Die Grenze der Zwietracht Es ist nur schwer zu glauben, dass es mitten in Europa zwei, den G8 zugehörige Staaten gibt, zwischen denen immer noch Unstimmigkeiten bezüglich des Grenzverlaufes herrschen; vor allem wenn wir daran denken, welche Relevanz etwas mehr als 0,8 Quadratkilometer für den Wohlstand dieser zwei Staaten haben. Eis scheint, wie so oft, ein einfaches Spiel im unfähigen Politikbetrieb. Wir werden hier versuchen, dieser Zwietracht in seiner 300jährigen Geschichte zurückzuverfolgen bis in die heutigen Zeiten der Kartographie von Google Earth. 1720 Herrschaft Savoyen, die Hauptstadt wird nach Turin verlegt; das komplette Massiv liegt im Herrschaftsgebiet Königreichs Sardinien, keine Grenzlinie teilt den Mont Blanc. 1796, VERTRAG VON PARIS Unter Napoleon Bonaparte muss Viktor Emanuel II. von Savoyen verschiedene Territorien abgeben; zum ersten Mal verläuft die Staatsgrenze mitten durch das Mont Blanc-Massiv. Die Teilung sieht vor, dass die höchsten Gipfel Teil Frankreichs werden und nur einige untergeordnete Gipfel bleiben italienisches Herrschaftsgebiet. 1815, WIENER KONGRESS Nach der Ära Napoleons versucht man das „Ancien régime“ wiederherzustellen. Die französischen Territorien des Mont Blancs kehren zurück in das Herrschaftsgebiet des Königs von Sardinien und Die Grenzlinie durch das massiv ist keine Landesgrenze mehr, sondern die Grenze zwischen den Herzogtümern Aosta und Savoyen. 1860, VERTRAG VON TURIN Übergabe der Grafschaft Nizza und Savoyens an Frankreich. Der Ministerpräsident des Königreichs Sardinien Cavour versprach dem französischen Kaiser Napoleon III. die Abtretung dieser Gebiete im Austausch für seine Unterstützung der italienischen Einigungspolitik. Dadurch wurde die Grenze zwischen den beiden Herzogtümern des Königreichs Sardinen zur Staatsgrenze. Dabei ist bemerkenswert, wie die Protokolle des Vertrags die Grenzlinie zwischen den beiden Herzogtümern in identischer Weise als Staatsgrenze aufnahmen, ohne jedoch im Detail auf die höchstgelegenen Zonen der Bergkette einzugehen (aus praktischen Gründen war es zu jener Zeit nicht möglich, Kartografen in diese Zonen des Massivs zu entsenden). Der Gipfel des Mont Blancs wurde folglich grob geschätzt zwischen den beiden Staaten aufgeteilt. 1865 Jean-Joseph Mieulet, erstellt im Auftrag des französischen Militärs eine topographische Karte des Massivs. Auf dieser Karte erscheint zum ersten Mal der Grenzverlauf durch das Massiv. Der ganze Gipfel des Mont Blancs liegt auf französischem Gebiet, wobei die Wasserscheidelinie und die morphologische Grenze zwischen den beiden Bergseiten komplett ignoriert werden. Die vorhergehenden bilateralen Verträge wurden dabei also in keiner Weise eingehalten. Hier beginnt die unterschiedliche Zeichnung des Grenzverlaufs zwischen beiden Staaten: die italienischen Karten zeigen
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