Gesellschaft und Geschlecht Care Ökonomie
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Alle Menschen bedürfen der Zuwendung und der Pflege durch andere Menschen und die meisten Menschen lassen auch anderen Zuwendung und Pflege zukommen. Diese zwischenmenschlichen, in Beziehungen eingebetteten Handlungen werden als «Care-Arbeit» oder auch als Sorgearbeit bezeichnet. Care-Arbeit ist dabei ein zentraler Pfeiler unserer Wirtschaft: Derzeit wird in der Schweiz mehr unbezahlte Care-Arbeit als Lohnarbeit geleistet. Ohne diese tägliche unbezahlte Sorgearbeit könnten sich die entlohnten Arbeitskräfte nicht ausreichend ernähren, kleiden, wohlfühlen und erholen; noch könnten Kinder grossgezogen oder pflegebedürftige Menschen genügend versorgt werden. Zwei Drittel der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen hierzulande Frauen*. | 1 Care-Arbeit prägt die Geschlechterverhältnisse in der Schweiz also zutiefst. Dies gilt auch im Berufsfeld der Care-Arbeit: Sie wird grösstenteils von Frauen* ausgeführt und schlechter entlohnt im Vergleich zu beispielsweise typisch männlich geltenden, technischen Berufen. Nicht selten übernehmen Care-Migrantinnen* schlecht entlohnte Arbeit in der Schweiz und hinterlassen im Herkunftsland eine Care-Lücke. Aus juristischer Sicht stellt sich etwa die Frage, ob der Geschlechtereffekt auf das Berufsfeld der Care-Arbeit aus Sicht des Diskriminierungsverbots haltbar ist. Die Ökonomie wiederum richtet ihren Fokus auf Rentabilität – würde Care-Arbeit aufgewertet, würde dies Folgekosten oder Umverteilung nach sich ziehen. Ein weiteres Merkmal von Care-Arbeit besteht darin, dass sich ihre Qualität weder leicht messen noch gut planen lässt. Gleichwohl ist klar, dass die Rahmenbedingungen auf diese erleichternd oder erschwerend zurückwirken. Diese Vorlesungsreihe geht dem Zusammenhang von Care, Ökonomie und Geschlecht nach – ein Zusammenhang, der in Zeiten von Corona eine besondere Aktualität erhalten hat.
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| Mit dem Gender-Stern ( * ) wird auch die sogenannte dritte, nicht-duale Geschlechterkategorie angesprochen: Die Schreibweise Frauen* inkludiert alle Menschen, die sich identitär oder biologisch als Frau verstehen oder sich einem Zwischenraum zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit zuordnen.