BIORAMA Wien–Berlin

Page 43

Bi o r ama Wie n – B e rl i n

B e stattu ng sku ltu r

Der Friedhof gehört zum Leben

43

Ein Beispiel für einen Bestattungsgarten auf dem Kölner Friedhof Melaten.

Bild Norbert Fisc he r/Patric k O hl igsc hläge r, isto ck. co m/ger d HArder

Berlin und Wien haben sich in ihre Friedhofslandschaften gezeichnet. Norbert Fischer im Interview über Grabstättenkultur in Bewegung. biorama: Was verraten dem geschulten Auge die Friedhöfe über die Städte und ihre BewohnerInnen? Norbert Fischer: Die Friedhofslandschaft Wiens verrät die Zentralisierung der frühen Residenz- und Hauptstadt. Sie hat früh ihren Zentralfriedhof bekommen. An den vielen kleinen Friedhöfen Berlins kann man ablesen, dass es spät aus vielen kleinen Orten zusam­ mengewachsen ist. Wenn man über einen Friedhof im, historisch gesehen, katholisch geprägten Wien spaziert, fallen einem womöglich die reich geschmück­ ten Gräber auf. Weil es im Katholizismus stärker darum geht, wie es nach dem Leben im Jenseits noch weitergeht und was man dafür tun kann, hat sich da eine reichere Kultur und Symbolik in Bild- und Figurensprache für den Umgang mit dem Tod entwickelt. Im Protes­ tantismus legt man sehr viel mehr Wert auf das Leben im Diesseits. Gräber sind hier schlichter. Der Tod ist im Stadtbild von Berlin längst nicht so präsent wie in dem von Wien. Die Stadtgeschichte schreibt sich natür­ lich auch über die großen Namen berühmter, wohlhabender Personen und Familien in die Friedhöfe ein. Seit dem 19. Jahrhundert hat man in beiden Städten monumentale Familien­ grabstätten errichtet, wo Bürgertum und Adel ihren Reichtum und ihr Prestige zeigen.

Friedhöfe schreiben über die Gestaltung und Platzierung von Gräbern selbst Stadt­ geschichte. Wer wird hier gern vergessen? Schon was die Zugangsvoraussetzungen betrifft, waren die konfessionellen Friedhöfe exklusiv. Zur Bestattung auf einem christlichen Friedhof musste man – nebst anderen Kriteri­ en – getauft sein. Alle Leute, von denen man das nicht wusste, durften eigentlich auf einem christlichen Friedhof nicht bestattet werden. Deswegen hat man für unbekannte Leichen – etwa auch Fluss- oder Meeresleichen – auch besondere Friedhöfe angelegt. Aber auch für SelbstmörderInnen waren bis vor 200 Jahren aus der christlichen Gemeinschaft ausgeschlos­ sen, weil sie sich dem Willen Gottes, der uns das Leben geschenkt hat, widersetzt haben. Häufig hat man die Selbsttötung dann als Un­ fall vertuscht und die Menschen doch auf den Friedhöfen begraben; Für die anderen Leichna­ me wurden bis etwa zum Jahr 1800 gesonderte Friedhöfe angelegt oder bestimmte Ecken für diese Exkommunizierten auf den Friedhöfen. Auf dem Wiener »Friedhof der Namen­ losen« kümmert sich jemand ehrenamtlich um die Gräber von Flussleichen. Dort an der Flussbiegung der Donau am Alberner Hafen, die heute so nicht mehr exis­ tiert, wurden viele Flussleichen angeschwemmt.

Interview Irina Zelewitz

Norbert Fischer ist Professor für Volkskunde/Kultur­ anthropologie an der Universität Hamburg, 2017/18 hat er für ein Jahr an der Universität Wien unterrichtet.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.