05 702804
Ausgabe April 19. Jahrgang / #175
A u s g abe 04-05/2022 2,8 0 Euro
4 196557
Was da wieder los ist: Ausstellungen, Events, Kino, Theater u.v.m 16.04.-15.05.22
175. Ausgabe
A u s g abe 0 4- 06/20 2,8 0 Euro
Ausgabe April/Mai 17. Jahrgang / #158
mit THEMEN BUCH cultur.zeit
VOM VIRUS VERWEHT Freiburg im Würgegriff der Corona-Krise
INNOVATIV Tinder-App für WG-Suche chilli_März_2008
Seite 1
09.03.2008
18:03 Uhr
Seite 1
U1_U4_05_2010
10.05.2010
10:44 Uhr
Ausgabe Oktober 15. Jahrgang / #143
Ausgabe Mai 12. Jahrgang / #109
Was da wieder los ist: Termine & Partys 13.10. – 18.11.18
Was da wieder los ist: Termine & Partys 16.05. – 21.06.15
Stresspotenzial am Dietenbach
PLAKATIV Künstler aus der Region
Metamorphose: Die Gutleutmatten Premierenrekord: Das Freiburger Filmfest
Ausgabe 07-08/13 € 2,50
Ausgabe 03/08 ¤ 2,00
Ausgabe 10 - 11 / 18 2,80 Euro
KONFLIKTIV
Seite 1
Ausgabe 05- 0 6/15 2,50 Euro
17:55 Uhr
Ausgabe 05-06/10 ¤ 2,00
09.07.2011
Ausgabe 07-08/11 ¤ 2,00
U1_U4_07_2011
Oppositionskind: 25 Jahre Literaturbüro Was da wieder los ist: Termine & Partys 13.7. – 31.8.
BErnadEttE LafONt
CarmEn
dominiquE
MauRa LavaNaNt
FrançoisE
andrE
axEllE
BERtIN
PENvERN
LaffONt
Für eine beruFliche Veränderung ist man nie zu alt!
Ein Film von JéRôME
ENRICO
ab 18.07. im Kino
rieSenchance fÜr freiBUrG
mit Sonder heft Karriere & Campus
Den WAhnsinn im visier Streife, Zelle, Drogenopfer – ein Tag im Polizeirevier Nord
Die Entscheidung im Wettbewerb Dietenbach – und ein Kürbis für den OB
hölliSch
Zeitzeuge erzählt von Deportation U1_U4_09_2010
16.08.2010
Ausgestellt Aufgestiegen
KämpferiSch theatraliSch Schachmeisterin in Männerdomäne
12:08 Uhr
King of Pop-Art: Warhol in Riegel
Intendant Peter Carp über Millionen und Manien
Kufencracks zwischen Titel und Klassenkampf
Trasse mit Tücken: Wieder Zoff um die Messelinie
Festkrise mit Folgen: Walter Rubsamen im Interview
Rätselhaftes Ionosphäreninstitut Betreibt der BND bei Freiburg eine Abhöranlage?
Ausprobiert Warum Freeletics Freiburg erobert
chilli-S Das Heft pecial im Heft
Seite 1
Ausgabe Juni 12. Jahrgang / #110 Was da wieder los ist: Termine & Partys 20.06. – 19.07.15
Ausgabe Mai 14. Jahrgang / #129 Was da wieder los ist: Termine & Partys 13.05. – 18.06.17
Ausgabe 05- 0 6/17 2,50 Euro
Ausgabe 06- 07/15 2,50 Euro
Ausgabe 09-10/10 ¤ 2,00
Ausgabe April 10. Jahrgang / #98 Was da wieder los ist: Termine & Partys 19.04. – 18.05.14
Ausgabe 04-05/14 2,50 Euro
mit Wirtsc hAftsmAgAz in biB
LAuF JuNge LAuF Ein Film von Pepe Danquart Ab 17.4. im Kino
© 2017 X Verleih AG - ArTWOrK: ANGelA FrANChiNi - FOTO: hANNes hubACh
Ab 1.6.2017 im Kino
In ZeIten
des abnehmenden
sturm auFs FreIburger rathaus
mit JubIlä umsausgab e 10 Jahre
GAME OVER!
Kandidaten im chilli-Duell / Fraktionen im Fragen-Check
Im IntervIew Pepe Danquart, Oscarpreisträger
Im Fokus
Neue Anlaufstelle für schwule Polizisten
Im Zelt
ZMF-Preis für Volker Rausenberger
mit THEMEN HEFT Jugend & Beruf
im falscHen köRpeR
ABGESTIEGEN ANGEFEINDET
HocHgekämpft RunteRgewüRgt mittendRin
Millionenverlust beim SC Freiburg
April 2014 CHILLI 1
LIchts
Lust, Last, Elend: Die erschütternde Story der Spielsüchtigen Anna M.
Dragqueen Betty BBQ über Intoleranz
ABGEDRÜCKT Polkowski sucht sein Freiburg
STREIT UM STADTTUNNEL
Christian Streich hat jetzt Luxusprobleme
Freiburger serviert gebratene Heuschrecken
Gegner fahren Frontalkurs, Politik drückt aufs Tempo
ANGEZÄHLT ANGEKOMMEN ANGEFEINDET EHC-Arena geht in Verlängerung
Zwei Geflohene aus Butcha
mit wiRtsc Haftsmagaz in bib
Jonas ist als Mädchen aufgewachsen
Russin berichtet von Drohungen
Die heißesten Festivals des Jahres
mit THEMENHEF T Jobstarter
CHILLI EDITORIAL
DIE FRAUEN AUS BUTCHA DAS CHILLI BRINGT SEINE 175. AUSGABE HERAUS Liebe Leserin & lieber Leser,
Foto: © tln
Unsere Titelgeschichte nimmt die aktuelle Lage anfangs kritisch beäugt, heute von vielen gerund um den Freiburger Stadttunnel in den Foschätzt: Eigentlich wäre diese 175. Ausgabe des kus. Ein BUND-Referent hatte neulich auf einer Freiburger Stadtmagazins chilli ein Grund zum FeiVeranstaltung der Initiative Statt-Tunnel das ern – mit Freunden und Lesenden,mitWerbetreibenden und natürlich unserem Team. Aber ist Ihnen derFreiburger Projekt als „Klimakiller“ bezeichnet. Die Aktivistin Reinhild Dettzeit zum Feiern zumute? Im April 2004 hatten wir mer-Finke meinte, der politiunser erstes chilli heraussche Wind im Gemeinderat gebracht. In diesem April würde sich langsam drehen. kämpfte Vitali Klitschko Wir haben alle Fraktionen noch sportlich im Boxring angefragt, der Wind weht und wurde nach einem unbeirrt weiter in den LüK.o.-Sieg gegen Corrie Sanckenschluss zwischen Kroders WBC-Weltmeister. Heunenbrücke und Schützenalte muss er gegen einen als lee-Tunnel. unsportlich völlig unzurei„Das ist und bleibt eine chend titulierten Gegner um Riesenchance für Freiseine Stadt Kiew kämpfen. burg“, kommentiert BauUnsere Redakteure Till NeuSind geflohen: Angela Riabezhenko bürgermeister Martin Haag. mann und Philip Thomas Seltsam ruhig ist derweil (links), ihr Sohn Kiril und Liudmila Vitman haben sich in Freiburg sodie Autobahn GmbH, die wohl unter Ukrainern als auch unter Russen seit Anfang 2021 für das Projekt zuständig ist. umgehört. Wir haben zwei ukrainische FrauLaut ihrer Website arbeitet sie an einem „der en gefunden, die sich tatsächlich aus Butcha spannendsten Autobahn-Innenstadtprojekte kennen, der Stadt des Grauens. Bei unserer GeDeutschlands“. Spannend wird sein, wann sie schichte über Russen in Freiburg geht es um Bewelche Ergebnisse ihres Tuns veröffentlicht. leidigungen, eingefrorene Konten, Sippenhaft. Wer den Angriffskrieg von Putin verteufelt und Wir wünschen auch mit der 175. Ausgabe anredie Menschenrechte als ein hohes Gut schätzt, gende Lektüre. Bleiben Sie, bleibt uns gewogen. der darf die Russen in Freiburg nicht verurteilen. Und zuversichtlich.
Herzlichst, Ihr Lars Bargmann, Chefredakteur & die chillisten
APRIL 2022 CHILLI 3
Foto: © Pixabay
Foto: © Latz & Partner
CHILLI INHALT
> 10-12 Umstritten: Braucht Freiburg das
> 23
Megaprojekt Stadttunnel oder doch nicht?
soll hier in 15 Minuten vollgetankt sein
IN EIGENER SACHE
WIRTSCHAFT
3
EDITORIAL
GASTKOLUMNE FLORIAN SCHROEDER MEHR KOLUMNEN
TITEL
7 18, 47, 50
STRITTIGER STADTTUNNEL
10-12
Eine Initiative stemmt sich gegen das Großprojekt. Was für manche lang ersehnt ist, hat auch Gegner
SPORT
„WÄRE EINE SENSATION“
Der Eissport in Freiburg darf hoffen: Das Stadion wird länger betrieben, ein neues wird greifbar
SZENE
14
GEFLOHEN AUS BUTCHA
16-17
BEDROHT UND BELEIDIGT
18-19
Zwei Ukrainerinnen erzählen von ihrer Flucht und dem schwierigen Neuanfang in Freiburg
Russen in Freiburg erleben seit dem Krieg in der Ukraine Anfeindungen / Gastro & Gusto: Tipps zu Bars, Kneipen und Restaurants in Freiburg
IMPRESSUM chilli – Das Freiburger Stadtmagazin chilli Freiburg GmbH
Paul-Ehrlich-Straße 13, 79106 Freiburg fon / Redaktion 0761-76 99 83-0 fon / Anzeigen 0761-76 99 83-70 fon / Vertrieb 0761-76 99 83-83 www.chilli-freiburg.de
E-Mail für Online- / Printredaktion redaktion@chilli-freiburg.de
Geschäftsführerin (V.i.S.d.P.)
ZELLKUR FÜR CITY
20-21
Expert·innen diskutieren über die Zukunft der Innenstadt / Diese Läden stehen in Freiburg leer
> 39-50 cultur.zeit: News aus Freiburg
KURZARBEIT DROHT
21
GRUNDSTÜCKE TO RENT
22
TURBO-E-LADESTATION
23
Trotz vieler Aufträge: Baubranche steuert auf schwierige Lage zu
Das Rathaus legt neue Erbbauregeln vor – offenbar eine schwere Geburt Badenova, Investoren und Stadt bringen Mobilitätswende voran
KALENDER TIPPS UND TERMINE
Was geht wann und wo?
24-38
KULTUR
40-41
„MULMIGES GEFÜHL“
Das Proberaumzentrum KA52 könnte durch steigende Baukosten zu teuer werden / Karlskaserne als Alternative im Gespräch
Redaktion
Till Neumann (tln): neumann@chilli-freiburg.de Philip Thomas (pt): philip.thomas@chilli-freiburg.de Pascal Lienhard (pl): lienhard@chilli-freiburg.de
Kulturredaktion
Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de Erika Weisser (ewei): weisser@chilli-freiburg.de Jennifer Patrias: jennifer.patrias@chilli-freiburg.de
Autoren
Maja Bruder (mb)
Gastkolumnisten
Chefredaktion
Lektorat Beate Vogt
Florian Schroeder, Ralf Welteroth
Grafik Miriam Hinze (Leitung), Tatjana Kipf, Katharina Fischer
zu Kultur, Musik, Literatur und Leinwand
KINO
42-43
WIE EINE LÖWIN
Andreas Dresen erzählt die Geschichte des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz aus der Perspektive seiner Mutter / Film-Tipps
MUSIK
44-47
THRASH METAL AUS FREIBURG
Freiburger Band Hedvig veröffentlicht Debütalbum – auch die Fastnacht hat den Sound beeinflusst / CD-Tipps HYPED NACH DEM STILLSTAND
cultur.zeit
Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de
Lars Bargmann (bar): bargmann@chilli-freiburg.de
Laden, aber dalli: Ein Tesla-Wagen
Jazz-Pop-Band Triaz legt zweite Platte vor / 3 Fragen an Darius Lohmüller von den Deadnotes
LITERATUR
48-49
ORT FÜR DEBATTENKULTUR
Buchhandlung zum Wetzstein startet mit einem neuen Konzept – und neu formiertem Trio / Lesetipps
Titel © chilli Freiburg GmbH
Druck & Belichtung
cultur.zeit Titel
Themenbuch dieser Ausgabe
© tyrellwellig
Bildagenturen iStock.com,
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Anzeigenberatung
Christoph Winter (Leitung), Jennifer Patrias, Giuliano Siegel, Fredrik Frisch, Marion Jaeger-Butt
Vertrieb
Hofmann Druck, Emmendingen cultur.zeit
Nächster Erscheinungstermin 13. Mai 2022
Ein Unternehmen der
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Fredrik Frisch, frisch@chilli-freiburg.de
Druckunterlagenschluss Jeweils am 28. des Vormonats. Es gilt die Preisliste Nr. 13
APRIL 2022 CHILLI 5
SCHWARZES BRETT
»SCHUHE AN UND LOS« Temperaturen von 4,5 Grad und Erschöpfung haben den Freiburger Fritz Koch nicht davon abgehalten, beim Freiburg Marathon 2022 mit einer Zeit von 2:25:44 Stunden über die Ziellinie zu laufen. Der Sieger hat sich mit tonnenweise Kohlenhydraten auf den Lauf vorbereitet, und der Heimlauf hat für ihn eine besondere Bedeutung.
Foto: © privat
„Mit sieben Jahren bin ich meinen ersten Lauf gelaufen. Da hab ich dann Spaß daran gefunden, bin aber so mit 15 Jahren auf Rennradfahren umgestiegen und wollte meinem Bruder ein bisschen nacheifern. Nach dem Abi stellte ich mir dann die Frage: Radsport weitermachen oder Studium? Das Laufen habe ich wieder ab 2011 für mich entdeckt, weil es einfach super zeiteffizient ist. Ich habe Mikrosystemtechnik studiert – nicht unbedingt der leichteste Studiengang – und habe dann angefangen, abends nach der Uni noch schnell ein bisschen laufen zu gehen. Einfach Schuhe an und los geht’s. Die Strecken in Freiburg eignen sich super dafür. Meine Hausrunde war beim Mercure Hotel hoch oder dann weiter bis auf den Rosskopf. Jetzt bin ich umgezogen und laufe eher nach Süden Richtung Günterstal, Lorettoberg oder hoch auf den Kybfelsen. Mit dem Marathonlaufen habe ich eigentlich erst letztes Jahr angefangen. Ich habe mir nämlich immer gesagt: Ich laufe keinen Marathon vor 30. Ein ‚langer Lauf‘ war für mich eigentlich immer so zwölf Kilometer, bis ich dann vergangenes Jahr meinen ersten Marathon in Bräunlingen gelaufen bin. Beim Lauf in Freiburg war noch mal ein ganz anderer Druck dabei. Da sind Freunde, Arbeitskollegen, Familie angereist – ein Freund extra aus Davos. Da will man dann was erreichen. Das war einfach mein ‚Heimlauf‘, der eine besondere Bedeutung für mich hat.
6 CHILLI APRIL 2022
Ich arbeite in der Nähe und habe früher auch dort gewohnt. Ich fand die Strecke dieses Jahr auch viel schöner als vorher. Man läuft bei vielen Leuten, die man kennt, an der Haustür vorbei und jeder wohnt in unmittelbarer Nähe der Strecke. Das mobilisiert – bei besserem Wetter – auch mehr Leute, sich das Ganze anzuschauen. Um diese ganzen Leute nicht zu enttäuschen, habe ich mich gut vorbereitet. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag hab ich mir jeden Tag an die 680 Gramm Kohlenhydrate reingehauen, damit ich Speicher für den Sonntag habe. Man muss im Kopf behalten, dass man bei einem Marathon an seinem energetischen Limit läuft. Ab Kilometer 30 muss man schauen, wie bereit man ist, sich wehzutun. Irgendwann tut einfach jeder Schritt bei gleicher Geschwindigkeit mehr weh. Das bekommt man am Ende auch zu spüren. Der Zweitplatzierte ist eigentlich Triathlet und mein bester Kumpel. Auch den Drittplatzierten kenne ich schon gut vom Training. Mein Kumpel sollte eigentlich nur bis Kilometer 30 für mich pacen (also eine Geschwindigkeit vorgeben, an die ich mich halten kann) und wollte dann aussteigen. Der hat sich dann aber spontan entschieden, doch weiterzulaufen und ist Zweiter geworden. Deshalb war es dieses Mal auch überhaupt kein großer Konkurrenzkampf. Aber das kommt im Laufsport sowieso eher selten vor. Klar ist das Gefühl, als Erster im Ziel zu sein, super. Die anderen beiden direkt danach kommen zu sehen aber auch. Und dann war erst mal Ende. Im Ziel spürt man die Kälte. Es tut alles weh, und so richtig gut ging es mir erst wieder zu Hause, als ich heiß geduscht hatte. Am Montag bei der Arbeit habe ich mir dann zugegebenermaßen auch ab und zu mal den Aufzug in den zweiten Stock gegönnt.“ Aufgezeichnet von Maja Bruder
SCHWARZES BRETT
WARTEN UND TRINKEN
NACHGEWÜRZT! FEMINISTISCHE AUSSENPOLITIK
Foto: © pl
Eine Frage geht um in Deutschland: Was genau ist feministische Außenpolitik? Ich könnte es erklären, aber ich darf nicht, denn ich bin ein Mann. Und ein Mann, der das auch nur zu erklären versucht, kann weg, muss weg. Denn das wäre Mansplaining. Also Beine spreizen. Dicke Backen machen. Mit dem Schwanz wedeln. Jedenfalls das Gegenteil von Feminismus. Leider scheinen aber auch grüne Profis nicht zu wissen, was feministische Außenpolitik genau ist. Hat Habeck sie vielleicht mit nach Katar genommen, quasi der Wiege des Feminismus? Vielleicht hätte er seine Gastgeber auf ein paar Eierlikör einladen sollen? Danach zusammen Schuhe kaufen? Hätten sie sich erst einmal gegenseitig die Haare machen sollen? Nicht nötig: Habeck hat ohnehin immer die Haare schön. Es heißt ja oft: Wo Frauen an der Lösung von Konflikten beteiligt sind, ist der Frieden näher. Dagegen spricht schon die diesjährige Oscar-Verleihung. Dort war es chauvinistische Innenpolitik und feministische Außenpolitik. Die Vorstellung von der Welt als friedlichem Ort, wenn doch nur die Frauen endlich das Sagen hätten, ist genauso daneben wie das Gerede von den Hafermilch-Männern vom Prenzlauer Berg, die nicht mehr kämpfen können. Denken wir nur an Lynndie England, die US-Soldatin, die verurteilt wurde, weil sie in Abu Ghraib im Irak Gefangene misshandelte. Oder Ghislaine Maxwell, die Gehilfin von Jeffrey Epstein. Oder die Frauen der Al-Khansa-Brigade des sogenannten Islamischen Staats, die folterten und mordeten. „Wenn Frauen am Friedensprozess beteiligt sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Einigung mindestens 15 Jahre hält, um 35 Prozent“, behauptet die Böll-Stiftung. Ich aber lege noch eins drauf: Wenn Barbara Schöneberger an einem Friedensprozess beteiligt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit nochmal um 35 Prozent. Locker. Wir sprechen ja vom Schoß der Mutter Erde, aus dem etwa das Gas kommt, das uns einheizt – spätestens jetzt merken wir: Bilder, die wir männlich oder weiblich konnotieren, erklären vielleicht doch nicht alles auf der Welt. Und worin unterscheidet sich weibliche Außenpolitik von einer, die von den, sagen wir: Menschenrechten geleitet ist? Menschenrechte gelten schließlich für alle. Aber menschliche Außenpolitik, das verlangt natürlich viel von Männern und Frauen.
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Das bekommt man hierzulande schon Jahre vor dem ersten Gerstensaft-Genuss eingetrichtert. Doch wenn der Volontär sich abends für einen Termin in eine dunkle Trinkanstalt wagt, um eine Band der härteren Gangart zu interviewen, und wenn diese dann auch noch eine Verspätung ankündigt – dann sollte es bei nüchterner Betrachtung vollkommen legitim sein, sich ein Kühles zu genehmigen. In diesem Sinne: Cheers und Rock 'n' Roll!n pl
Foto: © mb
TIERISCH KALT:
Florian Schroeder, Kabarettist, studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.
Foto: © Privat
chilli-Autorin Maja Bruder verdient sich ein Zubrot mit Hundesitting. Geld bekommen, um mit einem Hund im Wald zu laufen, klingt eigentlich wie der perfekte Nebenjob. Die sommerlichen Temperaturen haben den Freiburger·innen jedoch zu viel versprochen. Und dann hat der Winter ihnen eine Klatsche gegeben, wie Will Smith Chris Rock bei den Oscars. Bei Schnee und Eis macht das Joggen mit einem badebegeisterten Golden Retriever dann nicht mehr ganz so viel Spaß – dem Tier aber offensichtlich schon. Und das ist schließlich die Hauptsache. mb
APRIL 2022 CHILLI 7
TITEL STADTENTWICKLUNG
Alles so schön grün hier: Diese Vision war Teil einer Studie, die die Landschaftsarchitekten von Latz + Partner im Auftrag der Stadt Freiburg erarbeitet hatten.
STREIT UM STADTTUNNEL GEGNER FAHREN FRONTALKURS, POLITIK DRÜCKT AUFS TEMPO Von Lars Bargmann & Philip Thomas
D
Illustration: © Latz + Partner
er Zoff um den Freiburger Stadttunnel nimmt Fahrt auf. In einer Veranstaltung der Initiativen Statt-Tunnel und B31-West-NeinDanke wertete BUND-Verkehrsexperte Werner Reh den Bau als „Klimakiller“. Die für das Projekt zuständige Autobahn GmbH arbeitet eigenen Angaben zufolge „mit Hochdruck“ an der Planung. Baubürgermeister Martin Haag wünscht sich indes „etwas mehr Tempo“. Die Aktivistin Reinhild Dettmar-Finke sagte auf der Veranstaltung, es verändere sich gerade was im Gemeinderat. Eine chilli-Umfrage unter den Fraktionen ergab indes, dass einzig Einzelstadtrat Wolf-Dieter Winkler gegen das Projekt ist.
325 Millionen Euro für 1,8 Kilometer, 180.000 Euro für jeden Meter. Der Freiburger Stadttunnel wird, wenn er denn wirklich gebaut wird, sicher noch teurer. Die Kostenschätzung ist aus dem Jahr 2016. Im selben Jahr hatte das Bundeskabinett den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossen. Im kommenden wird das Bundesministerium für Digitales und Verkehr diesen überprüfen. Daran knüpfen sich die Hoffnungen der Tunnelgegner. Seit dem Kabinettsbeschluss gab es laut Dettmer-Finke einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Klimaschutz. Man könne das Ende 2016 ratifizierte Pariser Abkommen oder das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem 10 CHILLI APRIL 2022
vergangenen Jahr nicht einfach so ignorieren. Der Stadttunnel ist aktuell im vordringlichen Bedarf (der höchsten Kategorie) gelistet. „Ich glaube nicht, dass Berlin den Stadttunnel fallenlässt. Der ist auch aus Sicht des Bundes weiter vordringlich“, sagt Haag. Eine klare Aussage, ob der Tunnel nach der Prüfung noch in der höchsten Kategorie gelistet sein wird – oder etwas dagegen sprechen könnte, kann das Ministerium laut einer Sprecherin nicht machen. Auf der Homepage heißt es, dass bei der turnusmäßigen Gesamtüberprüfung einzelne Neubau-Projekte gar nicht neu bewertet werden.
TITEL STADTENTWICKLUNG
VERKEHR Nach einer Berechnung des Freiburger Regierungspräsidiums (RP) aus dem Jahr 2016 werden 2025 täglich rund 65.800 Autos und 6500 Laster auf der B 31 mitten durch die Stadt rollen. Nach Zahlen der drei Industrie- und Handelskammern im Südwesten waren es 2019, vor Home-Office-Pflicht und Lockdowns, schon 56.000 Kfz und 5500 Lkw. Wenn der Stadttunnel fertig ist, so die Prognose des RP, würden zwei von drei Autos (68 Prozent) und vier von fünf Lastwagen (80 Prozent) sozusagen in die Röhre gucken. Laut Jan-Philipp Strobel, Sprecher der Südwest-Niederlassung der Autobahn GmbH, zählt Freiburg nach einer vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Verkehrsverflechtungsprognose 2030 zu einer der am stärksten wachsenden Verkehrsregionen in Deutschland: 30 Prozent im Vergleich zu 2010. Man arbeite „mit Hochdruck“ an der Entwurfsplanung. Allerdings gab es, seitdem die GmbH das Projekt Anfang 2021 vom RP übernommen hat, keinerlei Wasserstandsmeldung. Nach Genehmigung der Planung durch die Zentrale in Berlin rechnet Strobel jedenfalls mit „einem mehrjährigen Rechtsverfahren aufgrund zahlreicher Betroffener und politischer Absichten“. Frühestens 2024 könnte – sofern alle Genehmigungen ohne Auflagen vorliegen – das Planfeststellungsverfahrens beginnen. Wie lange das dauert, sei derzeit nicht abschätzbar.
Der BUND hält den aktuellen Bundesverkehrswegeplan ohnehin für rechtswidrig, weil er keine Klimaziele enthält und zu den einzelnen Projekten keine Alternativen untersucht hat. Derweil wird die Luft in Freiburg jedes Jahr besser. Das zumindest suggeriert die Messstation an der Schwarzwald- Ecke Sternwaldstraße. Laut Re-
VERBOT FÜR TRANSITVERKEHR? gierungspräsidium (RP) wurde dort im Jahr 2020 ein Mittelwert von 30 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft erfasst. Bereits 2019 lag diese Marke mit 36 Mikrogramm unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm. 2018 waren es noch 50 Mikrogramm. Laut RP war zwar ein Corona-Effekt erkennbar, zu verdanken sei das Ergebnis aber vor allem Maßnahmen wie der Ausweitung von Umweltzonen. Die Tunnelgegner fordern indes – statt Tunnel – schlicht ein Verbot für den Transit- und Schwerlastverkehr auf der B31.
STÄDTEBAULICHE CHANCEN Für Haag ist der Tunnel deswegen eine „Riesenchance“, weil der Baubürgermeister jenseits aller anderern Faktoren städtebaulich ein riesiges Potenzial sieht. Das sehen auch fast alle Fraktionen im Rathaus so. Wenn durch den Rückbau je einer oberirdischen Fahrbahn pro Richtung nur zehn Meter gewonnen werden, ist die Gestaltungsfläche etwa drei Fußballfelder groß. Die Altstadt, so die Hoffnung, könne viel besser an die Wiehre angebunden werden, es böten sich zahlreiche Chancen auf größere Freiräume direkt an der Dreisam. Die Bürgervereine Mittel- und Unterwiehre sowie Oberwiehre, der Lokalverein Innenstadt, das Bürgerforum Sedanquartier und Im Grün und viele andere Akteure haben sich bereits mit der Ausgestaltung eines „Dreisamboulevard“ befasst. Im vergangenen September gab es im Zentrum Oberwiehre mit Einbindung der Architektenkammer Freiburg dazu eine Ausstellung mit Arbeiten von Studierenden des Karlsruher Instituts für Technologie, die aufzeigte, wie die Ost-West-Achse an der Dreisam nach dem Tunnelbau aussehen könnte. Für Tunnelgegnerin
UMWELT Gegen die Röhren hat sich ein breites Bündnis aus Bürgern und Umweltverbänden gebildet. Ihre Argumentation fußt auf dem alten Slogan: Mehr Straßen bedeuten mehr Verkehr. Für die Initiative Statt-Tunnel sind Straßenbauprojekte dieser Art nicht mit den Klimaschutzzielen und der Mobilitätswende vereinbar. Für den Politikwissenschaftler Werner Reh, ehemaliger Verkehrsreferent beim BUND und noch im Arbeitskreis aktiv, ist der Stadttunnel „ein Klimakiller.“ Den Bau eingerechnet verursache der Tunnel jährlich 3436 Tonnen Co2-Äquivalente. „Die muss Freiburg dann an anderer Stelle einsparen“, sagt Reh.
Meistens deutlich voller: Hier rollt der aus Westen ankommende Verkehr auf die Kronenbrücke zu.
APRIL 2022 CHILLI 11
TITEL STADTENTWICKLUNG
Offene Tunnelmünder: Wer aus dem Osten in den Kappler Tunnel fährt, wäre nach dem Bau des Stadttunnels dann auf der A 860.
Dettmar-Finke ist der kolportierte Boulevard entlang des Flusses wegen des nach wie vor bestehenden Oberflächenverkehrs trotzdem „ein Mythos“.
wir uns alle wünschen, lässt sich besser verwirklichen mit einem Durchfahrtverbot für LKWs und dem Rückbau von vier auf zwei Autospuren.“
DAS SAGEN DIE FRAKTIONEN Timothy Simms, Fraktionsgeschäftsführer Grüne (13 Sitze): „Eine möglichst weitgehende Verlagerung des Verkehrs unter die Erde würde die schwer vom Verkehr betroffenen Gebiete von verkehrsbedingtem Lärm und Schadstoffemissionen entlasten. Wir müssen genau prüfen, wie der Bau mit unseren Klimazielen zu vereinbaren ist.“
Martin Kotterer, baupolitischer Sprecher CDU (6 Sitze): „Wir hoffen nach wie vor, dass der Tunnel kommt. Selbst wenn in Zukunft nur noch Wasserstoff-Laster und Elektroautos fahren, verstopfen die jeden Tag die Stadt. Und deren Zahl nimmt ständig zu.“
Fotos: © tln, pt
Julien Bender, Fraktionsvize SPD/Kult (7 Sitze): „Der Stadttunnel ist städtebaulich ein Riesenvorteil. Er ist extrem teuer, aber entlastet auch extrem viele Menschen. Der Kosten-Nutzen-Faktor ist gut. Schwerlast- und Individualverkehr verschwinden nicht, wenn wir keinen Tunnel bauen.“ Gregor Mohlberg, Fraktionsvorstand Eine Stadt für alle (7 Sitze): „Wir sind für die Verlagerung des Lastverkehrs auf die Schiene und nicht für nahezu unbezahlbare und klimaschädliche Betonröhren. Städtebaulich würde zwar ein Teil der Innenstadt von einem Tunnel profitieren, aber kurz hinter dem Faulerbad und auf der ganzen Strecke aus dem Schwarzwald bis nach Freiburg würde der Verkehr – nicht reguliert – massiv zunehmen. Ein Dreisam-Boulevard, den 12 CHILLI APRIL 2022
VORTEILE ÜBERWIEGEN NACHTEILE
Johannes Gröger, Fraktionschef Freie Wähler (3 Sitze): „Der Tunnel ist weiter vorrangig. Alles andere ist abwegig. Wir müssen den unerträglichen Verkehr unter die Erde bekommen. Mit dem Tunnel ergeben sich oberirdisch 1000 Möglichkeiten, es besser zu machen, als es jetzt ist.“ Wolf-Dieter Dinkler, Einzelstadtrat Freiburg Lebenswert: „Ich unterstütze die aktuellen Bestrebungen der Initiative ‚Statttunnel‘ und der Umweltverbände, um das unzeitgemäße und schädliche Projekt zu beenden. Der Tunnel wäre zu teuer für den versprochenen Nutzen und kontraproduktiv, weil mehr Straße auch mehr Verkehr erzeugt, wir diesen aber zur Vermeidung des Klimakollapses reduzieren müssen.“
Simon Waldenspuhl, Fraktionsgeschäftsführer JUPI (5 Sitze): „Da wir gleichzeitig die Innenstadt erweitern und autofrei gestalten wollen, das Dreisamufer begrünen und den innerstädtischen Verkehr von der Oberfläche unter die Erde bringen, überwiegen für uns die Vorteile für das Stadtklima die möglichen Nachteile.“ Sascha Fiek, Fraktionschef FDP/Bürger für Freiburg (4 Sitze): „Die tägliche Stopand-go-Prozedur ist auf lange Sicht sicher klimaschädlicher als der Bau eines Tunnels. Wir stehen uneingeschränkt zu diesem Projekt.“
Und runter geht’s: Einfahrt in den Schützenalleetunnel bei Maria-Hilf.
SZENE MENSCHEN
In Freiburg gelandet: Angela Riabezhenko (links), ihr Sohn Kiril und Liudmila Vitman.
GEFLOHEN AUS BUTCHA ZWEI UKRAINERINNEN ÜBER IHRE HEIMAT UND EIN NEUES LEBEN
M
ehr als vier Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen. So auch Liudmila Vitman und Angela Riabezhenko. Die jungen Frauen kamen Mitte März mit der „Direkthilfe-Ukraine“ in den Breisgau. Das chilli hat sie zwei Wochen begleitet. Die Ukrainerinnen berichten von einer abenteuerlichen Flucht, von Gastfreundschaft und vom Leid in ihrer Heimat: Beide kommen aus Butcha – der Stadt, die mit schrecklichen Bildern von sich reden macht. Sie kannten sich schon lange bevor der Krieg kam: Liudmila Vitman und Angela Riabezhenko arbeiteten gemeinsam in einem Casino in der ukrainischen Kleinstadt Butcha. Vitman hat dort gelebt. Riabezhenko pendelte aus Borodjanka an den Ort, dessen Bilder zuletzt um die Welt gingen: Russische Truppen wüteten dort offenbar in unfassbarem Ausmaß – auch gegen Zivilisten. Jetzt sitzen die Frauen in einer schicken Wohnung im Freiburger Viertel Vauban. Sie trinken Tee und erzählen auf Russisch, was sie erlebt haben. Dolmetscher übersetzen ihre Worte. Englisch oder Deutsch sprechen die Frauen nicht. Hin und wieder lachen sie, doch die Gesichter sind meist ernst. Hört man ihre Geschichten, wird klar, warum.
fahren“, sagt sie. „Die Gleise waren zerbombt.“ Ihr acht Jahre alter Sohn Kiril war noch zu Hause. Zwei Wochen blieb sie im Hotel, musste im Keller Schutz suchen: „Wir wussten nicht, ob die Russen nach Butcha kommen.“ Dann fiel eine Bombe ins Hotel. Soldaten brachten sie zum Bahnhof. Von dort fuhr sie ins westukrainische Lviv, Freiburgs Partnerstadt. Ehrenamtliche brachten auch Kiril dorthin. Weiter ging’s nach Polen. „Die Autos wurden beschossen“, berichtet Riabezhenko. Teilweise mussten sie zu Fuß durch den Wald laufen. In Polen stieß sie auf das Freiburger Team der „Direkthilfe Ukraine“. „Ich wollte schon lange in Deutschland leben, das war mein Traum“, schwärmt Riabezhenko. Ihre Mutter habe zwei Jahre hier gelebt und viel davon erzählt. Als sie hier landet, machte sich auch ihre Freundin Liudmila Vitman auf den Weg. Am ersten Kriegstag hatten sie sich beim Schichtwechsel gesehen. Vitman schaffte es nach Hause. Dann rief ihre Freundin an: „Es ist Krieg.“ Sie wollte es nicht glauben. Doch von ihrer Wohnung im 9. Stock sah sie schwarze Rauchwolken. Panzer rückten näher, Putins Soldaten kontrollierten Pässe. Als Bomben fielen, sprangen Türen und Fenster auf. „Die Möbel haben gezittert“, erzählt Vitman. Bei ihrer Flucht sah sie Leichen, der Konvoi wurde beschossen. Tränen kullern, als sie das sagt. Angela Riabezhenko hatte ihr von der Direkthilfe-Ukraine erzählt. So kam auch sie nach Freiburg.
Foto: © tln
DURCH DEN WALD GERANNT
Die Flucht Am 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. „Ich habe das erst auf die leichte Schulter genommen“, berichtet Riabezhenko. Die 29-Jährige fuhr zur Arbeit nach Butcha. Drei Stunden später sei das Casino geschlossen worden. „Ich kam nicht mehr nach Hause, es sind keine Züge mehr ge16 CHILLI APRIL 2022
Holprige Landung Für beide ging es turbulent los: Angela Riabezhenko lebte mit Kiril für zwei Tage bei einer Freiburger Familie, dann kam sie
SZENE KOLUMNE
Eine weiße Weste kommt niemals aus der Mode. Jedoch scheint es hier das ein oder andere schwarze Schaf zu geben. Immerhin ist Freiburg wieder die kriminellste Stadt im Land. chilli-Trendchecker Philip Thomas verrät, welche Verbrechen im Breisgau Konjunktur haben - und warum sie sich natürlich nicht lohnen.
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VERBRECHEN BEGEHEN
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2019 und 2020 ging der Kelch an Freiburg vorbei. Nun ist die Breisgau-Metropole wieder die kriminellste Stadt im Land. Insgesamt 21.978 Straftaten notiert das Freiburger Polizeipräsidium in seiner Kriminalstatistik 2021. Das entspricht einer Steigerung um mehr als vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr und einer Häufigkeitszahl (Straftaten je 100.000 Einwohner) von 9517. Dahinter liegen Karlsruhe (7653), Mannheim (7562) und Heidelberg (7006). Die Anzahl aufgenommener Wirtschafsdelikte verdreifachte sich in Freiburg auf 250. Sexualverbrechen verzeichneten einen Anstieg um fast die Hälfte auf 380.
OUT
PRÜFUNGEN BESTEHEN
Möglichkeiten, eine Führerscheinprüfung gegen die Wand zu fahren, gibt es viele. Diese „gelang“ wohl im sechsten Gang: Beim Freiburger TÜV flog ein Fahrschüler auf, der bei seiner theoretischen Prüfung eine Kamera am Hemdkragen trug. Die Linse lieferte Bilder an eine dritte Person, die wiederum Antworten auf einen Knopf im Ohr des Prüflings durchgab. Am Hals hat der 45-Jährige nun ein Strafverfahren wegen Betrugsversuchs. Und damit nicht genug: Im Ohr hatte sich der Knopf so sehr verkeilt, dass dieser in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik entfernt werden musste.
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Erste Schritte Die Bilder aus Butcha waren ein Schlag für Vitman und Riabezhenko. Sie leiden enorm darunter. Vitmans Mutter lebt in der Nähe des Unglücksortes. Erreichbar ist sie nicht:„Entweder das Mobilfunknetz ist kaputt oder der Strom fehlt.“ Den Tag verbringt Vitman meist zu Hause mit Nachrichten aus der Heimat: „Mein Leben wurde in zwei Hälften geteilt, ich weiß nicht, was morgen ist.“ Eine Wanderung am Nachmittag ist da schon ein Highlight. Auffällig für sie in Freiburg sind die vielen Fahrräder. „In Kiew würde man vom Auto überfahren“, scherzt sie und lacht. Ein seltener Moment der Entspannung. Etwas optimistischer ist Riabezhenko: Sie hat es geschafft, Kiril für die Schule anzumelden. Der erste Tag in der Integrationsklasse lief gut. Ihr Sohn ist von der neuen Heimat begeistert: „Ich würde sogar bleiben, wenn es kein Internet oder Handy gebe“, schwärmt Kiril. Er hat bereits erste Freunde gefunden, seine Mutter sagt: „Er liebt Freiburg.“ Auch ihr geht es so. Nur dass sonntags die Supermärkte geschlossen sind, findet sie gewöhnungsbedürftig. Die junge Mutter ist voller Tatendrang. Ihr größter Wunsch ist, Deutsch zu lernen und einen Job zu finden. Für einen Sprachkurs ist sie angemeldet. Ein erstes Vorstellungsgespräch für einen Job in der Gastronomie hatte sie schon. Für Vitman ist die Lage eine andere: Freude kann sie gerade nicht empfinden: „Meine Gedanken sind in der Heimat.“ Dahin möchte sie schnellstmöglich zurück. Wann das möglich ist, weiß sie nicht. Till Neumann
IN & OUT
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in die Landeserstaufnahmestelle (LEA). Doch die Verteilung in andere Unterkünfte machte ihr Angst. In Freiburg-Kappel fand sie eine weitere Gastfamilie. Doch auch das entpuppte sich als Fehlgriff. Das Haus war abgelegen, die Kommunikation schwierig. Erst der vierte Umzug zu einem russisch sprechenden Freiburger passte: „Ich fühle mich wie zu Hause jetzt“, berichtet Riabezhenko. Ihr Host Alexej hilft bei Behördengängen und kümmert sich mit um den Sohn Kiril. Auch Liudmila Vitman landete zuerst in der LEA – ein Irrtum. Nach nur wenigen Stunden konnte sie zur Erleichterung ihrer Helfer·innen in einer Hauruck-Aktion zu Melanie Woggan ins Vaubanviertel ziehen. Dort fühlt sie sich super aufgehoben: „Melanie war meine Rettung.“ Sie kommunizieren per Google Translator oder mit Händen und Füßen, berichtet Woggan. Ein oder zwei Gläser Wein machten die Gespräche leichter. „Je später der Abend, desto besser klappt es“, scherzt die Freiburgerin. Kürzlich haben sie zu dritt einen „Mädelsabend“ gemacht. Auch in Frankreich waren sie schon.
Neues und altes Leben: Liudmila Vitman mit ihrer Freiburger Gastgeberin Melanie Woggan. Angela Riabezhenko früher in der Ukraine.
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SZENE GASTRONEWS UKRAINE
»PUTINISTEN DROHEN MIT VERGELTUNG« RUSSEN IN FREIBURG BERICHTEN VON ANFEINDUNGEN UND ZERBROCHENEN FAMILIEN
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eit dem Überfall auf die Ukraine verzeichnet die Polizei im Breisgau Beleidigungen sowie Sachbeschädigungen, die wohl im Zusammenhang mit dem Krieg in Osteuropa stehen. Dem chilli erzählen russischstämmige Freiburger ˛innen von wüsten Beschimpfungen, gesperrten Konten und Keilen, die der Kreml durch ihre Familien treibt. Am 24. Februar, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, standen die Telefone an der Freiburger Stadtstraße nicht mehr still. „Der Angriffskrieg hat unsere Arbeit auf den Prüfstand gestellt“, sagt Elisabeth Cheauré, Vorsitzende von Zwetajewa – Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg. „Wir haben unser Programm fundamental umgebaut“, so die Professorin. Der von russischen Finanzmitteln unabhängige Verein macht sich nun mit Veranstaltungen für Geflüchtete aus der Ukraine stark und veranstaltet eine
Vortragsreihe zum „anderen Russland“. Zugleich warnt das Zentrum vor Kollektivschuld und Sippenhaft von russischen Mitbürger·innen. Da hilft es nicht, dass Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk in einem aktuellen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „alle Russen“ zu Feinden erklärt. Denn unter die Hilfsbereitschaft in Deutschland mischt sich Hass: Das Bundeskriminalamt registriert jede Woche rund 200 „anti-russisch“ motivierte Straftaten. Darunter Beleidigungen, Drohungen und Sachbeschädigungen. Konkrete Zahlen liegen der Polizei in Freiburg noch nicht vor, die Beamten berichten jedoch Ähnliches für den Breisgau: „Bei uns werden vereinzelt Beleidigungen angezeigt, auch Sachbeschädigungen, die möglicherweise im Bezug zur Tatsache stehen, dass Krieg ist“, so Sprecher Stefan Kraus. Er vermutet zudem, dass in diesem Bereich vieles nicht angezeigt wird.
Irina Friedemann ist Teil dieser Dunkelziffer. Seitdem die Russin sich online gegen den Krieg ausgesprochen hat, wird sie bedroht und beleidigt. „Putinisten drohen mir mit Vergeltung. Sie sagen, ich werde büßen“, sagt die IT-Consultin in ihrer Freiburger Wohnung. Die Anfeindungen über Social Media zielen darauf ab, dass die 55-Jährige ukrainischen Geflüchteten Arbeitsplätze vermitteln möchte und über einen Verein Medikamente nach Odessa und Poltawa bringt. Den Profilen nach zu urteilen, stammen die Absender sowohl aus Russland als auch Deutschland. Es sind eine Menge: „Nach 25 Nachrichten habe ich aufgehört, die Beschimpfungen zu zählen.“ Der Krieg in der Ukraine polarisiert russische Bürger·innen und Russlanddeutsche in Freiburg. Grund ist die Desinformationskampagne aus Moskau. „Viele schauen hier ausschließlich russisches Staatsfernsehen“, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus der russischen
MEINE WEDER PONYS NOCH WELPEN SORGEN Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Tempolimits. Seit Jahren fliegen uns Argumente um die Ohren, die Gräben sind tiefer als zwischen Bachelor und Literarischem Quartett. In der Ampel-Regierung verteidigt die FDP wacker das Recht, mit 300 Sachen auf dem linken Streifen den Flash zu machen und „Looking for Freedom“ zu grölen. 18 CHILLI APRIL 2022
Doch nun steigt der Puls von PS-Ultras auch abseits des Lenkrads. Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat ein temporäres Tempolimit auf Autobahnen ersonnen! Das könnte etwa bis Ende 2022 bestehen, dem Zeitpunkt, zu dem man spätestens von russischem Öl unabhängig sein wolle. Es erinnert an Kindheitstage: Wenn mir meine Eltern kein Pony kaufen, kann ich sie dann auf einen Welpen runterhandeln? Nichts da, die FDP (lahme 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl) knickt nicht ein. Wenn
KOLUMNE
man dem Nachwuchs den kleinen Finger gibt, will er die ganze Hand – das wäre das Ende des selbstbestimmten Rasens. Doch während die meisten Erwachsenen halbwegs vernünftige Gründe gegen einen Welpen auf Lager hätten, wirkt die FDP arg verkrampft. Gegen das hundsgemeine temporäre Tempolimit verweist Verkehrsminister Volker Wissing auf fehlende Schilder. Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Verkehrsschildermangels. Pascal Lienhard
„Nichts rein und nichts raus": Irina Friedemanns Konten wurden gesperrt.
Gemeinschaft. Zwar ist beispielsweise der Kreml-nahe Sender RT, früher Russia Today, in Deutschland seit dem 2. März gesperrt. Mit vergleichsweise geringem technischen Aufwand ist die Propagandaplattform sowie andere Staatssender jedoch noch online abrufbar.
»DAS IST WIE EIN KEIL« Die Kriegsverbrechen in der Ukraine werden dort als Rettungsaktion verkauft: „Das ist wahnsinnig gut gemacht. Man muss wirklich aufpassen, nicht zu glauben, was dort alles behauptet wird“, sagt die Frau, die öffentlich anonym bleiben möchte. Längst nicht jede·r schenke dem Glauben. Aber: „Das ist wie ein Keil. In Freiburg brechen deswegen Familien auseinander.“ Wie viel russisches Staatsfernsehen wird in Freiburg geguckt? Schriftliche Fragen auf Kyrillisch an Kunden zweier russi-
scher Lebensmittelgeschäfte bleiben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Irina Katz kennt die Problematik. Die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde in Freiburg sagt: „Das sind meistens Menschen, die schlecht integriert sind.“ Von Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine habe sie in ihrer Gemeinde mit rund 700 Mitgliedern, die zu großen Teilen Wurzeln in der ehemaligen UdSSR haben, jedoch nicht gehört. Katsiaryna Nestserava wurde Opfer einer Kollektivstrafe anderer Art. „Ich habe Familie in Russland, der Ukraine und Belarus und stand von dem Angriff noch unter Schock. Dann wurde mir mitgeteilt, dass mein Konto gesperrt wird“, sagt die Weißrussin, die seit zehn Jahren in Freiburg lebt und derzeit als Dolmetscherin Geflüchtete aus den Kriegsgebieten betreut. Letztlich trat die Sperre nicht in Kraft, weil Nestseravas Einzahlungen gemäß EU-Verordnung den Betrag von 100.000 Euro nicht übersteigen. Die Maßnahme kann sie nachvollziehen, jedoch nicht in dieser Form: „Ich bin keine Oligarchin.“ Friedemanns deutsche Konten waren drei Wochen gesperrt. „Es ging nichts rein und nichts raus“, sagt sie. Geld nach Russland senden könne sie nach wie vor nicht – und damit das Zimmer ihrer pflegebedürftigen Mutter bezahlen. Dessen Miete sei noch drei Monate gedeckt. Einreisen ist auch keine Option: Für sogenannte „falsche“ Informationen über den Krieg in der Ukraine drohen Friedemann in ihrem Heimatland bis zu 15 Jahre Haft. Putins Krieg trifft auch ihre Familie: „Wahrscheinlich sehe ich meine Mama nie wieder.“ Philip Thomas
Feines im Fino
Alexander Mayer hat das leerstehende Café Ruefino im Haus Granatgässle 3 zu neuem Leben erweckt. Der gelernte Kunstschmied hat die Cafébar Fino eröffnet. Es gibt ausschließlich Regionales und Italienisches, etwa den Fino-Hauswein. Alle Speisen sind hausgemacht. Der prämierte Bartender war zuvor an der Bar im One Trick Pony aktiv, davor in der Passage46 und in der Hemingway Bar.
Quo vadis „Quo Vadis“?
Das Eiscafé Quo Vadis darf plötzlich nicht mehr auf dem Gehweg hinter den Blumenkästen bewirten. Die Genehmigung dafür hatte das Rathaus 2016 erteilt. Nun widerrief sie dies wegen fehlender Barrierefreiheit. Die Pächterin ist aufgefordert, einen neuen, genehmigungsfähigen Plan vorzulegen, der eine Behinderung von Passanten vermeidet.
Im Bis Späti heißt’s jetzt Ciao Pinsa
Igor Cakalic und Giuseppe Russo haben sich den Traum vom eigenen Restaurant erfüllt. An der Egonstraße, dort, wo der Späti seinen Betrieb schließen musste, haben sie das „Ciao Pinsa“ eröffnet. Pinsen sind eine Slowfood-Alternative zur Pizza. Es gibt gut 20 Sitzplätze – und die sind schon im Voraus ausgebucht. bar
Fotos: © i.Stock/Sezeryadigar, privat, pt
Ofenfrisch
Verurteilen den Krieg in der Ukraine: Katsiaryna
Russin Irina Friedemann.
Nestserava aus Belarus (links) und die
Brotsommelier Tillmann Gurka hat eine Bäckerei im Freiburger Güterbahnhofareal eröffnet und verkauft seitdem sechs Tage die Woche frisches Brot, Brioche oder Zimtschnecken. Kundenkontakt und Frische seien das Wichtigste: „Leute sind nicht gewohnt, knallheißes Brot in die Tüte bekommen.“ Das hat allerdings auch seinen Preis. Die Brote kosten bis zu 6,50 Euro. mj APRIL 2022 CHILLI 19
VERANSTALTUNGSKALENDER
Jess Jochimsen „Meine Gedanken möchte ich manchmal nicht haben“ Samstag, 30. April 2022 Vorderhaus, Freiburg, 20 Uhr
Termine 16. 4.– 15. 5.
Foto: © Britt Schilling
Partys
VERANSTALTUNGSKALENDER SAMSTAG
16.4.2022 AUSSTELLUNGEN Vom Ei zum Küken
onderausstellung mit frisch S geschlüpften Küken, bis 24.4. Museum Natur und Mensch, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen
Christoph Meckel
Mensch–Sein, Kind–Sein, Ich–Sein, bis 19.6. Museum für neue Kunst, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen
Disneys große Zeichner
Barks, Taliaferro & Gottfredson, bis 12.6. Kunsthalle Messmer, Riegel Info: www.kunsthallemessmer.de
Louise Bourgeois & Jenny Holzer
Schätze
Gespenster
Dreiländermuseum, Lörrach Info: www.dreilaendermuseum.eu
Theater Baden-Baden H 20 Uhr Info: www.theater-baden-baden.de
BÜHNE
E VENTS
Tommy Tailors Traumfabrik
Achkarrer Osterhock
Verborgene Stücke, bis 1.5.
Ein Abend voller Fabelwesen
Gloria Theater, Bad Säckingen H 20 Uhr Info: www.gloria-theater.de
Der Barbier von Sevilla
Opera buffa von Gioacchino Rossini Großes Haus, Staatstheater Karlsruhe H 19.30 Uhr Info: www.staatstheater.karlsruhe.de
Cosi fan tutte
Oper von W. A. Mozart L‘Opéra National du Rhin, Straßburg H 20 Uhr Info: www.operanationaldurhin.eu
T he Violence of Handwriting Across a Page, bis 15.5.
Premiere: Faust I
Kunstmuseum Basel Info: www.kunstmuseumbasel.ch
Großes Haus, Theater Freiburg H 19.30 Uhr Info: www.theater.freiburg.de
Sehnsucht
alerei von Angelika Billion & Patricia M Rudolph, bis 26.8.
Schauspiel von J.W. Goethe
Gott
Ferdinand von Schirachs Theaterstück
Familiendrama von Henrik Ibsen
sterwochenende ganz im Zeichen des O Frühlings, bis 18.4. WG Achkarren, Vogtsburg-Achkarren Info: www.achkarrer-wein.com
Seliger – Gerullis – Seliger
andtableaus, Ritzungen & gestische W Malerei, bis 9.10. Museum Art.Plus, Donaueschingen Info: www.museum-art-plus.com
Michael Urtz
Weg – Zeichen – Spur, Malerei, bis 10.5.
roße Kirmes auf dem Festplatz, G bis 24.4.
Galerie Messmer, Riegel Info: www.galerie-messmer.de
Festplatz Läger, Kehl H 11 Uhr Info: www.kultur.kehl.de
200 Jahre Museum
Eine Reise durch die Nacht
Naturhistorisches Museum Basel Info: www.nmbs.ch
Planetarium, Freiburg H 16.30 Uhr Info: www.planetarium-freiburg.de
Purzelbaum und Politik
K INO
Stadtmuseum Lahr Info: www.stadtmuseum.lahr.de
Was sieht man am Sternenhimmel?
Eat Drink Man Woman
Filmische Hommage an Küchen Asiens Kommunales Kino, Freiburg H 19.30 Uhr Info: www.koki-freiburg.de
Kleines Haus, Staatstheater Karlsruhe H 19.30 Uhr Info: www.staatstheater.karlsruhe.de
Tamara Berdowska
Marias Testament Nach Colm Tóibín
itarren, Percussion, Glockenspiel & G Melodika
Galerie K, Staufen Info: www.galerie-k.art
Wallgraben Theater, Freiburg H 20 Uhr Info: www.wallgraben-theater.com
Schlosskeller Emmendingen H 20.30 Uhr Info: www.schlosskeller-emmendingen.de
24 CHILLI APRIL 2022
17.4.2022
AUSSTELLUNGEN
Kehler Ostermarkt 2022
Arkana Forum, Emmendingen Info: www.arkana-forum.com
Ausgewählte Arbeiten, bis 22.8.
SONNTAG
M USIC Wilde Wälder
Jubiläumsausstellung, bis 1.5.
175 Jahre Turngeschichte, bis 19.6.
Peter Tollens
quarelle, Zeichnungen & A Künstlerbücher, bis 26.6. PEAC Freiburg Info: www.peac.digital
Katharina Hoehler & Thomas Lefeldt
Farbe und Linie im Fluss, bis 24.4. Georg-Scholz-Haus, Waldkirch Info: www.georg-scholz-haus.de
› Alle Angaben ohne Gewähr
HEFT NR. 3/22 12. JAHRGANG
ZÖGERLICH
MUSIKZENTRUM KA52 IM PLANUNGSSTAU
PUNKIG
ALBUMDEBÜT DER BAND „HEDVIG”
SCHWUNGVOLL
BUCHHANDLUNG ZUM WETZSTEIN STARTET NEU
KINO
Wie eine Löwin
DIE GESCHICHTE EINES GUANTÁNAMO-HÄFTLINGS AUS DER PERSPEKTIVE SEINER KÄMPFERISCHEN MUTTER
Deutschland 2022 Regie: Andreas Dresen Mit: M.Kaptan, A.Scheer, N.Kürük, C. Hübner, Abdullah Ömre Öztürk u.a. Verleih: Pandora Laufzeit: 119 Minuten Start: 28. April 2022
V
or 20 Jahren geriet Murat Kurnaz als „Bremer Taliban“ in die Schlagzeilen. Der damals 19-jährige Sohn einer türkischen Einwanderer- und Arbeiterfamilie war im Herbst 2001 nach Karatschi gereist, um bei einer sunnitisch-orthodoxen Organisation den Koran zu studieren. Er wurde von der pakistanischen Polizei verhaftet und gegen ein Kopfgeld an die US-Streitkräfte in Afghanistan ausgeliefert. Unter dem Vorwurf, an den Anschlägen des 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, wurde er als „feindlicher Kämpfer“ in das Gefangenenlager im US-Marinestützpunkt Guantánamo auf Kuba verlegt. Dort blieb er als Kriegsgefangener bis 2006. Andreas Dresens Spielfilm erzählt nun den langen Kampf seiner Mutter Rabiye um Murats Freilassung. Premiere feierte er bei der diesjährigen Berlinale – und wurde dort außer mit dem Gilde-Filmpreis der Jury auch mit zwei Silbernen Löwen ausgezeichnet: Laila Stieler für das beste Drehbuch und Maltem Kaptan als beste Hauptdarstellerin. Dieses Prädikat hat die 41-jährige Comedian mehr als verdient: Sie spielt die
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Rolle der Mutter, die wie eine Löwin um die Freiheit ihres Sohnes kämpft, höchst überzeugend – mit erfrischender Energie, mit gelegentlicher Verzagtheit, mit viel praktischem Humor und überraschender Leichtigkeit. Sie gibt dem düsteren Drama um einen ohne jede rechtliche Grundlage festgehaltenen und zudem gefolterten Häftling eine helle, sehr optimistische, zuweilen sogar heitere Note: Die einfache und ziemlich impulsive Frau lässt sich in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Unschuld ihres Kindes – und damit an das Gute im Menschen – von nichts und niemandem aufhalten. Auch nicht vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush, gegen den sie beim Supreme Court eine Klage einreicht, gemeinsam mit dem von Alexander Scheer bestens verkörperten Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke. Die extrovertierte Hausfrau und der zurückhaltende Anwalt wachsen zu einem wunderbaren Team zusammen; sie reisen nach Washington, um gemeinsam mit Angehörigen anderer Guantánamo-Häftlinge gegen das Unrecht vorzugehen, für das sich niemand zuständig fühlt. Dabei geht es nicht einmal so sehr um Schuld oder Unschuld, sondern darum, dass das Menschenrecht auf gerechte Justizverfahren allen zusteht. Und das ist die eindeutige Botschaft des Films – auch wenn er sie in einer sehr gelungenen Mischung aus Drama und Komödie verpackt.
Fotos: © pandora Film
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
von Erika Weisser
KINO IN DEN BESTEN HÄNDEN
ODYSSEE
SUN CHILDREN
Foto: ©Alamode
Foto: © Grandfilm
Foto: © MFA
Frankreich 2021 Regie: Catherine Corsini Mit: Aissatou Diallo Sagna, M. Foïs u. a. Verleih: Alamode Laufzeit: 98 Minuten Start: 21. April 2022
Frankreich/Tschechien 2020 Regie: Florence Miailhe Mit: Hanna Schygulla als Sprecherin Verleih: Grandfilm Laufzeit: 84 Minuten Start: 28. April 2022
Iran 2020 Regie: Majid Majidi Mit: Rouhollah Zamani, Shamila Shirzad Verleih: MFA Laufzeit: 99 Minuten Start: 5. Mai 2022
Fels in hysterischer Brandung
Erschütternd aktuell
Kein Licht am Tunnelende
(ewei). Die selbstbezogene und streitsüchtige Comiczeichnerin Raf bricht sich nach einer wüsten Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgefährtin Julie den Arm: Sie wollte Julie am endgültigen Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hindern und stürzte dabei. Julie bringt sie zwar noch in die Notaufnahme der nächsten Klinik, will sich dann aber nicht weiter um sie kümmern. Angesichts der hoffnungslos überfüllten Station, der entsprechenden Anspannung des Personals und des hysterischen Gezeters der Freundin bleibt sie aber. Und wird Zeugin eines durch stetig eingelieferte Verletzte ausgelösten Chaos; diese rühren von den Zusammenstößen zwischen Gelbwesten-Demonstranten und der mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern ausgestatteten Polizei unweit der Klinik her. Dass die Situation nicht aus den Fugen gerät, ist Krankenschwester Kim zu verdanken, die, obwohl am Rand der Erschöpfung, die Ruhe bewahrt und für jeden ein freundliches Wort, eine mitfühlende Geste hat. Sogar für Raf.
(ewei). Die Geschwister Kyona und Adriel leben in einem kleinen, von friedlichen Wäldern umgebenen Dorf, das überall auf der Welt sein kann. Die beiden sind gern in diesen Wäldern unterwegs – auf Abenteuer- und Entdeckungstouren. Sie beobachten Tiere, erfinden Spiele und klettern um die Wette auf die höchsten Bäume. Von dort aus erblicken sie eines Tages Rauch über ihrem Dorf. Und als sie sich vorsichtig nähern, sehen sie, dass die Häuser angezündet wurden und Soldaten ihre Nachbarn gefangen nehmen. Sie finden ihre versteckten Eltern, fliehen gemeinsam mit ihnen, werden aber bald von ihnen getrennt. Die beiden setzten ihren Weg ins Ungewisse allein fort, schlagen sich irgendwie durch, eine Zeit lang in einer Kinderbande. Um zu überleben, müssen sie ihre Kindheit ganz schnell hinter sich lassen. In bewegenden und bewegten handgemalten Bildern in Öl auf Glas erzählt die Künstlerin Florence Miailhe eine eigentlich universelle, doch erschütternd aktuelle Kriegs-Fluchtgeschichte.
(ewei). Ali ist zwölf und weitgehend auf sich selbst gestellt: Sein Vater lebt nicht mehr und die Mutter befindet sich in einem Spital in Teheran. Als er sie ohne Erlaubnis besucht, findet er sie in unansprechbarem Zustand ans Bett gebunden vor. Er will sie so schnell wie möglich herausholen, hätte aber, da er für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten muss, weder genug Zeit noch Geld, um für sie zu sorgen. Und schnelles Geld ist nicht in Aussicht, obwohl er mit seinen gleichfalls sich selbst überlassenen Freunden auch hin und wieder krumme Dinger dreht, die meistens ohnehin schiefgehen. Als ein Altkrimineller ihm von einem Schatz erzählt, der angeblich in irgendwelchen Katakomben unter der Sun School, einer privaten Schule für Straßenkinder und Kinderarbeiter, verborgen sein soll, melden sich die Jungs dort an. Und während sie von den Einsichten, die ihnen die ungewohnte Bildung eröffnet, überrascht sind, graben sie sich heimlich immer weiter durch einen endlosen Tunnel.
MUSIK
„Hey, wir machen ja Thrash Metal!“
FREIBURGER BAND HEDVIG VERÖFFENTLICHT DEBÜT OHNE SCHEUKLAPPEN
S
von Pascal Lienhard
chuld an allem ist der Vater. Schon im Kindesalter versorgte er Raffaello und Jacopo Dazzi mit Musik. Alben von Künstlern wie den Doors, Pink Floyd, Led Zeppelin und Deep Purple – ein ordentliches Starterpaket. Das hat Früchte getragen. Schon seit Jahren machen die Brüder Musik, mit Max Bonengel haben sie als „Hedvig“ jetzt ihre erste Platte veröffentlicht.
der Gitarre malträtiert Jacopo Dazzi auch die Stimmbänder. Raffaello Dazzi verdrischt die Drums, der Bass von Bonengel wummert ordentlich. Und natürlich darf auch das Gitarrensolo nicht fehlen. Ein starker Einstieg. Wer für das Trio eine musikalische Schublade sucht, wird es wohl in jene mit der Aufschrift „Thrash Metal“ stecken. Der Stil verbindet – aufs Wesentliche heruntergebrochen – eine harte Ins-
Die Brüder Dazzi ließen es musikalisch schon früh im elThrash Metal ohne Scheuklappen: Schnelligkeit, Härte und aggressiver terlichen Keller in Straßburg Max Bonengel, Raffaello und Jacopo krachen. Die Band „Hedvig“ Gesang – das ist Thrash Metal Dazzi (v. l. n. r.) sind „Hedvig“. gibt es seit 2019, in der heuFoto: © tyrellwellig tigen Besetzung mit Bonengel am Bass trumentierung mit einem aggressiv seit 2020. Beheimatet ist das Trio in vorgetragenen Gesangsstil. „Die hohe Freiburg. Seine Musik hat es in sich, wie Geschwindigkeit ist wahrscheinlich der das Debüt „Regain Control“ beweist. zentralste Aspekt“, erklärt der 19-jährige Nach einem kurzen Intro startet „Power Bonengel. „Als Referenz kann man sich to the People“. Vor dem inneren Auge die frühen Alben von Metallica anhöfliegen überlange Haarpracht und Bier- ren“, ergänzt Jacopo Dazzi. Zudem sind krüge durch die Luft, im Refrain recken im Thrash Metal oft Ansätze des Punks sich geballte Fäuste in die Höhe. Neben zu hören. 44 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2022
MUSIK MUSIK
Hyped nach Stillstand
Das gilt für „Hedvig“ in doppelter Hinsicht. Titel wie „Power to the People“ oder „Regain Control“ könnten problemlos von einer Punkband kommen, Zeilen wie „No longer shall you submit to survive, no longer shall you work, consume and die“ sind Gesellschaftskritik pur. „Politisch stehen wir ganz klar links“, sagt Jacopo Dazzi. Jedoch wolle man nicht nur die eigene Blase bedienen. Könnte da der Bandname helfen? Bei „Hedvig“ mag man zuerst an die Schneeeule von Zauberlehrling Harry Potter denken. „Damit hat das nichts zu tun“, stellt Raffaello Dazzi klar. Der Name ist einem Charakter aus dem Stück „Die Wildente“ des Norwegers Henrik Ibsen aus dem 19. Jahrhundert entnommen. Weltgewandtheit kann man dem Trio kaum absprechen. So ist es auch nicht nur klassischer Thrash Metal, der bedient wird. „Wir haben erst mit der Zeit gemerkt, dass wir Thrash Metal machen“, erklärt der 25-jährige Raffaello Dazzi. Auch andere Einflüsse kommen zum Tragen. „Pleasure is Pain“ etwa beginnt langsam, baut sich Stück für Stück auf, ehe es losrockt und sich zu einem Highlight der Platte mausert. Im Rausschmeißer „Schwarzwald Thrash“ wechselt Jacopo Dazzi ins Deutsche und besingt irre Gestalten, die nachts ums Feuer tanzen. „Da war ich von der Fastnacht beeinflusst“, sagt der 22-Jährige grinsend.
BAND TRIAZ VERÖFFENTLICHT IHR ZWEITES ALBUM Jazz, Pop und Klassik treffen bei Triaz aufeinander. Soeben hat die Freiburger Band ihr zweites Album „Silent Tears“ veröffentlicht. Für Sängerin Florine Puluj ist das auch das Ende einer Durststrecke. Mit der Platte brechen sie auch mal Konventionen. „Wir sind hyped“, sagt Florine Puluj. Ihr Album ist da, gerade haben sie ihr Releasekonzert im Jazzhaus gespielt. Ziemlich krasser Stillstand sei wegen Corona gewesen. Mit der Platte gehe es nun endlich weiter. Die ersten Singles „Shadows in Verdon“ und „Fly High“ unterstreichen, dass sie der Formel ihres Debütalbums „Bring me Everything“ (2019) treu bleiben: Eingängige Melodien treffen auf komplexe Arrangements. Fein produzierte, meist tiefenentspannte Beats bilden den Teppich, der die Sängerin schweben lässt. Ihre samtige Stimme ist das prägende Element der Kombo. Als Geschichtenerzählerin sieht sich die 28-Jährige. Ihre Hörer·innen möchte sie mit Gitarrist Thomas Schmeer, Christian Kube (Klavier), Bernd Heitzler (Kontrabass) und Julian Erhardt am Schlagzeug mit auf eine Reise nehmen. Wer in den Triaz-Zug einsteigt, sollte Zeit mitbringen: Der Album-Opener „Silent Tears“ geht 9.23 Minuten. Viel zu entdecken gibt es da dank raffinierter Wendungen. Gewagt sei die Länge, sagt Puluj. Aber: „Das ist die Musik, die wir sind.“ Kreativ und grenzenlos sei ihr Ansatz. Und das zeige sich gerade in „Silent Tears“. Im Song geht es um Flucht und Europa. „Das Thema ist super wichtig“, sagt Puluj. Daran komme man nicht vorbei. Die Skizze zum Lied ist schon einige Jahre alt. Erst jetzt hätten sie es geschafft, ihn umzusetzen. „Unser krassester Song bisher“, sagt Puluj. Advanced Pop nennen Triaz den Stilmix. Der Bandname steht für einen Dreiklang, die Einflüsse sind aber zahlreicher. Auch Rockiges ist rauszuhören. Das Booking ist schwieriger als noch 2019, berichtet Puluj. Gerne würden sie auch auf größeren Festivals und in renommierten Clubs spielen: „Die haben uns noch nicht so auf dem Schirm, aber wir sind sicher, das Niveau zu haben.“ Ihr Song „Undercover-Love“ lief im Deutschlandfunk in der Rotation. Ihre Stärke sehen sie aber vor allem live: „Wir können eine wahnsinnig krasse Stimmung aufbauen“, sagt Puluj. Etwas Vergleichbares gebe es nicht. Till Neumann
Wall of Death: Unsinn für die einen, Ehre für die anderen
Eingäng, aber komplex: der Sound von Florine Puluj und ihrer Band
Foto: © Amina Mosley
Ungefähr zwei Jahre arbeitete die Band an ihrem Album, die Drums wurden schon Anfang 2020 aufgenommen. „Wir sind große Prokrastinierer“, gesteht Raffaello Dazzi schmunzelnd. Zudem habe man mit Beruf und Studium zum Teil viel um die Ohren gehabt. Inzwischen arbeite man aber konsequenter. Aufgenommen wurde in Eigenproduktion in Kehl und Freiburg, für Mix und Mastering holte sich das Trio Christoph Brandes von Iguana Studios aus der March ins Boot. „Ihm haben wir viel zu verdanken“, sagt Jacopo Dazzi. „Wir wollen jetzt so viele Shows wie nur möglich spielen“, führt der Sänger aus, „wir spielen liebend gerne live.“ Dass die Band auf der Bühne ankommt, hat ihr Auftritt bei „Freiburg stimmt ein“ im vergangenen Jahr gezeigt. Der erste gemeinsame Gig war ein Erfolg – inklusive Wall of Death. Das Ritual wird vor allem in härteren Musikrichtungen gepflegt und wird für Uneingeweihte auf ewig ein Mysterium bleiben. Das Publikum teilt sich in zwei Blöcke, um auf ein Signal hin frontal aufeinanderzuzurasen. Über den Sinn werden sich die Geister noch lange streiten – für eine junge Band wie „Hedvig“ ist es aber eine echte Ehre. Die Musiker arbeiten bereits an Songs für eine zweite Platte. Das Debüt wurde inzwischen sogar schon aus den USA geordert. Ob das auch ohne die frühe Beschallung mit Led Zeppelin und Co. so gekommen wäre? Fans von Gitarrenmusik können dem Vater der Dazzis jedenfalls dankbar sei.
LITERATUR
Ein Ort für Debattenkultur BUCHHANDLUNG ZUM WETZSTEIN STARTET MIT EINEM NEUEN KONZEPT
D
von Erika Weisser
„Ich habe nie gesagt, dass der Wetzstein ganz verschwinden wird“, sagt Inhaberin Susanne Bader, die die Buchhandlung zusammen mit ihrem 2014 verstorbenen Mann Thomas Bader eröffnet hatte. 2019 habe sie zwar ans Aufhören gedacht, doch immer auch nach Lösungen für den Traditionsbetrieb gesucht, den der Autor Rainer Moritz nach seiner bibliophilen Reise durch den Kontinent in seinem 2010 erschienenen Buch zu den schönsten Buchhandlungen Europas zählte. Zunächst fand sie die Lösung mit der Stoffhandlung als Untermieterin. Deshalb schloss sie „den Wetzstein“ am Freitag, den 13. März 2020 auch nur für die Spanne der „umfassenden, sehr intensiven und sorgfältigen Renovierung“, die mehr Licht und Ursprünglichkeit in die Räume brachte. Danach zog sich Susanne Bader mit den Büchern in die zweite Reihe des Ladens zurück: in einen kleinen, bei den Renovierungsarbeiten erschlossenen Raum im ältesten, aus dem 12. Jahrhundert stammenden Teil des Hauses.
Fotos: © ewei
Der Wetzstein kehrt zurück: Susanne Bader freut sich, dass sie mit Pascal Mathéus (re.) und Florian Wernicke Nachfolger für die legendäre Buchhandlung gefunden hat.Vom 29. April bis 1. Mai wird gefeiert – mit vielen Gästen, Lesungen, WerkstattGesprächen, einer literarischmusikalischen Matinee und einer Zoom-Diskussion um die Zukunft des Buchhandels.
ie Stoffe gehen, der Lesestoff bleibt und wird neu sortiert. Und er wird umfangreicher: Nach dem Auszug des Stoffgeschäfts Étoffe & Tessuti übernimmt die Buchhandlung zum Wetzstein noch in den letzten Apriltagen die gesamte Fläche des 130 Quadratmeter großen Ladengeschäfts zurück. Damit spielen Bücher wieder die Hauptrolle im Erdgeschoss des Hauses zum Wetzstein in der Salzstraße 31.
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Dort führte sie den Betrieb weiter – mit einem gut funktionierenden Online-Shop und mit zuverlässiger Belieferung, aber auch mit Öffnungszeiten und Kundenverkehr, der durch die pandemiebedingten unterschiedlichen Lockdown-Vorschriften für die beiden verschiedenen Branchen „natürlich sehr erschwert wurde“. Besonders stolz ist sie, dass sie „es durchgehalten“ hat, in all der wechselhaften Zeit den monatlichen Wetzstein-Brief regelmäßig herauszubringen. Seit mehr als einem Jahr geht ihr dabei Pascal Mathéus zur Hand. „Irgendwann ging ich in den Laden und fragte, ob ich mitarbeiten kann. Daraus ist eine sehr schöne und produktive Zusammenarbeit geworden“, erzählt der Althistoriker und Gründer des Literaturblogs aufklappen. com. Damit war die Lösung für die Zukunft des „Wetzstein“ eingeleitet. Inzwischen sind die beiden längst zu einem sich gegenseitig ergänzenden Team geworden. Mit dem Gerontologen Florian Wernicke haben sie noch einen Dritten im Bunde gefunden, um aus dem Wetzstein wieder eine große, die Stadtgesellschaft bereichernde Buchhandlung zu machen: einen offenen Ort für Austausch, für Veranstaltungen, für Debattenkultur, nicht nur über Literatur – ganz im Sinne ihres Gründers. Bader hat „ein gutes Gefühl“. Und sie freut sich auf die Zusammenarbeit, die auch auf neue literarische Wege führen wird. Und darauf, in die erste Reihe des Ladens zurückzukehren. Ganz besonders froh ist sie aber, dass sie Thomas Baders Lebenswerk fortführen und nun „nach und nach in gute Hände übergeben kann“. Dass die Buchhandlung nur wenige Tage nach Baders 80. Geburtstag am 18. April wieder ihre alte Größe zurückbekommt, sieht sie als Geschenk, als Hommage und als tiefe Verbeugung an ihn.
Info: Festprogramm: www.buch-wetzstein.de
FREZI
ZUKUNFTSMUSIK
von Katerina Poladjan Verlag: S. Fischer, 2022 192 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
NEVERMORE
DAS BLAUE ENDE DER ZEIT
von Cécile Wajsbrot Übersetzt von Anne Weber Verlag: Wallstein, 2021 230 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
von Victor Boden Verlag: p.machinerie, 2022 644 Seiten, broschiert Preis: 23,90 Euro
Klänge einer Zeitenwende
Alltägliche Horrorszenarien
Verfolgt in der Galaxie
(ewei). Es ist der Morgen des 11. März 1985. Während der Nachtschicht in einer „tausende Werst oder Meilen oder Kilometer östlich von Moskau“ gelegenen Glühbirnenfabrik scheppert Chopins Trauermarsch aus einem Transistorradio. „Ihr wisst, was das bedeutet“, warnt der Vorarbeiter die Belegschaft, zu der auch Janka gehört. Sie bewohnt zusammen mit ihrer kleinen Tochter Kroschka, ihrer Mutter Maria Nikolajewna und der Großmutter Warwara Michailowna ein Zimmer in einer ‚Kommunalka‘. Sechs Mietparteien leben in diesem großzügigen, längst zur Gemeinschaftswohnung umfunktionierten ehemaligen Bourgeoisie-Domizil mit Bad, Klo und Küche. Diese teilen sich vier Familien und zwei Einzelzimmerbewohner. Einer von ihnen ist Matwej Alexandrowitsch. Und er deutet die Musik aus seinem privaten Radio auch gleich richtig: „Da ist in Moskau wieder einer gestorben“, sagt er zu Maria Nikolajewna. Der dritte innerhalb von 28 Monaten – nach Breschnew und Andropow nun auch Tschernenko. Was die Bewohner der Kommunalka an diesem einzigen Tag des Romans nicht ahnen können: Die Ernennung von Michail Gorbatschow zum KPdSUGeneralsekretär leitet eine Zeitenwende ein. Der Trauermarsch wird zur Zukunftsmusik. Freilich eine trügerische – und nur für eine kurze Zeitspanne.
(ewei). Eine Übersetzerin lässt sich in Dresden nieder, um dort an einer neuen französischen Version von Virginia Woolfs Roman „To the Lighthouse“ zu arbeiten. Dabei setzt sie sich besonders mit dem Kapitel „Time passes“ auseinander, das, in einzelnen Passagen über die Erzählung verteilt, im Original mitzulesen ist. Bald wird deutlich, welch komplexes Unterfangen eine literarische Übersetzung ist: Die namenlose Frau will ganz nah am Originaltext bleiben und ihn anderssprachigen Lesern mit all seinen Besonderheiten zugänglich machen. Doch sie hat oft Mühe, sinnerhaltende Entsprechungen zu finden. Vorsichtig tastet sie sich an jeden Satz heran, erwägt verschiedene Varianten, verwirft sie wieder, sucht nach treffenderen Formulierungen. Ihre häufig ins Philosophische mündenden literarischen Selbstgespräche führt sie vorwiegend während nächtlicher Streifzüge durch die einst zerstörte und wiederaufgebaute Stadt. Dabei schweift sie ab, gerät beim Nachdenken über das Vergehen der Zeit unversehens in andere Zeiten, andere Räume, begegnet einer verstorbenen Freundin, findet sich in der verbotenen Zone um Tschernobyl wieder. Anne Weber hat Cécile Wajsbrots ungewöhnliches Buch ins Deutsche übersetzt – und erhielt dafür den Leipziger Buchpreis 2022.
(ewei). Ein Alptraum: Der Ich-Erzähler namens Brenner hat jegliches Zeitgefühl verloren. Er weiß nicht mehr, ob er „Stunden oder Tage in diesem Elend zubrachte“. In diesem geschlossenen und dämmrigen Raum mit der schmutzigen Betondecke, wo er sich nicht bewegen kann und ihm obendrein „beißende Luft die Atemwege zerkratzt“. Er kann keinen klaren Gedanken fassen, kann sich nicht erinnern, wie es dazu gekommen war, dass seine Papiere verschwunden waren. Ebenso wie seine Frau und die beiden Kinder. Wie sich sein ganzes bisheriges Leben „in Luft aufgelöst“ hatte. Klar ist ihm nur, dass er niemandem trauen kann, auch seiner Ärztin nicht, die ihm „glattweg eine Psychose einreden“ wollte. Und dass es ein Fehler war, die Polizei zu rufen, als er morgens in seiner über Nacht leergeräumten Wohnung aus seinem schrumpfenden Bett fiel. Nach dem Verhör wird er zu seiner Zelle gebracht – und springt durch ein sich öffnendes Loch in der Wand. Er landet in einer zerstörten Stadt, wo er den Auftrag erhält, die Erde zu vernichten Dabei ahnt er nicht, dass er „zu einer Schlüsselfigur einer kosmischen Krise mutiert und bereits die halbe Galaxie“ hinter ihm her ist. Mehr sei hier gar nicht verraten über diese spannende Sci-Fi-Geschichte des Freiburger Autors Victor Boden. APRIL 2022 CHILLI CULTUR.ZEIT 49
CHILLI ASTROLOGIE
DAS »BIERERNSTE«
CHILLI-HOROSKOP DIE UNWETTER-EDITION VON HOBBY-ASTRONAUT PHILIP THOMAS
WIDDER
WAAGE
21.03. – 20.04.
24.09. – 23.10.
Was für ein Flop. Vor Wochen schon hast du dir eine australische Jahresration Sonnencreme gekauft, deine Bikinizone gewachst und deine Hängematte gebügelt. Und dann das: Regen mit Aussicht auf mehr Regen. Sogar deine Gartenmöbel haben mehr Farbe bekommen als du. Bei genauerem Hinsehen merkst du allerdings: Das Braune ist bloß Rost.
Frühjahrsputz machst du dieses Jahr nach dem Motto: vom Winde verweht. Statt umständlich auszumisten und die unbenutzten Hanteln und das ungelesene Diätkochbuch mühsam zum Recyclinghof zu karren oder teuer Geld für den Sperrmüll zu berappen, stellst du einfach alles über Nacht auf den Balkon.
STIER
SKORPION
21.04. – 21.05.
24.10. – 22.11.
Und nun die Wettervorhersage für den sogenannten Frühling 2022. Im Norden, Osten, Süden und Westen kommt es zu unwetterartigen Gewittern. Teilweise lockert es nicht auf. Nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ansonsten Schauer mit teilweise heftigen Sturmböen und weiteren Gewittern. Anschließend Saharastaub.
ZWILLING 22.05. – 21.06. Wenn das so weitergeht, fällt Ostern buchstäblich ins Wasser. Für die Eier-Suche brauchen deine Kleinen bald ein Schlauchboot. Und ob es dieses Jahr bunte Eier gibt, steht noch in den Sternen: Entweder du stellst dem Osterhasen noch wasserfeste Farbe hin – oder sämtliche Eier werden braun oder weiß.
KREBS 22.06. – 22.07. Zuerst läuft dein Date nicht besonders gut: Wegen der Orkanböen fliegt dem Kerl zuerst das Toupet vom Kopf. Dann verabschiedet sich der Regenschirm gemeinsam mit seinem kleinen Fifi in die Lüfte. Und zu guter Letzt reißt dir der Wind noch die Brille vom Gesicht. Macht nix: Du wolltest schon immer mal im Sturm erobert werden.
Das Spiel geht auch andersherum. Beim „Sturmwichteln“ hast du jedoch kein Glück: Statt schicken Gartenmöbeln und einem neuen Haustier weht dir der Wind bloß abgebrochene Äste und Gelbe Säcke auf die Terrasse. Und nach dem vierten Trampolin machst du auch keine Freudensprünge mehr.
SCHÜTZE 23.11. – 21.12. In der Außenpolitik stehen die Zeichen auf Sturm. Händeringend sucht die Bundesregierung nach Möglichkeiten, sich von russischem Gas und Kohle freizumachen. Dabei liegt die Lösung auf der Hand – beziehungsweise in der Luft: Tief Ylenia hat im Februar rekordverdächtige 47 Gigawatt Strom produziert – so viel wie 33 Atomreaktoren. Das ärgert den Vladimir.
STEINBOCK 22.12. – 20.01. Leute, die sagen, „Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung“, haben diesen Frühling noch nicht erlebt. Welche Kleidung soll das denn sein? Ein Taucheranzug? Du siehst das positiv: Wegen Sturmfluten und Hochwasser auf Freiburgs Bürgersteigen wird wenigstens auch die Pollen-Saison nassgemacht.
LÖWE
WASSERMANN
23.07. – 23.08.
21.01. – 20.02.
Du überlegst, ob es im Zusammenhang mit Wetter und Klima noch andere Dinge gibt, die sich noch weniger vertragen als Sturm in Freiburg und Gelbe Säcke: Ozonloch und käsige Haut, Sägen und der Regenwald, das Pariser Abkommen und 1,5 Grad, die Autolobby und Tempolimit, Luisa Neubauer und Talkshow-Gäste ...
Donnerwetter, da säuft sogar der Wasssermann ab. Heutzutage wird wirklich über alles gestritten: Beziehungen, Sanktionen und Pronomen. Nur beim Wetter – da sind sich alle einig. Beim chilli meckern auch gerade alle wegen dem Wetter. Außer das Lektorat. Das beschwert sich wegen des Wetters.
JUNGFRAU
FISCHE
24.08. – 23.09.
21.02. – 20.03.
Der Sturm hat deinen Garten ziemlich durchgewirbelt. Nach der letzten Böe machst du erst mal Inventur. Es fehlen: ein Trampolin, ein Vogelhaus, das ferngesteuerte Auto von deinem Sohn, die Schaukel, deine Petunie, der Grill und dein Mann. Also, deine Petunie hättest du schon ganz gerne wieder.
50 CHILLI APRIL 2022
Was ist schlimmer, als stundenlang übers Wetter zu quatschen? Außer dieses Wetter da draußen, natürlich? Genau: zwölf Witzchen übers Wetter – sollte man meinen. Zu einem gewissen Grad sind Wetterjokes doch ganz witzig? Naja gut, weht so. Aber jetzt bist du hier wirklich vom Regen in die Traufe.
Dies war eine Leseprobe der April 2022-Ausgabe.
SIE HABEN LUST AUF MEHR? Das komplette Heft ist unter abo@chilli-online.de oder im Handel erhältlich.