Medienpluralismus: Bedarf es politischer Regulierung? Österreich liegt in puncto Medienpluralismus durchaus auf Augenhöhe mit stärker thematisierten Problemländern wie der Türkei und Ungarn. SUMO sprach mit den MedienwissenschafterInnen Josef Seethaler und Krisztina Rozgonyi über die Gründe, die Wichtigkeit der Pluralität, geltende Regelungen und die Situationen in Österreich und Ungarn. Immer wieder liest man von Forderungen nach mehr Medienpluralismus, so auch bereits 2007 vonseiten der Europäischen Kommission. Meist sind die Forderungen gut gemeint, aber nicht von konkreten Maßnahmen begleitet. Sucht man beispielsweise nach europäischen Richtlinien zu diesem Thema, stellt sich schnell heraus, dass dies vergebens ist. Doch worum genau geht es beim viel erwünschten Medienpluralismus? Plural ist nicht egal Die international tätige Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ schreibt Medienpluralismus zwei Definitionen zu. Dazu gehören zum einen der interne oder auch inhaltliche Pluralismus, der eine Pluralität an Stimmen, Analysen, geäußerten Meinungen und Problemen umfasst. Zum anderen der externe oder auch strukturelle Pluralismus, welcher die Pluralität der Medienkanäle, der Mediengattungen wie Print, Radio, Fernsehen und Online und die Koexistenz von privat-kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien beinhaltet. In Fragen des externen Pluralismus wird oft die Eigentümerstruktur der Medien herangezogen, weil mehrere „gleiche“ Medien von ein und demselben Eigentümer für weniger Vielfalt sorgen als Medienunternehmen, die in der Hand von vielen verschiedenen Eigentümern sind. Enorme Wichtigkeit wird dem Medienpluralismus zugeschrieben, weil fehlender Pluralismus einen Gefahrenherd für allzu selektive Medienrezeption darstellt. Liest jemand beispielsweise die Tageszeitung „Österreich“, sucht online gezielt nach Nachrichten auf der Website „oe24.at“ und hört im Laufe des Tages „Radio Austria“ kommen alle Nachrichten mehr oder weniger aus derselben Quelle, denn all diese Medienkanäle sind im Besitz der Familie Fellner. Zwar ist dasselbe Phänomen auch beim ORF zu beobachten, der sowohl im Radio- als auch im Fernsehmarkt der größte Player ist, doch muss sich dieser laut öffentlich-rechtlichem
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Auftrag an Binnenpluralismus – also Vielfalt innerhalb der verschiedenen ORF-Programme und Sender wie Ö3, FM4 oder ORF2 etc. – halten. Ohne öffentlich-rechtlichem Auftrag kann über mehrere Medienkanäle ein und dieselbe Meinung an die Öffentlichkeit weitergegeben werden und so Filterblasen und Echokammern fördern. Bei stark ausgeprägtem fehlenden Medienpluralismus kann dies auch zum kommunikationswissenschaftlichen Phänomen der „Schweigespirale“ führen. Denn wenn die gesellschaftlich anerkannte Meinung vom dominierenden Medienunternehmen am Markt kommuniziert wird und man zu den wenigen Menschen gehört, die eine andere Meinung haben, wird die Bereitschaft, die eigene Meinung öffentlich zu äußern immer geringer. Die ungarische Medienforscherin Krisztina Rozgonyi von der Universität Wien skizziert Hauptbereiche, die fehlenden Medienpluralismus begünstigen. Man könne sehen, dass in sozialen Netzwerken Effekte wirken, die den Kontakt mit Nachrichten- und Informationspluralität drastisch verändern. Vor allem in diesem Bereich seien öffentlich-rechtliche Medien gefordert, sich der dramatischen Veränderung von sozialen Netzwerken zu stellen und sich den Bedingungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Aus Effekten veränderter Mediennutzung resultieren eine Vielzahl an Ungleichheiten wie anhand des Geschlechts oder der Ethnie und somit weniger Pluralität. Bei diesem Punkt sei vor allem die Rolle von künstlicher Intelligenz in der Medienproduktion und Mediennutzung und die Verbreitung der Inhalte via sozialer Netzwerke ein wichtiger Ansatzpunkt. Status quo der Regulierungen Die öffentlichen Forderungen nach Medienpluralismus zeigen, dass der Politik die Risiken fehlender Vielfalt bewusst sind. Dem entgegengesetzt hat die Europäische Kommission trotz ihrer Forderungen bislang keine passenden Richtlinien zur Sicherung des Medien-
Medienpluralismus: Bedarf es politischer Regulierung?
pluralismus beschlossen. Laut Josef Seethaler, stellvertretender Leiter des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, beschränke sich die europäische Medienpolitik zurzeit vor allem auf Fernsehfilme und ähnliches oder Zusammenschlussrecht. Jedoch seien die ersten Anmerkungen der neuen Kommissionspräsidentin Van der Leyen und die Aufnahme von Medienpluralismus in den „Rule of Law“-Report ermutigend. Auf österreichischer Ebene sei die Medienpolitik laut Seethaler „irreparabel“. Denn seit den 1980er Jahren nehmen sowohl horizontale, als auch in den letzten Jahren zunehmend cross-mediale Konzentration zu. Das gelte auf jeden Fall für den PrintSektor, im Radio- und Fernsehmarkt hatte der ORF bis zur Dualisierung des Marktes eine Monopolstellung. Nach der ersten Lockerung aufgrund neuer privater MarktteilnehmerInnen setzten auch hier Konzentrationstendenzen ein. Im Fernsehmarkt erhöhte der von der Wettbewerbsbehörde genehmigte Zusammenschluss von ATV und der „ProSiebenSat.1Puls4“-Gruppe die Konzentration deutlich. Das hatte zur Folge, dass es auf diesem Markt nun einen großen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen großen privaten Medienkonzern, der in deutscher Hand ist, gibt. Komplettiert wird der Markt mit vergleichsweise marginalen Teilnehmern wie „ServusTV“. Nach der Novelle des Privatradiogesetzes im Jahr 2004 haben vor allem Zeitungsverlage die Möglichkeit bekommen, Radiolizenzen zu erwerben. Neben einigen nicht weitreichenden Beschränkungen gebe es laut Seethaler keine richtige konzentrationsverhindernde Rechtsgrundlage. Diese Freiheit führe im Radiobereich dazu, dass Lizenzen zusammengelegt werden und dadurch die Voraussetzungen geschafft würden, um eine bundesweite Radiolizenz zu bekommen. Rückblickend betrachtet, sei es ein Konzentrationsschritt, den man so nicht haben