Behörden Spiegel März 2022

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Beschaffung / Vergaberecht

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Vorbereitung ist alles

Grundsätzlich ist eine Markterkundung immer möglich”, erklärt der Jurist. Conrads vermutet, dass die Unsicherheit noch von der “Zeit vor den Reformen” im Jahr 2016 herrührt. Damals stand in der Vergabeverordnung (VgV) zum Thema “Markterkundung” nur: “Die Durchführung von Vergabeverfahren lediglich zur Markterkundung und zum Zwecke der Kosten- oder Preisermittlung ist unzulässig.” Dies gilt mit Paragraf 28 Absatz 2 immer noch. Doch sei der Umsetzung der europäischen Richtlinie heißt es nun dazu ausführlicher im gleichen Paragrafen der VgV in Absatz 1: “Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens darf der öffentliche Auftraggeber Markterkundungen zur Vorbereitung der Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.” Conrads stellt klar, dass die Markterkundung noch vor dem formellen und physischen Vergabeverfahren stattfindet. Das bedeutet, dass das Vergaberecht nur auf die Markterkundung ausstrahlt. Der Auftraggeber müsse aber klar darstellen, dass am Ende der Erkundung noch kein Vertragsabschluss steht. Den Unternehmen müsse klar sein, wofür die Informationen abgefragt werden. “Erkundungen sind erstmal unproblematisch. Erst wenn die gewonnenen Informationen verwertet werden, sind diese für das Vergaberecht relevant”, erklärt Conrads. In der Konse-

Markterkundung für eine zielgerichtete Beschaffung (BS/bk) Vor einem Vergabeverfahren steht häufig von Auftraggeberseite eine Markterkundung. So auch geschehen bei der Stadt Hildesheim, die eine Erkundung für eine Rechtsberatung im Rahmen eines Smart City-Vorhabens durchführte. So fielen in der Veröffentlichung unterschiedliche Begriffe, wie Interessensabfrage, Markterkundung oder beabsichtigte Beschaffung. “Mein Bild der Praxis: Man weiß häufig nicht genau, woran man ist”, sagt Martin Conrads, Rechtsanwalt bei Bird & Bird LLP. Doch diese Unsicherheit bei einer Markterkundung muss nicht sein. und Gesprächsvermerke anzufertigen. So sei man auf rechtlich sichere Seite.

Nicht am Markt vorbei ausschreiben

Um zielgerichtet ausschreiben zu können, sollte man vorher auf Erkundungstour gehen. Foto: BS/S. Hermann & F. Richter, pixabay.com

quenz muss der Auftraggeber mit den Informationen, die er in der Markterkundung bekommen hat, transparent umgehen, wenn er diese im Vergabeverfahren nutzen will. Dabei müssen natürlich dann vergaberechtliche Vorgaben eingehalten werden. Deshalb sei

eine gründliche Dokumentation wichtig. Aber eine rechtliche Verpflichtung für eine Markterkundung gibt es nicht. Nur wenn der Auftraggeber das Vergabeverfahren in irgendeiner Art beschränkt, muss dieser dies begründen. Das

funktioniere am besten, wenn man sich vorher den Markt angeschaut habe, empfiehlt Conrads. Ebenso bestehe keine Dokumentationspflicht. Er wirbt jedoch dafür, den Schriftverkehr und weiteres Informationsmaterial als Teil der Vergabeakte abzuheften

“Grundsätzlich geht es bei der Markterkundung um das Recherchieren und Sammeln von Informationen”, erläutert Manuel Meier, Diplom-Betriebswirt bei Allgeier IT. Dies kann durch eine einfache Google-Suche, Messebesuche oder persönliche Gespräche geschehen. Wenn es zu persönlichen Gesprächen zwischen Auftraggeber und Unternehmen kommt, darf es jedoch nicht zu einer Bevorteilung durch beispielsweise Nennung des Ausschreibungstermins kommen, warnt Conrads. Ziel einer Erkundung solle nicht primär die Preisermittlung sein, sagt Meier. Ziel müsse sein, eine genaue und detaillierte Ausschreibung zu erstellen, damit sich die passenden Bieter auf die Ausschreibung bewerben und man nicht am Markt vorbei ausschreibt. Zudem sollten mit der Erkundung neben der Verfügbarkeit geprüft werden, welche Lieferzei-

Lösung: Flucht ins Vergaberecht

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rundstücksverkäufe fallen nicht unter das Vergaberecht, unterliegen aber regelmäßig dem Beihilferecht. Bei Letzterem ist entscheidend, dass die öffentliche Hand beim Verkauf eines Grundstücks eine marktgerechte Gegenleistung erhält. Dies ist entweder durch ein Wertgutachten oder durch ein bedingungsloses Bieterverfahren gewährleistet. Allerdings darf der öffentliche Auftraggeber bei dieser Veräußerung keine qualitativen Anforderungen an das Grundstück stellen, die über die üblichen städtebaulichen Anforderungen hinausgehen. Wer dies mache, begehe ein ernsthaftes Foulspiel im EU-Beihilfenrecht, unterstreicht Dr. Jan Scharf, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei Görg. In diesen Fällen sei es besser, eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen. Dafür müsse der Grundstücks-

Behörden Spiegel / März 2022

Wie bei Grundstücksgeschäften das Beschaffungswesen genutzt werden kann (BS/Jörn Fieseler) Eigentlich ist das Vergaberecht nur für die öffentliche Beschaffung, den Einkauf anzuwenden. Grundstücks- und Immobilienverkäufe zählen nicht zum Anwendungsbereich. Mitunter kann es trotzdem hilfreich sein, den Grundstücksverkauf über ein Vergabeverfahren abzuwickeln, um gravierendere Rechtsfolgen zu vermeiden. verkauf mit einem Bauauftrag verbunden werden, erläutert Dr. Henning Wendt, ebenfalls Rechtsanwalt bei Görg. Laut Vergaberecht liegt ein Bauauftrag vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen erbringt und ihm diese unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Außerdem muss er entscheidenden Einfluss auf die Art und Planung der Bauleistung nehmen.

Wirtschaftlich zugutekommen Wann ihm die Bauleistung wirtschaftlich zugutekommt, dafür

hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Rechtsprechung im Fall “Helmut Müller” fünf Fallgruppen definiert (Urteil vom 25.03.2010 – C-451/08). Demnach gilt ein Grundstücksverkauf als Bauauftrag und fällt somit unter das Vergaberecht, wenn: 1. der öffentliche Auftraggeber wird Eigentümer des Bauwerks; 2. der öffentliche Auftraggeber wird über einen Rechtstitel verfügen, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrages sind, im Hinblick auf ihre

öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt. Dies könnte ein Mietvertrag oder das Erbbaurecht sein; 3. der öffentliche Auftraggeber kann wirtschaftliche Vorteile aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen (z. B. eine Umsatzbeteiligung); 4. der öffentliche Auftraggeber beteiligt sich finanziell an der Erstellung des Bauwerks, z. B. in Form von Zuschüssen; 5. der öffentliche Auftraggeber ist an den Risiken beteiligt, die im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags bestehen,

etwa bei einer garantierten Mindestauslastung. Zu diesen Fallgruppen müsse jedoch kumulativ der entscheidende Einfluss des öffentlichen Auftraggebers auf die Art und Planung der Bauleistung hinzukommen.

Frage der Abgrenzung “Nicht nur der Einfluss auf das “Ob”, sondern auch “Wie” etwas gestaltet werden solle, spiele dabei eine Rolle. Allerdings gelte es abzugrenzen, wann der Einfluss entscheidend sei. Hier gilt es zu unterscheiden. Die bloßen städtebaulichen Vorgaben, die

ten es für bestimmte Produkte gibt. Ein Augenmerk sollten die Auftraggeber auf die langfristige Lieferfähigkeit legen, so Maier. Dies sei besonders bei IT-Produkten wichtig, da diese über die komplette Vertragslaufzeit unterstützt werden müssten. Am Ende würden beide Seiten von einer Markterkundung profitieren, sagt der Betriebswirt. Die Auftraggeber hätten Klarheit darüber, ob man eine ober- oder unterschwellige Ausschreibung hat. Ebenso könnten durch eine genaue Erkundung die Beschaffungsrisken gesenkt und Alternativen zu Produktlösungen gefunden werden. Zudem helfe es bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien, wie Preis und Qualität. Die Bieterseite erlange durch die Erkundung ein besseres Verständnis für die konkreten Bedarfe und kann dadurch ein zielgerichtetes Angebot unterbreiten. Zudem könne so die Planbarkeit der eigenen Ressourcen und der Kapazitäten erhöht werden. Auch Martin Conrads empfiehlt, trotz fehlender rechtlicher Bindung, eine Erkundung unter der Einhaltung der Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung durchzuführen, weil dies betriebswirtschaftlich sinnvoll und auch häufig nötig sei und man sich so immer auf der rechtlich sicheren Seite befinde. Zudem könne so am besten eine “eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung” erstellt werden.

sich aus einem Bebauungsplan oder der Bauleitplanung ergeben, reichen nicht aus, damit das Kriterium der entscheidenden Einflussnahme erfüllt ist. Auch ist es unstrittig, wenn der öffentliche Auftraggeber Änderungen an den Innenräumen eines Gebäudes vornimmt, etwa bei Zuschnitt der Räumlichkeiten oder bei der Verkabelung. Diese Möglichkeiten habe auch ein frühzeitiger Mieter, der bei einem noch im Bau befindlichen Gebäude vor ab einen Mietvertrag unterzeichne. Von einem entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung könne nur ausgegangen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Kubatur und den Zuschnitt des gesamten Gebäudes festlege, so Scharf. Klarheit zu diesem Thema schaffe eine der jüngeren Entscheidungen des EuGH gegen die Wiener Wohnen (vgl. Urteil vom 22.04.2021 – C-537/19).

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