Jahrgang 5 / Heft 1 / 2020
Geschäftsführender Herausgeber Michael Schulz Herausgeberinnen und Herausgeber Sabine Hahn Michael Löhr Dorothea Sauter Gianfranco Zuaboni
Psychiatrische Pflege Themenschwerpunkt Führungspersonen / Management
Akademische Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege
Das Standardwerk zur Gesundheitswirtschaft
Manfred Haubrock (Hrsg.)
Betriebswirtschaft und Management in der Gesundheitswirtschaft Bearbeitet von Michael Herrmann. 6., aktual. und überarb. Auflage 2018. 992 S., 225 Abb., 159 Tab., Gb € 74,95 / CHF 99.00 ISBN 978-3-456-85362-8 Auch als eBook erhältlich
Das Standardlehrbuch für Betriebswirtschaft und Management in der Gesundheitswirtschaft in vollständig überarbeiteter und erweiterter Neuauflage • beschreibt grundlegende Aspekte des deutschen Sozialversicherungssystems von Arbeitslosen- bis Unfallversicherung; • skizziert das deutsche Sozialversicherungssystem; • begründet gesundheitsökonomische Evaluationen;
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• erläutert Gesundheitspolitik und ausgewählter Versorgungssysteme; • analysiert den Wandel vom Gesundheitssystem zur Gesundheitswirtschaft; • erläutert die Bedeutung von Management und Ethik in der Gesundheitswirtschaft; • beschreibt gesundheitswirtschaftliche Managementkonzepte; • stellt Steuerungs- und Marketinginstrumente vor.
Psychiatrische Pflege
Jahrgang 5 / Heft 1 / 2020
Themenschwerpunkt Führungspersonen / Management Geschäftsführender Herausgeber Michael Schulz Herausgeberinnen und Herausgeber Sabine Hahn Michael Löhr Dorothea Sauter Gianfranco Zuaboni
Geschäftsführender Herausgeber
Prof. Dr. Michael Schulz, Gütersloh
Herausgeberinnen und Herausgeber
Prof. Dr. Sabine Hahn, Bern Prof. Dr. Michael Löhr, Gütersloh Dorothea Sauter, Bielefeld Dr. Gianfranco Zuaboni, Kilchberg
Redaktion
Christoph Müller, psychiatrische.pflege@hogrefe.ch
Verlag
Hogrefe AG, Länggass-Strasse 76, 3012 Bern, Schweiz Tel. +41 31 300 45 00, zeitschriften@hogrefe.ch, www.hogrefe.ch
Anzeigenleitung
Josef Nietlispach, Tel. +41 31 300 45 69, inserate@hogrefe.ch
Herstellung und Korrektorat
Stefan Schüpbach, Tel. +41 31 300 45 77, stefan.schuepbach@hogrefe.ch
Abonnemente
Tel. +41 31 300 46 91, zeitschriften@hogrefe.ch
Satz
punktgenau GmbH, Bühl
Druck
Kohlhammer Druck, Stuttgart
Abonnementspreise
Institute: € 184.–/CHF 247.– (Print only; Informationen zu den Online-Abonnements finden Sie im Zeitschriftenkatalog unter www.hgf.io/zftkatalog) Private: € 102.–/CHF 134.– Lernende: € 49.–/CHF 67.– zzgl. Porto- und Versandgebühren: Schweiz: CHF 14.– Europa: € 12.– Übrige Länder: CHF 26.– Einzelheft: € 22.–/CHF 28.– zzgl. Porto- und Versandgebühren
Erscheinungsweise
6 Hefte jährlich (= 1 Band) © 2020 Hogrefe AG, Bern ISSN-L 2297-6965 ISSN 2297-6965 (Print) ISSN 2297-6973 (online)
Titelbild
© Stiftung/Fondation Schöni Die Psychiatrische Pflege ist das offizielle Mitgliederorgan der Akademischen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege Die Psychiatrische Pflege ist das offizielle Verbandsorgan der Bundesfachvereinigung leitender Krankenpflegepersonen der Psychiatrie BFLK Die Psychiatrische Pflege ist das offizielle Verbandsorgan der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege DFPP Die Psychiatrische Pflege ist das offizielle Mitgliederorgan des Vereins Ambulante Psychiatrische Pflege VAPP Für die Anzeigen zeichnet sich der Verlag verantwortlich.
Inhalt Editorial
5
Unausweichliche Änderung des Kurses Michael Schulz
Übergabe!
7
Ran an die Arbeit! Philip Niesing
Schwerpunkt
Wenn Mitarbeiter „krankfeiern“ – Chancen und Risiken des Absentismus für das mittlere Management
9
Elise Rahn New Work, Wissensmanagement und Organisationsentwicklung – Warum ein „weiter so“ im Krankenhaus nicht funktionieren wird
15
Michael Löhr Lean Leadership – Ein zukunftsorientiertes pflegerisches Führungsmodell?
19
Philipp Meyer, Steven Cyrol, Rebekka Gemperle Kamingespräch
24
Pflegende sind keine emotionslosen Wesen Sabine Hahn im Gespräch mit Colombine Eisele
Freier Beitrag
Stigmatisierung und Identitätsarbeit – Das Programm „In Würde zu sich stehen“
27
Matthias Pauge, Madeleine Neubauer Interviews
32
Es hilft bei Stigma-Bewältigung Michael Schulz im Gespräch mit Nicolas Rüsch Aufbruch und Wandel: Akademisierung der psychiatrischen Pflege
34
Jacob Helbeck im Gespräch mit Prof. Dr. Karen Pottkämper Aus der Praxis
Die Wichtigkeit der körperlichen Gesundheit bei Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung – Ein Update zum Gesundheitsförderungsprofil GEPPSY
36
Christian Burr, Bettina Nesa Aus der akademischen Welt
Interdisziplinäres Lernen – Erste Absolventen im Masterstudiengang „Community Mental Health“ verabschiedet
39
Michael Schulz, Hermann-T. Steffen Abgestimmt auf Herausforderungen – Fachweiterbildungsintegrierender Bachelorstudiengang in Münster
41
Andrea Zielke-Nadkarni Versorgungsrealität und Möglichkeiten zur Psychosentherapie – Ein Widerspruch?
43
Yvonne Wiesner Nachruf
46
Hansgeorg Ließem – Ein Nachruf Stefanie Lutz-Scheidt
Rezensionen
Praktische Konsequenzen nötig – Bücher zur Demenz im Allgemeinkrankenhaus
47
Christoph Müller
© 2020 Hogrefe
Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 3–4 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000276
Inhalt
What’s new, Susanna?
Susanna Flansburg
48
Verbandsmitteilungen
Mitteilungen der Akademischen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege
49
Mitteilungen der Bundesfachvereinigung leitender Krankenpflegepersonen der Psychiatrie e. V.
50
Mitteilungen der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege e. V.
53
Mitteilungen des Vereins Ambulante Psychiatrische Pflege
55
Anzeige
Achtsame Führung fördern und fordern Christopher Johns
Achtsames Führen in der Pflege Mit Mindful Leadership überzeugen und verändern 2018. 208 S., 14 Abb., 19 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85716-9 Auch als eBook erhältlich Johns legt das erste Fachbuch zur achtsamen Führung für Pflegende vor, das „Leadership“ als Kompetenz für alle leitendende Pflegende fordert und fördert. Der Autor befürwortet einen achtsamen und reflektierten Führungsstil und baut auf seine Arbeiten
aus dem Bereich der „reflektierten Pflegepraxis“ auf. Das Buch basiert empirisch auf Interviews mit über 80 Führungskräften im Gesundheitswesen, es reflektiert deren Erfahrungen und spiegelt diese mit Beispielen aus der Managementpraxis wider.
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 3–4
© 2020 Hogrefe
Editorial
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Unausweichliche Änderung des Kurses Michael Schulz
W
ie werden wir arbeiten? Im Krankenhaus, in der ambulanten Pflege, im Internet – überall da, wo es um Psychiatrie und Pflege geht? Schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts prägte der Philosoph Frithjof Bergman den Begriff „New Work“. Damit beschrieb er den grundlegenden Wandel der Arbeitswelt durch Globalisierung, Digitalisierung und das Fortschreiten der Wissensgesellschaft. Zu den wesentlichen Elementen dieser neuen Form der Arbeit zählt er die Entwicklung demokratischer Führungsstrukturen, den Aufbau flacher Hierarchien und eine wachsende Bedeutung sinnesorientierter und wertebasierter Arbeit. New Work wird aktuell in der Arbeitswelt breit diskutiert. Die Diskussion hat aber leider das Gesundheitswesen noch nicht wirklich erreicht. Oder doch? Buurtzorg ist ein solches Beispiel. 2007 hat Jos de Blok in Holland mit vier Kollegen einen besonderen ambulanten Pflegedienst gegründet. Mittlerweile arbeiten ungefähr 19 000 Pflegende bei Buurtzorg. Hier gibt es nur selbstorgansierte Teams von höchstens zwölf Personen. Es gibt keinen Chef. Alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Der Patient steht tatsächlich im Mittelpunkt. Die informellen Netze werden gefördert. Pflegende und Patienten erleben so eine deutlich sinnorientiertere und wer-
© 2020 Hogrefe
tebasiertere Arbeit. Vor allem führen die veränderten Rahmen der Arbeit zu einer sinnvolleren Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit. Pflegearbeit braucht ausreichend Zeit, damit Pflege gut gemacht werden kann und die Arbeit als Genugtuung erlebt werden kann. Die Arbeitswelt im Krankenhaus hat seit Jahrzehnten Raubbau an der Idee sinnorientierter und wertebasierter Arbeit betrieben. Eine grundsätzliche Änderung des Kurses ist in einem durchökonomisierten Gesundheitssystem sicherlich ähnlich schwer wie die Energiewende. Aber ebenso unausweichlich. Im Namen der Herausgeber wünsche ich viel Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe.
Michael Schulz Stabsstelle Klinikentwicklung / Forschung an der LWL-Klinik Gütersloh, geschäftsführender Herausgeber der „Psychiatrischen Pflege“, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler, Honorarprofessor an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld michael.schulz@lwl.org
Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 5 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000277
Bildungswerk Irsee www.bildungswerk-irsee.de
www.klinik-lindenhoehe.de Die MEDICLIN Klinik an der Lindenhöhe in Offenburg ist ein Akutkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Die Klinik verfügt über 173 Betten und beschäftigt rund 360 Mitarbeiter. Zur MEDICLIN Klinik an der Lindenhöhe gehören außerdem eine Tagesklinik und eine psychiatrische Institutsambulanz am Standort Offenburg sowie eine Tagesklinik und eine psychiatrische Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche am Standort Rastatt. Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt für unsere Jugendpsychiatrie eine
Stationsleitung (w / m / d) in Voll- oder Teilzeit
Das Bildungswerk Irsee ist das zentrale Bildungsinstitut des Bayerischen Bezirketags, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bezirke, ihrer Gesundheitsunternehmen sowie weiteren Interessenten vielfältige Programme zur beruflichen Fort- und Weiterbildung anbietet. Für unseren Dienstsitz in Kloster Irsee suchen wir zum 1. September 2020
einen Bildungsreferenten (w/m/d) für die Bereiche Pflege & therapeutische Dienste Wir setzen voraus: f eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung als Pflegefachkraft mit Berufserfahrung, vorzugsweise im Bereich Psychiatrie, f eine akademische Qualifikation durch Abschluss eines Studiengangs im Bereich Pflege oder Humanwissenschaften sowie f Berufserfahrung in der Bildungsarbeit. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst: f die Konzeption, Durchführung und Leitung von berufsgruppenspezifischen wie -übergreifenden Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten, f die Entwicklung interdisziplinärer Fort- und Weiterbildungsangebote sowie f die Mitwirkung am Gesamtprogramm des Bildungswerks. Die Freude an der Gestaltung und Umsetzung von beruflichen Fort- und Weiterbildungen, die Mitarbeit in einem multiprofessionellen Team, die Vernetzung mit anderen Trägerschaften sowie die Identifikation mit den Zielen wie Aufgaben des Bayerischen Bezirketags werden vorausgesetzt. Die Vergütung der Vollzeitstelle, die bei Bedarf teilbar ist, richtet sich nach TVöD VKA und umfasst eine attraktive betriebliche Altersvorsorge. Bewerbungen von Menschen mit Schwerbehinderung sind erwünscht. Ihre Bewerbung richten Sie bitte bis zum 1. März 2020 in schriftlicher Form an den Leiter des Bildungswerks, Dr. Stefan Raueiser (stefan.raueiser@kloster-irsee.de), der Ihnen auch als Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Weitere Informationen und Bewerbung unter www.mediclin.jobs/33004 Zudem suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt für unsere Kinder- und Jugendpsychiatrie (Station E0, E1, E1-Akut und TK-KiJu) eine
Gruppenleitung / stellv. Leitung (w / m / d)
Das Beste von Paul Watzlawick – in einem Band! Paul Watzlawick
Pflege- und Erziehungsdienst in Vollzeit
Man kann nicht nicht kommunizieren Das Lesebuch
Weitere Informationen und Bewerbung unter www.mediclin.jobs/33003
Zusammengestellt von Trude Trunk und mit einem Nachwort von Friedemann Schulz von Thun 2., unveränd. Aufl. 2016. 376 S., 11 Abb., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-45685600-1 Auch als eBook erhältlich
Die vorliegenden Stellen sind für schwerbehinderte Bewerber (w/m/d) geeignet.
Wir bieten:
· Eine anspruchsvolle, interessante Tätigkeit in einem freundlichen Team · Engagierte Mitarbeiter in einer modernen Klinik · Ein strukturiertes Einarbeitungskonzept · Eine leistungsgerechte Vergütung · Vielfältige Fort- und Weiterbildungsangebote sowie Supervision Ihr Ansprechpartnerin Für Fragen steht Ihnen Frau Nadjie, Leitung des Pflege- und Erziehungsdienstes, Tel. 0781 9192 157, gerne zur Verfügung.
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Übergabe!
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Ran an die Arbeit! Philip Niesing
Mit der Rubrik „Übergabe!“ will der junge Krankenpfleger Philip Niesing einen erfrischenden Blick auf den pflegerischen Alltag werfen. Mit dem Ausscheiden des verdienten Kollegen Bruno Hemkendreis und seiner Kolumne „Brunos Universum“ wollen wir einen jungen und hoffentlich unverstellten Blick auf den pflegerischen Alltag werfen.
I
m letzten Jahr feierte mein Klinikum sein 100-jähriges Bestehen. Ein Grund zum Feiern, aber auch ein Grund zum Nachdenken, über sich und die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Denn wie jeder weiß, die deutsche Psychiatriegeschichte hat besonders dunkle Kapitel. 100 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich die Psychiatrie im Allgemeinen und besonders das Bild von Menschen mit psychischen Erkrankungen grundlegend verändert hat. Nun, heutzutage stellt sich die psychiatrische Pflege erfreulicherweise anders dar als zu den Anfangszeiten in Gütersloh. Und dass dabei gelegentlich Kreativität und ein Abweichen von einer schablonenartigen leitliniengerechten Herangehensweise gefragt ist, zeigt ein Beispiel aus der Praxis. Manchmal passen unkonventionelle Ideen besser zu einem unkonventionellen Leben. Stefan H. (Name geändert) hat im Leben wahrlich kein Glück gehabt. Schon als Kind ist er mit Gewalt und ohne Nestwärme aufgewachsen. Sein Leben entwickelte sich zu einem Kreislauf aus Ablehnung und Haltlosigkeit. Der zunehmende Alkoholmissbrauch führte zu stationären Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern. Wurde zunächst nur der maßlose Alkoholkonsum therapiert, entwickelten sich später auch Wesensveränderungen, die Stefan H. immer wieder in der Gesellschaft anecken ließen. Frühere Beschäftigungsverhältnisse wurden durch Armut, Wohnungslosigkeit und Kriminalität abgelöst. Stefan H. hat sich über die Jahre mit diesem Leben arrangiert. Er ist ein Überlebenskünstler geworden, der immer solange zurechtkam, bis er in der Öffentlichkeit oder in seiner Unterkunft „verhaltensauffällig“ wurde. Ich habe Stefan H. als Menschen kennengelernt, der eine harte Schale, aber auch einen weichen Kern besitzt. Aus professioneller Sicht hat sich der Kontakt aber immer als sehr schwierig erwiesen, sodass ich mir oft die Frage gestellt habe: Was soll ich mit diesem Mann anfangen und wie lange machen meine Nerven und die meiner Kollegen und Kolleginnen das mit? © 2020 Hogrefe
Durchgehendes lautes Reden, Unruhe, Rastlosigkeit, Distanzlosigkeit, Klauen und Aggressivität waren anhaltende Symptome. In seinem Patientenzimmer hatte er die Tapete von den Wänden gerissen. Völlig wertfrei habe ich einmal gedacht: Wie wäre es einem solchen Menschen in der Psychiatrie vor 50 oder 100 Jahren ergangen? Mit welcher heutigen pflegerischen Expertise könnte ich einem solchen Menschen begegnen? Natürlich ist die medikamentöse Therapie wichtig, aber damit wird man diesem Menschen, seiner Individualität und Symptomatik nur zum Teil gerecht. Wie könnte man einer weiteren Eskalation oder gar Zwangsmaßnahmen entkommen? Mit meinem (Pflege)Latein war ich gefühlt am Ende. Im Team stand ich damit nicht alleine dar. Aber dann machten wir eine interessante Beobachtung. Dem zuerst als Vandalismus gedeuteten Abreißen der Tapete in seinem Zimmer schien eine gewisse Systematik zu unterliegen. Nach einer Besprechung im multiprofessionellen Team wollten wir es mit einer Art Validation probieren. Wir haben Stefan H. dann eben nicht einfach verwahrt, sondern in seiner Realität abgeholt und ihm etwas angeboten, was ihn mit Leben und Sinn erfüllt: einer sinnvollen Aufgabe. Da bekannt war, dass er früher als Maurer gearbeitet hatte, boten wir ihm an, dass Zimmer doch komplett für eine Sanierung vorzubereiten. Ihm wurden dafür Materialien zur Verfügung gestellt. In den nächsten Tagen zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Symptomatik. Stefan H. blühte auf. Lob und Bestätigung schienen ihn zusätzlich zu motivieren. Mahlzeiten wurden regelmäßig eingenommen. Der Tag-Nacht-Rhythmus hatte sich normalisiert. Er war adhärent bei der Medikamenteneinnahme. Um den Fluss nicht zu unterbrechen, konnte er sogar noch einen Gemeinschaftsraum, der zum Rauchen genutzt wird und zur Renovierung anstand, in Eigenregie für die weiteren Arbeiten durch den Maler vorbreiten. Nach dem Ende dieser speziellen, unkonventionellen Krisenintervention konnte Stefan H. wieder in sein ambulantes Netz entlassen werden. Auch das ist Psychiatrie heute. In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal Euer Philip Philip Niesing Gesundheits-und Krankenpfleger, LWL-Klinikum Gütersloh philip.niesing@gmx.de
Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 7 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000284
Basiswissen zur Gesundheitsökonomie und -politik
Manfred Haubrock
Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik Lehrbuch für Führungskräfte in der Gesundheitswirtschaft 2020. 568 S., 132 Abb., 75 Tab., Kt € 49,95 / CHF 65.00 ISBN 978-3-456-85944-6 Auch als eBook erhältlich Führungskräfte in der Gesundheitswirtschaft benötigen Wissen über gesundheitsökonomische Zusammenhänge und gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse. Der erfahrene Hochschuldozent Manfred Haubrock fasst das Basiswissen zur Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik für Pflege-, Sozial- und Verwaltungsfachberufe verständlich und kompakt zusammen.
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Das Lehrbuch beschreibt die Entwicklung von Gesundheitsversorgungssystemen, vollzieht den Wandel zur Gesundheitswirtschaft nach, skizziert gesundheitspolitische Aufgaben, Ziele und Spielräume, differenziert Träger und Organisationen der Gesundheitsversorgung, stellt Gesundheitsberichtssysteme vor und begründet gesundheitsökonomische Evaluationen.
Schwerpunkt
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Wenn Mitarbeiter „krankfeiern“ Chancen und Risiken des Absentismus für das mittlere Management Elise Rahn
Im internationalen Vergleich sind die Krankentage in Deutschland sehr hoch. Dies verursacht steigende Kosten in immenser Höhe. Damit einher geht der Wunsch bzw. die Notwendigkeit, den Krankenstand zu verringern, um somit den Produktivitätsverlust der Unternehmen zu mindern.
S
eit 2007 steigt die Krankheitsquote in Deutschland kontinuierlich an, von 3,44 % auf aktuell 4,73 % (Statista, 2019). Auch im internationalen Vergleich sind die Krankheitstage sehr hoch. Dies verursacht gerade für die Wirtschaft und bei den deutschen Unternehmen steigende Kosten in immenser Höhe. Damit einher geht der Wunsch bzw. die Notwendigkeit, den Krankenstand zu verringern, um somit den Produktivitätsverlust der Unternehmen zu mindern (Pietzner, 2007). Hier stellt sich die Frage, welche Faktoren die Führungskräfte ändern können, um die innerbetrieblichen Krankenstandstage zu reduzieren, da sie gerade aus unternehmensinterner Sicht einen starken Einfluss auf die Arbeitsmotivation und das Betriebsklima sowie dem daraus resultierenden Absentismus haben. Gerade einen Dienstleistungsbetrieb wie das Krankenhaus stellen die Krankenstände in der Pflege vor hohe Herausforderungen. Hier geht es darum, bestehende Personalausfälle zu ersetzen, um den laufenden Betrieb und die Versorgung von kranken Menschen 24 Stunden täglich und sieben Tage in der Woche aufrechtzuerhalten (Rahn, 2018). Erschwerend kommt für die Krankenhauslandschaft die Umstellung auf das G-DRG-System im Jahr 2004 hinzu. Dadurch hat der ökonomische Druck auf die deutschen Krankenhäuser in den letzten Jahren zugenommen. In Aussicht auf die nächsten Jahre – unter den vorgegebenen demografischen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen – wird sich die Lage womöglich nicht verbessern, sondern sich eher noch weiter verschärfen (Marckmann & Maschmann, 2014). Besonders die Krankenhausmitarbeitenden spüren die Auswirkungen dieser Ökonomisierung heute deutlich. Aufgrund von Leistungsverdichtungen und Einsparungen im Personalbereich sind die Krankenhausmitarbeitenden
© 2020 Hogrefe
einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt. Demotivation, Burn-out und erhöhte Krankenstände sind die Folgen. Dies schwächt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser. Es stellt sich die Frage, welche Faktoren optimiert werden müssen, um die innerbetrieblichen Krankheitstage zu minimieren und Kosten einzusparen. Hier bieten viele Unternehmen ihren Mitarbeitern zur Gesunderhaltung verschiedene gesundheitsfördernde Programme an. Aber was ist mit den Beschäftigten, die nicht aufgrund einer wirklich vorliegenden Erkrankung arbeitsunfähig zu sein scheinen? Dieses Phänomen nennt man Absentismus. Dabei geht es um die Arbeitnehmer, die eigentlich in der Lage sind zu arbeiten, aber aus verschiedenen Gründen nicht wollen. Somit ist der Absentismus, das motivationsbedingte Fernbleiben vom Arbeitsplatz, ein besonders wichtiges Thema für die Unternehmen. Eine Umfrage aus 2012 hat gezeigt, dass 36 % der Befragten (17 562 Personen; 54 % Männer, 46 % Frauen) in den letzten zwölf Monaten aus motivationsbedingten Gründen zu Hause geblieben sind. Damit entstehen den Unternehmen Kosten in Höhe von 1999 Euro pro Mitarbeiter (Statista, 2018). Da Absentismus jedoch ein komplexes Phänomen darstellt, das durch individuelle, betriebliche und gesellschaftspolitische Einflüsse bestimmt wird, gibt es keine einheitliche Formel oder spezielle Strategie, um Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 9–14 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000280
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das Phänomen Absentismus zu senken. Gerade aus unternehmensinterner Sicht sind es vor allem die Führungskräfte und die Kollegen, die einen starken Einfluss auf die Arbeitsmotivation und das „Stresserleben“ sowie dem daraus bedingten Absentismus ausüben (Pietzner, 2007).
Absentismus, Ursachen, Modelle und Faktoren Seit den 1960er-Jahren und insbesondere mit der Einführung des Lohnfortzahlungsgesetzes (§ 3 EntgFG) im Jahre 1964 gewann das Thema Absentismus in den deutschen Unternehmen noch einmal an Bedeutung. Zu dieser Zeit wurde er als eine nicht geplante sowie nicht planbare Abwesenheit von Mitarbeitern angesehen (Marr, 1996). In der Literatur findet man unterschiedliche Definitionen des Begriffs Absentismus. Die unterschiedlichen Definitionen rühren daher, dass mit demselben Fachbegriff drei unterschiedliche Ursachen bezeichnet werden: zum einen das Fernbleiben vom Arbeitsplatz aus krankheitsbedingten Gründen und zum anderen die Abwesenheit aus nichtkrankheitsbedingtem, motivationalem Antrieb sowie aufgrund einer Kombination beider Faktoren (Albach, 2001). Der Fokus wird an dieser Stelle auf die motivationsbedingten Beweggründe des Absentismus gelegt, denn dem Absentismus liegt allein die bewusste Entscheidung des Arbeitnehmers zugrunde, der Arbeit fernzubleiben, und er kann nicht durch objektiv medizinische Tatbestände, vertragliche oder gesetzliche Regelungen erklärt werden (Schmohl, 2014). Man unterscheidet zwei Indikatoren für Fehlzeiten: die Summen der Fehltage und die Häufigkeit der Fehltage. Letzteres gibt Auskunft über die Anzahl der Abwesenheitsperioden, unabhängig von der Länge der einzelnen Perioden. Die Häufigkeit von kürzeren Fehlzeiten (bis zu drei Tagen) gilt als Indikator für mangelnde Arbeitsmotivation und somit für Absentismus (Albach, 2001). „Als ,verdächtig‘ in diesem Sinne gelten insbesondere ärztlich nicht attestierte Kurzerkrankungen […]“ (Marr, 1996, S. 16)
Absentismus-Modelle Genauso vielfältig wie die Definitionen für den Begriff Absentismus sind auch die Motive für dessen Entstehung. Als Rückzug-Modell wird das zeitweilige Zurückziehen von den unzufrieden machenden und negativen Seiten der Arbeitstätigkeit bezeichnet. Zu den Motiven und Ursachen, die einen Rückzug eines Mitarbeitenden bedingen, sind ein schlechtes Betriebs- bzw. Arbeitsklima, die fehlende Integration ins Team und die zwischenmenschliche Beziehung zum Vorgesetzten zu nennen. Dazu kommen die mangelnde Wertschätzung und Befriedigung der psychophysiologischen Grundbedürfnisse. Auch gelten geringe Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 9–14
Schwerpunkt
Bezahlung, ungünstige Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen als Motive für Absentismus bei Mitarbeitenden (Ziegler et al., 1996). Der Absentismus im medizinischen Modell bezieht sich auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden. Ist die physische und psychische Gesundheit durch Umgebungseinflüsse beeinträchtigt, gilt der Absentismus als Ausdruck einer Stressbewältigungsstrategie. Gründe, die im medizinischen Modell zu Absentismus führen, liegen im Gesundheitszustand und mangelnden Gesundheitsbewusstsein eines Mitarbeitenden. Dazu können weitere individuelle Belastungen wie Suchtverhalten, krankmachende familiäre Verpflichtungen sowie private Probleme und Schlafstörungen kommen (Ziegler et al., 1996). Der Absentismus äußert sich beim abweichenden Modell durch das nicht legitime Verhalten der Mitarbeitenden. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine Form, das Unternehmen auszunutzen. Weiter äußert sich das abweichende Absentismus-Modell in den devianten Aspekten der Persönlichkeit wie mangelndes Verantwortungsgefühl gegenüber dem Unternehmen bzw. gegenüber dem Arbeitgeber und den Kollegen (Ziegler et al., 1996). Beim ökonomischen Nutzen-Modell wiegt der Betroffene seine Entscheidung für oder gegen die Abwesenheit zweckrational ab, wobei die Kosten und Nutzen des eigenen Verhaltens zu einer Optimierung der Entscheidung und Eigeninteressen führt (Ziegler et al., 1996). Der kulturelle Ansatz dieses Absentismus-Modell unterliegt dem sozialen Einfluss. Das Handeln des Fehlzeitenverhalten richtet sich nach der Bewertung der Kollegen und Vorgesetzten. Die verschiedenen Arbeitsstrukturen haben ihre spezifischen Absentismus-Kulturen, welche zu einem unterschiedlichen (Un-)Verständnis, einer Wahrnehmung sowie Bewertung führt und den Umgang mit diesem Fehlen bestimmt (Udris, 2018). Der Konflikt-Ansatz fungiert als Reaktion auf einen Konflikt und dient dem Zweck, sich aus dem Handlungsfeld der Führungskraft zu entziehen (Udris, 2004). Der Work-Home-Konflikt ist ein weiterer Grund für den Absentismus. Hier besteht der Konflikt der Krankenhausmitarbeitende im Arbeitszeitenmodell. Familiäre und private Belange sowie die Anforderungen an den Beruf zeitlich zu integrieren, führen immer wieder zu intrinsischen Konflikten bei den Mitarbeitenden (Nitzsche et al., 2017). Ein weiterer Faktor, der oft vernachlässigt wird, ist der organisatorische Wandel. In Zeiten von Re- und Umstrukturierungsprozessen in einem Krankenhaus ist der richtige Führungsstil ein wichtiger Faktor und benötigt eine besondere Art der Führung und Motivation der Mitarbeiter, damit diese sich den Prozess fügen (Elshout et al., 2013)
Absentismus am Arbeitsplatz Anhand von Zahlen lässt sich Absentismus nur schwer belegen. Dies liegt auf der einen Seite daran, dass Fehlzeiten bis zu drei Tagen statistisch nicht erfasst werden, da ge© 2020 Hogrefe
Schwerpunkt
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setzlich keine Krankmeldung beim Arbeitgeber vorgelegt werden muss und somit keine Meldung an die gesetzlichen Krankenkassen geht. Auf der anderen Seite werden vielfach keine wahrheitsgemäßen Angaben über Gründe für Krankheitsstände gemacht. Geht man von den gesamten Krankheitstagen in den letzten zehn Jahren in Deutschland aus, so lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg feststellen (BMG, 2017). Waren es im Jahr 2006 noch 3,31 % der gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer, die sich krankgemeldet haben, so stieg der Wert 2016 schon auf 4,20 % (BMG, 2018). Die durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitstage beliefen sich im Jahr 2016 auf 19,4 Tage laut des Fehlzeiten-Report von 2018. Die Gesundheitsausgaben betrugen 278 Mrd. Euro für den Bund und 129 Mrd. Euro für die Unternehmen (Statista, 2018). Der Krankenstand in der Pflege ist in den vergangenen vier Jahren um 0,7 % gestiegen. Damit liegt er 1,4 % über dem bundesweiten Durchschnitt und ist 0,2 Prozentpunkte schneller gestiegen als dieser (Badura et al., 2018).
Berufsspezifische Fehlzeitenursachen Die Ursachen für Fehlzeiten lassen sich anhand des Berufszweiges und Berufsstandes unterscheiden. Somit hängt sowohl das Ausmaß und die Häufigkeit der Fehlzeiten als auch die Art der Erkrankungen deutlich mit der Art der ausgeübten Tätigkeit zusammen und liegen vor allem in den berufsspezifischen Anforderungsprofilen. Der Fehlzeitenreport 2017 zeigte auf, dass Pflegende weitaus öfter an psychischen Erkrankungen leiden als andere Berufsgruppen. In der Pflege könnten die deutlich höheren Werte der psychischen Erkrankungen unter anderem auf den wachsenden Pflegenotstand (beispielsweise durch Personalmangel, Stress, Schichtarbeit, mangelnde Erholungsphasen) und die damit verbundene steigende Arbeitslast und höhere Verantwortung zurückzuführen sein (Badura et al., 2017).
Ökonomische Folgen für Unternehmen Der Produktivitätsverlust ist die erste und messbare Auswirkung des Absentismus für ein Unternehmen. Dazu kommen die anfallenden direkten Kosten, die aus ökonomischer Sicht nicht unerheblich eine hohe Belastung für die Unternehmen verursachen und zu einer Umsatzminderung führen. Die dadurch entstehenden Kosten setzten sich aus den Entgeltfortzahlungsaufwendungen für mindestens sechs Wochen, den Personalzusatzkosten, die aufgrund gesetzlicher und tariflicher Bestimmungen im Krankheitsfall weiterhin zu der Vergütung arbeitsfreier Tage zählen, und den anfallenden Überstunden der anwesenden Mitarbeitenden, die in der Regel zuschlagspflichtige Arbeitsstunden darstellen, zusammen (Pietzner, 2007). Darüber hinaus kann die notwendige Mehrarbeit der anwesenden Mitarbeitenden zu eklatanten Motivations© 2020 Hogrefe
problemen führen und wiederum zusätzliche Kosten verursachen. Ist das Unternehmen nicht in der Lage, die Aufgaben von abwesenden an anwesende Mitarbeitende zu delegieren, kann dies zu weiteren Schwierigkeiten sowie zu Produktivitätsverlust und Umsatzminderung führen. Gerade in der Pflege kann dies schwerwiegende Konsequenzen für den kompletten Arbeitsablauf in einem Krankenhausbetrieb nach sich ziehen. Denn hier ist das Stationsteam auf den Beitrag der einzelnen Pflegekraft besonders angewiesen, um die Rund-um-Betreuung der Patienten zu gewährleisten (Pietzner, 2007).
Zusammenhänge zwischen dem Führungsverhalten und Absentismus Das Führungsverhalten beeinflusst – neben anderen Determinanten – den Absentismus der Mitarbeitenden nicht unwesentlich. Aspekte wie der Hierachiegradient und das Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 9–14
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Abhängigkeitsverhältnis spielen eine wichtige Rolle. Sie haben eine besonders hohe Wirkung auf die Mitarbeitendenmotivation und somit auf den Absentismus. Auch der Führungsstil kann den Absentismus positiv beeinflussen bzw. verstärken beeinflussen. So erweist sich in einer stabilen Umwelt der situative Führungsstil als ideales Führungsmodell. In Zeiten der Restrukturierung des Unternehmens oder in „turbulenten Zeiten“ ist der transformationelle Führungsstil, zumindest als kurzfristiger Lösungsansatz, ideal. Dabei gibt es keinen einheitlichen Führungsstil, der allen Situationen angemessen erscheint. Dies zeigt, dass eine wirkungsvolle Führungsperson jemand ist, der seinen Führungsstil an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und die jeweiligen Situationen anpasst (Rahn, 2018). Von den Führungskräften wird eine hohe soziale Kompetenz gefordert. Sie müssen nicht nur sich und ihren Führungsstil – möglichst objektiv – selbst reflektieren können, sondern auch über eine gute Auffassungs- und Beobachtungsgabe hinsichtlich der Mitarbeitenden und des Unternehmens verfügen. Denn nur so ist es möglich, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen und diese in Einklang mit den wirtschaftlichen Zielen und der Unternehmenskultur zu bringen. Zusammenfassend sind es folgende Charakteristika, die eine qualifizierte Führungspersönlichkeit zur aktiven Berücksichtigung der emotionalen Bedürfnisse seiner Mitarbeitenden benötigt: Anerkennung, Zugehörigkeit, Wertschätzung ebenso wie Respekt und Vertrauen gegenüber den Beschäftigten. Weiterhin gehören zu den Ressourcen, die eine Führungsperson nutzen sollte, ein partizipativer Führungsstil mit einem flachen Hierarchiegradienten, eine Vertrauenskultur, Transparenz in den Entscheidungen und ganz wesentlich das Vermögen, die Qualifikationen und Potenziale der Beschäftigten zu nutzen und auszubauen. Diese Faktoren sollen insgesamt als Grundlage einer gesundheitsfördernden Führung betrachtet werden. Gleichzeitig muss den Vorgesetzten bewusst werden, wo die Grenzen der „gesunden“ Führung liegen und wie man diese durch andere Mittel bewältigt oder kompensiert. Somit kann eine sogenannte „gesunde“ Führung nur bis zu einem gewissen Grad das Wohlbefinden der Mitarbeitenden beeinflussen und einen möglichen Absentismus mindern. Die Grenzen der gesunden Führung liegen damit unter anderem außerhalb des Wirkungsbereiches oder enden dort, wo andere Einflussfaktoren beginnen.
Führungsunabhängige Faktoren Führungspersonen haben in vielen Fällen offensichtlich einen Einfluss auf den Absentismus ihrer Mitarbeitenden. Jedoch dürfen die zahlreichen weiteren personen- und arbeitsbezogenen Einflussfaktoren, die auf den Absentismus einwirken, nicht außer Acht gelassen werden. Wichtige Aufgabe einer Führungskraft ist es, diejenigen Ursachen und Einflussfaktoren, die zum motivationsbedingten Fernbleiben vom Arbeitsplatz führen, im Vorfeld zu erkennen und möglichst frühzeitig zu intervenieren. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 9–14
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Arbeitsbezogene Determinanten Das Betriebsklima zählt zu den arbeitsbezogenen Determinanten und stellt wie oben schon genannt, neben dem Führungsverhalten, einen weiteren Faktor dar, der zum Absentismus eines Mitarbeitenden führt. Somit kommt dem Thema Betriebsklima eine besondere Bedeutung zu. Von seiner Qualität hängen sehr wesentlich die Arbeitsmotivation und das Erleben der Arbeit, das individuelle Wohlbefinden und die Arbeitsqualität sowie – quantität ab. Die betriebsklimatischen Erfahrungen wirken dabei sogar auch in den Freizeitbereich hinein (Rosenstiel et al., 2001). Im Zusammenhang mit dem Betriebsklima wird oftmals die Arbeitszufriedenheit genannt, da sich beide Faktoren kaum voneinander trennen lassen. Auf die Aspekte des Betriebsklimas kann die Führungskraft des mittleren Managements nur bedingt Einfluss nehmen, da sie im Unternehmen an Grenzen der Unternehmensform, ihrer Mitarbeitenden, anderer Vorgesetzter oder Organe stößt. So ist beispielsweise eine Aufstiegsmöglichkeit nicht nur abhängig vom Vorgesetzten, sondern wird auch durch die Pflegedienstleitung und den Betriebs- bzw. Personalrat bestimmt. Hier liegt die Möglichkeit der Führungsperson darin, seine Mitarbeitenden für die Position möglichst gut aus- und weiterbilden zu lassen, womit sich die Kompetenzen des Mitarbeitenden steigern lässt und sich so die Chance erhöht, für die vorgesehene Position die bessere Wahl zu sein. Wenig Spiel lässt die Arbeitsplatzsicherung, da diese meist abhängig von der Konjunktur und vom Sozialplan des Unternehmens ist. Gehälter und Sozialleistungen sind vielfach an Tarifverträge gebunden und können in bestimmten Betriebsformen und Positionen wegen des Gleichstellungsbzw. Gleichberechtigungsgesetzes (Art. 3, Abs. 2 AGG ) nicht verändert werden. Die Kollegenbeziehung ist ein wesentlicher Bestandteil des Betriebsklimas. Hier kann die Führungsperson „nur“ die Rahmenbedingungen schaffen, um diese positiv zu fördern. In erster Linie ist es die Aufgabe der Mitarbeitenden selbst, das Verhältnis zu den Kollegen zu gestalten und menschlich freundlicher zu machen. Hier zählt im Wesentlichen die Gesprächsbereitschaft der Mitarbeitenden und ihr Grad an menschlicher Reife, auch im Hinblick auf die Gesprächsfähigkeit (Rosenstiel et al., 2001). Auch wenn eine angenehme Arbeitsatmosphäre der Einflussnahme der Führungsperson Grenzen setzt, trägt das Verhalten des Vorgesetzten zu einem guten Betriebsklima maßgeblich bei und kann dieses fördern. Dadurch besteht nicht nur die Möglichkeit den Absentismus zu verringern, sondern auch die Fluktuationsrate zu mindern, die Motivation zu steigern und eine potenzielle „innere Kündigung“ der Mitarbeiter zu verhindern. Nicht nur das Betriebsklima, sondern auch arbeitsbezogener Stress hat einen direkten Einfluss auf Absentismus (Rosenstiel et al., 2001). An dieser Stelle muss jedoch eingeschränkt hinzugefügt werden, dass das Stresserleben und die Gesundheit eines © 2020 Hogrefe
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Menschen in einem hohen Maß vom subjektiven Erleben und von der Bewertung der Situation abhängt. Dieser Prozess hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie der Stress empfunden wird und entscheidet darüber, welche weiteren Prozesse in Gang gesetzt und welche Entscheidungen getroffen werden. Essentielle Regulationsmöglichkeiten, die positiv auf das Stresserleben einwirken, die allgemeine Gesundheit fördern und sich entsprechend negativ auf die Anzahl der Fehlzeiten auswirken, sind ein gutes Management und soziale Beziehungen. Eine gute Mitarbeitendenführung, die einen großen Handlungsund Entscheidungsspielraum einräumt, kann zur Stressreduzierung beitragen und die Ressourcen der Mitarbeitenden aktivieren. Somit trägt auch ein ausgewogenes Betriebsklima zwischen den Beschäftigten und im Verhältnis zu dem Vorgesetzten maßgeblich zur Stressreduzierung bei (Badura et al., 2015).
Personenbezogene Determinanten Die Grenzen liegen im Wirkungsbereich der gesunden Führung, wo andere Einflussfaktoren ihre Wirkung entfalten. Aspekte wie der „Work-Home-Konflikt“, die Individualität des Mitarbeitenden, schlechte Gesundheit, chronische Erkrankungen sowie eine ungesunde Lebensweise gehören zu den personenbezogenen Determinanten des Absentismus. Sehr schwierig oder teilweise unmöglich ist die Einflussnahme der Führungsperson auf den privaten und personellen Bereich des Beschäftigten. Der Vorgesetzte kann allenfalls mittels Gespräche diesen Bereich eruieren und innerhalb der Unternehmensstrukturen Lösungsangebote anbieten, den Mitarbeitenden damit unterstützen oder seine aktuelle Haltung verstehen (Ziegler et al., 1996). In diesem Fall kann Absentismus als passive Bewältigungsstrategie bzw. funktionale Coping-Strategie der Mitarbeitenden angesehen werden. Er dient den anwendenden Mitarbeitenden als Rückzug aus der Arbeitslast und den damit verbundenen personen- und arbeitsbedingten Stressoren sowie einer Überforderung. Der Betroffene stellt durch einen kurzfristigen Absentismus seine Gesundheit und Arbeitskraft wieder her. Somit kann man Absentismus auch positiv als eine Art von Burn-out-Prophylaxe ansehen, da durch eine kurzfristige Abwesenheit eventuell mögliche längere Krankheitszeiten verhindert werden können (Ziegler et al., 1996).
Fazit Die Chance für das mittlere Management, Absentismus zu minimieren und im besten Fall zu verhindern, liegt darin, den persönlichen Führungsstil zu reflektieren – vor allem die Selbstwahrnehmung (eigene Einschätzung) mit der Fremdwahrnehmung (Einschätzung der Beschäftigten) abzugleichen und sich zu fragen, ob dieser einen Beitrag zum Absentismus der Mitarbeiter leistet. Dies setzt vor© 2020 Hogrefe
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aus, dass die Führungsperson schon über soziale (Management-)Kompetenzen verfügt, die vorher langfristig erworben werden müssen. Weiter sollte sie wichtige Führungsmodelle kennen und diese auch beherrschen. Wichtig ist die persönliche (psychische) Gesundheit der Führungskraft, um in der Lage zu sein, die Mitarbeitenden adäquat zu führen und eine Stütze in der Bewältigung der Arbeitsbedingungen bzw. bei neu wieder auftretenden Herausforderungen zu sein. Ein weiterer wesentlicher Schritt ist es, seine Mitarbeitenden in ganzheitlicher Betrachtung zu führen. Dies bedeutet, sich aktiv mit den Mitarbeitenden auseinanderzusetzen und sich Zeit zu nehmen, um sie mit ihren Erwartungen, Ressourcen, Bedürfnissen und Sorgen kennenzulernen. Somit besteht die Möglichkeit zu erfahren, welche Probleme bzw. Stressoren die Mitarbeitenden belasten. Hier bietet sich an, in verschiedenen Gesprächskonstellationen mit ihnen über ihre aktuelle Situation zu reden und gemeinschaftlich eine Lösungsstrategie zu entwickeln. Gelingt es nicht, den Absentismus zu verringern bzw. zu verhindern, kommt es zur „Abwärtsspirale“. Die fehlzeitenbedingte Abwesenheit von Mitarbeitenden führt dazu, dass die anwesenden Kollegen durch die zu kompensierende Arbeit überfordert werden. Dies kann zur Folge haben, dass sich letztere ebenfalls abmelden und weitere Personallöcher in den Dienstplan gerissen werden. Weitaus gravierendere Auswirkungen hätte es, wenn die Mitarbeitenden durch die langanhaltende Kompensation der überfordernden Arbeitslast an psychischen Erkrankungen wie Burn-out und Depression erkranken und dies zu Langzeitkrankheitsausfällen führen würde. Ein weiterer mit dem Absentismus verbundener Risikofaktor ist nicht nur der Produktivitätsverlust, sondern vor allem der Qualitätsverlust. Gerade in einem Krankenhaus führt die Überforderung und Demotivation bei den Pflegenden zu einem Verlust der Patientenorientierung und Patientensicherheit oder zu einer mangelnden Versorgungsqualität. Dies gilt es unbedingt zu verhindern, da besonders hinsichtlich der Patientensicherheit kritische Ereignisse zu einer gravierenden Schädigung der menschlichen Gesundheit führen können. Daher sollte es allen Führungskräften ein großes Anliegen sein, einen motivationsbedingten Absentismus innerhalb ihres Handlungskorridors aktiv zu verringern bzw. möglichst zu verhindern. Nicht nur, dass dadurch die Zufriedenheit und Lebensqualität der Mitarbeitenden gesteigert, sondern auch die Versorgungsqualität und die Sicherheit der Patienten gewährleistet würde. Hierdurch wiederum erfährt auch der Patient ein hohes Maß an Zufriedenheit und Lebensqualität.
Literatur Albach, H. (2001). Personalmanagement 2001. Wiesbaden: Gabler. Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. & Meyer, M. (Hrsg.) (2015): Fehlzeiten-Report 2015. Berlin & Heidelberg: Springer. Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. & Meyer, M. (Hrsg.) (2017). Fehlzeiten-Report 2017. Berlin & Heidelberg: Springer. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 9–14
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Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. & Macco, K. (Hrsg.) (2018). Fehlzeiten-Report 2018. Berlin & Heidelberg: Springer. Bundesministerium für Gesundheit – Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.) (2017). Daten des Gesundheitswesens 2017. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit. Bundesministerium für Gesundheit – Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.) (2018). Daten des Gesundheitswesens 2018. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit. Elshout, R., Scherp, E. & van der Feltz-Cornelis, C. M. (2013). Understanding the link between leadership style, employee satisfaction, and absenteeism. A mixed methods design study in a mental health care institution. Neuropsychiatric disease and treatment, 9, 823–837. doi: 10.2147/NDT.S43755 Marckmann, G. & Maschmann, J. (2014). Zahlt sich Ethik aus? Notwendigkeit und Perspektiven des Wertemanagements im Krankenhaus. Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 108, 157–165. doi.org/10.1016/j.zefq.2014.03.001 Marr, R. (1996). Absentismus – Der schleichende Verlust an Wettbewerbspotential. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. Nitzsche, A., Kuntz, L. & Miedaner, F. (2017). Staff working in hospital units with greater social capital experience less work-home conflict. Secondary analysis of a cross-sectional study. International Journal of Nursing Studies, 75, 139–146. Pietzner, G. (2007). Krankenstands- und Arbeitslosenquote in Deutschland – Eine ökonomische Perspektive. München: Hampp. Rahn, E. (2018). Absentismus – Wenn Mitarbeiter krankfeiern – Chancen und Risiken für das Mittlere Management. München: Studylab. Schmohl, M. (2014). Die Strategien zur Vermeidung betrieblicher Fehlzeiten – Darstellung am Beispiel einer fiktiven GmbH & Co. KG. Hamburg: Igel. Udris, I. (2004). Absentismus – Definitionen, Formen, Erklärungsmodelle. Zürich: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Verfügbar unter http://www.individual-coaching.ch/pdfs/ absentismus.pdf [03.03.2018].
Statista GmbH (2011). Unternehmenskosten durch Präsentismus und Absentismus pro Mitarbeiter und Jahr in Deutschland im Jahr 2009 (in Euro). Verfügbar unter https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/191741/umfrage/unternehmenskostendurch-praesentismus-pro-mitarbeiter-und-jahr/ [12.12.2018]. Hamburg: Autor. Statista GmbH (2013). Verhaltensweise im Krankheitsfall: Absentismus und Präsentismus in Deutschland im Jahr 2012. Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/25305 3/umfrage/absentismus-und-praesentismus-im-krankheitsfallin-deutschland/ [12.12.2018]. Hamburg: Autor. Statista GmbH (2019). Durchschnittlicher Krankenstand in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in den Jahren 1991 bis 2019. Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/5520/umfrage/durchschnittlicher-krankenstand-inder-gkv-seit-1991/3/umfrage/absentismus-und-praesentis mus-im-krankheitsfallin-deutschland/ [03.01.2019]. Hamburg: Autor. von Rosenstiel, L. & Bögel, R. (Hrsg.) (2001). Betriebsklima geht jeden an. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit. Ziegler, E., Udris, I., Büssing, A., Boos, M. & Baumann, U. (1996). Ursachen des Absentismus: Alltagsvorstellungen von Arbeitern und Meistern und psychologische Erklärungsmodelle. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 40, 204–208.
Elise Rahn B. Sc. Pflegewissenschaften, Assistentin der Pflegedirektion der LVR-Klinik Düsseldorf elise.rahn@lvr.de
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New Work, Wissensmanagement und Organisationsentwicklung Warum ein „weiter so“ im Krankenhaus nicht funktionieren wird Michael Löhr
Die Arbeitswelt verändert sich. Fortlaufend. Mal mehr, mal weniger schnell. Aber eines Tages wird sie eine andere sein. Unternehmen verändern sich, weil sie es wollen und weil sie es müssen. Wer weiterhin für Arbeitnehmer attraktiv sein möchte, dem bleibt nichts anderes übrig. Dass es in Deutschland und der Schweiz an Fachkräften im Gesundheitswesen mangelt, ist kein Geheimnis. Daher müssen sich Institutionen wie Krankenhäuser Gedanken darüber machen, wie sie in Zeiten von New Work mithalten und als Arbeitgeber attraktiv bleiben können. Ein Plädoyer für Selbstführung, Ganzheit und evolutionären Sinn.
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ie Gesellschaft unterliegt einem grundsätzlichen Wandel. Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf. Die Bevölkerung ist mit den Herausforderungen dieses Wandels konfrontiert. Wir werden erleben, dass es in absehbarer Zeit keine von Menschenhand gelenkten Lastkraftwagen mehr geben wird. Künstliche Intelligenz wird getestet, um dem Phänomen der Einsamkeit bei älteren Menschen entgegenzuwirken. Auch bewegen wir uns in einer Zeit, in der kontinuierliches Wachstum durch andere Ideologien abgelöst wird – die Kreativökonomie oder Ökologie. Die junge Generation zeigt uns, dass es eine Werteverschiebung gibt. So ist die Schülerinnen- und Schülerbewegung „Fridays for Future“ die logische Konsequenz eines desaströsen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Auch finden wir in der Krankenhauslandschaft schwierige Arbeitsbedingungen, die sich in den letzten Jahren weiter verschärft haben. Hier könnte man volkswirtschaftlich von einem desaströsen Umgang mit Mitarbeiterressourcen sprechen. Die Tendenz des Wandels zeigt sich im Werteindex des Zukunftsinstitutes aus Frankfurt. So hat der Megatrend „Natur“ von 2016 auf 2018 vier Plätze gut gemacht und © 2020 Hogrefe
steht nun als Top-Megatrend der Zukunft an oberster Stelle. Der Megatrend „Erfolg“ hat in den letzten Jahren immer stärker abgenommen und befindet sich im Werteindex Ranking 2018 nur noch auf Platz 6. Die gesellschaftlichen Megatrends spiegeln sich über die Mitglieder der Gesellschaft in den Unternehmen wider, somit auch im Gesundheitswesen.
Bildungsstand so hoch wie nie Zu den Megatrends gehören die Wissenskultur, die Konnektivität, die Gesundheit und New Work. Beim Thema Wissensmanagement zeigt sich, dass die Wissensgenerierung am besten in dezentralen Strukturen funktioniert. Auch muss festgehalten werden, dass der globale Bildungsstand so hoch wie noch nie ist. Wissen verliert seinen elitären Charakter. Die multifaktoriellen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt sind hoch und werden aller Wahrscheinlichkeit nach noch steigen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass es kollaborative Formen der Wissensaneignung gibt. Hierfür braucht es eine Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 15–17 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000279
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New Work umfasst fünf zentrale Punkte: • bei der Strategieentwicklung werden Mitarbeiter mit einbezogen • moderne und demokratische Führungskultur • Flexibilität • Agilität • kreativer Arbeitsraum
hohe Methodenkompetenz. Hier schließt sich der nächste Megatrend der Konnektivität an. Für Wissensgenerierung und Wissensaneignung, Wissensverbreitung und Wissensimplementierung braucht es Netzwerkkompetenzen.
Nun stellt sich die Frage, wie diese Themen in einem hierarchisch geprägten Unternehmen wie einem Krankenhaus diskutiert werden können. Dazu zuerst eine kurze Beschreibung, wie Wissensmanagement verstanden werden kann. Einerseits wird die Organisation als Wissenssystem aufgefasst. Dementsprechend kann Wissensmanagement als zielgerichtete Gestaltung organisationaler Lernprozesse verstanden werden. Es braucht eine hohe Agilität und Flexibilität. Demgegenüber steht die Aufbaustruktur eines Krankenhauses, die häufig in Säulen gedacht wird und aufgebaut ist. Damit stehen sich Wissensmanagement und die Aufbaustruktur nach klassischer Stablinienform diametral entgegen.
Komplex bis chaotisch Vernetzung nötig Hier gilt ein ganzheitliches Verständnis, das durch den digitalen Wandel deutlich geprägt wird. Die Vernetzung zeigt sich als dominierendes Prinzip im gesellschaftlichen Wandel. Die Generationen Y und Z bewegen sich heute schon in ihren Netzwerken, die sich über den Globus ziehen. Facebook, Instagram und Twitter sind nur ein paar Beispiele, wie Vernetzung heute funktioniert. Dementsprechend öffnet die Vernetzung ein neues Kapitel in der Evolution der Gesellschaft. Das Thema New Work ist ein weiterer Megatrend, der im Kontext des Wissensmanagements und der Organisationsentwicklung zu betrachten ist. Der Soziologe Prof. Frithjof Bergmann entwickelte den Ansatz New Work in den 1960er-Jahren in der Automobilindustrie in den USA. Der New Work-Ansatz geht davon aus, dass sich Arbeit demokratisieren sollte (Bergmann & Schumacher, 2005). Es braucht einen Wechsel aus der reinen kapitalistischen Betrachtungsweise hin zu einer kreativ ökonomischen Sichtweise.
In diesem Zusammenhang wird von einer Silo-Organisation gesprochen. Silodenken steht für dominantes Abteilungsdenken und -handeln. Jede Abteilung wurschtelt, denkt und entwickelt für sich. Gedankenaustausch und grenzenlose Zusammenarbeit finden nicht statt, damit auch keine gemeinsamen Lösungen. Für agile Strukturen braucht es allerdings kollaborative Organisationsformen. Häufig gibt es noch die Idee, dass die Kernleistung eines Krankenhauses durch Lean-Prozesse organisiert werden kann. Dies entspricht allerdings wenig der Komplexität bzw. den chaotischen Anforderungen, die aufgrund des täglichen Bedarfes des Patienten definiert wird. Standard-Lean-Prozesse funktionieren dann, wenn es weitreichende Klarheit über den Bedarf bzw. die Anforderung gibt und die Methoden, wie damit umgegangen wird, klar beschrieben sind. Die täglichen Anforderungen in der Patientenversorgung sind nicht einfach und nicht kompliziert, sondern eher komplex bis chaotisch. Dies wiederum braucht eine andere Form der Agilität, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. Diese Form der Agilität stößt an die Grenzen einer versäulten Aufbauorganisation.
New Work im Krankenhaus – passt das? Alte Modelle von Arbeit weichen neuen flexiblen Formen. Dabei muss sich allerdings jeder fragen, was er wirklich machen will. Die wenigsten Menschen setzen sich mit dieser Frage konkret auseinander. Dies setzt den Wandel der Unternehmensstruktur voraus. Weg von Kommando und Zeitstrukturen, hin zum selbstbestimmten Handeln und digitaler Vernetzung. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 15–17
Steile Hierarchien funktionieren bei Abläufen von geringer Komplexität Je höher die Komplexität ist, desto mehr braucht es dezentrale Verantwortungsstrukturen, die in Netzwerken funktionieren können. Diese Herausforderung, Wissensmanagement auf der einen Seite in Krankenhausabläufe © 2020 Hogrefe
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zu implementieren und parallel Organisationsentwicklung zu betreiben, ist eine enorme Kraftanstrengung. Sie scheint notwendig, da auch andere Unternehmen im Gesundheitswesen diese Ressource für sich erkannt haben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zukünftig schauen, welche kreativen Entwicklungsmöglichkeiten sie im Kontext ihres Arbeitslebens haben. Die dem Militär angelehnte Aufbauorganisation eines Krankenhauses als Stablinienorganisation entspricht nicht den Anforderungen an eine dem besten Patienten-Outcome unterworfene Unternehmensausrichtung, sondern zementiert Machtstrukturen. Der akute Fachkräftemangel in den Krankenhäusern kommt daher nicht von ungefähr. Ein Grund dafür sind die wenig demokratischen Arbeitsbedingungen. Frederic Laloux beschreibt drei zentrale Bereiche, wie Unternehmen ihren Wertekanon verändern sollten, um den Anforderungen an komplexe Situationen gerecht zu werden:
1. Selbstführung 2. Ganzheit 3. evolutionärer Sinn
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um eine Entfaltung der Kreativität für den „evolutionären Sinn“ des Unternehmens zu schöpfen. Das Ganze kann zur Entwicklung von Leidenschaft für die eigene Arbeit führen. Frithjof Bergmann spricht in diesem Zusammenhang, bei der Abstinenz von Leidenschaft im Arbeitskontext, von „Arbeit als milde Erkrankung“ (Bergmann & Schumacher, 2005) – wie bei einer leichten Erkältung, wo man dienstags hofft, dass es am Freitag wieder vorbei sein wird. Vor diesem Hintergrund stehen Krankenhäuser vor einer großen Herausforderung. Mitarbeitende und potentielle Mitarbeitende werden in Zeiten des faktischen Arbeitskräftemangels überlegen, wie und wo sie arbeiten wollen. Bestehende Systeme zu verändern, ist eine der schwierigsten betrieblichen Aufgaben. Allerdings stellt sich die Frage, was Krankenhäuser machen, wenn vor ihren Pforten Unternehmen entstehen, die Selbstführung, Ganzheit und evolutionären Sinn in ihrer DNA haben. Wahrscheinlich werden die Mitarbeitenden sich überlegen was sie wirklich, wirklich tun wollen.
Literatur Bergmann, F. & Schumacher, S. (2005). Neue Arbeit, neue Kultur. Freiburg i. B.: Arbor Verlag.
Hohe Kompetenzen in der „Selbstführung“ Steile Hierarchien können in Unternehmen mit geringer Komplexität in der Produktion Sinn ergeben. Ansonsten sind hohe Kompetenzen im Bereich der „Selbstführung“ nötig. Es geht weniger um Machthierarchien und mehr um den Aufbau natürlicher Hierarchien über Beratungsprozesse. „Ganzheit“ entspricht der Anforderung, den Mitarbeitenden als Person ganzheitlich wahrzunehmen,
Prof. Dr. Michael Löhr Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung am LWL-Klinikum Gütersloh, Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen im LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, Honorarprofessur Psychiatrische Pflege an der Fachhochschule der Diakonie (FHdD) Bielefeld michael.loehr@lwl.org
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Lean Leadership Ein zukunftsorientiertes pflegerisches Führungsmodell? Philipp Meyer, Steven Cyrol, Rebekka Gemperle
Der ökonomische Druck in den Schweizer Spitälern nimmt zu. Spitalaufenthalte sollen effizienter werden. Gleichzeitig steigen die Erwartungen der informierten Patientinnen und Patienten an die Behandlungs- und Servicequalität. Die Institutionen sind gefordert, in ihr humanistisches Behandlungsverständnis neben steigender wirtschaftlicher Verantwortung auch eine gesteigerte Nutzerorientierung, Mit-Unternehmertum und „Standard Work“ zu integrieren. Trotz der Bedeutung von Führung für den Erfolg von „Lean“ haben nur wenige die Frage nach den idealen Führungseigenschaften erforscht, um Lean-Denken im Gesundheitswesen zu entwickeln.
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ührungspersonen sollten häufig am Ort des Geschehens anwesend sein, um wirklich zu verstehen, wie Prozesse funktionieren und um die richtigen Entscheidungen zu treffen (Dombrowski & Mielke, 2013; Mann, 2009; Keiser, 2012; Aij, 2016). Eine Unterstützung durch die Führung, ein kontinuierliches Lernumfeld und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit spielen für eine erfolgreiche Lean-Implementierung eine wichtige Rolle (Aij et al., 2015).
Theoretischer Hintergrund Lean Management konzentriert sich auf die Beseitigung unnötiger Bewegung (Muda), Unausgeglichenheit (Mura) und Überlastung (Muri) (Womack, Byrne, Fiume, Kaplan & Toussaint, 2005) und wurde entwickelt, um die betriebliche Effizienz durch Qualität und Schnelligkeit zu steigern und Kosten zu senken (Holweg, 2007; Graban, 2012). Eine häufig zitierte Definition ist die von Dahlgaard, Petterson und Dahlgaard-Park (2011, S. 677): „Lean healthcare is a management philosophy to develop a hospital culture characterized by increased patient and other steakholder statisfaction through continuous improvements, in which all employees actively participate in identifying and reducing non-value-adding activities (waste)”. © 2020 Hogrefe
Die Ursprünge von Lean Management liegen im Prozessmanagement, einer Verbesserungsstrategie, die von Henry Ford entwickelt worden ist, um Engpässe zu beseitigen (Womack & Jones, 2003). Sie wurde von den Ingenieuren der Toyota Motor Company zwischen 1949 und 1975 zum „Toyota-Produktionssystem“ (TPS) weiterentwickelt. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) identifizierten das TPS als Best Practice und prägten den Begriff „Lean“ (Krafcik, 1988; Womack et al., 1990). Wichtig scheint zu sein, Lean Management nicht nur auf die Betriebsökonomie zu definieren und anzuwenden, damit die Motivation zur Optimierung von den Mitarbeitenden nicht verhindert wird.
Folgende Aspekte werden in Definitionen von Lean Leadership beschrieben: • Respekt vor dem Menschen • Strategische Motivation und klare Ziele • Lean Leadership-Kompetenz • Empowerment und Coaching • kontinuierliche Verbesserung • Förderung der menschlichen Entwicklung (Bercaw, 2013; Simon & Cancari, 2012; Dörflinger & Kopp, 2015) Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 19–23 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000281
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Eine verstärkte, wissenschaftlich begleitete Verbreitung des Führungstrainings in der Praxis ist wünschenswert (Felfe, 2015).
Zielsetzung Ziel der Untersuchung war es, Lean Leadership-Konzepte zur Entwicklung von Führungskompetenz und endsprechendem Führungsverhalten zu testen und zu evaluieren.
Methode Zu diesem Zweck wurden auf der Basis einer systematischen Literaturrecherche zwei Fragebögen evaluiert, welche mit einer Vor- und Nachmessung über den Zeitraum von sechs Monaten die Veränderungen in den Führungsdimensionen abbilden sollten, welche als Auswirkung der Schulungsintervention vermutet wurden. Hierbei wurde die Einzelführung der jeweiligen Stationsleitung mittels TLI (Podsakoff, MacKenzie & Bommer,1996) und die Teamführung mittels SPLIT (Grille & Kauffeld, 2015) erhoben. Die Daten wurden anhand einer Kontrollgruppe (drei Stationen) evaluiert. Die Intervention bestand darin, die Stationsleitungen in drei Trainingstagen auf die Anwendung der Lean-Instrumente Huddle Board, Führungs-GEMBA und KATA-Coaching vorzubereiten und den sechsmonatigen Implementierungsprozess eng zu begleiten (Abb. 1). Zum Verständnis und zur Interpretation der quantitativen Daten beziehungsweise zum Reflektieren der geplanten Massnahmen wurden abschliessend Fokusgruppen-Interviews mit den Teilnehmenden aller beteiligten Hierarchiestufen durchgeführt, um die Lean-Führungskonzeptionen und den Lernprozess zu fördern. Die Auswertung erfolgte mit der Knowledge-Mapping-Methode (Pelz, Schmitt & Meis, 2004).
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Aktionskonzept: Lean Leadership Führungs-GEMBA Der GEMBA-Walk wird mit dem Ziel durchgeführt, Mitarbeitende so zu befähigen, dass sie ermutigt sind, Probleme selbständig zu lösen. Die Führungsperson erhält ein besseres Verständnis für die Kernprozesse und kann unterstützen, Prozessstörungen zu vermeiden und die Wertschöpfung zu optimieren (Bercaw, 2013). Im Rahmen der Führungs-GEMBA ist es möglich, Führungsprozesse zu analysieren und zu standardisieren. Ziel der Optimierung ist eine Stärkung der vorbildlichen, wirkungsvollen Führung und damit verbunden ein direkter positiver Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeitenden. Die Wichtigkeit der zentralen Verhaltensweisen einer Lean-Führungsperson für die Lean-Transformation wird in verschiedenen Studien herausgestellt (Aij, 2016; Aij & Rapsaniotis, 2017), da diese als Basis für ein gemeinsames Verständnis zwischen Führungsperson und Mitarbeitendem angesehen werden können. Weiterhin wird der direkte Dialog zwischen allen Beteiligten und das Veränderungsmanagement gefördert (Grille & Kauffeld, 2015).
KATA-Coaching „You cannot teach a man anything, you can only help to discover it within himself “ (Aij & Lohman, 2016). Diese Aussage charakterisiert, wie sich eine Lean-Führungsperson verhalten sollte. KATA-Coaching befähigt Führungspersonen, ihre Gesprächsführung durch strukturierte Fragen zu verbessern. Im Vordergrund steht dabei, Merkmale wie „individuelle Unterstützung“ sowie „geistige Anregung“ zu vermitteln (Rother, 2013). Es geht darum, im Rahmen eines Lernprozesses Dinge zu entdecken und Ziele zu erreichen (Aij & Lohman, 2016). Es geht nicht darum, Mitarbeitenden Tätigkeiten abzunehmen, sondern sie dabei zu unterstützen, ihre eigene Problem-
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 19–23
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lösungskompetenz zu fördern, aber auch zu fordern (Aij & Lohman 2016). Führungspersonen sollten sich mehr als Coach verhalten und weniger als Manager.
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gingen in die Auswertung Daten für TLI/SPLIT von NBL=156/167 bzw. NSL=136/132 für die Interventionsgruppe und NCOBL=21/20 und NCOSL=28/28 für die Kontrollgruppe ein.
Huddle Board Team-Huddle finden stehend vor einem Board statt, dauern fünf bis zehn Minuten und weisen einen standardisierten Ablauf auf. Relevante Informationen werden ausgetauscht. Es besteht die Möglichkeit, aktuelle Fragen und Probleme zeitnah anzusprechen. Relevante Inhalte werden visualisiert und die Durchführung kann in verschiedenen Intervallen erfolgen. Drei Prinzipien sollen für eine effiziente Durchführung von Team-Huddle gewährleistet sein: Transparenz, gegenseitige Unterstützung und Stärkung der geteilten Verantwortung (Grille & Kauffeld, 2015). Der strukturierte Austausch ermöglicht es weiterhin, zeitnah Feedback zu geben und gemeinsames Lernen umzusetzen, was als hilfreich in Bezug auf die Patientenversorgung angesehen werden kann (Rodriguez, Buyens, Van Landeghem & Lasio, 2015). Die größte Herausforderung bei der Implementierung des Team-Huddle besteht zum einen darin, alle beteiligten Berufsgruppen von der Wichtigkeit und damit auch zur Teilnahme zu überzeugen und zum anderen, den Zeitpunkt für alle planbar zu wählen. Das tägliche Management (Daily Management System) ist ein Schlüsselelement, um eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung zu gestalten und fördert somit das kollaborative Lernen (Donnelly et al., 2017; Little, 2014). In der Spitalpraxis erweist sich das Huddle Board zunehmend als wirksames Führungs- und Organisationsinstrument (Goldenhar, Brady, Sutcliff & Muething, 2013). Tägliche Team-Huddle gelten als wichtiger Teil des täglichen Managements und als Kernkomponente des Lean Health Care-Systems. Little (2014) weist darauf hin, dass die Forschung zukünftig auch Barrieren untersuchen sollte, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung von Führungskompetenzen ergeben. Im Zentrum sollte die Frage stehen, weshalb einige Teams Huddle Board erfolgreich im Alltag praktizieren, andere jedoch bei der Implementierung scheitern.
Ergebnisse
Stichprobe Vor der Untersuchung wurde den Stationsleitenden das Projekt vorgestellt und sie konnten sich für die Teilnahme bewerben. Es konnten Daten von Mitarbeitenden von 14 Pflegestationen mit 17 Leitungspersonen aus vier Kliniken einer Universitätsklinik mit einer Vor- und Nachmessung (Baseline BL/Secondline SL) bezüglich Einzel- und Teamführungsverhalten erhoben werden. Die aufgrund der Stationsgrösse gewählte Kontrollgruppe (CO) bestand aus drei Stationen. Entsprechend dieser Differenzierung © 2020 Hogrefe
Quantitative Ergebnisse Bei der Auswertung des TLI zeigte sich für die Interventionsgruppe für alle Dimensionen ausser „individuelle Unterstützung“ ein positiver Effekt. Allerdings konnte nur für die Dimension „geistige Anregung“ ein signifikanter Unterschied mit p<5 festgehalten werden. Die Darstellung der Mittelwerte und der dazugehörigen Konfidenzintervalle ist in der Abbildung 2 ersichtlich. Für die Kontrollgruppe waren alle Veränderungen der Werte nicht signifikant, es zeigten sich aber sogar negative Trends. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einführung von Lean-Konzepten in die psychiatriepflegerische Praxis mit einer positiven Entwicklung der transformationalen Führungskompetenzen einhergehen kann. Mögliche Gründe für eine fehlende Signifikanz der Ergebnisse könnten durch Unregelmässigkeiten in der Homogenität der untersuchten Stichprobe, in der Stichprobengrösse aber auch durch den begrenzten zeitlichen Rahmen der Untersuchung bedingt sein. Die Auswertung der SPLIT-Dimensionen zeigte für die Interventionsgruppe ebenfalls einen leichten Wertegewinn von ca. 15–20 Punkten für jede Dimension (siehe Abb. 3, blaue vs. orangene Balken) und für die Kontrollgruppe eher stationäre Befunde (graue vs. gelbe Balken). Alle Veränderungen sind dabei nicht signifikant. Somit konnte der angenommene positive Einfluss der Lean Leadership-Methoden auf das geteilte Führungsverhalten (Shared Leadership) vorerst nicht bestätigt werden, obwohl ein positiver Trend erkennbar ist.
Qualitative Ergebnisse Um die quantitativen Daten zu verstehen und zu interpretieren, wurden mit 25 von 42 (59.5 %) Schulungsteilnehmenden Fokusgruppeninterviews durchgeführt. Dabei erfolgte eine Bewertung der Lean Leadership-Konzepte und eine Evaluation der Erfolgsfaktoren und Barrieren bei der Implementierung. Die drei Lean Leadership-Konzepte Huddle Board, Führungs-GEMBA und KATA-Coaching werden alle als wichtig eingeschätzt, um Lean Management zu verstehen und zum Leben zu erwecken. Die eigentliche Aufgabe als Führungsinstrument zur Visualisierung von zielorientierten Kennzahlen wird aber in den meisten Fällen noch nicht umgesetzt, da die relevanten Kennzahlen noch nicht definiert waren und das Reporting noch nicht installiert werden konnte. Die anschließende Diskussion in den Fokusgruppen stellte in Frage, ob wirklich Zusammenhänge bezüglich Transformational und Shared Leadership erkennbar sind und ob die Veränderungen in den quantitativen Daten wirklich durch die implementierten Konzepte zu erklären Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 19–23
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Schwerpunkt
Abbildung 2. Darstellung des Zusammenhangs zwischen Lean-Implementierung und Transformationaler Führung.
Abbildung 3. Darstellung des Zusammenhangs zwischen Lean-Implementierung und geteilter Führung.
sind. In der Arbeit wurden Drittvariablen wie Stationsverkleinerung, Personalrotationen, Supervision, Teamklima und andere Projekte (wie Optimierung der Rapporte, SkillGrade-Mix) nicht erfasst und auch nicht in der Auswertung berücksichtigt, welche richtigerweise auch einen Einfluss auf die Ergebnisse haben können. Eine Zustimmung der Geschäftsleitung ist dabei genauso wichtig wie die Schulung des Top-Kaders und die Einbettung in eine strategische Ausrichtung mit messbaren Betriebszielen. Die Aussage „Für eine erfolgreiche Umsetzung müssen alle am gleichen Strang ziehen und wenn der Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 19–23
Wind anders weht, müssen die Segel anders gesetzt werden können“ bringt es sehr gut auf den Punkt: Der frühzeitige Einbezug aller Berufsgruppen und eine klare Kommunikation hinsichtlich Sinn und Mehrwert fördern die Akzeptanz deutlich. Insgesamt wurde das Lean Leadership-Forschungsprojekt als sehr positiv, bereichernd und gewinnbringend erlebt. Anfängliche Skepsis konnte abgebaut werden. Unter Einhaltung der Erfolgsfaktoren ist Lean Leadership ein sehr gutes Führungskonzept, welches dazu beitragen kann, mehr faktenorientiert zu leiten. © 2020 Hogrefe
Schwerpunkt
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Limitation Die vorliegende Untersuchung muss aufgrund der Fokussierung auf eine Institution und des geringen Daten-Sets als Pilotstudie eingeschätzt werden. Das quasiexperimentelle Vorgehen mit drei Kontrollstationen ist aufgrund abteilungskultureller Unterschiede unter Vorbehalt zu betrachten. Hinzu kommt, dass sich der kausale Zusammenhang zwischen unabhängiger und abhängiger Variablen empirisch niemals zweifelsfrei identifizieren lässt (Döring & Bortz, 2015). Weiterhin gibt es sicher Verzerrungen der Ergebnisse durch einen Selektionsbias, da durch die freiwillige Teilnahme nur motivierte und innovative Führungspersonen ins Sample gekommen sind.
leichtert effektive gemeinsame Entscheidungsprozesse, erhöht das Engagement und verbessert klinische Ergebnisse (Moreno et al. 2018). Lean Leadership ist ein integrativer Prozess und erfordert die Abkehr von einem „Top down“-Ansatz des Managements und verstärkt die Entwicklung einer partizipativen Organisation (Merlin, Omi & Bowen, 2014). Die Literaturliste kann bei den Autoren angefragt werden. Philipp Meyer Leiter Pflege, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD) AG philipp.meyer@upd.ch
Diskussion Bei der Anwendung von Lean Prinzipien im Gesundheitswesen zeigt sich jedoch, dass die Patientenversorgung im Vergleich zur Fliessbandfertigung komplexe Wissensarbeit erfordert (Nelson-Peterson & Leppa, 2007). Lean Leadership sollte zwingend interdisziplinär gefördert und gefordert werden. Im Weiteren sollte auch Servant Leadership mit Lean Leadership erforscht werden, da sie vielversprechende Modelle sind, die zu einer patientenzentrierten, hochwertigen Versorgung beitragen können (Aij & Rapsaniotis, 2017). Lean Leadership fördert das Magnet Hospital, verbessern die Kommunikationsstrukturen, er-
Steven Cyrol cand. MScP, Fernuni Hagen steven.cyrol@studium.fernuni-hagen.de
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 19–23
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Kamingespräch
Pflegende sind keine emotionslosen Wesen Sabine Hahn im Gespräch mit Colombine Eisele Sabine Hahn: Liebe Frau Eisele, wofür brennt Ihr Herz beruflich? Colombine Eisele: Pflegepädagogische Arbeit und Weiterentwicklung, insbesondere im hochschulischen Zusammenhang, ist mir ein großes Anliegen. Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse sollten so aufbereitet werden, dass die Umsetzung in den täglichen Arbeitsalltag leichtfällt. Studierende haben mir auch Leidenschaftlichkeit für den Pflegeberuf attestiert. Was soll im Kaminfeuer verbrennen, da sich die Pflege davon befreien muss? Unser Beruf hat in den letzten 30 Jahren einen großen Schritt im Professionalisierungsprozess gemacht. Jedoch sollte unsere Berufsgruppe im Zuge dessen auch Haltungen überdenken, anpassen und verändern. Die Kraft der Vorbildfunktion von Pflegenden in unterschiedlichen Settings ist nicht zu unterschätzen. Sie sind Diplom-Pflegepädagogin am Campus Rudolfinerhaus in Wien. Haben Sie auch schon im Feld der psychiatrischen Pflege gearbeitet? Nein. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit dem Thema Gewalt und Deeskalationsmanagement habe ich kleine Einblicke in dieses Arbeitsfeld bekommen. Jedoch habe ich nie in einer psychiatrischen Einrichtung oder auf einer psychiatrischen Station gearbeitet. Sie haben sich mit der Zukunft der dualen Ausbildung beschäftigt und vertreten den Dritten Lernort. Dieser hat sich beispielsweise bei uns in der Schweiz fest etabliert. Der Transfer zwischen Praxis und Theorie scheint sich dadurch verbessert zu haben. Wie erleben Sie dies? Ich kann schon feststellen, dass die Konzepterstellung und die Umsetzung eines Dritten Lernorts am Campus Rudolfinerhaus den Theorie-Praxis-Transfer, aber auch den Praxis-Theorie-Transfer unterstützt. 2015 haben wir den Dritten Lernort erstmalig durchgeführt und haben mit Hilfe von Fragebögen die Praxisanleiter_innen gefragt, ob sie eine Veränderung, im besten Fall natürlich Verbesserung, feststellen konnten. In der Auswertung konnten wir erkennen, dass dem so ist. Insbesondere im Rahmen des PraxisTheorie-Transfers konnten wir am Lernort Campus beobachten, dass die erlebten Situationen besser in einem definierten Kontext bearbeitet werden können, der es schafft, das Erlebte mit evidenzbasiertem Wissen zu verknüpfen. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 24–26 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000278
Colombine Eisele, Diplom-Pflegepädagogin (FH) am Campus Rudolfinerhaus in Wien, ist seit 1992 im pflegerischen Berufsfeld und seit 2004 in Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig.
Der Dritte Lernort benötigt einen hohen Ressourceneinsatz seitens der Administration und der Lehrenden. Er ist hochkomplex und mit den Lernorten Campus und Praxis stark vernetzt, sodass Planung und Materialbeschaffung einen großen Teil der Umsetzung beanspruchen. Ich möchte betonen, dass dieser Aufwand sich lohnt und, wenn man so will, auszahlt. Insbesondere die Rückmeldungen der Studierenden am Ende des Studiums bestätigt uns in unserem Tun. Ja, dies erleben wir auch so. Mit einem guten TheoriePraxis-Bezug kann auch die Theorie-Praxis-Lücke verkleinert werden und hier der Transfer stressfreier stattfinden. Nun zeigt sich aber, dass durch Verdichtung der Arbeit, Personalmangel, die Ökonomisierung und die Zunahme an Komplexität der Stress für Pflegefachpersonen generell ansteigt. Stimmt diese Aussage mit Ihrer Erfahrung überein? Ja. Organisationen des Gesundheitswesens wollen kosteneffizient arbeiten. Eine steigende Ökonomisierung bedeutet eine aufwändige Administration und Rationalisierungen beim Personal bzw. Material insbesondere im © 2020 Hogrefe
Kamingespräch
Langzeitpflegebereich. In Pflegesettings stehen jedoch die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt. Das zentrale Ziel pflegerischen Handelns ist eine individuelle patientenorientierte Pflege. Pflegefachpersonen haben hierfür hervorragende Instrumente zur Verfügung, um Menschen ohne Schaden zu betreuen. Es prallen also zwei gesellschaftliche Werte aufeinander, die in Einklang gebracht werden sollten. Meines Erachtens ist dies zum einen auf gesellschaftlicher Ebene durch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen anzustreben. Zum anderen ist eine Stärkung der Berufsverbände wünschenswert, sodass der Pflegeberuf und Pflegefachpersonen präsenter werden. Darüber hinaus kann jede Pflegefachperson für sich Strategien kennenlernen, entwickeln und anwenden, um im Spektrum eines individuellen Gefühlsmanagements gesund agieren zu können. Ja, das mag stimmen, aber gerade junge Pflegende scheinen gemäß neuesten Befragungsergebnissen von Schaffert und Robin (2019) in einem schlechteren Gesundheitszustand (Rücken und Nackenprobleme) zu sein, verglichen mit Gleichaltrigen. Kann es sein, dass Themen wie die Arbeitsbelastung und der persönliche Umgang damit in der Ausbildung zu kurz kommen? Unterschiedliche Curricula werden sicherlich in verschiedenen Ausprägungen für die individuellen Pflegeniveaus diese Themen bearbeiten. Wir bieten am Campus Rudolfinerhaus den Studiengang Gesundheits- und Krankenpflege in Kooperation mit der Fachhochschule Wiener Neustadt an. Bei der Entwicklung und der Überarbeitung unseres Curriculums legten wir Wert darauf, nicht nur die Arbeitsbelastung zu thematisieren. Unser Anliegen ist es auch, den Studierenden Strategien an die Hand zu geben, um mit diesen Situationen umgehen zu können. Wir machen nicht nur körperliche Angebote wie ein FeldenkraisSeminar. Auch das Thema Gesundheitsförderung nimmt einen wichtigen Platz ein, sodass Studierende beispielsweise zum Zeitmanagement Konzepte kennenlernen. Praxisreflexionen und Supervisionen als fixe Bestandteile unseres Studienplans thematisieren regelmäßig verschiedene Aspekte von Arbeitsbelastungen und sollen die Studierenden in ihrem persönlichen Umgang unterstützen. Das Thema Gefühlsmanagement wurde als didaktisches Konzept erarbeitet und wird insbesondere im Rahmen des Praxis-Theorie-Transfers umgesetzt.
Raum bekommen Die Studierenden sollen dabei Raum bekommen, ihre Erfahrungen zu äußern, sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpfen und Strategien erhalten, die sie in ihrem Praxisalltag anwenden können. Im Zuge dessen übernehmen nicht nur die Lehrenden sowie Pflegepädagog_innen Vorbildfunktion. Auch den Umgang mit Gefühlen oder in speziellen Situationen von Pflegepersonen in verschiedenen pflegerischen Settings sind wichtige Aspekte des Modelllernens. Unglücklicherweise gibt es im Be© 2020 Hogrefe
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rufsfeld Pflege immer noch vereinzelt die Haltung, Gefühlsmanagement sei unnötig. Was sind aus Ihrer Sicht wichtige fachliche und persönliche Voraussetzungen, die eine Pflegefachperson erfüllen sollte, um mit der beruflichen Belastung umgehen zu können? Fachkompetenz ist als wichtige Voraussetzung zu erwähnen, die ein umfangreiches Wissen zu Krankheiten, Diagnostik und Therapie inklusive Medikamentenwirkungen beinhaltet. Dabei ist aber zu beachten, dass dieses Wissen den zu betreuenden Menschen angepasst ist. Eine Pflegeperson muss nicht unbedingt Krankheitsbilder der Gefäßchirurgie kennen, wenn sie auf einer psychiatrischen Station arbeitet. Ein vielleicht sogar wichtigerer Aspekt ist das pflegerische Fachwissen, sodass eine Pflegeperson möglichst immer evidenzbasiert pflegerische Handlungen durchführt. Hier können EBN-Stabstellen und innerbetriebliche Fortbildungen hilfreich sein. Wichtig ist dabei, dass forschungsbasiertes Wissen „an den Patienten gebracht“ und kompatibel für die auf Station arbeitenden Pflegepersonen aufbereitet wird. Sozialkompetenz als eine zentrale Fähigkeit professioneller Pflege beinhaltet unter anderem Können in Bezug auf Kommunikation und Konfliktlösung. Die Begegnung mit einem Gegenüber und die Gestaltung einer Pflegebeziehung basiert auf einem Bewusstsein über die eigenen Gefühle und einem erfolgreichen Gefühlsmanagement. Eine hohe Reflexionsfähigkeit ist meines Ermessens nach ebenso notwendig. Jedoch sollten Pflegepersonen insbesondere bei der Reflexion von schwierigen Situationen nicht allein gelassen werden. Es ist zu wünschen, dass verstärkt Fort- und Weiterbildungsangebote gemacht werden, die insbesondere Themen wie moralischer Stress und Gefühlsmanagement bearbeiten, sodass Pflegepersonen die Möglichkeiten erhalten, sich mit diesen Themen vertieft auseinanderzusetzen. Die Angebote sollten von Pflegemanagement und Geschäftsführungen unterstützt werden. Sie haben sich ja ausführlich mit moralischem Stress befasst. Was hat moralischer Stress mit Arbeitsverdichtung, Ökonomisierung und Fachkräftemangel zu tun? Oder: Wie entsteht moralischer Stress? Ein Hauptauslöser sind Situationen, bei denen ethische Dilemmata offensichtlich werden. Dabei bestimmen Rahmenbedingungen den Handlungsspielraum und hindern Pflegepersonen, ihrem innewohnenden Wertesystem entsprechend zu agieren. Gefühle wie Wut und Angst können dadurch entwickelt werden, die möglicherweise auf den Patienten oder die Patientin projiziert werden. Somit kann die Pflegequalität im Zusammenspiel mit vorhandenem Zeitmangel negativ beeinflusst werden. Im schlimmsten Fall können Pflegepersonen ein Burn-out entwickeln. Information, Schulung und Beratung als originäre pflegerische Aufgaben finden zumeist im Rahmen von Gesprächen statt. Sie finden jedoch viel zu selten statt. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 24–26
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Kamingespräch
Patient_innen und Angehörige haben Fragen, Ängste und Nöte, auf die Pflegepersonen im Moment reagieren und dementsprechend auch basierend auf ihrem kommunikativen und fachlichen Wissen antworten sollten. Vor allem der Zeitmangel wird oft als Grund angeführt, diese Begegnung nicht entsprechend gestalten zu können. Solche Situationen verlassen Pflegepersonen oft unbefriedigt, da sie das Gefühl haben, nicht stimmig reagiert zu haben bzw. nicht passend auf die Fragen eingegangen zu sein. Über längere Zeit lösen Gewissenskonflikte das Phänomen des moralischen Stresses aus. Pflegepersonen sind keine emotionslosen Wesen. Pflegepersonen empfinden Gefühle wie Freude, Lust, Angst, Ekel oder Wut. Diese Gefühle können ebenso Einfluss auf moralischen Stress haben und damit Pflegebeziehungen negativ beeinflussen. Beispielsweise gehören dazu freiheitseinschränkende Maßnahmen, die medikamentös oder mithilfe von Bettrahmen oder Fixationen durchgeführt werden. Aber auch eine Situation, in der Patient_innen weiter therapiert werden, obwohl ein würdevolles Sterben menschlicher wäre, führt zu einem solchen Dilemma. Was haben Sie für sich selbst aus der Thematik moralischer Stress gelernt? Im Zuge der Vorbereitung der damaligen Fachtagung am Campus Rudolfinerhaus 2017 zu moralischem Stress habe ich mich dem Thema angenähert. Ich wurde an viele Situationen aus meiner beruflichen Tätigkeit am Patientenbett erinnert. Gefühle wie Erkennen und Verstehen oder Wut und Ekel erlebte ich wieder. Da die deutschsprachige Pflegewissenschaft dieses Thema erst neu entdeckt hat, gibt es auch relativ wenig Literatur. Es ist mir deutlich geworden, dass moralischer Stress ein Thema ist, dem auf Managementebene begegnet und das auch interdisziplinär bearbeitet werden kann. Im Ausbildungskontext sind die Auszubildenden und Studierenden zu bedenken. In Verbindung mit dem Coolout-Phänomen und der Mitgefühlserschöpfung kann
moralischer Stress zu einer erheblichen beruflichen Traumatisierung führen. Diese Erkenntnis hat mich als Pflegepädagogin stark getroffen, da der Lernort Theorie zur Hälfte im Rahmen einer dualen Ausbildung auch verantwortlich ist, einer beruflichen Traumatisierung und einem ungünstigen Start ins Berufsleben entgegenzuwirken. Moralischer Stress, den Lehrende und Pflegepädagog_innen erleben, ist im Rahmen einer Ausbildung und eines Studiums wahrzunehmen. Jedoch ist wenig bis nichts dazu publiziert. Der zentrale Wunsch ist die Durchführung eines vernetzen, gut geplanten Unterrichts, der (hochschul-)didaktischen Ansprüchen entspricht, inhaltlich aktuelles Wissen vermittelt und methodenvariabel gestaltet ist. Dabei ist das Ziel, dass die Lernenden und Studierenden fach- und sozialkompetent ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln. Arbeitsbelastungen, Gefühle und Rahmenbedingungen beeinträchtigen dabei die optimale Arbeit mit Lernenden und Studierenden. Ja, Frau Eisele, zum moralischen Stress und anderen Stressoren sowie dem Umgang damit hat die Ausbildung in Praxis, an Hochschulen sowie dem Dritten Lernort noch einiges aufzuarbeiten. Das ist dringend notwendig, wenn wir junge Kolleginnen und Kollegen möglichst lange im Pflegeberuf halten wollen. Vielen Dank für das anregende Gespräch zu dieser wichtigen Thematik.
Prof. Dr. Sabine Hahn (PhD) Mitherausgeberin der „Psychiatrischen Pflege“, Diplomierte Pflegefachfrau Psychiatrie, Pflege- bzw. Gesundheitswissenschaftlerin; leitet im Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule die Abteilung Pflege und die angewandte Forschung & Entwicklung Pflege sabine.hahn@bfh.ch
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 24–26
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Stigmatisierung und Identitätsarbeit Das Programm „In Würde zu sich stehen“ Matthias Pauge, Madeleine Neubauer
Schon im Untertitel der Studie „Stigma – Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ des Soziologen Ervin Goffman wird die Problematik deutlich, mit der die stigmatisierte Person zu kämpfen hat. Das Stigma schädigt das Selbstverständnis einer Person, sie muss fortan um ihre Identität ringen. Das Stigma, so Goffman, drängt sich auf als ein unverbesserlicher Makel, welcher den Betroffenen unfreiwillig in eine soziale Position rückt und für diesen einen veränderten sozialen Status bedeutet.
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urch seine Stigmatisierung ist der oder die Betroffene gezwungen, Identitätsarbeit (Abels, 2017) zu leisten, die sich von denen der Nicht-Stigmatisierten unterscheidet. Der Betroffene muss sich fragen, wie er den Umgang gestaltet: Isolation, Offenlegen, Verheimlichen, Vertuschen. Doch all diese Aspekte führen a priori zu Konflikten mit der eigenen Identität (Engelhardt, 2010). Denn der Betroffene wird sich darüber gewahr, dass sich die Einstellungen der anderen ihm gegenüber wegen seines Stigmas verändern oder verändert haben (Goffman, 2012; Pauge, Steffen Schulz & Löhr, 2018). Ihm werden letztlich die Mittel zur Selbstrepräsentation genommen (Goffman, 1972). Die Identität bzw. Ich-Identität ist nach Erikson (1979) die Vorstellung, die ein Mensch von sich im sozialen Vergleich entwickelt. Sie ist quasi das Fazit aus inneren und äußeren Einflussfaktoren, die er je nach Möglichkeiten ausbalanciert, um sich sodann folgerichtig im Umgang mit anderen Menschen zu präsentieren. Wird er sich mit den anderen Menschen über seine Identität einig, ist das Selbstgefühl kohärent (Straub, 1998). Das Stigma hingegen führt zu Konflikten, es gibt keine Einigkeit. Eine Person, die das Stigma „psychische Erkrankung“ erhält, kommt immer wieder in konflikthafte Situationen, da die Umwelt eine indifferente Vorstellung über die Identität der Person entwickelt (Abels, 2010). Besonders kompliziert ist es für die betroffene Person, weil das Stigma „psychische Erkrankung“ unsichtbar ist. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt kann die Person ihren Makel steuern. Der Makel führt aber irgendwann zu unweigerlichen Korrekturen ausgehend von der sozialen Umwelt. Die dro© 2020 Hogrefe
hende Stigmatisierung macht Angst, weil der Betroffene weiß, dass er nicht mehr der Alte sein kann (Engelhardt, 2010). Das Stigma „psychische Erkrankung“ ist noch immer eines der stärksten Stigmata und führt auf verschiedenen Ebenen zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Ablehnung (Angermeyer, Matschinger, Link & Schomerus, 2014). Durch die „Stigma-Power“ (Phelan & Link, 2013) werden Ablehnung und die damit verbundenen Konsequenzen gesellschaftlich legitimiert. Ohne Frage sind negative Einstellungen, entsprechende Stereotype und Vorurteile weit verbreitet (Angermeyer, Matschinger & Schomerus, 2013; Schomerus, Matschinger & Angermeyer, 2014). Gesellschaftliche Stereotype und Vorurteile über psychische Erkrankungen haben den zusätzlichen Effekt, dass der Betroffene diesen selbst Glauben schenken kann. Wenn er die Vorstellungen verinnerlicht hat, denkt er selbst negativ über psychisch erkrankte Menschen. Daraus entwickeln sich Angst und Scham; der Betroffene büßt an Selbstwirksamkeit ein, wird sich seiner Fähigkeiten unsicher (Corrigan, Larson & Rüsch, 2009). Die Zweifel an den eigenen Fähigkeiten und die Selbstabwertung wird Selbststigmatisierung genannt. Der Erkrankte integriert diese in seine Identität, wodurch sie zugleich die Wahrnehmung eben jener Identität prägt. Seine Identität zu bewahren und zu beschützen ist ein tiefgreifendes Bedürfnis und darf besonders in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen, die sich ihrer selbst ohnehin schon unsicher sein könnten, nicht übersehen werden. Stigmatisierung und Selbststigmatisierung stellen dabei Herausforderungen dar, die viel zu oft unterschätzt Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 27–31 https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000282
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werden und daher einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Das Programm „In Würde zu sich stehen“ (nachfolgend IWS genannt) bietet für die Betroffenen die Möglichkeit, ihre Identitätsarbeit souverän zu gestalten und sich der Stigmatisierung ein Stück weit entziehen zu können.
Das Programm „In Würde zu sich stehen“ Mit dem IWS legen Nicolas Rüsch und Nadja Puschner (2019) eine adaptierte und ins Deutsche übersetzte Version des US-amerikanischen Anti-Stigma-Coaching-Programms „Honest, Open, Proud“ (Corrigan, Kosyluk & Rüsch, 2013) vor. Das Programm soll Menschen mit einer psychischen Erkrankung befähigen, ihr Coming-out konzeptuell zu planen. Grundsätzlich ist hier festzuhalten, dass sich das Programm an Menschen richtet, die eine eigene Position zum Umgang mit der durch die Diagnose veränderten Lebenssituation finden möchten. Das Programm wird in vier Modulen angeboten, die zeitlich individuell an die Fähigkeiten der Teilnehmenden angepasst werden. Drei der Module finden zusammenhängend und in unmittelbaren zeitlich geregelten Abständen statt. Wobei das letzte Modul zur Reflexion dient und einige Wochen später stattfinden sollte. An den Sitzungen nehmen üblicherweise vier bis acht Teilnehmende und ein bis zwei Leiterinnen oder Leiter teil. Letztere sollen vorzugsweise Peers sein. Der Kern des Programms ist ein umfassendes Arbeitsbuch, welches didaktisch-methodisch durch das Thema führt. Das Arbeitsbuch umfasst vier Lektionen, die jeweils als ein Modul geplant werden können. In der ersten Lektion beschäftigen sich die Teilnehmenden mit dem Verhältnis zu ihrer Erkrankung. Dabei wird die Selbststigmatisierung reflektiert. Die Lektion schließt mit dem Sondieren und Abwägen von kurz- und langfristigen Vor- und Nachteilen für die Offenlegung. Hier sollen die Teilnehmenden das Ziel und die Erwartungen für ihr Coming-out bedenken. Gerahmt wird dies durch die Überlegung, in welchem sozialen Umfeld (Familie, Job, Freunde, Sportverein) und vor welchen Personen die Offenlegung geschehen soll. Die zweite Lektion thematisiert die Möglichkeiten, Strategien und Auswirkungen von Offenlegungen. So beginnt die Lektion mit der Darstellung von fünf Stufen der Offenlegung, die hierarchisch von absoluter Geheimhaltung bis hin zu aktiver Verbreitung der Erfahrung gegliedert sind. Die Teilnehmenden sollen je nach sozialem Umfeld überlegen, inwieweit eine Offenlegung für sie in Frage kommt. Dementsprechend lernen sie Strategien kennen, die helfen, Personen und deren Reaktionen einschätzen zu können. Die dritte Lektion konkretisiert die Offenlegung der Erkrankung. Dafür werden Strategien (Aufbau und Erzählen einer eigenen Geschichte) vermittelt, die die Offenlegung erleichtern sollen. Die Lektion endet mit einer Reflexion des Programms und mit der grundsätzlichen Frage, ob sich Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 27–31
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eine Person für die Offenlegung entscheidet oder ihre Lebenssituation gar neu bewertet. Die letzte Lektion wird etwa einen Monat später durchgeführt. Hier geht es vor allem darum, die Erfahrungen mit dem Programm zu reflektieren. Die Teilnehmenden sollen überlegen, ob sich Ziele, Erwartungen, Vor- und Nachteile bewahrheitet haben oder ob sie zu einer veränderten Einschätzung gekommen sind. Die Teilnehmenden setzen sich in jeder Lektion immer wieder mit praktischen Beispielen auseinander, um auf diese Weise ein besseres Verständnis über Stigmatisierung, Formen, Folgen und eigene Möglichkeiten zu gewinnen. Über die Fremdbeispiele können sie Analogien zu sich selbst oder Bekannten herstellen und das Abwägen lernen. Immer wieder folgen auf die einzelnen Aufgaben Diskussionen in Kleingruppen oder ein durch die Leitung moderierter Austausch in der Großgruppe. Dadurch gibt es regelmäßig Raum für Erfahrungsaustausch.
Erfahrungen mit IWS In den folgenden Abschnitten besprechen wir IWS auf Basis eines selbst durchgeführten Workshops mit einer Gruppe von psychisch erkrankten Menschen. Weiterführende Anmerkungen über das Programm werden ebenso ihre Erwähnung finden. Der Workshop wurde in Zusammenarbeit mit einer Genesungsbegleiterin und einem Professionellen durchgeführt. Planung, Durchführung und Evaluation der einzelnen Module wurden gemeinsam unternommen. Die Eindrücke stellen wir separat dar.
Genesungsbegleiterinnen-Perspektive IWS ist ein praktisches Manual, das Menschen, die von psychischer Erkrankung betroffen sind, früh nach der Stabilisierungsphase zugänglich gemacht werden sollte – jedoch nicht in Akut- oder Krisenzuständen. Geht man von einer Stunde pro Woche (wie es bei den meisten Angeboten üblich ist) mit anschließendem Reflexionsmodul aus, ist es eher nicht in der Kurzzeittherapie anzusiedeln, obwohl das Manual insgesamt als kompakt zu bezeichnen ist. Von dem Wissen profitieren können Peer-Berater, Anbieter des Ambulant-Betreuten-Wohnens, Leiter von Selbsthilfegruppen und anderen psychosozialen Einrichtungen. Längere Settings könnten dies im Gruppenkontext nutzen, besonders mit Bezug auf die Arbeitswelt. Denn durch IWS kann die Persönlichkeitsarbeit neu ausgerichtet werden. Zudem kann das Programm in Selbsthilfegruppen angewandt werden. Auch Therapeuten könnten davon profitieren. Darüber hinaus halten wir es für sinnvoll, wenn bereits Erfahrungen mit oder Grundsätze von Achtsamkeit vorhanden sind. Der Gruppenkontext ist so essentiell, weil er es den Teilnehmenden ermöglicht, einen Wiedererkennungswert und ein Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe zu erfahren. Bereits gemachte Erfahrungswerte der Teilnehmenden, die die Module füllen, werden um das Wissen des jeweils © 2020 Hogrefe
Freier Beitrag
anderen erweitert und damit vielleicht zu einer Hilfestellung für die jeweiligen Belange. Es wird ein Raum geboten, in dem die Teilnehmenden eine erste bzw. neue Kultur der Konversation und der Diskussion erfahren und untereinander anwenden können. Ein großer Vorteil ist, dass das ganze Manual bewertungsfrei anzuwenden ist. Es dient nicht als Aufforderung zur Offenlegung, sondern dazu, eine eigene Position zur Offenlegung zu finden. Des Weiteren wird erarbeitet, wie die Offenlegung der Erkrankung geplant werden kann und welche Schritte dabei behilflich sein könnten. Durch klare Strukturen – etwa die Verhaltensregeln der wertfreien Kommunikation und das Fernhalten von Bewertungen – kann ein sicherer Raum für die Teilnehmenden entstehen, um eben solch einer Auseinandersetzung konstruktiv begegnen zu können. Je mehr Zeit für die Module zur Verfügung steht, desto mehr bietet das Manual Anpassungsfreiheit. Bei mehr Zeit können individuelle Belange intensiver durch die Gruppe behandelt werden. Es können dann Instrumente wie Gruppenarbeit genutzt werden, um eventuelle Verständnisprobleme zu beheben. Das erste Modul ermöglicht es den Teilnehmenden, eine neutrale Position zum Thema einnehmen zu können, ihre subjektiven Erfahrungen nutzbar zu machen und ihren Erfahrungen Bedeutung und Sinn zu verleihen. Sie haben die Wahl, welche Sicht sie auf ihre Erkrankung einnehmen und wie sie diese mittels freier Wortwahl transportieren wollen. © 2020 Hogrefe
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Auf meinem jetzigen Stand des Genesungsweges ist ADHS die beste psychische Diagnose, die man erhalten kann, wenn man gelernt hat, damit umzugehen. Man kann Menschen durch eine differenzierte Auffassungsgabe immer wieder verblüffen. Diese Art der Sicht bedenkenlos einnehmen zu können, eröffnet den Teilnehmenden eine persönliche Freiheit. Was je nach Persönlichkeit früher oder später zu einem Vertrauen in sich selbst führt. Das kann das Leben in und mit der Gesellschaft ermöglichen. Für das erste Modul sollte daher ausreichend Zeit vorgesehen werden. IWS zeigt unersetzbare Methoden, die alltagstauglich und auf viele Bereiche übertragbar sind. Es kann dargestellt werden, ob die Teilnehmenden der Selbststigmatisierung unterliegen und mit Bewältigungsstrategien Erfahrung haben. Eine Möglichkeit zum Umgang mit Selbststigma und dessen Umkehrung können die Teilnehmenden in einem zusätzlichen Modul erhalten, welches aber von ihnen eingefordert, nicht nur frei gewählt werden kann, was wir als besonders sinnvoll erachten. Das hat den wunderbaren Nebeneffekt, neues Selbstbewusstsein in Folge eigener Selbstbehauptung hervorzurufen bzw. stärken zu können. Verschiedene Perspektivmöglichkeiten mit Einbeziehung von zeitlichen Faktoren werden als Hilfsmittel an die Hand gegeben, um einen möglichst großen Überblick für die Teilnehmenden zu eröffnen. Dies wirkt der Ungewissheit entgegen, die oft für innere Unruhe und Spannungszustände sorgt. Ebenfalls sollte dieses Wissen, wenn auch in abgewandelter Form, allen Menschen im sozialen BePsychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 27–31
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reich zugänglich gemacht werden bzw. ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, weil sich Betroffene so vielleicht früher aus einer möglichen Taktik der Geheimhaltung herauswagen können.
Professionellen-Perspektive In modifizierter Form kann IWS auch für die Schulung von Psychiatrie-Professionellen eingesetzt werden. Dabei ist natürlich die Zusammenarbeit mit geschulten Peers absolut notwendig, um sich hinsichtlich des Umgangs mit Stigmatisierung zu sensibilisieren. Einzelne Punkte des IWSProgramms, wie die Einschätzung des eigenen sozialen Umfeldes bezüglich der Abwägung von Vor- und Nachteilen einer Offenlegung, können in Beratungssituationen ihre Anwendung finden. Natürlich würde dann die Komponente des Austausches mit anderen Betroffenen fehlen. Unseres Erachtens sollte die Auseinandersetzung mit Stigmatisierung Bestandteil jeder Ausbildung und einschlägiger Studiengänge sein. Darüber hinaus müssen Fort- und Weiterbildungen implementiert werden, die die Mitarbeitenden dahingehend sensibilisieren. Peers und IWS-geschulte Coaches können dabei ihre Erfahrungen und Handlungsanleitungen vermitteln, von denen alle Berufsgruppen mit großer Sicherheit profitieren. Studierte psychiatrische Pflegekräfte sollten Stigmatisierung im Arbeitsalltag vermehrt zum Thema machen und IWS als konkrete Handlungsmöglichkeit anbieten. Unseres Erachtens trägt dies zur Stärkung der eigenen Profession bei. Die Kompetenz als „Stigma-“ bzw. „IWSCoach“ definiert einen Bereich, der sich als genuin pflegerisches Handlungsfeld verstehen kann. Durch eine generelle Sensibilisierung für Stigmatisierung werden alltägliche psychosoziale Belastungen in das Blickfeld pflegerischen Handelns gerückt. IWS bietet einen konzeptuellen Ansatz für den Alltag. Zu überlegen wäre, wo und wie IWS als feststehendes Angebot integriert werden kann. Für Krankenhausbehandlungen ist IWS sicher nicht geeignet, da die Durchführung anspruchsvoll und die Offenlegung der Krankheit mit Druck verbunden ist. Dennoch sollten unabhängig davon Gespräche über Stigmatisierung stattfinden, die auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt vorbereiten. IWS sollte unseres Erachtens für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt angeboten werden. Erste konkrete Erfahrungen mit Stigmatisierung und die Fragen nach dem Umgang ergeben sich erst wieder im Alltag. Noch unklar ist, ob die Angehörigen der Betroffenen auch geschult werden könnten, da Stigmatisierung auch für sie ein Problem darstellt. IWS kann in stationären oder ambulanten Wohnformen angewendet werden. In den Lebensbereichen der Betroffenen stellt sich mitunter häufiger die Frage des Umgangs mit der eigenen Stigmatisierung. So können Mitarbeitende mit Anbieterlogos auf Dienstwagen oder in Gesprächen mit Nachbarn unfreiwillig auf die Erkrankung aufmerksam machen. Für Stigmatisierung sensibilisierte Betreute und Mitarbeitende können vor Ort überlegen, wie der Umgang gestaltet werden kann. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 27–31
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Fazit Insgesamt bewerten wir das IWS-Programm als hilfreich und sind der Überzeugung, dass dies einen festen Bestandteil in psychiatrischen Settings haben sollte. Es unterstützt Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose in Zeiten der Unsicherheit und bietet bei Identitätskonflikten Orientierung, besonders durch den Austausch mit anderen. Doch der Austausch über Stigmatisierung setzt das Bewusstsein bzw. das Wissen voraus, dass man von Stigmatisierung betroffen ist. IWS initiiert diesen Austausch. Es hilft bei der Artikulation eines Problems, das vorher möglicherweise gar nicht als Aufgabe erkannt wurde oder eben schwer zu beschreiben war. Deswegen sind wir der Überzeugung, dass der erste Teil des Programms mehr Raum für das Verständnis von und Austausch über Stigmatisierung geben sollte. Betroffene, die mit dem Konzept vertraut sind, sind dabei eine Bereicherung. Die Teilnehmenden erhalten den Raum, sich über ihre konkreten Stigma-Erfahrungen auszutauschen und diese gemeinsam zu reflektieren. Dafür sollte mehr Zeit eingeräumt werden, da die Probleme mit Stigmatisierung in der allgemeinen Krankenbehandlung weniger thematisiert werden. Darüber hinaus wird deutlich, wie enorm wichtig die Auseinandersetzung mit dem Stigma „psychische Erkrankung“ ist. Nicht nur für Betroffene selbst, die verstehen sollten, welche Implikationen die Diagnose in Form ihrer Zuschreibung mitbringen kann (Leferink, 1997). Erst das Verstehen macht einen entsprechenden Umgang damit möglich, der sich schließlich in der Alltagspraxis wiederfinden kann. Auch Professionelle müssen mehr in die Verantwortung genommen werden, damit sie Stigmatisierung nicht mehr als Bagatelle abtun, sondern diese als tiefgreifende Erschütterung und einen möglichen Sinnverlust wahrnehmen, der zu Desorientierung und Angst führen kann. Aufklärung und Beratung sollten an dieser Stelle selbstverständlich sein. IWS ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.
Literatur Abels, H. (2017). Beschädigung und mögliche Gefährdung der sozialen Identität. In H. Abels (Hrsg.), Identität – Über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und Kompetenzen, Identität in einer riskanten Moderne zu finden und zu wahren (S. 295–311). Springer: Wiesbaden. Angermeyer, M. C., Matschinger H., Link, B. & Schomerus, G. (2014). Public attitudes regarding individual and structural discrimination: Two sides of the same coin? Social Science & Medicine, 103, 60–66. Angermeyer, C., Matschinger, H. & Schomerus, G. (2013). Attitudes towards psychiatric treatment and people with mental illness: changes over two decades. The British Journal of Psychiatry, 203, 146–151. Corrigan, P. W., Larson, J. E. & Rüsch, N. (2009). Self-stigma and the „why try“ effect: impact on life goals and evidence-based practices. World Psychiatry, 8, 75–81. Corrigan P. W. & Rao, D. (2012). On the Self-Stigma of Mental Illness: Stages, Disclosure, and Strategies for Change. The Canadian Journal of Psychiatry, 57, 464–469. © 2020 Hogrefe
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ten Programms zu Offenlegung und Stigmabewältigung. Psychiatrische Praxis, 46, 97–102. Schomerus, G., Matschinger, H. & Angermeyer, M. C. (2014). Causal beliefs of the public and social acceptance of person with mental illness: a comparative analysis of schizophrenia, depression and alcohol. Psychological Medicine, 44, 303–314. Straub, J. (1998). Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In A. Assmann & H. Friese (Hrsg.), Zur Konstruktion von Identität (S. 73–104). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 27–31
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Interview
Es hilft bei Stigma-Bewältigung Michael Schulz im Gespräch mit Nicolas Rüsch Mit der Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen hat sich Nicolas Rüsch über viele Jahre wissenschaftlich und in seiner Arbeit als Psychiater auseinandergesetzt. In Zusammenarbeit mit Patrick Corrigan hat er die Intervention „In Würde zu sich stehen“ für den deutschen Sprachraum zugänglich gemacht. Am LWL-Klinikum Gütersloh hat er Psychiatrie-Erfahrene und professionell Tätige in der Durchführung der Intervention geschult.
Michael Schulz: Warum gibt es das Gruppenprogramm „In Würde zu sich stehen“ (IWS)? Nicolas Rüsch: Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen kämpfen nicht nur mit den Symptomen ihrer Erkrankung, sondern oft mindestens ebenso sehr mit Stigma und Diskriminierung. Stigma kommt dabei in verschiedenen Formen vor: Öffentliche Stigmatisierung, wenn Mitglieder der Allgemeinheit (Arbeitgeber, Vermieter, Nachbarn) Betroffene diskriminieren, und Selbststigma, wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen Vorurteilen zustimmen und sie gegen sich wenden („Ja, ich bin psychisch krank, daher muß ich schwach sein“). Selbststigma ist oft mit Scham und Geheimhaltung der Erkrankung verbunden. Psychische Erkrankungen sind, zumindest außerhalb akuter Phasen, meist von außen nicht sichtbar. Daher stehen Betroffene vor der oft schwierigen Entscheidung, ob und wie sie Anderen von ihrer Erkrankung erzählen. Geheimhaltung kann zwar vor Diskriminierung schützen, ist aber oft langfristig belastend und kann in die soziale Isolation führen. Offenlegung andererseits birgt, je nach Umfeld, das Risiko von Diskriminierung, erlaubt aber größere Authentizität, kann Selbststigma abbauen und Unterstützung durch Andere erst ermöglichen. Offenlegungsentscheidungen sind daher komplex, hängen vom Umfeld und von der Person ab, und sind nur persönlich zu treffen. Um Menschen mit psychischen Erkrankungen bei Offenlegungsentscheidungen zu unterstützen, gibt es das Programm IWS. Was ist „In Würde zu sich stehen“? IWS ist ein von Peers geleitetes Programm, das aus drei Sitzungen sowie einer zusätzlichen Auffrischungssitzung besteht, die je zwei Stunden dauern. Es ist manualisiert, Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 32–33
Nicolas Rüsch ist Professor für Public Mental Health und Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm am Bezirkskrankenhaus Günzburg.
d. h. es liegt ein strukturiertes Arbeitsbuch mit Arbeitsblättern und Übungen vor. IWS hat drei Hauptthemen: Im ersten inhaltlichen Komplex geht es um die Fragen „Welche Geschichten erzählen wir uns selbst (Selbststigma)?“ „Welche Vor- und Nachteile hat Offenlegung je nach Umfeld?“ Ein zweiter Block stellt Fragen wie „Welche Vor- und Nachteile haben verschiedene Stufen der Offenlegung, von sozialem Rückzug und völliger Geheimhaltung bis hin zur aktiven Verbreitung der eigenen Erfahrung?“ „Wer ist ein geeigneter Adressat für meine Offenlegung?“ Und der dritte Block fragt: „Wenn ich meine Geschichte erzählen möchte, wie kann ich sie erzählen?“ Jedes Thema wird in einer der drei Sitzungen behandelt, die Auffrischungssitzung befasst sich etwa einen Monat später mit den Erfahrungen, die die Programmteilnehmenden mit ihren Entscheidungen für oder wider Offenlegung seit dem Programmende gemacht haben. Es ist nicht das Ziel von IWS, Teilnehmende zur Offenlegung zu bewegen, sondern ihnen je nach Kontext eine selbstbewusste, informierte, strategische Entscheidung für oder gegen Offenlegung zu ermöglichen. Dazu dient der Austausch in der Gruppe, angeleitet durch Peers, die aufgrund ihrer eigenen Geschichte selbst Erfahrung mit Offenlegungsentscheidungen haben. Wie kann das Programm umgesetzt werden? Aufgrund seiner Kompaktheit (3 × 2 Stunden plus ein Auffrischungstermin) lässt sich IWS flexibel in verschiedenen Settings einsetzen. In bisherigen Studien wurde IWS im ambulanten Bereich ebenso eingesetzt wie im stationär© 2020 Hogrefe
Interview
psychiatrischen Rahmen. Um einen guten Austausch in der Gruppe zu ermöglichen und alle zu Wort kommen zu lassen, sollten die Gruppen nicht zu groß und nicht zu klein sein. Gruppengrößen von vier bis acht Teilnehmenden haben sich gut bewährt. Zwei Gruppenleiter_innen pro Gruppe sind sinnvoll, so dass sie sich in der Leitung einzelner Teile jeder Sitzung abwechseln und ergänzen können. Was den Hintergrund der Gruppenleiter_innen angeht, so ist Flexibilität hilfreich. Ein Peer (d. h. eine Person mit eigener Erfahrung psychischer Erkrankung) ist essentiell. Die zweite Person ist üblicherweise ebenfalls Peer, kann aber je nach Setting auch ein Profi sein. Was die Zielgruppe angeht, gibt es neben der Standardversion für Erwachsene mit psychischen Erkrankungen mittlerweile IWS-Varianten: für Jugendliche, für Menschen mit Vorgeschichte von Suizidalität, für Eltern psychisch erkrankter Kinder. Was können psychiatrische Institutionen beim Umgang mit Stigma tun? Ein erster, wichtiger Schritt ist das Bewusstsein für das Problem, d. h. für öffentliche Stigmatisierung. Es schließt diskriminierende Haltungen von Professionellen gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen ein – Selbststigma, Scham und Geheimhaltung sowie strukturelle Aspekte von Benachteiligung. All diese Formen von Stigma können in verschiedener Weise das Aufsuchen von Hilfe und die dauerhafte Therapieteilnahme behindern. Auch das sollten Behandelnde und Institutionen im Blick behalten. Weiterhin scheint mir die Beschäftigung von Peers in den Einrichtungen einer der besten Wege zum Stigma-Abbau, vor allem wenn sie allseits respektiert und möglichst selbstständig arbeiten können. Was sind aktuelle Themen der Stigma-Forschung? Dies ist ein weites Feld. Kurz gesagt: Die letzten Jahrzehnte haben klar gezeigt, dass Stigma häufig ist, nicht abnimmt und negative Folgen verschiedener Art hat, von
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Nachteilen in Ausbildung und Arbeit über Scham, soziale Isolation und verringerte Behandlungsteilnahme bis hin zu Suizidalität, um nur wenige Beispiele zu nennen. Daher ist es an der Zeit, Interventionen zu entwickeln, die Aspekte von Stigma abbauen helfen und sie gründlich zu evaluieren. Evaluation ist wichtig, denn nicht jede gut gemeinte Antistigma-Intervention ist auch gut. IWS ist eine unter verschiedenen möglichen Interventionen. IWS ist, soweit wir nach bisher drei randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) sagen können, gut wirksam. IWS ist selbstverständlich kein Allheilmittel, sondern hilft bei Stigma-Bewältigung und gegen Selbststigma. Idealerweise sollte IWS daher kombiniert werden mit Programmen gegen öffentliche Stigmatisierung, um erstens Betroffene nicht allein zu lassen mit einem Problem, für das sie nichts können, und zweitens um in einem offeneren gesellschaftlichen Umfeld gelingende Offenlegung zu erleichtern.
Wer mehr über IWS wissen möchte: https://www.uniulm.de/med/iws/ueber/infokontakt/ Lesetipp: Rüsch, N., Oexle, N., Reichhardt, L. & Ventling, S. (2019). In Würde zu sich stehen – Konzept und Wirksamkeit eines peer-geleiteten Programms zu Offenlegung und Stigmabewältigung. Psychiatrische Praxis, 46, 97–102.
Michael Schulz Stabsstelle Klinikentwicklung / Forschung an der LWL-Klinik Gütersloh, geschäftsführender Herausgeber der „Psychiatrischen Pflege“, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler, Honorarprofessor an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld michael.schulz@lwl.org
Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 32–33
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Interview
Aufbruch und Wandel: Akademisierung der psychiatrischen Pflege Jacob Helbeck im Gespräch mit Prof. Dr. Karen Pottkämper Jacob Helbeck Das sich wandelnden Gesundheitssystem hält auch Veränderungen für die Berufsgruppe der Pflege bereit und fordert Sie so zum Aufbruch auf. So sollten sich Handlungen in der täglichen pflegerischen Praxis an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten und begründet werden können. Dabei geht es nicht um eine neue Form der Hierarchie oder eine Auf- oder Abwertung von Tätigkeiten und Berufsprofilen, sondern um einen guten und wichtigen Mix von benötigten Qualifikationen und Kompetenzen. Aus diesem Grund traf Jacob Helbeck, Leiter der DFPP Regionalgruppe Berlin, die Studiengangsleiterin der Akkon Hochschule Berlin, Frau Prof. Dr. Karen Pottkämper, zu einem spannenden Interview über den neuen Studiengang „Erweiterte Klinische Pflege – Schwerpunkt Psychosomatische und Psy-
Prof. Dr. Karen Pottkämper.
chiatrische Pflege“.
Jacob Helbeck: Vor welchen Herausforderungen steht die Pflege aktuell und in Zukunft in Deutschland? Karen Pottkämper: Es geht vor allem um Qualität! Wir stehen vor der großen Herausforderung, trotz des Fachkräftemangels und der Veränderungen in der Berufsausbildung eine qualitativ gute, patientenzentrierte und sichere Pflege anzubieten. Die Akademisierung des Pflegeberufes spielt hier eine entscheidende Rolle. Welche gesellschaftlichen und versorgungspolitischen Aspekte machen die Akademisierung der Pflege notwendig? Die demografische Entwicklung und Multimorbidität sowie die hohe Komplexität stellen die Pflege vor neue Herausforderungen. Es sind neue Qualifikationen erforderlich, die nicht nur auf Erfahrungswissen beruhen, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Von der Medizin wird erwartet, dass nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gearbeitet wird. Dies gilt gleichermaßen auch für die Pflege. Wir benötigen wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, welche Pflegeinterventionen wirksam und gut für Patienten sind. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 34–35
Kurzum: Wir haben Nachholbedarf in Deutschland und müssen in der akademischen Pflegeausbildung Anschluss an die europäischen Standards erreichen. Die Gründe sprechen für sich. Pflegenden mit einer akademischen Ausbildung sind gesünder und zufriedener. Sie verbleiben länger im Beruf und erreichen mit einer professionellen Pflege bessere Ergebnisse (Outcomes). Aktuell sehen wir einen erheblichen Mangel an Pflegefachkräften. Die geringe Anerkennung und der wenig ausgeprägte Status der Pflegenden kommen hinzu. Wir sehen sogar eine „Berufsflucht“. Die akademische Ausbildung befähigt Pflegende dazu, auf der Grundlage von wissenschaftlichem Wissen und Begründungen bessere Arbeitsbedingungen auch für nicht-akademisch ausgebildete Pflegende zu schaffen und dem Berufsbild zu mehr Anerkennung und Status zu verhelfen. Ab dem Wintersemester 2019/20 wird ein weiterer Studiengang das Portfolio der Akkon Hochschule ergänzen. Warum ist der Studiengang „Erweiterte klinische Pflege – Schwerpunkt Psychosomatische und psychiatrische Pflege“ gerade jetzt so wichtig? Neben der akademischen Qualifikation im Management und in der Pädagogik fehlen akademische Pflegende in der © 2020 Hogrefe
Interview
Praxis direkt am Patienten, die wissenschaftliche Innovationen der psychiatrischen und psychosomatischen Pflege in die Praxis bringen und dadurch für eine professionelle Pflegepraxis sorgen. Was sind die Ziele Ihres Angebots? Die Pflegenden werden mit dem Studium in die Lage versetzt, Studien zu lesen, zu bewerten und zu reflektieren, ob die Ergebnisse für ihre Praxis wichtig und relevant sind. Sie können Leitlinien, Expertenstandards und Innovationen nachhaltig in die Praxis einführen, kollegiale Beratungen ins Team einbringen sowie die Patienten und ihre Angehörigen beraten und umfassender begleiten. Sie können als Co-Therapeuten die Ärzte und Psychologen unterstützen. Sie können Pflegeforschungsprojekte unterstützen und aktiv begleiten. Das Ziel ist es, eine professionelle und psychosomatisch wie psychiatrisch spezialisierte Pflege in der Praxis anzubieten, direkt am Patienten. Wie genau ist der berufsbegleitende Studiengang aufgebaut? Welche Inhalte werden vermittelt? Zum akademischen Basiswissen gehören das wissenschaftliche Arbeiten und Kenntnisse der empirischen Sozialforschung, der Pflegewissenschaft, der Ethik sowie eine juristische Expertise in Pflegerechtsfragen. Fachspezifisch erhalten die Studierenden Einblicke in die Praxisentwicklung und Implementierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die pflegerische Praxis. Neben der Vermittlung von medizinischem, psychologischem und pflegerischem Wissen werden die Studierenden sich intensiv mit den Themen Autonomie und Teilhabe auseinandersetzen. Das Studium wird zudem durch Wahlpflichtfächer ergänzt. So können sich die Studierenden zwischen einer Vertiefung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Gerontopsychiatrie entscheiden. Welche Voraussetzungen müssen Interessierte für eine Bewerbung mitbringen? Für wen eignet sich der Studiengang besonders? Voraussetzung ist eine abgeschlossene staatlich anerkannte Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege, zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder Altenpflege sowie ein Jahr Berufserfahrung im Schwerpunkt. Dazu kommen die Anforderungen des Berliner Senats zum Studium an einer Hochschule. Das Studium eignet sich für alle Pflegenden, die sich professionell weiterentwickeln wollen, die neugierig sind, Spaß an neuen Entwicklungen haben und die bestehende Praxis reflektieren wollen. Auch können die Absolventen anschließend international arbeiten, da der Abschluss dem internationalen Standard entspricht. Wie werden die Bachelorabsolventinnen und -absolventen seitens der Hochschule konkret auf die erweiterte Pflegepraxis vorbereitet? Die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften arbeitet mit kleinen Studiengruppen. Neben den theoretischen © 2020 Hogrefe
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wissenschaftlichen Theorien, Modellen und Konzepten steht die Anwendung in der Praxis und der Praxisbezug im Vordergrund der Lehre. Die Verbindung zwischen der Theorie und der Praxis sowie die Frage, wie neue wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis transferiert werden können, ist zentral in unserem Studium. Welche praxisbezogenen Verknüpfungen finden zwischen der Hochschule und den möglichen Berufsfeldern statt? Die Hochschule ist vielfältig mit Partnern aus der Politik und aus Pflegefachverbänden, von den Krankenkassen und sozialen Einrichtungen, mit Krankenhäusern sowie ambulanten, stationären und teilstationären Einrichtungen, mit Selbsthilfegruppen und Patientenverbänden vernetzt. Angestrebt sind auch Teilnahmen der Studierenden an Konferenzen und Fachtagungen zu aktuellen Themen. In der Lehre arbeiten wir mit Fallbesprechungen und Fallbearbeitungen, die Studierenden absolvieren. Zusätzlich zum berufsbegleitenden Studium gibt es ein Fachpraktikum, um neue Arbeitsbereiche kennenzulernen. Welche Kompetenzen werden die akademisch qualifizierten Pflegeexpertinnen und -experten haben bzw. wo können sie am besten eingesetzt werden? Unsere Absolventinnen und Absolventen haben die Möglichkeit, mit ihren Kompetenzen als Pflegexperten wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu bringen. Zu diesen Kompetenzen zählen Beratungs- und Problemlösungskompetenzen. Darüber hinaus zählen kollegiale Beratung, Konzeptentwicklung und wissenschaftliche Forschungskompetenzen zum Portfolio der Absolventinnen und Absolventen. Diese Kompetenzen können genutzt werden, um wissenschaftliche Erkenntnisse nachhaltig in Organisationen zu implementieren. Sie können als akademische Pflegeexperten im stationären oder ambulanten Setting tätig sein, aber auch in Forschungsinstituten, in der Politik und Selbstverwaltung. Welche Vision einer zukunftsfähigen (psychiatrischen) Pflege haben Sie ganz persönlich? Durch den Qualifikationsmix und die zunehmende Akademisierung und Professionalisierung genießen Pflegende ein höheres Ansehen und nehmen eigenverantwortlich komplexere Aufgaben im interdisziplinären Versorgungsteam wahr. Pflegeforschungsprojekte gehören zum Alltag der Pflegenden und verbessern die professionelle Pflege nachhaltig für Patienten und Patientinnen sowie für alle Pflegenden. Jacob Helbeck Psychiatrische Pflege B. A., Case Manager (DGCC), Leiter der DFPPRegionalgruppe Berlin jacob-helbeck@t-online.de
Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 34–35
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Aus der Praxis
Die Wichtigkeit der körperlichen Gesundheit bei Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung Ein Update zum Gesundheitsförderungsprofil GEPPSY Christian Burr, Bettina Nesa
Seit 2012 besteht das Gesundheitsförderungsprofi PSY
GEP
zur systematischen Erfassung und Erken-
nung von körperlichen Gesundheitsrisiken bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. 2019 wurde eine Überprüfung der Normwerte und Empfehlungen des Instrumentes durchgeführt und entsprechende Anpassungen vorgenommen. Die aktualisierten Versionen der GEPPSY-Screeningbögen sowie des Begleithandbuches liegen vor und sollen ab sofort verwendet werden.
B
ei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind körperliche Gesundheitsprobleme oder Gesundheitsrisiken gegenüber der Allgemeinbevölkerung stark erhöht und werden von Fachpersonen oft nicht erkannt (De Hert et al., 2011). Deshalb wurde von 2010 bis 2012 an den Universitären Psychiatrischen Diensten in Bern das Gesundheitsförderungsprofi GEPPSY entwickelt (Bänziger et al., 2016) und evaluiert (Glavanovits, Sahli, Bänziger & Abderhalden, 2013). GEPPSY ist ein Screening-Instrument zur Erfassung der körperlichen Gesundheitsrisiken bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Es ist die deutsche Übersetzung des in England entwickelten Health Improvement Profile HIP (White, Gray & Jones, 2009). Es umfasst 27 Gesundheitsrisiken, die in den sieben Bereiche Laborwerte, Vitalzeichen/Gewicht, ärztliche Kontrollen, Selbstuntersuchungen, Aktivitäten des täglichen Lebens, Noxen sowie Sexualität erfragt werden. Während der Befragung werden die Gesundheitskriterien der Patientinnen und Patienten gemessen oder erfragt, in einen Bogen eingetragen und je nach Wert entweder einer grünen (Ziel-/Normwerte) oder roten Spalte (von Ziel-/Norm abweichenden Werte) zugeteilt. Die rote Spalte repräsentiert die vorhandenen Gesundheitsrisiken, die eine Intervention bedingen. Dazu werden auf dem Bogen Interventionen in den Bereichen Beratung, Überweisung Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 36–38
an die Haus- oder Fachärztin resp. den Haus- oder Facharzt oder Überweisung in ein Gesundheitsprogramm vorgeschlagen, welche mit den Patientinnen und Patienten geplant und durchgeführt werden können. Das GEPPSY sollte als Screening-Instrument verstanden werden. Es bedeutet, dass möglichst alle Personen, die der Zielpopulation entsprechen, erfasst werden. Nur so können „verdeckte“ Probleme aufgedeckt werden. Das GEPPSY wurde vom schweizerischen Bundesamt für Gesundheit in einer Analyse von Modellen guter Praxis im Bereich der Versorgung von psychisch erkrankten Personen mit zusätzlichen somatischen Erkrankungen als Best-Practice-Vorgehen identifiziert (Spiess & Ruflin, 2018).
Das Review 2019 Um die Aktualität der Normwerte sowie auch der Empfehlungen des GEPPSY zu gewährleisten, wurden im Zeitraum von Juni bis August 2019 alle Werte und Empfehlungen bezüglich ihrer Aktualität überprüft.
Methode Zu allen Werten bzw. Empfehlungen wurde für die Jahre 2012 bis 2019 ein Literaturcheck durchgeführt. Dieser erfolgte einerseits in den aktuellen Behandlungsempfehlungen der entsprechenden Fachgesellschaften. Zudem wurde zu jedem Thema eine Literatursuche auf Medline (Pubmed) und Google-Scolar mit entsprechenden Suchbegriffen durchgeführt. Ferner wurde die uns von den Autoren freundlicherweise zur Verfügung gestellte aktuelle Version des HIP (Hardy & Grey, 2018) konsultiert. Die Ergebnisse und empfohlenen Anpassungen wurden tabellarisch dokumentiert, inklusive der entsprechenden Quelle. In der Folge wurden die Ergebnisse verschiedenen Expertinnen und Experten aus Pflege und Medizin mit der Bitte um fachliche Validierung der empfohlenen Anpassungen zugeschickt. Die Rückmeldungen wurden nochmals überprüft und berücksichtigt. Bei einzelnen Empfehlungen oder Normwerten gab es minimale Unterschiede zwischen © 2020 Hogrefe
Aus der Praxis
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den drei deutschsprachigen Ländern (D, AT, CH). In diesem Fall wurden jeweils die Empfehlungen für die Schweiz übernommen. Die Änderungen wurden in der Folge für den Fragebogen sowie das Handbuch übernommen.
Ergebnisse Nach der ersten Überprüfung gab es auf Grund der aktuellen Literatur für 13 der 27 Items bei den Normwerten oder Interventionsempfehlungen Änderungsvorschläge. Zudem wurde der Bauchumfang mit der Hip-Waist-Ratio ersetzt und im Bereich Ernährung ein Item neu hinzugenommen (siehe Tab. 1). Durch die Expertenkonsultation wurden noch einige kleinere formale Anpassungen bei den Normwerten gemacht. Zudem wurde bei den Labornormwerten empfohlen, diese jeweils von den entsprechenden Laboratorien zu übernehmen, bei welchen die Untersuchungen auch vorgenommen werden. Diese differieren zwar meist ein weinig, sind aber in der Regel aktuell gehalten.
Fallbeispiel 1 Frau L. wird seit kurzem in einer sozialpsychiatrischen Klinikambulanz (PIA) behandelt. Zur jährlichen Durchführung des GEPPSY-Screenings wird von der
fallführenden diplomierten Pflegefachperson das Einverständnis der Patientin eingeholt. Bei Zustimmung wird als erstes eine Blutentnahme anhand der geforderten Laborwerte des GEPPSY-Bogens durchgeführt. Danach wird die Befragung der restlichen Items gemacht. Anhand der Normwerte werden gesundheitsgefährdende Faktoren erkannt und mit der Patientin weitere Maßnahmen geplant. Da Frau L. zurzeit keine Hausärztin hat, wird in der Folge eine gesucht, bei der sie spezifische Untersuchungen und Beratungen erhalten kann. Vorerst werden die entsprechenden Maßnahmen über die PIA organisiert und teilweise auch durchgeführt. Zudem wird ein jährliches Gespräch mit dem zuständigen Psychiater der PIA geplant.
Fallbespiel 2 Herr B. wird seit zehn Jahren in einer PIA behandelt. Zur jährlichen Durchführung des GEPPSY-Screenings wird das Einverständnis des Patienten eingeholt. Herr B. wird seit Jahren durch den Hausarzt in somatischen Belangen betreut. Auch Blutentnahmen werden regelmässig durchgeführt. Für das Screening werden die Laborwerte vom Hausarzt erfragt. Zudem wird im Vorfeld geklärt, welche zusätzlichen Werte noch geprüft
Tabelle 1. Übersicht der vorgenommenen Änderungen im GEPPSY Bereich
Item
Änderung
2. Vitalzeichen/Gewicht
2.2 Bauchumfang
Ersetzt mit: Hip-Waist-Ratio (Hüfte-Taillen-Verhältnis) Normwerte (NW): neu definiert
3. Ärztliche Kontrollen
3.1 Augenärztliche Kontrolle
NW: Alterseinschränkung aufgehoben
3.2 Zahnkontrolle
NW: Kontrollintervall erhöht
3.3 Zervikal Abstrich
NW: Kontrollintervall erhöht und Alterseinschränkung nach unten angepasst
3.4 Prostata Untersuchung
NW: Intervall erhöht und Alterseinschränkung nach unten angepasst
4.1 SU Brüste Frau
NW: Alter für Mammographie angegeben
4.2 Menstruation
NW: Anzahl Tage angepasst
5.1 Ernährung: Gemüse/ Früchte, Fettkonsum
NW: Anzahl Portionen erhöht
Neu: Ernährung: Funktion (Alleinwohnende)
NW: Fähigkeit und Infrastruktur zum Kochen vorhanden Empfehlungen: Neu beschrieben
5.3 Trinkmenge
NW: Differenziert
5.4 Bewegung
NW: Differenziert
5.5 Schlaf
NW: Differenziert
6.1 Koffeinkonsum
NW: Reduziert und Empfehlungen: Differenziert
6.2 Alkoholkonsum Mann
NW: Reduziert
6.3 Alkoholkonsum Frau
NW: Reduziert
6.4 Cannabis
Empfehlungen: Differenziert
4. Selbstuntersuchung
5. Aktivitäten des täglichen Lebens
6. Noxen
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Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 36–38
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werden sollen. Im Rahmen des GEPPSY-Screenings durch die fallführenden diplomierte Pflegefachperson werden gesundheitsgefährdende Faktoren erkannt. Mit dem Einverständnis des Patienten werden die Maßnahmen mit dem Hausarzt geplant und durchgeführt. Zudem wird ein jährliches Gespräch mit der zuständigen Psychiaterin der PIA geplant.
Fallbeispiel 3 Herr H. wird seit zwei Jahren in einer PIA behandelt. Herr H. verweigert die Erhebung mittels GEPPSY-Bogen und auch eine Blutuntersuchung. Die körperliche Gesundheit wird in der Folge immer wieder thematisiert. Es wird versucht, Herr H. zu motivieren, ein GEPPSY-Screening machen zu lassen oder allenfalls eine hausärztliche Behandlung zu organisieren. Auch ohne Erhebung der körperlichen Gesundheit wird ein jährliches Gespräch mit der zuständigen Psychiaterin der PIA geplant.
Schlussbetrachtung Die GEPPSY-Erfassungsbögen sowie auch das Begleithandbuch stehen in einer aktualisierten Version zur Verfügung. Diese sollten ab sofort verwendet werden und können über den Erstautor und später auch über die Webseite der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern kostenlos in elektronsicher Form bezogen werden. In der aktualisierten Version wurden bei den Blutwerten die Normwerte der Unilabs AG (https://unilabs.ch/de) in Bern übernommen. Für die Verwendung in anderen Institutionen wird empfohlen, sich an den Normwerten der entsprechenden Laboratorien zu orientieren. Zudem empfiehlt es sich, den Bogen in die elektronische Patientenakte zu integrieren.
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Aus der Praxis
Literatur Bänziger, S., Hegedüs, A., Burr, C., Glavanovits, K., Needham, I., Abderhalden, C. & Cignacco, E. (2016). Einsatz des Gesundheitsförderungsprofils Psychiatrie GEPPSY zur Erhebung körperlicher Gesundheitsrisiken von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im ambulanten Setting. Pflegewissenschaft, 3, 125–133. De Hert, M., Corell, C. U., Bobes, J., Cetckovich-Bakmas, M., Cohen, D., Asai, I. & Leucht, S. (2011). Physical illness in patients with severe mental disorders. I. Prevalence, impact of medications and disparities in health care. World Psychiatry, 10, 52–77. doi:10.1002/j.2051-5545.2011.tb00014.x Glavanovits, K., Sahli, A., Bänziger, S. & Abderhalden, C. (2013). Gesunde Hülle für die Seele. Psych Pflege Heute, 19, 14–17. doi:10.1055/s-0032-1333394 Hardy, S., & Grey, R. (2018). Primary Care Physical Health Checks for people with Severe Mental Illness (SMI) – Best Practice Guide. The Health Improvement Profile for Primary Care (HIP-PC). NHS Northamptonshire and University of East Anglia. Spiess, M., & Ruflin, R. (2018). Koordinierte Versorgung an der Schnittstelle (Akut-) Psychiatrie – Akutsomatik. Modelle guter Praxis. Bern: socialdesign ag. White, J., Gray, R. & Jones, M. (2009). The development of the serious mental illness physical Health Improvement Profile. Journal of Psychiatric and Mental Health Nursing, 16(5), 493–498.
Christian Burr Pflege-Experte, MScN, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern, Doktorand der Pflegewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar christian.burr@upd.unibe.ch
Bettina Nesa Pflegeexpertin MAS Mental Health, Diplomierte Pflegefachfrau bettina.nesa@upd.ch
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Aus der akademischen Welt
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Interdisziplinäres Lernen Erste Absolventen im Masterstudiengang „Community Mental Health“ verabschiedet Michael Schulz, Hermann-T. Steffen
Die Förderung psychischer Gesundheit stellt eine der großen versorgungsbezogenen Herausforderungen im 21. Jahrhundert dar. Gefordert ist, traditionelles Versorgungshandeln zu durchleuchten und Versorgungsangebote gemäß sich wandelnder, gesellschaftlicher Anforderungen weiterzuentwickeln sowie Innovationen in der Praxis zu etablieren. Im Zentrum nationaler und internationaler Innovationsdebatten stehen gemeindeorientierte, sozialraumzentrierte und lebensweltbasierte Ansätze. Es erfordert eine akademische Qualifizierung neben Bachelor- zunehmend auf Master-Niveau und entsprechenden Möglichkeiten zur Promotion, um diesen komplexen Erfordernissen nachzukommen. Jedoch fehlt es in Deutschland jenseits der Psychologie und Medizin weitgehend an Studienangeboten auf Masterebene.
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er postgraduale, berufsbegleitende Masterstudiengang „Community Mental Health“ an der Fachhochschule der Diakonie (FHdD) in Bielefeld, dessen erster Durchgang im Oktober 2019 abgeschlossen hat, versucht diese Lücke zu schließen und den genannten Herausforderungen Rechnung zu tragen. Er zielt gleichermaßen auf eine berufspraktische Qualifizierung sowie wissenschaftliche Ausbildung zur Gestaltung einer gemeinwesenorientierten Versorgung nahe den Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern. Ausgehend von der Bedeutung der Gemeinde als Ort der Genese von Gesundheit folgt der Studiengang einer sozialwissenschaftlichen Perspektive und einem anthropologischen Verständnis psychischer Krankheit. Entsprechend werden neben einer klinisch-psychologischen die philosophische und die sozialökologische Perspektive eingenommen. Eigenverantwortung und Wahlfreiheit der Adressaten auf der einen und forschungsorientiertes Arbeiten auf der anderen Seite schulen die kritische Distanz © 2020 Hogrefe
Die Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs „Community Mental Health“ bei der Verabschiedung. Vordere Reihe von links: Johannes Kirchhof, Susanna Flansburg, Andrea Kleditzsch, Nora Bötel, Prof. Dr. Michael Schulz. Hintere Reihe von links: Prof. Dr. Hermann-T. Steffen, Lars Alsbach, Kerstin Freitag, Alexander Cremer.
zum eigenen Handeln. Auf der Basis einer interdisziplinären Sichtweise vermittelt das Studienprogramm vertiefte Kompetenzen im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Praxis. Es stehen aktivierende Lernformen im Mittelpunkt, die den Studierenden ermöglichen, sich individuell und in Lerngruppen Wissen anzueignen. Darüber hinaus können sie ihre Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis entwickeln. Individuelle Hintergründe und Praxiserfahrungen der Studierenden werden im Fachkontext und in der Entfaltung eigener Lern- und Arbeitsformen berücksichtigt. Förderlich ist für die Studierenden die obligatorische Einbindung des beruflichen Kontextes, die ermöglicht, Institutionen als praxeologischen Lernort und unterschiedliche, disziplinäre Perspektiven als Lernchancen zu nutzen. Das LWL-Klinikum Gütersloh und das Evangelische Krankenhaus Bielefeld fungieren in diesem Zusammenhang als vom Wissenschaftsministerium anerkannte LehrPsychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 39–40
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krankenhäuser. Dergestalt ist der Masterstudiengang „Community Mental Health“ als berufsbegleitender dreijähriger Studiengang mit einem Workload von 120 CP ECTS konzipiert. Um die Prüfungslast zu reduzieren und komplexes, kompetenzorientiertes, transformatives Lernen zu ermöglichen, sind die Studieninhalte in thematisch verwandte Module zusammengefasst. Zu den ersten Absolventen gehören Johannes Kirchhof (Köln), Lars Alsbach (Rengsdorf), Kerstin Freitag (Koblenz), Susanna Flansburg (Bielefeld), Alexander Cremer (Mönchengladbach), Andrea Kleditzsch (Bochum) und Nora Bötel (Freiburg). In den empirisch angelegten Abschlussarbeiten wurden relevante Themen für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der Psychiatrie bearbeitet. So wurde unter anderem das Erleben der Stationsäquivalenten Behandlung durch die Betroffenen und die Wahrnehmung der Intensivbetreuung durch die Betroffenen erforscht. Es wurde untersucht, welche Folgen die Einbindung akademisierter Pflegender in bestehende Teams hat. Im Hinblick auf eine Verbesserung der Behandlung und Versorgung von Menschen mit Psychosen wurde eine Studie gemacht, die den Beitrag digitaler Therapieangebote zur Genesung in den Blick nahm und wie stimmenhörenden Menschen auf der Grundlage des
Erfahrungsfokussierten Coachingansatzes in ihrem persönlichen Umgang mit den Stimmen gestärkt werden können.
Prof. Dr. Michael Schulz Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung an der LWL-Klinik Gütersloh, Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen im LWL-Psychiatrie-Verbund Westfalen, Honorarprofessor an der Fachhochschule der Diakonie (FHdD) in Bielefeld, geschäftsführender Herausgeber der „Psychiatrischen Pflege“ michael.schulz@lwl.org
Prof. Dr. Hermann-T. Steffen Professor für Gesundheitswissenschaften an der Fachhochschule der Diakonie (FHdD), Bielefeld hermann.steffen@fhdd.de
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Horizonte 24. April 2020 ipw Klinik Schlosstal, Winterthur www.fachtagung-app.ch Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 39–40
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Abgestimmt auf Herausforderungen Fachweiterbildungsintegrierender Bachelorstudiengang in Münster Andrea Zielke-Nadkarni
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peziell für Pflegende aus der Psychiatrie ist der neue fachweiterbildungsintegrierende Bachelorstudiengang „Psychiatrische Pflege/Psychische Gesundheit“ der Fachhochschule Münster konzipiert. Der Fachbereich Gesundheit kooperiert hierzu mit der staatlich anerkannten Weiterbildungsstätte Fachpflege Psychiatrie, dem Peplau-Kolleg am St. Rochus-Hospital Telgte. Ziel ist es, die Akademisierung psychiatrischer Pflegefachpersonen weiterzuentwickeln. Die Absolvent_ innen erwerben einen Doppelabschluss: den hochschulischen Bachelor of Science (B.Sc.) sowie die staatliche Anerkennung als Fachpflegeperson für Fachgesundheits- und Krankenpflege, Fachgesundheits- und Kinderkrankenpflege oder Fachaltenpflege in der Psychiatrie entsprechend der Weiterbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe in Nordrhein-Westfalen (WBVO-PflegeNRW). Der Studiengang umfasst acht Semester und startet jeweils zum Sommersemester eines Jahres (1. März). Im Durchschnitt werden berufsbegleitend 18 Wochen pro Jahr im Wechsel an der Hochschule, der Weiterbildungsstätte und in Praxiseinrichtungen für das Studium benötigt. Die Praxisphasen können teilweise an den Heimateinrichtungen absolviert werden. Während für die Fachhochschule nur Semestergebühren anfallen, entstehen Gebühren für die Weiterbildung. Diese werden jedoch in der Regel vom Arbeitgeber als entsendender Einrichtung getragen. Der Arbeitgeber gewährt auch die Freistellung für die Studienzeiten. Es wird ein Stellenumfang von mind. 75 % empfohlen. Eine sehr günstige Unterbringungsmöglichkeit stellt das St. Rochus-Hospital Telgte zur Verfügung.
Zugangsvoraussetzungen – eine abgeschlossene Ausbildung zum/zur Gesundheits- und Krankenpfleger_in oder Gesundheitsund Kinderkrankenpfleger_in oder Altenpfleger_in – eine allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife oder eine abgeschlossene Berufsausbildung plus zwei bzw. drei Jahre Berufserfahrung (lt. § 3 Berufsbildungshochschulzugangsverordnung) und – ein Weiterbildungsvertrag „Fachpflege in der Psychiatrie gemäß WBVO-Pflege-NRW“ mit dem PeplauKolleg am St. Rochus-Hospital Telgte
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Die Inhalte des Studiengangs sind auf die aktuellen Herausforderungen an die psychiatrische Pflege abgestimmt. Bereits 2012 hat der Deutsche Wissenschaftsrat die Frage aufgeworfen, „welche hochschulischen Angebote und Qualifikationen in den Gesundheitsversorgungsberufen benötigt werden, um auf die künftigen Versorgungsbedarfe angemessen reagieren und die Qualität der Gesundheitsversorgung sichern zu können“ (WR, 2012, S. 4). Gefordert wird, dass Angehörige der Gesundheitsfachberufe, die mit komplexen Aufgaben betraut sind, in der Lage sein müssen, • ihr Handeln auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren, • die Versorgungsmöglichkeiten evidenzbasiert zu prüfen • und das eigene Handeln anzupassen (WR, 2012, S. 25). Demographischer Wandel und epidemiologische Veränderungen wie die steigende Anzahl von Menschen mit chronisch-psychischen Erkrankungen und Multimorbidität, im psychischen Bereich insbesondere Depressionen, Demenz, Angststörungen und Schlafstörungen sowie eine hohe Prävalenz psychischer Störungen bei Kindern (z. B. Angststörungen, Depressionen, Störungen des Sozialverhaltens), bedingen eine qualitativ hochwertige psychiatrische Versorgung in der Fläche. Der Studiengang „Psychiatrische Pflege/Psychische Gesundheit“ entwickelt die Kompetenzen der Pflegenden auf dem Niveau von Advanced Practice Nurses (Pflegeexperten) weiter. Wissenschaftliche Grundlagen wie die Recherche wissenschaftlicher Erkenntnisse, der kritische Umgang mit Studien und die Implementierung ihrer Ergebnisse in die Praxis sind wichtiger Teil des Kompetenzerwerbs der Studierenden. Hinzu kommen Prozesse der Selbsterfahrung und Selbstreflexion, der Haltungsentwicklung und der Weiterentwicklung kommunikativer und sozialer Kompetenzen. Die Nutzung neuer pflegewissenschaftlicher Konzepte wie Adhärenz und Safewards ist selbstverständlich. Sie werden eingebettet in den Umgang mit ethischen Problemstellungen zur Entwicklung der Fähigkeit, ethische Entscheidungen zu treffen und an ethischen Entscheidungsfindungen mitzuwirken. Des Weiteren werden Kompetenzen zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von pflegerisch-psychiatrischen Aufgaben und Problemstellungen erworben. Dazu gehört auch die Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 41–42
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eigenverantwortliche Steuerung von komplexen Versorgungsprozessen, zunächst angeleitet im Studium, sodann später in der Berufspraxis. Insbesondere die Versorgung (vulnerabler) Patientengruppen im ländlichen Raum, die sich momentan insgesamt defizitär darstellt, wird eine der künftigen Aufgaben der Absolvent_innen darstellen. Vielfach werden diese komplexen Pflegesituationen Teil der so genannten „stationsäquivalenten Leistungen“ sein. Sie versetzen psychiatrische Kliniken in die Lage, komplexe psychiatrisch-psychotherapeutische Akut-Behandlungen für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im häuslichen Umfeld durchzuführen. Die Komplexität der Versorgungssituationen verlangt die Kooperation in multiprofessionellen Teams und Aufgaben der Vernetzung mit anderen Gesundheitsfachberufen. Diese werden somit ebenfalls zum Gegenstand des Studiums. Gesundheitspolitische Problemstellungen werden gesellschaftskritisch diskutiert und auf individuelle Problemlagen von Patienten bezogen. Somit lernen die Studierenden, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und verschiedene Standpunkte gegeneinander abzuwägen. Schließlich ist die einrichtungs- und sektorenübergreifende Qualitätssicherung in der Psychiatrie und Psychosomatik Ziel dieses Bildungsangebotes. Die häufig unzureichende Theorie-Praxis-Verzahnung wird in diesem Studium durch die Schaffung geeigneter Voraussetzungen verwirklicht: • Das verbindliche Absolvieren von Praxiseinsätzen durch die vorgegebene Struktur der WBVO hinsichtlich der praktischen Weiterbildungsanteile und • die enge Verzahnung von pflegewissenschaftlichen Anteilen (FH Münster) und praxisorientierten pflegerischpsychiatrischen Inhalten (Weiterbildung) sorgen für eine den Bedingungen „vor Ort“ angepasste Umsetzung (Berufsfeldnähe mit enger Verknüpfung von Arbeitspraxis und Lerneinheiten) sowie • die Durchführung einer wissenschaftsbasierten Pflege in einem spezialisierten pflegerischen Handlungsfeld (Spirig & De Geest, 2004).
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Zur Unterstützung der Studierenden gewährleisten „Bezugspädagogen“ die sichere Begleitung der Lernenden im Prozess des Studiums. Zugleich sind sie Vermittler zwischen der „Bildungs- und der Betriebswelt“ (Lernort-Kooperation).
Interessenten erhalten weitere Informationen unter: https://www.fh-muenster.de/gesundheit/studienbe werber/bsc-psychiatrische-pflege-psychische-ge sundheit.php und https://www.srh-telgte.de/karriere/ fachpflegepeplau-kolleg/studium.html sowie über die beiden Studiengangsleitungen Prof. Dr. M. Bonato, bonato@fh-muenster.de und Prof. Dr. A. Zielke-Nadkarni, zielke-nadkarni@fh-muenster.de. Eine Bewerbung ist ganzjährig möglich, für das Sommersemester 2020 bis zum 15. Februar 2020. Voraussetzung für das Studium ist ein Platz in der Weiterbildung. Der Leiter des Peplau-Kollegs, Herr Klaus Peter Michel, ist daher Ihr erster Ansprechpartner für die Bewerbung: klaus_peter.michel@srh-telgte.de, Tel. 02504/ 60-224.
Literatur Spirig, R. & De Geest, S. (2004). Advanced Nursing Practice» lohnt sich! Pflege, 17(4), 233–236. Deutscher Wissenschaftsrat (WR) (2012). Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen. Verfügbar unter http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/ Praesentation_HSQ_Juli2012.pdf [27.11.2019].
Prof. Dr. Andrea Zielke-Nadkarni Professorin für Pflegewissenschaft zielke-nadkarni@fh-muenster.de
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Versorgungsrealität und Möglichkeiten zur Psychosentherapie Ein Widerspruch? Yvonne Wiesner
Seelische Krisen und psychische Erkrankungen haben laut allgemein verbreitetem wissenschaftlichem Verständnis ihren Ursprung in einem Komplex biologischer, psychologischer sowie sozialer Faktoren. Sie entstehen immer auch aus Lebensgeschichten. Psychische Erkrankungen sind zutiefst menschlich. Wenn Menschen erstmalig schizophren erkranken, wird nach wie vor in Kliniken, psychiatrischen Praxen oder der Fachliteratur vermittelt, dass die Erkrankung nicht heilbar sei, lebenslange Medikamenteneinnahme unerlässlich, und sie gegebenenfalls mit Symptomen leben müssen.
„Jeder Mensch braucht ein gesundes Bild von sich selbst, um den Mut zur Veränderung entwickeln zu können.“ (Brigitte Bremer)
Gerade bei Menschen mit Psychosen und komplexen psychischen Störungen ist eine bedürfnisangepasste und sektorenübergreifende systematische Zusammenarbeit verschiedener Professionen und Disziplinen unerlässlich. Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen ist gut belegt, so dass eine psychotherapeutische Behandlung fester Bestandteil der multiprofessionellen Komplexbehandlung bei Menschen mit psychotischen Erkrankungen sein sollte. Leider ist die Versorgungsrealität davon immer noch weit entfernt. Viele Betroffene ringen damit, sich nicht nur mit den negativen Aspekten der Erkrankung zu befassen, sondern sind auch auf der Suche nach deren Sinn. Sie sind lernbereit und werden zunehmend mutiger, auch im Umgang mit psychischen Krisen. Die Auseinandersetzung mit sich selbst im Kontext der Erkrankung lässt Betroffene zu Expert_innen ihrer Erkrankung werden. Seit nunmehr bald 30 Jahren bin ich im Arbeitsfeld Psychiatrie tätig, wobei mir Menschen mit Psychosen in © 2020 Hogrefe
sämtlichen Facetten begegnet sind. Nach wie vor begegnen mir Menschen aller Altersklassen, unterschiedlicher Herkunft und mit einem bunten Mix verschiedenster Erscheinungsbilder einer Psychose. Mal mehr, mal weniger ausgeprägt und sichtbar ist die Symptomatik für das soziale Umfeld. Mir begegnen auch Menschen, die durch die Psychose extrem beeinträchtigt und belastet waren oder sie auch mal entlastend oder sogar als wünschenswerte Bereicherung erlebten. Durch den Artikel „Psychotherapie für Menschen mit Psychosen“ (von Haebler & Becker, 2016) wurde ich auf einen Studiengang aufmerksam, welcher Themen und Ansätze beinhaltet, die mich seit Jahren im Rahmen meiner Tätigkeiten mit Menschen mit Psychosen beschäftigen: Gerade bei Menschen mit Psychosen ist der Bedarf an psychotherapeutischer Begleitung im Rahmen einer multiprofessionellen Komplexbehandlung hoch. Dennoch liegt der Anteil der Menschen mit schizophrenen und affektiven Psychosen in der Richtlinienpsychotherapie bei weniger als einem Prozent! Das heißt, die am schwersten erkrankten Menschen sind zugleich diejenigen, die am schlechtesten therapeutisch versorgt werden. So etwas gibt es in keiner anderen medizinischen Disziplin. Nicht jeder, der therapeutische Hilfe benötigt, erhält bei der derzeitigen Versorgungslage automatisch Zugang zu entsprechenden qualifizierten Therapieangeboten. Natürlich sind ausreichende Versorgungsstrukturen vorhanden. Kein Mensch muss unbehandelt oder unversorgt bleiben. Was aber macht ein individuelles psychiatrischpsychotherapeutisches Handeln und die zugehörige Haltung aus? Selbst bei der Etablierung eines Helfersystems mangelt es oftmals an Vernetzung und Kommunikation, so dass wichtige Ressourcen nicht genutzt werden (können), um patientenorientiert, kooperativ und kompetent zu handeln. Seit 2013 wird der berufsbegleitende Masterstudiengang „Interdisziplinäre Psychosentherapie – multiprofessionelle Arbeit für Menschen mit Psychosen“ von der International Psychoanalytic University Berlin (IPU) in Zusammenarbeit mit drei weiteren Hochschulen (Charité Berlin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin) angeboten, der sich an berufserfahrene Pflegende aus der psychiatrischen Versorgung, Sozialarbeiter_innen, PsyPsychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 43–45
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cholog_innen, Ärztinnen und Ärzte sowie Angehörige anderer Professionen mit einem ersten Hochschulabschluss, inzwischen auch bei ausreichender Qualifikation ohne ersten Hochschulabschluss, richtet. Im Zentrum des Studiengangs steht der psychoseerfahrene Mensch und sein soziales Umfeld. Ziel ist unter anderem die Entwicklung und Unterstützung bedürfnisorientierter und sektorenübergreifender multiprofessioneller Zusammenarbeit. Die Konzepte verschiedener Methoden und psychotherapeutischer Verfahren werden gelehrt, integriert und miteinander verbunden und auch spezifische Berufsgruppenprofile vorgestellt und so eine mögliche Zusammenarbeit entwickelt. Aspekte wie Offenheit für Besonderheiten von Menschen mit Psychosen, aufsuchende Hilfen im sozialen Kontext, Flexibilität sowie pharmakologische, psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Kompetenzen sind dabei essentiell. Neben der fachlichen Vertiefung werden die Studierenden immer wieder dazu angeregt, die eigene Haltung und Handlung zu reflektieren sowie ihre therapeutische und professionelle Identität weiterzuentwickeln. Durch die Verbindung von Theorie und Praxis mit studienbegleitender Selbstreflexion und Fallseminaren gelingt es, Fragen aus dem Arbeitsalltag in das Studium einzubringen und durch die gewonnenen Ideen und Perspektiven neue Aspekte in der Arbeitspraxis anzuwenden.
Wer mehr zum Master-Studiengang „Interdisziplinäre Psychosentherapie“ wissen möchte: https://www.ipu-berlin.de/studium/ma-interdiszipli naere-psychosentherapie/
Der Studiengang ist höchst innovativ und gewährleistet erstmals in Deutschland die Umsetzung der Kernziele eines Weiterbildungsstudienganges, der für die Behandlung und Beratung der Betroffenen und ihres Umfeldes auf hohem Niveau qualifiziert. Explizit geht es um die Schnittstellen von Behandlung und Wiedereingliederung, Prävention und Rehabilitation sowie individuelle, familiäre und soziale Herausforderungen und Ressourcen im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Ungleichheit. Durch die intensive Fallarbeit und interne Supervision wird die persönliche Perspektive des Betroffenen und auch das therapeutische Verhältnis in den Vordergrund gestellt. Ziel des Studiums ist die Weiterbildung von Professionellen, die Menschen mit Psychosen in der Praxis therapieren, beraten und psychosozial begleiten, um unter anderen die Psychodynamik der therapeutischen Beziehung zu verstehen und zu reflektieren. Erworbene Methoden, Fachkenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen führen zur Verbesserung analytischer, reflexiver und handlungsbezogener Kompetenzen und befähigen unter anderem zur Aufnahme einer Leitungsposition im beruflichen Umfeld. Diese Kompetenzen bestehen insbesondere darin, an den Schnittstellen der interdisziplinären Psychosentherapie Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 43–45
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mitzuwirken und sich selbst im sektorenübergreifenden Netzwerk mit der eigenen Professionalität zu positionieren und zu vernetzen. Mich beschäftigt insbesondere die Frage, welche Möglichkeiten ich als Teil des psychiatrischen Behandlungssystems habe, möglichst umfassend und effizient auf mein professionelles Umfeld einzuwirken, sich dieser Behandlungsmöglichkeit nicht zu verschließen und bestenfalls in ihre alltägliche Behandlungspraxis einzubinden. Selbst mit meinen noch begrenzten Möglichkeiten erlebe ich in meiner täglichen Praxis immer wieder, wie offen, erstaunt und auch dankbar Patient_innen sind, beispielsweise den Wahn als Abwehrmechanismus zur Reduzierung einer durch das massive intrapsychische Dilemma ausgelösten Angst zu verstehen. Viele Patient_innen empfinden das erneute Auftreten von Psychosen eben doch als eigenes Versagen und massive Belastung. Seit ich das Studium Interdisziplinäre Psychosentherapie an der IPU begonnen habe, ereilt mich häufig das Gefühl, aus einem „Dornröschenschlaf “ zu erwachen. Weshalb? Viele Jahre verbrachte ich im Zwiespalt, in dem es einerseits Verständnis, Respekt und Zugewandtheit für Menschen mit Psychosen gab, der (Klinik-)Alltag dennoch von starren Prinzipien, Sichtweisen und Handlungen geprägt war. Als Pflegende hatten wir ärztlichen Anweisungen Folge zu leisten und mussten oftmals zähneknirschend schwere Nebenwirkungen, von denen die Patient_innen betroffen waren, hinnehmen, aushalten und begleiten. Pflegende kamen bei mehr als 20 Patient_innen oftmals an Grenzen. Auch fehlte dem Personal sehr oft das notwendige therapeutische „Handwerkszeug“. Nach wie vor begegnet mir auch außerhalb der Klinik die ähnlich lautende Meinung der Behandelnden, dass Ursachen und Entstehung von Psychosen in erster Linie biochemischer Natur und daher vor allem Medikamente die Mittel der Wahl seien. Menschen mit Psychosen machen etwa 50 % der Patient_innen von stationären psychiatrischen Einrichtungen mit Pflichtversorgung aus. Die psychotische Symptomatik wird nach wie vor als Resultat eines psychischen oder auch biologisch bedingten Defektes verstanden. Gegen diese Annahme spricht, dass sich in genauen Beobachtungen zeigen lässt, wie die angenommene Dysfunktionalität gleichzeitig auch eine Abwehr- sowie Kompensationsfunktion erfüllt (Mentzos, 2015). Dabei spielen psychodynamische Zusammenhänge bei Psychosen, vor allem auch unter Berücksichtigung der Biografie oder Psychosen auslösende Momente, eine zentrale Rolle. Dorothea von Haebler, Leiterin des Studiengangs an der International Psychoanalytic University (IPU), umschreibt treffend den psychosespezifischen therapeutischen Ansatz: „Aufgrund der Annahme, dass vergangene und aktuelle Beziehungserfahrungen von Menschen mit Psychosen zu intrapsychischen Spannungen führen, die die Verarbeitung von Erfahrungen beeinträchtigen, hat sich eine modifizierte Psychotherapie entwickelt, welche die individuelle Lösung dieser Dilemmata, also z. B. den Wahn als konst© 2020 Hogrefe
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ruktiven Lösungsversuch ansieht. Somit muss er nicht als Symptom bekämpft werden, sondern kann in einen Verstehensprozess eingebunden werden, der eine Brücke zum Patienten schaffen kann“ (von Haebler, 2013, S. 12).
Herr R. Herr R. ist 25 Jahre alt. Kennengelernt habe ich ihn bereits vor vier Jahren im Rahmen einer Soziotherapie, welche ihm verordnet wurde. Psychosen kennt er seit dem 16. Lebensjahr. 2015 hatte er mit 21 Jahren die zweite Episode einer schizophrenen Psychose, welche einen längeren Klinikaufenthalt nach sich zog. Im Zeitraum der Soziotherapie begann er eine Ausbildung, wohnte in einer Wohngemeinschaft, ging regelmäßig zum behandelnden Psychiater und nahm die ihm verordneten Medikamente ein. Er hatte einen Nebenjob und zeigte sich mit seinem Leben zufrieden, so dass meine Hilfe recht bald nicht mehr erforderlich war. Herr R. hielt sporadisch Kontakt, indem er mich in größeren Abständen anschrieb und mir im Wesentlichen mitteilte, dass es ihm gut gehe. Er schlafe kaum, rede „wirr“, ziehe nachts um die Häuser, gebe all sein Geld aus und trinke große Mengen Alkohol. Er zeige sich Hilfsangeboten gegenüber ablehnend, halte sich für nicht krank und sei viel unterwegs, ohne dass seine Freunde wussten, wo er war. Auch an seiner Ausbildungsstätte tauche er in diesem desolaten Zustand auf und sorge dort für einige Irritationen. Da mir seine Freunde und Mitbewohner versicherten, dass er trotz der akuten Psychose die ganze Zeit über meist freundlich und nicht aggressiv sei, besprach ich mit ihm, dass, wenn er die Medikamente einnehme, wir auch eine ambulante Zusammenarbeit versuchen könnten, so dass eine Aufnahme in der Klinik überflüssig war. Ich kannte ihn aus dem letzten Zeitraum der Soziotherapie als einen zuverlässigen Patienten, der sich an unsere Absprachen hielt, so dass mir diese Möglichkeit realistisch erschien. Seine Freunde waren zu diesem Zeitpunkt außerordentlich hilfreich, da sie für ihn da waren, ihn zu Terminen begleiteten und darauf achteten, dass er sich in seinem Alkoholkonsum einschränkt. Die psychotische Symptomatik reduzierte sich bei Herrn R. Er schlief viel und hielt sich an die Termine der psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Noch einmal entschloss sich Herr R., die Medikamente wieder abzusetzen, was er nicht mit den Behandelnden absprach, so dass es dann doch noch zu einer stationären Behandlung kam. Nach einigen Wochen
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Klinikbehandlung und einer Medikamentenumstellung wurde er entlassen. Seitdem sehen wir uns möglichst einmal wöchentlich zum Gespräch. In diesen Gesprächen zeigt sich Herr R. offen und zugewandt. Ihn beschäftigen viele Fragen. Er hat Pläne und Wünsche. Sein oberstes Ziel ist der Abschluss der Ausbildung („für meinen Vater“). Mittlerweile hat er dieses Ziel erreicht und aufgrund seiner guten Leistungen wurde er als einziger Absolvent von der Firma übernommen. Innerfamiliär gibt es offenbar Strukturen, die für den Patienten unlösbar erscheinen, so dass er hier die Lösung einer eigenen Realität, die der eigenen Psychose, wiederwählte. Er fühle sich innerhalb der Psychose lebendig, stark, selbstbewusst, echt und unangreifbar. Er habe dann das Gefühl, dass er alles schaffen kann und dadurch seine Familie aus ihren Verstrickungen retten könne. Demnach ist für Herrn R. die Psychose ein durchaus sinnvoller Zustand mit geringem Leidensdruck, was meines Erachtens zu diesem Zeitpunkt einer langfristigen Psychose-Freiheit im Wege steht. Er selbst meint, dass seine Träume ihn ab und zu wieder in diese Welt eintauchen lassen. Dies möge er sehr. Ich würde mir wünschen, dass Herr R. neben der Soziotherapie einen Psychotherapeuten findet, der sich Herrn R. und dieses Themas annimmt, damit er perspektivisch auch ohne Psychose genügend Selbstwert entwickelt und somit die Psychose überflüssig wird.
Literatur Bremer, B. (2014). Das Dilemma der Ambivalenz. In T. Bock, K. Klapheck & F. Ruppelt (Hrsg.), Sinnsuche und Genesung (S. 267– 275). Köln: Psychiatrie-Verlag. Mentzos, S. (2015). Lehrbuch der Psychodynamik – Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. von Haebler, D. (2013). Zur Bedeutung der Psychotherapie von Menschen mit Psychosen. Die Kerbe, 31(2), 9–12. von Haebler, D. & Becker, M. (2016). Psychotherapie für Menschen mit Psychosen – Aus- und Fortbildungsangebote sind gefragt. Psychosoziale Umschau, 31(1), 8–9.
Yvonne Wiesner selbständige Soziotherapeutin in eigener Praxis, systemische Familientherapeutin, Vorstandsmitglied im Berufsverband der Soziotherapeuten, seit 2018 Studium an der IPU Berlin, M. A. Interdisziplinäre Psychosentherapie mail@soziotherapie-wiesner.de
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Nachruf
Hansgeorg Ließem Ein Nachruf Stefanie Lutz-Scheidt
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m 28. August 2019 verstarb Hansgeorg Ließem nach längerer schwerer Krankheit. Wir verlieren in ihm einen inspirierenden, kreativen und streitbaren Vertreter, der sich deutschlandweit für die Etablierung der Leistung Soziotherapie eingesetzt hat. Ließem arbeitete 40 Jahre lang als Sozialplaner mit dem Arbeitsschwerpunkt Psychiatrie, Stadtentwicklung, Alten- und Behindertenhilfe. Er war Mitbegründer des Berufsverbands der Soziotherapeuten e. V. und betätigte sich als Autor unterschiedlicher Artikel, Bücher und Arbeitshilfen. Mit seiner braunen Aktentasche quer durch die Republik reisend konnte man Ließem überall antreffen, wo Soziotherapie als Leistungsangebot für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen einen engagierten Fürsprecher benötigte. Im persönlichen Kontakt war er Ratgeber, gab die Richtung vor und regte neue Gedanken an. Er verstand es, dass sich Menschen in seiner Nähe wichtig und am richtigen Platz fühlten. Ihm war es zeitlebens ein großes Anliegen, die Soziotherapie als wichtigen Baustein der gemeindenahen psychiatrischen Versorgung zu etablieren und somit Betroffenen ein personenzentriertes Unterstützungs- und Behandlungsangebot zu ermöglichen. Sehr freundlich und höflich im Ton zeigte sich Ließem in der Sache streitbar und inhaltlich versiert. Seine Kritik richtete sich vor allem an die Vertreter der Krankenkassen, die mit hinhaltender Zähigkeit um die vertraglich angemessenen Regelungen feilschen und somit eine flächendeckende Etablierung der Leistung verhindern. Soziotherapie nimmt, trotz nachgewiesener Wirksamkeit der Interventionen, in der Versorgungspraxis eine geringe Rolle ein. Dies ist umso verwunderlicher, da Soziotherapie eine festgeschriebene und kassenärztlich abrechenbare Regelleistung gemäß SGB V § 37a darstellt und per Gesetz jedem Versicherten zusteht. Laut Ließem bestehen die Hauptschwierigkeiten im Missverhält-
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nis zwischen den hohen Zulassungsvoraussetzungen und den Durchführungsanforderungen für die Behandler und die im Gegensatz dazu stehende geringe Vergütung. Betrachtet man Soziotherapie inhaltlich, erscheint dies umso verwunderlicher. Soziotherapie ist für gemeindepsychiatrische Leistungserbringer eine sehr nahe liegende Leistungsart. Sie ist aufsuchend tätig und lebensweltorientiert. Die betroffenen Personen werden durch psychosoziale Interventionen gezielt dabei unterstützt, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in einem größtmöglichen Ausmaß zu entwickeln, um somit einen hohen Grad an Autonomie und Selbständigkeit zu erhalten sowie Unabhängigkeit von professioneller Hilfe zu erlangen. Da drängt sich die Frage auf, die Ließem immer wieder verwunderte: Warum werden Leistungen, die regelhaft im SGB V zur Verfügung stehen, nicht aktiv und konstruktiv durch die Kassen gefördert und ihren Versicherten bedarfsentsprechend zugänglich gemacht? Diese Diskrepanz mahnte Ließem immer wieder an. In seinem Sinn wünscht sich der Vorstand des Berufsverbandes einen gemeinsamen Gestaltungwillen aller an der Versorgung Beteiligten und Verantwortlichen, um betroffenen Menschen einen Verbleib in ihrem häuslichen Umfeld zu ermöglichen und somit ihr Recht auf Teilhabe und ein Leben in der Gemeinschaft zu wahren.
Stefanie Lutz-Scheidt ex. Krankenschwester mit sozialpsychiatrischer Zusatzausbildung, Geschäftsführerin des psychiatrischen Fachpflegedienstes Visit – soziotherapeutische Pflege GmbH, Mitglied im Vorstand des Berufsverbandes der Soziotherapeuten e. V.
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Rezensionen
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Praktische Konsequenzen nötig Bücher zur Demenz im Allgemeinkrankenhaus Christoph Müller
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s ist eine längere Leidensgeschichte. Wenn dementiell veränderte Menschen in ein Allgemeinkrankenhaus kommen, dann ist es für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Umso besser ist es, dass in der Versorgungspraxis die Ideen für ganz unterschiedliche Projekte nicht ausgehen. Michael Löhr, Bernd Meißnest und Benjamin Volmar haben in dem Buch „Menschen mit Demenz im Allgemeinkrankenhaus“ das dankenswerte Projekt gestartet, gelungene und gelingende Ansätze vorzustellen. Das Buch ist quasi eine unverzichtbare Gehhilfe für diejenigen Menschen, die im Allgemeinkrankenhaus mit Demenz-Betroffenen zu tun haben. Die Herausgeber warnen, „möglichst früh Menschen mit einer Demenz zu identifizieren“ und „evidente sowie wirtschaftliche tragbare Konzepte zu entwickeln, um Krankenhausaufenthalte dieser Personengruppe möglichst kurz zu halten“ (S. 29). Es entlaste Betroffene, Angehörige, das Personal sowie das Sozialsystem. Auch wenn sich dies auf den ersten Blick etwas kühl liest, so steht bei den Herausgebern sowie den zahlreichen Autorinnen und Autoren die Humanität und die Integrität der Betroffenen im Vordergrund. Es sind 13 innovative Projekte, die in dem Buch vorgestellt werden. Sie sind so lebhaft und vielfältig, wie es sicher auch die Demenz-Betroffenen sind. Pflegerische Praktiker, die alltäglich vor den Sorgen um Menschen mit Demenz stehen, können sich aus den vielen Anregungen diejenige Quintessenz ziehen, die sie als richtig in dem sie betreffenden Setting sehen. Andreas Schneider unterstreicht in seinem Beitrag „Mit Systematik und Stolz zur Entwicklung der Pflegequalität“: „Innerhalb dieses Rahmens gilt es für alle Mitarbeiter, täglich ihren Handlungsspielraum im Sinne der Patienten zu nutzen, Innovationen Raum zu geben, mit Mut, Empathie und Professionalität das vermeintlich Verrückte zu wagen“ (S. 103). Es ist gut, dass sich viele Gedanken um die Betroffenen machen. Diesen Gedanken hat man im Kopf, während man das Buch „Das demenzsensible Krankenhaus“ von Markus Horneber, Rupert Püllen und Janine Hübner durcharbeitet. Die fremde Umgebung im Krankenhaus sorgt bei dementiell veränderten Menschen für Verunsicherung. Das lebhafte Geschehen um die Betroffenen herum können sie kaum in ihre Wahrnehmung integrieren. Für Erleichterung würde vieles sorgen, mit dem sich die Autorinnen und Autoren beschäftigen. So engagiert sie in den Beiträgen wirken, so wird die Schere zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit in der pflegeri© 2020 Hogrefe
Markus Horneber, Rupert Püllen & Janine Hübner (Hrsg.): Das demenzsensible Krankenhaus → Grundlagen und Praxis einer patientenorientierten Betreuung und Versorgung. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2019. ISBN 978-3-17-033435-9, 402 S., € 59.
Michael Löhr, Bernd Meißnest & Benjamin Volmar (Hrsg.): Menschen mit Demenz im Allgemeinkrankenhaus – Innovative Konzepte für eine multiprofessionelle Betreuung und Versorgung. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2019. ISBN 978-3-17033-018-4, 192 S., € 39.
schen Versorgung der dementiell veränderten Menschen offensichtlich. Eine ansprechende Idee des Buchs ist es, die Wege der Betroffenen durch ein Krankenhaus auch bei der Strukturierung des Buchs zu nutzen. So begleiten die Leserin und der Leser die betroffenen Menschen durch die unterschiedlichen Orte einer Klinik. Der Gang beginnt in der Notaufnahme, erlebt seine Etappen bei Begegnungen auf der Station und bei diagnostischen Maßnahmen und endet bei einer gelungenen Entlassungsvorbereitung. Beide Bücher legen auf ihre Weise die Finger in die Wunde. Es wäre ein Gewinn, wenn sie in Versorgungseinrichtungen praktische Konsequenzen hätten. Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 47
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What’s new, Susanna?
What’s new, Susanna? Erstes Mental Health Café eröffnet „Berg und Mental“ heißt Deutschlands erstes „Mental Health Café“, das im Dezember in München eröffnet wurde. Initiatorin ist Dominique de Marné, die selbst Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert hat. Die 32-jährige Bloggerin, Autorin und „Advokatin für psychische Gesundheit“ möchte damit einen Ort schaffen, an dem sich Besucher in einer angenehmen Atmosphäre und mit einer schönen Tasse Kaffee über das Thema „Seelische Gesundheit“ informieren und austauschen können. Als Vorbild diente das Projekt „Sip of hope“, ein Café in Chicago. Finanziert wurde das Projekt über einen Bankkredit sowie über ein Crowdfunding. Zahlreiche Freiwillige unterstützen das „Berg und Mental“ durch ihre Mitarbeit. Quelle: https://eppendorfer.de/ das-erste-mental-health-cafe
Dekanekonferenz fordert Nachbesserung Auf der 51. Sitzung der Dekanekonferenz Pflegewissenschaft standen die Zusagen der politischen Gremien zur „Konzertierten Aktion Pflege“ auf dem Prüfstand. Vereinbart war, dass bis 2023 die Anzahl der Studienplätze für eine hochschulische Pflegeausbildung bundesweit deutlich erhöht werden sollte. „Wir sind sichtlich enttäuscht, dass in den meisten Bundesländern eine Diskussion der zuständigen Ministerien mit den Hochschulen über die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Akademisierungsrate bei Pflegefachpersonen sowie über eine auskömmliche Finanzierung solcher Studiengänge sehr zögerlich oder gar nicht erfolgt“, so Prof. Dr. Steve Strupeit, Vorsitzender der Dekanekonferenz. Neben den grundlegenden Fragen der Finanzierung erweisen sich in der Konzeption innovativer Studienangebote die unterschiedlichen Logiken einer pflegeberuflichen Ausbildung einerseits und einer hochschulischen Qualifikation andererseits als ausgesprochen schwierig. Die Dekanekonferenz mahnt daher ein bundesweites Lösungspaket an und steht für konstruktiven Diskussionen gerne zur Verfügung. Weitere Infos: https://dekanekonferenz-pflegewissenschaft.org
WHO Initiative zur Verbesserung der Qualität
mit psychischen Erkrankungen, psychosozialen, intellektuellen und kognitiven Behinderungen zu fördern. Hintergrund ist, dass viele Menschen, die Dienstleistungen im Rahmen der psychiatrischen Versorgung in Anspruch nehmen, unmenschlichen Lebensbedingungen, schädlichen Behandlungspraktiken, Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch ausgesetzt sind. Viele werden ohne ihre Zustimmung systematisch festgehalten und behandelt. Betroffene berichten, dass Dienstleistungen nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen und sie auch nicht dabei unterstützen, ein unabhängiges Leben in der Gemeinschaft zu führen – stattdessen fühlen sie sich hoffnungslos und entmachtet. Im Rahmen von QualityRights unterstützt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Länder bei der Umsetzung von Richtlinien, Strategien, Gesetzen und Dienstleistungen, die den internationalen Menschenrechtsstandards, einschließlich der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD), entsprechen. Quelle: https://www.who.int/mental_health/policy/ quality_rights
PSYCHiatrie Barometer 2018/2019 veröffentlicht Das PSYCHiatrie Barometer, ein Informations- und Analysetool für die psychiatrische Versorgung in Deutschland, wird jährlich vom Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) erstellt und veröffentlicht. Die präsentierten Ergebnisse beruhen auf einer Befragung in den psychiatrischen und psychosomatischen Fachkrankenhäusern sowie den Allgemeinkrankenhäusern mit psychiatrischen oder psychosomatischen Fachabteilungen, welche von Oktober 2018 bis Februar 2019 durchgeführt worden ist. Beteiligt haben sich insgesamt 119 Einrichtungen. Die aktuelle Ausgabe beleuchtet unter anderem die Stationsäquivalente Behandlung, das Entlassmanagement sowie die ambulante Notfallversorgung. Die jährlichen Ausgaben des PSYCHiatrie Barometers sind als Download auf der DKI-Homepage abrufbar (www.dki.de).
Susanna Flansburg M. A. Community Mental Health, B. A. Psychische Gesundheit, LWL-Klinikum Gütersloh susanna.flansburg@web.de
WHO QualityRights zielt darauf ab, den Zugang zu qualitativ hochwertigen psychischen Gesundheits- und Sozialdiensten zu verbessern und die Rechte von Menschen
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Mitteilungen der AFG Psychiatrische Pflege
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Akademische Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege Pensionierung Dr. Ian Needham Im Rückblick auf ein engagiertes und erfolgreiches Berufsleben verabschieden wir Ian ganz herzlich in die wohlverdiente Pension. Aus seiner Heimat England führten Ians Wege 1972 in die Schweiz, wo er seine Karriere in der psychiatrischen Pflege startete. Nach vielen Jahren in der Praxis und im Kontext diverser Aus- und Weiterbildungen übte Ian zahlreiche weitere Rollen wie etwa als Pflegeexperte, Lehrer für Krankenpflege, Professor, Pflegewissenschaftler oder Rechtspsychologe aus. Ian prägte die psychiatrische Pflege mit viel Leidenschaft und Expertise. Dabei war er stets für seine unkonventionelle Sichtweise sowie eine große Portion Humor bekannt. Ian befasste sich vertieft mit den Themen Aggression und Gewalt im Gesundheitswesen, aber auch mit der Pflegeplanung in der Psychiatrie oder der Professionalisierung in der Forensik. Als Gründungsmitglied der Akademischen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege kann er sich zum engen Kreis der „Pflegewissenschafts-Urgesteine“ in der psychiatrischen Pflege zählen. Mit zahlreichen wissenschaftlichen und Fachpublikationen oder als Herausgeber von Lehrbüchern leistete Ian einen grundlegenden Beitrag zum Wissenskörper der psychiatrischen Pflege. Gerade das Lehrbuch „Psychiatrische Pflege“ gilt als wichtiges Standardwerk in der Ausbildung zukünftiger Pflegefachpersonen. Als Mitglied verschiedener Organisationskomitees, aber auch als beliebter Vortragender an diversen Konferenzen, erhält Ian bis heute internationale Beachtung und Anerkennung. Nach wie vor engagiert in der Betreuung und Förderung des Nachwuchses, begleitet er zudem zahlreiche Abschlussarbeiten, Bachelor-, Masterthesen sowie Dissertationen. Ian, wir danken Dir ganz herzlich für Dein Wirken und Deine Unterstützung, das Zusammensein mit Dir und wünschen Dir für Deine Pensionierung viele spannende Projekte, Zeit für Musik und andere Leidenschaften und hoffen, dass wir Dir bei der einen oder anderen Veranstaltung über den Weg laufen.
Pensionierung Ruth Meer Lueth Ruth Meer Lueth leitete die Akademische Fachgesellschaft psychiatrische Pflege von 2012 bis 2015. Sie hat die AFG PsyP vor, während und nach der Leitungsfunktion maßgeblich geprägt und seit deren Gründung im Jahr 2005 mit© 2020 Hogrefe
gestaltet. Ruth trat kurz nach der Gründung 2006 dem Verein und der AFG PsyP bei. In den Anfängen umfasste die AFG PsyP eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen. Sie wuchs dann stetig an. Ruth Meer Lueth war eine der ersten Schweizer Pflegeexpertinnen, die 2005 in Maastricht ihren MNSc absolvierten und damit die pflegerische Praxis, das Studium und Bildungswesen in der Schweiz im deutschsprachigen Raum und international beeinflussten. Ruth hat unter anderem den Dreiländerkongress Psychiatrische Pflege mitorganisiert. Sie war für uns eine Kollegin, die immer ein offenes Ohr bezüglich Themen aus dem beruflichen Umfeld, der Profession Pflege und dem Privatleben hatte. Sie war eine Anlaufstelle für verschiedene Anliegen, seien es Sprachprobleme (Ruth verfügt über perfekte Englischkenntnisse), neue Stellen oder entscheidende Kontakte. Es schien, dass Ihr Beziehungen und Kontakte ebenso wichtig waren wie die akademische Weiterentwicklung ihrer Person selbst, aber auch von Kolleginnen und Kollegen. So wirkte Ruth auch durch ihr grosses Netz und bemühte sich um Verknüpfung, Kontakte und gute Beziehungen. In den letzten Jahren hat Ruth Meer Lueth die Weiterbildung an der Fachhochschule Gesundheit (HEdS) in Fribourg CH aufgebaut und geleitet. Nun verlässt sie die AFG PsyP und damit den Verein für Pflegeforschung, da sie pensioniert wird. Wir danken Ruth für das jahrelange Engagement für die psychiatrische Pflege und wünschen ihr und ihrer Familie von Herzen eine gute Zeit im neuen Lebensabschnitt.
After Work Event „Intensivbetreuung in der Psychiatrie“ Als Abschluss des erfolgreichen, rund dreijährigen Arbeitsprozesses präsentierte Dr. Franziska Rabenschlag am „After Work Event“ am 26. November 2019 an der Berner Fachhochschule als Co-Leiterin der Arbeitsgruppe die erarbeiteten Empfehlungen zur Intensivbetreuung in der Psychiatrie. Nach einem wertvollen Input eines Betroffenen aus der persönlichen Erfahrungsperspektive folgte eine spannende multiprofessionelle Expertendiskussion. Wir danken der Arbeitsgruppe ganz herzlich für ihr großes Engagement!
Weitere Informationen: www.vfp-apsi.ch/akademischefachgesellschaften/psychiatrische-pflege/
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Mitteilungen der BFLK
In der letzten Ausgabe hat sich der Vorsitzende des Landesverbandes Berlin/Brandenburg Edwin Emilio Velásquez Lecca mit seinem Steckbrief vorgestellt. In der vorliegenden Ausgabe stellt sich der neu gewählte und erweiterte BFLK-Bundesvorstand vor.
Liebe Mitglieder, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskonferenz hat in ihrer Herbstsitzung in Düsseldorf den BFLK-Bundesvorstand neu gewählt: • Vorsitzende: Silke Ludowisy-Dehl (Langenfeld) • Vorsitzender: Rainer Kleßmann (Bielefeld) • Schatzmeister: Renko Janßen (Münster) • Öffentlichkeitsarbeit: Isabella Müller (Alzey) • Schriftführer: Uwe Kropp (Berlin) • Beisitzerin: Ulrike Dogue (Augsburg) • Beisitzerin: Rebecca Kanthak (Lutherstadt Wittenberg/ Dessau) • Beisitzerin: Elvira Lange (Bonn) Aus dem Vorstand ausgeschieden sind unsere langjährigen Vorstandsmitglieder Georg Oppermann, Grit Stocker und Frank Vilsmeier. Wir danken Ihnen an dieser Stelle von ganzem Herzen für die gute, vertrauensvolle, freundschaftliche und erfolgreiche Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren! Es hat immer Spaß gemacht. Wir alle wussten, dass die investierte Zeit (in der Regel ist es ja Freizeit) sich lohnt! Jetzt hat sich die BFLK verändert, nach jahrzehntelanger „Männerwirtschaft“ ist die BFLK an ihrer Spitze um deutlich mehr Frauen reicher geworden. Wir werden in den nächsten Jahren zahlreiche Aufgaben zu erledigen haben. In vielen Aufgaben stecken wir schon, andere stehen vor der Tür. Auch wenn es nicht immer einfach im Konzert der Politik und der Interessensvertreter ist, , wir stehen für die psychiatrische Pflege und insbesondere für das Pflegemanagement ein! Anfang des kommenden Jahres werden wir uns zu einer konstituierenden Sitzung treffen und die Ziele für die nächsten Jahre abstimmen. Die Ergebnisse werden wir in der nächsten Mitgliederversammlung mit Euch teilen. Wir sehen uns hoffentlich auf unserer 45. Jahrestagung in Düsseldorf wieder. Mit kollegialen Grüßen Ihr BFLK-Bundesvorstand Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 50–52
Der neue BFLK-Bundesvorstand (von links nach rechts): Ulrike Dogue, Renko Janßen, Rainer Kleßmann, Silke Ludowisy-Dehl, Uwe Kropp, Elvira Lange.
Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, am 22. Oktober 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Richtlinie zur Personalausstattung veröffentlicht. Nach fast vier Jahren Arbeit hat der G-BA im Sinne der Sicherung der Strukturqualität Mindestvorgaben festgelegt, deren Erfüllung grundsätzlich vorliegen muss, um psychiatrische Behandlung erbringen zu dürfen. Diese Richtlinien gab es bis jetzt nur für somatische Leistungen, aber nicht für gesamte Fachbereiche der Medizin. Daher haben wir alle erwartet, dass diese Mindestvorgaben die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ablösen und es ein neues Personalbemessungsinstrument für uns geben wird, als sich der Gesetzgeber festgelegt hat. Leider haben sich unsere Erwartungen nicht erfüllt. Vielleicht hatten wir die falschen Erwartungen. Auch wenn die PPP-RL derzeit noch auf ihre Rechtmäßigkeit beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft wird, geht die Fachwelt davon aus, dass sie am 01. Januar 2020 ihre Wirkung entfalten wird. Da auch auf uns, das Pflegemanagement in der Psychiatrie, erhebliche Herausforderungen zukommen, habe ich die Ergebnisse, die für die psychiatrische Pflege wichtig sind, zusammengestellt und einige Empfehlungen gewagt: © 2020 Hogrefe
Mitteilungen der BFLK
1. Grundlage der PPP-RL ist die Psych-PV von 1991 Die Grundlage der PPP-RL ist die PsychPV aus dem Jahre 1991 und zwar ohne Anpassungen! Es wurde neben der Systematik die Festschreibung der Regelaufgaben übernommen. Das ist besonders tragisch, da so der Entwicklung der psychiatrischen Pflege in den letzten fast 30 Jahren nicht gerecht wird. Die entsprechende Arbeitsgruppe beim G-BA (an der Georg Oppermann als Vertreter des Deutschen Pflegerates zwar beratend, aber leider ohne Stimmrecht, beteiligt war) hat viele Anstrengungen unternommen, eine valide Grundlage für die PPP-RL zu finden. Die Sichtung internationaler Systeme, die Auswertung der einschlägigen Leitlinien sowie zahlreiche Expert_innenworkshops konnten nicht überzeugen, so dass auf die altbewährte Personalbemessung zurückgegriffen wurden. Dass einige kleine Verbesserungen für die psychiatrische Pflege erreicht werden konnten, ist in erster Linie den Expert_innen zu verdanken. An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an unsere Expert_innen! Letztendlich sind die Vorschläge der Arbeitsgruppe im Unterausschuss Qualitätssicherung noch einmal beraten und verändert worden, bis die Richtlinie am 19. September 2019 schlussendlich in einer sechsstündigen Beratung in der Plenumssitzung des G-BA verabschiedet wurde (gegen die Stimmen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)).
2. Regelung nur für den Tagdienst Analog der Psych-PV gelten die Minutenwerte nur für den Tagdienst. Insbesondere Nachtdienste und Bereitschaftsdienste werden von der PPP-RL nicht erfasst, da eine entsprechende Datengrundlage zur Berechnung nicht vorlag. Entgegen einiger Verbände-Aussagen gilt die Erfüllungsnotwendigkeit der Minutenwerte zu 100 % bereits ab dem 1. Januar 2020. Hieraus lässt sich auch der Budgetanspruch ableiten. Die Abstufungen in 85 % und 90 % für jeweils zwei Jahre sollen die Krankenhäuser vor Sanktionen bei Nichterfüllung schützen. Das Jahr 2020 ist zudem nicht sanktionsbewehrt, da die Sanktionen (Vergütungsabschläge/Entfall des Vergütungsanspruchs/Leistungsausschluss) noch erarbeitet werden müssen (bis 30. Juni 2020). Die Rechtmäßigkeit und die Erfordernisse ergeben sich aus den § 136 ff Sozialgesetzbuch (SGB) V.
3. Wegfall der Sockelminuten Der Sockel ist damals eingeführt worden, um die Stationsgröße zu begrenzen (12 bzw. 18 Patient_innen). Allerdings gab es diese Vorgabe nur für den Pflege- und Erziehungsdienst. Es bedeutete, dass die Pflegeminuten zunächst um 278 Minuten gekürzt wurden und als Sockelminuten jeder Station hinzugerechnet wurden (18 × 278 = 5000 Minuten). Für jede weitere Person blieben die Minuten gekürzt. Dass diese Vorgabe nicht den gewünschten Erfolg erzielt hat, dafür sprechen die heutigen Stationsgrößen von bis zu 30 Betten. Die BFLK war zunächst eher unsicher, ob sie © 2020 Hogrefe
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dem Wegfall zustimmen sollte. Aber letztendlich sind die Gegebenheiten so, wie sie sind. Es erfolgt keine Kürzung ab dem/der 19. Patient_in mehr. Da zukünftig somit auch mit zunehmender Stationsgröße mehr Pflegepersonal eingesetzt werden muss, ist zu vermuten, dass größere Stationen nicht mehr aus rein ökonomischen Gründen geplant werden.
4. Erhöhung der Pflegeminuten in den Intensivbehandlungsbereichen und KJP Die Expert_innen in allen Anhörungen haben durchgängig die schlechtere Ausstattung der Pflege gegenüber den anderen Berufsgruppen ausgesprochen. Der G-BA hat diesen erhöhten Bedarf anerkannt und die Pflegeminuten pauschal erhöht – um 10 % in den Intensivbehandlungsbereichen in der Erwachsenenpsychiatrie (A2/G2/ S2) und um 5 % in allen Behandlungsbereichen der KJP (für alle Berufsgruppen).
5. Übergabezeiten Neben der Übergabezeit (30 Minuten) des Nachtdienstes werden zukünftig 30 Minuten Übergabezeit für den Tagdienst angerechnet (= 14,5 Stunden).
6. Ausfallzeiten Die Ausfallzeiten sind in der PPP-RL explizit exkludiert (§ 2 Abs. 10) und müssen mit den Krankenkassen vor Ort verhandelt werden. Zudem legt die Richtlinie fest, dass in den vorgegebenen Minutenwerte nicht alle Leistungen erfasst sind, die eine leitliniengerechte Versorgung sicherstellen und daher auch auf der Ortsebene zu vereinbaren sind.
7. Behandlungsbereiche Die bekannten Behandlungsbereiche sind nur wenig verändert worden, lediglich die „A3“ wurde gestrichen (spielte aber schon sehr lange keine Rolle mehr). Die Behandlungsbereiche in der Psychiatrie wurden um die „A7“ (Psychotherapeutische Komplexbehandlung), „A9/G9/S9/ KJ9“ (Stationsäquivalente Behandlung) sowie zwei Behandlungskategorien für die Psychosomatik („P1“: Psychotherapie und „P2“: Psychosomatische-psychotherapeutische Komplexbehandlung) erweitert.
8. Berufsgruppen Neben den klassischen pflegerischen Ausbildungsberufen werden erstmals auch akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen genannt. Dies könnte bei Budgetverhandlungen hilfreich sein, wenn es um die Festlegung der Durchschnittsgehälter geht. Zudem ist eine Anrechnung der Berufsgruppen untereinander (analog der Psych-PV) möglich. Zudem können Fachkräfte, soweit wie sie Regelaufgaben erbringen, in begrenztem Umfang angerechnet Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 50–52
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werden. Sichergestellt sein muss, dass eine ausreichende Qualifikation zur Erfüllung der übertragenen Regelaufgaben vorliegt.
9. Einstufung in die Behandlungsbereiche alle 14 Tage Die Einstufung in die Behandlungsbereiche sind wir an vier Stichtagen im Jahr gewöhnt! Ab dem nächsten Jahr werden aus vier insgesamt 26 Stichtage! Denn die Einstufung muss zukünftig alle 14 Tage und zwar immer an jedem Mittwoch einer ungeraden Kalenderwoche für die um 14:00 Uhr anwesenden Patient_innen erfolgen. Die stundenweise Abweichung ist sicherlich unschädlich. Da die Einstufungen ähnlich der Pseudo-OPS sind, kann eine elektronische Ableitung hilfreich sein (hilft zumindest für das nächste Jahr). Für die Ermittlung der Mindestvorgaben werden zunächst die Minutenwerte der Behandlungsbereiche mit der Anzahl der Behandlungswochen je Behandlungsbereich multipliziert. Für die Berechnung der Behandlungswochen werden die Behandlungstage je Quartal durch sieben bzw. fünf geteilt. Die Mindestvorgabe des einzusetzenden Personals erfolgt prospektiv, d. h. die Werte des jeweiligen Quartals des Vorjahres legen die Menge fest. Wenn die aktuelle Belegung allerdings um +/– 2,5 % vom Vorjahr abweicht, erfolgt die Berechnung auf Basis der tatsächlichen Belegung des Monats des laufenden Jahres. Zudem können die Krankenhäuser von den Mindestvorgaben abweichen, wenn es zu mehr als 15 % Krankheitsausfall des eingesetzten Personals kommt oder die Zahl der untergebrachten Patient_innen um mehr als 10 % ansteigt.
10. Nachweisverfahren Die sicher sehr unschöne Seite der PPP-RL: das Dokumentationsungeheuer des Nachweisverfahrens. Die Psych-PVNachweise sind wir alle schon einige Jahre gewöhnt, war am Anfang sicherlich auch schwierig, aber relativ einfach zu verstehen. Die Besetzung der vereinbarten Vollkräftestellen musste nach Berufsgruppen gegliedert und je Krankenhaus nachgewiesen werden (in aller Regel reichte die Bestätigung des Wirtschaftsprüfers aus). Blieben Stellen unbesetzt, bestand eine Rückzahlungspflicht. Ja, wir haben es immer gefordert, dass die Personalausstattung nachgewiesen werden muss. Viel zu lang war immer der Pflegedienst die „Spardose“ der Häuser, gewollt oder aus der Not heraus. Am Pflegedienst konnte und wurde im Zweifel immer gespart. Von der Metaebene betrachtet erschien dies verständlich, es ist schließlich die größte Berufsgruppe. Aber das, was jetzt abverlangt wird, haben wir weder gewollt, noch gefordert! Der Nachweis ist in zwei Teile gegliedert: Teil A bezieht sich auf die Ermittlung des Erfüllungsgrades quartals- und einrichtungsbezogen. Er ist Grundlage für die Ermittlung der Sanktionen bei Nichterfüllung der Mindestvorgaben. Teil B soll der Transparenz des Personaleinsatzes und der Weiterentwicklung der PPP-RL dienen. Er verlangt den monats- und stationsbezogenen Psychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 50–52
Mitteilungen der BFLK
Nachweis aller Berufsgruppen, deren Qualifikation sowie die Besetzung im Nachtdienst. Hier werden weder stationsübergreifende noch andere moderne Versorgungskonzepte berücksichtigt. Hier rührt auch der allgemeine Ärger her. Wir werden im Nachweis gezwungen, so zu tun, als wären wir noch im Jahre 1991. Da aber die geleisteten Stunden des eingesetzten Personals (Vollkräftestunden = VKS) den Stationen der Einrichtungen zugeordnet werden müssen, ist hier der Einsatz eines elektronischen Dienstplans bzw. einer elektronischen Zeiterfassung unerlässlich. Zudem muss geregelt werden, wie übergreifend tätige Berufsgruppen (z. B. Spezialtherapeuten) den einzelnen Stationen virtuell zugeordnet werden können.
Fazit Die PPP-RL ist eine Erstfassung und hat noch einen langen Weg vor sich, der sich bereits abzeichnet. Die Richtlinie soll weiterentwickelt und alle zwei Jahre überprüft werden. Für die nächsten beiden Jahre stehen u. a. die Berechnung des Nachtdienstes und die Anpassung der Minutenwerte auf der Agenda. So soll auch die erweiterte Nachweispflicht (Teil B) auf ihre weitere Notwendigkeit hin überprüft werden. Die große Herausforderung für das Pflegemanagement liegt zum einem in der Findung und Bindung von Fachpersonal. Die Personalplanung muss immer prospektiv erfolgen, da die Quartalsergebnisse die Mindestpersonalmengen für das nächste Jahr festlegen. Die erhöhten Minutenwerte können je nach Einrichtung einen Zuwachs von 3 bis 10 % Personal bedeuten. Häuser, die Fachpersonal durch Hilfspersonal ersetzt haben (aus welchen Gründen auch immer), können einen weit höheren Bedarf haben. Die Budgetverhandlungen werden deutlich aufwändiger und müssen mit detaillierten Fakten unterstützt werden. Dies bedeutet, dass das Leitungspersonal sehr gut über die einzelnen Elemente der Ausfallzeiten informiert ist. Neben den leicht zu ermittelnden Zeiten (Urlaub, Wochenfeiertage, Krankheit) sind beispielsweise Zeiten der Fort- und Weiterbildung sorgfältig in die Verhandlung einzubringen. Auf der Mikroebene („Station“) ist eine den Behandlungsbereichen angepasste Personaleinsatzplanung erforderlich. Der Verteilung von Urlaubs- und Freitagen ist beispielsweise bei der betrieblichen Notwendigkeit der Vorzug vor Dienstplanwünschen zu geben. Dies wird nicht alle Mitarbeitende erfreuen. Auch hier müssen wir um Verständnis werben. Auch wenn der Umgang mit der PPP-RL schwierig und aufwändig ist, bin ich mir sicher, dass wir diese Herausforderung meistern, eine Verweigerung erscheint mir nicht angezeigt. Viel wichtiger erscheint mir hier, dass wir nicht nachlassen und weiterhin die Politik auffordern, wieder die Einführung eines modernen Personalbemessungsinstruments zu beschließen. Für die somatischen Krankenhäuser haben sie sich bereits zumindest für die Pflege auf den Weg gemacht, dann sollte es für uns ja auch möglich sein! Liebe Grüße Silke Ludowisy-Dehl 1. Vorsitzende © 2020 Hogrefe
Mitteilungen der DFPP
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Editorial
Aus Vorstand und Präsidium
Nun sind wir also im „Jahr der Pflegenden und Hebammen“. Wir freuen uns, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Jahr 2020 zum Jahr der Pflegenden ausgerufen hat. Anlass ist der 200. Geburtstag von Florence Nightingale, die mit ihrer Schrift „Notes on Nursing“ maßgeblich zur Schärfung des Berufsbildes beigetragen. Sie absolvierte ihre Pflegeausbildung in Paris und an der Kaiserswerther Diakonissinnen-Anstalt in Düsseldorf. Auch die von Theodor Fliedner gegründete „Bildungsanstalt für evangelische Pflegerinnen“ hatte damals großen Einfluss auf die Verberuflichung der Pflege.
Mitgliederversammlung und AG-Tag am 19. März
Das internationale Jahr der Pflege ist nun eine Chance, das Bild der beruflichen Pflege weiter zu schärfen. Zumal sie sich in Deutschland gerade in einer Umbruchsituation befindet. Mit dem neuen Pflegeberufe-Gesetz, das seit 1. Januar 2020 gilt, wurde nicht nur ein erster Schritt zu einem einheitlichen Berufsbild vollzogen, sondern auch die akademische Grundqualifizierung für den Beruf (etwas) gestärkt. Damit sind wir zwar immer noch weit von internationalen Standards entfernt. Doch immerhin bewegt sich berufliche Pflege in die richtige Richtung. Eine gute psychiatrische Versorgung ist ohne berufliche Pflege nicht denkbar, obwohl der Pflegeberuf mit seinem einzigartigen Mix aus Alltagsorientierung und medizinisch-psychotherapeutischem Verständnis sicher noch mehr Potential für wirkungsvolle alltagsnahe Hilfe hat. Gerade in den ambulanten Hilfen ist die psychiatrische Pflege noch wenig vertreten, aber auch im stationären Versorgungsbereich kann sie noch mehr Verantwortung übernehmen. Die Deutsche Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege (DFPP) möchte das Jahr der Pflegenden nutzen, um auf das Potential der psychiatrischen Pflege aufmerksam zu machen. In einem ersten Schritt wurde, zusammen mit dem Verbändedialog, eine „Definition und Grundlage psychiatrischer Pflege“ entwickelt, die auch auf der Homepage der DFPP abrufbar ist. Im nächsten Schritt sollen notwendigen Qualifikationen der psychiatrischen Pflege sowie deren zukünftige Rolle im Versorgungssystem beschrieben werden. Wir sind gespannt auf eine umfassende Diskussion der beruflichen Pflege in der Psychiatrie, zu der die DFPP beitragen möchte. Ihr Michael Mayer © 2020 Hogrefe
Die jährliche Mitgliederversammlung der DFPP findet diesmal in Frankfurt statt. Eine Einladung mit Tagesordnung stellt der Vorstand allen Mitgliedern per Mail zu. Vor der Mitgliederversammlung treffen sich eine Reihe von Arbeitsgruppen der DFPP. Zu diesen Treffen sind auch alle interessierten Personen eingeladen (vgl. „Termine“). (DS)
Stellungnahme zur Richtlinie Personalausstattung Die Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wurde im September 2019 verabschiedet. Sie löst zum 1. Januar 2020 die Personalbedarfsberechnung gemäß „Psych-PV“ ab. Die DFPP hat die Erstellung dieser so wichtigen Richtlinie kritisch begleitet und sich, wo immer es möglich war, für eine ausreichende Personalbemessung stark gemacht. Die nun vorliegende Verordnung erfüllt nicht die Erwartungen der Fachgesellschaften an eine ausreichende Personalbesetzung. Sie beinhaltet aber auch ein paar Verbesserungen. In zwei Jahren soll eine Aktualisierung erfolgen, die dringend geboten ist. Die ausführliche Stellungnahme der DFPP wurde am 19. November 2019 verschickt. Mehr Informationen: https://dfpp.de/ archiv/mitteilung/SN_PPP-RiLi_Nov2019.pdf (DS)
Methodenpapier für die Erstellung von Praxisempfehlungen Die Verbesserung der Pflegepraxis ist ein zentrales Ziel der DFPP. Ein Schritt dorthin sind konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis, die zu beschreiben und bekanntzumachen sind. Um diese Aufgabe kümmert sich im Wesentlichen die AG State of the Art in Zusammenarbeit mit dem Vorstand. Der Anspruch ist dabei, dass Empfehlungen zum einen dem aktuellen wissenschaftlichem Wissen entsprechen und dass zum anderen verschiedene Experten bezüglich der Empfehlung einen Konsens haben. Außerdem muss der Prozess, wie die Empfehlung zustande kommt, transparent und für Außenstehende nachvollziehbar sein. Diese Prinzipien gelten auch bei der Erstellung der Behandlungsleitlinien der wissenschaftlichen Verbände in der Medizin. In enger Zusammenarbeit haPsychiatrische Pflege (2020), 5 (1), 53–54
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ben die AG Pflegewissenschaft Süd, die AG State of the Art und der Vorstand ein entsprechendes Methodenpapier entwickelt. Hier sind die Verfahrensschritte genau beschrieben. Die Einhaltung der Schritte sichert die inhaltliche Qualität der Praxisempfehlungen. Der Vorstand freut sich, dass das Methodenpapier nun verabschiedet werden konnte. (MM, JR, DS)
Tagungen 2. Tagesworkshop der DFPP Der zweite Tagesworkshop der DFPP wird sich mit dem Thema „Menschen mit Trauma-Erfahrungen begleiten“ beschäftigen und von Jacqueline Rixe und Dorothea Sauter organisiert. In allen Settings begegnen Pflegende Menschen mit Traumaerfahrungen. Besonders in den nicht-psychotherapeutischen Settings wird dem Thema oft zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Der Workshop findet am 20. März 2020 in der Klinik Hohe Mark in Oberursel (Taunus) statt. Anmeldungen und nähere Infos über die Homepage.
Horatio Congress im Mai – die Planungen laufen auf Hochtouren Der Vorstand freut sich darauf, Gastgeber des europäischen Kongresses für psychiatrische Pflege sein zu dürfen und psychiatrisch Pflegende vieler Länder willkommen zu heißen. Die vielfältigen Vorarbeiten werden von Susanna Flansburg in Zusammenarbeit mit der Regionalgruppe Berlin koordiniert. Dafür dankt der Vorstand sehr herzlich. Nehmen Sie an diesem internationalen Event teil und melden Sie sich bald an, die Plätze sind begrenzt. (DS)
Stand beim DGPPN-Kongress 2019 Im Rahmen des DGPPN-Kongresses vom 27. bis 30. November 2019 war auch in diesem Jahr der von der DFPP mitorganisierte Stand der Pflegeverbände ein zentraler Treffpunkt für alle Fans der psychiatrischen Pflege. Herzlichen Dank an alle Organisatoren und alle Personen, die Stand-Dienste übernommen haben. (UG)
Mitteilungen der DFPP
und Vernetzung“ mit dem Ziel, Betroffene, Angehörige, Fachkräfte der Verwaltung sowie Leistungserbringer zusammenzubringen und eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der sozialpsychiatrischen Versorgung in Schleswig-Holstein anzustoßen. Dazu wurden acht Workshops angeboten, deren Ergebnisse im Anschluss in einer Diskussionsrunde, bestehend aus Psychiatrie-Erfahrenen, Leistungserbringern sowie vier Landtagsabgeordneten der Fraktionen Bündnis 90/Grüne, SPD, FDP und SSW erörtert wurden. Mitglieder der DFPP-Regionalgruppe Nord wurden im Vorfeld zur Durchführung von Workshops angefragt und waren mit zwei Workshops vertreten. Die Regionalgruppe Nord der DFPP war mit einem Infostand im Landeshaus vor Ort. Die von der DFPP mitgestalteten Workshops trugen die Titel „Im Dschungel der Sozialgesetzbücher: Teilhabe, Pflege und Genesung“ und „Einsatz von Genesungsbegleiter*innen im psychiatrischen Alltag“. Die Workshops waren mit 29 und 24 Teilnehmer_innen gut besucht. Inwieweit Impulse aus den Workshops von Politik und Entscheidungsträgern aufgenommen und tatsächlich zur Weiterentwicklung der Sozialpsychiatrie in SchleswigHolstein in die Umsetzung gebracht werden, bleibt abzuwarten. Die DFPP-Regionalgruppe Nord wird diesen Prozess aufmerksam verfolgen und sich nach ihren Möglichkeiten daran beteiligen. Treffen der Regionalgruppe Nord im Jahr 2020 (Anmeldung unter regio-nord@dfpp.de): • 21. Februar 2020 in Neumünster/Friedrich-EbertKrankenhaus • 5. Juni 2020 in Rendsburg/imland Klinik • 4. September 2020 in Kiel/Kieler Fenster • 4. Dezember 2020 in Itzehoe/Zentrum für Psychosoziale MedizinKiel
Aus der Regionalgruppe Berlin Die DFPP Regionalgruppe Berlin befindet sich derzeit mitten in den Vorbereitungen des zweiten Fachtags Psychiatrische Pflege Berlin 2020. Der Fachtag wird am 24. September 2020 in den Räumlichkeiten des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee, Gartenstraße 1, 13088 Berlin, stattfinden.
Aus den Arbeitsgruppen Aus der DFPP-Regionalgruppe Nord Am 4. Dezember 2019 fand im Plenarsaal des Landtags Schleswig-Holstein in Kiel ein Fachtag mit dem Titel „Baustelle Sozialpsychiatrie?“ statt. Der Fachtag setzte das Leitthema „einer gemeinsamen Verantwortung
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Der Fachtag wird durch die Mitglieder der DFPP Regionalgruppe Berlin geplant und durchgeführt. Es erwartet Sie ein vielfältiges Programm aus Workshops und Vorträgen. Nähere Informationen zum Fachtag erhalten Sie auf der Webseite der DFPP. Interessierte Kolleg_innen sind herzlich eingeladen, Ideen und Vorschläge einzubringen. Kontakt: ag-berlin@dfpp.de (JH)
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Mitteilungen des VAPP
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VAPP meets Workshop
VAPP meets Statistik Für den Vorstand ist es von zunehmendem Interesse, wie sich die ambulant-psychiatriepflegerische Versorgung entwickelt. Wir befragten die Mitglieder aus dem Kanton Bern zu ihren Eckdaten. Von 120 Mitgliedern im Kanton konnten wir 64 Freiberufler gewinnen, uns ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Eine der Fragen galt der regionalen Verteilung. Herausragendes Ergebnis: die freiberufliche Ambulante Psychiatrische Pflege (APP) kann eine flächendeckende Versorgung anbieten. Die Region Thun/Oberland verfügt über ein starkes, gut ausgebautes Netzwerk – entsprechend viele Freiberufler sind dort aktiv. Die Berner Freiberuflichen sind durchschnittlich 48 Jahre alt, verfügen über 22 Jahre Berufserfahrung und sind seit sechs Jahren freiberuflich tätig. Die ausgewiesene Berufserfahrung ist essentiell für die freiberufliche Arbeit. Praktische Erfahrungen und Beziehungsarbeit (auf Augenhöhe) bilden die Grundlage unserer Arbeit. Wenn auch nur 50 % der freiberuflich Tätigen an dieser Umfrage teilnahmen, so ist die Gesamtzahl der Klienten (1174) höher als alle Berner Kliniken zusammen an Betten haben. Je ein freiberuflich Tätiger versorgt durchschnittlich 18 Klienten. 90 % aller Klienten fallen auf die Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen, was sich mit dem Altersschnitt der Freiberufler deckt. Es fällt auf, dass der Wert sich drittelt: zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer. Es stellt sich die Frage, warum sich Männer weniger auf Beziehungsarbeit einlassen. Aus diesen Zahlen schließen wir, dass die Freiberuflichkeit im Kanton Bern einen wichtigen Bestandteil der Grundversorgung darstellt, der noch durch die geballte Berufserfahrung zusätzlich an Wert gewinnt. Gestützt auf frühere Erhebungen lassen sich die Ergebnisse auf die gesamte deutschsprachige Schweiz übertragen. Dieses ungeheure Potenzial ließe sich noch besser nutzen, wenn die Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Behandlung noch besser koordiniert würden. (rf/uf)
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Im November fand die 6. VAPP Workshop-Tagung zum Thema „Ethik in der APP“ statt. Erstmals konnte dieser Anlass als ausgebucht gemeldet werden. Dieser Erfolg kann sicher mit der Aktualität des Themas begründet werden. Wie immer wurde sich durch vier verschiedene Fragestellungen in Gruppen intensiv und kritisch an das Thema herangewagt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich die persönliche und die berufliche Ethik großflächig decken sollten als Ausdruck der Authentizität in der ambulanten Arbeit. Ethisches Handeln ist als politischer Auftrag zu verstehen, um die Klienten in der Gesellschaft besser zu vertreten und ihnen eine Stimme zu geben. Ein ethisches Dilemma entsteht im Verhältnis zwischen dem real gewünschten Bedarf des Klienten und den wirtschaftlichen, zweckmäßigen und wirksamen Interventionen. Alle Ergebnisse sind für Mitglieder auf www.vapp.ch abrufbar. (rf/uf)
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Mitteilungen des VAPP
Agenda Workshop-Tagung „Autonomie“ 28. Februar 2020, Kongress Hotel Olten 12. Fachtagung Ambulante Psychiatrische Pflege 24. April 2020, „Horizonte“ bei der IPW in Winterthur SBK-Kongress 2020 7. bis 8. Mai 2020 im Kursaal Bern Dreiländerkongress Pflege in der Psychiatrie: „Was nicht im Lehrbuch steht…“ 10. bis 11. September 2020, Bern
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Humor, Lachen und Heiterkeit pflegen Christoph Müller (Hrsg.)
HumorCare Das Heiterkeitsbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe 2019. 272 S., 19 Abb., 5 Tab., Kt € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85894-4 Auch als eBook erhältlich Humor und Lachen sind wichtige Ressourcen für Patienten, Angehörige und Gesundheitsprofis, um mit Krankheit und Behinderung zurecht zu kommen. „HumorCare“, das Heiterkeitsbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe, stellt die fundierte Darstellung einer
humorvollen Haltung in psychosozialen Handlungsfeldern in den Mittelpunkt. Der Pflegeexperte Christoph Müller und namhafte Humorforschende stellen Konzeptbausteine, innovative Projekte sowie Reflexionen zu pflegerischen Praxissituationen vor.
www.hogrefe.com
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Unternehmerisch Handeln im Gesundheitswesen
Volker B. Schulte / Arie Hans Verkuil (Hrsg.)
Entrepreneurship in der Gesundheitswirtschaft Sachlage, Trends und Ausblicke 2019. 216 S., 22 Abb., 13 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85727-5 Auch als eBook erhältlich
Das Fachbuch zum Entrepreneurship im Gesundheitswesen setzt sich mit unternehmerischen Herausforderungen in der Gesundheitswirtschaft auseinander. Es ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden aktuelle Entwicklungen der Gesundheitswirtschaft im ambulanten Sektor beleuchtet. Der zweite Teil des Buches ist dem sekundären Sektor gewidmet. Was bringt dem Patienten der Trend hin zur Regionalisierung hochspezialisierter Eingriffe? Kann die Lebensqualität gesteigert werden, wenn regionale Einrichtungen
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gleiche Leistungen bieten wie Zentrumskrankenhäuser und -spitäler? Der dritte Teil des Buches befasst sich mit ökonomischen und technologischen Trends in der Gesundheitsindustrie. Ein weiterer Beitrag beschreibt Herausforderungen, die sich bei Kliniken und Spitälern im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 stellen. Das Buch ist eine anregende Lektüre für Manager in der Gesundheitswirtschaft, die sich einen Überblick über gesundheitsgesellschaftliche Trends verschaffen wollen.
Pflegediagnosen – konkret, praktisch, umfassend
Marilynn E. Doenges / Mary Frances Moorhouse / Alice C. Murr Maria Müller Staub / Jürgen Georg / Claudia Leoni-Scheiber (Hrsg.)
Pflegediagnosen und Pflegemaßnahmen Übersetzt von Michael Herrmann. 6., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2018. 1488 S., 29 Abb., 10 Tab., Gb Eine Faltkarte liegt bei € 79,95 / CHF 99.00 ISBN 978-3-456-85831-9
Das praktische und erfolgreichste Handbuch zum Pflegeprozess hilft Pflegenden, Merkmale und Ursachen von Pflegediagnosen zu erkennen, Daten des Pflegeassessments zu ordnen und Pflegediagnosen mit einheitlichen Begriffen zu benennen. Es bietet begründete Pflegeziele, Pflegemaßnahmen und -interventionen und gibt Hinweise zur Patientenedukation und Entlassungsplanung.
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Die sechste erweiterte Neuauflage bietet unter anderem: • alle von der NANDA-I bis 2017 anerkannten 235 Pflegediagnosen; • mindestens 7 weitere klinisch nützliche Pflegediagnosen; • vollständig aktualisierte Pflegediagnosentitel, Definitionen, Einflussfaktoren und Symptome; • an den deutschen Sprachraum angepasste Pflegeziele und Pflegemaßnahmen mit Verweisen auf NOC, NIC und NCDB; • Listen von Pflegediagnosen, die den gebräuchlichsten Pflegemodellen zugeordnet werden und das systematische Auffinden von Pflegediagnosen erleichtern; • über 600 Verknüpfungen von Krankheitsbildern, Behandlungssituationen und Pflegediagnosen.