IM PORTRÄT
Aktionsreicher Bildungsarbeiter Günter Haverkamp vom Verein „Weißes Friedensband“ hat keine Scheu vor schweren Themen. Text: Pia Arras-Pretzler Foto: Andreas Endermann
Mit 17 stand ich auf der Brücke und wäre fast gesprungen. Danach habe ich beschlossen, dass mein Leben einen Sinn haben soll.
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Libelle | September 2020
Derzeit ist ja alles anders, aber wem erzähle ich das. Der Einleitungssatz zu diesem Porträt, das im April schon online erschienen ist, passt immer noch. Was sich aber verändert hat: Nachdem ich Günter Haverkamp im März vorsichtshalber nur per Zoom gesprochen hatte, verabreden wir uns fürs September-Update zu einer Radtour und ich erlebe ihn nun „in echt“. Wer möchte, findet das erste Porträt unter libelle-magazin.de (Link Themen / Stadtgeschehen), für alle anderen hier die Zusammenfassung: Aufgewachsen in rauen Verhältnissen in Duisburg-Marxloh, macht Günter Haverkamp zunächst eine Lehre als Speditionskaufmann und gründet später eine Spedition für den Nahen und Mittleren Osten. Der Erste Golfkrieg (1980 – 88) bringt ihn ins Grübeln, was er da eigentlich so treibt. Gegenüber seinen Kunden besteht er deshalb auf Transparenz, um nicht unwissentlich Kriegsmaterial zu liefern, was überraschenderweise nicht zu einem Rückgang seiner Aufträge führt. Er vertieft sich in die Themen Krieg und Asyl, gründet eine Zeitschrift dazu, wird erster Geschäftsführer des Flüchtlingsrats NRW. Der Autodidakt arbeitet mehr als 30 Jahre als selbstständiger Journalist, lebt einige Jahre in Hamburg, und kehrt als Eine-Welt-Promotor nach Düsseldorf zurück. Als zu Beginn des Jahres 2003 der Irakkrieg bereits in der Luft liegt, überlegt Haverkamp mit Kollegen, ein Zeichen für Frieden und gewaltlose Konfliktlösung zu setzen. „Das habe ich aus meiner gewaltvollen Kindheit mitgenommen: Konflikte ohne Gewalt lösen!“ Viele Symbole fallen aus – zu christlich, zu links –, man einigt sich auf eine weiße Schleife, die weltweit auf große Resonanz stößt. Aus dieser eigentlich auf wenige Wochen angelegten Aktion entsteht der Verein „Weißes Friedensband“, der Jugendlichen Werkzeuge an die Hand geben soll, an sozialen und politischen Prozessen teilzuha-
ben. Im Moment eben online. Dafür hat Haverkamp seinen Seminarraum im Salzmannbau in Bilk kurzerhand zum Youtube-Filmstudio umfunktioniert. Übrigens: Die harten Themen, so Haverkamp, sind für ihn vor allem Aufhänger, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Ihnen eine Möglichkeit zu geben, bestimmte Bereiche ihres Lebens zu reflektieren und eine eigene Haltung dazu zu entwickeln. „Gerade arbeite ich zum Thema Tabakkinder und erzähle den Jugendlichen, wie hart Kinder auf den Tabakplantagen arbeiten müssen. Und wenn meine Zuhörer so richtig wütend sind, dann nutze ich diese Energie. Da habe ich noch kein Wort darüber verloren, dass Rauchen schädlich ist. Die wenigsten überlegen sich nämlich, was das mit Kindern macht: Die haben dann vor allem Angst um ihre rauchenden Eltern.“ Das Hintergrundmotiv für sein Porträtfoto erzählt mehrere Geschichten: von seiner Beziehung zur Künstlerin Myriam Thyes, mit der er lange Jahre zusammengelebt hat und heute noch befreundet ist, und davon, „dass man die Welt manchmal auf den Kopf stellen muss, um Dinge neu zu sehen“. Oft reicht es aber auch schon, gemeinsam eine kleine Runde auf dem Rad zu drehen, um zum Beispiel die Leichtigkeit zu erfassen, mit der Günter Haverkamp durchs Leben geht. Sein Büro im Salzmannbau etwa ist letztendlich das Ergebnis seines Engagements in den Protesten gegen den geplanten Abriss in den 80er-Jahren. Haverkamp war unter den Demonstranten, „weil das interessant war, weil ich mich engagieren wollte“. Er glaubt fest daran, dass man eigentlich alles erreichen kann, wenn man wirklich für eine Sache brennt. Wie Pina Bausch. „Die sagte zu mir: Du bist ein Tänzer! War ich nicht, aber ich durfte bei Proben dabei sein. Eine Tänzerin sollte ein bestimmtes Gefühl ausdrücken und schaffte es nicht. Da hat ihr jeder aus dem Ensemble seine Interpretation vorgetanzt. Bei der Aufführung hatte sie dann ihren eigenen Ausdruck gefunden. Und darum geht’s.“