UPDATE Kolumne
HELGE TIMMERBERG Der Bestsellerautor („Lecko Mio. Siebzig werden“) setzt sich hier jeden Monat mit dem Zeitgeist auseinander. Wie tickt das Jetzt? Und wie wird man schlau daraus?
FOLGE 3 Die TimmerbergKolumne
MIT HIGHTECH ZU MAD MAX HELGE TIMMERBERG stellt fest: Man ist nie zu alt für einfache Lösungen – und entdeckt mit digitaler Hilfe einen sonderbaren Keller in Prag
FOTO: FRANK ZAURITZ
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ie viele Touristen passen auf die Karlsbrücke? Ich wäre auf jeden Fall einer zu viel. Etwa 100 Meter davor ist ein Cannabis-Shop, und der ist leer. Da gehe ich rein. Sie haben nur CBD, das nicht psychoaktive Marihuana. Und wo kriege ich THC? „Shotgun“, sagen sie. Mehr muss man heutzutage nicht sagen. Alles andere weiß mein iPhone 11. Adresse, Öffnungszeiten und die Routen. Auto, Fahrrad, zu Fuß, U-Bahn oder Bus. Viele Wege führen zu Prags bekanntestem Kiffer-Club. Ich wähle die Metro und bin erstaunt. Das Navi führt mich nicht nur Meter für Meter um alle Ecken bis zu meiner Station, es sagt mir auch, welchen Bahnsteig ich nehmen muss und dass die Bahn voller ist als gewöhnlich. Und warum verwundert mich das? Es heißt immer wieder, dass der Mensch nur zehn Prozent seines Gehirnpotenzials ausnutzt. Aber ist auch bekannt, dass dasselbe auch für das Smartphone gilt? Ich habe meines seit einigen Jahren, aber das Navi habe ich gerade zum ersten Mal aktiviert. Weil ich mich gern verlaufe? Weil es Taxis gibt? Weil ich zu alt für die einfachen Lösungen werde? Oder weil ich kein Mädchen bin? Jetzt werde ich eins. Ich trage mein Handy wie eine Handtasche, als ich vier Stationen später die U-Bahn wieder verlasse. Das Viertel ist deutlich weniger touristisch, und die Straßennamen werde ich weder aussprechen noch aufschreiben können, ich kann sie ja nicht einmal le-
sen. Aber die treue künstliche Intelligenz in meiner Hand führt mich wie ein Blindenhund. Ich werde tatsächlich ein wenig blind für die Umgebung, weil ich nur noch mein Handy im Blick habe. Es ist zu faszinierend. Eine gepunktete, aber nicht leuchtende Linie zeigt mir, wo es langgeht, und der einzige leuchtende Punkt darin bin ich. Er beweist mir Schritt für Schritt, dass ich noch auf dem richtigen Weg zum psychoaktiven Cannabis bin. Danke, lieber Satellit, der du bist im Himmel. Nach acht Minuten kreuz und quer stehe ich dann unvermittelt vor einer fast unsichtbaren Tür. Auf den ersten Blick wirkt sie auf mich wie ein Teil der Graffitis, die sie wie Dornenbüsche umranken. „Shotgun“. Man muss auf einen Klingelknopf drücken, damit die Tür aufgeht, und man muss einen Krug tschechisches Bier bestellen, wenn man unten im Keller ist, bevor man nach dem Marihuana fragen darf. Keine Fenster, ein paar Tische, außer mir sind noch zwei Gäste da. Einer der beiden ist offensichtlich ein Psycho. Nicht weil er so aussieht, obwohl er so aussieht, sondern weil er eine Gabel zwischen seinen gespreizten Fingern mit beachtlicher Wucht in die Theke rammt. Immer und immer wieder und viel zu schnell. Warum schmeißt man ihn nicht raus? Weil er der Chef ist? Ich mag solche Typen nicht. Ich mag auch keinen Hardrock am frühen Nachmittag. Und das Gras hier mag ich auch nicht. Aber ich mag, wie ich gefunden habe, was ich nicht mag. Mit Hightech zu Mad Max in Prag.
„Die künstliche Intelligenz führt mich wie ein Blindenhund zum Cannabis“