlich geht eh dort darum, die Ökonomisierung der Universitäten voranzutreiben und den Effizienz-Hebel auf der Ebene der Studierenden anzusetzen. Denn am Ende der Gleichung, wie in der Tageszeitung „Die Presse“ nachzulesen ist, stehen sage und schreibe sieben ECTS mehr, die man durch dieses Projekt im Durchschnitt pro Studi erwirtschaften konnte. Wie es den Studierenden dabei ging, konnte man nicht nachlesen. (Länger und ausführlicher wird in der nächsten Ausgabe der u:p über dieses Projekt zu lesen sein).
Dieses Beispiel soll zeigen, dass die letzte Stunde der Pflichtmitgliedschaften noch nicht geschlagen hat. In einem Bildungssystem, das ständig mit Einsparungen konfrontiert ist und dessen Zweck es immer mehr wird, Menschen möglichst schnell auszubilden und sie dann unverzüglich der Wirtschaft zu offerieren, kann eine aktive ÖH derjenige Faktor sein, der diese Entwicklungen, auf welchen Ebenen sie auch stattfinden, zurückzudrängen vermag. Deshalb ist es wichtig, bei der kommenden Wahl die Kandidat*innen mit einer Stimme zu unterstützen, um auch in Zukunft die Interessen der Studierenden vor so manchem Rektor, Bildungsminister oder Excel-Spreadsheet, das mehr zu mehr Effizienz anhält zu verteidigen. Natürlich ist die ÖH am Ende das, was die gewählten Vertreter*innen daraus machen, positiv wie negativ, aber mehr Druck lässt sich mit einem aussagekräftigen Mandat im Rücken machen. Vor allem wenn man sieht, wie etwa Services der ÖH, deren Qualität in der Unabhängigkeit ebenjener sich begründen, scheibchenweise dieser abspenstig gemacht werden. Erinnert sei an dieser Stelle noch an die Pariser Kommune, deren Ereignisse sich im März zum 150. Mal gejährt haben. Ihren Ausgang nahm diese mit einer Wahl, bei der 190.000 Pariser*innen für die Errichtung eines Revolutionsrates stimmten und 26.000 dagegen. Und wer weiß, vielleicht ließe sich auch eine Universität nicht so schlecht basisdemokratisch organisieren. Und wenn alles glatt läuft, braucht es bis dahin auch gar nicht mehr so viele ÖH-Wahlen.