Grosseltern-Magazin 03/2021

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~ Kolumne ~ GROSSMÜTTERREVOLUTION

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Irren ist menschlich

V

or vielen Jahren besuchte ich eine Ausstellung mit dem Titel «errare humanum est». Besonders tragisch zeigte sich ein prähistorischer Irrtum. In einer Höhle fanden Archäologen menschliche Knochen und gleich daneben das Skelett eines riesigen Bären. Hier hat wohl jemand in der falschen Höhle Zuflucht gesucht. Ja, irren ist menschlich, aber leider manchmal auch unmenschlich. Wenn ich sehe, welche fatalen Fehlentscheidungen in der Weltpolitik auch heute noch getroffen werden, bin ich mit meinen kleinen Irrtümern ein glücklicher Mensch.

RUTH FRIES aus Wallisellen ist diplomierte Fundraiserin und war früher in der Taubblinden-Beratung des Zentralvereins für das Blindenwesen tätig. Sie ist Mitglied des Matronats und seit Beginn der GrossmütterRevolution dabei.

Durch meine Sehbehinderung erlebe ich auch eher Situationen der lustigen Art: Etwas genervt sprühe ich einen grossen runden Fleck auf dem Teppich ein. Trotz energischem Rubbeln lässt er sich aber einfach nicht entfernen – logisch, es ist ja auch nur der Schatten meiner Ständerlampe. Einmal, während ich an der Ampel warte, winkt mir auf der anderen Strassenseite jemand mit ausholenden Bewegungen zu. Ach, wie nett! Ups, aus der Nähe war es aber leider nur ein Angestellter, der mit grossem Schwung das Schaufenster der Apotheke putzte. Und-

vor kurzem ging ich ganz vorsichtig mit leisen Lockrufen auf die scheue Nachbarskatze zu. In Streichelnähe entpuppte sich diese dann aber als meine Trainingstasche die ich kurz zuvor dort abgestellt hatte. Kein Wunder, ist das Kätzchen diesmal ruhig sitzen geblieben. Grosse Freude bereitet hat mir die Fehleinschätzung eines muskelbepackten jungen Mannes im Fitnessstudio. Seine spöttischen Blicke bemerkte ich, weil er unmittelbar nach mir die Geräte benutzte. Klammheimlich erhöhte ich darum vor dem Wechsel jeweils meine Trainings-Gewichte um das Dreifache.

Schade, hat er sich bei der Einschätzung meiner Kondition nur vermeintlich geirrt, aber sein ungläubiges Gesicht entschädigte mich für manch vergossenen Schweisstropfen. Und dann gibt es noch Fehleinschätzungen, die ganz klar ein Kompliment sind. Für eine Studie wurden Grossmütter und ihre Enkel gesucht. Mitmachen? Mein Enkel sieht mich prüfend an: «Grosi, du kannst dich da nicht melden, die nehmen bestimmt nur alte Frauen.» Von der Antike bis heute gilt also auch für die nächste Generation: Irren ist menschlich! •

GROSSMÜTTERREVOLUTION: FRÜHLINGSTAGUNG IM NETZ Erstmals fand im Mai die beliebte Frühlingstagung der GrossmütterRevolution online statt. Die 60 beteiligten Frauen wollten etwas Neues wagen und waren begeistert über die Möglichkeiten der Technik. Im Grossgruppenformat lernten sie einander kennen und diskutierten in Gruppen über die drei Kurzreferate von Andrea Maihofer, erem. Professorin für Geschlechterforschung an der Uni Basel. Diese drehten sich um die Vielfachkrise und das Leben in der Vielfalt, um die durch den Druck zur Aktualität gefährdete Erinnerungskultur und um die Care-Arbeit. Dabei gehe es sowohl um eine Haltung der Sorge um andere und um anderes (die Natur) als auch um die Sorge zu sich selbst sowie um die Balance dazwischen. Diese sei durch die neolibe-

rale Entwicklung, bei der die Rendite vor den Bedürfnissen der Menschen und der Natur stehe, bedroht und habe zu einer Care-Krise geführt. So widerspreche z.B. die ökonomisierte Pflege fundamental einer Haltung der Sorge und des Respekts, auf andere einzugehen, was Pflegende in einen moralischen Stress bringt. Die strukturelle Sorglosigkeit der Gesellschaft führe zu einer Entwertung aller reproduktiven Tätigkeiten. Für die Überwindung der Care-Krise sei es unerlässlich, die Care-Tätigkeiten aufzuwerten und in der Gesellschaft so zu verteilen, dass sich alle daran beteiligen und davon profitieren.

# 03 ~ 2021

Im Austausch suchten die Frauen nach Wegen, der mit der Care-Krise verbundenen Ohnmacht zu begegnen. Zum Beispiel mit einem verbindlichen CareJahr für alle, weil durch die persönliche Erfahrung die Sorgearbeit einen anderen Wert bekomme. Oder durch einen Care-Streik der Grossmütter, der zeige, dass ihr Engagement nicht selbstverständlich sei. Wie bei den Live-­ Tagungen bildeten sich Gruppen für die Weiterentwicklung der Vorschläge. «Die Tagung war anstrengend, hat sich jedoch hundertmal gelohnt. Ich habe viel gelernt und bin durch den Austausch mit den anderen Frauen neu motiviert», lautete eines der durchwegs begeisterten Echos am Schluss der Tagung. grossmuetter.ch


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