Regionaljournalismus und -politik unter der Lupe Hintergrundgespräche am Stammtisch, fehlende Kritik, Freundschaft zählt mehr als Objektivität. All das wird dem Regionaljournalismus vorgeworfen. Doch inwieweit stimmen diese Vorwürfe? Auf der Suche nach Antworten diskutierte SUMO mit Christoph Reiterer und Sandra Frank, JournalistInnen der „Niederösterreichischen Nachrichten“ (NÖN), sowie PolitikerInnen.
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Eine laue Sommernacht. Da passt ein Heurigenbesuch unter FreundInnen ganz gut ins Programm. Natürlich darf ein guter Wein nicht fehlen. Und wie es oft so ist, bespricht man beim Heurigen auch Berufliches. So auch am Tisch neben dem großen Apfelbaum. Dort sitzen zwei Männer, der Körpersprache zufolge kennen sie sich seit Längerem und sind gut befreundet. Auf den ersten Blick also nichts Besonderes. Doch während an den restlichen Tischen FreundInnen von ihren Marketingtätigkeiten, ihrer LehrerInnenfortbildung oder dem anstehenden Personalworkshop erzählen, bespricht der Tisch beim Apfelbaum politische Vorhaben und deren publizistische Veröffentlichung. Denn an diesem Tisch sitzt der Bürgermeister gemeinsam mit dem Journalisten der Regionalzeitung. Szenarios wie diese assoziieren viele Menschen mit Regionaljournalismus, ob am Stammtisch, beim Dorffest oder in den eigenen vier Wänden. RegionaljournalistInnen und -politikerInnen sind stets im regen Austausch miteinander und gut befreundet. Dass man über eine/n gute/n FreundIn nicht kritisch berichtet, versteht sich von selbst. Deswegen ist die allgemeine Berichterstattung auch eher seicht und ohne kritische Untertöne. Soweit zumindest die öffentliche Auffassung. Studie klärt auf Dieser Thematik haben sich Arnold und Wagner in ihrer 2018 erschienenen empirischen Studie „Leistungen des Lokaljournalismus“, in der 103 Lokalausgaben von deutschen Tageszeitungen und deren Online-Auftritte analysiert wurden, angenommen. Laut den Ergebnissen der Studie konnten mit
Verbesserungen bei der Themenvielfalt und der Unabhängigkeit bisherige Defizite ausgelotet werden. Im Zuge dieser Änderungen sind weniger „weiche“ Themen in der Lokalberichterstattung und mehr unterschiedliche Themen, in denen AkteurInnen diverser Bevölkerungsgruppen zu Wort kommen, gefunden worden. Jedoch gibt es weiterhin Problembereiche. Nach wie vor sind die Zeitungen relativ unkritisch und publizieren nur wenige kontroverse Artikel, hier fehlen kritische Kommentare über das politische Geschehen. Ebenso werden die Hintergründe nicht immer erläutert. Da meist nur Berichte und Meldungen veröffentlicht werden und sich in den Regionalzeitungen nur wenig unterhaltende Elemente wie Rätsel befinden, ist der Unterhaltungsfaktor textlich und grafisch eingeschränkt. So wird durch den fehlenden gestalterischen Aufbau die Anschlussfähigkeit – also das Ausmaß der Verständlichkeit für LeserInnen – nicht immer erfüllt. Die Partizipation kann vor allem wegen fehlenden Leserbriefen und Abstimmungsmöglichkeiten ebenfalls noch verbessert werden. Manche Defizite sind aber nicht nur auf die Professionalität der Redaktion zurückzuführen. Denn Metropolenzeitungen stehen in den Bereichen Relevanz, Themenvielfalt und Kritik besser da, was mit den Charakteristika des lokalen Kommunikationsraums zusammenhängt, weil die Metropole mehr relevante Themen als eine kleine ländliche Gemeinde hergibt. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser Da die in Studien erforschten Probleme nicht dieselben wie die in der Praxis er-
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