20 Jahre Politikaward Emotionen in der Politik
Interview mit Christoph Heusgen
Wo hilft KI, wo schadet sie?
Young Thinkers
Sie werden nicht nur in der Wissenschaft gehört, sondern auch in Politik und Medien. 15 junge Köpfe, die Sie kennen müssen.
Quadriga Media Berlin GmbH ISSN 1610-5060 Ausgabe II/2023 — N º 143 www.politik-kommunikation.de
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HÖRT, HÖRT!
Die Welt um uns herum war schon immer schwierig zu verstehen. Und tendenziell wird das immer schwieriger. Ich schrieb an dieser Stelle vor einigen Monaten, dass die Coronavirus-Pandemie das erste Großereignis seit langer Zeit war, in der jeder nicht nur unmittelbar betroffen war, sondern das auch spürte. Ruhiger ist es für uns seitdem nicht geworden. Die Inflation fühlen wir bei jedem Einkauf. Die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine hören wir täglich in U-Bahn-Gesprächen. Mit dem Klimawandel schließlich haben wir eine Aufgabe vor der Brust, die das alles in den Schatten stellen könnte. Es ist wichtig, da den Durchblick zu behalten – auch, um nicht verrückt zu werden.
Dabei helfen uns Spezialisten und öffentliche Intellektuelle. Sie forschen, erklären, ordnen ein, beraten. Wir fragen, hören zu und verstehen (hoffentlich) besser. In einigen Gebieten gibt es dafür etablierte Koryphäen. Die einflussreichen Köpfe von morgen stehen aber bereits in den Startlöchern. Wir sehen sie schon heute in politischen TV-Talkrunden, klugen Zeitungsberichten und als geladene Sachverständige im Bundestag. Wir stellen Ihnen in dieser Ausgabe ab Seite 14 unsere 15 „Young Thinkers“ vor. Dazu haben wir renommierte Experten in ein Gremium eingeladen, Vorschläge von ihnen gesammelt und über ihre Favoriten abstimmen lassen.
Wir möchten unsere „Young Thinkers“ nicht nur in unsere künftige Berichterstattung einbinden. Sie werden außerdem geehrt – auf der mitterweile 20. Politikawards-Gala im Mai in Berlin. 20 Jahre: Es ist natürlich unmöglich, einer solchen Ära und allen Geschichten, die sie geschrieben hat, mit einer Fotostrecke gerecht zu werden. Ich bin erst seit dreieinhalb Jahren dabei. Als wir die Fotos der vergangenen Veranstaltungen gesichtet haben, wurden mir vor allem zwei Dinge klar: Erstens hat sich die
Veranstaltung enorm weiterentwickelt. Am Anfang gab es Pappaufsteller und schlichte Kulissen. Heute gibt es ein klares Branding, Filme und eine Tradition. Der Politikaward ist ein Highlight in Berliner Terminkalendern. Darauf sind wir sehr stolz.
Zweitens war die Gala von Anfang an hochkarätig besucht. Wir sind froh, dass der Politikaward dieses Niveau durch zwei Jahrzehnte gehalten hat und immer noch hält. Die Fotos zeigten auch, wie der Politikaward die Errungenschaften seiner Zeit widerspiegelte. In den Nullerjahren konnte es vorkommen, dass alle Preisträger Männer waren. Längst werden selbstverständlich auch die Leistungen verdienter Politikerinnen gewürdigt. Seit dem vergangenen Jahr hat der Politikaward auch eine entschieden politische Mission. Damals warfen wir ein Schlaglicht auf die Ukraine. Dieses Jahr erhält die Freiheitsbewegung im Iran einen Sonderaward, den die Menschenrechtlerin Shadi Sadr entgegennimmt. Ein Interview mit ihr und Fotos aus 20 Jahren Politikaward sehen Sie ab Seite 36. Außerdem erfahren Sie, welche Rolle Emotionen in der Politik spielen. Wann es Politikern nützt, sich menschlich zu zeigen und wann es ihnen schadet, hat Wolfgang Ainetter ab Seite 22 für uns aufgeschrieben.
Er war Angela Merkels außenpolitischer Berater und leitete Sitzungen des Sicherheitsrats. Im Februar hat er seine erste Münchner Sicherheitskonferenz als Vorsitzender organisiert. Dazu und zur Sprache der Diplomatie haben wir ein ausführliches Interview mit Christoph Heusgen geführt.
Natürlich begleiten wir auch das Thema der künstlichen Intelligenz weiter. Hier gibt es weiterhin rasante Entwicklungen. Michael Dietrich warnt davor, ihr die politische Kommunikation zu überlassen (S. 60). Welche Chancen KI andererseits für das Tagwerk bietet, hat David Fischer für uns aufgeschrieben – inklusive nützlicher Beispiele (S. 64).
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
3 II/2023
EDITORIAL
Konrad Göke
KONRAD GÖKE ist Chefredakteur von politik&kommunikation.
II 2023
EMOTIONEN IN DER POLITIK
14 YOUNG THINKERS
15 kluge, junge Köpfe, auf die Deutschland hört – und von denen wir noch hören werden aus der Redaktion
22
BITTE RECHT FREUNDLICH
Lachen, Weinen, Wüten: Welchen Platz haben Emotionen in der Politik? von Wolfang Ainetter
28 ANTISEMITISMUS
Die Justizreform in Israel erschwert Repräsentanten im Ausland die Kommunikation von Konrad Göke
32
WEM GEHÖRT DIE WELT
Wie Kanzleramt und Außenministerium um die Außenpolitik ringen von Günter Bannas
36
20 JAHRE POLITIKAWARD
Ein Interview zur Lage im Iran und Fotos zum wichtigsten Politikpreis Deutschlands aus der Redaktion
YOUNG THINKERS 14
42 ABGEHAKT
Warum Politiker darüber nachdenken, Twitter zu verlassen von Jennifer Garic und Anne Hünninghaus
46
INTERVIEW: CHRISTOPH HEUSGEN
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz im Gespräch von Konrad Göke und Judit Cech
INTERVIEW:
52 ZWISCHEN BAUM UND BORKE
Was den Grünen für den Sprung auf Platz eins fehlt von Eckhard Jesse
56 RECHTS BLINKEN
Warum Sahra Wagenknecht und Thomas Kemmerich Themen der Rechten aufgreifen von Celine Schäfer
60
MENSCH BLEIBT MENSCH
Die KI hält Einzug in der Kommunikation: Der Mensch wird so noch wichtiger von Michael Dietrich
64 CHATGPT IM ALLTAG
Wo ich mir von der KI helfen lasse und damit Stunden spare von David Fischer
68
TARIFKOMMUNIKATION
Wie Arbeitgeber die öffentliche Bühne nicht allein den Gewerkschaften überlassen von Andreas Bachmeier
76
BEHÖRDENDSCHUNGEL
Was machen die Bundesbehörden? von Marvin Neukirch
86
GLOSSE
Familienbande
3 Editorial
5 Schnappschuss
6 Expertentipp
8 Pro & Kontra
10 Fragerunde
10 Floskelalarm
12 Reschs Rhetorik Review
80 Filme & Bücher
83 Impressum
84 Ein Tag mit ...
politik & kommunikation 4
INHALT
22
CHRISTOPH HEUSGEN 46
WIE VIELE FINGER HALTE ICH HOCH?
Markus Söder (CSU) ist berüchtigt für peinliche Schnappschüsse. Früher wusste man: Die sind echt. Der Söder Maggus ist halt so. Mittlerweile aber ist das Netz überschwemmt von FakeBildern, die mithilfe künstlicher Intelligenz erfunden wurden. Wir fragen uns also: Eröffnet der bayerische Ministerpräsident hier wirklich die Spargelsaison 2023 oder hat sich jemand einen Spaß erlaubt? Wir tippen: Ja, das ist echt. Erstens hat die BildKI oft noch Schwierigkeiten mit Fingern, die sind hier alle dran. Und zweitens ist er halt so, der Söder Maggus.
5 II/2023
SCHNAPPSCHUSS
ISRAEL, GEFÜHLE, KI-WAHLKAMPF
Wiegen die Massenproteste in Israel den Imageverlust des Landes durch die Verfassungskrise auf?
Werden die Grünen die SPD mittelfristig als linke Nr. 1 ablösen?
Die Proteste zeigen, dass Israel eine wache Demokratie ist.
Nach den China-Besuchen von Baerbock und Macron: Ist die EU überhaupt fähig zu einer eigenständigen Weltaußenpolitik?
Gefühle in der Politik: Schadet es Politikern, wenn sie öffentlich Emotionen zeigen?
Ist der Bundeskanzler Deutschlands heimlicher Chefdiplomat?
Die Grünen scheinen gerade eher ihre wichtigste Lektion vergessen zu haben: die Menschen mitzunehmen.
Hat Twitter eine Zukunft als soziales und politisches Leitmedium?
Alle Einigkeit nach dem russischen Angriffskrieg hat der französische Präsident in China wieder torpediert
Vertrauen ist wichtiger, Heulen bringt da nichts.
Werden KI-Fakes und Spam den nächsten Wahlkampf beherrschen?
Eindeutig! Außenpolitik ist Chefsache. Bei uns und allen anderen Ländern.
Benutzen Sie ChatGPT schon für einzelne Aufgaben im Job?
Fast alle sind genervt, aber bisher konnte noch kein Konkurrent überzeugen.
KI wird einer der zentralen Säulen in der Kommunikationsinfrastruktur jeglicher politischen Kampagnen ab 2024 sein. Technologie ist dabei niemals gut oder böse, sondern hängt von den Menschen ab, die sie nutzen, und davon, welche regulatorischen Rahmenbedingungen es gibt, um sie einzusetzen.
Im jetzigen Stadium geht mir ChatGPT immer noch deutlich zu kreativ mit Fakten um …
Wir arbeiten mit einer Task Force an der Automation ganzer Arbeitsprozesse, um so mehr Freiraum für Kreativität und Strategie zu haben. Nie war mehr Anfang als jetzt!
politik & kommunikation 6 EXPERTENTIPP
Juri Schnöller Mitgründer und Geschäftsführer, Cosmonauts & Kings
Johannes Pütz Bevollmächtigter Regierungsbeziehungen, Allianz
Livia Gerster Politikredakteurin, „FAS“
Angelika Hellemann VizeRessortleiterin Politik, „Bild am Sonntag“
Spaltung ist das Problem, nicht Image! Das ist die größte innenpolitische Krise seit Staatsgründung vor 75 Jahren. Der „demokratische Leuchtturm“ im Nahen Osten bekommt Risse im Fundament.
Die sogenannte Justizreform spaltet das Land. Die Demonstrationen zeugen jedoch von beeindruckender demokratischer Vitalität.
Nein, da wird sie aber hinkommen müssen.
Die Grünen sind für mich nicht links. Sie sind eine neue Partei der Besserverdienenden, die Lebenseinstellung und Werte einer „woken“ Stadtbevölkerung bedient.
Nein, aber Politikerinnen.
Eigenständig heißt ja nicht, dass man immer einer Meinung sein muss.
Die EUStaaten haben kein Interesse daran, in diesem Bereich Souveränität abzugeben. Und mal ehrlich: Wer kennt schon den Namen des EUAußenbeauftragten?
Politiker leben von ihrer Glaubwürdigkeit, auf der das Wählervertrauen basiert. Emotionen zu spielen bedeutet, nicht authentisch zu sein. Das kann eine Weile funktionieren. Besser ist aber, sich als Politiker mit der eigenen Rolle zu identifizieren und authentisch zu sein.
Es kommt drauf an, wie authentisch Politiker dabei sind.
Er ist es ganz offiziell und gar nicht heimlich.
Nicht heimlicher, sondern amtlicher.
Annalena Baerbock setzt klare Akzente bei ihrer Außenpolitik. Der Kanzler hat aber im Zweifelsfall immer das letzte Wort. Hinzu kommt, dass er im Ausland auf der Ebene der Regierungschefs agiert.
Solange sich Multiplikatoren wie Politiker und Journalisten dort tummeln: ein klares Ja!
Nein, beeinflussen sicherlich, aber beherrschen nicht.
Je mehr Deep Fakes im Umlauf sind, desto misstrauischer werden Menschen sein. Aber es wird eine Herausforderung. Gründlich recherchierender Journalismus wird dabei immer wichtiger.
Ohne harte Regulierung bekommen wir hier ein großes Problem.
Ja, für Fragebögen.
Gelegentlich hole ich mir dort eine Anregung für meine eigenen Gedanken und Formulierungen oder nutze es für Recherchen wie auch andere Suchmaschinen, die nur keine ausformulierten Ergebnisse liefern.
7 II/2023
Kathrin Zabel Geschäftsführerin und Inhaberin, Comm Together
David Issmer Managing Director, Teneo
Hajo Schumacher Journalist und Autor
Carolin Zeller Vizepräsidentin, Quadriga Hochschule Berlin
Michael Wedell Partner, The Partners
Carsten Ovens Executive Director, Elnet Deutschland
Ja, aber nicht als linke Partei.
ANN CATHRIN RIEDEL ist seit Februar Geschäftsführerin bei Next, einem ExpertenNetzwerk für die digitale Transformation der Verwaltung.
Es braucht bessere heutige Führungskräfte. Sie tun zu wenig für gute Rahmenbedingungen und für den Abbau struktureller Hürden und den Hürden in den Köpfen!
Was braucht es, dass noch mehr Frauen in der ITBranche leitende Positionen übernehmen?
FRAGERUNDE
JOBWECHSLER STELLEN SICH GEGENSEITIG FRAGEN
CORNELIA FÜLLKRUG-WEITZEL ist seit März Mitglied der Beratungsgesellschaft The Partners.
Als Theologin steht für mich vor allem der Mensch im Vordergrund –als Individuum, aber auch als Teil sozialer Systeme mit entsprechenden Regeln und Verantwortlichkeiten. Und ich bin sicher: Vor allem in Zeiten großer Umbrüche ist es sinnvoll, die Menschen und ihre Bedürfnisse stärker zu berücksichtigen. Dabei hilft es, dass viele Unternehmen inzwischen nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ethische Verantwortung verspüren – und diese im Alltag leben wollen. Als NoGo empfinde ich Unwahrhaftigkeit.
Grün und Wirtschaftspolitik – warum klingt das für viele noch so ungewohnt, wo wir doch die Tugenden des „ehrbaren Kaufmanns“ lange kennen?
Vielleicht liegt das daran, dass die Regeln für „ehrbare Kauffrauen und Kaufmänner“, so gut sie im Kern sind, aus Zeiten stammen, in denen ein anderer gesellschaftlicher Diskurs herrschte. Heute ist es für Unternehmer richtig und wichtig, sich in politische Debatten einzubringen. Erfolgreich klimaneutral und klimaneutral erfolgreich, in der Wirtschaft bedingt das eine das andere. Wie das gelingen kann, das bewegt Unternehmen. Und dafür steht die politische Farbe Grün!
JULIA ECKEY ist Geschäftsführerin bei der im April gestarteten Wirtschaftsvereinigung der Grünen.
Als Theologin bringen Sie einen besonderen Blick mit und kennen sich mit ethischen Fragen aus. Im besten Fall hilft das auch Kunden beim Perspektivwechsel. Wird dieser Blick wertgeschätzt und angenommen und was sind Ihre NoGos als Beraterin?
FLOSKELALARM
Als ich neulich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in den Nachrichten sah, wurde ich ganz hellhö rig. Er hatte sich mit Aktivisten der „Letzten Generation“ getroffen, die mit Straßenblockaden für mehr Klimaschutz kämpfen. Warum? Zuhören sei wichtig, sagte er. Passiert ist seitdem nichts.
Zuhören, das signalisiert Respekt und Dialogbereitschaft. Poli tiker schwören besonders während des Wahlkampfs, sie wür den jetzt mal zuhören. Wenn es ganz eng wird, reisen sie dafür sogar. „Zuhörtour“ nennt sich das dann, und offenbar klingt das so schick, dass auch General
sekretäre und eine Generalsekretärin der Union, eine Außenministerin und unzählige MdBs sich auf die politische Walz begeben haben. Ich kann das nicht mehr hören! Natürlich ist es gut, wenn Politiker nicht einfach ihr Ding durchziehen. Aber mit dem Klimawandel, der Inflation, dem Krieg in der Ukraine, der Digitalisierung, dem demografischen Wandel und der ungesteuerten Migration haben wir Probleme vor der Brust, für die unsere Regierung gern auch mal konkret erklären könnte, wie sie die eigentlich in den Griff bekommen will. Da würde ich gerne mal zuhören.
KONRAD GÖKE IST CHEFREDAKTEUR VON POLITIK&KOMMUNIKATION
politik & kommunikation 10
„ZUHÖREN“
DREI
Wir laden Deutschland Willkommen im EnBW HyperNetz. enbw.com/WirLadenDeutschland
YOUNG THINKERS
Inflation, Klimawandel, Migration, Krieg: Die Herausforderungen sind groß – und kompliziert. Diese 15 schlauen jungen KÖPFE helfen uns allen, sie zu verstehen. Sie wurden von einem p&kExpertengremium ausgewählt.
FINANZPOLITIK
Name: Philippa SiglGlöckner (33)
Tätigkeit: Gründerin und Direktorin der Denkfabrik Dezernat Zukunft
Im Studiengang Philosophy, Politics and Economics (PPE) an der Elite-Universität Oxford haben die Karrieren mehrerer britischer Premierminister und eines US-Präsidenten begonnen. Deshalb verwundert es nicht, dass Philippa Sigl-Glöckner nach Stationen in einer Unternehmensberatung in London, der Weltbank in Washington und im liberianischen und deutschen Finanzministerium im Alter von 30 Jahren die Leitung des zwei Jahre zuvor von ihr mitbegründeten Think Tanks „Dezernat Zukunft“ übernommen hat. Sie befasst sich dort mit einer neuen Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nicht Gewinnmaximierung oder Wachstum, sondern Demokratie und Menschenwürde in den Mittelpunkt stellt. Aktuell baut sie Partnerorganisationen in anderen europäischen Ländern unter dem Dach des European Macro Policy Networks (EMPN) auf. Laut p&k-Experte Jörg Asmussen ist Sigl-Glöckner eine „gehörte und kontroverse Stimme in der Diskussion um Schuldenbremsen in Deutschland“.
14 politik & kommunikation
BILDUNG
Name: Bob Blume (40)
Tätigkeit: Lehrer, Blogger, Autor und Podcaster / „Bildungsinfluencer“
Lehrermangel, marode Schulen und chronische Unterfinanzierung –diese Probleme kennt Bob Blume aus erster Hand: Er ist Lehrer. Er weiß also, wovon er spricht, wenn er, wie etwa in den Tagesthemen oder im Studio bei Markus Lanz, erklärt, welche Schäden die Corona-Maßnahmen im deutschen Bildungswesen angerichtet haben und wie an den Schulen die Digitalisierung verschlafen wird. Für seine Social-Media-Tätigkeit wurde er 2022 als Blogger des Jahres ausgezeichnet und moderiert seit Anfang 2023 den SWR-Podcast „Die Schule brennt“. In seinem 2022 erschienenen Buch mit dem provokanten Titel „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“ fordert er nicht weniger als eine Revolution des Bildungssystems. Zurzeit arbeitet er an einem weiteren Buch zur Bildung, das sich vertieft mit dem Lernen im 21. Jahrhundert beschäftigt. Insbesondere die neusten Entwicklungen im KI-Bereich fordern hier unser altes Denken heraus.
KOMMUNIKATION
Name: Johannes Hillje (37)
Tätigkeit: Politik und Kommunikationsberater
Immer wenn ein Wahlkampf ansteht, politisches Framing diskutiert wird oder die AfD für Aufregung sorgt, ist seine Stimme gefragt. Johannes Hillje gilt als einer der profiliertesten Experten zum Rechtspopulismus. Bereits bevor die AfD im Herbst 2017 erstmals in den Bundestag einzog, veröffentlichte er mit „Propaganda 4.0“ ein vielbeachtetes Buch zu rechtspopulistischen Kommunikationsstrategien – ein Thema, zu dem er inzwischen promoviert hat. Dabei begleitet Hillje nicht nur die AfD. Er beobachtete den Bundestagswahlkampf 2021 mit einem eigenen Format bei ntv und beschäftigt sich intensiv mit Europapolitik. Hillje analysiert nicht nur politische Kommunikation in den Medien, sondern berät auch Kunden aus Politik und Wirtschaft. Aktuell beschäftigt sich Hillje mit strategischer Transformationskommunikation. „Indem er die Kommunikationsstrategien politischer Akteure bis in deren Hinterzimmer durchdringt, gelingen ihm überzeugende und lesbare Analysen unserer politischen Landschaft“, sagt p&k-Expertin Ursula Münch.
NACHHALTIGKEIT UND KLIMA
Name: Kira Vinke (34)
Tätigkeit: Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
Klimawandel und Migration gehören zu den zentralen Herausforderungen der Zeit. Dank der Arbeit von Kira Vinke werden beide Phänomene zunehmend zusammen gedacht. In ihrem 2022 erschienenen Buch „Sturmnomaden“ beschreibt Vinke, wie die globale Erwärmung große Gebiete praktisch unbewohnbar macht und die dort lebenden Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Vinke promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema Klimawandel und Migration. Bis 2018 war sie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wissenschaftliche Referentin des Direktors Hans-Joachim Schellnhuber. Danach übernahm sie die Leitung des Zentrums für Klima und Außenpolitik der DGAP. Hier beschäftigt sie sich mit den geopolitischen Dimensionen der Klimakrise und den Folgen des Klimawandels in Regionen, die von der Erderwärmung am stärksten betroffen sind: den Ländern des Globalen Südens. Vinke ist zudem Co-Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung Zivile Krisenprävention und Friedensförderung.
15 II/2023
TEMPOLIMIT FÜR GEFÜHLE
Politiker sind auch Menschen: Sie lachen, weinen, ärgern sich. Weil Politik aber kein Geschäft wie jedes andere ist, können EMOTIONEN nicht nur nützen, sondern auch gefährlich werden.
VON WOLFGANG AINETTER
Kürzlich titelte „Bild“ auf der Seite 1 ein Olaf-ScholzInterview: „Haben Sie wegen des Krieges geweint, Herr Bundeskanzler?“
Bei Interviews ist es meist so: Wenn sich aus den Antworten keine spannende Aussage ergibt, wählt man als Überschrift eine überraschende oder provokante Frage. Die Frage an Olaf Scholz erinnerte mich zwar an meine Interviewtechnik als Schülerzeitungsredakteur, aber ich wurde dennoch neugierig.
Wie antwortet der alte Polit-Profi Scholz in dieser kommunikativ schwierigen Situation? Sagt er „Nein, ich heule nicht“, könnte er hartherzig wirken. Sagt er „Ja, ich weine jeden Tag“, denken sich vielleicht Menschen wie ich: Ich will von niemandem regiert werden, der im Kanzleramt täglich drei Packungen Tempo-Taschentücher verputzt. Leadership bedeutet Empathie – aber zugleich ein Tempo-Limit für Gefühle.
Olaf Scholz antwortete geschickt. Er wollte nicht verraten, ob ihm wegen des Ukraine-Krieges die Tränen gekommen seien. Er sagte: „Es zerreißt einem das Herz. Unglaublich viele Menschen sind gestorben. Kinder, Frauen, Männer. Und was wir nicht vergessen sollten: Soldaten, auf beiden Seiten.“ Die Antwort enthält Gefühlsstärke und Souveränität in einem, also genau das, was sich die Wähler von Politikern in den meisten Umfragen wünschen.
Emotionen sind in der Politik wichtig, weil wir Menschen uns für die Gefühle anderer interessieren. Emotionen sind mächtig. Sie entscheiden Wahlen – ohne Emotionen keine Aufmerksamkeit (aus diesem Grund sind auf Wahlplakaten fast nie Sachthemen zu finden). Und zu viele Emotionen sind gefährlich, weil sie jeden zu Fall bringen können, der die Kontrolle über sie verliert.
Der Spitzenpolitiker Stephan Mayer stürzte, weil er nicht in der Lage war, seine Gefühle zu regulieren. Machtmensch Mayer gehörte zum Inner Circle seiner Partei und hielt sich für unangreifbar. Traumkarriere: Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, schließlich CSU-Generalsekretär. Nach nur zwei Monaten musste er als CSU-General zurücktreten, weil er einem „Bunte“-Reporter am Telefon mit der „Vernichtung“ gedroht hatte – ein unverzeihlicher Fehler. Bereits davor waren seine Ausraster im politischen Berlin Tuschelthema: Mal beschimpfte er einen Facebook-User („Und du kannst dir sicher sein. Mit dir werd‘ ich noch allein fertig und brauch keinen Anwalt. Da bin ich schon mit anderen Kalibern fertig geworden.“), mal schrieb er einer „Spiegel“-Reporterin („Ich werde Sie mit allen legalen Mitteln verfolgen. Sie sind eine der schlechtesten Journalisten, die ich je kennenlernen musste.“), mal wollte er fluchend die Berichterstat-
politik & kommunikation 22
„Emotionen sind mächtig. Sie entscheiden Wahlen.“
Oben: Bitte recht freundlich – Kanzler Olaf Scholz (SPD) gibt sich hanseatisch wohltemperiert.
Unten: Bitte recht zerknirscht – seine Ausraster haben Stephan Mayer (CSU) sein Amt als Generalsekretär gekostet.
23 II/2023
politik & kommunikation 28
Eine Demonstration gegen den umstrittenen Besuch des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu in Berlin.
STOLZ AUF DIE DEMOS
Die Massendemonstrationen in ISRAEL gegen die Justizreform der NetanjahuRegierung stellen Israels Repräsentanten und Freunde im Ausland vor ein Problem: Wie kann man die israelische Regierung kritisieren, ohne Israels Feinden Wasser auf die Mühlen zu geben?
Berlin im März. Eine Kommunikationsagentur hat den israelischen Botschafter Ron Prosor abends nach Mitte eingeladen. Er hält eine Rede zum Thema „Humor in der Diplomatie“. Ron Prosor ist ein humorvoller Mensch, aus seiner Karriere hat er genug Material für eine Powerpoint-Präsentation mitgebracht. Der Diplomat zeigt Videos, in denen er Witze erzählt, sich für eine Challenge mit Eiswasser übergießen lässt und den Gegnern Israels gewitzt die Leviten liest. Aber spätestens in der Fragerunde muss auch Prosor die unvermeidliche Frage beantworten: Was ist da los in Israel?
Seit Monaten demonstrieren Hunderttausende gegen die Justizreform der rechten Regierung von Benjamin Netanjahu. Sie fürchten, dass der Premierminister damit nicht nur seine Macht zementieren, sondern auch seine Korruptionsprozesse abwenden will. Die Opposition spricht von einem „Putschversuch“ und wittert einen Angriff auf die Demokratie.
„Es gab sicherlich schon Situationen, in denen die israelische Gesellschaft gespalten war“, sagt Peter Lintl zu p&k. Er forscht in der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ zu Israel. „Es gab aber noch kein solches Vorhaben, die Grundlagen des Staates radikal umzubauen.“ Worum geht es? Die Regierung will das Parlament ermächtigen, Urteile des Obersten Gerichtshofs mit einfacher Mehrheit zu kippen. Außerdem will sie das Parlament über die Besetzung der Richterposten entscheiden lassen. Kritiker sehen das als Anschlag auf die Gewaltenteilung.
Aus der Geschichte heraus ist die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson. Ein wichtiges Argument, warum Israel ein Partner für Deutschland und die EU ist,
29 II/2023
VON KONRAD GÖKE
20 JAHRE POLITIKAWARD
Das erste Cover von p&k: Schröder und Stoiber an Marionettenfäden. Die Idee dahinter: Ja, es gibt sie – die Menschen, die das Ganze inszenieren, kommunizieren und professionell begleiten. Die Spin-Doktoren. Diese Wahlkampfmanager, die die Königsklasse der Kommunikation beherrschen müssen, wollten wir erreichen. Unser Vorbild war Campaigns&Elections aus dem ungleich größeren US-Markt. Von Anfang an ging es darum, die Professionalisierung der politischen Szene zu begleiten. Der Umzug von Bonn nach Berlin war dafür genau der richtige Moment. Die Stadt war groß, viele neue und alte Gesichter, die sich vernetzen wollten und offen waren für Neues. Der Poli-
tikaward wollte dann ein Gütesiegel für Professionalität in der Kommunikation sein, unabhängig von der politischen Ausrichtung der Einreicher. Heute ist er der einzige Preis im politischen Bereich, wo die Politik ausnahmsweise gefeiert wird, statt immer nur beschimpft zu werden. Für mich sind die Menschen, die aus Leidenschaft und nicht für Geld in den Ring steigen, die nicht selten 70- oder 80-Stunden-Wochen abreißen, die spannendste Berufsgruppe. Der Politikaward war oft ein Gütesiegel für den Start einer Karriere. Viele Rising Stars und viele Politiker des Jahres sind von unserer tollen Jury ausgezeichnet worden, die uns als junges Team von Anfang an unterstützt hat. Ich freue mich auf das, was noch kommt.
politik & kommunikation 38
HansDietrich Genscher (Politikaward fürs Lebenswerk) mit Maybrit Illner, 2005.
RUDOLF HETZEL ist Gründer und Herausgeber von politik&kommunikation.
39 II/2023
Anton Hofreiter (Aufsteiger des Jahres, r.) und sein Laudator Gregor Gysi, 2013.
Heinz Riesenhuber (Lebenswerk), Andrea Nahles (Politikerin des Jahres) und Bodo Ramelow (Aufsteiger des Jahres), 2015.
Sabine Christiansen, Ursula von der Leyen (Politikerin des Jahres), 2007.
Christian Lindner wurde 2008 Nachwuchspolitiker des Jahres und 2016 Politiker des Jahres, hier 2009 als Gast.
Schachweltmeister Garri Kasparov hält eine Laudatio auf Kajo Wasserhövel, 2005.
Carsten Schneider und Jens Spahn, 2005.
ABGEHAKT
Politiker klagen über unhaltbare Zustände auf TWITTER, seit Elon Musk übernommen hat. Dennoch bleiben die meisten beim Kurznachrichtendienst. Ändert die Sache mit dem Haken daran etwas?
42 politik & kommunikation
VON JENNIFER GARIC UND ANNE HÜNNINGHAUS
Fußballlegende Pelé hat auf Twitter wieder einen blauen Haken. Genau wie US-Journalist Jamal Khashoggi, Schauspieler Chadwick Boseman und Basketballstar Kobe Bryant. Klickt man auf den Haken, erfährt man, der Account-Inhaber habe sich mit einer Telefonnummer ausgewiesen. Das Problem: Pelé, Khashoggi, Bosemann und Bryant sind alle tot. Offenbar hat Twitter auf Anweisung von CEO Elon Musk pauschal allen Accounts mit mehr als einer Million Followern den blauen Haken verliehen, der seit April kostenpflichtig ist. Früher diente er dazu, Prominente und Institutionen zu verifizieren.
Erneut stehen Politiker und Journalisten vor der Frage: Soll man auf der Plattform bleiben oder lieber gehen?
Schon Anfang Dezember hatte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil seine Entscheidung für sich getroffen und seinen Twitter-Account gelöscht. Viele News-Seiten vermeldeten das prominent. Dabei ging es eigentlich um den unspektakulären Abschied eines mäßig Social-Media-affinen Sozialdemokraten von der Plattform. Doch das weckte die Sensationslust der Presse, denn jede Nachricht über den aus Kritikersicht zunehmend abgedrehten neuen Twitter-Besitzer Elon Musk erregt große Aufmerksamkeit. Weil nannte als Grund explizit die Hetze, die seit Musks Übernahme des Netzwerks zugenommen habe.
Der Unternehmer und Tesla-Gründer Musk führt Twitter seit Ende Oktober 2022. 44 Milliarden US-Dollar hatte er sich das kaum profitable Unternehmen kosten lassen. Sein erklärtes Ziel: die Meinungsfreiheit stärken. Was eigentlich nach einem hehren Vorhaben klingt, beinhaltete aber auch Maßnahmen wie: das Profil von Ex-US-Präsident Donald Trump zu entsperren und rechten Trollen freien Lauf zu lassen. Musk entließ viele Twitter-Mitarbeiter, die zuvor für Moderation zuständig waren. Der „blaue Haken“ zur Verifikation prominenter Persönlichkeiten und offizieller Kanäle war bald nach der Übernahme käuflich. Daraufhin entstanden mehrere Fake-Accounts.
Empörung brach überall aus. Sollten seriöse Medien, Behörden und Unternehmen es Stephan Weil gleichtun und Twitter den Rücken kehren? Bisher ist die Zahl
der Abtrünnigen, besonders in der Politik-Bubble, überschaubar, von einem großen Exodus kann nicht die Rede sein. Die ehemals eifrigen Twitter-Nutzer Robert Habeck (Grüne) und Kevin Kühnert (SPD) verließen die Plattform bereits vor Musks Machtübernahme wegen der schlechten Stimmung. In der Musk-Ära löschten nur noch SPD-Chefin Saskia Esken und Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber (ebenfalls SPD) ihre persönlichen Accounts.
„Mein Missbehagen, was die neue Twitter-Leitung anbelangt, ist immer weiter gewachsen“, erklärt Kelber im Gespräch mit p&k. In seiner Funktion geht es jedoch nicht nur um Abneigung gegen Trolle und Bot-Armeen, sondern auch um Datenschutz. Twitter hat seinen Hauptstandort in Dublin und untersteht der irischen Datenschutzbehörde. Seit Musks Übernahme und der Entlassung zahlreicher Mitarbeiter, inklusive des Datenschutz- und Sicherheitsbeauftragten, bezweifeln europäische Datenschützer, dass Irland bei wichtigen Entscheidungen einbezogen wird. Marit Hansen, Landesdatenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, sagt gegenüber netzpolitik.org etwa, Twitters jüngste Produktänderungen ließen nicht den Eindruck entstehen, dass „von Europa aus weiterhin die ‚Entscheidungen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten‘ bei Twitter getroffen werden“. Auch deshalb nahm die Datenschutzbehörde unter Kelber ihren eigenen Account gar nicht erst in Betrieb und löschte diesen: „Wir konnten unsere Twitter-Datenschutzprüfung nicht erfolgreich abschließen. Ein behördlicher Twitter-Account wäre also nicht rechtskonform gewesen“, sagt Kelber.
Das kollektive Zaudern
Transparenz, gepflegter Diskurs, anständiger Umgang: Die Plattform steht vielen der Werte entgegen, die Politiker gerne für sich beanspruchen. Dennoch zögern sie, Twitter zu verlassen. Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali und Britta Haßelmann (Grüne) denken zwar laut darüber nach, bleiben dann aber doch. Journalist und Netzaktivist Markus Beckedahl wundert das Zögern nicht. „Ich kann das Dilemma gut nachvollziehen“, sagt er und fügt
43 II/2023
„Soll man auf Twitter bleiben oder lieber gehen?“
„DAS IST EINE DER DRAMATISCHSTEN VERÄNDERUNGEN IN MEINEM BERUFSLEBEN“
CHRISTOPH HEUSGEN war der entscheidende außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Jetzt ist er Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Gespräch mit p&k bilanziert Heusgen seine erste Konferenz als Vorsitzender und spricht über Freundschaft und klare Kante in der Diplomatie.
Herr Heusgen, Sie haben Ihre erste Münchner Sicherheitskonferenz als Vorsitzender hinter sich. Wie ist Ihr Fazit?
In diesem Jahr haben wir mit der US-Vizepräsidentin Kamala Harris, 30 Senatoren und zahlreichen Mitgliedern des Repräsentantenhauses eine amerikanische Rekordbeteiligung verzeichnet. Das beweist, dass das Forum der Münchner Sicherheitskonferenz ein Weltmarkenzeichen ist. Auch die Beteiligung aus europäischen Ländern vom Baltikum bis nach Italien und Frankreich war großartig. Zumindest im Ansatz ist es gelungen, die Kontinente Afrika, Asien und Lateinamerika erfolgreich einzubeziehen. Die Welt ist multipolarer geworden, und das muss die MSC widerspiegeln. China vermittelt im Nahen und Mittleren Osten, die Südafrikaner arbeiten eng mit den Russen zusammen und Brasilien tendiert eher zu China und Russland als zu uns. Das ist ein Weckruf für die deutsche Politik und bestätigt, dass wir mit der Münchner Sicherheitskonferenz auf dem richtigen Weg sind, wenn wir uns für einen vertieften Dialog mit Vertretern aus Staaten jenseits des transatlantischen Bündnisses einsetzen.
Im Vorjahr hat ein Foto eines Panels für Aufregung gesorgt, auf dem sich eine reine Männerrunde traf.
Das ist ein wichtiger Punkt. In diesem Jahr hatten wir erstmals insgesamt 50 Prozent Frauen auf den Podien und
im Publikum bereits über 30 Prozent. Auch letztes Jahr lag die Frauenquote auf unseren Panels im Übrigen bereits bei 45 Prozent. Das erwähnte Foto ist insofern nicht repräsentativ. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung.
Was war mit dem Krieg in der Ukraine?
Das Thema des internationalen Rechts ist mir persönlich sehr wichtig. Auf dem ersten Podium am Freitag haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass diejenigen, die für schwerste Kriegsverbrechen verantwortlich sind, vor Gericht gestellt werden. Dies ist ein wichtiges Ziel, nicht nur für Deutschland, sondern auch für die internationale Gemeinschaft, um die UNO-Charta und eine regelbasierte internationale Ordnung als Maßstab für die Weltpolitik aufrechtzuerhalten. Dieses Thema war auf der Konferenz gut platziert, obwohl es noch nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es verdient hat.
Wie sieht Ihr Aufgabenprofil jetzt als Vorsitzender aus?
Natürlich ist es völlig anders als zuvor, wenn man bedenkt, dass ich 41 Jahre lang als Beamter meist im Hintergrund tätig war. In den letzten beiden Jahren war ich als Vertreter Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen immerhin öffentlich präsent. Zwölf Jahre lang war ich Berater der Bundeskanzlerin und habe kein
politik & kommunikation 46
INTERVIEW JUDIT CECH UND KONRAD GÖKE
47 II/2023
Christoph Heusgen in einem Konferenzsaal des Berliner Büros der Münchner Sicherheitskonferenz in der Friedrichstraße.
PASST SCHON
LinkenPolitikerin Sahra Wagenknecht veranstaltet Demonstrationen, bei denen auch RECHTSEXTREME auftauchen.
FDPler Thomas Kemmerich lässt sich 2020 von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen und beschließt heute gemeinsam mit ihnen Gesetze. Ab wann wird rechts blinken zum Problem?
VON CELINE SCHÄFER
politik & kommunikation 56
Liebe Friedensfreunde“, ruft Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ihrem Publikum am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor zu. „Ich bin so froh, dass ihr alle heute gekommen seid.“ Friedenstauben- und Regenbogenflaggen wehen, vereinzelt halten Menschen Transparente in Schwarz-Rot-Gold hoch. Parteiflaggen sind an jenem Tag, an dem Wagenknecht gemeinsam mit der Publizistin Alice Schwarzer zum „Aufstand für Frieden“ lädt, streng verboten. Es soll um Inhalte gehen, wie etwa die Forderung, Deutschland solle keine Waffen mehr in die Ukraine liefern. Dennoch dreht sich die Diskussion hauptsächlich um die Frage: Wo verorten sich die Besucher des „Aufstands“ politisch? Welche Partei wählen sie,
und in welcher sind sie vielleicht sogar Mitglied? Wagenknecht weiß wohl genau: Ihre Demonstration, die auch politische Gegner ihrer eigenen Partei anzieht, sorgt für medialen Zündstoff. „Die Kampagne gegen uns, sie gipfelte darin, dass man versucht hat, uns in die Nähe der ex tremen Rechten zu rücken“, sagt Wagenknecht in Berlin. Damit spricht sie auch Gegner innerhalb der Linken an. Wagenknecht gilt seit Jahren als umstrittene Figur in ihrer Partei. Parteiinterne Kritiker werfen ihr vor, mit rechtspopulistischen Argumenten zu zündeln. „Sahra Wagenknecht wird mit der AfD keine Allianzen eingehen, das versteht sich von selbst“, betont Caroline Heptner, Büroleiterin und Sprecherin von Wagenknecht. „Wenn sie andere Ansichten als die Bundesregierung vertritt, etwa bei Fragen um Waffenlieferungen oder bei der Corona-Politik, und deshalb in die rechte Ecke gedrängt wird, ist das politische Strategie.“ Politiker dürften Themen nicht einfach ignorieren, die auch Wähler der AfD bewegen, sondern müssten sich damit auseinandersetzen. Schließlich seien viele ihrer Wähler nicht rechts, sondern nur unzufrieden mit der Berliner Politik. „Daher sollte sich jede Partei auch mit den Themen der AfD auseinandersetzen, um den Menschen Alternativen zu bieten“, sagt Heptner. „Denn wer zu diesen Themen schweigt oder die Menschen, denen sie wichtig sind, diffamiert, wird keine Wähler zurückgewinnen.“
Das stellt Heptner, Wagenknecht und ihr Team vor eine kommunikative Herausforderung. Im Fall des „Aufstands für Frieden“ bedeutete das vor allem: Ruhe bewahren und sich von jenen distanzieren, deren Ideologie man nicht teilt. „Dass beispielsweise Reichsbürger und Neonazis, die in der Tradition eines Regimes stehen, das den schlimmsten Weltkrieg der Menschheitsgeschichte zu verantworten hat, auf einer Friedenskundgebung nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst“, sagt Heptner. Wagenknecht habe dies in Interviews mehrfach betont.
Sahra Wagenknecht (Linke) bei einer Kundbegung für Verhandlungen mit Russland am Brandenburger Tor. Parteiflaggen waren verboten.
Die Linken-Spitze ist jedoch der Ansicht, Wagenknecht habe sich nicht ausreichend von Rechten distanziert. „Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren“, zitiert die Deutsche Presseagentur (dpa) Tobias Blank, Bundesgeschäftsführer der Linken.
Wagenknecht macht es sich zu leicht
Matthias Quent sieht das ähnlich. Der Soziologe, Rechtsextremismusforscher und Mitgründer des Instituts für demokratische Kultur (IdK) an der Hochschule Magdeburg-Stendal sagt: „Die Zusammenkünfte zwi-
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Recherche, Schreiben, Wissen, Inspirieren: Sprachmodelle gehen bei vielen Aufgaben zur Hand. Es hilft, wenn man sie genau um das bittet, was man möchte.
CO-PILOT ODER ÜBERFLIEGER?
Im Handumdrehen schreibt KI Pressemitteilungen, Wordings oder Interviewvorbereitungen. Aber: Bestehen die Maschinen auch den Stresstest in einer Pressestelle des badenwürttembergischen Landtags?
David Fischer stellt die künstliche Intelligenz an einem exemplarischen Arbeitstag auf die Probe. Ein Experiment
mit
Überraschungen
07:45–8:30 Uhr
Mein Tag beginnt mit einer E-Mail: Der Pressespiegel ist da. Wie jeden Morgen gilt es, rund 100 Seiten in knapp zwei Stunden für das Morning Briefing zu überfliegen. Wegen des Plenartags startet die Morgenlage früher als sonst – mir bleibt noch weniger Zeit, um die wichtigsten landespolitischen Themen in Stichpunkte zu fassen.
Als Morgenmuffel ist diese Aufgabe für mich eher lästig. Seit Kurzem unterstützt mich künstliche Intelligenz bei den zeitaufwendigen Zusammenfassungen. Die Artikel lesen muss ich allerdings noch selbst.
Für meine Zusammenfassungen benutze ich ChatGPT. Aber anstelle des bekannten Chatfensters kommt eine Art Online-Excel-Tabelle zur Anwendung, in der die
Rechenleistung von ChatGPT über eine Browser-Erweiterung integriert ist. Hier habe ich meinen Befehl „Morningbriefing“ abgespeichert. Ich muss lediglich den Text des Zeitungsartikels in einer Zeile einfügen. Kurz darauf erscheint in einer anderen Zelle eine kompakte Zusammenfassung. Fertig! Kopieren, einfügen – den Rest erledigt die Maschine. Die Zeitersparnis: rund eine halbe Stunde täglich. Vor dem Briefing bleibt somit Zeit für eine zusätzliche Tasse Kaffee.
08:45 Uhr
Ein Gong ertönt und ruft die Abgeordneten in den Plenarsaal. Seitdem ein Landtagsabgeordneter hier die erste Rede mithilfe künstlicher Intelligenz verfasst hatte, ist KI ein beliebtes wie kontroverses Thema von Flurgesprächen. Die Meinungsspanne reicht von „Spielt keine Rolle im Alltag“ bis zu „Lassen wir besser die Finger davon“. Ich gehe relaxt damit um und bin neugierig, wie mich Technologie bei der Pressearbeit unterstützt. Das liegt auch daran, dass technische Aspekte von Texten und Schreiben mich schon immer fasziniert haben. In meinem Studium untersuchte ich, wie Computer individuelle Schreibmuster von Autoren identifizieren können. Durch den Erfolg von ChatGPT ist die Nerd-Neugier erwacht!
09:05–09:20 Uhr
Die AirPods klingeln. Eine Journalistin möchte wissen: „Was ist Ihre Position bei der morgigen Debatte?“ Ich weise Siri per Sprachbefehl an, das Abgeordnetenbüro um den Redeentwurf zu bitten. Beim Vorbeigehen treffen mich einige irritierte Blicke für mein vermeintliches Selbstgespräch mit dem Knopf im Ohr.
Laptop auf, Zeit für ChatGPT. Ich füttere das System mit dem Entwurf des Abgeordneten und befehle der KI: „Extrahiere zentrale politische Botschaften des Textes und bringe sie pro These in das Muster: Was? Warum? Wie?“
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VON DAVID FISCHER
GASTRONOMIE ERHALTEN, MEHRWERTSTEUERSATZ BEIBEHALTEN.
FÜR EIN BEZAHLBARES KULINARISCHES ERLEBNIS.
Die Beibehaltung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie ist wichtig, um die durch Covid-Lockdowns geschwächte Branche in Zeiten von hoher Inflation und Arbeitskräftemangel zu unterstützen. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz senkt die finanzielle Belastung für Gastronominnen und Gastronomen und kann dazu beitragen, ihre Betriebe zu stabilisieren und einen fairen Wettbewerb gegenüber Supermärkten sowie Abhol- und Lieferservices zu schaffen.
www.politik.metroag.de METRO AG, Public Policy, Charlottenstraße 46, 10117 Berlin