STADTSICHT Sept 2021

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KREATIV

Das sei leider so oder zum Glück, je nach Be­trach­ tungsweise. Mittlerweile leben rund 80 000 Spanie­r innen und Spanier in der Schweiz, die meisten davon sind gänzlich integriert. «Die meisten meiner Lands­ leute benö­tigen heute keine Unterstützung mehr im klassi­ schen Sinn», bemerkt Miguel. Dennoch, der Verein ver­ anstaltet nach wie vor Deutschkurse oder Kurse in In­ formatik (Excel, Word, Internetnutzung usw.) und in Zusammenarbeit mit der Pro Senectute Luzern gar Gymnastik-Lektionen für ältere Semester. Dafür wird er nach wie vor vom spanischen Staat finanziell unter­ stützt. Gesellschaftlicher Schmelzpunkt

Maria Garcia, 1956 in der Hafenstadt Vigo an der Nord­ westküste Spaniens geboren, ist als Wirtin im «Cen­ tro» für das leibliche Wohl ihrer Gäste zuständig. Die energiegeladene Galizierin ist seit mehreren Jahren die gute Seele in der Küche sowie hinter und vor der Theke. Die gelernte Schuhverkäuferin verliess 1981 mit ihrem Mann das heimische Galizien, wie sie sagt, «aus reiner Reiselust oder Fernweh heraus, nicht etwa aus wirtschaftli­ cher Not». Ihr Mann hat­ «Ich verliess 1981 mit te eine gute Anstellung meinem Mann Galizien in Vigo, sie ebenfalls. Das junge Ehepaar machte aus reiner Reiselust bald Karriere im Gast­ oder Fernweh heraus, robereich in Engelberg nicht etwa aus wirtund Luzern und fühlte schaf­tlicher Not.» sich rasch pudelwohl in der damals für sie noch Maria Garcia fremden Schweiz. Die­ Wirtin Centro sen Entschluss hat sie bis heute nie bereut, die Schweiz, vorab Luzern, ist ihr ans Herz gewach­ sen. Und ein grosses Herz, ja, das hat die Mari, wie sie am liebsten genannt wird. Sie habe im Laufe der langen Jahre als Wirtin im «Centro» manchen Bauch einsamer Gastarbeiter, die ohne Familie in der Schweiz arbeiteten, mit iberi­ schen Köstlichkeiten gefüllt. Die Küche ist ihre Lei­ denschaft, ­geprägt von einer Grossmutter, die in Gali­ zien lange Jahre ein kleines Gasthaus führte und als hervorragende Köchin galt, und einer Mutter, die als Fischverkäuferin unterwegs war. Ihr Lokal ist ausser Montag täglich geöffnet, jeweils ab 17 Uhr, am Samstag und Sonntag bereits ab Mittag. Die Klientel hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt: Waren es früher vor­ ab spanische Gastarbeiterfamilien, die den Weg ins Lokal fanden, so sind es heute immer mehr Einheimi­ sche und andere Ausländer, die den Verlockungen der

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Tapas nicht widerstehen können und das Lokal in einen­ gesellschaftlichen, bisweilen lauten Schmelz­ punkt der Kulturen verwandelt. Wenn man die kleine Küche hinter der Theke betrachtet, so bleibt es ein Rät­ sel, wie Mari eine derartige Fülle und Vielfalt dieser kleinen spanischen Häppchen hervorzaubern kann. Das tut sie aber, immer wieder. Das ist pure Freude. Ein portugiesisches «Centro»

Nach dem Übergang von der Diktatur in die Demokratie mit dem Militärputsch von 1974 und einhergehenden Demontage des langjährigen Diktators Antonio de Oliv­ eira Salazar im Rahmen der «Nelkenrevolution» wan­ derten viele Portugiesinnen und Portugiesen aus. Heute leben in der Schweiz über 260 000 Menschen mit portu­ giesischem Hintergrund. Waren die Italiener und ­Spanier hauptsächlich im Bau tätig, haben sich die Emi­ grantinnen und Emigranten aus Portugal vorwiegend in der Gastrobranche etabliert. Vorab das Wallis gilt als be­ vorzugte Region der Lusitaner, die dort unzählige Res­ taurants und Hotels als tüchtige Mitarbeitende seit den 1980er-Jahren mitprägen. Im Gegensatz zu den Spaniern und Italienern gelten die Portugiesen eher als zurückhaltende, in sich ge­ kehrte Menschen, vielleicht seelenverwandt mit den Nordwestspaniern aus Galizien, die auch eine ähnliche Sprache sprechen. Trifft man aber auf Damantino ­«Tino» Martins (47), schlägt einem südländischer Über­ schwang entgegen. Seit 2015 ist er der Präsident der «As­ sociação cultural e recreativa de Obernau» – will heis­ sen: Kultur- und Freizeitverein Obernau. Die Bezeich­ nung ist Programm: Beim jungen Centro português, wie Tino seinen Verein der Einfachheit halber nennt, geht es bunt zu und her. «Wir verstehen uns als aktiven Verein, der vieles anbietet, von Lesungen portugiesi­ scher Autorinnen oder Autoren, über Tanzkurse wie etwa Zumba bis hin zur Organisation von Fussballtur­ nieren.» Im Centro wird auch rege Darts gespielt. Es verfügt sogar über ein eigenes Team, das in der Liga A erfolgreich mitmischt. So kommt ein Potpourri von Aktivitäten zusammen, die von den über 200 Vereins­ mitgliedern rege genutzt werden. Ein reichhaltiges Programm

Damantino stammt aus Porto, der malerischen Küsten­ stadt im Norden Portugals, die ebenso kolossale Weine wie schmackhafte Gerichte hervorzaubert. Dort arbei­ tete er einige Jahre als Kellner im Service, ehe er 2009 mit seiner Frau Paola Cristina in die Schweiz und nach Luzern zog. Heute arbeitet er als kaufmännischer Ange­ stellter beim Hammer Autocenter in Emmenbrücke. Wie das so üblich ist bei Emigranten, frequentierte er die gängigen Ausländertreffs für portugiesische Gastar­ beiter. Gerne erinnert er sich an das legendäre Lokal


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