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Der Tomatenmarkt macht Bekanntschaft mit ToBRFV (und passt sich daran an)

Present Transient

Der Stand der weltweiten Verbreitung des ToBRF-Virus, wie er von der EPPO auf einer Weltkarte festgehalten wird.

Die Abkürzung im Titel bedarf im Tomatenland keiner Erklärung mehr. Alle, die Tomaten anbauen, veredeln oder Tomaten verpacken sowie mit ihnen handeln, müssen sich mit dem Tomato brown rugose fruit virus (ToBRFV) auseinandersetzen. Mehr als zwei Jahre nach der ersten offiziellen Entdeckung des Virus in den Niederlanden ist das nun klar, und zwar nicht nur bei einer Infektion im eigenen Gewächshaus, sondern auch, weil der Markt in Bewegung geraten ist. So haben ToBRFV-Infektionen in diesem Sommer bereits zu einer Tomatenverknappung und damit zu ‘Winterpreisen’ geführt. Es wird erwartet, dass sich das Virus auch in der kommenden Saison auf den Markt auswirken wird, da die Aussaat beeinträchtigt wurde und die Produktionsspitzen sich dann verschieben.

Dass es sich dabei um einen ‘ToBRFVEffekt’ handelt, wurde in diesem Sommer zum ersten Mal deutlich - jedenfalls im Tomatenhandel. Das lässt sich dadurch erklären, dass die Infektionszahlen inzwischen stark angestiegen sind und sich das Virus nicht nur in den Niederlanden ausbreitet. Für Erzeuger und Veredeler ist das Virus schon seit einigen Jahren ein brisantes Thema und bereitet große Sorgen. Seit dem ersten offiziellen Fund von ToBRFV in den Niederlanden im Frühjahr 2019 hat sich das Virus weltweit rasant ausgebreitet. Das Virus ist leicht übertragbar und ‘hochgradig persistent’, wie es unter Virenspezialisten heißt. Das bedeutet, dass es lange Zeit ohne Wirtspflanze überleben kann – im Gewächshaus, auf Kleidung oder an Behältern. Im Jahr 2018 tauchte das Virus in Deutschland auf, während die wissenschaftliche Literatur den Ursprung des Virus in Israel im Jahr 2014 ausmacht. Das Pflanzenvirus, denn um ein solches handelt es sich, ist zwar für Menschen und Tiere nicht gefährlich, wohl aber für Tomaten, Paprika und Peperoni. Die bei weitem größten Probleme treten bei Tomaten auf. Direkt im Anschluss an die ersten Meldungen über das Virus wurde betont, dass es für Mensch und Tier harmlos ist. Das war auch sinnvoll, denn sobald ToBRFV in den Niederlanden ernsthaft in Erscheinung trat, verbreitete sich die Angst. Ein Virus und damit ‘negative Publicity’ für Tomaten kann, wie alle in der Tomatenwelt wissen, die die Wasserbombenkrise in den 90er Jahren erlebt haben, großen Schaden anrichten, vor allem finanziell. Was tun, wenn die Verbraucher beschließen, keine Tomaten (aus den Niederlanden) mehr zu kaufen, weil sie zu Unrecht Angst vor dem Virus haben?

Q-STATUS

In den letzten Jahren war das nie der Fall. Vor allem 2019 blieb es sehr ruhig um das Virus. Und zwar so ruhig, dass sich im Laufe des Jahres 2019 einige niederländische Experten veranlasst sahen, den Markt zur Veröffentlichung entsprechender Informationen aufzurufen. René van der Vlugt war im Juli 2019 einer von ihnen. „Ohne Transparenz gibt es keine wirklichen Schritte, und die sind dringend notwendig“, stellte er fest. [1] Einerseits betonte René, dass bei der Berichterstattung über Viren im Gewächshausgartenbau Vorsicht geboten sei, gerade wegen der Handels- und politischen Interessen, vor allem aber plädierte er dafür, ToBRFV als hartnäckiges Virus und echte Bedrohung ernst zu nehmen.

Im März 2019 machten in den Niederlanden die ersten Gerüchte über eigene ToBRFV-Funde die Runde. Doch erst im Oktober wurde eine offiziell bestätigte Kontamination gemeldet. Kurze Zeit später erhielt das Virus ab dem 1. November 2019 europaweit einen Quarantänestatus (Q). Dies bedeutet, dass man im Falle einer auch nur vermuteten Infektion verpflichtet ist, sich bei den Behörden zu melden. Bevor der Q-Status eingeführt wurde, lehnten die Niederlande einen solchen Status ab. Die Gründe dafür waren die „mangelnde Klarheit“ über das Virus zu diesem Zeitpunkt und die „erheblich größeren Auswirkungen auf ein Tomatenunternehmen im Falle einer Gewächshaus-Räumung im Vergleich zum Virus selbst“, wie sich ein NVWA-Sprecher im Mai 2019 ausdrückte. [2]

Mit dem heutigen Kenntnisstand besteht immer mehr Klarheit über die Verbreitung des Virus, wie beispielsweise die häufig konsultierte Virusverbreitungskarte der European and Mediterranean Plant Protection Organisation (EPPO) zeigt. [3] Gerade weil die Verbreitung so groß ist, weisen die Niederlande immer wieder auf die Nachteile des Q-Status hin. Dieser Status stellt für die Niederlande als großen, aber gleichzeitig in Bezug auf den Personalbestand kleinen Akteur eine große Belastung dar, wenn es beispielsweise um Virentests und Rückverfolgungsmaßnah-

men geht. Die NVWA sowie die National Plant Protection Organisation (NPPO) hoffen daher, die übrigen europäischen Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass nach dem Auslaufen des derzeitigen Q-Status im Mai 2022 letztlich mit Hilfe strenger Anforderungen an Saat- und Pflanzgut die weitere Ausbreitung des Virus verhindert werden kann. [4]

TOBRFV-ZÄHLER

Nach den ersten offiziellen niederländischen Infektionen hat die Zahl der ToBRFV-Infektionen zugenommen, die niederländische Behörde für Lebensmittel- und Konsumgütersicherheit (NVWA) führt darüber seitdem transparent Buch. Der letzte Zustandsbericht vom 13. September 2021 weist 29 infizierte Betriebe in den Niederlanden aus. Insgesamt wurde das Virus seit Mitte 2019 an 41 Anbaustandorten nachgewiesen. Erzeuger mit Infektionen werden überwacht und müssen ein Bündel amtlich festgelegter Hygienemaßnahmen erfüllen. [5] Die Erzeuger werden das Virus nicht so leicht wieder los. [5] Sie haben sich zwar im Laufe der Zeit an viele Viren gewöhnt, etwa an das Tomatenchlorosevirus (ToCV), aber ToBRFV könnte möglicherweise ein noch schlimmerer Feind sein. Bevor ToBRFV in Erscheinung trat, wurde 2018 viel über ToCV geredet. Das ist auch immer noch so, denn im letzten Herbst betonte der niederländische Virenkontrollverband TuinbouwAlert, dass ToCV immer noch „latent“ vorhanden ist. [6]

In der Zwischenzeit gelang es mehreren Erzeugern, das Virus vollständig zu eliminieren. Die NVWA sprach in ihrem Bericht vom 13. September von neun Orten, an denen das Virus offiziell „eliminiert“ worden sei. An einen Standort kehrte das Virus zurück, nachdem die Erzeuger die infizierten Pflanzen geräumt und das Gewächshaus gereinigt und desinfiziert hatten. Mittlerweile haben einige Landwirte aufgrund der Hartnäckigkeit des Virus beschlossen, auf andere Kulturen wie Gurken umzusteigen. Die Erzeuger reden nicht darüber, wie auch nicht gerne über das Virus gesprochen wird, aber allmählich gibt es doch eine größere Offenheit. Der Tomatenerzeuger Leo van der Lans beispielsweise war im vergangenen Jahr mehrmals in den Medien (Algemeen Dagblad, WOS), um über die ToBRFVInfektion zu sprechen, die seinen Betrieb weiterhin plagt und von der er seiner Meinung nach nie vollständig loskommen wird. „Wir werden damit leben müssen“, sagte er im September gegenüber WOS.

Eine mit ToBRFV infizierte niederländische Tomate. Foto von EPPO, Scientia Terrae Labor

[7] Die Erzeuger melden der NVWA Ernteverluste, wenn der Befall 5 bis 30 Prozent beträgt. Sie müssen nicht ihr gesamtes Gewächshaus räumen, aber die infizierten Pflanzen haben weniger Ertrag und müssen aus dem Gewächshaus entfernt werden, um eine weitere Ausbreitung und größere Schäden zu verhindern. Früchte mit Virussymptomen sind unter ästhetischen Gesichtspunkten unverkäuflich. Außerhalb der Niederlande wurde offiziell ebenfalls viel geschwiegen. Es gibt im Ausland keinen ToBRFV-Zähler, wie er von der NVWA geführt wird. Die belgische Bundesagentur für die Sicherheit der Lebensmittelkette (FAVV) beispielsweise verfügt über keinen derartigen Zähler, jedenfalls nicht öffentlich – was kein Vorwurf ist, sondern eine Feststellung. FAVV, wie auch NVWA und die Pflanzengesundheitsdienste in anderen Ländern, veröffentlicht allerdings Hygieneprotokolle, falls gewünscht auch die Anzahl der Infektionen. Ende Juni gab es in Belgien sechs offizielle Infektionen in Produktionsbetrieben. [8] In der Zwischenzeit wurde die Kontaminationskarte von EPPO, auch ohne ToBRFV-Zähler, immer bunter. Vor allem im letzten Jahr wurden in einem Land nach dem anderen Infektionen gemeldet. Häufig handelte es sich dabei um ‘Erstfunde’, aber Länder wie Spanien meldeten auch wiederholte Infektionen.

LÖSUNGSANSÄTZE

Seit Ende 2020 hört man nicht nur Meldungen über Infektionen, sondern auch über zukünftige resistente Sorten. Mehrere (große) Veredelungsunternehmen sind damit beschäftigt, in ihren Laboren und Demonstrationsgewächshäusern die Sorten mit Resistenzen zu versehen. Das ist jedoch weder ein einfacher noch ein schneller Prozess. Die Veredelung braucht wie immer Zeit. Mittlerweile haben die Veredelungsunternehmen ein Gen isoliert, das einer Tomate eine mittlere oder sogar hohe Resistenz gegen ToBRFV verleiht, wie es in der Veredelungssprache heißt. Für andere Tomatenviren erwies sich ein solches Gen als gute Lösung. Je höher die Resistenz, desto weniger Virussymptome (verfärbte Blätter, Flecken auf der Tomate) weist eine Pflanze auf. Mit den Sorten, die inzwischen an vielen Orten getestet werden, zielen die Veredelungsunternehmen auf Länder wie Mexiko und Regionen wie den Nahen Osten und den Mittelmeerraum. Eine weitere Lösung wäre ein Impfstoff – aber solange das Virus einen

Quelle: [1] Groentennieuws.nl/article/9123236/zonder-duidelijkheid-geen-echte-actie-en-dat-is-wel-hard-nodig/ [2] Groentennieuws.nl/article/9099994/wereld-wapent-zich-tegen-tobrfv/ [3] Gd.eppo.int/taxon/TOBRFV/distribution [4] magazines.nvwa.nl/jaarverslag/2020/01/het-tomatenvirus-bevorderde-de-samenwerking [5] Tuinbouwalert.nl/content/docs/Dossiers/ToBRFV/210629_Hygieneprotocol_Tomaat_versie_3.0_juni_2021_Def.pdf

Favv-afsca.be/professionelen/plantaardigeproductie/schadelijkeorganismen/_documents/20210611_MaatregelenToBRFVsubstraatteelttomaat_NL_000.pdf [6] Tuinbouwalert.nl/nieuws/eliminatie-tocv-dringend-advies-om-sectorplan-tegen-tocv-te-blijven-volgen/ [7] Wos.nl/nieuws/artikel/westlandse-kweker-getroffen-door-tomatenvirus-ik-kom-er-niet-meer-vanaf [8] Groentennieuws.nl/article/9335107/voor-het-eerst-tobrfv-in-hongarije-bulgarije-en-noorwegen/

Q-Status hat, ist seine Herstellung so gut wie unmöglich und illegal. Dies zeigte sich im vergangenen September in den Niederlanden, als die NVWA eine Razzia in einer Anlage durchführte, in der angeblich Versuche zur Entwicklung eines solchen Impfstoffs stattgefunden hatten. [9]

Die Landwirte warten sehnsüchtig auf solche Lösungen, aber sie sind auch realistisch und rechnen mit weiteren Herausforderungen nach ToBRFV. In der Zwischenzeit sehen sie sich gezwungen, in ihren Betrieben eine geradezu krankenhausähnliche Hygienepraxis einzuhalten. Wenn man heutzutage eine Tomatenzucht betritt, dann nur von Kopf bis Fuß bedeckt, und man hält sich mehr in Waschräumen auf als bei den Tomatenpflanzen. [10] Die Erzeuger haben nämlich in erheblichem Umfang in Waschmaschinen investiert, um die Kleidung ihrer Mitarbeitenden zu waschen, und auch die Behälter werden heute mit modernsten Geräten noch gründlicher gereinigt als früher. Die Reinigung der Behälter ist auch ein Thema für Handels- und Verpackungsunternehmen, in denen (wiederverwendbare) Behälter ein- und ausgehen. Bei Pflanzenviren und somit auch bei ToBRFV wird im All-

ToBRF-Virus-Symptome in einem deutschen Gewächshaus im Jahr 2018. Foto von EPPO, Heike Scholz-Döbelin (LWK NRW).

gemeinen empfohlen, die Behälterströme so weit wie möglich zu trennen und die Behälter schon vor dem Eintreffen zu reinigen und zu desinfizieren. [11] Alle diese Arten von Investitionen und Hygienekosten sowie die ständige Gefahr einer (Re-) Kontamination mit ToBRFV und die daraus resultierenden Produktionsausfälle belasten die Erzeuger schwer. Hinzu kam in vergangenen Herbst noch die Energiekrise. Die Strom- und Gaspreise sind in die Höhe geschnellt und die Erzeuger sehen sich veranlasst, ihre Strategie zu überdenken. Macht es noch Sinn, die Lichter voll aufzudrehen, wenn die Produktionskosten höher sind als die Erträge? Die Energiekrise, die zur ToBRFV-Situation hinzukommt, verspricht eine außergewöhnliche (Winter-) Saison, was derzeit vielleicht die einzige Gewissheit ist. 

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