Unterwegs In Richtung des Ausstieges befinden sich silbrige feste Plattenzonen, die mit Sand uhren abgesichert werden Fotos: Barbara Holzer
Die Geschichte einer Erstbegehung Aus einer alten Route entspringt eine neue Kaum eine Route begleitet mich von Jugend an bis zum heutigen Tag wie der Weg von Soldà, der durch die steilen Abgründe des Piz Ciavazes der Sella zieht.
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ie Besten der damaligen Klet terszene erzählten mit Schau dern von der Durchsteigung der Südwestwand der Marmolata, die Gino Soldà in der Vorkriegszeit eroberte. Wasserfälle, die aus einer eisigen Ausstiegsschlucht entspringen, schwere Quergänge, gelber, nicht im mer zuverlässiger Fels, schaurige Überhänge und natürlich extreme, alpine Schwierigkeiten waren die Kennzeichen einer Route von Soldà. Ein Münchner „Sestogradist“ erwähn te den Namen Soldà, lachte ver 86
Bergeerleben 01/21
schmitzt und ironisierte: „Herrlich war es, biwakiert und gefroren haben wir. Im schwarzen glitschigen Kamin ist mein Kollege geflogen, ja, außer ordentlich herrlich war es!“ Er meinte mit diesen Kommentaren genau ge nommen, dass sie noch einmal glimpf lich davongekommen waren. Die heranreifende Idee Eine halbe Seite widmete ein Führer, der mir 1977 zufällig in die Hände fiel und den ich mit größter Neugier durchblätterte, der Route von Gino Soldà und Guido Pagani, die 1947 die Wand durchkletterten. Es hieß, dass sie nicht zu empfehlen sei, kaum Wie derholungen aufweise; sie sei nass, brüchig und führe durch eine wulstarti ge Schlucht. Ein Doppelüberhang bil
det die Schlüsselstelle und ein Quer gang, der aus der zentralen Wand nach rechts führt, sei äußerst heikel abgesichert. Welche gruselige Nei gung, dachte ich mir, muss dieser itali enische Kletterer gehabt haben, wenn er durch schluchtähnliche Wandzonen mit jähen und schaurigen Felsforma tionen klettert. Der Name Soldà ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Im gleichen Jahr war ich mit Freun den am Sellapass. Ich blätterte in dem besagten Führer und meinte scherz haft, dass doch die Soldà für uns alle geeignet wäre. Sie wird wenig wieder holt, jetzt im Herbst sei sie aber doch sicherlich trocken und biete eine Gele genheit für ein besonderes Abenteuer. Die Freunde zeigten wenig Begeiste rung. Der Älteste meinte, dass aus die sem Abgrund keiner lebend heraus kommen könne. Alleingang durch die Soldàführe Heimlich, ohne den Freunden Bescheid zu sagen, wanderte ich vom Sellapass hinüber zu der Schlucht, in der das Abenteuer mit seinen Geheimnissen beginnen sollte. Nach einigen leichten Felsen strebte ich, wie von unsichtba ren Händen angezogen, in das Zent rum des Schluchtgrundes. Dort war es nicht mehr ganz so hell wie draußen. Der Name Soldà hatte in mir bereits einen derartig tiefen Eindruck hinter lassen, dass ich nur das Schauderhaf teste an den Felsen suchte; dass ich aber die schönen Felsen des Original aufstieges b ereits verfehlt hatte, war mir nicht bewusst. Viele moosige, schwarze, beschich tete Kamingründe kamen meinen Sin nen entgegen. Einmal spreizend, ein mal stemmend arbeitete ich mich diesen Schlund empor. Haken oder Standplätze waren nicht vorhanden. Es folgte ein großer Klemmblock, der sich aber mit Eleganz überspreizen ließ, und bald erreichte ich das große Band in der Mitte der Wand.