P R O L O G J U N I 2 0 2 0 | N° 239
Die Wiener Staatsoper im Juni 2020
Wir spielen wieder! Konzerte in der Wiener Staatsoper Abschied: Dominique Meyer im Gespräch Ausblick: Die Spielzeit 2020/2021
GENERALSPONSOREN
Die einzigartige Don Pasquale-Produktion der Staatsopern-AK-Tournee quer durch Österreich! Mit: Edita Gruberova, Luigi Alva, Oskar Czerwenka, Hans Helm
Erhältlich im Arcadia Opera Shop, im ausgewählten Fachhandel und unter www.wiener-staatsoper.at
Inhalt Vorwort Dominique Meyer
2
Oper zum Lesen, Hören, Schauen Neuerscheinungen zum Saisonschluss
4
Es geht wieder los! Reichhaltiges Konzertprogramm im Juni
5
Mir ist die Ehre widerfahren … Abschied Dominique Meyer
6
Der Herr der Zahlen Kaufmännischer Geschäftsführer Thomas Platzer
12
Au revoir, Manuel Legris
14
Das Geheimnis des Kreativen Ein Zoom-Gespräch im Corona-Alltag
16
Balletturaufführungen an der Wiener Staatsoper
18
Ashley Taylor – Den Tanz im „Fokus“
19
„Man muss sich das Publikum imaginieren“ Der Ö1-Klassik-Radio-Guru Michael Blees
20
Kunst in der Krise II
22
Ioan Holender zum 85. Geburtstag
25
Das Staatsopernorchester Geigerin Olesya Kurylyak
26
Ausblick auf die Spielzeit 2020/2021
28
Daten und Fakten
31
Spielplan
34
IMPRESSUM Wiener Staatsoper – Direktion Dominique Meyer Saison 2019/2020, Prolog Juni 2020 Redaktion: Andreas Láng, Oliver Láng, Oliver Peter Graber, Iris Frey Grafik: Irene Neubert, Veronika Grabietz Bildnachweise: Nicolas Meyer (Cover), Andreas Jakwerth (S. 1, 3, 5), Michael Pöhn (S. 6, 12, 16, 32), Ashley Taylor (S. 14, 19), Theatermuseum, Wien (S. 18), Lois Lammerhuber (S. 21), Florian Lechner (S. 25) S. 22-24: Nikolaus Karlinsky (Eröd), Brescia/Amisano © Teatro alla Scala (Stoyanova), Priska Ketterer (Staud), Marco Borggreve (Altinoglu), Nikolaus Karlinsky (Kirchschlager)
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, liebes Publikum!
Diese zehn Jahre sind so schnell vergangen: 3.800 Aufführungen, 122 Operntitel, 57 verschiedene Komponisten, ein erweitertes Ballettprogramm. In den letzten zehn Jahren ist vieles passiert: – Die Zahl der Neuproduktionen wurde von vier auf sechs pro Jahr erhöht. – Die Probenbedingungen wurden verbessert: von 90 auf 110 Orchesterproben, längere Probenzeiten für Repertoireaufführungen, Bau einer neuen Probebühne im Arsenal. – Mit der neuen Ernennung von „Ersten Solotänzerinnen“ bzw. „Ersten Solotänzern“ und einer besseren Organisation der Karriereentwicklung innerhalb des Corps de ballet, konnte eine neue und brillante Generation von Ersten Solisten entstehen. Die Programmgestaltung von Manuel Legris hat es ermöglicht, die meisten der großen Ballettklassiker in hochwertigen Produktionen wieder aufleben zu lassen, aber auch das Beste des zeitgenössischen Schaffens zu begrüßen. Parallel dazu sind zahlreiche neue Sänger ins Ensemble bekommen. Viele von ihnen machen jetzt Weltkarriere. – Sowohl die Opern- als auch Balletttourneen wurden vervielfacht. – Neue Technologien wurde ins Haus gebracht: Installation von Bildschirmen unter den Arkaden, Entwicklung des Streamings, das für 350 Übertragungen in High Definition sorgt und die erste weltweite Ausstrahlung in 4K ermöglichte, Schaffung des Untertitelsystems mit acht Sprachen via der für jeden Zuschauer installierten Tablets, Digitalisierung der Partituren, die nun den Versand des gesamten Materials an die Sänger ohne Portokosten ermöglicht, Einsatz der Tablets von den Inspizienten, Modernisierung der Ton- und Videoinstallation, Wechsel der Beleuchtung im Großen Haus auf LED, usw. … – Die historischen Teile des Hauses (Schwind-Loggia, Schwindfoyer, Eingangsbereich …) wurden restauriert und erscheinen wieder in ihrer ursprünglichen Pracht.
2
N° 239
www.wiener-staatso per.at
– Die wirtschaftlichen Ergebnisse waren gut: die Auslastungsrate ist gestiegen und erreichte sowohl in der Oper als auch im Ballett mehr als 99%, der Kartenverkauf ist von 28 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 37,5 Millionen Euro im Jahr 2019 gestiegen, und wir werden trotz der Corona-Krise unseren Nachfolgern 15 Millionen Euro an Reserven hinterlassen. Vor allem hatten wir das Vergnügen, viele große Dirigenten zu begrüßen (Christian Thielemann, Franz Welser-Möst, Simon Rattle, Zubin Mehta, Semyon Bychkov, Daniel Harding, Gustavo Dudamel, Riccardo Muti (der uns nach Tokio begleitete und im Mai zurückkehren sollte), Peter Schneider, Evelino Pidò, Simone Young, Marco Armiliato, Adam, Fischer, Valery Gergiev, …) sowie die besten Vertreter der jungen Generation (Andris Nelsons, Tugan Sokhiev, Alain Altinoglu, Yannick Nézet-Séguin, Tomáš Hanus, Tomáš Netopil, Antonello Manacorda, Susanna Mälkki, Axel Kober, Jakub Hru°ša, Speranza Scappucci, Giampaolo Bisanti …) und einige große Spezialisten der Alten Musik: William Christie, Marc Minkowski, Christophe Rousset, Ivor Bolton, Emmanuelle Haïm … Es kamen zahlreiche Regisseure aus der ganzen Welt und aus den unterschiedlichen. Manchmal diskutiert – wie es sich gehört –, manchmal umstritten, manchmal geliebt. Es bleiben schöne Erinnerungen: Cardillac (Sven-Eric Bechtolf), Les Troyens, Ariodante und Tristan und Isolde, (David McVicar), Don Pasquale und Midsummer Night’s Dream (Irina Brook), Pelléas et Mélisande und Fanciulla del West (Marco Arturo Marelli), der Janáček-Zyklus (André Engel, Peter Stein, Peter Konwitschny, Otto Schenks Rückkehr – eine Sternstunde!), die schichte Ästhetik von Christof Loy in Alceste. Ich würde auch gerne zwei Produktionen erwähnen, die hier nicht gut angekommen sind, die ich aber sehr mag: Le nozze di Figaro von Jean-Louis Martinoty (beste Produktion des Jahres in Paris, verrissen in Wien) und La traviata (Jean-
VORWORT
François Sivadier). Es gab oft Diskussionen und unterschiedliche Meinungen. Aber es hat mich nie wirklich gestört, weil die Kriterien, nach denen entschieden wird, ob es einem gefällt oder nicht, sehr unterschiedlich sind. Letztlich sind das Geschmacksfragen. In diesen zehn Jahren haben uns alle großen Sängerinnen und Sänger der Welt ihre Kunst angeboten. Ich will sie nicht beim Namen nennen, es sind zu viele. Aber wir werden uns an ihre Auftritte erinnern: Anna Netrebko und Elı̄na Garanča in Anna Bolena, dieselbe Anna Netrebko in ihrer ersten Tatjana-Vorstellung oder als unvergessliche Leonora im Troubadour; an die zahlreichen Rollendebüts von Nina Stemme (in Elektra, La fanciulla del West, als Kundry und Färberin, …), an Piotr Beczała (sein allererster und unvergesslicher Cavaradossi), an die Zugaben von Jonas Kaufmann in der Tosca (!), an die von Beczała in derselben Tosca, oder die von Juan Diego Flórez im Liebestrank oder La Fille du régiment, an die Monologe der Marschallin von Renée Fleming oder Anja Harteros … So viele wunderbare Erinnerungen. Und dann war da noch das Aufblühen so vieler neuer Sänger, wie Benjamin Bernheim, Lise Davidsen, Andreas Schager, Sonya Yoncheva, Olga Peretyatko und viele andere, und schließlich, was noch eine größere Freude war, die Pflege und Entwicklung des festen Sängerensembles der Staatsoper. Ich habe es so gemacht, wie man einen Garten pflegt, indem ich sorgfältig nach jungen Trieben gesucht habe, versucht habe, sie zum Wachsen zu bringen, und auch versucht habe, eine Symbiose mit den älteren Trieben herzustellen. Ich freue mich zu sehen, dass viele von ihnen eine brillante internationale Karriere gemacht haben: Adam Plachetka, Benjamin Bruns, Aida Garifullina, Anita Hartig, Valentina Narforniţă, Chen Reiss, Olga Beszmertna, Maria Nazarova, Andrea Carroll usw. Ebenfalls nennenswert sind die Sänger die uns schon mehrere Jahre begleiten: Herwig Pecoraro, der verstorbene Alfred Šramek, Hans Peter Kam-
merer, Benedikt Kobel, Dan Paul Dumitrescu, Sorin Coliban, Wolfgang Bankl, Clemens Unterreiner und all die anderen. Ich bin für ihre Hilfe, ihre Treue zur Staatsoper und ihr Engagement unendlich dankbar. Ich möchte auch allen Mitarbeitern des Theaters meinen Dank aussprechen, dem Orchester, das uns so viel Freude bereitet hat, dem Chor, dessen Arbeit allzu oft unterschätztz wird (45 auswendig interpretierte Opern pro Saison in 6 Sprachen!), dem Ballett, das im Laufe der Jahre so große Fortschritte gemacht hat. Ich werde nie die Brüderlichkeit der Kollegen in der Technik vergessen, die Qualität ihrer Arbeit, ihr Engagement und ihre Bereitschaft alle Probleme zu lösen. Diesen Wunsch, alle Probleme zu lösen, habe ich auch in jedem einzelnen Büro gefunden. Obwohl meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Arbeit überlastet waren, waren sie jederzeit engagiert. Ich werde ihre Unterstützung, ihre Loyalität und die schöne Zusammenarbeit nicht vergessen. Heute verabschiede ich mich auch von Ihnen, liebe Freunde und liebes Publikum. Ich habe immer geglaubt, dass das Publikum ein wichtiger Bestandteil des Theaters ist. Dies gilt umso mehr hier in Wien. Wo sonst auf der Welt findet man noch eine solche Begeisterung, eine solche Freude, in die Oper zu gehen und immer wieder zurückzukehren? Wo sonst findet man ein Theater, in dem der Applaus so lange dauert, in dem die Künstler bekannt sind, anerkannt und mit so viel Wärme empfangen werden? Dessen bin ich mir bewusst und es berührt mich sehr. Es war mir eine Ehre und eine immense Freude, für eine solche Gemeinschaft, für ein solches Theater, für diese Stadt und dieses Land zu arbeiten, die immer in meinem Herzen bleiben und denen ich treu bleiben werde. Natürlich ist nicht alles perfekt gewesen und das ist mir bewusst. Aber wir haben stets und immer unser Bestes gegeben. Nehmet meinen Dank! Ihr Dominique Meyer www.wiener-staatsoper.at
N° 239
3
OPER ZUM LESEN, HÖREN, SCHAUEN Zum Saisonschluss präsentiert die Wiener Staatsoper eine Reihe von Neuerscheinungen
A
CHRONIK DER WIENER STAATSOPER
CHRONIK DER WIENER STAATSOPER
150 JAHRE HAUS AM RING
MIR IST DIE EHRE WIDERFAHREN… Die Direktion Dominique Meyer
ls Nachtrag zum Jubiläumsjahr 2019 erscheint eine Chronik der Wiener Staatsoper, in der die Geschichte des Hauses am Ring erzählt wird. In dem reich bebilderten Band werden Jahr für Jahr die Ereignisse im und um das Haus aufbereitet, wichtige Produktionen und Informationen zum Haus kommen ebenso zur Sprache wie das künstlerische Geschehen an sich, die Inszenierungsgeschichte und das Wirken prominenter Interpretinnen und Interpreten. Ein Band, der auf eine historische, spannende Reise in eines der wichtigsten Opernhäuser der Welt mitnimmt und zu Entdeckungen einlädt. Anlässlich des Direktionswechsels präsentiert die Wiener Staatsoper das Buch Mir ist die Ehre widerfahren …, in der die Dekade der Direktion Dominique Meyer beleuchtet wird. Neben Statistiken und Daten zu den vergangenen Jahren bietet der Band zahlreiche Essays und Interviews seiner Weggefährten, die aus ihrem jeweils persönlichen Blickwinkel die Direktion bzw. wichtige künstlerische Ereignisse ausleuchten. Nicht fehlen darf natürlich ein umfangreicher Fototeil, der einen Streifzug durch Aufführungen der letzten Jahre bietet. Legendär ist die von ORF aufgezeichnete Don Pasquale-Produktion aus 1977, die im Rahmen der AK-Tournee der Staatsoper quer durch Österreich entstanden ist: In zahlreichen Orten zwischen Krems und Hollabrunn traten Künstlerinnen und Künstler des Hauses in einer liebenswert inszenierten Produktion dieser Donizetti-Oper auf. Dabei kamen Volkshäuser, Stadtsäle und Stadttheater als Spielorte ebenso zum Einsatz wie Kongresshäuser. Gesungen wurde auf Deutsch. Dieses von Direktor Egon Seefehlner initiierte Projekt (Clemens Krauss plante übrigens
4
N° 239
www.wiener-staatso per.at
in den späten 1920er-Jahren Ähnliches, führte es aber nicht aus) sorgte für eine Öffnung des Hauses und bot dem Publikum auch außerhalb des Wiener Einzugsgebiets die Möglichkeit, die Staatsoper live zu erleben. Die Besetzung dieser Tourneeproduktion war hinreißend: unter anderem Edita Gruberova, Luigi Alva, Oskar Czerwenka, Hans Helm! Im Sommer erscheint erstmals eine DVD dieser Produktion – ein Stück federleicht servierter Operngeschichte! Auch im Bereich der Kinderoper sind in den letzten Jahren eine Vielzahl an Produktionen auf DVD erschienen. Diese Reihe wird nun durch gleich zwei Neuerscheinungen von Uraufführungsproduktio nen fortgesetzt: Persinette und Was ist los bei den Enakos? Das erstgenannte Werk kam im Dezember 2019 am Großen Haus zur Uraufführung: Basierend auf der bekannten Rapunzel-Geschichte erzählt der Komponist Albin Fries die Geschichte des im Turm gefangenen Mädchens neu, kleidet die Handlung in ein spätromantisches Klanggewand. Dazu gibt es eine animationsverspielte Inszenierung von Matthias von Stegmann, die mittels Videotechnik für fantasievoll wechsende Räume sorgt. Ein knappes Jahr zuvor, im Jänner 2019, kam in der AGRANA STUDIOBÜHNE | WALFISCHGASSE eine Uraufführung von Elisabeth Naske heraus: Was ist los bei den Enakos? In dieser kurzweiligen Kinder oper wird die Geschichte eines kugelig-kuscheligen Volks erzählt, das sich aus einer gleichgeschalteten Wohlfühl-Gesellschaft in eine aufgeklärte, individuell geprägte Gemeinschaft entwickelt.
OPER
ES GEHT WIEDER LOS! Die Wiener Staatsoper präsentiert im Juni ein reichhaltiges Konzertprogramm
W
ochenlang musste der Theaterbetrieb aufgrund der Corona-Krise auch in Österreich pausieren, ab nun können Vorstellungen – unter bestimmten Auflagen – wieder stattfinden. Zwar nur vor einem sehr kleinen Publikum von maximal 100 Personen, doch immerhin erklingt endlich wieder Musik in der Staatsoper, endlich erwacht das Haus am Ring wieder zum Leben. Schwer zu entscheiden, wem der Kulturbetrieb mehr gefehlt hat, den Zuschauern oder den Künstlerinnen und Künstlern, die zum Schweigen verurteilt waren … Entsprechend groß ist hier auch die Begeisterung, wieder vor den Vorhang treten und gemeinsam musizieren zu können.
PROGRAMM
Geplant sind eine Reihe von klavierbegleiteten Lieder- und Arienabenden vor dem Eisernen Vorhang, die einerseits von internationalen Gästen, andererseits von Ensemblemitgliedern des Hauses gestaltet werden. Zusätzlich spielen die Wiener Philharmoniker Kammermusik (dieses Konzert war ursprünglich im Mahler-Saal geplant, finden nun aber im Großen Haus statt). Als Abschluss wird am 28. Juni das geplante Galakonzert des jungen Ensembles stattfinden. Dabei treten all jene Sängerinnen und Sänger auf, die in der Direktion von Dominique Meyer eine besondere Rolle spielten und – zumindest zeitweilig – im Ensemble waren: ein musikalischer Rückblick, der mit Orchester stattfindet.
20. Juni Liederabend KS Juan Diego Flórez
8. Juni Liederabend Günther Groissböck 9. Juni Ensemblekonzert 10. Juni Kammermusik der Wiener Philharmoniker 11. Juni Liederabend KS Tomasz Konieczny 12. Juni Ensemblekonzert 15. Juni Liederabend KS Camilla Nylund 16. Juni Ensemblekonzert 18. Juni Liederabend KS Michael Schade 19. Juni Ensemblekonzert
22. Juni Ensemblekonzert 24. Juni Ensemblekonzert 25. Juni Liederabend KS Krassimira Stoyanova 28. Juni Galakonzert des jungen Ensembles
Alle Konzerte bis auf das Galakonzert finden um 19.30 Uhr statt; das Galakonzert beginnt um 19.00 Uhr. Das genaue Programm der Abende sowie Besetzungen finden Sie unter www.wiener-staatsoper.at. Karten sind ab dem 3. Juni an den Kassen sowie online erhältlich. www.wiener-staatsoper.at
N° 239
5
MIR IST DIE EHRE WIDERFAHREN …
Dominique Meyer
Z
ehn Jahre lang war Dominique Meyer Direktor der Wiener Staatsoper, ab Sommer 2020 übernimmt Bogdan Roščić die Leitung des Hauses am
6
N° 239
www.wiener-staatso per.at
Ring, Meyer wechselt als Generalintendant an die Mailänder Scala. Im Abschiedsinterview blickt er auf seine Dekade zurück.
INTERVIEW
Wann immer eine neue Funktion, vor allem eine Leitungsfunktion, angetreten wird, existieren Erwartungshaltungen, Ideen, Vorstellungen. Wenn Sie nun Ihre Überlegungen zur Wiener Staatsoper aus dem Jahr Ihrer Bestellung mit jenen von heute vergleichen: Wo liegen die Überlappungen? Dominique Meyer: Deckungsgleich ist die Ansicht, dass es damals einen Bedarf an besseren Probebedingungen gab. Das war ein Projekt, das wir sofort in Angriff nahmen und es wurde im Laufe der Jahre vieles verbessert. Bis hin zur Errichtung einer neuen Probebühne im Arsenal oder zu veränderten Kollektivverträgen. Dazu kam, dass etliches aus dem Repertoire sowohl szenisch als auch musikalisch als auch technisch neu aufbereitet wurde. Ich erwähne stellvertretend nur die Rückkehr von Otto Schenk, der manche seiner Produktionen aufgefrischt hat. Eine zweite Idee, die mir damals wie heute wesentlich schien und scheint, ist die Fortentwicklung der Technologie im Haus. Das hat mit kleinen Dingen angefangen – mit den großen Bildschirmen statt den Fotokästen unter den Arkaden, dann kam das Streaming-System, es folgten die neuen Untertitel-Tablets, die inzwischen die Libretti in acht Sprachen anbieten, später die neue Beleuchtung des Saales mit LED-Licht, zuletzt die Digitalisierung von Noten. Am Rande sei der zweifache Relaunch der Webseite erwähnt, die Einführung neuer sozialer Medien wie Instagram und Facebook. Drittens: Es kam zur Erweiterung des Repertoires, einerseits in Richtung Barock, andererseits in die Moderne. In diesem Punkt würde ich heute allerdings anders vorgehen. Ich wollte zuerst das 20. Jahrhundert ergänzen und erneuern (z.B. Cardillac, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, dem Janáček-Zyklus) und mich dann den zeitgenössischen Opern zuwenden. Schnell kam der Vorwurf, dass die Staatsoper keine zeitgenössische Musik spielt. Das war zwar ohnehin für die zweite Hälfte meiner Amtszeit geplant, aber würde ich heute neu anfangen, kämen die zeitgenössischen Opern gleich zu Beginn. Obwohl dieses Annähern an die Gegenwart auch einen Vorteil hatte: Wir konnten manchen an der Hand nehmen und nach und nach an die zeitgenössische Musik heranführen. Das Ergebnis jedenfalls ist gut: Klassiker der Moderne wie Wozzeck oder Lulu
und die Opern von Janáček führten dazu, dass die Besucherzahlen, was das Zeitgenössische betrifft, gut waren. Schließlich die Ensemble-Pflege, die enorm wichtig ist: Mein Fehler war, dass ich anfangs sagte, dass wir ein Mozart-Ensemble entwickeln werden. Da dachten viele, dass das von heute auf morgen passiert. Aber natürlich braucht so etwas viel Zeit. Der verstorbene Musikkritiker Franz Endler meinte einst, dass ein Kritiker ein Jäger ist, der die Guten hegt – und die Schwachen mitunter abschießt. Was ist ein Direktor? Ein Gärtner? Ein Familienvater? Dominique Meyer: Ich fand es stets am Spannendsten, ein Potenzial zu entdecken. Wenn Sie einem Sänger beim Vorsingen zuhören, wissen Sie ja nicht viel über ihn: Ob er verlässlich ist, intelligent, fleißig, kollegial? Man hört nur eine Stimme. Wenn man ihn engagiert, muss man ihn oder sie in der Entwicklung begleiten, ich habe viele Stunden in meinem Büro mit Gesprächen verbracht: Manchen geht einiges zu schnell, anderen zu langsam, manche haben Angst, haben eine falsche Selbstsicht, dann wieder gesundheitliche oder persönliche Probleme. Es sind oft junge Leute, die von der Hochschule kommen, mitunter unerfahren sind. Ganz ähnlich ist es übrigens bei Tänzerinnen und Tänzern, wie oft sitzt man als Direktor um acht Uhr in der Früh im Büro, um einfach zu sprechen. Ein bisschen also eine Pater Familias-Situation. Man ist Gärtner, Familienvater, Diplomat, Psychologe, Krankenschwester, Betreuer. Wie gelingt es in diesem ungewöhnlichen Betrieb, in dem jeden Tag eine unvorhergesehene Sache passiert, sich gut vorzubereiten und abzusichern? Dominique Meyer: Das ist eine Sache der Zeit und der Erfahrung. Am Anfang meiner Karriere war für mich jede Absage eine mittlere Katastrophe, aber dann begriff ich, dass man das anders sehen muss: Es gibt hier eine tolle Mannschaft, ein wunderbares Betriebsbüro, eine außerordentliche Situation, dass vieles durch das Ensemble gecovert ist. Für die Rollen, die keine Zweitbesetzung am Haus haben, muss man jene im Auge behalten, die notfalls einspringen könnten. Meistens sind diese spontanen Umbesetzungssituationen schnell und ohne großen Nervenverwww.wiener-staatsoper.at
N° 239
7
Sendetermine zu und mit Dominique Meyer: 28. Juni, 15.05 | Ö1 10 Jahre Staatsopern-Direktion Dominique Meyer – Ein Rückblick mit Michael Blees 28. Juni, 9.30 | ORF 2 Ein Blick zurück mit Liebe Dominique Meyer an der Wiener Staatsoper 30. Juni, 11.00 | radioklassik Mélange mit Dominique Meyer Der Abschied
schleiß gelaufen. Das ist auch das Schöne an der Staatsoper, dass man hier in Ruhe arbeiten kann.
eine Besetzung, die ein bestimmtes Werk geradezu fordert. Dann gibt es Grundbausteine des Repertoires, Mozart, Strauss, Wagner. Das ist aber noch nicht alles: Wenn man die Geschichte des Wiener Repertoires studiert, sieht man, dass die Staatsoper in Wahrheit eine sehr italienische Oper ist, viel italienischer als deutsch. Es gibt kein vergleichbares Haus in Italien, an dem so viele entsprechende Stücke zu erleben sind wie hier. All das muss in einen Spielplan einfließen, und bevor ich hierherkam, studierte ich das sehr genau. Natürlich gönnt man sich auch Wünsche, doch in erster Linie hat man als Direktor eine Verantwortung, und weder das Haus, noch das Publikum sind ein Spielzeug. Die Staatsoper ist eine österreichische Nationalinstitution, für die man arbeiten darf.
Zur Frage des Verkaufen-Müssens: Wie „populistisch“ soll man als Staatsoperm-Direktor sein, wie weit hat man seinem Publikum entgegenzukommen? Dominique Meyer: Ich gehöre zu jenen, die Respekt vor dem Publikum haben. Ich kannte das Publikum in Lausanne, in Paris – und ich kenne es in Wien. Viele Zuseher sogar persönlich. Nicht wenige von jenen, die in die Vorstellung gehen, sind gebildet und haben großes Wissen. Man sollte nie so eingebildet sein und sagen: Das sind Leute, die glauben zu wissen, aber letztlich keine Ahnung haben. Denn das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil! Das Publikum kennt sich aus! Direktoren müssen freilich Kenntnisse haben, die darüber hinausgehen, das ist klar. Weil sie vieles gehört haben, weil sie reisen und sich den ganzen Tag mit Fachfragen beschäftigen. Ich habe mein ganzes Wissen aus Leidenschaft gewonnen, viel gehört, viel erlebt. Ich habe Konzerte, Opern programmiert und ich kenne das Repertoire. Manchmal kann es also die Aufgabe des Direktors sein, die Zuschauer in eine Richtung zu führen, an die sie vielleicht nicht gedacht haben. Man kann ihnen etwas zeigen, was sie vielleicht nicht kennen. Was ich aber nicht glaube ist, dass ein Direktor einen besseren Geschmack als das Publikum hat. Denn, seien wir ehrlich: Sehr vieles ist eine persönliche Vorliebe, die nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Land zu Land sehr verschieden sein kann.
Wer ist eigentlich der nächste Partner des Operndirektors? Gibt es einen? Oder ist man als Direktor einsam? Dominique Meyer: Ich habe mich jedenfalls nie einsam gefühlt. Der nächste Partner war für mich Thomas Platzer, der kaufmännische Leiter. Und die Menschen, die jeden Tag mit mir gearbeitet haben, Studienleiter, Oberspielleiterin, Betriebsdirektorin. Oder in der Momentaufnahme: Der nächste Partner ist immer der, der mir hilft, das nächste Problem zu lösen. Was mich aber immer begeistert hat war, dass man in einem Haus wie der Staatsoper mit so vielen unterschiedlichen Menschen zu tun hat, und sie alle die Begeisterung teilen. Alle gehörten zu diesem Kosmos Staatsoper, und es ist schön, sie alle zu kennen.
Einer ihrer Vorgänger, Egon Seefehlner, meinte, dass man als Direktor einfach nur jene Stücke als Premiere ansetzen muss, die man selber gerne hat. Und schon steht der Spielplan. Dominique Meyer: Das finde ich nicht. Ich habe viele Stücke gespielt, die ich persönlich gar nicht so sehr mag. An der Wiener Staatsoper geht es ja um das Interesse des Hauses: Man muss unterschiedliche Stücke planen, die einen ausgewogenen Spielplan ergeben, dazu kommen die technischen Gegebenheiten des Hauses, die Kollektivverträge. Manche Stücke füllen die Kassen, andere nicht. Manchmal ergibt sich
Das Repertoire umfasste in den letzten zehn Jahren, die Kinderoper eingerechnet, über 120 Werke. Inwiefern verfolgten Sie damit eine bewusste Strategie der Verbreiterung des Angebots? Dominique Meyer: Manchmal entsteht der Eindruck, dass das Repertoire der Wiener Staatsoper eine gegebene Größe ist, eine Einheit, die irgendwann vom Himmel gefallen ist. Wenn man sich aber ein wenig mit der historischen Dimension beschäftigt, dann merkt man, dass dem gar nicht so ist. Es gab Moden. Es gab Tendenzen. Es gab Lücken. Das Repertoire ist etwas Lebendiges, Sich-Entwickelndes, das manchmal in diese,
8
N° 239
www.wiener-staatso per.at
INTERVIEW
dann wieder in jene Richtung verläuft, mitunter wächst oder auch schrumpft. Mir war es wichtig, jedes Jahr zumindest eine Oper zu bringen, die hier am Haus noch nicht erklungen ist – alleine schon dieses Vorhaben verändert die Struktur des Repertoires. Dazu kamen einige Stücke, die lange nicht mehr gespielt worden waren, aber für ein solchen Haus sehr wichtig sind. Und schließlich Werke, die man vielleicht nicht regelmäßig spielen kann, aber dann und wann an einem so außerordentlichen Haus auftauchen sollten, zum Beispiel Les Troyens oder Věc Makropulos. Die Funktion des Wiener Operndirektors ist klischeebelastet. Man spricht immer wieder von Stolpersteinen in Form von Intrigen und Neid. Dieses Klischee war Ihnen bekannt, bevor Sie antraten? Dominique Meyer: Man warnte mich in höchstem Maße. Viele Dirigenten zum Beispiel sagten: „Geh nicht!“ Und alle Fragen, die man mir anfangs gestellt hat, gingen in diese Richtung. Kollegen blickten mich mitleidig an, so wie einen, der an einer tödlichen Krankheit leidet. Da dachte ich mir: „ Jetzt musst du Abstand gewinnen und dich mit konkreten Zahlen beschäftigen, um aus dieser seltsamen Stimmung und den Vorhersagen wieder heraus zu finden“. Freilich, wenn man aus dem Ausland nach Wien kommt, merkt man sofort, dass hier vieles anders ist als in anderen großen Städten. Ein Beispiel: Als ich in Paris Direktor war, veranstaltete ich jedes Jahr eine Pressekonferenz und gab zwei Interviews – das war’s! Mehr nicht! Denn in Paris hofft die Presse, dass ein Direktor nichts sagt, weil die Zeitungen ohnehin zu wenig Platz haben. In Wien hofft die Presse, dass ein Direktor sich zu Wort meldet – zu den unterschiedlichsten Themen. Man kann auch nicht unerkannt spazieren gehen, sondern wird angesprochen – kein Tag in den letzten zehn Jahren, an denen das nicht passiert wäre. Die Leute sind immer freundlich, immer interessiert, aber man steht unter Beobachtung. Das ist etwas, an das ich mich erst gewöhnen musste. Nun aber etwas ganz Wichtiges: Das hat nichts mit der Person zu tun, sondern nur mit dem Amt des Operndirektors. Die Menschen waren nicht an Dominique Meyer interessiert, sondern am Direktor. Das darf man nicht verwechseln.
Also keine schlechten Erfahrungen? Dominique Meyer: Es gibt drei Kreise. Nummer eins: das Haus. Da war alles wunderbar, die Liebe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Musiktheater, das Engagement, die Fähigkeiten zur Zusammenarbeit, die Begeisterung, die Kompetenz… Ich fühlte mich immer wohl und war glücklich. Nummer zwei: das Publikum. Auch da machte ich gute Erfahrungen. Anfangs dachte ich, vielleicht heißt es: „Der Franzose“ oder „Der Ausländer“. Das habe ich in zehn Jahren genau fünfmal gehört – und davon zweimal von derselben Person, das war also absolut kein Thema. Das ist ein Vorurteil, dass die Wiener so sind. Ich wurde sehr positiv empfangen, gut behandelt. Aber es gibt eine dritte Ebene, das sind „Fachleute“, die rund um die Oper kreisen, und manche von ihnen glauben, sich alles erlauben zu dürfen, sie glauben, dass ihr Geschmack der beste und einzig wahre ist, und sie glauben, eine Entscheidungsgewalt zu besitzen. Diese Leute sitzen bei Abendessen, in Klubs und halten sich für Meinungsmacher, verfolgen aber rein persönliche Ziele. Und da wird wirklich intrigiert. Wobei ich denke, dass der Einfluss dieser Gruppe weniger und weniger wird, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Also, unterm Strich muss ich sagen, dass man es als Operndirektor in Wien sehr sehr gut hat. Es gibt eine Liebe des Publikums zum Haus, eine Liebe der Künstlerinnen und Künstler zum Haus, es gibt offene Herzen und offene Ohren. Wenn man bedenkt, wie heftig in der Vergangenheit Operndirektoren attackiert wurden, bis hin zu ihrem Tod, dann muss man sagen: Dieses Gift ist heute kaum mehr da. Mit mir wurde jedenfalls gut umgegangen. Premieren bereitet ein Haus sechs Wochen vor, das Repertoire kann nicht so ausführlich geprobt werden. Wie gingen Sie damit um, dass nicht jeder Abend eine Premiere sein kann? Dominique Meyer: Mein Credo war stets, dass die Leistung, die man dem Zuschauer, der Geld an der Kassa lässt, bietet, immer stimmen muss. Sagen wir, die Staatsoper spielt sechs Opernpremieren, dann bleiben immer noch ungefähr 220 Abende Repertoire. Die müssen gut sein – und sie sind es auch, denn das Haus ist hier sehr www.wiener-staatsoper.at
N° 239
9
stark! Die große Mehrheit der Repertoirevorstellungen ist viel besser als an anderen Häusern. Ich habe hier Salome, den Ring, Elektra und anderes auf einem Niveau gehört, das man anderswo kaum hört, nicht einmal bei Premieren. Und das nicht nur bei Strauss und Wagner. Wenn man am Abend in die Loge geht und eine gut aufgestellte Besetzung den Barbier von Sevilla spielt, kann man Großartiges erleben. Selbst wir, die viel gehört haben, sitzen da und sind, wie jeder andere Opernliebhaber, einfach verzaubert. Es kann natürlich vieles schiefgehen, das ist klar. Aber auch eine Premiere kann Schwächen haben, alleine schon, weil der Druck, der sich an einem solchen Abend aufbaut, so groß ist. Nach welchen Kriterien haben Sie Inszenierungen und Regisseure ausgewählt? Dominique Meyer: Meine Idee war immer, dass die Inszenierungsarbeit international ist. Es soll nicht nur eine Sicht auf die Oper geben. Ich wollte Regisseure aus vielen Ländern, viele Stile, ich wollte es bewusst mischen. Für mich muss der Horizont der Wiener Staatsoper sein: London, Berlin, Paris, Mailand, New York. Darf man sich als Direktor Zweifel erlauben? In puncto Barockoper haben zum Beispiel viele gesagt: Das wird nicht funktionieren! Gab es einen Moment des Zweifels? Der Letzte, der hier Barock gespielt hat, war Karajan, aber mit großem, romantischem Orchester. Dominique Meyer: Ich habe oft Zweifel – aber nicht in diesem Punkt, denn da hatte ich zu viel Erfahrung, um nicht zu wissen, dass es klappen wird. Denn wo liegt der Unterschied, ob Frau Harteros ein Mozart-Rezitativ mit Cembalo-Begleitung singt oder eines von Händel? Akustisch ist es das gleiche! Ich holte ein Barockensemble, das nicht zu klein ist und einen Dirigenten – Marc Minkowski – der es deftig mag. Und ich setzte ein Stück an, dass zumindest als Name gut bekannt ist: Alcina. Dazu international wichtige Sängerinnen und Sänger. Seien wir ehrlich – eine Alcina mit Anja Harteros: da kann nicht viel schiefgehen. Empfinden Sie Theater als eine große, gesellschaftspolitische Werte-Maschine, die die Welt ver-
10
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
bessern, politische Meinungen verbreiten kann? Dominique Meyer: Ja, natürlich! Theater kann das! Es gibt stets eine Interaktion zwischen Gesellschaft und den Institutionen, die auf den Menschen, auf die Menschen einwirken. Das ist ein Grundaspekt des Theaters. Wobei man natürlich nicht einfach naiv sagen kann: Kultur macht einen Menschen prinzipiell besser. Dafür gibt es zu viele Gegenbeispiele, die zeigen, wie sehr Kunst missbraucht wurde. Auch die Nazis sind in die Oper gegangen. Und dann wiederum wurde Kultur als Selbstdarstellung verwendet, die Geschichte ist voll von diesen Beispielen. Es kommt also auch auf den Einsatz von Kunst an. Ich bin aber überzeugt, dass eine gebildete Gesellschaft eine bessere ist, und die Oper an einem Kreuzungspunkt so vieler Genres und Gebiete liegt, ja geradezu die zentrale Kreuzung ist. Daher kann Musiktheater den Geist für so vieles öffnen und kann so inspirierend und befruchtend sein. Das Interesse für Geschichte, für Gesellschaft, für Politik, für Psychologie, für Mythologie, für Kunstgeschichte, für so viel anderes – all das kann die Oper wecken. Manchmal beleuchtet ein Stück die Geschichte, manchmal beleuchtet ein Stück die Gegenwart, aber immer beleuchtet sie uns und unser Zusammenleben. Daraus kann man, wenn man guten Willens ist, etwas lernen. Ich möchte freilich gerne, dass die Kultur die Welt verbessert – wir sind aber immer wieder gezwungen, die Grenzen der Wunscherfüllung zu erkennen. Letzte Frage: Wenn Sie sich von Ihren verstorbenen Vorgängern einen Direktor als Gesprächspartner wünschen dürften – wer wäre es? Und worüber würden Sie sprechen? Dominique Meyer: In meinem Zimmer hängen zwei Bilder: eines von Richard Strauss und eines von Gustav Mahler. Ersteren schätze ich als Komponisten, seinen Spielplanideen, wie er sie Karl Böhm übermittelt hat, möchte ich allerdings nicht folgen. Zweiteren schätze ich als Komponisten und als Direktor, mit ihm würde ich mich gerne unterhalten. Und worüber? Das bleibt unser Amtsgeheimnis! Láng-Láng
OPER
EIN WENIG OPERNSTATISTIK …
I
n der Direktionsdekade Dominique Meyers wurden, inklusive Kinderoper, 57 Komponistinnen und Komponisten gespielt, es erklangen 122 unterschiedliche Opernwerke. Es gab 53 Opernpremieren, darunter zwölf Erstaufführungen an der Wiener Staatsoper, eine konzertante Premiere und zwei Uraufführungen. Dazu zehn Kinderopernpremieren – alles Ur- bzw. Erstaufführungen – an unterschiedlichen Spielstätten, unter anderem im Großen Haus. Der meistgespielte Opernkomponist war Giuseppe Verdi mit knapp 400 Abenden, die meistgespielte Oper war Tosca von Giacomo Puccini mit über 80 Aufführungen. OPERNPREMIEREN Lucrezia Borgia (Donizetti), konzertant, 2. Okt. 2010 Cardillac (Hindemith), 17. Oktober 2010 Don Giovanni (Mozart), 11. Dezember 2010 Le nozze di Figaro (Mozart), 16. Februar 2011 Kátja Kabanová (Janáček), 17. Juni 2011 La traviata (Verdi), 9. Oktober 2011 La clemenza di Tito (Mozart), 17. Mai 2012 Don Carlo (Verdi), 16. Juni 2012 Alceste (Gluck), 12. November 2012 Ariadne auf Naxos (Strauss), 19. Dezember 2012 La cenerentola (Rossini), 26. Jänner 2013 Tristan und Isolde (Wagner), 13. Juni 2013 La fanciulla del West (Puccini), 5. Oktober 2013 Die Zauberflöte (Mozart), 17. November 2013 Rusalka (Dvořák), 26. Jänner 2014 Lohengrin (Wagner), 12. April 2014 Idomeneo (Mozart), 5. Oktober 2014 Chowanschtschina (Mussorgski), 15. Nov. 2014 Rigoletto (Verdi), 20. Dezember 2014 Elektra (Strauss), 29. März 2015 Don Pasquale (Donizetti), 26. April 2015 Macbeth (Verdi), 4. Oktober 2015 Hänsel und Gretel (Humperdinck), 19. Nov. 2015 Turandot (Puccini), 28. April 2016 Armide (Gluck), 16. Oktober 2016 Falstaff (Verdi), 4. Dezember 2016 Il trovatore (Verdi), 5. Februar 2017 Parsifal (Wagner), 30. März 2017 Pelléas et Mélisande (Debussy), 18. Juni 2017 Der Spieler (Prokofjew), 4. Oktober 2017 Lulu, 3. Akt (Berg), 3. Dezember 2017 Dantons Tod (Einem), 24. März 2018 Samson et Dalila (Saint-Saëns), 12. Mai 2018
Der Freischütz (Weber), 11. Juni 2018 Les Troyens (Berlioz), 14. Oktober 2018 Lucia di Lammermoor (Donizetti), 9. Februar 2019 Die Frau ohne Schatten (Strauss), 25. Mai 2019 Otello (Verdi), 20. Juni 2019 A Midsummer Night’s Dream (Britten), 2. Okt. 2019 ERSTAUFFÜHRUNGEN AN DER WIENER STAATSOPER Alcina (Händel), 14. November 2010 Anna Bolena (Donizetti), 2. April 2011 Aus einem Totenhaus (Janáček), 11. Dez. 2011 Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Weill), 24. Jänner 2012 Adriana Lecouvreur (Cilèa), 16. Februar 2014 Das schlaue Füchslein (Janáček), 18. Juni 2014 The Tempest (Adès), 14. Juni 2015 Věc Makropulos (Janáček), 13. Dezember 2015 Tri sestri (Eötvös), 6. März 2016 Ariodante (Händel), 24. Februar 2018 Orest (Trojahn), 31. März 2019 Fidelio Urfassung (Beethoven), 1. Februar 2020 URAUFFÜHRUNGEN IM GROSSEN HAUS Fatima (Doderer), 23. Dezember 2015 (Kinderoper) Die Weiden (Staud/Grünbein), 8. Dezember 2018 Orlando (Neuwirth), 8. Dezember 2019 Persinette (Fries), 21. Dezember 2019 (Kinderoper) KINDEROPERNPREMIEREN (A1-Kinderopernzelt / AGRANA STUDIOBÜHNE WALFISCHGASSE) Die Feen (Floros / Wagner), 3. März 2012 (Erstaufführung) Pollicino (Henze), 28. April 2013 (Erstaufführung) Das Städtchen Drumherum (Naske), 26. Okt. 2013 (Uraufführung) Undine (Lortzing / Schulze), 18. April 2015 (Erstaufführung) Patchwork (Schulze), 29. Jänner 2017 (Uraufführung) Cinderella (Deutscher), 28. Jänner 2018 (Erstaufführung) Die arabische Prinzessin (Arriaga), 12. Nov. 2018 (Erstaufführung) Was ist los bei den Enakos? (Naske), 26. Jänner 2019 (Uraufführung)
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
11
Thomas Platzer
DER HERR DER ZAHLEN I
m Jahr 1981 trat Thomas Platzer in die Öster reichischen Bundestheater ein, seit fast 21 Jahren ist er der kaufmännische Leiter der Wiener Staatsoper. Mit Ende der Direktion Dominique Meyer tritt er in den Ruhestand – Zeit für einen Blick hinter die wirtschaftlichen Kulissen des Hauses. Wenn Sie sich als kaufmännischer Direktor in eine beliebige Vorstellung setzen: Können Sie den Abend genießen? Oder läuft bei Ihnen automatisch ein Taxameter mit, der die Kosten anzeigt? Thomas Platzer: Ich gebe zu, dass es mir in den ersten beiden Jahren als kaufmännischer Leiter der Staatsoper genauso gegangen ist und ich in Gedanken immer bei den Kosten war. Ich sah nicht Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, sondern nur das Geld herumlaufen. Besonders in puncto Kostüme: Da rechnete ich laufend mit, so und so lange sieht man das Kostüm, so und so viel hat es gekostet. Das ist natürlich so etwas wie eine Berufskrankheit. Aber es legte sich zum Glück schnell und seit langem genieße ich Vorstellungen ebenso wie jeder andere. Wenn ich zusätzlich weiß, dass die wirtschaftliche Auslastung stimmt – dann freue ich mich natürlich doppelt. Welche Freude überwiegt in einem solchen Fall? Jene über einen künstlerischen oder den finanziellen Erfolg? Thomas Platzer: Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust, denn für einen kaufmännischen Leiter
12
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
gibt es immer beide Aspekte: das Geld und die künstlerische Qualität. Im Idealfall stimmt beides und die Seelen freuen sich gleichermaßen. Viele Künstler wurden in ihren Beruf gleichsam hineingeboren und fühlten sich der Musik von Anfang an verbunden. War es bei Ihnen bezüglich des Wirtschaftlichen, des Zahlenwesens ebenso? Thomas Platzer: Schwierige Frage. In meiner Jugend fand ich Mathematik stets sehr spannend. Das Tüfteln an komplexen Fragestellungen, das Lösen von Wahrscheinlichkeitsrechnungen oder komplizierten Gleichungen mit mehreren Unbekannten zog mich eindeutig an. Insofern würde ich sagen, dass es schon so etwas wie eine Vorliebe für die Welt der Zahlen gibt. Das hat sich quer durch mein Leben gezogen. Als zum Beispiel das Computerzeitalter anbrach, eröffnete sich für mich ein neues, herausforderndes Feld, das ich zum Teil im Selbststudium beackerte. Ich weiß noch, wie ich mir ein umfangreiches Excel-Buch kaufte und es auf der Suche nach Anwendungsmöglichkeiten für meinen Beruf durcharbeitete. Weil Sie das Selbststudium erwähnten: Was am Beruf des kaufmännischen Geschäftsführers eines Opernhauses ist tatsächlich lehrbar, was kann man nur aus der Erfahrung erwerben? Thomas Platzer: Ich denke, ich bin diesbezüglich ein Unikat und werde es auch bleiben, denn mein Werdegang ist ja nicht alltäglich. Ich traf
INTERVIEW
am Beginn meiner Laufbahn auf einen echten Visionär, den damaligen Leiter der Hauptabteilung Rechnungswesen, Erich Lutz, der mich neun Jahre vor seiner Pensionierung auswählte und meinte: „Sie üben ab nun hintereinander alle Positionen in allen Sachabteilungen aus und werden danach mein Nachfolger“. Das war eine wunderbare Sache. Denn so lernte ich genau, was wo wie zu tun ist und kenne vieles aus erster Hand. Das kann kein Studium vermitteln, soviel Praxis gibt es nur – in der Praxis und vieles kann man sich nur selbst mit eiserner Disziplin beibringen. Natürlich, es braucht eine Anleitung, aber den Kurs „Kaufmännische Leitung Wiener Staatsoper“ – den kann es nie geben. Meistens gibt es einen Bereich, für den man besonders brennt. In Ihrem Fall ist es der Kartenvertrieb? Thomas Platzer: Nein, es ist und bleibt das Budget im Gesamten. Eine komplexe Materie! Es war immer schon mein Steckenpferd, das Budget punktgenau zu berechnen und abzubilden. Wobei der Kartenvertrieb seine spannenden Seiten hat: Wie bekomme ich selbst unter schwierigen Umständen eine gute Auslastung hin? Zum Beispiel? Thomas Platzer: Am Aschermittwoch, wenn alle zum Heringsschmaus gehen und nicht ins Theater kommen. An diesem Tag ist die Nachfrage nach Opernkarten nachweislich geringer. Hätten Sie rein aus Ihrer Erfahrung bei einem beliebigen Spielplanentwurf Dominique Meyers auf den ersten Blick sagen können: Dieses oder jenes Projekt – das wird auslastungstechnisch schwierig? Thomas Platzer: Um ehrlich zu sein: Da Dominique Meyer immer einen sehr guten Spielplan gemacht und die wirtschaftliche Situation mitgedacht hat, waren solche Warnungen nicht nötig. Natürlich gibt es Abende, die besser gehen und andere, die etwas zäher im Verkauf sind. Das gleicht sich im Laufe einer Spielzeit aus. Vieles kann ich aus meiner Erfahrung im Vornherein abschätzen, aber den Ehrgeiz, die jeweilige Auslastung einer zukünftigen Vorstellung präzise vorhersagen zu können, habe ich nicht. Es gibt da etwas Besseres: Ich besitze eine Tabelle, in der jede Aufführung
meiner knapp 21 Jahre mit ihrer Auslastung verzeichnet ist, man kann also auf Knopfdruck nachschauen, wie der Abend X, der Abend Y oder alle Aufführungen eines Titels wirtschaftlich ausgesehen haben. Daraus lässt sich viel herauslesen. Aber wovon hängt die Auslastung ab? Gibt es Stücke, die sich von selbst verkaufen? Thomas Platzer: Natürlich gibt es Operntitel, wie die Zauberflöte oder Traviata, die praktisch immer gut gehen. Viele erstaunt es, dass Richard Strauss – bis auf den Rosenkavalier – eher schwierig im Verkauf ist. In solchen Fällen wirkt sich die Besetzung sehr stark aus, wenn man zugkräftige Namen hat, läuft auch Capriccio gut. Natürlich kann es eine Rolle spielen, wie oft man einen Abend spielt. Viermal eine gute und beliebte Produktion wie Cardillac ist kein Problem, achtmal wird rein auslastungstechnisch zu viel sein. Es kann natürlich Ausnahmen geben, La Fille du régiment etwa lief 2007 zehnmal hintereinander ausverkauft oder die Entführung aus dem Serail im Jahr 2006 ebenso zehnmal ausverkauft – aber das hatte auch mit dem Mozartjahr zu tun. Es gibt Werke, die weniger bekannt sind, wie zum Beispiel La Juive und vom Publikum dennoch sehr gut angenommen wurden. Es sind einfach zahlreiche Faktoren, die eine Auslastung bestimmen. Muss der kaufmännische Leiter aufgrund der Vorsicht, zu der er gesetzlich verpflichtet ist, im Kulturbetrieb immer ein wenig der Spielverderber sein? Thomas Platzer: Ich hatte als Geschäftsführer nur zwei Direktoren, Ioan Holender und Dominique Meyer, und beide waren auch aus kaufmännischer Sicht sehr gut! Weil sie beide nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich dachten und darauf achteten, dass das Geld nicht einfach so ausgegeben wird. Und weil sie Spielpläne erstellten, die entsprechend zugkräftig waren. Und die Ergebnisse gaben ihnen recht! In Ihren gut 20 Jahren haben Sie – geschätzt – zwölf Millionen Karten verkauft… Thomas Platzer: … was vor allem eines zeigt: Das Publikum in Wien ist fantastisch! Interessiert, treu und begeisterungsfähig. Einfach fantastisch! Das Gespräch führte Oliver Láng
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
13
AU REVOIR, MANUEL LEGRIS G
Manuel Legris
eboren in Paris, erhielt Manuel Legris an der Ballettschule der dortigen Oper seine Ausbildung und wurde im Anschluss 1980 an das Ballett der Pariser Oper engagiert. Sechs Jahre später wurde er vom damaligen Ballettdirektor der Pariser Oper, Rudolf Nurejew, zum Danseur Étoile ernannt. Legris tanzte die großen Partien des klassischen und modernen Repertoires und trat in zahlreichen Uraufführungen hervor. Weltweit absolvierte er Gastspiele mit den renommiertesten Ballettkompanien sowie mit seinem eigenen Ensemble „Manuel Legris et ses Étoiles“. Im Mai 2009 gab er seine Abschiedsvorstellung als Danseur Étoile der Pariser Oper, seither ist er als Gastsolist an diesem Haus sowie an anderen Bühnen in Europa, Asien und Amerika aufgetreten. Häufig führte ihn sein Weg nach Wien, wo er am 27. Jänner 1985 in der Rolle des Béranger in Rudolf Nurejews Raymonda debütierte. Ein Vierteljahrhundert später sollte das Haus am Ring komplett zu seinem Lebensmittelpunkt werden: Mit 1. September 2010 übernahm Manuel Legris die Direktion des nunmehr unter dem Namen „Wiener Staatsballett“ firmierenden Ensembles sowie die künstlerischere Leitung der Ballettakademie der Wiener Staatsoper. In seiner ersten Spielzeit als Direktor des Wiener Staatsballetts präsentierte er die ungewöhnlich hohe Anzahl von insgesamt acht Premieren in beiden Häusern – Wiener Staatsoper und Volksoper Wien. Von Beginn an verriet seine Auswahl dabei spezifische Schwerpunkte, die das Jahrzehnt seiner Wiener Amtszeit ebenso durchgehend wie charakteristisch prägen sollten: ein besonderes Interesse an der Neoklassik, das sich v.a. in zahlreichen, den Choreographen George Balanchine, Jerome Robbins und John Neumeier gewidmeten Produktionen manifestierte, die Pflege der Ballettfassungen wie des Erbes von Rudolf Nurejew sowie des abendfüllenden Handlungsballetts im Allgemeinen, eine grundsätzliche Orientierung am Modell „Ballett der Pariser Oper“ und die Vergabe von Auftragschoreographien. Besonders die seinem Mentor gewidmete Nurejew Gala, die jährlich den Saisonschluss in der Wiener Staatsoper bildete und bei der Manuel Legris 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2018 und 2019 auch
14
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
selbst als Tänzer mitwirkte, wurde rasch zu einer „Wiener Tradition“. Aus der choreographischen Feder Nurejews zeigte das Wiener Staatsballett unter der Leitung von Legris Don Quixote (Premiere am 28. Februar 2011), Der Nussknacker (P.: 7. Oktober 2012), Schwanensee (P.: 16. März 2014) und Raymonda (Wiederaufnahme am 22. Dezember 2016) sowie Ausschnitte (zum Teil gesamte Akte) aus sieben weiteren Balletten bzw. Fassungsvarianten der hier bereits genannten Abendfüller. Onegin (Choreographie: John Cranko), Marie Antoinette (2 Fassungen, Ch.: Patrick de Bana), Die Fledermaus (Ch.: Roland Petit), Max und Moritz (Ch.: Ferenc Barbay, Michael Kropf), Le Concours (Ch.: Maurice Béjart), Ballett: Carmen (Ch.: Davide Bombana), Giselle (Ch.: Elena Tschernischova), La Sylphide (Ch.: Pierre Lacotte), Dornröschen (Ch.: Peter Wright), Anna Karenina (Ch.: Boris Eifman), Romeo und Julia (Ch.: Cranko), Blaubarts Geheimnis (Ch.: Stephan Thoss), Manon (Ch.: Kenneth MacMillan), Ein Sommernachtstraum (Ch.: Jorma Elo), Ein Reigen (Ch.: Ashley Page), Mayerling (Ch.: MacMillan), Giselle Rouge (Ch.: Eifman), La Fille mal gardée (Ch.: Frederick Ashton), Die Schneekönigin (Ch.: Michael Corder), Cendrillon (Ch.: Thierry Malandain), Roméo et Juliette (Ch.: Bombana), Peer Gynt (Ch.: Edward Clug), Coppélia (Ch.: Lacotte) und Peter Pan (Ch.: Vesna Orlic) unterstreichen – alle in diesem Artikel vorgenommenen Reihungen erfolgen chrono logisch und mit verkürzten Angaben zur Choreographie – die von Manuel Legris geübte Pflege des abendfüllenden Handlungsballetts. Dabei steuerte er in Wien auch eigene choreographische Beiträge zur Gattung bei: Am 20. März 2016 gelangte seine erste abendfüllende Choreographie Le Corsaire in der Wiener Staatsoper zur Uraufführung, am 10. November 2018 folgte ebendort – als Koproduktion mit dem Teatro alla Scala – Sylvia. An kürzeren Choreographien von Manuel Legris waren – ebenfalls als Uraufführungen – Donizetti Pas de deux (P.: 29. Jänner 2011, Volksoper Wien), Ausschnitte aus Die Bajadere (P.: 27. April 2013, Volksoper Wien) sowie die 2018 in Japan uraufgeführte Zusammenstellung Nureyev Celebration zu sehen.
BALLETT
Bereits genannte Werke eingerechnet, kam es während seiner Direktionszeit zu 28 choreographischen Uraufführungen von de Bana, Legris, Boris Nebyla, András Lukács, Orlic, Susanne Kirnbauer, Andrey Kaydanovskiy, Eno Peci, Natalia Horecna, Page, Daniel Proietto, Bombana und Pontus Lidberg in der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien bzw. auf Gastspielen – drei weitere konnten wegen der Covid-19 bedingten Schließung nicht mehr realisiert werden. Dazu kommen Uraufführungen bei den Eröffnungen des Wiener Opernballs, der Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker und den Veranstaltungen der Ballettakademie in der Wiener Staatsoper wie andernorts, deren künstlerische Leitung Manuel Legris schließlich nur bis zum Ende der Spielzeit 2018/2019 innehatte. Von 42 ChoreographInnen kamen erstmals Werke zur Aufführung beim Wiener Staatsballett: Twyla Tharp, de Bana, Jiří Bubeníček, Paul Lightfoot und Sol León, Marco Goecke, Legris, Lacotte, Arthur Saint-Léon, Jacques Garnier, José Martínez, Nils Christe, Serge Lifar, Orlic, Thoss, David Dawson, Helen Pickett, Jean-Christophe Maillot, Kirnbauer, Kaydanovskiy, Peci, Agrippina Waganowa, Horecna, Page, Malandain, Alexander Ekman, Attila Bakó, Trevor Hayden, Joseph Lazzini, Bigonzetti, Christopher Wheeldon, Corder, Philippe Kratz, Edwaard Liang, Angelin Preljocaj, Proietto, Liam Scarlett, Wayne McGregor, Clug, Pjotr Gussew, Pontus Lidberg und Nacho Duato. An einaktigen Werken gingen unter Legris Thema und Variationen (Ch.: Balanchine), Variationen über ein Thema von Haydn (Ch.: Tharp), The Vertiginous Thrill of Exactitude (Ch.: Forsythe), Le Souffle de l’esprit (Ch.: Bubeníček), Glow – Stop (Ch.: Elo), Skew-Whiff (Ch.: Lightfoot, León), Bella Figura (Ch.: Kylián), Glass Pieces, In the Night und The Concert (alle drei Ch.: Robbins), Stravinsky Violin Concerto (Ch.: Balanchine), Suite en Blanc (Ch.: Lifar), Before Nightfall (Ch.: Christe), L’Arlésienne (Ch.: Petit), Nachmittag eines Fauns (Ch.: Nebyla), Bolero (Ch.: Lukács), Carmina Burana (Ch.: Orlic), Bach Suite III (Ch.: Neumeier), A Million Kisses to my Skin (Ch.: Dawson), Eventide (Ch.: Pickett), Windspiele (Ch.: de Bana), Vers un Pays Sage (Ch.: Maillot), Das häss-
liche Entlein (Ch.: Kaydanovskiy), Tausendundeine Nacht (Ch.: Orlic), The Second Detail (Ch.: Forsythe), Contra Clockwise Witness (Ch.: Horecna), Études (Ch.: Lander), Vaslaw (Ch.: Neumeier), Allegro Brillante (Ch.: Balanchine), Vier letzte Lieder (Ch.: van Dantzig), Mozart à 2 und Don Juan (beide Ch.: Malandain), Verklungene Feste und Josephs Legende (beide Ch.: Neumeier, die Josephs Legende dabei in der Hamburger Neufassung von 2008), Adagio Hammerklavier (Ch.: van Manen), Cacti (Ch.: Ekman), Fool’s Paradise (Ch.: Wheeldon), The Four Seasons (Ch.: Robbins), Symphonie in C (Ch.: Balanchine), Murmuration (Ch.: Liang), Blanc (Ch.: Proietto), Le Pavillon d’Armide und Le Sacre (beide Ch.: Neumeier), Petruschka (Ch.: Peci), Movements to Stravinsky (Ch.: Lukács), Der Feuervogel (Ch.: Kaydanovskiy), Concerto (Ch.: MacMillan), EDEN|EDEN (Ch.: McGregor), Marguerite and Armand (Ch.: Ashton), Artifact Suite (Ch.: Forsythe), Trois Gnossiennes (Ch.: van Manen), Psalmensymphonie (Ch.: Kylián), Between Dogs and Wolves (Ch.: Lidberg) und White Darkness (Ch.: Duato) über die Bühne. Als besondere „Klammer“ seines Wirkens in Wien sei das Ballett Jewels von Balanchine genannt, dessen Teil Rubies am 24. Oktober 2010 bei der ersten Premiere seiner Direktionszeit in der Wiener Staatsoper zu sehen war und das am 2. November 2019 ebendort die letzte abendfüllende Premiere seiner Amtszeit bildete. Gastspiele führten das Wiener Staatsballett unter der Leitung von Manuel Legris nach Versailles und Monte Carlo (2011), Japan (2012 und 2018), Belgrad und Paris (2013), in den Oman (2014), nach Tampere und Granada (2015), St. Petersburg (2015, 2016 und 2019), Madrid (2017) und Brünn (2018). Darüber hinaus entstanden DVD- bzw. Blu-ray-Produktionen von Der Nussknacker, Schwanensee, Don Quixote und Le Corsaire; Peer Gynt und Sylvia wurden für das TV aufgezeichnet. 2018 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt, ist Manuel Legris seit Februar dieses Jahres designierter Ballettdirektor der Mailänder Scala – mit Ende der Spielzeit 2019/2020 endet seine Funktionsperiode im Haus am Ring. Oliver Peter Graber
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
15
DAS GEHEIMNIS DES KREATIVEN
Ein Zoom-Gespräch im Corona-Alltag
KS Wolfgang Bankl als übernachtiger, alkoholisierter Graf Waldner in SvenEric Bechtolfs Arabella-Inszenierung
16
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
D
er 18. Mai 2020 stellte in der jüngeren Chronik der Wiener Staatsoper gewissermaßen einen Markstein dar: Ab diesem Tag durften wieder – freilich mit dem notwendigen Sicherheitsabstand – zumindest Proben, genauer Einzelstimmproben abgehalten werden. In den Corona-Wochen davor hatte man im unwirklich leer gewordenen Staatsoperngebäude kaum jemanden antreffen können, am allerwenigsten Künstler. Gespräche beispielsweise mit Sängern waren daher, sollten sie von Angesicht zu Angesicht stattfinden, nur über eine der mittlerweile ungeheuer populär gewordenen Videokonferenz-Optionen wie Skype oder Zoom möglich. Ein netter Nebeneffekt dieser Kommunikationsform war jedoch die Möglichkeit, einen Blick in das Wohn- oder Arbeitszimmer des Gegenübers zu erhaschen. So konnte ich etwa während einer Plauderei mit Kammersänger Wolfgang Bankl eine große Abbildung von Johann Sebastian Bach im Hintergrund ausmachen. Nicht unbedingt der typische Komponist, den man als Säulenheiligen im Heim eines beliebten Opernsängers vermuten würde. Oder doch? Nun, für Wolfgang Bankl ist Bach schlicht und einfach der Größte unter den Größten, der Gottvater der Musik sozusagen, der erklärte Liebling seit dem Beginn seines Gesangsstudiums, einer der ob seiner genial-raffinierten Harmonie-Wunderwelten und deren Auflösungen jeden Hörer und Interpreten vor Ehrfurcht zunächst stumm werden lässt. Dass Bach keine Oper geschrieben hat, stört Bankl daher kein bisschen. Ein anderes Komponisten-Porträt war, zumindest in dem durch den Zoom-Blick erfassbaren Raumausschnitt zwar nicht auszumachen, aber Bankl nannte mit Mozart sehr bald einen weiteren seiner lebenslangen Favoriten. Nicht nur, dass das berühmte Menuett aus dem Schluss des ersten Don Giovanni-Aktes in Form der Kennmelodie der Salzburger Festspielübertragungen seine früheste Erinnerung an klassische Musik darstellt, es ist vor allem dieses „keine einzige Note, keine einzige Phrase hätte man besser hinkriegen können, als sie von Mozart jeweils gesetzt wurde“, die
OPER
Bankl fasziniert. Ganz gleich, ob bei dessen frühen oder bei den reiferen Werken. Ansonsten hat sich in seinen musikgeschmacklichen Vorlieben im Laufe seines Lebens doch einiges verändert: Als junger Geigenstudent schätzte er, fast zwangsläufig, die romantischen Violinkonzerte eines Mendelssohn Bartholdy, Brahms oder Bruch. Später bannte ihn Beethoven, ob seiner Komplexität – vor allem in den Spätwerken – auch wenn er zunächst noch nicht alles verstand. Heute liebt er Beethoven, gerade weil er seine Musik versteht. Und dann begeisterte den jungen (Opern)-Sänger Bankl natürlich vieles von Wagner – mit Ausnahme der Meistersinger und Rienzi. Die Reserviertheit gegenüber des in seinen Augen qualitativ durchwachsenen Rienzi blieb, die Meistersinger hingegen mutierten zu einem seiner Lieblingswerke, nicht zuletzt weil sich diese Oper, wie nur wenige andere, mit der Kunst an sich beschäftigt. Umgekehrt verloren die frühen Stücke des Bayreuther Kanons für ihn an Bedeutung, dafür erwärmte er sich im Gegenzug immer mehr für die Musiktheater-Evokationen eines Richard Strauss. Das Merkwürdige an solchen ausführlichen Zoom-Gesprächen ist, dass immer wieder Themen zur Sprache kommen, die früher, im regulären (Opern)alltag, kaum oder nicht so ausführlich ausdiskutiert werden konnten. Etwa die Frage nach dem Geheimnis des besonderen Augenblicks während einer Aufführung, der Interpreten wie Zuhörer gleichermaßen ergreift. Die erkennbaren Zutaten, die Rahmenbedingungen sind ja im Prinzip meist dieselben, und dennoch entsteht plötzlich, nicht planbar, aus der Magie des Moments das Außergewöhnliche – auf der Probe ebenso wie während der Aufführung. Unvergesslich ist etwa in der aktuellen Arabella-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, jene Szene, in der der schwer betrunkene Graf Waldner am Morgen nach einem verlorenen Kartenspiel heimkommt und sich von seiner Frau aus dem stinkenden, verschwitzen Frack heraushelfen lässt und sich seine Schlafkleidung anzieht. In den meisten anderen Produktionen gehen diese wenigen Minuten szenisch recht unspektakulär über die Bühne, hier, in dieser Regie, bekommen sie eine kammerspielartige Qualität höchster Güte.
Entstanden ist sie laut Wolfgang Bankl, der die Partie schon bei der Premiere erfolgreich verkörperte, ganz zufällig auf einer Probebühne im Zusammenspiel zwischen Bechtolf und den Sängern. Nur eines der vielen Beispiele vom Geheimnis des Kreativen im Theateralltag, die sich aus der Dialektik von Intuition und notwendigem Handwerk ergeben. Auch über den Unterschied zwischen Unterhaltung und Kunstgenuss lässt sich mit einem äußerst reflektiven Künstler wie Wolfgang Bankl gewinnbringend nachdenken: So verwies er in diesem Gespräch darauf, dass die Komponisten im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert ihre Werke ja an ein auch musikalisch hochgebildetes Publikum adressiert haben, die sich an Details delektieren konnten, die den meisten heutigen Hörern verborgen bleiben. Kunst genießen könne demnach nur, wer sich Kunst auch erarbeitet, wer sich mit der Materie beschäftigt. Reine Unterhaltung wäre hingegen oberflächlicherer Natur. Aus dem folgte die nur scheinbar banale Frage, ob ein Opernsänger als Zuhörer eher jenen Rollen Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt, die er selber verkörpert oder doch dem Gesamten gleichermaßen objektiv gegenübertritt. Nun, Wolfgang Bankl sprach zwar vom Automatismus, sich dem eigenen Bereich zwangsläufig eher zuzuneigen, davon, dass er natürlich einem Leporello und Don Giovanni eher an den Lippen hänge als einem Don Ottavio, um das gesagte andererseits gleich wieder zu relativieren, indem er darauf verwies, das Rezitativ und die Arie der Donna Anna im zweiten Akt als das Rätselhafteste, Spannendste, Bedeutendste in der Opernmusik des 18. Jahrhunderts anzusehen. Schließlich kam noch die Frage nach der Beschaffenheit der sogenannten Berufung aufs Tapet, die Wolfgang Bankl sehr klar beantwortete: Würde er den Gesang nicht als Berufswunsch verspüren, müsste er all das, was er aus einem inneren Antrieb heraus jeden Tag betreibe, quasi unentwegt mühsam und glückbefreit nach einer Checkliste abarbeiten. Wer darüber hinaus versuchte, seinen (künstlerischen) Horizont aus einem Zwang heraus systematisch und zielgerichtet zu erweitern und nicht aus einer natürlichen Neugierde heraus, der hätte seine Berufung noch nicht entdeckt. Andreas Láng
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
17
BALLETTURAUFFÜHRUNGEN AN DER WIENER STAATSOPER
vlnr.: Edeltraud Brexner, Richard Adama, Christl Zimmerl, Willy Dirtl und Lucia Bräuer in Der Mohr von Venedig
M
it 845 Vorstellungen bildet das 1888 urauf geführte Werk die absolute Speerspitze der Ballettstatistik an der Wiener Staatsoper: Die Puppenfee mit Choreographie von Josef Hassreiter. Die Plätze zwei und drei dieser „ewigen Bestenliste“ belegen der 601 Mal gespielte Wiener Walzer in der Choreographie von Louis Frappart und das 362 Mal gezeigte Sonne und Erde, erneut mit Choreographie von Hassreiter. Alle drei waren im besten Sinne „Balletturaufführungen“ an der Wiener Staatsoper – mit anderen Worten erblickten also sowohl die Choreographie wie auch die Ballettmusik gemeinsam das Licht der Bretter, die die Welt bedeuten. Wer also zeichnete für die Musik der drei oben genannten, meistgespielten Werke verantwortlich? In allen drei Fällen Josef Bayer, womit nur allzu deutlich unterstrichen wird, welchen Wert die Musik und dabei oftmals das Wirken nur einer bestimmten kompositorischen Persönlichkeit für das Ballett hat. Leider sind die Zeiten Bayers und damit zugleich die im 19. Jahrhundert mancherorts geübte Praxis der Hauskomponisten für Ballett bereits seit langem vorbei. Die umfangreiche und ehrenvolle Reihe an „echten“ Balletturaufführungen, die zwischen 1869 und 1918 das Ballettpublikum im Haus am Ring mit Novitäten versorgte, machte nach dem Ersten Weltkrieg einer Internationalisierung Platz, die die Wiener Ballettmusik und damit zugleich die kompositorisch-choreographischen Kooperationen am Haus langsam aber sicher zum Verstummen bzw. Erliegen brachte. Nur wenige BallettdirektorInnen des Hauses stellten sich in weiterer Folge diesem Trend in den Weg;
18
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
Erika Hanka leistete in dieser Hinsicht einen der historisch wichtigsten Beiträge zur Geschichte der Wiener Staatsoper. Der Mohr von Venedig wurde anlässlich der 1955 erfolgten Wiedereröffnung in ihrer Choreographie und mit Musik von Boris Blacher zum Sensationserfolg und legte damit zugleich den Grundstein für eine bemerkenswerte Entwicklung. Zwar gibt es ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Wien nur mehr wenige „echte“ Balletturaufführungen zu verzeichnen, eine nicht geringe Anzahl derselben jedoch stammt aus der kompositorischen Feder von Blacher-Schülern, deren in diesem Zusammenhang wichtigster Gottfried von Einem war. Sein Name bildet zugleich eine Brücke zwischen den Direktionszeiten von Erika Hanka und jener von Gerhard Brunner, der sich ebenfalls der kompletten Neuproduktion offen zugewandt zeigte und entsprechende Produktionen ermöglichte. Ein Kuriosum stellt eine entsprechende Bilanz der Direktionszeit Renato Zanellas dar: Zwar schuf er als Chefchoreograph eine mehr als umfangreiche Liste an Werken für das Ensemble, seine wenigen „echten“ Balletturaufführungen – mit speziell komponierter Musik – fanden jedoch alle außerhalb der Wiener Staatsoper statt und wurden (teilweise) im Anschluss dahin übernommen. Unter Manuel Legris kam es am Opernring 2 nur zu einer, so ferne man die während seiner Direktionszeit bei den Matineen der Ballettakademie im großen Haus erfolgten Balletturaufführungen nicht mitrechnet. Die zu diesem wichtigen Thema in der AGRANA STUDIOBÜHNE WALFISCHGASSE für Ende April vorgesehene Veranstaltung mit Lotte Ingrisch und Bernd R. Bienert als meinen Gästen konnte auf Grund der aktuellen Situation nicht stattfinden, doch darf ich an Stelle dessen hier an die kompositorisch-choreographische Zusammenarbeit erinnern, deren großer und beherzigenswerter Tradition wir aus verschiedensten Gründen, die im Einzelnen darzulegen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, auch und gerade in Wien einige der großartigsten Momente unserer Kunstform verdanken. Oliver Peter Graber
Bewegungsstudie von Schwanensee
BALLETT
ASHLEY TAYLOR – DEN TANZ IM „FOKUS“ I
m Jahr 1991 in Leicester geboren, begann Ashley Taylor im Alter von acht Jahren seine Ballettausbildung, nachdem er von Graham Fletcher, einem Mitglied des Royal Ballet, entdeckt worden war, der nach Talenten für seine private Ballettschule in Leicester suchte. Mit elf Jahren übersiedelte Taylor nach London, um seine Ausbildung an der Royal Ballet School fortzusetzen. Parallel zur Leidenschaft für den Tanz entwickelte sich auch jene zur Fotographie bereits ab dem zwölften Lebensjahr: „Ich war vor allem von der Makrofotographie fasziniert und habe im Garten alles abgelichtet, das mir in den Weg kam, gleich ob Blumen oder Insekten. Ein großes Vorbild dieser Tage war auch der Tierfilmer Sir David Attenborough. Später kam dann als größeres Format die Straßen- und Landschaftsfotographie dazu, vorzugsweise in Island und Kalifornien“, erzählt er. Im Alter von 14 entstanden – erneut bei Freiluftveranstaltungen – Taylors erste Ballettfotographien für Programmhefte der Royal Ballet School und in der Folge beschäftigte er sich so intensiv mit beiden Bereichen, dass ihn die damalige Leiterin der Schule, Gailene Stock, vor die Wahl stellte: „Wir würden Dich gerne in die Oberstufe aufnehmen, aber zuvor wollen wir wissen, ob Du Tänzer oder Fotograph bist!“ „Tänzer – die Fotographie kann warten“, lautete seine Antwort. Nach Abschluss der Tanzausbildung bewarb Taylor sich gezielt in Wien, wo er sich während der Audition für das Wiener Staatsballett so sehr in die seinem
X in X
Empfinden nach „ganz zauberhafte“ Stadt verliebte, dass er ein Angebot des English National Ballet ausschlug, um sich ab 2010 dem Wiener Staatsballett anzuschließen, dessen Corps de ballet er bis 2014 angehörte. „In besonderer Erinnerung sind mir aus dieser Zeit die Glass Pieces von Jerome Robbins geblieben, es war eine wunderbare Erfahrung diese mathematisch so hochpräzise Choreographie zu tanzen“, sinniert er. Der Fotoapparat blieb dabei immer sein beständiger Begleiter; während der ersten Tournee des Wiener Staatsballetts ging er dieser Leidenschaft auch bei Vorstellungen in Versailles nach, wo Manuel Legris darauf aufmerksam wurde und ihm in der Folge die Position des Fotographen des Wiener Staatsballetts anbot. „Es ist wunderschön aus diesem Blickwinkel heraus die Probenprozesse zu begleiten, auch die Entwicklung der KollegInnen über Jahre festzuhalten. Es macht mich glücklich, dass die Hauptinteressen meines Lebens auf diese Weise zusammenfließen – sich meine Tätigkeit so organisch entwickelt. Bei der Ballettfotographie benötigt man wie beim Ballett selbst Zeit, um sich bei den Proben auf das Stück einstellen zu können – erst dann ist man bei Vorstellungen im Flow und kann ganz cool bleiben, um im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken“, meint Taylor und fügt hinzu: „Für mich ist Ballettfotographie eine Art Meditation.“ Oliver Peter Graber
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
19
Auf der Suche nach der Poesie des Tanzes: Ashley Taylor
MAN MUSS SICH DAS PUBLIKUM IMAGINIEREN Der Ö1-Klassik-Radio-Guru Michael Blees Michael Blees stammt aus Deutschland, studierte Musikwissenschaften, Anglistik und Amerikanistik in Saarbrücken und Wien; seit 1987 freier Mitarbeiter des ORF, seit 2004 fixe Anstellung im ORF, seit 2006 Leiter der Ö1-Opernredaktion, seit 2011 stellvertretender Musikchef von Ö1, seit 2018 Leiter des Ö1-Ressorts Konzert und Oper und Vice-Chair der EBU Music Group; zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge, Konzertpräsentationen, Diskussionsleitungen und Programmkonzepte.
V
om Bekanntheitsgrad und der Popularität die Michael Blees unter den Opern- und Musikliebhaber genießt, können Politiker nur träumen. Seine Sendungen auf Ö1 respektive seine Stimme via Radio sind für all jene, die hierzulande Aufführungen in den diversen Musiktempeln besuchen, ein fixer, unverzichtbarer Bestandteil der tiefergehenden Kunst-Auseinandersetzung und Kunst-Information geworden. Blees’ weitreichendes Wissen, seine Liebe und Leidenschaft zur Materie, seine vielschichtige, anregende und zugleich kritische Art der Wissensvermittlung ließen ihn zu einem wichtigen Botschafter der Klassikszene werden. Da er nicht zu jenen zählt, die viel Aufhebens um ihre eigene Person machen, war es nicht leicht den geborenen Interviewer dazu zu bewegen, selbst einmal ein Interview zu geben. Für die aktuelle Ausgabe des Prologs ist dies endlich gelungen. Wenn jemand beginnt Medizin zu studieren, macht er das, um eine Tages Arzt zu werden. Wenn sich jemand am Institut für Musikwissenschaften einschreibt, ahnt er in den wenigsten Fällen, wohin ihn seine berufliche Reise führen wird. Oder haben Sie von Anfang an eine Karriere als Sendungsproducer angepeilt? Michael Blees: Die unspektakuläre Antwort lautet: Ich wollte in Wahrheit Schulmusik studieren und Musiklehrer werden. Da aber meine pianistischen Fähigkeiten bei der Aufnahmsprüfung an die Musikhochschule in Saarbrücken vorerst nicht ausreichten, wollte ich die Zeit bis zum nächsten Versuch nützen und einige später anrechenbare Lehrveranstaltungen in der Musikwissenschaft vorziehen. Diese gefielen mir dann so sehr, dass ich dabei blieb und den ursprünglichen Plan an den Nagel hängte. Da allerdings das Angebot an der Fakultät aus Einsparungsgründen immer weiter gekürzt wurde, entschied ich, probehalber ein Gastsemester im fernen Wien zu wagen. Nun, was soll ich sagen: Das war 1986 und
20
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
jetzt, 68 Semester später, bin ich immer noch in Wien – das spricht doch für diese Stadt! Und war der Berufswunsch nach dem Wechsel von Deutschland nach Österreich schon fester umrissen? Michael Blees: Wie heißt es so schön in der Fledermaus: „Ich wollte unters Theater“, konkret Dramaturg werden. Nur durfte ich durch einen glücklichen Zufall schon sehr bald als freier Mitarbeiter beim ORF anheuern und erkannte bereits bei den ersten Sendungsgestaltungen, wie sehr mir diese Richtung gefiel. Allen voran die Tatsache, mich immer wieder ganz unterschiedlichen und vor allem neuen Themen widmen zu dürfen. Eine berufspsychologische Frage: Gab es frühkindliche Radiosendungs-Prägungen? Michael Blees: Mein älterer Bruder hatte schon recht früh eine Wagner-Phase; angeblich hat er immer wieder eine Schallplatte mit dem Walküren-Ritt vorgespielt – und ich soll gesagt haben: „ Jetzt kommen die Pferde.“ Später durfte ich mit meinen Eltern Opern- und Operettenaufführuzngen besuchen – und dann begann ich schließlich Opernsendungen im Radio zu hören. Dabei entdeckte ich meine Leidenschaft, Stimmen und Interpretationen miteinander zu vergleichen: Im damaligen Südwestfunk lief regelmäßig Lucia di Lammermoor mit der Callas und ich hielt jede Nuance ihrer Darbietung für in Stein gemeißelt, bis ich eines Tages eine Aufnahme mit Beverly Sills hörte, die mir die Augen bzw. Ohren öffnete. Dieses „offenbar geht es auch ganz anders“ hat meine Interpretationsanalysen in Gang gesetzt an denen ich heutige Hörer gerne teilhaben lasse. Ist für Sie eine Trennlinie zwischen Beruf und Privatleben möglich? Horchen Sie nicht auch in der Freizeit etwas aus Ihrem persönlichen CD-Archiv an, das Sie dann weiterverwenden? Oder hören Sie sich gar bei der Konkurrenz um?
INTERVIEW
Michael Blees: Meine eigene CD-Sammlung ist gar nicht so groß wie manche vielleicht glauben würden, und für die Arbeit greife ich vielmehr auf die Archive des Funkhauses und der Landesstudios bzw. auf den EBU-Topf zurück. Aber es stimmt, Beruf und Privatleben überlappen sich, zumal ich sehr gerne im Auto oder zuhause Programme von Kollegen auf Ö1 anhöre – zum Beispiel die guten Wort-Sendungen oder so manchen Jazzbeitrag. Und ja, es stimmt, mich interessieren natürlich die aktuellen Präsentationsformate anderer Stationen, etwa die des Bayerischen Rundfunks oder von BBC. Es schadet schließlich nicht, das eigene Angebot regelmäßig zu hinterfragen, zu überprüfen und nachzubessern. Apropos: Anlässlich der letzten Programmschema-Änderung von Ö1 wanderten die Opernsendungen vom Nachmittag auf den Vormittag. Hatte das für die Gestaltung Konsequenzen? Michael Blees: Ich finde: ja! Neben der Musikauswahl musste natürlich auch die Moderationsform an die Vormittagsstunde angepasst werden. Was insofern nicht immer ganz so einfach ist, als die Aufzeichnung einer Sendung oft zu einer ganz anderen Tageszeit stattfindet als die Ausstrahlung. Wenn ich also am späten Abend für den nächsten Vormittag einen Studiotermin habe, muss ich mir die Zeit der Ausstrahlung in Erinnerung rufen. Es dürfte beim Vorprogrammieren sonderbar sein, sich an jemanden zu wenden, der erst später zuhören wird... Michael Blees: Das Radiowesen ist an sich sehr eigenartig und kann von Außenstehenden nur schwer nachempfunden werden. Bei einem Vortrag vor einem anwesenden Publikum, kann der Redner auf die einzelnen Zuhörer eingehen, auf die vorherrschende Atmosphäre reagieren, einen etwaigen Fehler durch ein Lächeln, einen Blick korrigieren, einen kleinen Witz machen. Dem Radiosprecher sind all diese Möglichkeiten versagt. Er befindet sich allein im Studio, sieht allenfalls den Techniker auf der anderen Seite der Glasscheibe – bei Übertragungen aus der Staatsoper nicht einmal ihn – und hat sich das zu erreichende Publikum zu imaginieren. Der gewissermaßen einsame Radiosprecher muss mit anderen Worten stets im Hinterkopf behalten, dass er in dem akustisch abgeschotteten Raum das zu Sagende
Michael Blees
nicht nur einem Mikrofon anvertraut, sondern sich direkt an Tausende Hörer wendet. Sie betreuen bei Ö1 seit 1999/2000 die Sendungen mit Ausschnitten aus dem Staatsopernrepertoire, seit 2006 auch alle Gesamtübertragungen. Wie groß ist Ihr diesbezüglicher Gestaltungsspielraum? Michael Blees: Es werden regelmäßig Gespräche mit der Staatsoper geführt. Beide Seiten haben hin sichtlich der Auswahl der Werke und der Ausschnitte Wunschvorstellungen. Zu den Premieren und Wiederaufnahmen kommen immer diverse Reper toirestücke dazu, die entweder schon lange nicht gespielt worden sind oder eine besonders attra ktive Besetzung aufweisen. Gelegentlich muss ich aber gegen die Staatsopern-Direktion entscheiden. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, ein bestimmtes Werk zu bringen, wenn Ö1 eine Vorstellung des betreffenden Stückes kurz zuvor aus einem anderen Opernhaus übertragen hat. Die Vielfalt muss gewahrt bleiben, nicht zuletzt, um auch innerhalb des EBU-Angebots attraktiv zu bleiben. Gibt es Komponisten, die Sie unabhängig von Ihrer persönlicher Stimmung immer hören können? Michael Blees: Ich habe Strauss-Phasen oder Wagner-Phasen, da gibt es ein ständiges Auf und Ab. Und sehr selten, wenn ich viele Stunden lang Sendungen mit Musik produziert habe, empfinde ich nach dem Nach-Hause-Kommen eine große Sehnsucht nach Stille. Aber was bei mir im Prinzip immer funktioniert, sind Belcanto-Werke. Das Gespräch führte Andreas Láng
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
21
KUNST IN DER KRISE II W
as hilft in der Krise? Wie in der letzten Ausgabe übermitteln der Staatsoper verbundene Persönlichkeiten, welche Kunstmomente ihnen in Ausnahmesituationen helfen.
BEFREIT | Richard Dehmel vertont von Richard Strauss (op.39/4) Du wirst nicht weinen. Leise Wirst du lächeln und wie zur Reise Geb’ ich dir Blick und Kuss zurück. Unsre lieben vier Wände, du hast sie bereitet, Ich habe sie dir zur Welt geweitet; O Glück! Dann wirst du heiß meine Hände fassen Und wirst mir deine Seele lassen, Lässt unsern Kindern mich zurück. Du schenktest mir dein ganzes Leben, Ich will es ihnen wieder geben; O Glück! Es wird sehr bald sein, wir wissen’s beide, Wir haben einander befreit vom Leide, So gab’ ich dich der Welt zurück! Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen Und mich segnen und mit mir weinen; O Glück! Christian Thielemann
ES FÄLLT MIR SCHWER Ich gebe zu, es fällt mir schwer, mich in diesen Tagen auf Kunst zu konzentrieren. Ich höre Musik, aber eher zufällig und oberflächlich, ich lese eher Zeitungen als Literatur, ich zwinge mich, eine tägliche Übroutine aufrecht zu erhalten, was viel Überwindung kostet, da die Arbeit wie in einem schalltoten Raum scheinbar ohne Wirkung bleibt. Ohne konkrete Ziele, Termine oder Aufgaben wird das Singen zu etwas Mechanischem, ein Training, das zwar die Muskeln und das Gedächtnis warmhält, durch die (noch) fehlende Aussicht auf Auftritte seltsam emotionslos bleibt. Was mich wirklich berührt, sind Bilder. Bilder, die vor fast 600 Jahren in Flandern entstanden
22
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
sind, als die paar Künstler, die das Können – und das Glück – hatten, für den Burgundischen Hof und seine Umgebung, die reichen Kirchenfürsten oder das gerade entstehende wohlhabende Bürgertum zu arbeiten, die Malerei revolutionierten. Auch wenn es nicht die Originale sind, sondern nur Reproduktionen in Büchern, überträgt sich auch in dieser Form die Magie dieser Meisterwerke, laden die Abbildungen ein zum Studieren und Bewundern der Details und bisweilen auch zu ihrer ursprünglichen Bestimmung – zum Meditieren. Einmal in der Wunderwelt der Bilder von Robert Campin, Jan Van Eyck und Rogier Van der Weyden angekommen, scheinen Kategorien wie Zeit oder Raum aufgehoben. Und solange das nicht beim gemeinsamen Erleben von Opernaufführungen oder Konzerten möglich ist, bin ich glücklich über diese Alternative.
KS Adrian Eröd
OPTIMISTISCH In dieser schwierigen Zeit ist es nicht leicht, ruhig zu bleiben, davon ausgehen zu dürfen, dass das Leben wieder normal und wolkenlos sein wird … Im Moment will ich keine wertvolle Zeit verschwenden, deshalb lerne ich neue Rollen und bereite mich auf die Fortsetzung unseres künstlerischen Lebens vor. Ich habe drei wichtige Produktionen verloren: Tannhäuser an der Scala, Ballo in maschera hier an der Staatsoper und beim Maggio musicale in Florenz … Leider bekommen wir Sänger in dieser schwierigen Situa tion keine Unterstützung … Aber trotzdem, Optimismus ist wichtig – ich male gerne, lese Bücher zu verschiedenen Themen. Jeden Tag arbeite ich online mit meinen Studenten von der Musikuniversität. Das ist gar nicht so einfach, aber es ist eine Gelegenheit für zukünftige Sänger, das Studium weiterzuführen. Ich wünsche unserem Publikum viel Gesundheit und uns allen ein baldiges Wiedersehen in den Opernhäusern und Konzertsälen, um die wunderbare Musik live zu genießen. KS Krassimira Stoyanova
THEMA
STÄNDIGER HOFFNUNGSSCHIMMER
REISEN | Gottfried Benn
Das Komponieren (derzeit ein Oktett, das im November in Japan uraufgeführt werden soll), Musik, Literatur, Film, bildende Künste spielen in meinem Leben natürlich immer eine gewichtige Rolle. Jetzt aber sind es eigentlich meine beiden kleinen Söhne, Oskar (fast 6) und Arthur (fast 4), die meiner Frau und mir am meisten helfen, diese eigenartige, klaustrophobische Zeit durchzustehen. Die Sorge um sie im engsten Familienkreis, das Beantworten ihrer unzähligen Fragen, die Freude an ihrer blühenden Phantasie, das gemeinsame intensive Erleben, das jeden Tag anders erscheinen und Routine nicht aufkommen lässt, sind in dieser schwierigen Phase, die wir alle so noch nie erlebt haben, ein ständiger Hoffnungsschimmer.
Johannes Maria Staud
ZWISCHEN KLAVIER UND LEKTÜRE Während dieser Zeit zu Hause in Paris kann ich viel öfter Klavier spielen, da ich natürlich nicht unentwegt unterwegs bin! Und es ist interessant, dass ich viel Wiener Repertoire spiele: Mozart, Schubert und speziell alle Beethoven-Sonaten, einiges von Brahms, aber natürlich auch Bach – und französische Musik wie Ravel und Debussy. Ich versuche auch all die sehr großen Bücher zu lesen, die ich immer lesen wollte und für die ich keine Zeit hatte. Und so beendete ich gerade Bulgakows Meister und Margarita. Ich habe diesen Roman geliebt, diesen sehr mächtigen Text, der auf vielen verschiedenen Ebenen verstanden werden kann! Und es ist natürlich lustig, dass einige Charaktere Komponisten-Namen haben wie Berlioz, Strawinski, Rimski … Und nun startete ich gerade A la recherche du temps perdu von Proust, ein Buch das ich schon so oft begonnen hatte …
Alain Altinoglu
Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefe Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie, aus Habana, weiß und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofstraßen und Rueen, Boulevards, Lidos, Laan – selbst auf den Fifth Avenueen fällt sie die Leere an – ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich. KS Angelika Kirchschlager
VOR DEM SCHLAFENGEHEN VERSÖHNT In einem Telefongespräch gab Boaz Daniel zu, dass ihn die sicher notwendigen, aber dennoch unerträglichen Einschränkungen der persönlichen Kontaktaufnahme während der nun Gott sei Dank abflauenden Corona-Zeit etwas reizbar gemacht haben. „Kaum ein Tag“, so Daniel, „an dem ich nicht sogar mit mir selbst in erbitterten Streit gerate – aber immerhin auch wieder vor dem Schlafengehen aussöhne.“ Andererseits stünde, trotz der der abgesagten Auftritte, doch auch der eine oder andere künstlerische Zugewinn auf der Habenseite: Zum einen konnte er ein wunderbares Rezept für ein Ragout kreieren, zum anderen nützte er die Wochen, um sich intensiv mit dem Werk von Schostakowitsch auseinanderzusetzen. Ganz besonders haben es ihm dessen 24 Präludien und Fugen für Klavier, das 2. Klavierkonwww.wiener-staatsoper.at
N° 239
23
zert und das 1. Violinkonzert angetan. (Letzteres übrigens in einer Aufnahme mit David Oistrach.) Und natürlich versenkte sich Boaz Daniel in Schostakowitschs Symphonien. Mit großer Freude verglich er die ihm schon lange bekannten (aufnahmetechnisch vielleicht nicht ganz so idealen) diesbezüglichen Aufnahmen des großen Schostakowitsch-(Uraufführungs)Dirigenten Jewgeni Mrawinski mit den hervorragenden Einspielungen von Mariss Janons und den ebenfalls großartigen von Andris Nelsons. Mit anderen Worten: Statt aktiv auf der Bühne zu stehen, wurde er sein eigener Konzertveranstalter, der sich mit selbst zusammengestellten Programmen beschenkte. „Eine schöne Betätigung“, wie er abschließend feststellte, „die ich aber mit der nun langsam anbrechenden Normalität gerne wieder mit meiner eigentlichen Berufung vertausche.“
Boaz Daniel
SEHNSUCHT NACH DER BÜHNE Was hilft einem Sänger, dem an der geliebten Wiener Staatsoper bereits fünf beste Rollen des Lebens in acht verschiedenen Opern aufgrund eines Spielverbotes abgesagt wurden? Ihm hilft die Arbeit. Er übt fleißig jeden Tag zuhause im achten Bezirk die Partien, die er dem Wiener Publikum in dieser Zeit vorgetragen hätte. Es tröstet ihn ein wenig, dass er sich auch mit vielen neuen Liedern von Strauss, Rachmaninow, Mussorgski, Twardowski, Mahler, Penderecki mit seinem Pianisten Lech Napierała beschäftigt. Besonders die Strauss- und Rachmaninow-Romanzen lindern die beinahe physischen Schmerzen, dass der Sänger dem Publikum im Moment nichts anbieten darf. Und da ist noch die jüngste Entdeckung des Sängers – die Partie des Fliegenden Holländers. Die hat der Sänger zwar schon auf der Bühne gestaltet, aber vor relativ langer Zeit, so dass er die Rolle jetzt neu für sich, mit großer Begeisterung, fast jeden Tag mit einem Digital Piano studiert. Der Sänger liest Bücher, versucht sich fit und schlank zu halten. Er ist sehr sparsam und lebt bescheiden. Die Musik begeistert den Sänger sehr, die Musik beruhigt ihn. Er wartet sehnsüchtig auf das Ende des Spiel-
24
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
verbotes, dass er endlich für das Publikum singen darf, dass er auf der echten Bühne steht, dass er sich seiner Leidenschaft wieder widmen kann. Der Sänger versteht die Gefahr, er lernt die neue Realität kennen. Er fährt jeden Tag mit seinem Fahrrad zur polnischen Botschaft, um dort Musik zu machen. Der Sänger ist geduldig, aber traurig. Er merkt wie fragil alles ist, was er mit Liebe und Neigung lebenslang gemacht hat.
KS Tomasz Konieczny
MUSIKALISCHES MAHNMAL Der Frühling ist meine liebste Jahreszeit. Bei diversen Wanderungen im Wald genieße ich das fühlbare Wiedererwachen des Lebens, das frische Grün, die durch das vielfältige Vogelgezwitscher erst so richtig zur Geltung kommende Stille. Dass ich inmitten all der Ängste, Unsicherheiten, Schrecknisse der Corona-Wochen die mein künstlerisches Sein zu einem abrupten (und hoffentlich bald überwundenen) Stillstand gebracht haben, nun gerade in diesen Monaten nicht von Ort zu Ort reisen kann und daher Ruhe geben muss, empfinde ich als kleinen Trost. Seit meiner Kindheit konnte ich mich nicht mehr in diesem Ausmaß wie diesmal der vielfältigen Natur widmen. Und so habe ich – wie so mancher Komponist, der die eine oder andere Vogelstimme in seine Kompositionen eingebaut hat – mit großer Freude die unterschiedlichen Vogellaute studiert (eine entsprechende App war diesbezüglich äußerst hilfreich). Gewissermaßen nach dem Motto: Der professionelle Sänger studiert (vor allem in den frühen Abendstunden) seine gefiederten Kollegen in der freien Wildbahn. Das half mir auch bei meinen Vorbereitungen für Schostakowitschs 13. Symphonie Babi Jar. Denn den Inhalt dieses phantastischen, aufrüttelnden, tragisch-dramatischen und so wichtigen musikalischen Mahnmals (das bisher noch nicht zu meinem Repertoire gehörte), muss man als Künstler beim Erarbeiten erst einmal verkraften. Ain Anger
THEMA
IOAN HOLENDER ZUM 85. GEBURTSTAG I
n der gesamten 150jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper gab es keinen, der so lange als Direktor an der Spitze des Hauses gestanden ist wie Ioan Holender. Er verantwortete 6000 Vorstellungen (davon knapp 100 Premieren), erweiterte den Spielplan um Ur- und Erstaufführungen sowie Raritäten bzw. lange nicht gespielte Werke, „erfand“ die Kinderoper – nicht zuletzt im 1999 errichteten A1-Kinderopernzelt auf der Dachterrasse des Hauses, erneuerte und belebte das Ensemble, entdeckte und förderte junge Sängerinnen und Sänger, die von der Staatsoper aus ihre Weltkarriere starteten, ließ erstmals die dunkle Vergangenheit des Hauses während der NS-Diktatur systematisch aufarbeiten, eröffnete ein Staatsopernmuseum, initiierte die pilharmonischen Mahler-Gedenkkonzerte, gemeinsam mit Rudolf Scholten die Eberhard Waechter-Medaille und eine Ausstellungsreihe in Kooperation mit dem Belvedere. Überhaupt sind unzählige Projekte und heute gewissermaßen selbstverständliche Gegebenheiten erst in seiner Direktion zustande gekommen: Die Untertitelanlage, das Monatsmagazin, die live-Übertragungen von Opernaufführungen auf den Herbert von Kara jan-Platz (Oper live am Platz), die Zauberflöte für Kinder am Tag nach dem Opernball, die Schaffung von neuen Probebühnen und Büroräumlichkeiten, die Staatsopern-Webseite, die jährliche Neugestaltung des Eisernen Vorhangs, eine neue, akustisch hochwertige Konzertdekoration im großen Haus, der Ehrenring für Ehrenmitglieder, die Abschaffung der Garderobengebühr und, und, und … Dem Titel seiner 2010 erschienenen Autobiografie gemäß – er lautet geradezu programmatisch „Ich bin noch nicht fertig“ – kam Ioan Holender nach seinem Abschied von der Staatsoper dem Kulturleben nicht abhanden: So ist der fünffache Ehrendoktor und Träger zahlreicher Auszeichnungen aus dem In- und Ausland unter anderem künstlerischer Berater der Metropolitan Opera New York und des Spring Festivals Tokyo. Von einem breiten Publikum ist außerdem die wöchentlich ausgestrahlte
Kultursendung „kulTOUR mit Holender“ hochgeschätzt, die er für den österreichischen Kultursender ServusTV erarbeitet und präsentiert.
BIOGRAFIE Ioan Holender wird am 18. Juli 1935 in Timisoara (Rumänien) geboren. Nach der Matura studiert er Maschinenbau an der Technischen Hochschule in seiner Heimatstadt. Im dritten Studienjahrgang wird er wegen seiner Teilnahme an den Studentenbewegungen aus politischen Gründen von allen Hochschulen des Landes exmatrikuliert. Daraufhin arbeitet er als Tennistrainer und beginnt mit einem Gesangsstudium. Seit 1959 lebt er in Österreich, studiert Gesang am Konservatorium der Stadt Wien und schließt 1962 mit der Reifeprüfung ab. 1962-1966 ist er als Opernbariton und Konzertsänger tätig, u.a. am Stadttheater in Klagenfurt. 1966 tritt Holender als Mitarbeiter in die Theateragentur Starka ein, die er nach einigen Jahren übernimmt und als Opernagentur Holender zu einer der bedeutendsten Sängeragenturen macht. 1988 wird er auf Wunsch Eberhard Waechters als Generalsekretär an die Wiener Staatsoper und Volksoper Wien berufen und ab 1. April 1992 nach dem unerwarteten Tod Eberhard Waechters zum Direktor beider Häuser bestellt. Bei der ersten Verlängerung seines Staatsopernvertrages bittet er um Entbindung aus seiner Tätigkeit als Volksoperndirektor (1996) und wird dann bis 31. August 2002 und im Zuge der Ausgliederung der Staatsoper 1999 bis 31. August 2005 bestellt. Aufgrund der weltweit anerkannten erfolgreichen Entwicklung der Wiener Staatsoper verlängert die Bundesregierung seinen Vertrag dann nochmals bis zum 31. August 2007 und im Oktober 2003 zum vierten Mal (bis 31. August 2010). Im Februar 2007 teilt Ioan Holender schlussendlich öffentlich mit, dass er für eine Verlängerung ab September 2010 nicht mehr zur Verfügung steht. 2005 wird er als erster amtierender Direktor zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt. www.wiener-staatsoper.at
N° 239
25
Das Staatsopernorchester Musik“, so habe ihr Vater immer gesagt, „sei Mathematik, umgesetzt auf einen zeitlichen Ablauf “. Und tatsächlich: Musik hat viel mit Zahlenverhältnissen, mit Bezügen und Maßeinheiten zu tun, mit rechnerischen Systemen, Perioden und Strukturen. Und mit Genauigkeit. „Und darum“, meint Olesya Kurylyak, „muss beim Geigespielen immer auch der Kopf dabei sein. Wenn man einfach so drauflos musiziert, nur rein aus dem Gefühl heraus, dann hat das zwar einen Reiz – auf Dauer wird es aber zu wenig sein. Vor allem in einem Orchesterverband, in dem man nicht als Solistin herausragen soll, sondern in den man sich einzufügen muss.“ Mathematik hat sie auch – zumindest familiär – am Anfang ihres Lebens umgeben. Kurylyak kommt aus einem nicht-musischen Haushalt, der Vater ein Physiker, die Mutter eine Mathematikerin. Beide achten auf eine dementsprechende Förderung, wünschen sich aber zusätzlich ein Instrumentalstudium ihrer Tochter. Sie entscheidet sich für die Violine, anfangs nur mit Hobbyanspruch, sehr bald aber ist ihre erste Lehrerin ihrem Talent auf der Spur. Mit Begeisterung wird also früh musiziert, wenn auch noch ohne Willen zur beruflichen oder professionellen Zukunft. Wobei: das Üben! Das macht ihr zunächst ebenso wenig Spaß wie den meisten ihrer Altersgenossen, anekdotisch erzählt sie heute, dass sie sich mit dem Lippenstift der Mutter den sogenannten „Übfleck“, also jene leicht entzündete Stelle am Hals jedes Geigers, die durch intensives Spielen entsteht, aufgemalt hat, um ihren Eltern ein höheres Übungspensum vorzugaukeln. Doch die Zeit bringt Klarheit. Wenige Jahre später lässt Kurylyak Lippenstift Lippenstift sein, der „Übfleck“ wird echt und sie klemmt sich, nach ersten Erfolgen bei Wettbewerben und Konzerten, hinters intensive Üben. Das ist ungefähr auch der Zeitpunkt, an dem die Eltern ihr ein Wirtschaftsstudium vorschlagen. Doch dafür ist es bereits zu spät: „Das hättet ihr euch vor acht Jahren überlegen sollen!“, lautet die schnelle Antwort. Nun geht es Schlag auf Schlag: Sie kommt nach Österreich, um hier an der Musikuniversität weiterzustudie-
26
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
SERIE
Geigerin Olesya Kurylyak
Spannend war für sie nicht nur der Wechsel von der Heimat Ukraine in die neue Heimat Österreich, sondern auch der Wechsel von einem musikalischen Lehrsystem in ein anderes. Also: Zunächst ein strenges, präzise vorgegebenes, das einem Grundraster folgt und vor allem für junge Studentinnen und Studenten eine klare Leitlinie definiert, dann deutlich mehr Freiheiten, aber auch weniger systematisches Erarbeiten. „Beides hat seine guten Seiten: In der Ukraine war alles sehr gut organisiert, es hat ein klares System gegeben, wann man was wie lernt. Hier in Österreich musste ich vieles selber herausfinden, hatte aber mehr Freiraum.“ Auf einen Aspekt verweist sie besonders: Auf einen Zyklus der Lemberger Philharmoniker, der talentierten Studentinnen und Studenten die Möglichkeit gibt, regelmäßig in regulären Konzerten mit dem Orchester aufzutreten – und sich so Routine zu erwerben. „Das war Praxis pur!“ Nach einer Zwischenstation in Graz tritt sie beim Probespiel fürs Staatsopernorchester an, am 8. März 2008 übrigens, Startnummer 8; sie gewinnt und wird die – achte – Frau im Orchester, „was nur einmal mehr ein Hinweis darauf ist, dass das Leben eine Achterbahn sein kann“, lacht sie. Was folgt, ist das Aufgehen in einem „großen Organismus“, wie sie es nennt, das Erleben einer Gemeinschaft, die das Paradoxon zu lösen versteht: man ist Teil eines Ganzen, aber immer auch ganz man selbst. „Denken Sie nur“, meint die Geigerin, „in meiner Gruppe, der ersten Violine, sind wir 22. Jeder und jede hat eine eigene Handschrift, eine eigene künstlerische Geschichte und Technik, eigene Vorstellungen. Und doch kann es nur funktionieren, wenn all diese Unterschiede eine Einheit ergeben. Und das, ohne dass auch nur einer seine Persönlichkeit verliert. Denn: Wenn man seine Individualität aufgibt, hat man schon verloren und ist falsch in einem solch wunderbaren Orchester!“ Gleichzeitig – und das macht die besondere Herausfor-
derung aus – muss diese Individualität im Dienst einer Gesamtaufführung, muss unter Beibehaltung der eigenen Freiheit das Gemeinsame im Vordergrund stehen. Woher aber, so stellt sich die Frage, weiß man, dass man Teil des Ganzen ist – und wie lange dauert es, bis man sich dieses Gefühl des Miteinanders erwirbt? „Das geht schnell – entweder man hat es bald, oder es stellt sich gar nicht ein“, meint Kurylyak. „Und man spürt, dass man an dieser oder jener Stelle vielleicht eine Nuance zu laut, zu schnell oder zu „anders“ geklungen hat. Interessanterweise gibt wunderbare Musiker, die solistisch großartig sind, aber niemals lernen, im Orchesterverband zu spielen. Das zu beherrschen ist eine Veranlagung.“ Ebenso wie die Eigenschaft, blitzschnell auf andere reagieren zu können. „Im Orchester, vor allem in der Oper, ist das enorm wichtig! Man hat die Ohren bei den Sängern, man hat sie bei den Kollegen, man geht auf alle ein – und man folgt dem, was auf der Bühne passiert. Diese Sensibilität – das ist das A und O des Orchesterspielens!“ Wobei, das mit den Ohren auf der Bühne seine Tücken haben kann, denn manchmal, so verrät sie, vergisst sie fast den einen oder anderen Einsatz, wenn die Schönheit des Gesanges, des Gesamteindrucks sie packt und fast zu Tränen rührt: „Das sind die Momente, die wir alle kennen, die unbeschreiblich sind: man kann es nicht erklären, spürt aber die ganze Seele eines Menschen in einem Augenblick.“ Doch was macht nun eine, die Teil eines so lebendigen Organismus’ ist, alleine in Zeiten der Theatersperre? Sie nützt die Zeit für ein „technisches Durchputzen“, wie sie es nennt. Also Tonleitern-Üben, die Technik kontrollieren, an der Intonation feilen. „Das mache ich mehrmals im Jahr, damit ich immer in Schuss bleibe – denn durch das Spielen im Orchester könnten sich kleine Unsauberkeiten einschleichen, die ich hiermit wieder korrigiere. Das ist wie ein Pickerl-Check fürs Auto!“, lacht sie. Und bereitet sich so für die Aufnahme des Spielbetriebs vor und freut sich auf die kommenden Abende: in der Oper, im Konzert orchester und als Kammermusikerin!
In dieser Serie werden die Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters vorgestellt.
SERIE
ren, Christian Altenburger ist einer der Lehrer, und er fördert sie nach Kräften: „Bis hin zu einem geliehenen wertvollen Instrument für meine zweite Diplomprüfung und für Probespiele!“
Oliver Láng
www.wiener-staatsoper.at
N° 239
27
AUSBLICK AUF DIE SPIELZEIT A
m 26. April 2020 präsentierte der designierte Direktor Bogdan Roščić im Gespräch mit dem neuen Musikdirektor Philippe Jordan, dem neuen Ballettdirektor Martin Schläpfer und Peter Fässlacher die mit Spannung erwartete neue Saison. Corona-bedingt nicht wie geplant vor versammeltem Publikum, sondern von ORF III übertragen (mit überdurchschnittlich hoher Einschaltquote) auf der Bühne des Hauses vor dem leeren Zuschauerraum. Die wesentlichen Eckpunkte des vorgestellten Spielplanes sind im Folgenden noch einmal zusammengefasst. (Ausführliche Informationen finden Sie im neuen Saisonbuch siehe Bild rechts und unter www.wiener-staatsoper.at) Erstmals seit der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955 steht im kommenden Herbst nicht eine Repertoirevorstellung, sondern eine Premiere am Beginn einer neuen Spielzeit: Die poetische, mit japanischen Stilelementen arbeitende Madama Butterfly-Inszenierung des Oscar-Preisträgers Anthony Minghella startet am 7. September einen Neuproduktionenreigen, der seit der Ära Herbert von Karajans nicht mehr so dicht gewesen ist. Unter dem neuen Musikdirektor Philippe Jordan geben an diesem ersten Abend der Saison unter anderem Asmik Grigorian als Cio-Cio-San (die meisten Opernliebhaber kennen die international gefeierte junge Sopranistin seit ihrer fulminanten Salome bei den Salzburger Festspielen) und der amerikanische Tenor Freddie De Tommaso als Pinkerton ihre Hausdebüts. Bereits am nächsten Tag kehrt Franz Welser-Möst nach sechs Jahren Pause mit der Wiederaufnahme der legendären Elektra-Inszenierung Harry Kupfers zurück an die Staatsoper und am 27. September folgt schon die Wiederaufnahme der mittlerweile Kultstatus genießenden Produktion des französischen Don Carlos unter Bertrand de Billy und mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie. Mit der Entführung aus dem Serail-Premiere in der szenischen Deutung Hans Neuenfels’ wird am 12. Oktober eine empfindliche Lücke im MozartAngebot des Hauses geschlossen und mit der
28
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
Eugen Onegin-Premiere am 25. Oktober dem Staatsopernpublikum erstmals eine Arbeit des mehrfach preisgekrönten Regisseurs Dmitri Tcherniakov vorgestellt. Durch die Erstaufführung von Henzes Verratenem Meer am 13. Dezember wird das Repertoire um ein wichtiges Werk eines zentralen Komponisten der klassischen Moderne erweitert – die musikalische Leitung liegt in den Händen von Simone Young, auf szenischer Seite debütiert das Regieteam Jossi Wieler / Sergio Morabito an der Wiener Staatsoper, an der Seite der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock, mit der sie gemeinsam weltweit bereits über 20 Opern inszeniert haben. Unter der scheinbar realistischen Oberfläche des Geschehens ertastet ihre Aufführung paranoide Wahrnehmungsstrukturen und spürt den Gefährdungen und der Zerbrechlichkeit von Identitäten nach. Philippe Jordan, den eine große Affinität mit dem Strauss-Repertoire verbindet, leitete bereits vor einigen Jahren eine musikalische Neueinstudierung des Rosenkavaliers an der Wiener Staatsoper und dirigierte die Oper zudem in Mailand, Berlin und Paris. Als neuer Musikdirektor wird er das Werk nun im Dezember abermals musikalisch neu einstudieren und in gleich zwei Serien mit exquisiter Sängerbesetzung leiten. Rund einen Monat später wird er am 24. Jänner überdies bei der Wiederaufnahme der über viele Jahrzehnte werkprägenden Le nozze di Figaro-Inszenierung Jean-Pierre Ponnelles am Pult stehen. Beginnend mit diesem Werk wird er, gemeinsam mit einer jungen und international aufstrebenden Sängergeneration, die oft beschworene und in der Nachkriegszeit zur Blüte gelangten Idee eines weltweit ausstrahlenden Wiener Mozart-Ensembles neu aufgreifen. Nachdem Calixto Bieito als Schauspielregisseur Berühmtheit erlangt hatte, war Carmen 1999 seine erste große Opernregiearbeit. Seither hat er diese legendäre Inszenierung mehrfach überarbeitet und verfeinert und wird sie am 6. Februar an der Wiener Staatsoper neu herausbringen. In dieser Premiere wird außerdem die weltweit als Carmen gefeierte Anita Rachvelishvili (im Haus am Ring konnte sie bisher als Amneris begeistern) diese
AUSBLICK
2020/2021 Rolle endlich auch auf dieser Bühne verkörpern. Zu den mit großer Spannung erwarteten Hausdebütantinnen zählt ohne Zweifel auch die international höchst erfolgreiche, aus Südafrika stammende Sopranistin Pretty Yende. Nach ihrer Adina im September wird sie ab 4. März in der Titelrolle der Premierenproduktion von La traviata zu erleben sein. Regisseur Simon Stone inszeniert Violetta Valéry als todkranke Influencerin, die selbst dann in ihrer Instagram-Welt gefangen bleibt, wenn sie sich mit ihrem Geliebten auf das Land zurückzieht. Alles Private ist bei ihr öffentlich, dafür wird der öffentliche urbane Raum zu ihrem einzigen Rückzugsgebiet für Momente der Schwäche. Zum Ereignis zu werden verspricht die Parsifal-Inszenierung des Theater-, Oper-, Film- und Ballettregisseurs Kirill Serebrennikov, der in Russland eine ganze Generation junger Theaterschaffender und Theaterzuschauer geprägt hat. Am Pult dieser Neuproduktion steht einmal mehr Philippe Jordan, der Wagners zukunftweisendes Alterswerk erstmals in Wien dirigiert. In nahezu allen Partien sind Rollen debüts von in Wien wichtigen Gästen zu erleben: Ludovic Tézier als Amfortas, Georg Zeppenfeld als Gurnemanz und Wolfgang Koch als Klingsor. Elı̄ na Garanča gibt überdies an der Seite von Jonas Kaufmann ihr weltweites Rollendebüt als Kundry. Frank Castorf hat als einer der einflussreichsten Regisseure der letzten Dekaden das Theater weltweit verändert. In seiner Faust-Interpretation, die an der Wiener Staatsoper am 23. April Premiere feiert, entfacht er ein ebenso sinnliches wie intellektuelles Assoziationsfeuerwerk: Der frühe Kolonialismus Frankreichs, seine heutigen Folgen, demokratische Illusionen und kapitalistische Vergnügungssucht treffen sich in Paris, das zum Brennglas gesamteuropäischer Entwicklungen wird. Unter Bertrand de Billy, der schon bei der letzten Faust-Premiere durch seine differenzierte Klanggestaltung beeindruckte, gibt Juan Diego Flórez sein weltweites Rollendebüt als Faust. Neben ihm geben mehrere Sänger der jüngeren Generation ihr Staatsoperndebüt: Nicole Car als Marguerite, Adam Palka als Méphistopélès und Boris Prýgl als Valentin. Als Auftakt zu einer Trilogie, in der die drei großen erhaltenen Opern Monteverdis zu erleben sein
Ihr persönliches Exemplar des neuen Saisonbuchs zum Preis von € 5,zzgl. Versandkosten können Sie per E-Mail unter saisonbuch@wienerstaatsoper.at, per Telefon unter 01 / 51444 - 2667 bzw. 2674, direkt auf www.wiener-staatsoper.at bzw. im e-shop der Wiener Staatsoper, im Direktverkauf seit 27. April 2020, 9 Uhr, an den Bundestheaterkassen und der Kassa unter den Arkaden erwerben. Darüberhinaus wird das Buch auch im Webshop von Culturall (www.culturall.com) angeboten.
werden, kehrt am 22. Mai dessen L’incoronazione die Poppea nach vielen Jahrzehnten zurück auf die Staatsopernbühne. Seit der Karajan’schen, stark romantisierten Fassung von 1963 hat sich in der historisch informierten Aufführungspraxis viel getan – nicht zuletzt durch die Pionierarbeit von Nikolaus www.wiener-staatsoper.at
N° 239
29
Harnoncourt und seinem Concentus Musicus Wien. 68 Jahre nach seiner Gründung gibt das Ensemble unter der Leitung von Pablo Heras-Casado nun sein Hausdebüt in der Staatsoper. Regisseur ist der 2014 mit dem Goldenen Löwen der Biennale di Venezia ausgezeichnete Belgier Jan Lauwers. Um Kate Lindsey als ebenso verführerischen wie skrupellos tyrannischen Nerone versammelt sich ein erstklassiges Ensemble aus Gästen und Mitgliedern des Hauses. Am 10. Juni gelangt unter Musikdirektor Philippe Jordan schließlich noch Verdis Macbeth zur Premiere. Die Inszenierung des weltweit gefragten Regisseurs Barrie Kosky konzentriert sich ganz auf das ebenso miteinander vertraute wie ineinander verkämpfte Ehepaar Macbeth das erstmals in Wien von Luca Salsi und Anna Netrebko gegeben wird. Die groß besetzte Oper wird zum alptraumhaften Kammerspiel, bei dem bis zum Schluss unklar bleibt, was reales und was halluziniertes Geschehen ist. Eine Grenzerfahrung, passend zu Verdis radikalen Psychogrammen. Gewohnt vielschichtig gestaltet sich das umfassende Opern-Repertoire, in dem nicht nur viele neue Künstlerinnen und Künstler Hausdebüts geben, sondern auch zahlreiche Wiener und internationale Publikumslieblinge zu erleben sein werden. Das Angebot für das junge Publikum umfasst neben der traditionellen Zauberflöte für Kinder am Tag nach dem Opernball eine kindgerechte, unterhaltsame und farbenfrohe Fassung von Rossinis Barbier von Sevilla im Großen Haus (ab 15. Jänner) und die von der Theatermacherin Nina Blum für die Wiener Staatsoper konzipierte Wanderoper Entführung ins Zauberreich, die Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren im Zuge einer musikalischen Abenteuerreise durch das Gebäude Lust auf Oper machen möchte. Aus der Fülle der den Spielplan begleitenden Programmformaten soll an dieser Stelle die neue Reihe Regieporträts hervorgehoben werden: An zehn Terminen werden dem Publikum im Umfeld der Opern-Premieren die jeweiligen Regisseure, deren Entwicklung, ihr künstlerisches Denk- und Selbst-
30
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
verständnis, ihre Zielsetzungen und bisherigen Arbeiten vorgestellt. Für seine erste Spielzeit mit dem Wiener Staatsballett hat der neue Direktor und Chefchoreograph Martin Schläpfer einen vielfältigen Spielplan aufgestellt, der die großen Ballett-Traditionen der Compagnie – Produktionen wie Giselle und Schwanensee – mit Meisterwerken des 20. und 21. Jahrhunderts sowie eigenen Kreationen vereint. Die erste Staatsopern-Premiere Mahler, live stellt am 24. November Hans van Manens intimem Videoballett Live zu Klaviermusik von Liszt mit Martin Schläpfers 4 ein neues Werk für das gesamte Ensemble gegenüber. Musikalische Basis dieser Uraufführung ist Mahlers 4. Symphonie. Die faszinierende Bandbreite der amerikanischen Neoklassik George Balanchines und Jerome Robbins’ entfaltet ab dem 23. Mai die Neueinstudierung A Suite of Dances: von urbaner Coolness, über intime Dialoge zwischen Tanz und Musik bis zu hinreißender Komik. Zum Abschluss der Saison vereint Tänze Bilder Sinfonien am 26. Juni drei Meister des zeitgenössischen Balletts. Auf Balanchines Symphony in Three Movements folgt mit Pictures at an Exhibition erstmals ein Werk Alexei Ratmanskys sowie mit 15. Sinfonie Martin Schläpfers zweite Wiener Uraufführung – ein Programm, das auch musikalisch mit Mussorgskis Bildern einer Ausstellung sowie Strawinskis und Schostakowitschs gleichnamigen Sinfonien begeistern wird. An der Volksoper Wien zeigt die Premiere Hollands Meister am 20. September mit Sol León & Paul Lightfoot, Hans van Manen und Jiří Kylián große Choreographen der niederländischen Tanzszene. Mit Ein Deutsches Requiem zu Brahms’ gleichnamigem Werk für Solisten, Chor und Orchester ist ab dem 30. Jänner das preisgekrönte abendfüllende Ballett Martin Schläpfers in einer Wiener Neueinstudierung zu erleben. Promethean Fire präsentiert am 15. Mai erstmals die beiden herausragenden Künstler des American Modern Dance Paul Taylor und Mark Morris. Ihren Balletten Promethean Fire und Beaux stellt Martin Schläpfer zwei Miniaturen aus seinem eigenen Werk gegenüber: Lontano und Ramifications zur Musik Ligetis.
DATEN UND FAKTEN
DATEN UND FAKTEN GEBURTSTAGE Christopher Ventris feierte am 5. Mai seinen 60. Geburtstag. Der britische Tenor sang an der Wiener Staatsoper u.a. Max, Siegmund, Parsifal, Andrei Chowanski, Jim Mahoney. Anne Sofie von Otter vollendete am 9. Mai ihr 65. Lebensjahr. An der Wiener Staatsoper war sie als Idamante, Götterdämmerung-Waltraute, Octavian und Komponist zu erleben. Miro Dvorský wurde am 16. Mai 60 Jahre alt. An der Wiener Staatsoper sang er u.a. Alfredo, Gabriele Adorno, Ismaele und Rodolfo. Das langjährige Ensemblemitglied KS Peter Jelosits feierte am 23. Mai seinen 60. Geburtstag. Der ehemalige Wiener Sängerknabe absolvierte 1983-1985 das Opernstudio der Wiener Staatsoper, ehe er fix ans Haus aufgenommen wurde, wo er rund 2000 Mal zu erleben war. Neben seiner Tätigkeit für das Haus am Ring wirkte er immer wieder bei diversen Festivals mit (Wiener Festwochen, Salzburger Festspiele, Schubertiade Hohenems, Carinthischer Sommer).
hier, aber auch international, regelmäßig in den wichtigsten Partien seines Faches zu erleben: u.a. Ochs, Waldner, Klingsor, Musiklehrer, La Roche, Alberich, Großinquisitor, Figaro, Leporello, Rocco, Bartolo, Mustafà, Wozzeck-Doktor. Zuletzt sang er u.a. in der Uraufführung von Olga Neuwirths Orlando die Partie des Duke. Frederica von Stade vollendet am 1. Juni ihr 75. Lebensjahr. An der Wiener Staatsoper sang sie Rosina, Cherubino, Charlotte und Mélisande. Der Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor und Buchautor Prof. KSCH Otto Schenk feiert am 12. Juni seinen 90. Geburtstag. Durch seine Tätigkeit als Oberspielleiter des Hauses, seine zahllosen gefeierten Inszenierungen, seine Auftritte als Frosch schrieb er sich bleibend in die Herzen der Zuschauer ein. Zuletzt kehrte er 2014 als Regisseur der Neuproduktion von Janáčeks Schlauem Füchslein zurück an die Wiener Staatsoper.
KS Thomas Moser vollendete am 27. Mai sein 75. Lebensjahr. An der Wiener Staatsoper sang er zunächst Partien wie u.a. Flamand, Belmonte, Henry Morosus, Don Ottavio, Tamino, Narraboth, Hans, später Idomeneo, Erik, Max und zuletzt u.a. Palestrina, Kaiser, Bacchus, Parsifal, Peter Grimes, Tristan und Herodes.
Mit der Wiener Staatsoper ist KS Thomas Hampson seit seinem Debüt 1987 eng verbunden. In Premieren und Repertoirevorstellungen bescherte er dem Publikum durch seine außergewöhnlichen Interpretationen zahllose unvergessliche Abende, wobei sein breites Repertoire Werke von Schubert bis Cerha umfasste. Am 28. Juni feiert er seinen 65. Geburtstag.
KS Wolfgang Bankl feierte am 29. Mai seinen 60. Geburtstag. Seit seinem Staatsopern-Debüt 1993 war bzw. ist er
KS Matti Salminen wird am 7. Juli 75 Jahre alt. An der Wiener Staatsoper sang er u.a. Sarastro, Osmin, Hunding,
Hagen, Marke, Fasolt, Gurnemanz, Daland, Philipp II. und Großinquisitor. KS Helen Donath vollendet am 10. Juli ihr 80. Lebensjahr. An der Wiener Staats oper sang sie Pamina, Zerlina, Eva, Rosenkavalier-Sophie, Ännchen und zuletzt Despina. Der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper, Ioan Holender feiert am 18. Juli seinen 85. Geburtstag (siehe Seite 25). Regisseur Adrian Noble begeht am 19. Juli seinen 70. Geburtstag. Im Haus am Ring inszenierte er Alcina, Hänsel und Gretel sowie Otello. Bühnenbildner Rolf Glittenberg wird am 27. Juli 75 Jahre alt. Für die Wiener Staatsoper schuf er Bühnenbilder zu Il trittico, Andrea Chénier, Der ferne Klang, Arabella, Ring, Cardillac, Ariadne auf Naxos, La cenerentola, Rusalka und Elektra. KS Gottfried Hornik vollendet am 5. August sein 80. Lebensjahr. Das langjährige Ensemblemitglied sang in fast 800 Vorstellungen ein breites Repertoire das deutsche, italienische, französische und russische Partien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert umfasste. Staatsoperndirektor Dominique Meyer feiert am 8. August seinen 65. Geburtstag (siehe Interview Seite 6). KS Gertrude Jahn vollendet am 13. August ihr 80. Lebensjahr. Das langjährige Ensemblemitglied sang an der
www.wiener-staatsoper.at
N° 239 218
31
DATEN UND FAKTEN GEBURTSTAGE
TODESFÄLLE
Staatsoper u.a. Komponist, Clairon, Octavian, Mary, Magdalena, Meg Page, Cherubino, Giulietta, Gräfin Geschwitz, Silla, Herodias, Venus und Margret. Der ehemalige GMD der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst, wird am 16. August 60 Jahre alt. Im Haus am Ring debütierte er 1987 und hat hier seither über 200 Aufführungen geleitet: zahlreiche Premieren (Arabella, Ariadne auf Naxos, Aus einem Totenhaus, Cardillac, Ring des Nibelungen, Schlaues Füchslein, Don Carlo, Don Giovanni, Le nozze di Figaro, Kátja Kabanová, Fanciulla del West, Tristan und Isolde), Wiederaufnahmen und Repertoirevorstellungen. Im September kehrt er mit der Wiederaufnahme von Elektra in der Inszenierung Harry Kupfers zurück an die Wiener Staatsoper. Alexandru Agache wird am 16. August 65 Jahre alt. An der Wiener Staatsoper sang er unter anderem Luna, Germont, Ankarström, Enrico, Barbiere-Figaro, Belcore, Marcello. José van Dam vollendet am 27. August sein 80. Lebensjahr. An der Wiener Staatsoper sang er u.a. Holländer, Hans Sachs, Leporello, Don Giovanni, Figaro, Jochanaan. Am 29. August begeht die ehemalige Erste Solotänzerin des Wiener Staatsopernballetts, Gisela Cech – unter anderem Partnerin von Rudolf Nurejew – ihren 75. Geburtstag.
32
N° 239
Prof. Maksimilijan Cenčić verstarb am 16. April 2020 nach schwerer Krankheit in Wien. Der 1951 in Rogaška Slatina (ehemaliges Jugoslawien) geborene Dirigent war von 1991 bis 2014 an der Wiener Staatsoper engagiert und stand, neben seiner Tätigkeit als Leiter der Bühnenmusik, unter anderem bei der Erstaufführung des Balletts Mythos in einer Choreografie von Renato Zanella im Großen Haus sowie bei zahlreichen Kinderopernvorstellungen von Wagners Nibelungenring für Kinder, Der 35. Mai und Die Omama im Apfelbaum am Pult. 1978 bis 1991 arbeitete er am Kroatischen Nationaltheater in Zagreb, wo er bereits 1976 debütierte. 1976 bis 1978 war er Assistent von Václav Neumann bei der Tschechischen Philharmonie in Prag sowie 1981 bis 1983 Assistent von Lovro von Matacˇić bei mehreren Gastspielreisen. Am Prayner Konservatorium in Wien unterrichtete er seit 1998 Dirigieren und war musikalischer Leiter der Opernklasse. Die 1937 in Ägypten geborene griechische Sopranistin Jeannette Pilou verstarb am 27. April 2020 in Athen. Sie debütierte an der Wiener Staatsoper am 12. September 1965 als Mimì in La Bohème. Zwischen 1965 und 1979 war sie regelmäßig Gast im Haus am Ring und sang hier 16 Rollen in 185 Vorstellungen, unter anderem in den Premieren von Carmen (1966), Der Prozess (1970) und Manon (1971). Zu ihren meistgesungenen Partien an der Wiener Staatsoper zählen Mimì (47 Mal), Cio-Cio-San in Madama Butterfly (27 Mal), Micaëla in Carmen (24 Mal) und Nedda in Pagliacci (16 Mal). In dieser Rolle trat sie am
www.wiener-staatsoper.at
29. Juni 1979 zum letzten Mal im Haus am Ring auf. Jeannette Pilou debütierte bereits 1960 als Violetta in La traviata an der Mailänder Scala und sang im Lauf ihrer internationalen Karriere weiters unter anderem in den Opernhäusern von Venedig, Paris, Barcelona, Lissabon, beim Festival in Aix-en-Provence, bei den Salzburger Festspielen, am Londoner Royal Opera House Covent Garden, an der New Yorker Metropolitan Opera, in Chicago und San Francisco. Die Wiener Staatsoper trauert um ihr Ehrenmitglied, den ehemaligen Chordirektor Prof. Norbert Balatsch, der am 6. Mai 2020, nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 92 Jahren verstorben ist. Er wurde am 10. März 1928 in Wien geboren und war von 1938 bis 1944 Mitglied der Wiener Sängerknaben. Weitere Stationen seiner Karriere umfassen die Leitung des Wiener Männergesangsvereins, die er 1953 übernahm; außerdem arbeitet er mit dem Coro di Santa Cecila di Roma sowie weiteren internationalen Chören. 1972 bis 1999 war Norbert Balatsch Chorleiter bei den Bayreuther Festspielen sowie von 1999 bis 2001 künstlerischer Leiter der Wiener Sängerknaben. Seine Staatsopernkarriere begann er 1952 als Chorsänger. 1965 wurde er Studienleiter des Extrachores, 1967 zweiter Chordirektor. 1968 wurde er Chordirektor der Wiener Staatsoper und hatte diese Funktion bis 1983 inne. 2006 kehrte er für die Choreinstudierung von Moses und Aron zurück ins Haus am Ring – nach der letzten Vorstellung dieser Serie am 19. Juni 2006 wurde er zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt.
DATEN UND FAKTEN
RADIO UND TV 1. Juni, 22.20 | ORF2 Backstage Wiener Staatsoper Kinodokumentarfilm von Stephanus Domanig, 2019 7. Juni, 14.00 | radioklassik Mélange mit Dominique Meyer Opernschlager und Inselstücke 7. Juni, 20.15 | ORF III Erlebnis Bühne mit Barbara Rett Anlässlich des 90. Geburtstags von Otto Schenk Fidelio (Beethoven) Dirigent: Leonard Bernstein mit: Kollo, Helm, Janowitz, Sotin, Jungwirth, Popp, Dallapozza, Terkal, Šramek Chor und Orchester der Wr. Staatsoper Wiener Staatsoper, 1978 14. Juni, 8.45 | ORF III Erlebnis Bühne Anlässlich des 90. Geburtstags von Otto Schenk Das schlaue Füchslein (Janáček) Dirigent: Tomáš Netopil mit: u.a. Trekel, Reiss, Rumetz, Ko, Ellen, Dennis, Pelz Chor und Orchester der Wr. Staatsoper Wiener Staatsoper, 2016 27. Juni, 19.30 | Ö1 Falstaff (Verdi) Dirigent: Zubin Mehta mit: Maestri, Tézier, Fanale, Giannattasio, Fahima, Lemieux, Jørstad, Ebenstein, Pecoraro, Fassi Chor und Orchester der Wr. Staatsoper Wiener Staatsoper, 2016 28. Juni, 15.05 | Ö1 10 Jahre Staatsopern-Direktion
ZYKLEN 2020/2021 Dominique Meyer – Ein Rückblick mit Michael Blees 28. Juni, 9.30 | ORF 2 Ein Blick zurück mit Liebe Dominique Meyer an der Wr. Staatsoper 30. Juni, 11.00 | radioklassik Mélange mit Dominique Meyer Der Abschied 30. Juni, 10.05 | Ö1 Talent als Verpflichtung Thomas Hampson zum 65. Geburtstag 4. Juli, 9.05 | radioklassik Lust auf Lied mit Hans Peter Kammerer 19. Juli, 14.00 | radioklassik Opernsalon mit Daniela Fally
Die Saison 2020/2021 bietet eine große Auswahl an speziell gestalteten, thematisch verbundenen Zyklen. Vier der Zyklen wurden vom Wiener Staatsballett gemeinsam mit der Volksoper Wien entwickelt. Die Zyklen, bestehend aus zwei bis fünf ausgewählten Produktionen, bieten einen Querschnitt des einzigartigen Repertoires der Wiener Staatsoper. Mit 25% Preisreduktion für Erwachsene und 85 % für Kinder entdecken Sie mit Ihren jungen Begleitern im Rahmen des Familien-Zyklus Gaetano Donizettis Don Pasquale und Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte. Ebenso finden sich in insgesamt 17 ansprechenden Kombinationen auch die Neuproduktion Madama Butterfly oder beliebte Werke des Kernrepertoires wie La Bohème und Turandot.
FÖRDERER Dr. Heinrich Birnleitner | Chris und Veronika Brenninkmeyer | Dr. Hava BugajerGleitman | Dr. Herbert Cordt | Emmy Denk | EPIC | Klaus Flachmann | Ingrid Flick | Prof. Dr. Erhard Hartung | Walter M. Hauner | Rupert Heider | HERMES PHARMA | Desirée Hiraldo | Dr. Claudia Holzer, LLM | Elena Smirnova und Hristo Hristov | Hotel Bristol | Hotel Sacher | Weingut Josef Jamek | Herbert Jaros | Prof. Dr. Karl Jurka | Dr. Marlies Knoll | König Holding AG | Mag. Wolfgang Kortschak | Kremslehner Hotels Wien | Dr. Petra und Prof. Dr. Theo Lieven | Dr. Martina Wölfl Misak | Dr. Astrid Polak | PRADA | Robert Placzek Holding AG | Mag. Pia Rabl-Marizzi | Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann | Schaller Holding GmbH | Dennis Schulz, MSc, und Jeffrey Aaron Avila, BSc | Mag. Monika und Mag. Andreas Schwaighofer | Lydia und Sebastian Steinborn | Toyota Motor Corporation | Hypo Vorarlberg Bank AG | Michel Wagner | Dr. Manfred Waldenmair-Lackenbach | Druckerei Walla | Wiener Städtische Versicherung AG/Vienna Insurance Group | Mag. Sonja Wimmer | Wurst & Ströck Rechtsanwälte Partnerschaft | Rainer Zellner | Zum weißen Rauchfangkehrer Gastronomie GmbH
DONATOREN biolitec AG | BUWOG Group| Christian Zeller Privatstiftung | Diehl Stiftung &Co. KG | Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG | Gerstner Catering GmbH | HALLMANN HOLDING International Investment GmbH | André und Rosalie Hoffmann | Helm AG | MB Beteiligungs GmbH | OMV Aktiengesellschaft | Porsche Holding GmbH | Raiffeisen Bank International AG | Raiffeisen-Holding NÖ-Wien | Schoellerbank | Siemens AG Österreich | STRABAG SE | Supernova Private Residences GmbH | TUPACK Verpackungen Gesellschaft m.b.H. | Wirtschaftskammer Wien www.wiener-staatsoper.at
N° 239
33
STREAMING
Termine Juni 2020
1.6.
DIE FRAU OHNE SCHATTEN
Thielemann / Schager, Nylund, Fujimura, Stemme, Konieczny, Nazarova
2.6.
THE TEMPEST
Adès / Eröd, Luna, Ebenstein, Houtzeel, Daniels, Lippert, Bridges
3.6.
ELEKTRA
Franck / Stemme, Larsson, Barkmin, Ernst, Struckmann, Bankl, Ivan
4.6.
ANDREA CHÉNIER
Armiliato / Kaufmann, Frontali, Harteros, Khayrullova
5.6.
FIDELIO URFASSUNG (LEONORE)
Netopil / Davis, Röver, Bruns, Struckmann, Mayer, Reiss, Schneider
6.6.
UNDINE
Wildner / Gerhards, Rathkolb, Osuna
6.6.
GISELLE
Ovsyanikov / Poláková, Kimoto, Kaydanovskiy, Wallner-Hollinek, van Overeem, Firenze
7.6.
ADRIANA LECOUVREUR
Pidò / Gheorghiu, Giordano, Moisiuc, Zhidkova, Frontali, Park, Xiahou
8.6.
BORIS GODUNOW
Letonja / Pape, Plummer, Garifullina, Ernst, Rydl, Speedo, Twarowska
9.6.
AIDA
Auguin / Radvanovsky, Speedo, D’Intino, de León, Coliban, Vassallo
10.6.
JOSEPHS LEGENDE / VERKLUNGENE FESTE
Franck / Cherevychko, Kourlaev, Horner, Lazik
11.6.
ARIADNE AUF NAXOS
Schneider / Matić, Eiche, Frenkel, Gould, Davidsen, Morley
12.6.
LA FANCIULLA DEL WEST
Welser-Möst / Stemme, Kaufmann, Konieczny
13.6.
FATIMA
Bayl / Carroll, Osuna, Coliban, Bohinec
13.6.
DER SPIELER
Young / Ulyanov, Guseva, Didyk, Watson, Ebenstein, Maximova
NABUCCO Die OMV präsentiert diesen Stream.
Garcia Calvo / Nucci, Tødenes, Tagliavini, Smirnova, Khayrullova, Martirossian
15.6.
UN BALLO IN MASCHERA
López Cobos / Beczała, Hvorostovsky, Stoyanova, Krasteva
16.6.
VĚC MAKROPOULOS
Hru°ša / Aikin, Ludha, Ebenstein, Gritskova, Zednik, Khayrullova
17.6.
SIMON BOCCANEGRA
Pidò / Hampson, Belosselskiy, Meli, Rebeka, Yildiz, Speedo
18.6.
KÁTJA KABANOVÁ
Netopil / Denoke, Navarro, Khayrullova, Henschel, Didyk, Ebenstein
19.6.
OTELLO
Jenkins / Alagna, Kurzak, Khayrullova, Jenis, Poli, Navarro
20.6.
PÜNKTCHEN UND ANTON
Pfeiffer / Fally, Constantinescu, Raimondi, Kammerer
20.6.
MACBETH
Conlon / Petean, Serjan, Furlanetto, Xiahou, Moyake, Jopson
21.6.
DON CARLO
Chung / Furlanetto, Vargas, Domingo, Stoyanova, Speedo, Zhidkova
22.6.
CHOWANSCHTSCHINA
Bychkov / Furlanetto, Maximova, Ventris, Lippert, Dobber, Anger
23.6.
ARIODANTE
Christie / Conolly, Reiss, Fahima, Dumaux
14.6.
34
N° 239
www.wiener-staatsoper.at
SPIELPLAN
24.6.
LA SONNAMBULA
García Calvo / Pisaroni, Aldridge, Fally, Flórez, Nazarova
25.6.
BEST OF NUREJEW
Kompilation durch die Ballettdirektion
26.6.
DANTONS TOD
Boder / Konieczny, Bruns, Laurenz, Ebenstein, Kellner, Unterreiner, Bezsmertna
27.6.
CINDERELLA
Werner / Dwyer, Nakani, Kolgatin, Fingerlos
27.6.
DON CARLO
Armiliato / Vargas, Harteros, Pape, Tézier, Uria-Monzon, Moisiuc, Park
28.6.
LE CORSAIRE
Ovsyanikov / Yakovleva, Gabdullin, Konovalova, Kourlaev, Dato
29.6.
RIGOLETTO
Pidò / Flórez, Álvarez, Peretyatko, Anger, Krasteva
30.6.
FALSTAFF
Mehta / Maestri, Tezier, Fanale, Giannattasio, Fahima
LIVE-KONZERTE
Termine Juni 2020
8. 6.
LIEDERABEND GÜNTHER GROISSBÖCK
18. 6.
LIEDERABEND KS MICHAEL SCHADE
9. 6.
ENSEMBLEKONZERT
19. 6.
ENSEMBLEKONZERT
10. 6.
KAMMERMUSIK DER WIENER PHILHARMONIKER
20. 6.
LIEDERABEND KS JUAN DIEGO FLÓREZ
11. 6.
LIEDERABEND KS TOMASZ KONIECZNY
22. 6.
ENSEMBLEKONZERT
12. 6.
ENSEMBLEKONZERT
24. 6.
ENSEMBLEKONZERT
15. 6.
LIEDERABEND KS CAMILLA NYLUND
25. 6.
LIEDERABEND KS KRASSIMIRA STOYANOVA
16. 6.
ENSEMBLEKONZERT
28. 6.
GALAKONZERT DES JUNGEN ENSEMBLES
DIE STREAMS WIDMEN IHNEN DIE GENERALSPONSOREN DER WIENER STAATSOPER
KINDEROPER AGRANA STUDIOBÜHNE | WALFISCHGASSE HAUPTSPONSOR
PRODUKTIONSSPONSOREN
DIE FRAU OHNE SCHATTEN, DON CARLO
BORIS GODUNOW, SIMON BOCCANEGRA, LA SONNAMBULA
VERKLUNGENE FESTE | JOSEPHS LEGENDE
FATIMA, ODER VON DEN MUTIGEN KINDERN
DANTONS TOD
Martin Schlaff PÜNKTCHEN UND ANTON
www.wiener-staatsoper.at
V ĚC MAKROPULOS
FIDELIO URFASSUNG (LEONORE), OTELLO
N° 239
35
Neue Publikationen der Wiener Staatsoper: Eine umfangreiche Chronik und die Dokumentation der Direktion Dominique Meyer.
CHRON
IK DER
PE A AT S O T S R E WIEN
R
RING AU S A M H E R H 1 5 0 JA
ektion Do
minique M
eyer
C
IE N E DER W H R O N IK
TS R S TA A
OPER
MIR IST DIE EHRE WIDERFAH REN… Die Dir
Erhältlich im Arcadia Opera Shop und im e-Shop der Wiener Staatsoper auf www.wiener-staatsoper.at
Ariadne auf Naxos – die legendäre Vorstellung der Wiener Staatsoper aus dem Jahr 2014!
Erhältlich im Arcadia Opera Shop, im ausgewählten Fachhandel und unter www.wiener-staatsoper.at
sen Stream
Im kostenlo
Österreichische Post AG / Sponsoring./ Post 13Z039653 S
NABUCCOunter: 020 am 14.06.2 COM/ . V M O . W WW NABUCCO
Das erste Haus am Ring zählt seit jeher zu den bedeutendsten Opernhäusern der Welt. Als österreichisches und international tätiges Unternehmen sind wir stolz, Ihnen als Generalsponsor der Wiener Staatsoper Verdis erste Erfolgsoper „Nabucco“ als Stream zu präsentieren. Weitere Informationen finden Sie auf: www.omv.com/nabucco
Die Energie für ein besseres Leben.