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Junge Menschen wie ich sind in der Branche rar gerade auch in führender Position“

Hendrik Schwan, der 24-jährige Geschäftsführer und Inhaber der Kartoffel Kuhn Großmarkt GmbH Mannheim: „Junge Menschen wie ich sind in der Branche rar, gerade auch in führender Position“

Hendrik Schwan ist der Geschäftsführer und Inhaber der Kartoffel Kuhn Großmarkt GmbH am Mannheimer Großmarkt. Nach einem dualen Studium bei Kaufland, widmete sich der 24-jährige Unternehmer der Arbeit bei dem Betrieb, bei dem er nun die Führung übernommen hat. „Ich arbeite seit gut zweieinhalb Jahren für die Kartoffel Kuhn Großmarkt GmbH und habe relativ schnell eine Stelle als Prokurist erhalten. Seit Juli 2021 bin ich als Geschäftsführer und Gesellschafter für das Unternehmen verantwortlich“, sagt Schwan. Schwan hält zudem fest, dass es sich bei der Kartoffel Kuhn Großmarkt GmbH Mannheim und der Kartoffel Kuhn GmbH Frankenthal um zwei unterschiedliche, inhabergetrennte Firmen handelt.

Das Großmarktgeschäft habe ihn schon immer gereizt, vor allem aber die Arbeit mit Obst und Gemüse. „Als ich noch im Einzelhandel gearbeitet habe, war mir bereits klar, dass ich in der Obst- und Gemüsebranche bleiben möchte. Man hat keinen direkten Bezug zur Ware im LEH. Zumal es im Einzelhandel oftmals nur darum geht, generell Waren und entsprechende Mengen erhalten zu können“, erinnert sich Schwan.

FRISCHER WIND AM GROSSMARKT

„Am Großmarkt hat man einerseits viel direkten Kontakt mit Kunden und Lieferanten, andererseits auch einen direkten Bezug zu den Produkten. Außerdem bin ich mir sicher, dass es sich um eine Branche handelt, bei der man auch digital noch viel herausholen kann. Junge Menschen wie ich sind in der Branche rar, gerade auch in dieser Position.“ Zum Beginn seiner Karriere habe er sich, vor allem auf Grund seines jungen Alters, durchaus erst noch beweisen müssen, wobei er mittlerweile ein äußerst gutes Verhältnis zu seinem Team pflege. „Erfahrung mitzubringen und Ahnung vom Geschäft zu haben, sind natürlich wichtig für die Branche. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass viele meine Jugend auch positiv sehen, weil ich frischen Wind mitbringe und eine neue Führungsphilosophie an den Tag lege“, sagt Schwan.

NACHWUCHSPROBLEME IN DER BRANCHE

Neben aktuell bestehenden Problemen und Widrigkeiten, zählt Schwan auch das zunehmend hohe Alter seiner Kunden, welche Wochenmärkte betreiben, zu den größten Herausforderungen, da abzusehen sei, dass es schlichtweg an Zuwachs in der Branche fehle. Aus diesem Grund müsse man Absatzkanäle außerhalb der typischen Großmarktkundschaft ansprechen.

„Einen Großteil unseres Absatzes erhalten wir über Auslieferungen, beispielweise an verschiedene Rewe/Edeka- und Mix-

Geschäftsführer und Inhaber Hendrik Schwan, Kartoffel Kuhn

Märkte in Süddeutschland. Natürlich zählt auch das typische Großmarktgeschäft mit Wochenmarkt- und Einzelhändlern dazu. Unabhängig vom Krieg in der Ukraine verlieren viele Wochenmärkte gerade ihren kurzzeitig neu erhaltenen Schub. Das ist vergleichbar mit der Situation für Metzgereien und Bäckereien. Wer will sich in meinem Alter noch am Wochenmarkt bei Wind und Wetter draußen hinstellen und das mitmachen? Das Interesse hieran ist, glaube ich, sehr begrenzt.“

UMGANG MIT PREISAUFSCHLÄGEN

Wochenmarkthändler mit einem hochpreisigen Sortiment könnten ihre Ware zwar weiterhin an Premiumkunden verkaufen, jedoch sei der Absatz für Kunden, die sich diese Ware aktuell nicht leisten könnten, stark rückläufig. „Diese Kunden geben ihr Geld - wenn überhaupt - eher für Frischware im Supermarkt aus“, weiß Schwan. Doch auch sein Betrieb habe mit den steigenden Kosten zu kämpfen. „Wir verladen selbst das Gemüse aus der Pfalz und liefern es teilweise an die Schweizer Grenze aus. Die Preise, die wir für Abholung und Zufuhr eigentlich realisieren müssten, sind nicht mehr so umsetzbar, wie wir es uns vorstellen. Schließlich befinden wir uns in einem Wettbewerb mit vielen anderen Betrieben und können dementsprechend nicht irgendwelche Preise aufschlagen, nur weil wir sie brauchen.“

Innerhalb von einem halben Jahr habe er bereits zweimal die Frachtgebühren um 5 Euro anheben müssen. Statt 15 Euro zahle ein Kunde nun 25 Euro. „Diese 5 Euro entsprechen aber gerade zwei Liter Diesel. Das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man überlegt, dass ein LKW durchschnittlich pro 100 km etwa 20 Liter verbraucht. Diese Preise an unsere Kunden weiterzugeben, ist aber auch schwierig, weil unsere Kunden selbst schauen müssen, wie sie ihre Kosten decken können. Das ist eine Preisspirale, die fast nicht aufzuhalten ist“, sagt Schwan.

NACHFRAGE WEITERHIN GUT

Bei exklusiven Produkten mit hohen Preisen, wie etwa zum Beginn der Spargelsaison, seien die Verbraucher zunehmend weniger bereit, mehr auszugeben. Allgemein gäbe es aber keine Produkte, bei denen er sagen könnte, dass die Nachfrage merklich nachgelassen hätte. „Kartoffeln könnten in diesem Jahr wieder ein Gewinnerprodukt sein, weil es bei diesem Produkt einfacher ist, mit wenig Geld seine Familie zu ernähren. Es ist aber noch zu früh, um das bewerten zu können.“

VON DER KARTOFFEL KUHN GMBH ZU SCHWAN REGIOFRUIT

In den nächsten Monaten plane der Betrieb die Umbenennung in „Schwan RegioFruit“, wie Schwan uns mitteilt: „Der Fokus liegt auf dem Vertrieb von regionalen Produkten aus der Pfalz, wobei wir natürlich auch weiterhin die Waren anbieten werden, die wir seit jeher anbieten. Wir wollen hierbei auch unsere Präsenz auf Facebook und Instagram verstärken. Hinzu kommt ein neuer Online-Shop samt App, die unseren Kunden mithilfe von künstlicher Intelligenz beim Kauf unterstützen soll.“ Die gesamte Supply Chain solle dabei durchdigitalisiert und im Einklang mit der Logistik organisiert werden. „Ähnlich wie bei DHL können wir angeben, in welchem Zeitraum die Lieferung bei unseren Kunden eintreffen wird.“ Schwan erkennt hierbei die Möglichkeit, „seine Jugend auszunutzen“, sprich: von seiner Erfahrung im Social-Media-Bereich zu schöpfen, um sich entsprechende Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Angesichts der aktuellen Lage spüre Schwan eine gewisse Verunsicherung am Mannheimer Großmarkt. „Es gibt einige Betriebe, die während Corona sehr hohe Umsätze erzielen konnten, andere hingegen nicht. Momentan ist es wiederum genau umgekehrt. Besonders erfreut über die Lockerungen dürfte aber vor allem die Gastronomie sein. Dass aber bereits die nächste Krise vor der Tür steht, bereitet ihnen schon Sorgen. Die Kosten betreffen natürlich alle Unternehmen, aber die Grundstimmung ist, glaube ich, in Ordnung. Mit dem zunehmend warmen Wetter und zum Start der Erdbeeren- und Spargelsaison sollte die Stimmung wieder steigen.“ 

grossmarkt@kartoffel-kuhn.de

Michiel Bontenbal, Chainn: „Bis 2025 wollen wir unsere Branche genauso prägen wie Bol.com und Amazon“

Chainn startete am 1. November 2018 in Barendrecht. Evert-Jan van Vliet, Pieter de Jong, Kees und Leo van den Heuvel – vier gestandene Obst- und Gemüse-Fachleute – lancierten eine neue Geschäftsplattform, um den Bedürfnissen von Abnehmern und Produzenten nach Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Effizienz in der Kette gerecht zu werden. Mehr als drei Jahre später arbeiten zwanzig Mitarbeitende bei Chainn. Vor kurzem hat Chainn einen neuen Hausstil eingeführt und ist in das oberste Stockwerk eines Gebäudes an der Autobahn A15 bei Barendrecht gezogen. „Wir sind das erste Obst- und Gemüse-Unternehmen, dem es gelingt, alle Glieder der Kette offen miteinander zu verbinden“, sagt Michiel Bontenbal, der am 1. März 2020 die Geschäftsführung übernommen hat.

Sie streben eine transparente Kette an. Wie machen Sie das?

Transparenz ist zu einem Sammelbegriff geworden, aber wir stehen tatsächlich dazu. Bei uns können Produzenten und Abnehmer nämlich jederzeit sehen, was in der Kette passiert. Mit unserer speziell entwickelten App haben sie in Echtzeit Einblick in die gesamte Lebensmittelkette. Unser Modell ist vollkommen gläsern, aber sie können selbst entscheiden, wie offen sie sein wollen. Wir arbeiten mit einem amerikanischen ERP-Paket des OracleSystems, das wir größtenteils haben anpassen lassen. Dieses Paket wurde von Anfang an in der Cloud erstellt. Die speziell entwickelte App ist die Linse, durch die man in unser System blickt. Die Nutzer sehen den genauen Status des Produkts, ob es bereits verkauft wurde, auf Lager ist oder sich auf dem Weg zu den Kunden befindet. Auch die Kosten für Kontrolle, Kühlung oder Lagerung werden beispielsweise offengelegt. Wenn ein Produkt verkauft wird, wird der Preis sichtbar. Der Lieferant kann also genau sehen, dass wir zum Beispiel einem Einzelhändler in Schweden 6 Euro berechnet haben und dass er unter dem Strich 5 Euro bekommt. Hinzu kommt der Abzug einer zuvor vereinbarten Marge für Chainn. Letztlich werden 80 Prozent des Gesamtumsatzes – so lautet die wichtigste Vereinbarung – vom Lieferanten direkt dem Kunden berechnet. Wir müssen da nicht mitmischen. Wenn der Erzeuger eine Verbindung zum Kunden aufbauen kann, dann gehen die ‚Anreize‘ unserer Meinung nach

Sogar der Tischtennistisch wurde dem Chainn-Design angepasst

in die richtige Richtung. Dann werden die Erzeuger verstehen, was die Kunden wollen, und die Kunden werden die Schwierigkeiten der Erzeuger besser verstehen.

Nach drei Jahren führen Sie bereits einen neuen Hausstil ein. Wieso?

Wir haben festgestellt, dass sich zu Beginn von Chainn alles um die Plattform drehte. Das führte zu einer Art babylonischer Sprachverwirrung, weil die Leute dachten, wir seien ein Softwareanbieter oder ein Marktplatz geworden. Auch der Stil erinnerte eher an ein IT-Unternehmen als an einen Obst- und Gemüse-Vermittler. Wir hatten die richtigen Ideen, aber wir wussten nicht, wie wir sie in Worte fassen sollten. Nach einer Reihe von Strategiesitzungen wurde ein neuer Hausstil eingeführt, der die Leidenschaft hinter unserer Arbeit viel besser zum Ausdruck bringt.

Wie haben die Produzenten auf dieses Geschäftsmodell reagiert?

Ganz unterschiedlich. Als wir anfingen – ich war seinerzeit noch nicht bei Chainn – hatten wir eine Gruppe von Erzeugern, die sofort mitmachten, weil sie den Leuten hier vertrauten. Die meisten von ihnen ahnten noch nicht, was sich ändern würde, aber sie vertrauten unseren Leuten. Inzwischen haben sich viele weitere Lieferanten angeschlossen. Dieses Modell ist besonders für spanische Gemüsegenossenschaften von Nutzen. Sie haben traditionell einige Schwierigkeiten mit dem Verkauf in anderen europäischen Ländern und fühlen sich oft von Zwischenhändlern benutzt. Für sie ist es eine Lösung, dass ein Unternehmen entstanden ist, das wirklich transparent arbeitet. Das bedeutet nicht immer, dass unter dem Strich eine höhere Gewinnspanne steht, aber sie wissen, dass die mitgeteilten Preise die tatsächlich erzielten Preise sind. Lieferanten und Kunden geben im Voraus an, wie offen sie sein wollen. Offenheit beinhaltet nämlich auch Verantwortung. Bei hohen Verkaufspreisen wollen alle Erzeuger offen sein, aber das Modell ist auch bei sehr schlechten Preisen transparent. Man erhält nicht nur die Vorteile, sondern auch die Lasten. Das ist so eine Sache, denn manche Erzeuger können nicht damit umgehen, wenn ihr Produkt unter dem Selbstkostenpreis verkauft wird. Letztlich geben die Produzenten im Voraus an, wie offen sie die Kette haben wollen. Aus diesem Grund entscheiden sich einige Erzeuger für einen garantierten Mindestpreis. Das ist auch in Ordnung und bietet in diesem Fall auch uns die Möglichkeit, etwas mehr Marge zu machen.

Und wie haben die Kunden reagiert?

Auch ganz unterschiedlich. Es gibt eine Gruppe von Kunden, die einfach nur Waren zu einem niedrigen Preis kaufen wollen. Natürlich können auch sie wegen einer Palette Orangen oder Zucchini zu uns kommen, aber das sind für uns die am wenigsten attraktiven Kunden. Unsere Einzelhandelskunden wollen gerne direkt mit der Quelle sprechen, und dafür ist unsere Plattform die Lösung, jedenfalls in ihrem extremsten Modell. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass viele Einzelhändler unsere App nutzen werden, aber wir geben auch ihnen die Möglichkeit dazu. In der Praxis sind es jedoch vor allem die Erzeuger, die den größten Bedarf an einer transparenten Kette haben.

Machen Sie sich mit einem solchen Geschäftsmodell nicht auf Dauer überflüssig?

Ich denke, dass wir irgendwann unsere Lieferanten und Kunden immer weniger entlasten müssen, was aber nicht schlimm ist, denn die Welt ist wirklich groß genug. Wenn unsere Kunden Spanien oder Marokko besuchen, bringen wir sie mit unseren Lieferanten in Kontakt. Wir brauchen uns also nicht zu zieren, wenn wir mit den Lieferanten über Kunden sprechen. Unsere Lieferanten bauen selbst eine Beziehung zu den Kunden auf, und wir können durch unsere Spezialisierung und Marktkenntnis einen Mehrwert schaffen. Da es bei uns immer weniger kosten wird, können wir es zu einer immer niedrigeren Marge anbieten. Der von uns betriebene Handel geht eher in Richtung Dienstleistung für die Erzeuger. Es gibt aber auch Erzeuger, die uns ihren gesamten Produktabsatz anvertrauen. Ein gutes Beispiel ist der spanische Erzeuger Berdea, der für seine King-Zucchini bekannt ist, ein mittelgroßer Zucchini-Erzeuger mit einem Premium-Produkt. Er möchte Anbauer bleiben und hat uns gebeten, einen Teil seiner Verkäufe in Europa zu übernehmen. Etwa 80 bis 90 Prozent der Produktion wird direkt für die Einzelhandelskunden verpackt und versandt, aber die Zucchinipflanze hat auch Spitzenproduktionszeiten und liefert manchmal abweichende Größen. In solchen Fällen werden die Zucchini in die Niederlande verschifft und alternative Märkte bedient. Anders verhält es sich bei Zitrusfrüchten, weil die oft als komplette Ernte in Barendrecht ankommen. Dank ihrer längeren Haltbarkeit werden sie etwas mehr ab Lager verkauft. Wir tragen das Risiko für die Erzeuger und fühlen uns verantwortlich, aber es bleibt dennoch ihr Produkt. Wenn Einzelhändler einen Preis bieten, fragen wir die Erzeuger, ob sie damit einverstanden sind. Natürlich geben wir Empfehlungen, aber letztlich entscheiden die Erzeuger, ob sie ihr Produkt zu diesem Zeitpunkt verkaufen möchten. Wir achten sehr auf die Margen, weil die vereinbarten Prozentsätze nach unserer Auffassung den von uns vertretenen Wert gut widerspiegeln. Und ich meine nicht nur nach oben hin. Gerade wenn wir mal einen höheren Preis erzielen können, versuchen wir, ihn an die Erzeuger weiterzugeben. Auf diese Weise sorgen wir für eine kontinuierliche Wertschöpfung und binden die Lieferanten an uns. Wir können das mit einer relativ hohen Marge und einem gut eingespielten System erreichen.

Das klingt alles bestens, aber müssen Sie sich nicht auch mit den günstigen Preisen der Supermärkte auseinandersetzen?

Genau daran beteiligen wir uns als Chainn nicht. Wir wollen in diesem Bereich keine Stellung beziehen. Und natürlich ist es manchmal schwierig, wenn ein interessierter Einzelhändler auftaucht. Aber bei Ausschreibungen und bei der Arbeit mit saisonalen Preisen gibt es immer einen Verlierer in der Kette, und der befindet sich oft auf einer Seite. Wir versuchen, sehr effizient zu arbeiten, aber wir wollen, dass die Erzeuger einen fairen Preis für ihr Produkt bekommen. Wenn wir hier nachgeben, geben wir unser Geschäfts-

- Pieter de Jong zu Besuch bei Lieferanten

modell auf. Bei Chainn geht es nicht um den billigsten Handel. Wenn Erzeuger an einer Ausschreibung teilnehmen möchten, ist dies selbstverständlich in Ordnung. Im Rahmen unseres Systems können Erzeuger dieses Risiko eingehen, wenn sie möchten, und wir wollen sie da auch gerne entlasten, aber das ist dann ihre eigene Entscheidung.

Wie sind Sie zu Chainn gekommen?

Chainn wurde von den vier Gesellschaftern Evert-Jan van Vliet, Kees und Leo van den Heuvel und Pieter de Jong gegründet. Sie hatten die Anteile gleichmäßig aufgeteilt und nach dem ersten Jahr einen ordentlichen Umsatz erzielt. Sie merkten aber auch, dass trotz der vielen Geschäfte nicht an der Organisation an sich gebaut wurde. Ihnen fiel auf, dass sie schnell im favorisierten Tagesgeschäft aufgingen, aber ihnen fehlte der Blick von einer höheren Warte. Deshalb haben sie mich gebeten, Direktor zu werden. Wir haben eine sehr flache Organisation und arbeiten als ein richtiges Team. Der große Vorteil ist, dass die Gründer ihren spanischen oder südafrikanischen Lieferanten oder deutschen Kunden viel Aufmerksamkeit schenken können. Hinter der Steuerung steckt eine Menge Wissen. In vielen Unternehmen sieht man, dass solche Mitarbeitende aus dem Prozess herausgenommen werden und für ein immer größeres Paket Verantwortung übernehmen oder mehr verwalten müssen, wobei alle wissen, dass gute Händler oder Account Manager nicht immer auch ein guter Personalmanager sind.

Erforderte dieses neue Geschäftsmodell auch eine interne Neuorientierung?

Klar, auch dabei haben wir eine echte Entwicklung durchgemacht. Als ich hier anfing, waren alle um viertel vor sieben bei der Arbeit. Die Preise mussten angepasst werden, und das musste vor sieben Uhr passieren. Bis 11 Uhr waren dann alle sehr mit dem täglichen Geschäft beschäftigt. Ja, das war oftmals besser hinsichtlich der Gewinnspannen, aber wir mussten wieder zur Basis zurückkehren und uns dann die Frage stellen, was wir eigentlich tun. Dabei haben uns Strategiesitzungen geholfen. Der Tageshandel ist nicht unser Kerngeschäft. Deshalb haben wir irgendwann mal um halb acht Uhr angefangen. Und wir sind wählerisch bei den Erzeugern, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir mussten wirklich lernen, dass die Erzeuger uns nicht ihren gesamten Handel aufdrücken können. Wir tun alles, um unseren Erzeugern zu helfen, aber wir wollen keine Abraumhalde sein.

Wie wichtig ist die Produktspezialisierung für Sie?

Sehr wichtig. Wir haben eine Reihe von Grundpfeilern. Bei uns sind das Zitrusfrüchte, Gemüse und Melonen. Bei Zitrusfrüchten machen wir während der spanischen Saison nicht so viel, weil wir glauben, dass wir hier keinen großen Mehrwert schaffen können. Dann werden wir nämlich wieder zu Händlern, und genau das wollen wir nicht. Von der marokkanischen an bis zur überseeischen Saison bewältigen wir jedoch erhebliche Mengen. Bei Gemüse arbeiten wir dagegen viel mehr mit Genossenschaften aus Murcia und Almeria zusammen, sowohl bei Gewächshausgemüse als auch bei Freilandgemüse und Kräutern. Auch Marokko ist ein wichtiger Lieferant. Es bestand ein Bedarf an guten Tomatenproduzenten, und insbesondere der Anbau von Strauchtomaten ist in diesem Land im Kommen. Auch bei Melonen sind wir zu bestimmten Zeiten sehr stark. Wir müssen nicht das ganze Jahr über alle Produkte anbieten. Warum sollten wir niederländisches Gewächshausgemüse anbieten? Die Erzeuger werden hier von den Kooperativen und Vertriebsorganisationen gut betreut. Wir fügen dem nichts hinzu. Natürlich können wir Paprikaanbauer an uns binden, die wahrscheinlich auch einen guten Preis für ihr Produkt bekommen werden, aber das ist nicht der Grund, warum wir hier sind. Das können zehn andere nämlich auch. Produktspezialisierung ist für uns sehr wichtig. Anfangs haben wir uns alles geschnappt, wenn sich jemand meldete, aber das ist vorbei. Das heißt nicht, dass wir unsere Produktpalette niemals erweitern werden, aber bevor wir das tun, muss schon klar sein, dass wir einen Mehrwert schaffen. Erst wenn das der Fall ist und wir die richtigen Erzeuger und Kunden haben, können wir diesen Schritt tun. Wir wollen nicht zu einem Unternehmen werden, das allen das gesamte Sortiment verkaufen will. Ich halte mehr davon, ab und zu nein zu sagen, als alles abzunicken. Menschen, die alles verkaufen wollen, sollten auf dem Markt arbeiten. Sie sind Halbspezialisten, sie wissen ein wenig über alles, aber nichts Genaues.

Wie verteilt sich Ihr Umsatz auf die einzelnen Segmente und Märkte?

Unsere Kunden sind über ganz Europa verteilt. In den Niederlanden beliefern wir ein paar große Einzelhändler, aber auch die Verarbeitungsbranche und das Gaststättengewerbe. Wir bedienen diese drei Branchen in vielen Ländern. Mit unserem Gemüse sind wir zum Beispiel in den skandinavischen Ländern und auf dem osteuropäischen Markt gut vertreten. Die größten Wachstumschancen bei Gemüse bestehen für uns auf dem deutschen Markt. Mit Zitrusfrüchten wiederum sind wir ein wichtiger Spieler im niederländischen Gaststättengewerbe. Außerhalb der spanischen Saison bewegen wir uns wieder mehr in Richtung Frankreich und Spanien. Für den Handel, der außerhalb von Verträgen stattfindet, liefern wir auch an Zwischenhändler. Wir nehmen das ernst und versuchen auch, ihre Erwartungen zu übertreffen, aber wir bauen unser Geschäft nicht darauf auf.

Welche Auswirkungen hat die Situation in der Ukraine auf Ihren Handel?

Das ist sehr spannend. Letztendlich glauben wir, dass der Handel wieder zum Zuge kommen wird, denn schließlich müssen auch die Russen und Ukrainer etwas essen. Übrigens haben wir in Russland praktisch nicht und in der Ukraine auch nicht viel gehandelt. Man sieht allerdings, dass wir jetzt viele Anrufe von ägyptischen Zitrusanbauern erhalten, die sonst einen großen Teil ihres Volumens nach Russland verkauft haben. Normalerweise würde der Preis sinken, aber die Kosten für Rohstoffe, Transport und Verpackung sind derzeit wesentlich höher. Das ist ein Teufelskreis. Man arbeitet nämlich mit Produzenten zusammen, für die man sich verantwortlich fühlt. In Spanien wird die gleiche Diskussion geführt, allerdings bei hohen Energie- und Rohstoffpreisen. Und die Supermärkte reagieren langsamer auf Preiserhöhungen als die Erzeuger, die das spüren. Manchmal werden Angebote zurückgezogen, weil sie einfach nicht mehr zu halten sind. Normalerweise arbeiten wir fast ausschließlich auf Vertragsbasis, aber das ist für uns der Grund, das vereinbarte Volumen für einige Produkte bewusst zu reduzieren. Diese Mengen werden mit Sicherheit auf uns zukommen, aber wenn man jetzt alles in Verträgen festlegt, wird jemand die Zeche zahlen, und davon haben weder die Kunden noch die Lieferanten etwas.

Gab es noch nie Lieferanten, die sich an Chainn beteiligen wollten?

Die gab es durchaus, aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Wenn man das täte, würde man mehr Finanzkraft erhalten, aber mit unserem Geschäftsmodell braucht man bereits weniger finanzielle Mittel als mit dem althergebrachten Modell. Es passt auch nicht zu unserem Modell, denn wir wollen noch tiefer in die Kette einsteigen und suchen nicht nach den größten Handelspartnern. Wir wollen Erzeuger die Möglichkeit geben, ihr Produkt gut zu verkaufen und einen fairen Preis bezahlen.

Sie haben mehr als sechzehn Jahre bei Looye Kwekers gearbeitet, einem der wenigen Markenunternehmen in unserer Branche. Können Sie auf diese Erfahrung zurückgreifen?

Das ist eines der Dinge, die ich ein wenig vermisse. Als Erzeuger ist man selbst verantwortlich für sein Produkt und kann damit machen, was man will. In meinem vorherigen Job hatten wir mit fast allen Einzelhändlern zu tun. Das haben wir hier nicht. Wir wollen auch hier ein Qualitätsgütesiegel für Zitrusfrüchte schaffen, damit die Verbraucher immer eine wohlschmeckende Orange bekommen. Ich denke, das ist eine Marktlücke. Jetzt schwankt die Qualität eines Netzes Apfelsinen zu oft und Verbraucher kaufen sie ein paar Wochen lang nicht, weil sie denken, dass sie eben zur Zeit nicht schmecken.

Suchen Sie auch nach Nischenprodukten wie etwa speziellen Sorten oder Bio?

Bio ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Pakets, aber die wirklichen Nischen, zum Beispiel bei den Sorten, werden von uns nicht bedient. Wir suchen allerdings bei den von uns geführten Produkten nach den besten auf dem Markt. Unsere Zucchini und Orangen zum Beispiel sind wirklich besser als der Standard auf dem Markt. Dafür wird dann auch ein Spitzenpreis bezahlt.

Ist die Produktverfügbarkeit ein Thema?

Bei einigen Produkten ist das sicherlich der Fall. Das Melonenangebot war in dieser Saison sehr knapp, und das Zitrusangebot ist traditionell mal so, mal so. Der Zitronenmarkt war in den letzten Jahren recht gut, aber jetzt sieht man, dass viel angepflanzt wurde und die Preise stärker unter Druck stehen. Natürlich haben wir es mit einem Naturprodukt zu tun, aber es kommt selten vor, dass wir wegen plötzlicher Verknappung in echte Probleme geraten. Das liegt auch daran, dass wir so transparent arbeiten. Wenn es mal so stark geregnet hat, dass nicht geerntet werden kann, ist das Verständnis zwischen Erzeuger und Abnehmer größer. Wir halten unsere Kunden auch über die Entwicklung des Anbaus auf dem Laufenden, unter anderem durch einen wöchentlichen Bericht, damit sie wissen, dass sie beispielsweise bei einer anstehenden Schlechtwetterlage aufpassen müssen.

Könnte es nicht schöner sein, wenn Sie beispielsweise beim Handelszentrum ‚on top‘ wären?

Wenn wir auf unserem Handel sitzen würden, müssten wir reisen, denn über 80 Prozent gehen direkt an die Kunden und wir sehen es hier nicht wieder. Dies bedeutet, dass es keine Zwischenschritte gibt. Der Transport erfolgt direkt zu den Kunden und das Produkt ist somit viel frischer. Wir arbeiten auch gerne etwas windgeschützt, abseits des Geländes. Wir haben keine Ambitionen, ein eigenes Magazin einzurichten. Unsere Logistikpartner befinden sich in der Nähe und sind in einem ganz anderen Bereich tätig. Nur wenige sind darin wirklich gut. Also auch hier gilt: Wenn Sie es gut können, tun Sie es, und wir übernehmen die Dienstleistungen. Wenn man alles selbst machen will, dann bewegt man sich meist auf etwa 80 Prozent des Niveaus eines echten Spezialisten. Chainn liegt auch bewusst nicht im Handelszentrum. Womit man zu tun hat, damit wird man angesteckt. Das mag seltsam klingen, aber ehe man sich versieht, wird man von all den Kollegen gedrängt, mehr als Händler zu arbeiten. Wir besinnen uns auf unseren eigene Kraft.

Ein Teil des Chainn-Teams im neuen Bürogebäude

Worauf achten Sie bei der Einstellung von neuen Mitarbeitenden?

Wir investieren nicht in alte Erfahrungen. Wir arbeiten viel mit jungen Menschen, und wir freuen uns, wenn sie gut ausgebildet sind. Außerdem arbeite ich gerne mit vielen verschiedenen Kulturen, Religionen und Menschentypen zusammen. Wenn ich viele kommerzielle Haudegen vom alten Obst- und Gemüse-Schlag anlocken würde, so wäre das ein Rückzug in die althergebrachte Welt, und das wollen wir vermeiden. Für uns gilt der Grundsatz: Wer etwas kann, soll es machen. Damit meinen wir, dass Spezialisten ran müssen. Wenn ein Junior mehr über etwas weiß als ein erfahrener Mitarbeiter, dann soll er oder sie nach vorne kommen! Wir wollen hier so viel Freude wie möglich haben. Deshalb haben wir das neue Büro so angenehm wie möglich eingerichtet. Jeden Tag sorgt zum Beispiel jemand anderes für ein gutes Mittagessen, denn wir wollen diesen Teamgeist erhalten. Unsere Leidenschaft bewirkt, dass wir immer wieder neue Anforderungen an uns stellen und versuchen, unsere Dienstleistungen jeden Tag zu verbessern. So möchten wir für unser Team gerne einen Kundenbetreuer für den Einzelhandel hinzuholen, der sich mit dem Spiel auskennt. Ein gewisses Maß an Erfahrung ist sicherlich wünschenswert, aber die kann durchaus auch in anderen Bereichen der Frischwarenbranche erworben sein.

Wie hat sich Corona auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?

Ich habe im März 2020 angefangen, also habe ich bisher nur Corona erlebt. Bei allem Respekt vor den Menschen, die die negativen Folgen von Corona erlebt haben – für uns hatte es in erster Linie positive Auswirkungen. Wir haben ein bisschen Gastronomie beim Umsatz vermisst, aber das wurde durch die Einzelhandelskunden mehr als kompensiert. Außerdem war es für mich ideal, das gesamte Team zwei Jahre lang beisammen zu haben. Gerade jetzt, wo wir ein neues Modell einführen, lässt sich wirklich ein Team aufbauen. Das wäre sonst nicht möglich gewesen, weil immer Mitarbeitende unterwegs sind. Das hat es uns ermöglicht, ein starkes, eng aufeinander abgestimmtes Team aufzubauen. Die Unternehmensphilosophie ist in unserer Organisation von unten nach oben verankert. Daher muss ich inhaltlich nicht viel korrigieren. Aber natürlich sind wir jetzt froh, dass Corona wieder rückläufig ist. Wir boten die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, aber letztendlich haben doch alle größtenteils vor Ort gearbeitet. Wir haben die Mitarbeitenden allerdings nachdrücklich aufgefordert, die Maßnahmen am Arbeitsplatz und im privaten Bereich ernst zu nehmen. Im Team haben wir in den ersten anderthalb Jahren glücklicherweise keine Infektionen gehabt.

Erwarten Sie nicht, dass weitere Unternehmen Ihr Geschäftsmodell kopieren werden?

Das wird sicher passieren, aber es ist nicht für jeden einfach. Unternehmen mit einem großen Team oder einem eigenen Depot haben einen erheblichen Kostenaufwand. Anschließend muss Volumen durchlaufen. Wenn Russland dann mit einen Boykott kommt, hat man ein richtiges Problem. Wir tragen auch Verantwortung für zwanzig Mitarbeitende und ihre Familien, also das sind ganz andere Kosten. Wir müssen auch nicht die Größten werden oder die dicksten Autos vor der Tür stehen haben. Ehe man sich versieht, ist man über sich selbst hinausgewachsen. Wir halten es für wichtig, ein bisschen Ruhe und Planungssicherheit einzubauen. Und wir wollen auch Freude haben. Man hört es einfach gerne, wenn ein Erzeuger in Südafrika erklärt, warum er seinen Handel über unser Modell abwickeln will. Letztendlich hoffen wir, dass weitere Unternehmen unserem Geschäftsmodell folgen werden, weil man mehr Parteien braucht, um dieses Konzept zur neuen Normalität zu machen. Hoffentlich kommt morgen eine weitere App heraus, das wird auch uns stärker machen. Unser System funktioniert hervorragend, aber es ist nur ein System, das uns hilft, unsere Ziele zu erreichen. Wir unterscheiden uns durch unsere Arbeitsweise und Leidenschaft. Es ist wie beim Radfahren: Sie brauchen ein gutes Fahrrad, aber die Tour de France gewinnt man dadurch noch nicht.

Sie sind digital bestens ausgestattet. Können teure Implementierungen Sie nicht den Kopf kosten? Und haben Sie genügend IT-Wissen im Haus?

Wenn ich mir unsere Plattform anschaue, dann hat sie sicherlich Geld gekostet, vielleicht manchmal zu viel. Aber das gehört eben dazu, um die Nase vorn zu haben. Es geht einem immer nahe, wenn man Geld ausgibt. Allerdings glaube ich daran, dass man Dinge gemeinsam angehen sollte, um die Kosten zu senken. Das Wissen haben wir auf jeden Fall. Ich selbst habe einige Erfahrung mit der Einführung eines neuen Pakets. Wir haben auch eine Mitarbeiterin im Haus, die eine echte IT-Spezialistin ist. Ich brauche nicht noch unbedingt eine komplette IT-Firma an meiner Seite zu haben, dafür gibt es Spezialisten.

Sie haben in den letzten Jahren eher im Hintergrund gewirkt. Ist dieses Interview der Auftakt für weitere Neuigkeiten?

Wir hielten es in der Tat für angebracht, nicht die Öffentlichkeit zu suchen, obwohl wir uns fachlich auf dem Markt wirklich Sporen verdient haben. Wir wollen das auch weiter fördern. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, im Jahr 2025 unsere Branche genauso zu prägen wie Bol.com und Amazon in ihrem Bereich. Die haben den Markt wirklich in eine neue Ära geführt. Wir wollen das attraktivste und bekannteste Verbindungsstück in unserer Branche sein. Aber dazu müssen wir mehr an die Öffentlichkeit herantreten, sonst sind wir vielleicht klasse, aber es kennt uns niemand. 

michiel@chainn.nl