Alpenpost 02/2022

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Bewegte Bilder: Kinogeschichte in Bad Aussee Kurz vor Jahreswechsel starb in Bad Ischl der ehemalige Inhaber der Kurtheater-Tonlichtspiele Bad Aussee, Günther Stüger, im 93. Lebensjahr. Er war wohl der letzte Kinooperateur, der die Anfänge der bewegten Bilder auf Leinwand miterlebt hat. Ein kleiner Streifzug durch die Welt des heimischen Kinos und der Geschichte der Lichtspieltheater im Ausseerland. VON FLORIAN SEIBERL

Bevor Bad Aussee über ein eigenes Kino verfügte, gab es WandertheaterAufführungen in Zelten. Diese machten zum Beispiel am Schöller-Platz (ehem. Autohaus Barthelt, nun Rüsthaus der FF Bad Aussee) halt. Den Gästen wurde allerlei Kurzweil geboten, wie zum Beispiel ein Rummelplatz mit Ringelspiel, Seiltänzer und einem

worden, der es ermöglichte, die neue Technik der lebenden Photographien nunmehr auch in die kleinsten Dörfer zu tragen. Der Kinematograph, zu deutsch Bewegungsschreiber, hatte als Produkt des Hochkapitalismus und der industriell-technischen Revolution des späten 19. Jahrhunderts seinen europäischen Ursprung in Frankreich. Dort waren es vor allem die Ge-

lange Kurzfilme: Die Wiener Feuerwehrzentrale Am Hof, Verkehr auf der Kärntnerstraße und der PferdeSattelraum nach einem Preisrennen in der Wiener Freudenau, dann eine der berühmt werdenden Wochenschauen aus Frankreich. Am 17. April 1896 wohnte sogar Kaiser Franz Joseph einer Mittagsvorführung der lebenden Photographien bei, wonach auch die cinematographische Hofberichterstattung zugelassen wurde. Einer dieser ersten Filme zeigte denn auch den Kaiser auf der Jagd in Ischl. Die weitere technische Entwicklung der cinematographischen Bilder überschlug sich. Wanderkinobesitzer trugen das neue Medium in die letzten Winkel der Provinz. Schon zu Ostern 1889 hatte Friedrich Gierke in einer „Arena” am Hofplatz (Chlumeckýplatz) acht Tage lang mit einem „Großen Mechanischen Weltund Automaten-Theater” gastiert, in

Gierke mußte die benötigte Elektrizität mit einer mitgeführten 25 PS starken Dampfmaschine erzeugen, deren Lärm und Rauchentwicklung aber sehr störte. Auch am Außerwerkplatz (Fachwerk) in Ausee gastierten Schausteller mit ähnlichen Programmen. So wurde z. B. 1906 der Seitzsche Elektro-Kinematograph vorgeführt, nach dessen einstündiger Abendvorstellung um 9 Uhr dann noch ein eigenes „HerrenProgramm” gezeigt wurde. Dieses Herren-Programm stammte von der weltweit führenden Wiener ErotikProduktionsfirma Satern, die 1911, nachdem sie einen reich bebilderten, vielsprachigen Verkaufskatalog herausgegeben hatte, von der Zensurbehörde geschlossen werden mußte. Von 25. bis 27. September 1908 gab es sogar einen „Riesen-

Ein Cinematograph im Institut Lumière.

Foto: WikiCommons

Schlüpfrige Abendunterhaltung für Herren

Ein Plakat für eine Festvorstellung anlässlich des Geburtstages von Kaiser Franz Josef. Foto: theatermuseum.at

kleinen Zirkus und eben auch einem Kinematographen, der als großer Anziehungspunkt wirkte. „Es wurden dabei drei Kurzfilme von cirka zehn Minuten Länge gezeigt“, wie sich das Ausseer Original Edi Deubler in einem Interview erinnerte.1) Neue Technik für die perfekte Illusion

Diese Wanderkinos waren in der österreichisch-ungarischen Monarchie rund um die Jahrhundertwende groß in Mode gekommen und eine Reihe von Schaustellern zog durch die Kronländer. Das Wort „Kino“ leitete sich vom Apparat ab, der für diese Vorführungen unerlässlich war: der Kinematograph. Mit der Konstruktion leistungsfähiger Optiken mit verbesserten Brennweiten, präziser und verschleißfreier feinmechanischer Bauteile und strahlstarker Lampen mit stabilem Licht sowie mit der Entwicklung hochlichtempfindlicher Filmemulsionen war in den erste Jahren des 20. Jahrhunderts ein technischer Durchbruch erreicht 12

brüder Auguste und Louis Lumière, die ab 1895 einen weltweiten Vertrieb von Kinofilmen aufbauten, der vielfach nachgeahmt wurde. Es handelte sich damals aber noch nicht um lange Spielfilme mit in sich geschlossenen Themenkreisen, wie wir sie heute kennen, sondern um Kurzfilme, die das Wesen dieser sich bewegenden Bilder deutlich machten. Tränen, Mitleid, Moral, ja sogar Schadenfreude vermittelten auf industriellem Wege ein Einfühlungsvermögen wie es nie zuvor möglich war. In Wien wurde der erste Cinématographe-Apparat der Firma Lumière am 20. März 1896 in der k.k. graphischen Lehr- und Versuchsanstalt vorgeführt. Die Apparatur konnte unabhängig von elektrischer Energie bedient werden. Nach der polizeilichen Bewilligung wurde der Apparat in ein neues Vorführlokal in die Krugerstraße übersiedelt, wo am 26. März 1896 die erste öffentliche Vorführung in Österreich stattfand. Es handelte sich um mehrere, je eine Minute

dem er neben scherzhaften humoristisch-mechanischen Metamorphosen vorführte: 1.) Den Golf von Neapel bei Tagesanbruch, 2.) Den großen Brand von Moskau im Jahre 1812 nebst Einrücken der kaiserlichfranzösischen Armee unter Napoleon I., 3.) Eine automatische Künstlergesellschaft und 4.) Das Wandel-Diorama, beleuchtet mit dem Drummondischen Kalklicht (Hydrooxigengas). 4)

Kinematographen mit lebensgroßen Figuren in natürlicher Bewegung von den neuesten und größten Szenerien der Gegenwart” zu sehen. Zur Steigerung der Attraktivität dieser Vorführungen wurden vor deren Beginn Ringkämpfe ausgetragen, zu denen man Anmeldungen aus der Bevölkerung entgegennahm. Bis 1912 nahmen die Vorführungen von Kinematographen durch wandernde Schausteller stets zu, sodass das


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