Sonderausgabe
Gewächshausgemüse
Der Tomatenmarkt macht Bekanntschaft mit ToBRFV (und passt sich daran an) Tomaten (aus den Niederlanden) mehr zu kaufen, weil sie zu Unrecht Angst vor dem Virus haben?
Present Transient
Der Stand der weltweiten Verbreitung des ToBRF-Virus, wie er von der EPPO auf einer Weltkarte festgehalten wird.
Die Abkürzung im Titel bedarf im Tomatenland keiner Erklärung mehr. Alle, die Tomaten anbauen, veredeln oder Tomaten verpacken sowie mit ihnen handeln, müssen sich mit dem Tomato brown rugose fruit virus (ToBRFV) auseinandersetzen. Mehr als zwei Jahre nach der ersten offiziellen Entdeckung des Virus in den Niederlanden ist das nun klar, und zwar nicht nur bei einer Infektion im eigenen Gewächshaus, sondern auch, weil der Markt in Bewegung geraten ist. So haben ToBRFV-Infektionen in diesem Sommer bereits zu einer Tomatenverknappung und damit zu ‘Winterpreisen’ geführt. Es wird erwartet, dass sich das Virus auch in der kommenden Saison auf den Markt auswirken wird, da die Aussaat beeinträchtigt wurde und die Produktionsspitzen sich dann verschieben.
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ass es sich dabei um einen ‘ToBRFVEffekt’ handelt, wurde in diesem Sommer zum ersten Mal deutlich - jedenfalls im Tomatenhandel. Das lässt sich dadurch erklären, dass die Infektionszahlen inzwischen stark angestiegen sind und sich das Virus nicht nur in den Niederlanden ausbreitet. Für Erzeuger und Veredeler ist das Virus schon seit einigen Jahren ein brisantes Thema und bereitet große Sorgen. Seit dem ersten offiziellen Fund von ToBRFV in den Niederlanden im Frühjahr 2019 hat sich das Virus weltweit rasant ausgebreitet. Das Virus ist leicht übertragbar und ‘hochgradig persistent’, wie es unter Virenspezialisten heißt. Das bedeutet, dass es lange Zeit ohne Wirtspflanze überleben kann – im Gewächshaus, auf Kleidung oder an Behältern.
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AGF Primeur • Gewächshausgemüse • 2022
Q-STATUS In den letzten Jahren war das nie der Fall. Vor allem 2019 blieb es sehr ruhig um das Virus. Und zwar so ruhig, dass sich im Laufe des Jahres 2019 einige niederländische Experten veranlasst sahen, den Markt zur Veröffentlichung entsprechender Informationen aufzurufen. René van der Vlugt war im Juli 2019 einer von ihnen. „Ohne Transparenz gibt es keine wirklichen Schritte, und die sind dringend notwendig“, stellte er fest. [1] Einerseits betonte René, dass bei der Berichterstattung über Viren im Gewächshausgartenbau Vorsicht geboten sei, gerade wegen der Handels- und politischen Interessen, vor allem aber plädierte er dafür, ToBRFV als hartnäckiges Virus und echte Bedrohung ernst zu nehmen.
Im März 2019 machten in den Niederlanden die ersten Gerüchte über eigene ToBRFV-Funde die Runde. Doch erst im Oktober wurde eine offiziell bestätigte Kontamination gemeldet. Kurze Zeit später erhielt das Virus ab dem 1. November 2019 europaweit einen Quarantänestatus (Q). Dies bedeutet, dass man im Falle einer auch nur vermuteten Infektion verpflichtet ist, sich bei den Behörden zu melden. Bevor der Q-Status eingeführt wurde, lehnten die Niederlande einen solchen Status ab. Die Gründe dafür waren die „mangelnde Klarheit“ über das Virus zu diesem Im Jahr 2018 tauchte das Virus in Deutsch- Zeitpunkt und die „erheblich größeren land auf, während die wissenschaftliche Auswirkungen auf ein TomatenunternehLiteratur den Ursprung des Virus in Israel men im Falle einer Gewächshaus-Räuim Jahr 2014 ausmacht. Das Pflanzenvi- mung im Vergleich zum Virus selbst“, wie rus, denn um ein solches handelt es sich, sich ein NVWA-Sprecher im Mai 2019 ausist zwar für Menschen und Tiere nicht drückte. [2] gefährlich, wohl aber für Tomaten, Paprika und Peperoni. Die bei weitem größten Mit dem heutigen Kenntnisstand besteht Probleme treten bei Tomaten auf. Direkt immer mehr Klarheit über die Verbreitung im Anschluss an die ersten Meldungen des Virus, wie beispielsweise die häufig über das Virus wurde betont, dass es für konsultierte Virusverbreitungskarte der Mensch und Tier harmlos ist. Das war European and Mediterranean Plant Proauch sinnvoll, denn sobald ToBRFV in den tection Organisation (EPPO) zeigt. [3] Niederlanden ernsthaft in Erscheinung Gerade weil die Verbreitung so groß ist, trat, verbreitete sich die Angst. Ein Virus weisen die Niederlande immer wieder auf und damit ‘negative Publicity’ für Toma- die Nachteile des Q-Status hin. Dieser Staten kann, wie alle in der Tomatenwelt wis- tus stellt für die Niederlande als großen, sen, die die Wasserbombenkrise in den aber gleichzeitig in Bezug auf den Perso90er Jahren erlebt haben, großen Schaden nalbestand kleinen Akteur eine große anrichten, vor allem finanziell. Was tun, Belastung dar, wenn es beispielsweise um wenn die Verbraucher beschließen, keine Virentests und Rückverfolgungsmaßnah-