Herausgeber: Heimat- und Geschichtsverein Lauenförde e. V. Alle Rechte vorbehalten, 2021 Umschlag Vorderseite: Die „Villa Löwenherz“ Umschlag Rückseite: Ex Libris von Toni Löwenherz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
ISBN 978-3-95954-113-8
Alle Rechte vorbehalten. Verlag Jörg Mitzkat Holzminden, 2021 www.mitzkat.de
Detlev Herbst
Von der Holzwarenfabrik zur Herlag – Die Kaufmannsfamilie Löwenherz aus Lauenförde.
Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2021
Förderer
Der Heimat- und Geschichtsverein Lauenförde e. V. dankt allen Sponsoren, die in großzügiger Weise zur Veröffentlichung dieses Gedenkbuchs beigetragen haben:
Bürgerstiftung für Lauenförde
Ev. luth. St. Markus-Kirchengemeinde, Lauenförde Gemeinde Lauenförde HEGLA GmbH & Co. KG, Beverungen Georg Hesselbach, Lauenförde Erich und Anne Gauding Interpane Glas Industrie AG, Lauenförde Mahrenholz Fenster Holding GmbH, Beverungen Walter Rose, Brakel SPD-Ortsverein Lauenförde/Meinbrexen Maximilian Apotheke Lauenförde, Inh. Christina Lange e.K. VerbundVolksbank OWL eG Nurit Wenger-Varga, Zollikofen
Inhalt
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Inhalt Vorwort Die Synagogengemeinde Lauenförde Herkunft des Namens Löwenherz David Löwenherz, Fellhandel und Steinwerk Herz Löwenherz gründet ein Dampfsägewerkmit Holzwarenfabrik Hermann und Toni Löwenherz Die „Villa Löwenherz“ Die Holzwarenfabrik zu Beginn des 20. Jahrhunderts Der preußische König ehrt Hermann Löwenherz Kauf der Tafelglashütte und des Guts Amelith Begegnungen mit Adele und Franz Rosenzweig Die Stiftung des evangelischen Gemeindehauses und Jugendheims Lauenförde zu Beginn des Ersten Weltkriegs Kommerzienrat Löwenherz stirbt nach langer Krankheit Toni Löwenherz tritt ein schweres Erbe an Arbeitsniederlegungen nach dem Ersten Weltkrieg Ernst und Margarete Rose Erich Rose übernimmt die „Herlag“ „Arisierung“ der „Herlag“ Flucht – Deportation – Überleben in der Emigration Toni Löwenherz verlässt Lauenförde Das Gemeindehaus – eine „Sammelstätte für die Aufbauarbeit am Volke“ Schändung des jüdischen Friedhofs in Lauenförde Der mühsame Weg zur „Wiedergutmachung“ nach 1945 Gegen das Vergessen – Erinnern und Gedenken Die Gräber der Familie Löwenherz in Lauenförde Memorbuch der Familien Löwenherz und Rose Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz Anhang Stammbaum der Familie Löwenherz Stammbaum der Familie Rose Nachfahren der Familie Löwenherz in Beverungen und Höxter Verzeichnis der Quellen
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Vorwort Der Löwe ist in Lauenförde nicht nur als Namensgeber1 und im Wappen des Ortes allgegenwärtig. Ein Löwe, Symboltier des Evangelisten Markus, findet sich auch im Grundstein von 1569 an der südlichen Außenmauer der Lauenförder St. Markus-Kirche, deren Taufbecken wiederum von vier steinernen Löwen getragen wird. Ein weiterer steinerner Löwe schmückt den Brunnen auf dem heutigen Löwenherzplatz. Der frühere Mittelpunkt der Gemeinde, der Dorfplatz, wurde 2015 in „Löwenherzplatz“ umbenannt, um eine außergewöhnliche Familie wegen ihrer Verdienste um den Ort zu würdigen, in deren Familiennamen – es mag ein Zufall sein – ebenfalls das Wort „Löwe“ enthalten ist. Die jüdische Familie Löwenherz ließ sich wohl gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Lauenförde nieder, um dort Handel zu treiben. Als Juden waren sie dabei starken Einschränkungen ausgesetzt. David Löwenherz fand schließlich im Verkauf von Tierfellen, Sandsteinen und Baumstämmen eine Nische, die das Überleben der Familie sicherte. Nach der Aufhebung der Handelsbeschränkungen für Juden begann sein Sohn Herz mit wachsendem Erfolg, Kinder- und Gartenmöbel herzustellen. Die Aufnahme der indus triellen Fertigung von Möbeln brachte dem Ort schließlich viele Arbeitsplätze und Wohlstand, der Familie Löwenherz Reichtum, an dem sie ihre Mitarbeiter und die Einwohner Lauenfördes stets teilhaben ließ. Ehrenamtliches Engagement im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich und Wohltätigkeit gegenüber Ärmeren zeichneten Hermann Löwenherz und seine Frau Toni aus. Das Markenzeichen HERLAG der Hermann Löwenherz AG machte die Erzeugnisse des Unternehmens und den Namen Lauenfördes weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. Der frühe Tod Hermann Löwenherz‘, die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs und der Inflationszeit brachten für das Unternehmen und die Familie große Veränderungen mit sich. Den größten Einschnitt bedeutete schließlich der Verlust des Unternehmens infolge von Erbauseinandersetzungen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten führte zur Beschlagnahme des der Familie noch verbliebenen Besitzes in Lauenförde, zu Demütigungen und der Vertreibung Toni Löwenherz‘ aus Lauenförde. Kurz vor ihrer Deportation wählte sie in ihrem Haus in Göttingen den Freitod. Für viele Jahre senkte sich danach über Lauenförde der Schleier des Vergessens der Ereignisse, die zur Vertreibung der Familie Löwenherz und der Deportation der Familie 1 Leuwenfurt – Löwenfurt – Lauenförde.
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Vorwort
Kohlberg geführt hatten, bis die Villa Löwenherz auf wundersame Weise 1978 wiederbelebt wurde. Die Suche nach Spuren der Familie Löwenherz gestaltete sich aufgrund nur weniger Archivunterlagen und erhalten gebliebener persönlicher Aufzeichnungen recht schwierig und aufwändig. Infolge Flucht und Emigration in der NS-Zeit gingen viele Familiendokumente unwiederbringlich verloren. Die Ausgaben der regionalen Tageszeitungen, vor allem der „Sollinger Nachrichten“ und des evangelischen Gemeindeblatts „Heimatglocken“ erwiesen sich als eine unerwartet reichhaltige Fundgrube mit Berichten über das Leben und Wirken der Familie. In dankenswerter Weise stellten mir darüber hinaus engagierte Lauenförder Einwohner aus ihren historischen Sammlungen zahlreiche bisher unbekannte Unterlagen und Fotos zur Verfügung, ohne die das Buch in diesem Umfang nicht hätte erscheinen können. Dr. Helmut Pieper, Berlin, verdanke ich den Hinweis auf eine Hermann Löwenherz betreffende Akte im ehemaligen Geheimen Preußischen Staatsarchiv, Heiner Gerken
Die Synagogengemeinde Lauenförde
für den Hinweis auf die „Gritlibriefe“ Franz Rosenzweigs und Nurit Wenger-Varga für die Überlassung bisher unveröffentlichter Dokumente der Familie Ernst Rose. Herzlichen Dank schulde ich Peter Siebert und Erich Gauding für die die engagierte Unterstützung dieses Buchprojekts, Annegret Gauding für die nicht immer leichte Bearbeitung der historischen Bildvorlagen, Jutta Falckenberg und Charlotte Rebmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und Ralf König für die fotografische Dokumentation der Grabsteine der Familie Löwenherz auf dem jüdischen Friedhof. Besonderer Dank gilt Werner Filmer für seine kritische und sachkundige Begleitung meiner Arbeit am Manuskript und die Überlassung zahlreicher historischer Aufnahmen zur Veröffentlichung. Das Ergebnis meiner Spurensuche zeichnet Lebensstationen mehrerer Generationen einer jüdischen Kaufmanns- und Unternehmerfamilie aus dem Weserbergland nach, erhebt aber verständlicherweise keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nun freue ich mich, für Sie das ehrwürdige schmiedeeiserne Tor zur Villa Löwenherz zu öffnen und Sie zu einer spannenden und auch nachdenklich stimmenden Zeitreise in die fast dreihundertjährige Geschichte der Familie Löwenherz in Lauenförde einzuladen. Im Juni 2021 Detlev Herbst
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Die jüdische Kaufmannsfamilie Löwenherz
Die Synagogengemeinde Lauenförde Lauenförde liegt am Weserübergang der alten Ost-West-Handelsstraße MariensteinLauenförder-Chaussee im hannoversch-hessisch-westfälischen Grenzgebiet. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes stammt aus dem Jahre 1348. Seinen Namen erhielt der Ort wohl nach der Weserüberquerung Heinrich des Löwen. Er leitet sich von „Löwenfurt“ ab.2 Der Ort war seit 1684 Verwaltungsmittelpunkt des gleichnamigen eigenständigen Amtes, das zeitweise mit dem benachbarten Amt Nienover „in Personalunion“ verbunden war. 1825 schließlich wurden die Ämter Lauenförde und Nienover endgültig vereinigt. Seit 1852 gehörte das Amt Nienover-Lauenförde zum Amt Uslar und von 1885 bis 1932 zum Kreis Uslar.3 Wegen seiner günstigen Lage im Dreiländereck war der Ort für jüdische Händler aus dem Hochstift Paderborn und den nordhessischen Dörfern an der Oberweser ein attraktiver Handelsplatz und Wohnort zugleich. Im Falle einer Ausweisung aus dem Gebiet des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg konnten sie sich dann wieder in ihre Heimatorte auf der gegenüber liegenden Weserseite zurückziehen. In der Calenberger Kopfsteuerbeschreibung von 1689 finden sich erstmals Namen jüdischer Einwohner in Lauenförde: Der arme Häusling Hertzig, der mit einem Sohn und drei Töchtern seit 1682 in Lauenförde wohnte, sein Schwiegersohn Nathan mit Frau und zwei Kindern sowie der Brinksitzer Isaac Schwabe mit seiner Frau, einer Tochter und zwei Söhnen.4 1720 lebten nach einem Bericht des Uslarer Superintendenten und Lauenförder Pastors Heinrich H. Clare schon seit längerer Zeit vier jüdische Familien ohne Schutzbriefe in Lauenförde, bezahlten aber Schutzgeld: Der arme Hausierer Heinemann Bacharach, Isaac Schwabe seit 1682 und Hertz Moses. Dieser lebte seit 1701 in Lauenförde und war wohl aus Altersgründen gerade zu seinem Sohn Leffmann gezogen. Leffmann Hertz war seit 1693 selbständig, besaß ein eigenes Haus und eine „ziemliche Handlung“. Nach dem derzeitigen Wissensstand ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei den genannten Familien Hertzig und Hertz um Vorfahren der Familie Löwenherz handeln könnte. Im Haus des Hertz lebte noch ein Rabbi und Lehrer, der in einem Betraum im Haus Gottesdienste abhielt. Dadurch war Lauenförde zu einem zentralen Versammlungsort der im Ort und in den umliegenden Dörfern Lüthorst, Schönhagen, Bodenfelde und Wahmbeck wohnenden Juden geworden. Die Toten der kleinen jüdischen Gemeinschaft 2 Klasse 7b, Gymnasium Beverungen, S. 2 f. 3 Jaenecke/Stein, S.32. 4 Mundhenke, S. 37 f.
Die Synagogengemeinde Lauenförde
Herzogtum Braunschweig: Solling und Oberwesergebiet
wurden auf dem dortigen Friedhof begraben. Die Lage dieses ersten Friedhofs ist nicht mehr bekannt. Es handelt sich aber mit Sicherheit nicht um den späteren jüdischen Friedhof in der Stolle.5 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich in Bodenfelde eine jüdische Gemeinschaft gebildet, zu der die Juden Bodenfeldes, Uslars und Wahmbecks gehörten. In der Folge verlor Lauenförde seine Funktion als zentraler Versammlungsort im Amte Nienover. In Lauenförde selbst lebten zu dieser Zeit vier jüdische Familien: Abraham Mannes aus dem Hochstift Paderborn, der sich nach 1828 Eckstein nannte, Leib Levi Elias aus Gudensberg, Herz Elias, Salomon Kohlberg aus Herstelle, der sich vor 1828 Salomon nannte, und Abraham Löwenherz. Eine Vorfahrin Salomons, Ginte Salomon, hatte sich 1729 in Uslar christlich taufen lassen.6 Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden aus dem Jahre 1842 bestätigte trotz der wenigen jüdischen Familien im Ort den Status Lauenfördes als Synagogengemeinde. Ein Anschluss an die nächstgelegene jüdische Gemeinde Bodenfelde war wegen 5 LKA H, A1 11107. 6 Herbst/Schaller, S. 108.
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Die jüdische Kaufmannsfamilie Löwenherz
Oben: Geburtenliste der Synagogengemeinde Rechts: Steuerliste des Amtes Lauenförde von 1812
der großen Entfernung von 24 Kilometern nicht möglich. Die strengen Gesetze zur Einhaltung der Sabbatruhe hätten den Besuch der Gottesdienste in Bodenfelde unmöglich gemacht. Die Lauenförder Gemeinde schloss sich deshalb 1846 als Filialgemeinde der westfälischen Gemeinde Beverungen am gegenüberliegenden Weserufer an.7 Im selben Jahr wurde die Lauenförder jüdische Schule letztmalig erwähnt. 1848 lebten in Lauenförde 26 Juden. Infolge des Anschlusses an die Gemeinde in Beverungen erhöhten sich die finanziellen Aufwendungen der Lauenförder Gemeinde für Schul- und Synagogenlasten auf 21 Taler. Nach der Auflösung der jüdischen Elementarschule wegen der rückläufigen Kinderzahl zogen es die Lauenförder Juden vor, ihre Kinder nicht auf die christliche, sondern auf die jüdische Schule in Beverungen zu schicken. Nach deren Auflösung 1854 wurden sie in den Elementarfächern und im Religionsunterricht von dem jüdischen Privatlehrer Nordhaus in Beverungen unterrichtet.8 1852 weihte die jüdische Gemeinde Beverungen ihre neue Synagoge in der Langen Straße ein, an deren Kosten sich auch die Lauenförder Gemeinde beteiligen musste. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Beverungen gestalteten ihr Gemeindeleben überwiegend nach liberalem Ritus. In den 1890er Jahren erhielt die Synagoge sogar eine 7 Herbst, „Lauenförde“ in: Handbuch der jüdischen Gemeinden, S. 939. 8 NLA H, Hann 74 Uslar Nr. 2056.
Herkunft des Namens Löwenherz
Orgel.9 1865 überstiegen die Beiträge der Lauenförder Gemeinde für die Schule und Synagoge mit 160 Talern die der Vorjahre erheblich. Zwischen 1872 und 1874 wurde innerhalb der jüdischen Gemeinde immer wieder über einen Zusammenschluss mit der Bodenfelder Gemeinde beraten. Er wurde aber nicht vollzogen, da die Gemeindemitglieder lieber die traditionellen Bindungen nach Beverungen aufrechterhalten wollten. Der Gemeindevorstand der Lauenförder Gemeinde wurde von den steuerpflichtigen männlichen Juden der Reihe nach wahrgenommen. In den Handbüchern des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes wird Lauenförde letztmalig 1890 als selbständige Gemeinde aufgeführt, in den Staatshandbüchern 1914.10 Im 19. Jahrhundert waren außer der Familie Löwenherz vier weitere jüdische Familien in Lauenförde ansässig: - Abraham Meyer Eckstein betrieb ein Leihhaus und eine kleine Tabak- und Zigarrenmanufaktur. Er gab das Leihhaus und die Manufaktur 1842 auf und eröffnete in Göttingen eine Tabak- und Zigarrenfabrik, in der er auch mit der Herstellung von Zigaretten experimentierte.11 In Dresden gründete er 1891 die „Cigarettenfabrik A. M. Eckstein & Söhne“, in der auch die legendäre „Eckstein No. 5“ in der grünen Verpackung hergestellt wurde. - Calman(n) Kohlberg hatte anfänglich eine kleine Kram- und Fruchthandlung, aus der sich im Laufe der Jahre ein florierender Landhandel entwickelte. Das Geschäft und das Lager befanden sich bis zur Deportation der Familie in der Unterstr. 1. Hedwig, Hilde, Walter und Joel Kohlberg wurden am 26. März 1942 in das Ghetto Warschau deportiert. - Marcus und Minna Wilzig kamen aus Flatow in Westfalen. Es ist nicht bekannt, wie lange sie in Lauenförde lebten und welcher Beschäftigung sie nachgingen. Ihr 1886 in Lauenförde geborener Sohn Jacob kam 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen um. - Johannes Ludwig Georg Karl Philipp Mannsberg aus Bodenfelde ließ sich 1819 in Lauenförde nieder. Er hatte sich ein Jahr zuvor christlich taufen lassen und Philippine Caroline Seitz aus Lippoldsberg geheiratet. Bis zu seiner Taufe hatte er sich Matthias Mansberg genannt. Seine Frau war in Lauenförde unter dem Namen Philippine Caroline Schrader bekannt. Das Ehepaar besaß in der Langen Str. 32 einen Kramladen.12 9 10 11 12
Alicke, S. 269. Herbst/Schaller, S. 64. Herbst, „Eins, zwei, drei…“ in: Jahrbuch 2013 für den Landkreis Holzminden, S. 46 ff. Herbst/Schaller, S. 117.
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Die jüdische Kaufmannsfamilie Löwenherz
Herkunft des Namens Löwenherz Auf dem Grabstein der Halche Löwenherz auf dem jüdischen Friedhof in Lauenförde wird erstmals ein Mitglied der Familie mit Nachnamen genannt. Die Inschrift besagt, dass sie die Tochter des Awraham (Abraham) Löwenherz ist und 1849 starb.13 Das Kontributionsregister von 1855 nennt einen Abraham Heinemann (hebr.: Chaijm) mit seiner Familie. Die traditionelle jüdische Leseweise seines Namens ist Abraham, Sohn des Heinemann. Demnach können wir von Heinemann als bisher ältesten bekannten Vorfahren der Familie Löwenherz ausgehen. Heinemann hatte sich wohl gegen Ende des 17. Jahrhunderts als Handelsmann in Lauenförde niedergelassen. Sein Herkunftsort ist unbekannt. Er wohnte am alten Fährweg am Riß 28 und bezahlte 7 Taler, 2 Groschen und ¼ Pfennig an Steuern.14 Auf mehreren Gräbern der Familie aus dieser Zeit befindet sich hinter dem Namen Löwenherz der Zusatz ha-Levi, ein Hinweis auf deren levitische Abstammung. Die Leviten waren als Tempeldiener im Jerusalemer Tempel tätig und für Handwaschungen und die rituelle Sauberkeit der Gefäße zuständig. Als 1808, in der Zeit des französischen Königreichs Westphalen, König Jérôme in einem Edikt die Annahme bleibender erblicher Familiennamen für Juden verfügte, nahm Awraham (Abraham) den Familiennamen Löwenherz an. Da für die Auswahl eines Familiennamens nicht viel Zeit blieb, nahmen zahlreiche Familien „Phantasienamen“ an, ohne Bezug auf Herkunft und Tradition der Familie.15 Bis zu dieser Zeit war es üblich, neben dem eigenen Vornamen den Vornamen des Vaters zur Unterscheidung zu führen. Dadurch bedingt, wechselte der Bei- oder Familienname mit jeder Generation, was immer wieder zu Verwechslungen und Rechtsunsicherheit bei Behörden führte. Im deutschsprachigen Raum wählten zahlreiche Familien, die ihre Herkunft auf die Leviten und somit auf den israelitischen Stamm Levi zurückführten, „Löwe“ wegen der ähnlichen Schreibweise und des Klanges als Bestandteil ihres Familiennamens, darunter auch die Lauenförder Familie Löwenherz. Es ist aber nicht ganz auszuschließen, dass sich Awraham Löwenherz bei der Wahl des Familiennamens auch an der Entstehung des Namens seines Wohnorts Lauenförde orientierte.
13 Herbst/Schaller, S. 311. „Hier ist geborgen eine Frau, Frau Halche, Tochter des Awraham Löwenherz. Sie verschied alt 96 Jahre…“ 14 Rorig, 650 Jahre Lauenförde, S. 208. 15 Flesch, S. 235.
David Löwenherz, Fellhandel und Steinwerk
Der weitere Namensbestandteil „Herz“ ist in der jüdischen Religion tief verankert, nicht nur als lebenspendendes Körperorgan, sondern auch als Ort menschlichen Denkens und Empfindens. „Im Herzen öffnet sich der Mensch für Gottes Stimme.“ In der Hebräischen Bibel wird das Wort „Herz“ 858 Mal erwähnt.16 „Herz“ war auch ohne Zusatz als Familienname und männlicher Vorname gebräuchlich. Das Namensattribut „Löwenherz“ wird wohl erstmalig im zwölften Jahrhundert erwähnt. Der englische König Richard I (1157 – 1199) trug der Überlieferung nach wegen seiner Tapferkeit den Beinamen „the lionheart“, das Löwenherz. Er führte den Dritten Kreuzzug in das Heilige Land an und befreite die Stadt Akkon.17 In der Familie Löwenherz erzählt man sich seit Generationen folgende Geschichte über den sagenhaften Stammvater der Familie und die Entstehung des Familiennamens: Eines Tages kam eine junge unverheiratete jüdische Frau, die von ihrer Familie verstoßen worden war, mit ihrem kleinen Sohn nach Lauenförde. Das Kind hieß David und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem kräftigen jungen Mann. Im Wirtshaus in Lauenförde kam es eines Abends zu einer Auseinandersetzung zwischen jungen Männern aus dem Dorfe und auswärtigen Besuchern, darunter auch David. Als der Streit zu eskalieren drohte, riss David das Ofenrohr aus der Wand und schlug damit die auswärtigen Männer in die Flucht. Seitdem wurde David im Dorfe nur noch „der Mann mit dem Löwenherz“ genannt.18 Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser „Familiensage“ – wohl in der Mitte des 19. Jahrhunderts – ging man offenbar noch von David als Stammvater der Familie aus. Auch nach der Auflösung des Königreichs Westphalen behielt die Familie den Namen Löwenherz bei. Im rechtsrheinisch gelegenen Koblenz nahm zur gleichen Zeit eine weitere jüdische Familie den Namen Löwenherz an.19 Es ist nicht bekannt, ob beide Familien miteinander verwandt waren.
16 https://archiv.ekd.de/aktuell/edi_2016_03_15_herz_bibel_7_wochen_ohne.html, abgerufen am 23. 12. 2020. 17 https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Löwenherz, abgerufen am 7. 3. 2021. 18 AV, Briefwechsel Seeberg. 19 Gansen, S. 93.
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Die jüdische Kaufmannsfamilie Löwenherz
David Löwenherz, Fellhandel und Steinwerk Abraham Löwenherz hatte zwei Kinder, den Sohn Chaim, der sich mit deutschem Namen Heinemann nannte, und die bereits erwähnte ledige Tochter Halche (* 1752). Heinemanns Sohn David (* 1790) war mit Guttle Rika Bacharach (* 1800) aus Gehaus in Thüringen verheiratet. Beide hatten die Töchter Henriette (* 1824) und Röschen (* 1827) und die fünf Söhne Herz (* 1823), Abraham (* 1828), Heinemann (* 1834), Joseph (* 1836) und Nathan (* 1841 oder 1845). Sie wohnten im alten Kempeschen Haus an der Weser.20 In den Schutzgeldlisten des Amtes Nienover-Lauenförde zwischen 1825 und 1837 wird Heinemann als Handelsmann geführt. Er lebte in mittelmäßigen Umständen, wie
Unten: Einverständniserklärung von David Löwenherz zur Hochzeit seines Sohnes Heinemann 20 Rorig, 650 Jahre Lauenförde, S. 214.
David Löwenherz, Fellhandel und Steinwerk
die Schutzgeldhöhe von durchschnittlich 2 Talern 5 Groschen und 4 Pfennigen im Vergleich zu den anderen jüdischen Einwohnern im Ort und handschriftliche Ergänzungen in der Schutzbriefliste vermuten lassen. Nach der Aufenthaltsgewährung durch die Landdrostei Hildesheim hatte Heinemann einen Schutzbrief für zehn Jahre erhalten, den er jährlich durch weitere Schutzgeldzahlungen erneuern musste.21 Juden waren vom Handel mit handwerklich gefertigten Erzeugnissen ebenso ausgeschlossen wie von sämtlichen Handwerksberufen. Sie mussten stattdessen mit großem Einfallsreichtum versuchen, im nicht handwerklich besetzten Handel tätig zu werden. Seit 1840 bot David Felle zum Verkauf an. Weiterhin betrieb er eine Holzflößerei, handelte mit Bauholz und Drahtnägeln aller Art für den Bau und mit Sandstein aus einem gepachteten Steinwerk (Steinbruch) am Forstrieper Berg. Die Steuerliste der Gewerbe treibenden Juden aus dem Jahre 1847 führt David Löwenherz weiterhin als Handelsmann auf. Er ist mit 18 Groschen Grundsteuer, 2 Talern 2 Groschen Häusersteuer, 5 Talern 4 Groschen Personensteuer, 2 Talern 12 Groschen Gewerbesteuer veranlagt. Zwischenzeitlich hatte er ein eigenes Grundstück mit Haus erworben. Im Vergleich zu den anderen in der Liste aufgeführten Familien lag er einkommensmäßig im oberen Bereich.22 In der Steuerliste von 1857 wird David als „ohne Gewerbe“ aufgeführt und nur noch zur Zahlung von 1 Taler Personensteuer veranlagt. Neben David wird in dieser Liste erstmals dessen ältester Sohn Herz (* 1823) als selbstständiger Kaufmann aufgeführt. Er bezahlte 2 Groschen 5 Pfennig Grundsteuer, 4 Taler 12 Groschen Häusersteuer, 4 Taler Gewerbesteuer und 9 Taler 2 Groschen 4 Pfennig Personensteuer.23 Herz hatte demnach zu diesem Zeitpunkt bereits die Holzhandlung und den gepachteten Steinbruchbetrieb seines Vaters übernommen.
21 NLA H, Hann 88D Nr. 686. 22 AV, Steuerlisten. 23 AV, Steuerlisten.
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Die jüdische Kaufmannsfamilie Löwenherz
Herz Löwenherz gründet ein Dampfsägewerk mit Holzwarenfabrik Herz Löwenherz (* 1823) war mit der aus Beverungen stammenden Friederike Stein (* 1826) verheiratet. Das Ehepaar hatte die drei Kinder Emma (* 1851), Max (* 1853) und Hermann (* 1854). Sie bewohnten in Lauenförde das Haus Nr. 22 in der späteren Langen Str. 22. Es ist nicht bekannt, ob es sich bei dem Steinbruchbetrieb, den er von seinem Vater übernommen hatte, noch um den am Forstrieper Berg handelte. Am rechten Weserufer bei Lauenförde am „Judenkopf“ gab es mehrere Steinbrüche. Zwischen 1832 und 1843 stürzten aus diesen Steinbrüchen immer wieder Steinbrocken in die Weser und beeinträchtigten die Schifffahrt und Flößerei zum Teil erheblich.24 Zumindest seit dem Jahre 1865 hatte Herz Löwenherz die Königlichen Sollingsteinbrüche an der Lietz, am Pfahle und am Zwergenloche im Forstrevier Würrigsen gepachtet. Als sie 1870 zur Neuverpachtung für weitere fünf Jahre anstanden, erhielt Herz Löwenherz erneut den Zuschlag.25 Noch erhaltene Briefe und Umschläge aus den Jahren 1862 bis 1864 dokumentieren, dass auch seine Holzhandlung bereits zu dieser Zeit ein gut gehender Betrieb war. Der Schwerpunkt des Holzhandels lag sicher im regionalen Bereich. Aber auch aus zahlreichen weiter entfernt gelegenen Orten im damaligen Königreich Brief aus Warburg, 1862 Hannover wie Harburg, Wagenfeld und Hameln erreichten ihn immer wieder Anfragen und Bestellungen.26 Seit 1865 war die Firma Herz Löwenherz im Handelsregister des Amtsgerichts Uslar eingetragen. Die Eintragung im Handelsregister berechtigte Herz Löwenherz, am 15. Dezember 1866 mit zehn weiteren Unternehmern aus Südniedersachsen an der Gründungsversammlung der Handelskammer Göttingen teilzunehmen.27 1868 war er 24 25 26 27
NLA H, Hann 80 Hildesheim Nr. 05900 und Hann. 96 Hameln Nr. 43. SA U, Sollinger Nachrichten N. 8. 12. 1869; SA G, Universität Göttingen, Matrikellisten. Mitteilung Filmer. SA G, II B2 Nr.1 Bd. 1.